[Ordnung, Herrschaft und Interessen #21… ]

Das Geheimnis ist das wesentliche Instrument

Sascha Lobo (10.09.2013): “ … Das Gemälde „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ von Martin Kippenberger zeigt, wie der Künstler verspricht, kein Hakenkreuz. Sondern dessen pseudokubistische Verballhornung. So entlarvt es die urdeutsche Bereitschaft, an der Wirklichkeit vorbeizureden. Und damit gezielt zu verbergen, worüber dringend geredet werden müsste: wortreich schweigen. Mit der Verleugnung des Elefanten im Raum ergibt sich ein Moment des Irrsinns. … Als bekannt wurde, dass alle relevanten Smartphone-Systeme durch die NSA gehackt werden können, reagierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder in den „Tagesthemen“: „Es ist kein Thema der Politik. Die neuen Vorwürfe, die kommen, sind ein Thema zwischen der amerikanischen Regierung, der NSA und den Herstellern. Damit haben wir in Deutschland nichts zu tun, und ich sehe auch keine neue Eskalation des Skandals.“ Ich kann beim besten Willen kein Thema der Politik entdecken, es ist so schade, dass Kippenberger nicht mehr lebt. … Weltweit schimmern Zeugnisse von Momenten des Irrsinns auf. Wenn EU-Justizkommissarin Viviane Reding den europäischen Datenschutz stärken möchte, aber Großbritannien lapidar als an die NSA verloren aufgibt. Wenn in Brasilien die Wirtschaftsspionage der US-Dienste aufgedeckt wird, was Geheimdienstchef Clapper kaum mehr verhüllt als „Informationssammlung zu ökonomischen und finanziellen Themen“ beschreibt, vorgeblich – Sonderirrsinn! – als Frühwarnsystem gegen Finanzkrisen. Und wenn Obama sagt, er erfahre aus den Zeitungen, was die NSA tue und gehe dann dorthin, um die Details herauszufinden. Was sich in einer Demokratie nicht unbedingt angemessen anhört für den mächtigsten Mann der Welt.
Aber das alles wirkt beinahe hobbyhaft gegen den deutschen Qualitätsirrsinn, hergestellt von den Politik-Ingenieuren der Koalition. Es mag eine demokratiefeindliche Einstellung sein, Totalüberwachung für richtig zu halten. Aber es ist eine diskutierbare politische Haltung. … „Metro-Net“ ist der Titel einer unvollendeten Installation von Kippenberger. Mit weltweit zu bauenden Attrappen von Eingängen zu U-Bahnstationen wollte er ein globales Metronetz vortäuschen, samt vom Tonband abgespielten Zuggeräuschen und falschen Lüftungsschächten. Das Werk ist von 1993, aber eine geeignetere Metapher für die Aufklärungsarbeit der Bundesregierung zur Spähaffäre lässt sich kaum finden. …“ | http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/fuer-die-bundesregierung-gibt-es-keinen-abhoerskandal-a-921343.html | Martin Kippenberger’s Metro-Net >> http://www.newmediastudies.com/art/mk.htm

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Ellen Nakashima (08.09.2013): “ … The Obama administration secretly won permission from a surveillance court in 2011 to reverse restrictions on the National Security Agency’s use of intercepted phone calls and e-mails, permitting the agency to search deliberately for Americans‘ communications in its massive databases, according to interviews with government officials and recently declassified material. …“ | http://www.washingtonpost.com/world/national-security/obama-administration-had-restrictions-on-nsa-reversed-in-2011/2013/09/07/c26ef658-0fe5-11e3-85b6-d27422650fd5_story.html

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FAZ.NET (09.09.2013): “ … In einem Globo-Interview sagte der Journalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald, er verfüge über Dokumente, die „noch viel mehr Informationen über das Ausspähen von Unschuldigen, von Leuten, die nichts mit Terrorismus oder Wirtschaftsinformationen zu tun haben“ enthielten. …“ | http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/nsa-affaere-geheimdienste-spaehen-finanztransaktionen-aus-12565598.html

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Überwachungs- und Spionageaffäre 2013“ (9. September 2013): “ … Laut einer Statistik, die der Spiegel einsehen konnte, werden an normalen Tagen bis zu 20 Millionen Telefonverbindungen und um die 10 Millionen Internetdatensätze, welche aus Deutschland kommen, gespeichert. Im Dezember 2012 sollen es rund 500 Millionen Metadaten gewesen sein, die in Bad Aibling erfasst wurden. An Spitzentagen wie dem 7. Januar 2013 überwachte die NSA rund 60 Millionen Telefonverbindungen in Deutschland. Der deutsche Auslandsgeheimdienst hatte diese Weitergabe eingestanden, versicherte aber, dass diese Daten vorher um eventuell enthaltene personenbezogene Daten deutscher Staatsbürger „bereinigt“ werden. Der Zeit zufolge werden dazu etwa alle E-Mail-Adressen mit der Endung .de sowie alle Telefonnummern mit der Landeskennung +49 ausgefiltert. …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachungs-_und_Spionageaff%C3%A4re_2013 (9. September 2013) | >> http://www.golem.de/news/nsa-chronologie-der-enthuellungen-von-edward-snowden-1307-100411.html

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Patrick Breitenbach (09.09.2013): “ … Präsidenten kommen und gehen spätestens nach 8 Jahren. Hoover blieb fast 50 Jahre und wusste offenbar schon vor dem jeweiligen Amtseid, mit welcher Person er es zu tun hatte und wo genau deren persönliche Schwachpunkte lagen. Nun ist J. Edgar Hoover seit über 40 Jahren tot, aber er scheint mir dennoch ein mahnendes Beispiel zu sein, wie Behörden von einzelnen Menschen auch in demokratischen Systemen geschickt zu ihren eigenen Interessen missbraucht werden können. … Das Ziel der NSA ist eine nahtlose Vollüberwachung der Welt. Es geht natürlich nicht darum, was Lieschen Müller in ihren Mails über das Wetter schreibt. Es geht um Informationen, die dazu genutzt werden könnten, die Demokratie im eigenen Land auszuhebeln, Parlament und Präsident zu übergehen und somit als Behörde langfristig die Weltgeschicke zu lenken. Nicht Barack Obama ist der mächtigste Mann der Welt, denn der geht im Zweifel in 3 Jahren wieder, es sind die hochrangigen Beamten in den jeweiligen Geheimdiensten, die 20, 30 oder 40 Jahre unabwählbar und unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Schlüsselpositionen sitzen, und denen es also egal ist, wer „unter ihnen Präsident“ ist. Eine Schattenregierung mit unglaublichen Machtoptionen. … Ich glaube, wir können uns immer noch nicht annähernd vorstellen, womit wir es hier wirklich zu tun haben. … “ | http://www.carta.info/63890/nsa-cia-fbi-egal-wer-unter-uns-prasident-ist/

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Patrick Breitenbach „Der Selbsterhaltungstrieb des Überwachungssystems“ (29.07.2013): “ … Jedes System kämpft um die Selbsterhaltung und gleichzeitig die Vergrößerung der eigenen Handlungsspielräume. Man nennt es auch Autopoiesis [https://de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis]. … in handfesten Zahlen beschrieben (Alles Daten aus einer 2-jährigen Recherche der Washington Post: http://projects.washingtonpost.com/top-secret-america/), speist er sich [der „Geheimdienst-Industrie-Komplex“] aus einer großen Anzahl von Akteuren, deren Hauptinteresse zunächst darin liegt sich selbst zu erhalten und den eigenen Handlungsspielraum und somit den großen Kuchen, also das Budget, kontinuierlich zu vergrößern. … “ | http://blog.karlshochschule.de/2013/07/29/der-selbsterhaltungstrieb-des-uberwachungssystems/

heise.de (30.08.2013): “ … Die USA geben in diesem Jahr 52,6 Milliarden US-Dollar (rund 40 Milliarden Euro) für ihre insgesamt 16 Geheimdienste aus. Über dieses sogenannte „schwarze Budget“ berichtet die Washington Post unter Berufung auf Dokumente des NSA-Whistleblowers Edward Snowden. Demnach erhält nicht die seit Wochen im Fokus stehende NSA (National Security Agency) das meiste Geld, sondern die CIA (Central Intelligence Agency) mit 14,7 Milliarden US-Dollar. Die NSA erhalte 10,8 Milliarden US-Dollar und der Militärnachrichtendienst National Reconaissance Office (NRO) 10,3 Milliarden. …“ | http://www.heise.de/newsticker/meldung/NSA-Affaere-Schwarzes-Budget-der-US-Geheimdienste-enthuellt-1945661.html

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Frank Rieger „Halten sich die Geheimdienste für Gott?“ (09.09.2013): “ … Im Verborgenen waltet eine Elite von digitalen Allessehern, die bloß vorgibt, unser Bestes zu wollen. Weder Politiker noch Gerichte können sie kontrollieren. Die Demokratie wird zur Benutzeroberfläche. … Man kann die Werte von Staaten und Organisationen am besten danach beurteilen, wie sie mit ihren Häretikern und Dissidenten umgehen. Der Umgang mit Chelsea (vormals Bradley) Manning, die Causa Snowden mit transatlantischer Sippenhaft gegen ihn unterstützende Journalisten und der Umgang mit den Geheimdienst- und Militär-Whistleblowern insgesamt zeigt überdeutlich, welch unkontrollierte Macht der „deep state“ der Dienste mittlerweile hat und wie unberührt von öffentlichem Protest er agiert.
Das Geheimnis, die Bewahrung einer geradezu mythischen Aura von Allwissenheit bei gleichzeitiger Undurchschaubarkeit ist wichtiger geworden als alle Prinzipien von Menschenrechten, Freiheit und Transparenz. Das Geheimnis ist das wesentliche Instrument, um Fehlbarkeit, Versagen, Erpressungen, Missbräuche, Verschwendung und das Ausmaß des politischen Einflusses der Dienste zu verbergen und damit ihre Macht zu sichern….“ | http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ueberwachung/ueberwachungsaffaere-halten-sich-die-geheimdienste-fuer-gott-12564894.html

Alex Hess (Leser2013) – 09.09.2013 17:06 Uhr: “ … Der NSA-Skandal ist nur sichtbares Symptom der neuen Herrschaftsform, deren Ursache ein Wandel der Weltanschauung ist. Der Umsturz war still, die Revolution geheim. Als gesellschaftlichen Visionär muss man J. Edgar Hoover ehren, denn er erkannte, dass die Diktatur der Proletarier nur mittels Diktatur der Technokraten zu besiegen ist, materielle vs. informationelle Enteignung. … “

Peter Wombel – 09.09.2013 16:13 Uhr: „Danke für diesen beeindruckenden Artikel, der in wohltuender Diskrepanz zu dem steht, was man sonst in dieser Zeitung zu dem Thema gelesen hat. … Die Angst der Politiker vor den Diensten ist so auffällig, dass man sich fragt, was sie gegen die Herrschaften in der Hand haben, dass diese sich im vorauseilendem Gehorsam immer dann weg ducken, wenn klare Kante gefragt wäre. Die Jämmerlichkeit der Auftritte von Pofalla und Merkel spricht jedenfalls Bände.“

Bernd Winkler (Langsam…) – 09.09.2013 15:51 Uhr: „Gerade wir Deutschen sind es gewöhnt – aus Erziehung und traditioneller Gehirnwäsche, dass man Behörden und der Polizei zu vertrauen hat. Die Umfragedaten sprechen Bände. Polizei und Sicherheitsdienste haben höchste Zustimmungswerte. Staatliche Beamte und Bedienstete erfreuen sich höchster Beliebtheit in Deutschland. Mit einer solchen Einstellung, jedoch, ist die wichtigste Voraussetzung zur Etablierung und zum Erhalt der Gewaltenteilung, mithin zur Demokratie, zerstört: die Voraussetzung des Misstrauens. Aus Geschichte, Tradition und allgemeiner Lebenserfahrung weiss man und muss man wissen. Dem Staat, den Behörden und den jeweiligen Regierenden ist prinzipiell nicht zu trauen. Das nur rechtfertigt Gewaltenteilung, Checks und Balances, Transparenz und Demokratie. Wäre es je anders gewesen, bräuchte man das alles nicht. … “

eduard felson (eddie_f) – 09.09.2013 19:56 Uhr: „die resignation sie rührt daher, daß es keine alternative mehr zu geben scheint. es ist wie bei der anstehenden wahl: man hat sie nicht mehr. der weg in die weltdiktatur ist geebnet. …“

Carolus Doomdey (Domday) – 10.09.2013 00:21 Uhr: „no, EDUARD FELSON, keine resignation. Warum auch? Sehen sie nicht, dass die Füße der potentiellen Weltdiktatoren aus Ton sind? Freiheit ist noch nie verschenkt worden, sondern aus zumeist ausichtsloser Position erkämpft. Die Resignation, dem Fatalismus verwandt, ist Bequemlichkeit, die Weigerung nach Alternativen zu suchen. … Kafkas Charaktere sind an ihrer Phantasielosigkeit gescheitert, weil sie kein Leben jenseits der Autorität denken konnten, die momentanen Bedingungen als ewig akzeptierten. So konnte Kafka ihnen keine positive Perspektive bieten. … anders und grob gesagt: mehr Schiller als Kafka, denn entgegen ihrer Erwartung ist die schillersche Perspektive real. …“

Quirin Hofer (Quirin….) – 09.09.2013 16:30 Uhr: „Edward Snowden hat dieser „Elite von digitalen Allessehern“ einen Blattschuß verpasst. … Es ist nichts anderes als eine reine Lachnummer, wenn Politiker vorgeben, aufgrund von sicheren Geheimdiensterkenntnisssen Entscheidungen treffen zu wollen. Das führt direkt in eine gelenkte Demokratie. Wer mit „Geheimdienstinformationen“ arbeitet öffnet letztendlich willkürlichem Handeln Tür und Tor. Das wäre das Ende von Demokratie. Letztendlich, natürlich könnten „geheime Dienste“ kontrolliert werden. Sie sind dann eben weniger „geheim“, dafür mehr Dienstleister. Ein grundsätzliches Umdenken ist erforderlich. …“

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Nachtrag:

Christian Semler „Das Schweigen der Bürgerrechtler“ (26.11.2007): – 1987 überfiel die Stasi eine Druckerei der DDR-Opposition. Stasiakten aus solchen Razzien verwendet derzeit das BKA bei Ermittlungen im linken Milieu: “ … Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die „Militante Gruppe“ (MG) hatte das Bundeskriminalamt (BKA) bei der Birthler-Behörde Opferakten von Redakteuren des telegraf aus dem Jahr 1988 angefordert. Diesem Anliegen wurde entsprochen. Bei den Akten ging es um einen Überfall der Stasi auf die Umweltbibliothek. Gesprengt werden sollte von der Stasi ein Treffen, das der Planung von Aktionen gegen die Tagung von Weltbank und Weltwährungsfond in Westberlin dienen sollte. Das BKA wollte diese Stasiakte zum Zweck des „Profiling“ auswerten. …“ | https://www.taz.de/!8208/

Sven Sasse, 10. September 2013 10:59: „Stasiaktenverwendung nach 20 Jahren: … Das http://www.taz.de/!8208/ ist die Realität im real existierenden Rechtsstaat und wie mit den heute durchgezogenen Schnüffelresultaten morgen umgegangen werden wird, wissen die Spitzelaffärenbeender sicherlich ganz genau. …“ | http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Stasiaktenverwendung-nach-20-Jahren-Heute-keine-Nachteile-und-morgen/forum-264938/msg-24081026/read/ | kommentar zu: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Politik-und-Wirtschaft-Verzweifelte-Antwortversuche-auf-PRISM-1953272.html

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