[…] erst die Selbsttätigkeit der Seele aus eigener Kraft führt zur Individuation und deren Spezifikation, woraus „eine jede bestimmte Anzahl überschreitende Fülle von Substanzen“ hervorgeht. „Wie der organische Leib ein System aus Systemen ist, so ist der Leib eine Fülle von beseelten Leibern, eine ganze Welt voll Seelen, die aber zusammengebunden sind durch die Eine herrschende Seele.“ Grundlage dieser Selbsttägigkeit ist die Empfindung:
„Die Empfindung ist die Geburtsstätte des Selbst […]. Die Vorstellung gibt uns die Welt, die Empfindung unser Selbst … Nur in der Empfindung liegt die Gewißheit meines Daseins, meines Selbstes. Die Vorstellung dagegen ist die Stellvertreterin der Außenwelt in uns, der Spiegel des Universums, die Repräsentation der Vielheit in der Einheit …“ Diese Einsicht läßt Feuerbach das Verhältnis zwischen Empfinden und Denken umkehren; galt Denken bis dahin als höchste Erkenntnisleistung, weist er diese Stelle nun der Empfindung zu: „Würde ich nur vorstellen, ohne zugleich zu empfinden, so wüßte ich gar nicht, ob ich bin oder nicht bin.“ So verwandelt sich ihm die abstrakte Vernunft, weil sie all ihren Gehalt aus der Empfindung bezieht, in eine sinnliche Vernunft des Leibes. Leib und Geist werden nicht dualistisch gefaßt, sondern sind die Einheit des „Außeinander“ der Materie und des „Ineinander“ ihrer inneren Bestimmung. „Seele“ ist Feuerbach jene durchgehende innere Tätigkeit der Natur, die mit der Vernunft des Menschen im Begriff erfaßt werden kann, und insofern sind beide, „Seele“ und Vernunft, unendlich. Dieser nur für die menschliche Vernunft erfahrbare Seelenbegriff konkretisiert sich in der realen Welt „als bestimmte, individuelle Seele, als ein bestimmter Leib“:
„… in der Seele kommt nur zutage und zum Dasein, was der Leib in und an sich selber ist. So aber wie das Feuer selbst aufhört, wenn vom verbrennlichen Stoffe nichts mehr übrig ist, so hört auch die bestimmte Seele … zugleich mit ihrem bestimmten Leibe auf.“ Das Denken der Seele in der Vernunft bringt sie nur auf den Begriff, zur Wirklichkeit kommt Seele durch Empfindung:
„Insofern man unter der Seele das Lebensprinzip versteht, so kann man, da die Empfindung das konstituiert, was man Leben nennt, ein Leben ohne Empfindung kein Leben ist, nur so viel Leben ist, als Empfindung ist, mit Recht und Fug sagen, daß die Seele Empfindung sei oder Empfinden.“ Näherhin meint Feuerbach: „Das Wesen der Empfindung erscheint am bestimmtesten und klarsten in sinnlichen Genüssen.“, ohne zwischen Empfindung und Gefühl zu unterscheiden, indem er an derselben Stelle fortfährt: „Ich fühle immer nur Bestimmtes, aber in diesem bestimmten Gefühle bin ich immer selbst, das ganze Individuum, mein ganzes Selbst enthalten, denn jedes Gefühl ist zugleich Gefühl meiner selbst, mein ganzes Sein in einer besonderen Bestimmtheit.“ Auch ihm geht es damit um das Thema, das so alt ist wie die Philosophiegeschichte selbst, das sich wie ein roter Faden durch dieselbe zieht: um das Verhältnis von Vernunft und Verstand auf der einen Seite und Empfindung und Gefühl auf der anderen, um das Verhältnis zwischen Sinneswahrnehmung und Denken.
[Bruchstueck aus: „Die Wiederentdeckung der Sinnlichkeit Feuerbach und Nietzsche“ – Helmut Walther (Nürnberg)| Veröffentlicht in Aufklärung und Kritik, Sonderheft 3/1999, Schwerpunkt Ludwig Feuerbach, S. 85-98 | Quelle: http://helmutwalther.privat.t-online.de/index.htm?/n_f.htm]
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