[Ein Opfer von Gehirnzuständen]

[…] Bin ich dann sozusagen immer nur das Opfer meiner Gehirnzustände?

[…] Auch wenn das Gehirn scheinbar nichts tut, ist es stets damit beschäftigt, Inhalte zu ordnen, Bezüge herzustellen, Lösungen zu finden, Modelle zu entwerfen, sogar wenn Sie schlafen. Sie werden sich jedoch nur eines kleinen Teils dieser Arbeit gewahr. Ins Bewusstsein gelangt nur das Wenige, auf das Sie Ihre Aufmerksamkeit lenken können. Manche Vorgänge können wir sogar nie ins Bewusstsein heben. Denken Sie z. B. an vegetative Kontrollfunktionen der Nierentätigkeit.

[…] deshalb denke ich, dass das Problem des „freien Willens“ daher rührt, dass wir Kulturwesen sind, Wesen mit Gehirnen, die uns in die Lage versetzt haben, eine Theorie des Geistes zu erstellen und damit kulturelle Konstrukte und soziale Realitäten aufzubauen, die uns dann wiederum als Realitäten erfahrbar werden.

[…] Wenn sich einmal Ihre Erkenntnis durchsetzt, der „freie Wille“ – ähnlich wie das alternative Gefühl, fremdbestimmt zu sein – sei nur in der Erste-Person-Perspektive real, aus Sicht der Naturwissenschaft jedoch nicht existent! Was würde sich in unserem Leben, in unserer Gesellschaft ändern, wenn der Uraltgedanke, die Menschen könnten ihre Entscheidungen “ frei“ treffen, sich als hinfällig erweist? Könnten wir dann niemanden mehr zur Verantwortung ziehen?

Ich glaube, dass sich an der Art, wie wir miteinander umgehen, nicht sehr viel ändern würde, wenn wir der naturwissenschaftlichen Sichtweise mehr Bedeutung zumäßen. Wir würden allerdings – und das wäre erfreulich – vermutlich ein wenig toleranter werden, nachsichtiger, verständnisvoller. Wir würden nicht so schnell aburteilen.

Bruchstücke aus: „Ist der Mensch frei? – Materialien zur LPE 6“
Zusammengestellt von Klaus Goergen: Philosophie/Freiheit.pdf

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