Kategorie: Kiel.Refugium

[Unmaßgebliche Augenblicke #1 … ]

Ein neuer Tag. 6 Uhr. Langsam zu sich kommen. Der zweite Becher Kaffee war ohne Milch. Rasur, Socken, Schuhe, alte Jacke. Auf dem Klapperrad sitzend, landen ein paar kühle Regentropfen im Gesicht. Morgendämmerung an der Kieler Förde. Lastenkräne mit orangenen Signallampen über der matschigen Baustelle. Hier wird gebaut. Hier stehen zugleich die Zelte des Circus Royal, wo es kurz nach Pferdeäpfeln von Circuspferden duftet und das Rad über die provisorische Stromleitung holpernd übersetzt. Das Vorderrad erreicht die Klappbrücke. Der Uhrenwürfel an der Kaistrasse zeigt Punkt 8 Uhr.
Im Sophienhof sitzt wieder Chruschtschow. Sein Gesichtsausdruck, seine behäbige zugleich kraftvolle Körpersprache, lässt meine Gehirn, still und ohne Beteiligung von bewußtem Willen, seinen Namen ausspucken. Gehe ich an ihm vorbei, denke ich an die Archivaufnahmen von 1960 in denen Nikita Chruschtschow mit einem Schuh auf einen Konferenztisch hämmerte. Mit einem großen Hörgerät sitzt er im Mittelgang. Mal ist er ganz allein, mal sitzt er mit befreundeten oder unbekannten Delegierten der UNO auf der roten Sitzgelegenheit und beobachtet Szenerie. Chruschtschow schaut ruhig in das Gemenge. Die Sitzgelegenheit ist wie eine Insel im Gewusel, die allen Menschen gut tut, die was mit den Knien haben und mal eine Pause brauchen.
Vorfreude mischt sich mit leiser hysterischer Angst. Die Übung heißt freundlich, aber nicht zu vulgär zu werden. Hingegeben zu sein, aber zugleich auch aus Tackt ein Stückweit unbeteiligt zu bleiben. Zwischen Alltagslärm und Kapitalismus, kommt es in der Eingangshalle an der Supermarktkasse zu einem temperierten Sirenengesang (Nymphenblick) der süchtig macht.
Der Bon, nein Danke, den brauch‘ ich nicht. Das Studentenfutter und eine Gemüsesaftflasche landen in der zerlebten Ledertasche, die an der Schulter durch den Lederriemen zerrt.
Im Kieler Hauptbahnhof steht schon der dauerredende Holländer am Bahnsteig. Einer aus der Menge, schlank gewachsen, immer sprechend, einem inneren Zwang nach in ständigem Wortschwall gefangen. Ob ihm jemand zuhört ist Schnuppe. Was mag es für eine Sprache sein, woher kommen die kräftigen Gesten, der Blick ins Ungefähre, die Lautäußerungen, die ihm unwillkührlich aus dem Munde fahren – ist es Niederländisch (ich weiß es nicht)?
Die Tür schließt sich mit Regionalbahn-typischer Warntonfolge. Auf den Schienen geht es über die Autobahnbrücke an der silbernen Müllverbrennungsanlage vorbei.

[Kiel #61… ]

Kiel Holstenbrücke (02/2019), Film: KODAK Ultra Max 400, Kamera: [Die Praktica BCS ist eine einäugige Spiegelreflexkamera der Praktica-B-Baureihe des Herstellers Pentacon aus Dresden. Die in der DDR gefertigten Fotoapparate wurden auch ins Ausland exportiert. Sie ist technisch gesehen eine Praktica BCA ohne Anschlussmöglichkeit für Motorwinder und Belichtungskorrektur. Sie wurde von März 1989 bis Dezember 1990 mit einer Stückzahl von ca. 34.000 gebaut.] | https://de.wikipedia.org/wiki/Praktica_BCS

[Kiel #56… ]

Der Zufall führt mich als ein Zaungast zur Entschleunigungsdemo, Holstenstrasse (09/2018): “ … Wir Aktionskünstler_innen können nicht mehr hinnehmen, dass Angst, Leistungsdruck, depressive Anonymität und innere Unruhe unsere Leben bestimmen. Deshalb bewegen wir uns langsamer durch die Innenstadt, damit auch Sie Sich trauen, Ihr Leben zu entschleunigen. …

Nächste Seite » « Vorherige Seite