
1 # [ “ … Die Verkoppelung von Selbstgewissheit [des Ichbewusstseins („Cogito ergo sum“ = „Ich denke, also bin ich.“)] und Verschiedenheit vom Körper hat einen Riss zur Folge, der [ ] Innen und Außen trennt. … Indem [sich] das Denken auf sich selbst bezieht, wird die Trennung von res cogitans [›die denkende Sache, die denkende Substanz‹] und res extensa [›die ausgedehnte Sache, die ausgedehnte Substanz‹. Descartes bezeichnet die Gesamtheit des Seienden, die außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein existiert, als „res extensa“] für das Denken wirklich. Darin spiegelt sich der Schritt von der Selbsthabe zum Selbstsein. … So ist es eine Selbstunterscheidung des Selbst, das Selbsthabe und Selbstsein in sich selbst unterscheidet. … Die Schwäche Descartes – und das ist ihm stets vorgehalten worden – bestehe in der vollständigen Disjunktion von Geist und Körper. Tatsächlich zeigt sich daran ein Rest noch mittelalterlichen Denkens, fasst er doch beide als Substanzen (res) auf. In einer historischen Perspektive muss man Descartes in Schutz nehmen: Der Briefwechsel mit Elisabeth von Böhmen/von der Pfalz zeigt, dass Descartes in seinen späten Lebensjahren die Auffassung vertrat, dass es sich bei der Dichotomie [„Zweiteilung“] von Geist und Körper um eine gedankliche Unterscheidungen handelt und nicht um real distinkte Entitäten [verschiedene Dinge an sich]. …“ // Aus: Christoph Asmuth „Selbsthabe und Selbstsein: possessivität und Performanz des Körperlichen“ (2010) >> https://digitalis.uc.pt/en/livro/selbsthabe_und_selbstsein_possessivit%C3%A4t_und_performanz_des_k%C3%B6rperlichen]
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2 # [ „… René Descartes (1596–1650) beschreibt in seinem Werk „Traité des passions de l’âme“ [„Die Leidenschaften der Seele“], (Paris 1649) sechs Grundformen von Affekten, die zu zahlreichen Zwischenformen miteinander kombiniert werden können: Freude (joie), Hass (haine), Liebe (amour), Trauer (tristesse), Verlangen (désir), Bewunderung (admiration). …“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Affekt, 08/2015)]
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Es kommt mir der Gedanke (oder ist es ein Verdacht?), dass es weitere „Grundformen von Affekten“ geben könnte. Wie wäre es zum Beispiel mit „gemäßigter Entrissenheit„. Eine Art Denken, welches Gefühlsanteile in sich trägt – und sich einstellen kann, wenn Gedanken sich (fast erstaunt) bei ihrer eigenen halbwegs automatischen Entstehung selbst zuschauen (nachdenken über die im Selbst entstehenden Gedanken).
Dabei geht es zeitlich mit dem Rad den Kantstein hinunter. Es ist ein altes Rad auf dem ich sitze. Das Hinterrad hat bereits angerostete Speichen – und wieder zu viel Spiel in der Hinterachse. Dabei war die alte Sachs-Dreigangnarbe erst vor ein paar Monaten neu eingestellt worden. Sie hat sich wohl selbst beim Fahren wieder losgeruckelt.
Vorbei driften mir zur Linken die Häuser in denen die Käuflichkeit Freudenfeste feiert. Ein Fester ist geöffnet. Zwei junge Frauen sitzen im vierten Stockwerk auf dem Fensterbrett, rauchen und lachen etwas überschwänglich, leicht nervös aber auch durchaus selbstbewusst. Alle anderen roten Fenster sind verschlossen. Vielleicht machen sie sich über die Seinsweise und die tatsächlichen Gegebenheit der Klienten Lustig. Warum sollten sie da auch nicht lachen – mitten in dem verworrenen Verhältnis von Geld, Akt und Wahrheit.
Das Gleiten über die Straßen ist angenehm bei lauem Wind. Plötzlich beginnt die Affektillusion – Menschen auf Parkplätzen und Gehwegen werden zu gemäldehaft strukturierten Nebensachen, die Stadt verwandelte sich in ein Museum von Bauwerken mit Anhäufungen von seltsamen Objekten, Hauskanten, aufgeplatzten Teerdecken, Säulen aus Gussbeton, überwucherten Gehwegplatten, verrosteten Brückengeländer und moosüberzogene Mülleimer.
Die betrachtende Ziellosigkeit frönt als ein Rausch in mir. Das Wogengeplätscher der Kieler Förde und die Werftgeräusche, Dieselmotoren, Ampeln und Verkehrsschilder fliegen rein unter der Maßgabe der Ästhetik vorüber.
Ist das temporäre Entgleiten von konkreten präzisen Zielvorstellungen an meinem Zustand schuld? Ist es ein inneres Loslassen von Folgerichtigkeit für wenige Momente? – Ist es das zufällige Fehlen von ein paar Peitschenhieben auf meinem üblicherweise halb betäubten seelischen Apparat? – Und müssten wir nicht einem Schüttelfrost der Überforderung anheim fallen, wenn wir wirklich klar sehen würden, was jeden Moment in uns – und um uns herum passiert? Bräuchte nicht jeder von uns die Kraft von vielleicht so etwa 800 Gehirnen, um auch nur oberflächlich geistig wohl sortiert zu sein?
Meist zwingt uns eine Konsequenz von Dingen und Vorgängen in ein Korsett. Die Konsequenz bemächtigt sich meines Gehirns fast unbemerkt. Das führt im schlimmsten Fall zu einer Art Verhetzheit. Es geht beispielsweise einfach nur darum die Miete zu zahlen, essen zu müssen, verlässlich zu sein, mit den anderen mitzudenken, zu einem bestimmten Zeitpunkt irgendwo da zu sein, offensichtlich mitzufühlen, die Verantwortung für irgendetwas zu tragen, für das eine oder andere Problem Aufmerksamkeit zu haben, zu bemerken was hier und dort gespielt wird (und so weiter).
Und weil ich wegen der beschriebenen Dinge alles andere als diesen zwingenden Momenten enthoben sein kann, weil ich sonst auf lange Sicht gegen ein stehendes Auto oder eine Strassenlaterne knallen würde, weil ich mir sonst aus Selbstvergessenheit in die Hose pissen urinieren würde, weil ich sonst mit mir selbst in heftigste Konflikte käme, werde ich wohl meistens vernünftig sein und den vorgesehenen Strukturen gehorchen, also parieren.
So bleibe ich ein zersplitterter, zerbrochener und teilerblindeter Spiegel. Die meisten Dinge bleiben undeutlich. Manchmal blitzt ein klar umrissenes Bild auf, in dem bisschen Leben was uns je bleibt.
Also tun wir nicht so, als wären wir unseres Glückes Schmied. Wir sind nur ein kleiner Schweißtropfen unter der Achselhöhle von diesem. Und unseres Glückes Schmied lebt vielleicht genauso geistig prekär wie wir, er würde vielleicht lieber ein verworrener Fahrradfahrer an der Kieler Förde geworden sein – und flucht hin und wieder, so er denn mit voller Wucht auf seinen schweren alten Amboss schlägt.