Schlagwort: Pier Paolo Pasolini

[Eine zeitgemäße Erregung… ]

[…] Nach Willi Forsts „Die Sünderin“ (1950) war Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ (1963) einer der Höhepunkte dieser filmischen Konflikt- und Skandalgeschichte der Bundesrepublik. […] „Es waren […] weiterhin Spielfilme mit künstlerischem Anspruch, die weiterreichende Proteste hervorriefen – wie etwa Bernardo Bertoluccis „Der letzte Tango von Paris“ (1972), Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ (1975) oder Nagisa Oshimas „Im Reich der Sinne“ (1976). Inwieweit sich die Deutungsmuster und Konfliktlinien dabei änderten oder sich bestimmte Haltungen der 1960er-Jahre trotz des gesellschaftlichen Wandels wiederholten, wäre noch zu untersuchen.“

Aus: „Eine zeitgemäße Erregung“ Von Philipp von Hugo
Der Skandal um Ingmar Bergmans Film „Das Schweigen“ (1963) und die Aktion „Saubere Leinwand“ , in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 3 (2006) H. 2,

LINK: zeithistorische-forschungen.de/16126041-vHugo-2-2006

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[…] “ Das Programm „L´ÉROTISME“ bewegt sich in den Grenzbereichen von Erotik, Sex und Gewalt. In der Mitte der 80er Jahre sorgten noch die Filme von Lydia Lunch und Richard Kern für eine Erstürmung des Berliner Eiszeitkinos, das Mobilliar wurde zerschlagen und die Kopie gestohlen. Mit der distanzlosen Betrachtung menschlicher Abgründe wollte man sich nicht auseinandersetzen.“
Aus: „HÉRÉTIQUES: CINÉMAS ICONOCLASTES QUÉBÉCOIS“ (2008 (?))
Quelle: cinema-abattoir.com/…

[Pier Paolo Pasolini… ]

[…] [„120 Tage von Sodom“] – Ist es wirklich verbietenswerte Exploitation, die sich darauf gefällt, das Verachtenswerte der menschlichen Animalie für viel Geld und Aufsehen auszuschlachten?

[…] Auf glitzernde Opulenz oder subtile Erotik verzichtet er ganz, sondern zeigt uns nur die Perversionen und Gewalttätigkeiten in einer Direktheit und Klarheit, dass sich durchaus der Magen des Zuschauers umdrehen mag.

Kontrastiert werden die schrecklichen Episoden, in denen die jugendlichen Opfer dazu gezwungen werden, sich inzestuös untereinander und innerhalb des eigenen Geschlechts zu paaren, und ihre eigenen Exkremente zu verspeisen, durch die hohe Kultiviertheit der „Bösen“. Hochtrabend zitieren sie Nietzsche und Baudelaire und hängen sich Picasso-Gemälde in ihrem Schloss auf. Ihr Verhalten bleibt untereinander immer gesittet und gebildet, wenden sie sich ihren zu Objekten degradierten Opfern zu, werden sie zu reißenden Bestien, nur darauf aus, ihnen Schaden hinzuzufügen und zu ejakulieren. Pasolini zeigt und sagt: Das Böse schlummert überall. Auch der intelligenteste, hochgestellteste Mensch hat jene dunkle Seite in sich.

Ja, Pasolinis Werk muss, auch wenn man das Gezeigte verabscheut, eine respektable Wahrheit zuschreiben. Er zeigt den Horror, das Unmenschliche im Schöngeistigen und zeigt auch, wie konsequent das Böse ist. Am Ende des Films stehen Folter- und Tötungsszenen, die zwar oft nur angedeutet werden, aber wieder durch die gleichgültige Freude der vier Männer zu einer fürchterlichen, absurden Intensität geschaukelt werden. Da wird skalpiert, verbrannt und zerschnitten. Und die Politiker tanzen, onanieren und scherzen dazu. Pasolini zeigt ein ehrliches Sittenbild; er erfindet die Perversion nicht, er bildet nur die Realität ab, zeigt uns, in welche Abgründe der menschliche Geist, unabhängig des Bildungsgrades, fallen kann.

[…] Pasolinis Werk ist auch eine Reflektion auf den Faschismus in seinem Land. Die Geschichte ist 1944 angesiedelt, kurz vor dem Ende Mussolinis, einer Zeit, in der sich das Volk dem diktatorischen Folterer untergeordnet hat, die Augen schließend und das Töten leugnend. Und so ist „Die 120 Tage von Sodom“ eine wichtige Parabel auf eine Politik, die ihr Volk vergewaltigt, ohne dass dieses rebelliert.

[Aus: „MITTERNACHTSKINO – 120 Tage von Sodom“ von Björn Last / Quelle: Sodom.htm]

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[…] Was spätestens aus heutiger Sicht eigentlich kaum der Erwähnung wert ist – ein Siebenundzwanzigjähriger wichst mit einem Sechzehnjährigen im Gebüsch, wird zum Skandal. Pasolini war damals bereits aufgrund seiner Tätigkeit als Schriftsteller, Pädagoge und Politiker eine „öffentliche Gestalt“ (Naldini); die Anzeige, der Skandal, der Prozeß und schließlich die Flucht aus dem heimatlichen Friaul in unbekannte Rom bilden einen biographischen Wendepunkt und bündeln einige Motive, die von da an mit Pasolini, ob er es will oder nicht, verbunden bleiben werden: persönliche Leidenschaft, politisches Engagement, öffentliche Erregung und nicht zuletzt: Homosexualiät.

[Aus: „Pier Paolo Pasolini… che vivo di passione“ von Stefan Broniowski (2000) / Quelle: http://www.kpoe.at/redout/Text/pasolini.html ]

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[…] Er kritisierte trotz seiner Religiösität die Kirche, als überzeugter Marxist den Marxismus und als Patriot forderte er in Zeitungsartikeln auf, der Regierung den Prozess zu machen. Fest steht, dass die Ermordung Pasolini die Möglichkeit nahm, seinen Pessimismus zu revidieren, den er in Salò verewigte.

[…] In diesem Pessimismus siedelt Pasolini den Sadismus zwar im Faschismus an, vor allem jedoch als „Symbol der Macht“, versteht die Herabsetzung der Sexualität und der Körper zur Ware jedoch als Analogie zur heutigen Gesellschaft.

[…] Die Zumutung dieses Films gründet nicht nur in den zugespitzten Gewaltszenen, sondern in der immanenten Gewalt des Systems, seines Regelwerks der Machtunterwerfung. Dieses funktionierende Konstrukt spiegelt der Film in seiner ästhetischen Umsetzung wider. Die strenge Bildkomposition durch kühle Farben, distanzierte Weitwinkelobjektive und abrupt geschnittene Montage, die jeden Ansatz von Mitleid mit den Opfern konsequent abbricht, die narrative Schlichtheit der mechanisch vollzogenen Riten, die den Film mit einer penetranten Langatmigkeit durchzieht, all das bereitet Angst vor der Aktualität dieses Films. Neben vielen von Pasolini geleisteten Interpretationen ist diese am offensichtlichsten: Jenes in ‚Salò‘ gezeigte Regelwerk und die Praxis der Machtausübung sind Grundbestandteil jeglicher Herrschaft. Gewalt wird (staatlich) sanktioniert, Regeln erlassen und genau wie bei de Sade lediglich ganz regelkonform in die Tat umgesetzt. Insofern ist auch unsere heutige Demokratie von einem latenten Ungleichgewicht im Mächteverhältnis geprägt, das die Gefahr eines Missbrauchs impliziert. Bemüht sich die Politik über die Gewaltenteilung noch um Ausgleich und Transparenz, tritt das Ungleichgewicht am deutlichsten in der (Global-) Ökonomie zutage, die sich nach klaren wirtschaftlichen Normen die Abhängigkeit vom Geld und vom Arbeitsplatz zu Nutze macht und dabei auch nur Regeln konform umsetzt.

Diese apokalyptische Sprengkraft hat sich in 28 Jahren nicht geändert, nur schreit deshalb heute keiner mehr auf. Denn gewalttätige Darstellungen bieten kaum mehr Anlass zur Empörung, sondern dienen als Schauermärchen vielmehr der individuellen Berauschung. Des Weiteren wird ‚Salò‘ geduldet, weil er sich als wahr erwiesen hat. Die breite Öffentlichkeit hat sich mit ihrer Opferrolle fraglos abgefunden, nur eine Minderheit nutzt die relativen Freiheiten, um ihren Protest kundzutun.

[Bruchstück aus: „Von der Wiederentdeckung eines Ungetüms (Die 120 Tage von Sodom)“ von Jörn Seidel (Leipzig Almanach Kulturtagebuch) / Quelle: pasolini_die_120_tage_von_sodom_joern_seidel.html]

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[…] „Salò“ bedeutete die Entkleidung menschlicher Beziehungen von allen Euphemismen: das Eintauchen in Höllenkreise exzessiver Sexualität, Gefühllosigkeit und Gewalt, mit Szenen, die im Kino bis dahin noch nicht zu sehen gewesen waren. Die Menschheit ist hier unterteilt in Herren und Knechte; das Ausschlachten der Körper, das Verzehren von Kot und Trinken von Blut, als Gipfel und zugleich tiefster Punkt der Konsumgesellschaft. „Salò“ rief mehr Ermittlungsbeamte auf den Plan als der Tod Pasolinis: Der italienische Staat verhängte zeitweise eine Totalzensur über den Film, gegen die zahlreiche Regiekollegen, darunter Bertolucci, Antonioni, Rosi und Visconti protestierten.

[…] Seine Ideale führten Pasolini zu den Kommunisten, deren ideologische Engstellen er zu Gunsten einer eher urchristlichen solidarischen Haltung aufzubrechen suchte. Er war ein dialektischer Träumer, ein blasphemischer Christ, ein emotionaler Analytiker, dem seine Hoffnungen auf eine bessere Welt freilich irgendwann nur noch als Utopie erschien: „…weil ich alt geworden bin, weil ich weise‘ geworden bin, weil ich die Dinge zu sehr akzeptiert habe.“ Dann drehte er „Salò“.

[Aus: „DAS FLIEGENDE AUGE – Der Käse des Gekreuzigten“ von RALF SCHENK (27.10.2005) – Quelle: berliner-zeitung/serie_kultur/495318.html]

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[…] Drei Wochen vor der Uraufführung von „Die 120 Tage von Sodom“ im November 1975 wurde Pasolini ermordet. In vielen Ländern wurde der Film damals zensiert, in einigen auch verboten, unter anderem in der Bundesrepublik.

[…] Als literarische Vorlage griff Pasolini das gleichnamige Fragment de Sades auf, dessen Handlung er in Mussolinis letzten Rumpfstaat, die Republik von Salò, verlegte. Eine Gruppe von Jungen und Mädchen werden von Faschisten in eine Villa verschleppt, wo sie den perversen Fantasien von vier „Herren“ ausgeliefert sind. An drei Tagen durchleiden die Opfer danteske „Höllenkreise der Leidenschaften, der Scheiße und des Blutes“. Nach sexueller Erniedrigung und der Tortur, ihre eigenen Exkremente zu verzehren, werden sie qualvoll zerstückelt. Doch bezieht der Film seine schockierende Wirkung nicht nur aus den Gewaltszenen, sondern vor allem auch aus der Strenge des formalen Aufbaus sowie der großbürgerlichen Kulturviertheit, auf der die Unterdrücker ihren Sadismus begründen.

[Aus: „Höllenkreise aus Blut und Scheiße – Wieder im Kino: Pasolinis ‚Die 120 Tage von Sodom'“ von Sebastian Preuss (08.05.2003)/ Quelle: 2003/0508/berlinberlin/0072/index.html]

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Der wegen Ermordung des italienischen Schriftstellers und Regisseurs Pier Paolo Pasolini verurteilte Pino Pelosi hat sein damaliges Geständnis widerrufen. Mehrere Unbekannte hätten den Mord begangen. Ob es neue Ermittlungen geben wird, steht nicht fest.

[Quell: http://shortnews.stern.de/shownews.cfm?id=572171]