Schlagwort: Elisabethstrasse
[Überlagerungen im Herbst… ]
Wenn die Gedanken zu Menschen hineilen. Oder wenn Gedanken zu den Vorstellungen, welche sich in der Erinnerung festgesetzt haben, hin laufen. Und ich gerade das Hemd ausziehe – denn ich muss noch duschen. Das Zimmer ist zerwühlt. Wir lagen aber in deinem Zimmer und erzählten von den Dingen, die um uns schwirren. Und bei deinem Klavier will eine einzige Taste nicht mehr recht erklingen, sie will nicht mehr funktionieren. Mal geht sie, mal nicht. Den Flur entlang – in dem kleinen provisorische Labor liegen die elektronischen Klangerzeuger und Tastaturen überall verstreut. Der Blick morgens aus dem Erker im 2. Stockwerk. Die Straße mit Kopfsteinpflaster da unten und der Gehweg ist aufgerissenen. Dort liegt meine Hingebung. Schnell noch eine Zigarette denkt sich der Mann mit der Schaufel und den lehmigen Arbeiterstiefeln. Ja ja das Haus (nebenan) wird an die Fernwärme angeschlossen sagt er. Der Boden ist nass und kalt. Die Ziegel des abgetreten restlichen Gehwegs glänzen matt. Ich denke einen anderen Tag: ganz zu recht hast du mich nur zögerlich in den Arm genommen, wir wissen wie verschieden wir ticken. Später im Krankenhaus trommelt wieder die beflügelte Spaßtruppe von außen gegen die Fensterscheibe. Die fliegenden Spaßmusiker, der lachende Engelschor. Sie tragen in der Mitte eine große goldene Uhr. Sie zeigen mit großen Gesten auf das Ziffernblatt um dann flatternd in Gelächter auszubrechen. Jetzt liegt das Buch von Zumbach (über Edgar Allan Poe) auf deinem Krankentischen. Mir macht es nichts aus, das du so verändert aussiehst. Ich habe so viele Bilder von Dir abgespeichert und eingelagert, das sich diese Bilder in abgestuften Schichten über das aktuelle Bild legen.
& Später in der Elisabethstrasse (die wir hier als verbliebene Freunde verliebt-zärtlich die Elli nennen) bekomme ich von Herrn Sternjäger einem Apfel frisch aus seinem Garten geschenkt. Er schmeckt köstlich. Da kann man einen Wurm verstehen. Er hat rote Backen. Es ist Herbst.
[Unter Kumuluswolken… ]
Simuliere ich mir einen neuen Geisteszustand. Es ist vorbei, ich stürze an einem Abhang von Nebensächlichkeiten entlang. Fachleute, Dilettanten, stille Meister, Wichtigtuer, Verzweifelte. Es ist wie, als würden wir alle ein wenig lügen, weglassen und beschönen, weil wir uns selbst vergessen haben. Noch immer verraten uns die Weglassungen, die Nebensächlichkeiten, welche die Welt bedeuten. Innehalten, kleine Gesten, Schweigen, Blicke, weggehen, wiederkommen, eine Handlung vollführt zu haben ohne es recht zu merken. Orte welche sich wie von Geisterhand mit Gefühlen aufladen. Wenn man zum Beispiel in einer Stadt eine bestimmte ‚Ecke‘ besonders mag. Da stehen wir als eine handvoll Menschen neben einem Koloss von Blech, Stahl, Rädern, Telefonleitungen, leere Joghurtbechern, Luftpumpen, Festplatten und unter Kumuluswolken.
Irgendjemand stirbt gerade zusammengekauert mit den Dingen, die noch unerledigt waren. Ein anderes Kind wird in die Welt gepresst und die Mutter ist erschöpft und verschwitzt. Wer von uns kann sich noch daran erinnern jauchzend die Muttermilch zu saugen – meine Herren im verzweifelten Häuserkampf um Macht, Annerkennung und Liebe? – Jeden Tag werden neue Löcher in die Seele gerissen. Kurz bleibe ich stehen. Treppenhäuser sind so eine Sache. Jedes hat seinen unverwechselbaren Geruch. Manche lassen mich kalt, aber manche Altbautreppenhäuser, in denen mir Erinnerungen hochkommen, von Momenten, die ich gar nicht erlebt haben kann, haben alles kommen und gehen gesehen.
Der alte Jürgen sitzt pissend auf halber Treppe, es ist Winter. Anna knallt die Wohnungstür zu, läuft weinend zur Strasse und die alte Frau Hennings hat heimlich den ganzen Streit mit angehört hinter der leicht geöffneten Tür.
Auf dem Bürgersteig torkeln mir seltsam angespannte Wortfetzen entgegen, von der anderen Strassenseite wird zurückgeflucht. Dann folgt ein Moment Stille. Die Elisabethstrasse hat für kurze Zeit die Welt vergessen.
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