Kategorie: Wortbrocken.Cafe

[Die feixenden Flieger… ]

El Blondo (Bruno) kommt mal wieder aus Spanien und steigt in die Linie 11. Das war wohl eine lange Nacht gestern, diese Augen können nicht lügen. Musiker sind Musiker sind Musiker. Wir fahren über die Gablenzbrücke. Und in Espanol? – El Blondo: „Die Jungs da nimmt keiner mehr erst, die spielen zu viel Bongo und trinken zu viel Rotwein. Oh, hier muss ich schon raus…“

Am Telefon ist J. Aber wo ist jemand genau, wenn er am Telefon ist? Wir sind beide am Telefon. Wir sind in einem Telefonzustand. In einer Zwischenwelt die 2 Räume verbindet. Am Telefon hat J. mich für diesen Augenblick in der Hand. Es könnte irgendwie an ihrer Stimme liegen. Wir befinden uns in einem ersten Moment. Darum müssen wir lachen. Liebesspiel ist Schauspiel ist Liebesspiel ist ernst. Natürlichkeit ist vielleicht selbstvergessenes und unbeobachtetes Schauspiel. Wir sind ganz wild auf die Natürlichkeit. Eine Natürlichkeit, die beim genaueren Hinsehen vielleicht wieder eine verruchte Machtergreifung sein könnte – und gar nicht so zufällig – wie ich eben noch dachte. Du bist wütend auf mich – und das zu recht. Wir lieben an einander das Unbekannte und mögen das Vertraute? – Jetzt bist du nicht mehr wütend? – Ich höre es an deiner Stimme. Ich weiß nicht warum. Ich ergebe mich auch. Natürlichkeit will wie aus Versehen entdeckt werden. Ich dachte an Oliven, am Telefon sagt J.: „Bringst du noch Milch mit?“

Ich sehen ihn manchmal da draußen stehen – ein eigentlich noch junger Typ – beim vorbeifahren in der Linie 11. Er wirkt etwas verwahrlost, steht da am Karlstal mit seinem Hund. Sein Blick verharrt an keinem festen Punkt. Jetzt sitzt er hier im Gelenkbus und zählt sein Restgeld. Deutlich verfettet sind die Haare. Immer wieder zieht er seine Schnotter hoch. Ein Fahrgast Mit Hornbrille sieht bereits verächtlichen Blickes auf den Geldzählenden herab. Ich sehe darauf hin mit Falten in der Stirn den mit der Hornbrille an – für eine Sekunde. Ruhelosigkeit durchzieht den Körper, er, der den Schnotter wieder hochzieht, hockt sich hin. Er steht wieder auf, er greift sich in eine Tasche. Er hockt sich wieder hin. Wir fahren in eine Kurve. Er beginnt immer wieder von Neuem alle seine Taschen – auch die des verdreckten Parkers – zu durchwühlen. Die Rechnerei mit den vielen kleinen Geldstücken beginnt immer wieder von Vorn.

Gleich gehe ich die Milch kaufen. Die Luft ist kühl und der Wind fegt durch die Ritzen welche ihm die parkenden Autos bieten. Für kurz schiebt sich mir die gedankliche Gewohnheit ein wenig beiseite. Die feixenden Flieger haben mich entdeckt. Taumelnd beginnt der Flug. Die Häusermauern fluchten. Für kurz werde ich unverhofft zu ihnen hin geschummelt. Für kurz nehmen sie mich auf in ihre Reihen, die spöttelnden himmlischen Heerscharen und treiben Schabernack. Sie lachen mich aus, sie lachen uns alle aus – am meisten die miesgelaunten und die gramvollen Planetenbesetzer. Sie deuten mit fast höhnischen Mündern untereinander an, das sich da wohl jemand verirrt hat. Sie rufen mir zu: „Ja, was kann der Gehweg unter dir, was kann das alte Kiel mit seinen Kopfsteinpflasterstraßen dir schwindenden Menschen schon erzählen?“ Köpfe werden geschüttelt vor Lachen. Einer ruft: „Blast kräftig in die Trompeten, schlagt die Seiten der Laute an!“ – Es nehmen mich – die in der Luft musizierenden – fest am Kragen, reißen mich um die Kurve im Flug und lachen noch dabei. Ich versuche die Gegend wie aus neu geborenen Augen zu sehen. Ich versteh ihren Humor nicht ganz. Schon setzen sie mich ein Stück weiter wieder auf dem Stadtboden ab. Beim Asmus-Bremer-Platz. Um die Ecke erblicke ich einen hell erleuchteten Raum, zwei Menschen verstecken ihre tänzelnden Augen hinter Flachbildschirmen. Der Gesichtsausdrücke sind in einem freien Fall, es geht dem Computer-Nirgendwo zu. Für 2 Sekunden denke ich, der Anblick wäre komisch, wäre eine Vorstellung, wäre eine Gesichts-Kunst-Performance. Gleich werde ich auf der Rolltreppe fahren und die Milch kaufen. Ein alter Knabe kommt vorbei deutet auf die beiden hinter den Bildschirmen und raunt mir zu: „Aber sie machen nur ihren Job, gehen sie schon weiter, das geht sie gar nichts an, jedem sein Lebensentwurf“. Er geht ein Stück, dreht sich noch ein mal um und sagt laut: „Sehen Sie mich an, das auf-die-Schnauze-fliegen hat mich glücklich gemacht, im Nachhinein natürlich erst. Und mir machen die weißen Haare nichts, sie geben mir sogar etwas zusätzliche Würde, nur der Schweißgeruch wir im Alter etwas strenger – ich war als junger Kerl liederlich, da waren die Faxenmacher in den Wolken nicht weit – aber jetzt wo meine Knochen alt sind, lach ich über Alles und Jeden – da brauch ich die Truppe da oben nicht mehr!“

Die Würstchenbude vor dem alten Rathaus ist hell beleuchtet aber Menschenleer. Doch für W. wird das Leben undurchschaubarer, ich sehe es ihm an. Als hätten ihn 3 Kugeln des Schicksalhaften durchlöchert – für manche Dinge gibt es keine Regelhaftigkeit – und bei seiner Schulter gingen die Kugeln-des-zufälligen durch wie Butter, lautlos. Jetzt kann jeder an der Straße durch seine Schulter gucken, jeder sieht die 3 kleinen Durchschußlöcher in seinem Selbstbild.

Es ist mir verstellt. Ich nehme mich gerade nicht ernst. Doch für T. ist es ernst. Sie schluchzt leise in sich hinein. T. ruft nach zarten, schützenden, liebenden und behutsamen Händen. Sie bekommt jedoch Backpfeifen von unsichtbaren Händen, keine Liebe – aber Backpfeifen, keine liebevollen Umarmungen nur unerwartete Backpfeifen. Da hilft auch die Wut und der wilde Atem nicht. Was soll das?! – Des Nachts ist T. allein. Weit weg von der fliegend lachenden Spöttertruppe, der himmelhochjauzenden Lachbande – sie flogen kurz nur über das alte Backsteinhaus, wo T. zur Miete wohnt. Nun wirbeln sie um das alte ehrwürdigen Opernhaus. Es ist spät Nachts. Flatternd finden sie ein offenes Fenster. Schon sind sie im Flur. Vorsichtig wird die Tür zum Fundus geöffnet – dort treffen sie auf das hektische Liebesspiel von unfreiwillig verkanllten. Leise durchstöbern die lustigen Flieger auf leisen Sohlen den Raum. Dann wirft einer von ihnen mit geöffnetem Mund einen alten Garderobenständer um. Die Liebenden sind für kurz erschrocken, für kurz verwirrt, für kurz verharren sie und halten den Atem an.

Sie sagt: „Was war das?“ – Er sagt: „Ich weiß es nicht.“

[Wie Sie nur leicht die Augenbrauen hochzog… ]

Als für uns jungen Brüder die Welt noch nicht ganz so zerrissen und zerbröckelt zu sein schien, hatten wir eine selbst gebastelte Schiffsschaukel im Garten. Die Schiffschaukel war eine alte Holzleiter, die mit dünnem Tau horizontal an einen Ast einer Zierkirsche befestigt war.
Wuchtvoll gab ich meinem Bruder Anschwung – hoch flog die Schiffschaukel – und wir beide jauchzten vor Freude. Diese Art von Begeisterung vermisse ich manchmal.

Morgens haben Julia und ich kaum Zeit. Was hast du geträumt? – Ich weiß es auch nicht mehr. Im Bett mit dem Becher Kaffee hatte mich noch die Vermutung überrumpelt, ob ich vielleicht nur die Erinnerung an den Film Amarcord (Fellini, 1973) oder Casanova (Fellini, 1976) zu lieben begonnen habe, dabei ist das Urteil schnell bei der Hand – das da heißt: die Liebe gelte natürlich dem Film selbst. Was aber, wenn dieses warm orange glühende Gefühl nur dem Filmecho der eigenen Erinnerung gilt – und eben nicht dem Dargebotenen konkreten Film im erlebten Moment. Die eigene Nase fühlt sich seltsam an, der Kampf gegen die Erkältung ist nahe der Nasenscheidewand im vollen Gange.

Das Karlstal liegt noch in der Morgendunkelheit. Ihre langen mittelblonden Haare waren etwas ungeordnet und die Stoffturnschuhe hatten beide ein kleines kleines Loch an der Fußspitze. So richtig bekam ich auch die Augen noch nicht auf. Der Moment, wenn wir morgens über die Gablenzbrücke schaukeln ist durch das Lichtergeschimmer auf der Kieler Förde ein kurzer Mikro-Glückssprudel auf der Netzhaut.
Diese mittlere Drehscheibe des Gelenkbuses (umgangssprachlich oft auch als „Schlenki“, „Schlenker“ oder „Ziehharmonikabus“ bezeichnet [*]) gab mir für kurze zeit den Blick auf die Gesichtshälfte einer wild entschlossenen Frau frei. Ihr dunkelbrauner rechter Auge Blick stach für einen Moment mit Nachdruck in mich hinein, dann drehte sich das Busgelenk wider. Wie sollte ich erfahren, welcher Gedanke oder welches Gefühl dem so ernst entschlossenem Ausdruck in ihrem Gesicht zugrunde liegt. Ich habe auch nicht die zweite Hälfte ihres Gesichtes gesehen.

An der Haltestelle Hummelwiese, ist es im Nieselregen ratsam den Jackenkragen hoch zu schlagen. Jemand schaut kurz noch mal unauffällig in den Haltestellen Mülleimer.
Die Linie 41 ist voll – erst an der Endhaltestelle fällt mir auf, das ich eine ästhetische Abscheu gegen Rollkoffer hege, subkutan steigert es sich bis hin zur unausgesprochenen Aggression. Lachend über so viel eigenen Müdigkeitsblödsinn ziehe ich den Kragen noch etwas höher in das Gesicht und erinnere mich daran, wie Endira nur leicht die Augenbrauen hochzog, als die Ladentür auf ging und eine Kundin sich in einen fauchenden nach Schwefel stinkenden Drachen verwandelte. Der Drachen fauchte zwei mal mit Feuerfunken eine gesteigerte Wut hinaus: es ging eigentlich darum, das die Biogänse auf dem Plakat an der Tür wohl ermordet werden für das Weihnachtsfest. Und wie geschmacklos es wäre, diese dem Tode geweihten Tiere auch noch an die Ladentür zu hängen. Wohlgemerkt: das Bild der Biogänse war der Auslöser. Ihre ganze Lebenswut fauchte, die zum Drachen gewordene Kundin, Endira an der Kasse entgegen. Endira bleibt ruhig, freundlich und hold. Sie hat mit dem Plakat an der Tür eigentlich auch gar nichts zu tun und zieht meinen Joghurt über den Kassenscanner. Die Ladentür Schlägt wieder zu, der Drache war wieder eine Frau geworden, die etwas zu hastig mit ihren Kindern in den Wagen steigt. Ich sehe noch durch das Türglas. Der Einkaufswagen rechts neben mir, der für das Pfandglas, hat den Wutausbruch mit seiner eisernen Stille ertragen – doch nach ein paar Sekunden der Ratlosigkeit singt er leise:

Steig in das Traumboot der Liebe
fahre mit mir nach Hawaii
dort auf der Insel der Schönheit
wartet das Glück auf uns Zwei …

Ich hätte vielleicht doch ganz den Mund halten sollen – am Tisch vor dem Sektglas mit Peggy. Jeder hat eine andere Familie. Heute lässt sich vielleicht mehr den je, „die Familie“ nicht mehr verallgemeinern. Eigentlich auch gar nicht so schlecht. Verallgemeinerung macht manchmal undeutlich um was es eigentlich vielleicht geht.

[Zum Wahn der Liebe (12)… ]

Unten hustete die Mutter von H. Das würde sie jeden Abend machen sagte H.
Meine Sympathie hatte sie nicht nur allein durch die raue Wärme in ihrer Stimme. Aber ich hatte einen mentalen Wackelkontakt. Nicht zu wissen wer man ist, aber zu lieben.

Wenn ich bei S. durch das Esszimmer ging, so hörte ich die Oma rufen, die darum bat noch mehr Morphium zu bekommen. Das einzige Schmerzmittel was noch helfen würde, wurde uns gesagt. Im Traum gab mir S. einen falschen Fünfziger. Da war irgend etwas Wahres dran.

Die Kontraste der Kindheit haben mich meist nonverbal in Schutzgewahrsam genommen. So wie es mich heiß durchfuhr, da ich bemerkte, das andere bemerkten, wie ich log (nicht DAS ich log!). Als 8 Jähriger ist das Anlügen der Mutter wenig erfolgversprechend. Woher sollte ich wissen, wie man unter ihrem Radar hindurchfliegt – denn L. war zwar eine junge gestörte Frau – und ich hatte keine Ahnung was sie mit mir vor hatte, aber es fühlte sich so interessant an. Manche Störungen sind freudig-heimlich. Doch die Mutter passte auf und L. musste weg. So werden Mythen gemacht, der Junge konnte sich jahrelang den Kopf darüber zerbrechen, was alles hätte passieren können. Allein nackte Haut und der Busen waren schon so übermächtig wirksam gewesen. Das hatte doch nur der Anfang sein sollen – wie ich so auf ihr lag. Die Zeiträume verliefen anders. Ich meine die Ruhe zu haben, gebannt zu sein, wenn das reflektierte Licht auf der Tapete langsam rötlich wird.

C. fragte mich, ob ich auch manchmal Gesichter in der Raufasertapete sehen würde. Ich verneinte, aber seit dem suche ich Gesichter in den Mustern der Tapete – und manchmal finde ich eins. Aber eher selten. Und ich glaube bis heute, das C., als sie mir an der verträumten Bushaltestelle vor ein paar Kieler Omas zwischen die Beine fasste und den Schwanz zusammendrückte, gar nicht über meinen Verwunderung, sondern über ihre verwegene Idee, diesen seltsamen deutschen Omas einen Moment der Ausnahme zu bescheren, lachte. Sie explodierte manchmal quasi vor meinen Augen mit schall-schnell-grellen Gefühlen und warf mir meine Beschränktheit vor. Wie gern hätte ich darüber mit ihr zusammen lachen können, aber mir war nicht klar genug wie recht sie hatte. Hätte ich ihr recht gegeben, wären wir zusammen schall-schnell explodiert.

Es machte einen seltsamen Zischlaut, wenn Autos auf der Fockbeker Chaussee am Ladengeschäft meines Großvaters vorbei sausten. Ich konnte sie nicht sehen, aber hören, jedes einzelne Auto. Durch die gläserne Ladentheke sehe ich den Kuchen, der mein Begehren auslöste – ich kannte die verschiedenen Namen der Kuchen nicht – ich zeigte mit dem Finger auf die Donauwelle und sagte „den“. Später allein oben im Bett – in der Dachkammer – durfte ich noch Radio hören. Seltsame Melodien erklangen quäkig im Raum mit der orangefarbener und roter Bettwäsche auf der ich lag.

G. sagte, das F. sich verändert hätte – und ihrer Mutter immer ähnlicher geworden wäre. Ich konnte mich nicht entscheiden – wollte ich es ihm glauben? G. war anstrengend (lachte zu laut) und F. hatte ich lieb. Ich konnte nichts dafür, das ich so zu ihm empfand – und er konnte nichts dafür das er zu laut lachte. Ich wollte doch mindestens meine Erinnerung an F. mit der gleichen Entrücktheit behandeln dürfen, wie ich Musik als 16 Jähriger angehört hatte. Ich kann Musik jetzt nicht mehr so anhören. Die Türen sind vernagelt. Es hilft nicht, wenn man ein Fenster einschlägt, um in das Zentrum der stillgelegten Erlebnisse zu gelangen.

[Schweigen & Klopfzeichen… ]

Wenn man sich wirklich zu verstehen glaubt, so setzt für einem Moment manchmal echtes Schweigen ein.

Aber auch beim Gegenteil. Schweigend liefen wir eine kurze Zeit nebeneinander her. Wie hätten wir auch anders zum Herz der Dinge vorstoßen können. Unsere gegenseitige Befremdlichkeit, gerade weil wir uns womöglich zu ähnlich sind. Das Schweigen hatte den Vorteil, das keiner von uns künstlich Interesse oder Freundlichkeit erzeugen musste.

Selbst im Restaurant. Auch dort herrscht Schweigen zwischen den Zeilen, läuft auch auf einem großen Bildschirm „Media Turk“. Ein lautstarker wilder Kram aus Unterhaltung und schrillem Informationsbrocken. Keiner hier schenkt „Media Turk“ Beachtung, wir sind ja auch zum essen hier. Für einen Moment frage ich mich mit der Gabel im Mund, ob der Nachrichtensprecher mit dem Schnurrbart eine Perücke auf dem Kopf hat. Und dann lenkt mich etwas ab – mag es die Tochter des Reataurantbesitzers sein – jemand Telefoniert am Tisch direkt vor mir. Dort gestikuliert sie nun ausladend und sagt lautstark: „Das hat sie gesagt?! – Die spinnt wohl! (kreisch)“. Sie sieht mir intensiv prüfend in die Augen, prüfend ob ihre Mobiltelefondarbietung und die Körperform betonende Sumpfhose bei mir auch ihre Wirkung entfaltet hätte. Schweigend fragte sie diese Parameter – als Dienstleistung zur Selbstbestätigung – in meinen Augen ab. Oder ist das alles nur eine Unterstellung aus meiner Perspektive? – Und wieder Schweigen. Schweigen als Chance der eigenen Lächerlichkeit zu entkommen. Schweigen als mentaler Notausgang.

Andersherum: wenn einem die Liebeswogen mit Wucht überfahren, so kenne ich keinen wirklich passenden Ausdruck in dem Moment des Geschehens – in der betreffenden Sekunde, ich meine in der Echtzeit bleibt oft nur das Schweigen, nur die Augen – ich sehe es dir an – sprudeln über.

Was läuft in den Adern und in der Hirnströmen ab, dachte der Mann, der als Kellner verkleidet war, brachte einem stillen Gast einen weiteren klaren Schnaps und ein Bier – und schwieg. Der stille Gast kippt mit einem Ruck das kleine Glas an seinen Lippen, schluckt, springt auf und ruft überlauft: „Jouh! Rock’n Roll!“.
Danach wieder Schweigen. Jemand verdreht die Augen am Tresen. Und im Atelier, dort wo die Bilder entstehen, wird die Zeit knapp.

Und was ist wenn jemand nicht schweigen kann? – Der verkleidete Postbote mit dem gelben Rad wird von einem Mann mit 2 Hunden bedrängt mit der Frage, ob er denn nicht rechnen könne – die Fahrpreise der Buslinien seien viel zu teuer in Kiel, da würde er doch eher laufen, wenn er denn mal in die Stadt müsse, aber die junge Generation könne ja nicht mehr rechnen, denen wäre ja so wie so alles egal. „Also“ fragt der Hundehalter „können Sie rechnen? – Können Sie?“ – „Also, dann rechnen Sie mir aus wie viel man bezahlen muss – in die Stadt hin und zurück!“ – Die eindringlichen Blicke des nun ganz nahgekommen Mannes bohren sich in das Postbotengesicht. Doch der erschöpfte Postbote hat noch die ganze Tasche mit Werbeprospekten voll. Er sagt: „Entschuldigen Sie, aber ich will jetzt nicht rechnen – ich muss weiter…“. Da ruft der Mann: „Ha! – Jetzt habe ich Sie, sehen Sie? – Sie können nicht rechnen!“ – Und schon reißt der Mann mit den Hunden den Mund auf und verspeist den Postboten mit einem Haps.

Etwas später klemmt im Badezimmer der Heizungsthermostat. Altbautypisch. Der Hausmeister kommt – da die Heizung nicht warm wird – wenn man sie aufdreht. Er schlägt mit einem Hammer gegen das T-Stück vom Heizungsrohr. Das hilft sofort. Die Heizung wird warm. Die Heizung geht jetzt nicht mehr aus. Der Hausmeister ist nicht mehr zu erreichen. Wenn ich mir des nachts die Zähne putze, ist es unglaublich warm. Da hilft es auch nicht, den Hammer ein weiteres mal zu schwingen. Dumpfe Klopfzeichen eines Wahnsinnigen, die durch die Stockwerke klingen.

Ich habe Glück, Julia hat Kaffee gemacht. Julia hat sich so unglaublich verändert, aber sie will nicht das ich ihr das jeden Tag sage. Die Veränderung gehört zuerst auch nur ihr allein. Die Seifenkiste steht im Flur, das Hinterrad hat ein Loch. Aber es gibt ja Fahrradflickzeug. Schnell zur Arbeit, schnell noch den Bus kriegen.

Manchmal komme ich nicht mit den Gedanken hinterher, sie fliegen hinter meinem Kopf.
Mit 1,5 Sekunden Verspätung.

[Mein Kater Fritz…]

“ … Der Letzte Tango handelt nur bei flüchtiger Betrachtung von Sex. In der Diskussion des Films wird der Sex oft überschätzt und überdeckt die eigentlichen Themen des Werks. … Es war Bertoluccis erklärte Absicht, dass der Film letztlich jedem etwas anderes bedeuten soll. Die entscheidende Bedeutung eines Werks hänge immer vom Zuschauer ab. …“ (24. September 2011)

http://de.wikipedia.org/wiki/Der_letzte_Tango_in_Paris

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“ … um uns daran zu erinnern, dass man den elementaren Strukturen der Verwandtschaft genauso wenig entkommt wie dem Atemholen. Beides vollzieht sich, ganz egal, ob es gefällt oder nicht. …“

Aus: „Die elementare Struktur der Verwandtschaft“ Von Iris Radisch (11.10.2011)
http://www.zeit.de/2011/41/Literatur-Familienromane/

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Ich liebte mein rotes Klapprad. Konnte ich doch berauscht vom Fahrtwind über die Feldwege dahin fliegen. Im Schummerlicht waren die Luftschichten, die es zu durchqueren galt, in Teilen schon abgekühlt.

Als Windelträger warf ich gelegentlich Spielzeug vom Balkon. Ich sah den Objekten nach, wie sie sekundenlang durch die Luft glitten, wie sie dann kleiner wurden und letztendlich als verlorener farbiger Punkt unten auf dem Gehweg aufschlugen und liegen bleiben.

Ich staune noch jetzt. Was liegt verborgen unter der Motorhaube der Familienwirklichkeiten, in die ich hineingeschleudert wurde (vielleicht wäre es exakter zu sagen, dass ich in meine Familie hineingeglitscht bin – es war ja kein Kaiserschnitt. sonst hätte ich hineingehoben sagen können)?

Es bleiben diffuse Gefühle, Dias, Super8 Filme, Erzählungen am späten Abend. Das Ineinandergreifen von Befindlichkeiten im Nahbereich. Zum Glück ging es bei uns so abstrus und zufällig verwildert zu, so liebevoll, so dumm, so weise, so hingebungsvoll, so idiotisch verschleudert, dass ich gar nicht in die Versuchung getrieben werde, die zerbrochenen Tonkrüge wieder zu einer netten Welt zusammenzukleben. Zu den Ruinen der elterlichen Familie hat jeder andere Gefühle. Ein Paradox: ich glaube, dort in der Vergangenheit sind mein Vater und meine Mutter nun endlich befreit von der Mythensuche des Sohnes. Sie werden wieder Menschen. In meinen Gedanken sind sie zu lebendigen Bildern geworden, zu denen ich mich beizeiten hin neige. Ich bin nun selber zweifacher Vater – spätestens seitdem hat sich mir die Verklärungswunschhaftigkeit gegenüber den eigenen Eltern weiträumig wegkatapultiert. Über ihnen schweben ein paar trotzige freie Wolken von Liebe ohne wenn und aber – gerade weil vieles so schief gelaufen ist. Es hätte schlimmer kommen können.

Jede Familie birgt (verdeckt oder offen, eingestanden oder nicht) in bestimmten Zeiten ein Schlachtfeld. Weit weg von den Liebeswogen beim Sex. So gibt es Blessuren – jeder wählt seine Waffen – und seinen Kampfstil selbst. Der eine schmeißt sich schreiend & kämpferisch ins Getümmel, der andere betreibt erstaunt und perplex das Geschehen und verteidigt nur noch seine Flucht. Jede Familie ist anders. Die verklemmteste Stille am Essenstisch erlebte ich als Kind übrigens beim Abendbrot in einer Familie, in der der Vater ein Psychologe im reifen Alter war.

Trotz – oder gerade wegen dem Realitätsflugzeug von 68iger-WG-erfahrenen Eltern hatte ich Glück im Unglück. Offene Gefühle gab es immerhin bei uns genug – vielleicht sogar zu viele. Ein Kontrapunkt wäre: man sehe mal analytisch Filme aus den 50igern, ich meine solche, die das deutsche Familienleben bebildern.

Für mich gab es genügend prägende Verletzungen in der Familienarena – aber ich denke durch eine gewisse grundlegende emotionale Offenheit in der Kommunikation keinen seelischen Erstickungstod. Ich meine dieses Nicht-aussprechen-können.
Ich bekomme oft genug mit: ganz Deutschland ist voll davon – überall liegen die Trümmerhaufen der Familiendramen (oft genug vererben sie sich generationsübergreifend, ein zerstörerisches Spiel, das meist schmachvoll verschwiegen und verdeckt wird) – in diesen Trümmerlandschaften der Gefühle müssen Kinder dann toben und spielen. Und Liebe oder das Scheitern der Eltern lässt sich nicht beherrschen.

Das als grausam empfundene Zwanghaft-zusammen-bleiben der eigenen Elterngeneration wollten meine Eltern überwinden. Es ist ihn gleich mehrfach gelungen (sie haben 2x geheiratet und sich 2x geschieden). Ich kann es ihnen nicht verübeln. Im Gegenteil. Das sich schnell und intensiv Verlieben – und das ebenso schnelle Verrotten und Verschrotten der elterlichen Liebesbeziehungen vereinfachte das (in Schmerz getränkte) frühe Loslassen auf meiner Seite.
Ich verklärte vielleicht aus Selbstüberlistung meinen Rückzug aus dem Familienwahn zum heldenhaften Freiheitskampf. Und dann – in der Arena des Familienlebens verlangte es mir mehr und mehr nach der Rolle des Zuschauers, da ich mit einem Floß aus Trotz und Selbsterhaltung auf einem Weg in andere Gewässer war – woher sollte ich denn ahnen, das ich dort ein paar Jahre später als Naivling an fernen Ufern recht schnell voller hoffender Liebe unversehens in den nächsten Familienwahnsinn stolpern würde? Das ist gar nicht negativ gemeint – und warum sollte es meinen Eltern nicht genauso gegangen sein?

Hatte es in diesem Kontext denn nicht geholfen den letzten Tango in Paris gesehen zu haben?
Leider nein.

Ich denke wir strudeln was die Familie angeht immer. Als Vater ist man immer ungeschickt wie Nietzsche mal bemerkte. Und auch als Kind schon kann man ungewollt nebenbei Grausamkeiten begehen. Zum Beispiel die Sache mit Fritz. Ich liebte meinen Kater Fritz. Ich kann mich nicht genau erinnern, wie ich meinen Kater Fritz aus dem 4. Stockwerk in der Schauenburger Straße vom Balkon geworfen habe – aber dann, auf die Frage der Eltern, wo denn Fritz sei, soll ich geantwortet haben: „Fritz runterfallt“.
Ich kann mich an diese Episode nur erinnern, weil sie mir wieder und wieder (unter allseitiger Belustigung) erzählt wurde. Dabei ist sie gar nicht lustig.

Fritz hat übrigens überlebt. Nach etwa 2 Wochen stand er etwas verwirrt und mit verklebtem strubbeligen Fell wieder vor der Tür. Als Dank für seinen Überlebenswillen und seine Treue bekam er ein paar Tage später, oben auf dem Kleiderschrank, noch einen tüchtigen Stromschlag – ich hörte ihn wild fauchen – die Kabel für die Lampe ragten unisoliert aus der Wand. Fritz war seit diesen Vorkommnissen nicht mehr der alte – es war, als verstünde er die Welt nicht mehr.
Ich fühle mich dafür noch heute schuldig – und mit ihm solidarisch.

[Ansonsten hat keiner eine Chance… ]

Das Wissen, wo es als höchstes Prinzip auftritt, tötet notwendig den Enthusiasmus, den Geist und jenen aus irrationalen Quellen fließenden menschlichen Instinkt, der für die Konflikte die einfachste Lösung findet.“ – Hugo Ball, Zur Kritik der deutschen Intelligenz (1919), Viertes Kapitel

Pierre Bourdieu (1930-2002): „Was ist schließlich ein Papst, ein Präsident oder ein Generalsekretär anderes als jemand, der sich für einen Papst oder einen Generalsekretär oder genauer: für die Kirche, den Staat, die Partei oder die Nation hält? Das einzige, was ihn von der Figur in der Komödie oder vom Größenwahnsinnigen unterscheidet, ist, daß man ihn im allgemeinen ernst nimmt und ihm damit das Recht auf diese Art von ‚legitimem Schwindel‘, wie Austin sagt, zuerkennt.“ – Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg 1992, S. 86. übersetzer: Jürgen Bolder.

“ … Auch 20 Jahre Bourdieu konnten nicht verhindern, dass sich hier immer noch welche außerhalb von irgendetwas fühlen – auch wenn das Gegenteil inflationär behauptet wird. Ökonomisierung des Alltags meint heute eben auch Kulturalisierung des Alltags … Die Verwobenheit, das Teil des Ganzen sein, ist eben doch grundsätzlicher, als man denken möchte. …“
Aus: „raubkopie 08: reflexion über das scheitern II“ (Vortrag im deutschen Schauspiellaus Hamburg von Armin Chodzinski im Rahmen der Reihe Go Create Resitance, 16.03.2003)
Quelle: http://www.revisionsverlag.de/revisionsverlag/raubkopie/rk08.html

Kognition ist auch schon ein uneinheitlicher Begriff.
Seltsamer sind die Situationen geworden,
doch um so mehr schlagen sie mich in ihren Bann.
Das Wort seltsam ist selbst seltsam.
Was uns bleibt (nach dem etwas geschehen ist)?
Es könnte ein Kopfschütteln sein. Und etwas irres Lachen vielleicht.

Ach die hehren Ziele Freunde! (Was haben wir geteilt?)
Das bringt Spaß! Man rufe etwas in einen schattigen Fahrradtunnel und achte auf das Echo.
In voller Rüstung sitze ich noch immer auf meinem sturen Esel.

Was macht es mit uns – durch die Zeit zu stolpern?
Und jeder hat einen anderen Startplatz. Positionen. Haltung und Kalkül.
Manche sind „always on the run“ und andere haben sogar ontologische Erfrischungsgetränke auf ihrem bequemen dauergemieteten Tribünenplatz – und sehen mit ihren Richterperücken belustigt dem Treiben zu.
Manche kommen schlicht kaum dazu, eine theoretische Frage zur Lebensführung in den eigenen Gedankenapparat zu lassen, denn man wendet sich ganz der Praxis zu – ist vielleicht dazu gezwungen. Manche haben sich bereits erhängt. Lebenswege, Konturen verwischen sich. Haben wir uns nichts mehr zu erzählen? – Was könnten unsere Kopfkissen erzählen, wenn sie des Nachts all unsere unkontrollierten Gedanken und Gefühlsimpulse lesen könnten? – Worüber würden sie sich, bei all dem Stoff den wir ihnen liefern, untereinander unterhalten?

Jeder versucht sich. Fühlt, erseht, denkt, vergisst, erinnert, will und entscheidet.

Es ist vertrackt. Die Dinge sind unterschiedlich. Dies nimmt uns zu großen
Teilen die Möglichkeiten die Dinge im Lebenslauf ernsthaft vergleichen zu können.
Fasziniert nur kann ich bestenfalls sein.
Dabei wollte ich doch etwas über die Freundschaft schreiben.
Auch über die Liebe – ich meine damit auch die Kunst sich wohlwollend und günstig missverstehen zu können.

Es ist dennoch Liebe. Ansonsten hat keiner eine Chance.
Der eine denkt, das der andere jenes denke – oder fühle und
blind reicht man sich die Hand. Anders geht es kaum.
Liebe muss auch taumeln.

Aller sonderlichen Schwärmerei zum Trotz trifft der Türknauf unsanft auf deine Hüfte.
Torangelweit stehst du auf dem Flur des allgemeinen Käuflichkeitsgebaren. Manche nennen das auch noch Realität. Es sei die Realität vermeinen sie. Notgedrungen der finanziellen Fickbarkeit in das Angesicht starrend, gelingt dies nicht mehr (wirklich liebend zu taumeln). Die Intuition vermerkt sofort, wenn etwas um des Geldes Willen ward getan (was auch immer es sei!). Betäuben kann man den Verdacht vielleicht, aber den verräterischen Geruch, der ist für geübte Nasen nicht zu übertünchen. Und Entitäten (Gegenstände, Eigenschaften, Prozesse) trümmern in meiner Erinnerung. Zugegeben: es gibt kein entrinnen – wir haben nun mal diesen Körper – und irgendwo muss der auch mal verweilen. Und selbst das Wasser aus dem Wasserhahn will bezahlt sein – und du musst ja trinken!

Aber nichts ist von sich aus käuflich. Es wird dazu gemacht.

Nehmen wir den nächsten kräftigen Schluck aus der Zeit-Flasche. Und aus heiterem Himmel schmunzelnd denke ich an ein paar Arschlöcher, die den zarteren (angreifbareren) Geschöpfen das Leben schon in der Schulzeit unerträglicher machten – nicht ohne dabei flugs ihr eigenes verkümmertes Selbstwertgefühl aufzubessern.

Nun vieles ist vergangen. Der Bartwuchs setzte ein. Unser Körpergeruch hat sich hier und da sacht wie barsch verändert – und die Konflikte sind vereinzelnd etwas subtiler geworden. Im falschen Moment reicht ein Blick – und schon bist du geliefert.

Aber es gibt noch immer genügend andere Maskenspielereien – ein Mann sein, eine Frau sein. Wir betreten die Bühne hinter der Bühne – die wir als Trickser und Zuschauer zugleich ausbaldovern.

Könnten wir doch stürmisch lustbar wieder durch Lachen uns befreien!
Denkt man sich: Fuck You, Fuck You, Fuck You Belanglosigkeiten.
Sich der Dumpfheit und dem doppelten Boden zu entreißen und ins innere der Augen sehen.
Und den kostbaren Moment doch teilen, und gewiss sein, das es geht.

[Auf den Brettern des Abstrusen (#1)… ]

Gedanken auf den abgenutzten Brettern des Abstrusen.
Was hält die Gedanken im innersten zusammen?
Was verursachen die Gegebenheiten in mir?
Was könnte es sein? Was geht mit uns durch? Was verursacht das Geschehen?
Grunderlebnisse von stürmendem Glück, selbstvergessene Anmaßung oder das abgleiten in Peinigung und Zweifel. Manchmal reißt mich ein Affekt ganz still in ein Atemloses Gefühl von Erstaunen. Das Eintauchen in radikales Mitgefühl. Als hätte sich für kurz eine Schleuse geöffnet. Zu anderen Zeiten halte ich kühl die ergreifendsten Dinge mit einem starren Urteil auf Distanz. Es gibt zwar die Mäßigung – doch die Schalter kippen um von Kalte-Urteil-Analyse zur Maßlos-Über-Empfindung und umgekehrt. Mir ist als würden beide extreme mit mir spielen (nicht ich mit ihnen). Sie sind unabkömmlich – aber beide zweifelhaft in ihrer unausgewogenen Konsequenz. In Augenblicken in denen das Dasein hyperventilliert bin ich mir selbst nicht mehr greifbar – oder vielleicht nur verschluckt von einer halb-automatisierten Weltbewältigungs-Methode?
Dazu die Sauce von sich pausenlos aufdrängen Urteilen (Irgendjemand weiß immer, wie etwas zu verstehen wäre, Nachrichten, Werbung, etc.) – die Sauce ist genauso vertrackt wie das diffuse ersaufen in Hormon getränktem Gefühl. Hätten wir die Zeit und die Kraft und pausenlos aufzuklären, so müssten wir Götter sein. Das kleine Gehirn, wo soll es hin mit sich? – Jeder hat andere Kniffe und Rutschbahnen. Da rauft der müde Weltekel der Zyniker mit der Hingabe eines lebensdurstigen Kindes. Lachen wo eben noch tote Stille war. Ein in sich sinken, wo eben noch das große Glück der Welt zu trampeln schien. Eine Batterie ist leer und das Foto wird nicht gemacht. Jemand ärgert sich über das zu viel gesagte, was sich jeder hätte denken können. Jemand versteht nicht, was da gesagt wurde. Zusammenstöße der Weltvoraussetzugen bei fast jedem Zusammentreffen von Menschen. Und im Extremen: ein Krieg gebärt Monster der absurdesten Situationen. Das Groteske lässt sich kaum verschleiern. Jemand schüttelt seinen Kopf auf der Parkbank weil es plötzlich zu regnen angefangen hat.

[Weltverschlitterung am Karlstal… ]

Synonyme für: schlittern

gleiten, rutschen, abgleiten, glitschen, schleifen, schusseln, schliddern, ausrutschen, rutschen, hinfallen, schliddern, gleiten, schleifen, schusseln, hinabrutschen, absacken, niedergehen, hinabgleiten, abwärts gehen, absteigen, sich entfernen, abgleiten, hinunterrutschen, schweifen, abweichen, versacken, gleiten, ausgleiten, den Halt verlieren, ausrutschen, fallen, glitschen, schwebend fliegen

-.-

Ich habe das Fenster auf Kipp. Irgendetwas wie eine alte Hupe ertönt draußen: „Andreas ich liebe dich!“ ruft eine Frauenstimme die Hausmauern empor. „Ach komm‘!“ ertönt es aus einem Fenster. Die Hupe wird noch drei mal betätigt, die Frau lacht heiser und fährt davon.

Vorgestern sprühte ein junger Mann (an genau der Stelle wo sich eben die Frau davon gemacht hat) einem anderen jungen Mann Reizgas ins Auge. Der reibt sich weinerlich das Gesicht und sagt: „Was soll denn der Scheiß, ich habe damit doch gar nichts zu tun!…“ Sie trotten wie alte Freunde weiter die Straße entlang, bis der eine dem anderen etwas leise zu zischelt und dann wieder versucht den anderen ins Gesicht zu sprühen, bei dem Versuch sich aber auch selbst etwas davon ins Gesicht sprüht. Ich stehe mit eingefrorenem Fragezeichen im Gesicht auf der anderen Straßenseite. Sehe den beiden noch ein mal nach, um dann wider an die Croissants zu denken, die ich besorgen wollte.

Am Vinetaplatz Ecke Karlstal ist die Alk – und Junky Schaubühne nicht nur eröffnet und in Hochform, sondern auch gut besucht. Um die 50 Menschen tummeln sich auf – und zwischen den Sommersonnenpflecken, die sich auf dem Bürgersteig ausbreiten. Ich komme zu spät und platze mitten in den zweiten Akt. Mitten im Geschehen einer mir noch unbekannten Tragikomödie: dürre Frau(1) schreit 5m weit zu einer opulenten Frau(2): „Ich bring dich um, du bist tot!“ – an der Ecke Elisabethstraße steht eine Frau(3) mit Kinderwagen und sagt zu ihrer Freundin mit den blond gefärbten Locken: „Das ist doch alles nur Show.“ – 5m zur linken sitzt auf der Bushaltestellen Bank ein Mann und gestikuliert wild mit seinen Armen. Der Krankenwagen kommt. Hunde bellen. „Sei endlich ruhig!“ werden sie prompt an geherrscht.

Gibt es eine göttliche Ordnung des weltlichen Taumels? Gibt es die Geschichte vom Glück im Elend? – Sollte es sie geben, so muss am Karlstal etwas vom Kometenstaub dieser Geschichte der Weltverschlitterung in den klebrigen Dreck neben dem Gulli gefallen sein.

[Zwischenspiel… ]

Preludium

Bei den Flugversuchen am 11. Juli 1934 konnte Engelbert Zaschka in Tempelhof ohne fremde Starthilfe [ ] nur Schwebeflüge von 20 Meter Länge erreichen. Das Flugzeug war zu schwer. … Versuche die Konstruktion von Zaschka mit modernen Materialien nachzubauen, sind bislang nicht bekannt.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Zaschka_Muskelkraft-Flugzeug (21. März 2011)

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Interludium

Zeitgleich träumt eine unbekannte Frau am 11. Juli 1934 um 2:23 an Bord eines unbekannten Schiffes, etwas aus dem Leben einer Garderobendame. Begeben wir uns nun in die Anfangsphase des Traumgeschehens.

Der alte schwere rote Vorhang ist noch verschlossen – doch hinter den Kulissen ist schon etwas zu hören: „Meine Damen und Herren! – Vielleicht gibt es etwas wie den Zusammenbruch einer Situation. Jede Situation kann ihr Gleichgewicht verlieren. Dann kippt die Situation…“ Auf den hinteren Plätzen der Tribüne ruft jemand „Was soll den das für eine Vorstellung sein!“. Vereinzeltes Gelächter. Sacht wird der Vorhang beiseite geschoben.

Nun betritt leicht ergraut ein Mann die vereinsamte Bühne. Mit übergroßen Clownsschuhen ruft er den feixenden entgegen: „Wie sollte es auch möglich sein sofort zum Zentrum der Dinge zu stoßen, nein ich muss eher der Wildkatze gleich auf einem alten knorrigen Baum darauf warten, das sich eine Situation ergibt, in der es möglich wird, sich auf eine Sache, die es wert ist (der Sprecher macht eine tiefe Atempause um die Bedeutung zu steigern, um dann die volle Wucht in die nun folgenden Worte zu legen) mit Lebenslust zu stürzen!“ Ein energischer Zwischenruf aus der zweiten Reihe direkt vor dem Podium: „Manchmal möchten die Gedanken nicht wie der Denker will…“ Dabei geht ein Raunen durch die Zuschauerbänke. „Nein“ schnauft der Mann mit den Clownsschuhen „…dann hat sich der Denker eben über seinen Kopf getäuscht!“ – Nun wendet sich ein Zarah Leander Double auf der Tribüne direkt an das Publikum: „Dein Kopf ist mir egal – der denkt doch was er will – mich aber zieht und zerrt es – ich gehe in die Stadt. Dort kann ich mich im Gedränge verlieren. Selbst die Schaufensterpuppen sehen mich an – und ihre unnachgiebigen Blicke erhöhen meine Temperatur!“ Eine kurze allgemeine Erheiterung ergreift ein paar vereinzelte aus Verzweiflung. „Was soll denn das?“ Fragt eine Frau den Mann neben sich. Der angesprochene starrt ins Nirgendwo. Zarah verneigt sich.

Eine Mutter wippt ein schlafendes Kind auf ihrem Schoß: „Wenn du groß bist, habe ich fast alles wieder vergessen – ich meine – wie es gerade jetzt genau ist, das ich weinen könnte vor Glück“. Ein 6-kahlköpfiger Männerchor schlürft in offensichtlich verdreckter Unterwäsche von der Seite her auf die Holzbretter und schmettert mit einem tönenden Sprechgesang los: „Wenn wir zu lange (kurze Pause) – lange Laster über die Landstraße fahren, und den Kaffee literweise trinken, Holz hacken, Schrauben drehn, Rasen mähen – riechen wir unerträäääglich! – Nach Muff! – Nach alter Zeit! – Nach Verzweiflung und nach Schwah-ha-heiß!“ – Ein Kritiker in der dritten Reihe kritzelt auf seinen Notizblock parallel Stakkato: „Das ist erbärmlich, Was-Für-Ein-Scha-Ha-heiß!“.

Oben im Büro zählt mit Nickelbrille der Künstlerische Leiter hektisch die schwindenden Einnahmen. Die Kleiderdame vom Empfang ist schnell mal heimlich eine rauchen gegangen. Sie steht an eine Mauer gelehnt. Sie sieht die neue hübsche Putzfrau, die ein Fenster vom Damen WC von innen trocken wischt. Die Kleiderdame denkt mit der Zigarette in der Linken: Wie haben mich die letzten Jahre doch geprägt – ich fühl‘ mich so verändert. Ich fühle alles so zerklüftet. Ich komme nicht mehr hinterher – wenn etwas passiert, will ich es kaum noch deuten. Aber in der Nacht rast es dann durch meinen Kopf – und ich werde wütend wenn es plötzlich wieder hell wird und ich immer noch über die Dinge nachdenken muss – ohne das ich es überhaupt will.

Der Bühnenkritiker hat es drinnen im Theater auch auch nicht mehr ausgehalten. Hat sich heran geschlichen an die Kleiderdame vom Empfang und fragt recht nebensächlich:

„Darf ich ihre Gedanken lesen Fräulein? – Entschuldigen Sie – aber ihre Melancholie rührt meinen inneren Parzival.“ Bei dem Wort Parzival zieht er etwas larmoyant die Augenbrauen hoch. Etwas schelmisch lächelt er – tritt fast tastend noch einen nächsten Schritt heran.

Sie: „Geben Sie’s zu – Sie wollen doch nur mit mir ins Bett.“

Er: „Nein, da haben Sie mich falsch verstanden.“

Sie: „Wenn Männer von Melancholie reden dann…“

Er: „Bitte reden Sie nicht weiter, erhalten Sie doch bitte meine Illusionen.“

Sie: „Pardon, aber mir geht es gut.“

Er: „Ich wollte nur, das Sie kurz mal so tun, als ob sie traurig wären – nur so nebenbei für mich.“

Sie: „Wollen Sie mich erniedrigen – oder lieber liebestrunken in höchste Himmel erheben? – Bis ich mich schließlich jeweils aus Verzweiflung – oder vor lauter langer Weile aus dem Fenster stürze?“

Er: „Moment, so schnell bin ich nicht. Ich überlege noch…“

Sie: „Dann ist es zu spät, die Vorstellung ist gleich zu ende und ich wollte mit dem Rauchen aufhören.“

Er: „Ich würde gern, das sie dieses Gespräch gänzlich vergessen – es stand unter keinem guten Stern.“

Sie: „Das kann ich nicht.“

Er: „Sie haben recht, ich auch nicht.“

Sie: „Aber ich werde mit niemanden darüber reden.“

Er: „Wissen Sie, was Sie da eben gesagt haben, das fühlt sich für mich an als hätten Sie mein Leben gerettet“

Sie: (lacht)

Er: „Verzeihen sie, ich bin lächerlich, aber ich habe dennoch meinen Stolz.“

Sie: „Na gut, kommen Sie, küssen sie mich…“

Er: „Seltsam, das ich Sie erst recht nicht vergessen könnte, wenn wir uns jetzt nicht küssen würden.“

Sie: „Jetzt habe ich Sie ertappt. Sie sind ein elender Gedankenverdreher und Gefühlsverbieger. Sie machen mich künstlich frieren – und das macht mich so melancholisch.“

Er: „Unglaublich. Ich danke Ihnen. Sie haben alle meine kühnsten Hoffnungen übertroffen.“

Sie: „Ich glaube ihnen kein Wort.“

[Neurologische Mikrosprengungen… ]

Zeit von oben. Die Kieler Förde aus der Luft aus betrachtet.
Über der Stadt wirkt die Zeitlichkeit etwas deutlicher im Bild.
Der Wind weht milde über das Baltisches Meer.
Der Himmel leuchtet hell grau – so das ich besser die Augen etwas zukneifen sollte.
Wenn ich von hier aus etwas im Blickfeld wahllos heranzoome sehe ich vielleicht wie
der Rost abbröckelt. Schon rostet uns Menschen das Lebensgefühl wie ein Vorhängeschloss einer Dachluke.

Dieses ungelenke Fliegen über den Häusern von Kiel Gaarden ist abwegig.
Schnell hinan und hinab. Meine Wünsche landen bereits auf dem Gehweg.
Neben mir laufen ein paar Menschen unbeirrt ihren Weg, denen es völlig einerlei zu sein scheint,
ob da etwas aus der Luft auf ihren Gehweg stolpert.

An der Ampel steht neben mir eine vielleicht 55 jährige Frau. Sie hat eine stark getönte Sonnenbrille auf, so das ich ihre Augen nicht sehen kann. Sie sagt: „Man könnte doch über die rote Ampel gehen, es kommt ja kein Auto“. Sie geht bei Rot über die Straße und wartet dann auf der anderen Seite. Die Ampel springt auf grün – und ich gehe über die Straße. Auf der anderen Seite nimmt mich die Frau in Empfang und sagt: „Sie sind so einer der die Regeln befolgt, stimmt’s?“ – Mir rutscht ein „Ja, manchmal“ heraus. Unsere Wege trennen sich. Irgendwo in einem bestimmten Rahmen hat ein Jeder seine Weltvorstellung versteckt. Ich fühle mich ertappt.

Zerbrochen wird die Selbstwahrnehmung schon beim ersten Becher Kaffee. In der Schwarzen Kaffe-Oberfläche siehst du dein verzerrtes Spiegelbild unter den Neoröhren am Bäckertresen. Wer soll das sein, den ich da sehe?

Draußen ist kein Entkommen vor zerbröckelter Sprache und augenblicklichen Gesten. Es geht zur Arbeit, noch dem Schlummer nah. Im Treppenhaus ein paar Straßen weiter ist die Luft mit Duschgel und Alkoholikerschweiß beträufelt. Vor dem Supermarkt am Karlstal hingegen steht leise und unabweisbar die kleine Urinwolke 30cm über dem Pflastersteinen, da müssen wir durch – denn wer Kiel Gaarden einfühlsam erforschen will, sollte in diesem Supermarkt am Karlstal einkaufen gehen. Ich stehe gerade an der Kasse. Freundlich werde ich gefragt, ob ich den Kassenbon behalten möchte. Hier unter den Überwachungsbildschirmen neben den Safttüten offenbart sich ein Stück seinsvergessene Wirkmacht des urbanen Träumers.

Es ist nicht einfach die Signale einzuordnen. Ruft der Moment: Was ist dein Begehr? – Und verblüfft staune ich: wovon zeugen dort die Tätowierungen am Hals? Oder die zarten Stoffturnschuhe? Und die Mobiltelefone werden in manchen Händen zu Abschottungswaffen. Wir Menschen werden angegriffen mit umfunktionierten handlichen Banalitätsmaschinen ausgestattet mit Variationen von Klingeltönen. Da redet wer mit irgendwem immer das Gleiche – nicht aber das Selbe. Doch manche Mobiltelefone brennen sich mit schleichendem Schmerz und als Einsamkeit in die innere Welt. Der tote Winkel der Selbstwahrnehmung. Jedes Telefonat birgt kleine neurologische Mikrosprengungen. Telefone legen mit jedem Wort Wunden in den Verbindungen frei.

[Das Erlebnis zwischendurch… ]

Die Billardkugeln deiner Worte rasen auf mich zu.

Das interessante wäre vielleicht nicht nur welchen Gefühlen wir trauen möchten, sondern welchen wir uns nicht entziehen können. Ich hätte meinem Gefühlsleben vor ein paar Jahren noch mehr Universalität zugetraut.

Doch was für ein Missverständnis: in Gefühlen würde mehr Wahrheit stecken, als in der oft als tötend empfundene Abstraktion. Aber verwirrend wird es, wenn gerade diese ach so abstrakten Gedanken durch subtile (getarnte) Emotionen in ihre Bahnen gezwungen werden. Wer könnte dieses Ringen um diese mysteriöse innere Wahrheit auseinander dividieren? – Nietzsche schrieb sinnbildlich von Adler und Schlange. „… Aber wo sind meine Tiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange!“ (Also sprach Zarathustra) – In einem Märchen „Der Königssohn von Irland“ von Padraic Colum, kämpfen wiederum Schlange und Adler um Leben und Tod.
Was soll das? – Ungefragt, instinktiv und blitzartig „wissen“ wir oft, was wir von einem Menschen, der beispielsweise gerade zur Tür herein kommt, zu halten haben. Es passiert einfach – wer könnte sich dagegen wehren? – Das analytische Denken ist viel zu langsam, um auch nur annähernd mit jenem Gefühlswissen (uuufffgh) zeitlich mitzuhalten. Das gedankliche Erwachen, die Lektion des Lebens ist erst einmal auf später verschoben – und klar – manchmal gibt’s auch „Zufallstreffer“ (es kommt uns dann ein „das war klar…“).
Aber tauchen wir in eine seltsame Vorstellung ab: bei jedem Menschen mit dem wir befasst wären, ließe es sich nicht vermeiden, das wir ein paar Stunden in seiner „Haut“ stecken würden. Was käme dabei heraus? – Desillusion, treffliche Affekte, Wut oder Just Crazy Love?

Wenn ich zum Beispiel „The Grand Wazoo“ (1972) von Frank Zappa höre, schleudert es mich via Akustik-Gefühl und Konzept-Denken (ja scheiße wie soll ich es sonst nennen!) in eine ganz andere Seins-Landschaft (fuck, schon wieder so ein wages Bildwort Alter!), als wenn ich von die Symphonie No.2 – und daraus das Largo von Kurt Weill höre (Komposition aus dem Jahre 1934). Auch hier: die persönliche Hörwahrnehmung ist dominiert von der eigenen Melange aus Gefühl und Denken. Bei jeden Menschen mag das Kräfteverhältnis anders liegen. Warum sonst kann der eine oder andere mit dem einen Werk nix anfangen und bei dem anderen Hörerlebnis uferlos abgehen?
Zudem: haben Gefühle und Gedanken sich erst einmal verfestigt, so braucht es oft einen heftiges Erlebnis oder vielleicht sogar einen Schock, damit sich das elend verstockte gefühlsgetriebe Denken und Bewerten in eine andere Richtung neigen kann. „Seit X gestorben ist begreife ich erst…“ – Manchmal hilft auch das nichts.
Ich befüchte: die anderen sind ein Teil von mir obwohl ich sie nicht erkenne – und ich bin ein Teil der anderen die mich nicht begreifen. Wir sind vermischt in Situationen. Wir sind Manche. Wir sind in manchen Augenblicken Manche Menschen. Manche mühen sich um Distanz zu ihrem ausufernden Ego-Selbst, manche füttern es mit schamlosen Freuden, manche versuchen alles zu kontrollieren, manche sind unverschämt uferlos. Manche grübeln nach dem, was denn die Natur den Dinge sei. Manche erhebt es, Andere zu erniedrigen. Manche wollen jemanden erheben – und glauben an den König der da kommen wird. Manchen ist gerade fast alles egal. Fast alle machen alles durcheinander.

Und manchmal wird der Kontext in einem Leben wie die Kulissen in einem Theaterstück gewechselt.
Warum gibt es in dem Imbiss um die Ecke noch keine knusprige Gefühls-Lasagne – oder viele bunte Gedanken-Cocktails – für das unbekannte Erlebnis zwischendurch?

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=> http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Weill

=> http://de.wikipedia.org/wiki/The_Grand_Wazoo

[Sekundenzeiger… ]

Jetzt sieh mich nicht so an. Ich falle sonst von meinem Gedankenpferd.
Geben wir es zu: wir spielen ja meist nur mittelmäßiges Theater.
Ob bewusst oder nicht. Und butterweich geht es durch die Seelentrennwände.
Um zu sehen, muss man von sich selbst weg sehen.
Muss man nackt dastehen – mit offensiver Unvollkommenheit.
Es ruhig und gelassen hinnehmen – das wir abstrakt gesehen verblüffend
wenig dem Mutterbauch und den dazugehörigen Bedürfnissen entsprungen sind.
Es hilft sich daran schmerzlich abzuarbeiten. Das wäre vielleicht verkürzt gefasst
eine interessante Idee von Freiheit. Es bringt ja Spaß aufzutauchen
in der Gunst einer gedanklich lichten Sekunde. Lange bleibt sie uns nicht erhalten.
Denn schon schiebt der große Sekundenzeiger unser Gehabe in die mentale Nacht.
Manche können noch lächeln während sie sich sträuben,
bei anderen riecht der Scheiß schon nach Panik.
Mentaler Müll quillt aus Bildschirmen, Zeitungen und Plakaten.
Sickert ein in den Verdauungstrakt der Gewohnheiten.
Die Sprache könnte uns im Weg stehen.
Die Sprache kann uns ungewollt zum Lachen bringen.
Ich glaube H. sagte in solchen Momenten immer: „Ach Mann!“, wenn sie die
ungeheuerliche Peinlichkeit einer Situation erfasst hatte –
welche sie aber durch das „Ach Mann!“ erst für die bis dahin Blinden
zu einer erkennbaren Peinlichkeit geführt hatte.
Wir reden vielleicht manchmal miteinander aneinander vorbei.
Fallen dann hier und da in kalte Gruben.
Kein Licht da unten. Meist nur undeutliche Instinkte.
Aber sie treiben die Gedankendampfmaschiene an.

[Bei aller Lebenslust und Euphorie… ]

Im Telefonverkehr […] setzte sich das von Erfinder Alexander Graham Bell vorgeschlagene ahoy nicht gegen Thomas Alva Edisons hello durch. … [ * ]

Ahoi!
Durchdachte Sätze und ausgefeilte Analysen verwehen bei der Windstärke. Meist sind wir durchschnitten von verschlungenen Widersprüchen und segeln durch die Zeit. Die Dinge die uns passieren hinterlassen Schürfungen und Brüche. Bei manchen ist es offensichtlich. Bei manchen kaum zu erahnen. Dort braucht es selbst bei liebendem Interesse Jahre der Entschlüsselung. Manchmal gelingt es nie. Manchmal dauert es auch nur 15 Sekunden: „Meine Mutter ist verrückt“ sagt der junge Mann mit der Bratkelle in der Hand. Seine lustige Freundin fragt dazwischen: „Sind die Kartoffelpuffer schon fertig?“

Ein anderer junger Mann steht am Grab seines Vaters und flucht. Eine Tochter hat ihren Vater nie kennenlernen dürfen. Dazwischen die Angelegenheiten des Herzens. Die moralische Integrität ist leicht verspielt. Vielleicht sogar als erstes bei denjenigen Menschen, die der eigenen Moral noch trauen.
Lust, Verbot, Gier, Selbstvergessenheit und Überschwang sind die Katz. Die Wahrheit eine Maus.
Ist die Maus verspeist hilft es nicht, wenn sie als Zeuge in den Gerichtssaal gerufen wird. Und wer die Wunde hat, hat die Tränen, wer die Tränen hat – hat Recht – und wie schnell wird aus einem Lamm zu einer anderen Stunde ein Wolf.

Bei aller Lebenslust und Euphorie in meinem inneren Parlament, beobachtet das Kontrollgremium seit Jahren den psychischen Apparat mit nachdenklicher Miene. Dort ist ein Schauplatz, ein Echo-Ort für brenzlige Situation, für jeglich denkbares. Dort entlädt sich die Verarbeitung von Fehlleistungen und von untrinkbaren Interpretationen. Schon kommt ein herbei phantasiertes Messer, eine stumpfe Eisenstange, ein Dolch oder eine Bohrmaschine mit einem 12mm Bohrer und rast ganz unverschuldet – durch meine imaginative Bauchdecke. Es scheint mir als sei dies ein notwendiger Vorgang der eigenen Vorstellungswelt, um das gerade zu bearbeitende Elend zu bebildern und zurück zu spiegeln. Das gerade erdachte Elend ist je nach betrachtetem Moment auswechselbar. Es liegt dieser autoaggressiven Phantasterei ein verspieltes Lächeln bei. Die Funktion dieses Lächelns ist ein Beruhigungsmechanismus und inner-neuronale Selbstverteidigung. Ein Automatismus auch. Ich imaginiere nicht. Eine Vorstellung kommt eher über mich. Ohne Rücksicht auf das, was gerade um mich herum passiert. Es ist eine Parallelität von Erlebnis – während der Imaginationsautomat in den Schleudergang schaltet und man gleichzeitig durch eine herbstlich verträumte Einkaufstraße läuft.

Dauernd treffen wir Menschen. Es geht ja nicht ohne Zusammentreffen. Ich wäre ja kaum ein Menschen, würden ich nicht dauernd mit jemanden zusammentreffen. Ohne Zusammentreffen hätten wir keine Sprache, vielleicht nicht einmal einen Faustkeil. Mir ist in letzter Zeit bei manchen Zusammentreffen – auch wenn sie nur Sekunden dauern – so als ob sie für ein ganzes Buch reichen würden. Gerade dadurch, das sich noch so vieles erraten und ausmalen lässt, da man sich nicht wortreich gezeigt hat.

Und ist es möglich, das es einen Mechanismus gibt, der uns Menschen, gerade wenn uns etwas aus dem Leben überrumpelt – also von hinten überfährt – das gerade dann ja vor lauter Verwunderung und Schrecken, Freude oder Überraschung die Worte (die es doch so dringend bedurft hätte) fehlen. Warum wird die Strategie sich selbst um Kopf und Kragen zu reden nicht als erstrebenswert erachtet?

Durch den Herren XYZ wurde ich aufgeklärt, das in den Mittagspausen in den Aborten nahe den Montagehallen lauthals gestöhnt und gemeinsam ausufernd gefurzt wird. In Diesem Stöhnen entfährt dann die ganze Verficktheit der köperlichen Entkräftung, der zwischenmenschlichen Entbehrung – und die nur noch dumpf bewußte Wut ob der Situation in der man steckt. Kein Ort für Zartgefühl, Empfindsamkeit und Sentimentalität wenn der Körper und die Seele zwischen der Zeitübertaktung, den Arbeitsgeräten und dem Akkord zerschunden werden.
Morgens um 5:13 auf der Anfahrt holt ein Kollege A den Kollegen B ab – um dann in einem Fiat Punto den geistverätzenden Kindertechno noch lauter zu drehen. Jede noch nicht zertretene Gedankenkraft wird anschließend vom Werkshallenstaub überrieselt. Für XYZ ist das nun schon längst vorbei. Nun werden Botschaften von Haustür zu Haustür überbracht. Treppen hinauf – Treppen hinunter. Bei Regen, Sonne und Wind.

Es war vor Jahren, da springt eine Junge Frau aus Verzweiflung aus dem Fenster. Der Fuß ist verletzt nach dem Sprung. Eine Freundin besucht die Freundin in der Klinik. Sie war auch echt seltsam sagte jemand. Aber was war seltsam? (Echo: seltsam, seltsam, seltsam… )

Eine Mutter lebt – damit, das sich 2 ihrer Kinder selbst das Leben beendeten. Ich dachte sofort: niemand maße sich an auch nur irgendetwas schlaues darüber zu denken (ein Widerspruch in sich, denn ich hatte durch eben diesen Gedanken spontan etwas dazu gedacht). Hilflos fühle ich mich zur Dummheit verdonnert. Und zurück zucken und schreien wird der Körper wenn jemand hilflos und nett versuchen sollte zu trösten. Keiner kann da trösten.

Die andere Frau erzählt von ihren Vergewaltigungen. Am Telefon – und wie sie sich derer schämte – letztendlich schämte sie sich ihrer selbst wegen (!) – anstatt vor Wut auf die Männer juristisch zurück zu schlagen. All das ist schon lange her. In der Psychiatrie sind kaum noch Betten frei.

Wir leben zusammen in einem Irrenhaus voller komischer, voller kosmischer Zufälle, abgrundtiefen Verletzungen und ausufernd enthobenen Entzücken. Jeder hat einen ganz anderen Startpunkt im Leben. Begleitumstände. Das alles passt oft nicht zusammen.

Affekte bleiben. Die Abgründe bleiben. Das hilflose Lächeln wird müde. Aber ich könnte meinen simulierten seelischen Doppelgängerkörper vor dem virtuellen Dolch verschonen – ihn dieses mal zur Abwechslung in die Hand nehmen und gegen eine beliebige Betonmauer der Innenstadt schmeißen. Ihn wachrütteln. Mich wachrütteln. Mal sehen ob es hilft. Und dann innehalten – über mich selbst lachen.

Oder wir lauschen dem Flüsterton des So-ist-die-Welt-Geplapper. Aus den Werbeplakaten kommt der Schwachsinn herausgeschnottert: im Sommer wird gegrillt und es gibt Bier zum Fußball. Es brüllt aus den Fenstern in den Hinterhof wenn jemand ein Tor schießt. Ein alter Mann geht mit seiner Gehilfe auf dem Bürgersteig. Schweigen wir uns zusammen die Normalität herbei. Und wurde etwas gestern gesagt, so kann ich schon heute auf diesen Worten ausrutschen. Ein jeder Satz lädt mit einer Kadaver-Interpretation zum Schmaus.

[Schlendern (2)… ]

Mein Fieber macht mich Froh.
Die Bäume, der Himmel, die Wolken fluchten.
Fensterscheibenkino in der Linie 41.
Warum das spontane in-der-Welt-zu-sein-Glück mich
kurzzeitig fast erschlägt – an anderen Tagen sich aber
erst nach einem kräftigem Espresso Stück für Stück entfacht
(wenn überhaupt) – bleibt mir ein Rätsel aus Hirntiefen.

Nebensächliche Beobachtungen sind kaum zu bremsen:
eine wasserstoffblonde Frau mit der irregulären Anziehungskraft
einer Außerirdischen zieht sich den Pullover aus
und versprüht, ohne einen wahrnehmbaren Funken von
Zweifel, ihr Deo unter ihren Achseln und nebenbei im Linienbus.
Eine Sache von Sekunden. Aber dennoch lautmalerisch.
Ffffft (rechts), ffffftt (links).

Da wäre das Schlendern durch Kiel Gaarden.
Man läuft hier und da noch auf Kopfsteinpflaster.
Naturstein mit Ritzen. Dort sammelt sich Unrat
und wildes Kraut neben dem Straßenablauf.
Unwirsche Zustände liegen hier immerhin offen.
Das ist mir manchmal lieber als die gepflegte Verschlagenheit der Aufgeräumten.
Schnell ist es dunkel geworden. Herbst 2010.

Der Werftpark ist fast Menschenleer.
Vor Ismails Einzelhandelladen sehe ich durch das Schaufenster
und entdecke einen großen Gartenzwerg vor der Kassenwage.
Daneben einem hochgewachsenen Kaktus.
Die Verkaufslichter sind bereits aus.
Ein Stück weiter trinken ein paar Herren ihren Tee.
Auf einem Schild über den Eingang leuchtet neon-matt Arkadas.
Das heißt womöglich Freund (oder Freundschaft?), erinnert mich an das Wort Arkadien.
Beim Vorrübergehen höre ich gedämpft Stimmengewirr, Musik und Lachen.
Für einen Bruchteil einer Sekunde erblicke ich dort durch die Tür
John Wayne auf einer Bilderkollage an der Wand.

Ich frage mich für einen Moment, ob sich dieses Bild von
John Wayne (welches ich eben erst wie beschrieben im türkischen
Pub Arkadas erblickte) in gleicher weise interpretieren könnte, wie ein scheinbar lieblos
gebasteltes DIN A4 schwarzweiß Plakat für eine tönende Abendveranstaltung.
Das Plakat klebte übrigens an einer Häuserwand in der Elisabethstrasse.
Auf der Plakatkollage warb Sylvester Stallone in seiner Rolle als Rambo,
für eine lokale Punkband. Er war wie John Wayne kurzerhand zu einem
Masup Element geworden [*] .
Der Gartenzwerg, John Wayne und Rambo als Elemente der Aufeinanderschichtung von Weltbezügen. Als ironische Klischee-Kollagen. Aus Zufall und Montage.

[Espresso und symbolische Ordnung… ]

Schritte im Hausflur. Ein entschiedenes Klopfen an der Tür. Morgens um 7:55 stehen unangemeldet zwei frisch rasierte und hoch gewachsene Mitarbeiter des außerordentlichen Ordnungsamtes vor der Wohnungstür. Melancholia ist früher aufgestanden als ich und öffnet die Tür.
Wir werden aufgeklärt: im Namen des Gesetztes – und mit eigenen Augen hätten die Beamten zu überprüfen, ob Melancholia und ich nur eine Scheinehe führen würden (eine Prüfung zum §1353 BGB). Das Grundgesetz schütze zwar das Recht auf Ehe – doch nur für Angehörige aus EU-Staaten. Bei Phantasmen definiert die außerordentliche Ausländerbehörde was eine Ehe ist und was nicht.

Die zwei Herren treten amtlich forschen Schrittes durch die Tür – und gehen zielgerichtet in das in Badezimmer. Sie finden dort neben dem Zahnputzbecher eine halb ausgedrückte Zahnpasta mit zart reinigendem Himmelsstaub und Melancholias OB’s vor. „Eine eigene Zahnpasta für ihr Phantasma – ich denke das sieht recht gut für sie beide aus.“ ruft einer der beiden mit skeptisch wie nachdenklichem Unterton aus dem Badezimmer hinüber.

Schon laufen die Beamten etwas entspannter durch die übrigen Zimmer. Prüfend fliegen die wachsamen Blicke der Herren – mit ihren dezent schwarz-rot-gelb gestreiften Uniformen – über die Einrichtungsgegenstände des Zimmers, bis die Blicke den zerwühlten Wäschehaufen vor der Waschmaschine erspähen. „Ein gemeinsamer Wäscheberg – ich denke wir können guten Gewissens davon ausgehen, das in ihrer Ehe vollzogen wird und alles mit rechten Dingen zugeht.“ konstatiert einer der Ordnungsbeamten zusammenfassend – „So wie hier bei ihnen liegt der Fall ja offen zu Tage – das ist wahrlich nicht immer der Fall – da kann ich ihnen nur gratulieren – im Namen meiner Behörde habe ich keine Fragen mehr – entschuldigen Sie die Störung – aber sie verstehen schon – wir müssen ja auch nur unseren Job machen…“

„Ja“ sagt Melancholia leise – „möchten Sie Zimt?“ – kurz und sanft blickt sie mich an und verdreht mit einem verstecktem Lächeln die Augen – sie nimmt die Espresso Kanne vom Herd. Schäumt die Milch, dreht sich den Herren vom Ordnungsamt zu und reicht ihnen je einen heißen Becher Espresso mit Milchschaumhaube und einer Priese Zimt. Einer der beiden spitzt seinen Mund, steckt seine Nase mit samt Schnurrbart in den Becher Espresso und sagt: „Unglaublich, riecht wirklich gut!“

Nach einem ersten Schluck sagt der ohne Schnurrbart: „…Wissen sie, eigentlich dürfen wir von deutschen Bürgern, EU Bürgern, nicht EU Bürgern oder gar phantasmatischen Wesen gar keine warmen Getränke annehmen. Aber sie sehen, wir nehmen gar nicht immer alles so übergenau. Wir sind ja auch nur Menschen. Also ich persönlich habe auch nichts gegen Phantasmen. Aber ich vermute allerdings, das es in der Entwicklung eines Phantasmas problematische psychische Erlebnisse zugrunde liegen. Es geht meistens um eine abgespaltene Realität, die dann im vorgestellten Bild abgewehrt und umgedeutet wird. Eine unbewusste Projektion. Das kann verheerend wirken und sollte nicht unterschätzt werden. Wenn das überhand nimmt muss sich ja irgendwer darum kümmern…“

Melancholia nickt schweigend. Nach einer etwas peinlichen Stille sagt der Beamte mit dem Schnurrbart „…Also ein Beispiel für ein alltägliches Phantasma wäre zum Beispiel auch eine pornografische Darbietung, in welchem sich ein Betrachter mit samt seiner Vorstellungskraft in das dargestellte Szenario wirft. Entledigt all seiner sonst real gefühlten oder tatsächlichen Verlegenheit, seiner subjektiv empfundene Mehrdeutigkeit zur sexuellen Attraktion einer wirklichen anwesenden Frau – kann er nun jedoch im Schutze des pornographischen Phantasmas seine Triebabführ quasi anonym verwirklichen. Bedenken Sie: allein aus der Macht das Phantasmas erwächst ein real sexueller Moment!“

Melancholia blickt etwas abwesend aus dem Küchenfenster und entgegnet: „Die symbolische Ordnung kann nicht das Reale als solches ersetzen, obwohl gerade das Reale der Ort ist, auf den das Phantastische verweist. Die symbolische Ordnung ist immer unvollständig – das macht ihren Reiz aus…“

Nun ergreift der Beamte mit dem Schnurrbart energisch das Wort: „Da haben sie vielleicht recht – wissen sie – wir im außerordentlichen Ordnungsamt haben lange darüber diskutiert: das Imaginäre ist bildhaft. Es ist der Ort der Selbstidentifikation, des Selbstbildes, aber auch des Verkennens und der Täuschung. Im Imaginären finden wir auch das Begehren und das Phantasma ganz allgemein – wir fragen uns immer: wo ist der Moment, wo das Reale in das Phantastische kippt oder das Phantastische gegen das Reale prallt?…“

Melancholia zündet sich eine Zigarette an nimmt einen Zug und entgegnet: „Ich weiß es nicht…“ atmet aus und sagt selbstvergessen: „Sie wissen ja, wo die Tür ist…“

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