Schlagwort: Werftstraße

[Supermarktmetaphysik… ]

Zufluchtsorte. Der Supermarkt in der Werftstraße. 22:37 Uhr. Da steht ein zermürbtes Gesicht, das gehört zu einem Mann mit ausgedünnten weißen Haaren, die etwas wild in kleinen zauseligen Strähnen unter der blauen Schirmmütze hervorstehen. Sie schlängeln sich neben dem Hörgerät vorbei. Die Hände umfassen den Griff vom zu groß geratenen Einkaufswagen. Wenn man alt wird, werden die Schritte wieder so klein und zaghaft. Es gibt Schlangen vor den 3 Kassen. Die Kunden taumeln durch die Wege zwischen den Regalen. Körpergerüche, zufällige Privatheit am Ende des Tages. Neonleuchten, Scannerkassengeräusche, das Schlürfen von müden Füßen auf dem Boden. Da ist das Augen verdrehen von einem Kunden, da die Geldkarte nicht angenommen wird. Das Surren der Kühltruhen. Situationen schwebend im Gleichklang von abgedämmten Gedanken & Gefühlen. Weltinhalt verpackt in den Regalen. Fast unmerklich schmeicheln sich akustische Wellen aus verstaubten Minilautsprechern in den Gehörgang. Fallgruben lauern in den vorüberfliegenden Schallwellen. Es gibt bestimmte Stellen in dem akustischen Material, die eine abgewetzte Erinnerung für ein paar Momente wieder lebendig machen. Ein vergessenes Phantasma spult sich ab, für uns Kunden plangerecht nach Jahrzehnten sortiert. Zeitschriften liegen neben – und übereinander. Bilder. Eine überzeichneten Mischungen aus Zielgruppen erheischenden Schlagzeilen. Dicke Buchstaben prangen unter todgelächelten Titelseitengesichtern. Faltenlose Emotionsgesten als kalter Fraß für ein Aufwallen der dumpf-zynische Gedankengeilheit. Aber die Szenerie hat auch etwas maßlos zerbrechliches. Und ein nächster Gedanke kann den vorherigen mit einem Wimpernschlag komplett erledigen.