Schlagwort: Nicht-Ich

[Zur Ontologie des nicht seienden #28… ]

via https://postsecret.com/2020/11/29/sunday-secrets-343/

Slavoj Zizek (23.12.2015): “ … In einer bekannten Anthropologenanekdote antworten sogenannte Primitive, denen man abergläubische Vorstellungen zuschreibt (dass sie zum Beispiel von einem Fisch oder einem Vogel abstammen), wenn man sie direkt danach fragt: „Natürlich nicht, so blöd sind wir nicht, aber wir haben gehört, dass einige eurer Vorfahren das tatsächlich geglaubt haben.“ Sie übertrugen also ihren Glauben auf einen anderen. Machen wir nicht dasselbe mit unseren Kindern? Wir feiern Weihnachten oder das Nikolaus-Ritual, weil unsere Kinder daran glauben (sollen) und wir sie nicht enttäuschen wollen; aber sie geben nur vor, das zu glauben, um uns nicht zu enttäuschen (und natürlich, um Geschenke zu bekommen). Ist es nicht dieses Bedürfnis, jemanden zu finden, der „wirklich glaubt“, das uns auch dazu treibt, den anderen als religiösen oder ethnischen Fundamentalisten zu stigmatisieren? … In einem klassischen Psychiatriewitz wird ein Mann, der glaubt, ein Samenkorn zu sein, in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, und die Ärzte geben ihr Bestes, um ihn davon zu überzeugen, dass er kein Samenkorn ist. Als er davon geheilt ist und die Anstalt verlassen kann, kommt er jedoch sofort vor Angst zitternd wieder zurück. Vor der Tür stehe ein Huhn, er habe Angst, von ihm gefressen zu werden. „Sie wissen doch“, sagt der Arzt, „dass Sie kein Samenkorn sind, sondern ein Mensch.“ „Natürlich“, antwortet der Mann, „aber weiß das Huhn das auch?“ Wir können uns einen vergleichbaren Fall auch mit Gott anstelle des Huhns vorstellen. In einer aufgeklärten Gesellschaft des revolutionären Terrors wird ein Mann ins Gefängnis geworfen, weil er an Gott glaubt. Mit verschiedenen Maßnahmen, vor allem durch eine aufklärerische Erklärung, wird er zur Gewissheit geführt, dass Gott nicht existiert. Kaum entlassen, kommt der Mann zurück und erklärt, er fürchte, von Gott bestraft zu werden. Natürlich weiß er, dass Gott nicht existiert – aber weiß Gott das auch?
… In genau diesem Sinn ist unsere Gesellschaft womöglich weniger atheistisch als alle vor ihr. Wir sind alle bereit, uns totaler Skepsis, zynischer Distanz, „illusionsloser“ Ausbeutung anderer, extremen Sexualpraktiken oder sonst etwas hinzugeben – geschützt von dem schweigenden Bewusstsein, dass der große Andere (die öffentliche Meinung) es ignoriert. … Nur wenige glauben wirklich an die Demokratie, aber wir beteiligen uns an dem Spiel. Nur wenige glauben an Gerechtigkeit, aber wir verlassen uns auf unser Rechtssystem. Dieses Paradox macht deutlich, auf welche Weise ein Glaube eine reflexive Haltung ist. Es geht nie allein ums simple Glauben, man muss an den Glauben selbst glauben. Deswegen hatte Kierkegaard auch recht, als er behauptete, dass wir nicht wirklich (an Christus) glauben, sondern nur glauben, dass wir glauben. …“ | Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/warum-feiern-atheisten-weihnachten-slavoj-i-ek-13975453.html

“ … Der große Andere ist das Andere des Subjekts, das Nicht-Ich, das dieses Subjekt jedoch immer schon strukturiert und ausrichtet. So muss „der Andere als der Ort [verstanden werden], an dem das Ich, das spricht, sich konstituiert.“ (Lacan: Seminar III, S. 322) … „Der große Andere existiert nicht“ bedeutet in diesem Sinne, dass der große Andere nicht im Realen existiert, sondern nur in unserer phantasmatischen Vorstellung. Das Phantasma stellt einen Versuch dar, den Mangel des großen Anderen aufzufüllen. Der große Andere ist insofern wesentlich ideologisch. Lacan sieht auch das religiöse Opfer als Garant dafür, dass es überhaupt einen Anderen gibt, der das Opfergeschenk annimmt; das Opfer erfüllt also nicht den Zweck, etwas im Tausch zu bekommen, sondern dient vielmehr dazu, den Schein der Omnipotenz des großen Anderen aufrechtzuerhalten. …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/Der_gro%C3%9Fe_Andere (28. Mai 2019)

“ … Für Lacan ist der Riss, der Subjekte durchzieht, besonders wichtig: Einerseits werden sie in eine Kultur hineingeboren, in der sprachlich und kulturellschon vorentschieden ist, was sie sind – d.h. mit welchen Signifikanten sie sprechen und welche Signifikate Bedeutung haben werden -, andererseits aber scheint es die Freiheit der Subjekte zu sein, hierin ihr ganz eigenes Interesse und je subjektive Besonderheit aufzuspüren. … Mit der Unschärfe der Wahrheit der Psychoanalyse ist für Lacan eine Tür hin zu den Beziehungen der Menschen aufgestoßen. Ihn beunruhigt dabei stärker als andere Psychoanalytiker zutiefst die Kluft zwischen biologischen Antrieben und kulturellen Ereignissen, zwischen interaktiven und sprachlich vermittelten Prozessen. Das Unbewusste umgreift … unverstandene Handlungen von Subjekten … Das Spiegeln des anderen, das Begehren des anderen auf der imaginären Achse, die eine Fülle von lebendigen und vielseitigen Beziehungen ermöglicht, die für Lacan überhaupt erst die Perspektive der Intersubjektivität ermöglicht … Interaktion ist nie nur – auch idealtypisch nicht – ein Verhältnis von Ich und Du, von selbst und anderem. … Das Ich ist vorrangig eine imaginäre Konstruktion (Lacan 1980, 309). Wäre es nicht imaginär, dann wären wir keine Menschen, sondern Monde, Planeten in bestimmten Umlaufbahnen, berechenbar. … So wichtig die imaginäre Position nun auch ist, um die menschliche Fantasie zu behaupten, sie bedingt geradezu die Grenzziehung durch das Symbolische, um den Menschen als soziales Wesen zu konstituieren. …“ | Aus: Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke – „Lacans Erweiterungen des Unbewussten“ (2., völlig überarbeite Auflage, 2009) | http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/buecher/ordnung/band1/II.3.5.pdf | http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/buecher/ordnung/band1.html

Henriette Stach – Religion und Fantasy: Das glauben die Charaktere von „Game of Thrones“ (16.04.2019): “ … „Ich hab‘ schon die ganze Welt umsegelt, und überall wo ich hinkomme, reden die Leute vom einzig wahren Gott. Alle glauben den Richtigen anzubeten“, fasst der Pirat und Flottenkommandant Salladhor Saan treffend zusammen. …“ | https://www.pro-medienmagazin.de/medien/fernsehen/2019/04/16/das-glauben-die-charaktere-von-game-of-thrones/

Freelo (2018): “ … Ich kenne diese Serie [Game of Thrones] nicht, habe mich nur ein wenig über die Inhalte informiert. Müssen Christen sich mit einer Serie, die Götzendienst, Gewalt und sexuelle Unmoral und Perversion verherrlicht auseinandersetzen? Muss Medienmagazin Pro über so eine ungöttliche Serie informieren anstatt davor zu warnen? …“

Black Sheep Freelo (2018): “ … ich finde die Informationen gut. Warnen muss mich niemand, weil ich weiß, dass mein Gott der einzig wahre ist. Aber es gibt Leute um mich herum, die die Serie schauen. Wenn ich da dann mit reden kann und sich daraus ein Gespräch über Glauben und über meinen Herrn ergibt, dann habe ich viel gewonnen. Ich habe von Missionaren gelernt, dass es wichtig ist, in Glaubensgesprächen an die Erlebniswelt der Menschen anknüpfen zu können. Und Serien gehören heute zur Erlebniswelt. …“

„Die Fantasie aber ist das eigentlich Individuelle und Besondere eines Jeden.“ – Friedrich Schleiermacher (1768-1834): Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, 3. Buch, I. (1803)

[Jean Nicolas Arthur Rimbaud… ]

via https://secure.flickr.com/photos/cicilie/161206431/

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»Arthur Rimbaud und zwei seiner Zeitgenossen – der zehn Jahre ältere Nietzsche und der anderthalb Jahre jüngere Freud – haben zur Entzauberung des Ichs in besonderer Weise beigetragen, indem sie in seinem Inneren selbst ein Anderes, ein Nicht-Ich kenntlich machten.« (Helmut Dahmer)

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Vortrag von Prof. Dr. Helmut Dahmer (Wien) [https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Dahmer]. Dritter Teil der Reihe KUNST, SPEKTAKEL, REVOLUTION aus Weimar zu Gesellschaftskritik und Ästhetik, live mitgeschnitten am 25. November 2012 im Golem. (58 Min.)

via http://golem.kr/?p=2946

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Arthur Rimbaud (1854-1891)
https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Rimbaud