Kategorie: Cinema.Exposure

[Zum Wahn der Liebe #57… ]


Dangerous Liaisons (1988)

// #1: “ … Der Roman Les Liaisons Dangereuses – die Vorlage zum Drehbuch des Films Gefährliche Liebschaften – erfuhr vor über 200 Jahren schon eine außergewöhnlich hohe Auflage, erregte aber auch einen gesellschaftlichen Skandal. Der Film wurde 1989 von Kritikern und Gremien hoch gelobt und war ein großer Publikumserfolg. Erlebnisbeschreibungen und Tiefeninterviews unmittelbar nach dem Kinoerlebnis zeigen jedoch, dass der Film bei aller Faszination auch heute noch Reaktionen der Entrüstung und Verwirrung beim Zuschauer auslöst. … Die grausame Trennung Valmonts von Madame deTourvel, bei der er gegen ihre Fragen und Einwände stereotyp an der Formulierung festhält „Dagegen bin ich machtlos!“ (In der Originalfassung: „It’s beyond my control!“), der heftige Streit zwischen ihm und der Marquise, der in eine offene ‚Kriegserklärung‘ mündet, das Duell mit Danceny, der Tod Valmonts und Tourvels, schließlich der Anfall von Wahnsinn der großen Intrigantin – alles dies geht jetzt in bedrängender Weise nahe. In einem hektischen Rhythmus schwingt das Filmerleben zwischen impulsiven Versuchen, auf das rasende Geschehen Einfluß zu nehmen einerseits und steuerlosem Mitgerissen-Werden andererseits, hin und her. Nichts ist erhalten geblieben von der anfangs so souveränen Annäherung an das erregende Feuer, die Gefahren der Liebschaften. Es ist, als habe nun endgültig ein sich selbst steuerndes Getriebe die Führung übernommen, das unausweichlich auf ein zerstörerisches Ende zutreibt. … Tiefgehende Verstrickungen haben die anfängliche scheinbar unberührbare Selbstbestimmung abgelöst. Die Zuschauer sind meist tief betroffen. Viele glauben, sich nach dem Abspann nicht erheben zu können. Sie bleiben sitzen, um das Aufgewühlt-Sein abklingen zu lassen. Andere reagieren empört, sie werten den Film im Ganzen ab oder schimpfen auf die skrupellosen Verführer. … In dem Gefühl, verführt worden zu sein, und der Empörung darüber verbergen sie sich, daß sie es selbst waren, die sich in diese Situation gebracht haben. Sie sind den Versprechungen des souveränen Abenteuers gefolgt, sie haben die Führung dabei abgegeben, sie haben gerufen ‚Mach schneller!‘. Der Ärger, der so häufig nach dem Film zu beobachten ist, soll das eigene aktive Verwickelt-Sein inden Gang der Ereignisse übertönen, das von allem Anfang an gegeben ist. …“ | Aus: „“Gefährliche Liebschaften“ Eine filmpsychologische Untersuchung“ Dirk Blothner (Zwischenschritte1, 1991), http://blothner.de/filmwirkungsanalyse/filmanalysen/gefaehrliche-liebschaften/
http://www.filmwirkungsanalyse.de/pdfs/blothner_gefaehrliche_liebschaften.pdf

// #2: “ … Liebe ist dumm. Ein Produkt überhitzter Phantasie. Die Opfer, so lehrt der Film, überreden sich gern, daß sie von Leidenschaft beherrscht seien, und aus Eitelkeit und Denkfaulheit nennen sie ihre Sinnestäuschungen Empfindungen … Valmont und die Merteuil … wissen, daß die Wirklichkeit nie auf der Höhe der Phantasie ist, die Ekstasen des Geistes erotischer sind als die der Sinne. Sie zittern vor Begierde nach dem Zusammenhang. Das Fleisch hat keinen Geist. … Vulgärer gähnt der Diener als der Vicomte, und in seine Gerissenheit mischt sich Unterwürfigkeit. Wenn Malkovich der Klosterschülerin mit der Grazie eines Menuetttänzers einen Brief überreicht, fällt sein Blick auf das Rechteck des Rasens. Wenn das Mädchen nach der Nacht ihrer Defloration dem Verführer beim Essen begegnet, wird gespickter Rehrücken serviert. Die Bilder wissen immer schon mehr. Ihre Schönheit ist ihre Kälte. … Wer möchte beweisen, daß Empfindung wahrer sei als Reflexion? Ach, nicht erst das 20. Jahrhundert verharmloste den Sex zum Sentiment. Die Marquise hat sich nie blenden lassen von der Macht des Irrationalen. …“ | Aus: „Geometrie der Verführung“ Annette Meyhöfer (10.04.1989), http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13494078.html

// #3: “ …[Häufig … ] benutzen die Libertins eine Art Militärjargon, in der die Liebe zum Belagerungszustand wird und unablässig von guerre (»Krieg«), empire (»Hoheit/Macht«), von perdre (»verlieren bzw. ins Unglück stürzen«) und vaincre (»besiegen«), von bataille (»Schlacht«) die Rede ist. Ebenso werden alte Motive verwandt, wie das Bild von »maître et esclave« (»Herr und Sklave«) oder die Metapher der Liebe als Kette, die eklatante Dominanzverhältnisse und Gefangenschaft evozieren (vgl. auch BUTOR 1964, STACKELBERG 1980). … Liebe und Sexualität werden immer wieder als Krankheit thematisiert: So verdreht die Marquise de Merteuil den klassischen Topos der krankmachenden Liebe, die höchstens durch sexuelle Erlebnisse geheilt werden könne, in die Auffassung, dass Wissenschaft und Liebe als Hilfsmittel zu sexueller Erfüllung zu dienen haben. In den Briefen der Mme de Rosemonde erscheint der Topos in seiner ursprünglichen Form: In den Augen der Greisin ist der Erreger der Liebeskrankheit der Présidente eine »passion malheureuse« (»bedauerliche Leidenschaft«). Ihren Zustand interpretiert sie als den einer Schwerkranken. Das autonome Liebesgefühl kann nur durch das Verblühen der Liebe (»sa belle mort«) oder durch die Aussichtlosigkeit seiner Erfüllung besiegt werden (LD, CXXVI, 296). …“ | Aus: „Weibliche Subjektivität in Laclos‘ ‚Liaisons dangereuses‘ – Das Zusammenspiel von Anthropologie und Gesellschaftsstruktur beim Scheitern der weiblichen Figuren“ Anne Brüske (2006), https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/files/996/band1_brueske.pdf

// Impuls & Bild via https://welteninwelten.blogspot.de/2016/06/love-sweet-love-47-madame-de-tourvel.html

[Zum Wahn der Liebe #55… ]

Jules et Jim (R: François Truffaut 1962)

// “ … Die Basis des Romans Jules et Jim (1953) bilden wahre Begebenheiten: Henri-Pierre Roché lebte mit dem Ehepaar Helen und Franz Hessel in einer Dreiecksbeziehung, deren Ereignisse er in seinen Tagebüchern, carnets, genau festgehalten hatte. Der deutsche Schriftsteller Manfred Flügge schrieb über Roché und das Ehepaar Hessel einen Tatsachenroman mit dem Titel Gesprungene Liebe. Die wahre Geschichte zu „Jules und Jim“, der 1993 erschienen ist. …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/Jules_und_Jim | https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Hessel | https://de.wikipedia.org/wiki/Henri-Pierre_Roch%C3%A9 | https://de.wikipedia.org/wiki/Helen_Hessel | “ … Manfred Flügge … wühlte sich durchs teilweise immer noch unveröffentlichte Quellenmaterial … nun liegt sein Bericht vor. Man nimmt [ ] teil am Leben der drei Protagonisten, erfährt Vor- und Familiengeschichten und auch, „wie’s wirklich war“ – und zwar in drei Versionen. … Hessel … („Der Kramladen des Glücks„, „Spazieren in Berlin“ u.a.) und Balzac-Übersetzer, befreundet u.a. mit Walter Benjamin, Franziska zu Reventlow [und] Karl Wolfskehl … “ ( weiser111 am 15. November 2004, Quelle) …

[Memento mori #1… ]


Smultronstället (Wilde Erdbeeren), R: Ingmar Bergman (1957)

Arletty (17.03.2016): “ … Denn unfassbar bleibt er immer, dieser eine letzte Atemzug; dieser ‚knappe Übertritt‘, wie es im ‚Zauberberg‘ heißt. … Wenn ich daher heute zu Familienmitgliedern oder Freunden ‚bis bald‘ sage, dann schwingt das ‚hoffentlich‘ immer mit; und das ist nicht das Schlechteste. …“ http://www.zeit.de/kultur/2016-03/trauer-tod-bewaeltigung-krise-arbeit-10nach8?cid=6302610#cid-6302610

Xepio (17.03.2016): “ … „….dass unsere Gesellschaft Sterben, Trauer und Tod immer noch fein säuberlich verdrängt.“ Ich habe es so gesehen, das selbst nahe Verwandte so sehr mit ihren alltäglichen Geschäften beschäftigt sind, das ihnen keine Zeit mehr bleibt oder sie selbst nicht mehr bereit sind, sich Zeit für andere Dinge zu nehmen. Mit Volldampf auf das Ende zu. Manchmal komme ich mir wie ein nicht mehr funktionsfähiger Borg in einem Borg-Kollektiv vor. …“ http://www.zeit.de/kultur/2016-03/trauer-tod-bewaeltigung-krise-arbeit-10nach8?cid=6302866#cid-6302866

[HAL 9000 & ewige Speicherung… ]

Andreas Wilkens (17.02.2016): “ … Forscher in Großbritannien haben eine kleine Glasscheibe entwickelt, auf der sich bis zu 360 Terabyte Daten speichern lassen. Sie ist etwa so groß wie ein Zwei-Euro-Stück, soll Temperaturen von bis zu 1000 Grad aushalten und mehrere Milliarden Jahre lang auslesbar sein …“ | „Glasscheibe zur „ewigen Speicherung“ großer Datenmengen soll marktreif werden„, http://www.heise.de/newsticker/meldung/Glasscheibe-zur-ewigen-Speicherung-grosser-Datenmengen-soll-marktreif-werden-3109718.html & https://www.southampton.ac.uk/news/2016/02/5d-data-storage-update.page & http://www.orc.soton.ac.uk/fileadmin/downloads/5D_Data_Storage_by_Ultrafast_Laser_Nanostructuring_in_Glass.pdf

// * kmueho (18.02.2016): “ … Kommt mindestens 15 Jahre zu spät – In Stanley Kubrics Film 2001 a space odyssey hat der HAL 9000 doch bereits solche transparenten Speichermodule:

Deactivation of Hal 9000
https://youtu.be/c8N72t7aScY


2001: A Space Odyssey“ (R: Stanley Kubrick, 1968) *//

[filmMUSIK #2… ]

Vertigo Soundtrack (1958)
// By Bernard Herrmann (* 29. Juni 1911 in New York City; +24. Dezember 1975 in Los Angeles)

istvan Droeshaut, 2015: i cry every time i hear „scene d’amour“


Lukas Wieselberg (01.02.2008): “ … „Vertigo“ ist für Mulvey nach wie vor „ein außergewöhnliches Stück filmischer Obsession“, ein Musterbeispiel für die „Transformation der Figur der Frau in eine neue Obsession für das Kino“. …“ | http://sciencev1.orf.at/science/news/150703

Katrin Becker, Julia Länge, Falk Schellenberger (15. Mai 2004): “ … Madeleine wird als eine geheimnisumwobene Person in den Film eingeführt. Sie steht für Romantik, Melancholie und Träumerei. Die Beziehung Scottie/Madeleine wird dementsprechend durch romantische, sehnsuchtsvolle Musik mithilfe von Geigen dargestellt. Variationen davon (z.B. mit Gitarre) beschreiben Madeleines „2. Ich“ – Carlotta. Das erste Mal taucht dieses „Geigenschluchzen“ auf, als Scottie Madeleine bei Ernie ́s sieht.. Es soll von Herrmann in Anlehnung an Wagner ́s Oper „Tristan und Isolde“ geschrieben worden sein – die ja ebenfalls eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang beschreibt. Diese Musik taucht in Variationen immer wieder in Zusammenhang mit Madeleine auf …“ | https://www.hdm-stuttgart.de/~curdt/Vertigo%20Referat.pdf

Claudia Bullerjahn (Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, 2008): “ … Die im Vorspann prägnant abstrakt visualisierte Spirale, die an verschiedenen Stellen des Films wieder auftaucht (z.B. Haarknoten Madeleines, Turmtreppe), steht einerseits für Scotties aus der Höhenangst resultierenden Schwindel (engl. vertigo), andererseits für die Endlosigkeit und Unerfüllbarkeit romantischer Sehnsucht …“ | http://www.filmmusik.uni-kiel.de/kielerbeitraege2/KB2-Bullerjahn.pdf

Projizierte Frauenbilder … Der Film zeige „von Anfang bis Ende die Zeichen Hitchcocks zutiefst persönlicher Gefühle – also seine Gefühle sich selbst gegenüber, sein idealisiertes Bild der Frau, die gefährlichen Grenzen emotionaler Fixierung und der Tod, die finale Obsession jedes Romantikers. … Stewarts verwunschene und hoffnungslose Jagd nach einer leeren Idealvorstellung, so Spoto, „stellt Hitchcocks endgültige Aussage zu dem Thema der romantischen Täuschung dar.“ … | https://de.wikipedia.org/wiki/Vertigo_%E2%80%93_Aus_dem_Reich_der_Toten (11. Februar 2016)

// Kontext:

Vertigo (1958) – The Pervert’s Guide to Cinema (2006)
[The Pervert’s Guide to Cinema is a 2006 documentary directed and produced by Sophie Fiennes, scripted and presented by Slavoj Zizek. It explores a number of films from a psychoanalytic theoretical perspective. … https://en.wikipedia.org/wiki/The_Pervert%27s_Guide_to_Cinema]

[Zwischen Lust und Melancholie #2… ]

…gerade weil sich kaum jemand mehr vorstellen mag, wie ein Leben, ein Alltag jenseits des Spektakels aussehen könnte.

La Société du spectacle (1973) – Guy Debord
https://www.youtube.com/watch?v=IaHMgToJIjA

Das lateinische Palindrom „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt“ liefert den Titel für Guy Debords sechsten und letzten Film, der als kommentierte Abfolge von Standbildern und Filmausschnitten Debords Medien- und Gesellschaftskritik zusammenfasst. (via)|https://de.wikipedia.org/wiki/Guy_Debord

“ … In his Theory of the Subject (1982), Badiou suggests that Debord and the situationists could only offer a Promethean politics of „active nihilism“ … | https://fadingtheaesthetic.files.wordpress.com/2013/08/guy-debords-time-image-in-girum-imus-nocte-et-consumimur-igni-1978.pdf (BENJAMIN NOYS: „Guy Debord’s Time-Image:In girum imus nocte et consumimur igni (1978), Grey Room 52, Summer2013, pp.94-107., …)

“ … Die Realität werde unsichtbar hinter einer Scheinwelt aus Werbung, Klischees, Propaganda, die aber wiederum ganz reale Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat. Real Erlebtes oder Ersehntes wird zunehmend durch seine Repräsentation, durch sein Surrogat ersetzt – Debord nimmt hier auch Ideen der Postmoderne vorweg (das Zeichen bezeichnet nichts mehr, verweist nicht mehr auf etwas Wirkliches, sondern steht für sich selbst, wird so selbst zum Ersatz: Hyperrealität). …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Gesellschaft_des_Spektakels (Stand: 05/2014)

“ … Ebenso wie ästhetische Phänomene nicht in „Ästhetisierung“ aufgehen müssen, ist umgekehrt über die Kenntnis sozialstruktureller Unterschiede im ästhetischen Feld die Brechung sozialer Inhalte im Medium der Distinktion und die Kennzeichnung der ästhetischen Form als »Verleugnung des wahren Charakters von Gesellschaft und sozialen Beziehungen« nicht geringzuschätzen. … Die ästhetische Sphäre scheint der Autonomie des Subjekts im Vergleich zu Politik und Moral mehr Stoff und Bewegungsspielraum zu geben, äußere Bedingungen, die sich als Beschränkung erweisen, in vom Individuum Assimilierbares zu überführen. Wo die Lust des Scheins den Schmerz des Seins brechen soll, entwirklicht sich das Individuum in der Steigerung der Erlebtheit von Geschehnissen über alles wirklich Erlebbare hinaus. Das Erdichtete gerät intensiver als das Reale und die Realität zu einer lachhaften Kopie unserer großen Romane (Arno Schmidt). …“ | Aus: „Ästhetisierung und Ideologie“ (Meinhard Creydt, Datum ????) | http://www.meinhard-creydt.de/archives/48

Dennis Vetter „Guy Debord: Mit dem Geist des Experiments zurück ins Tageslicht“ (29. Jänner 2016): “ … Das Zusehen verurteilte er in seinem Gesellschaftsbild als einzig verbliebene Handlungsoption. Denn alle, die nur noch hinsehen, vergessen das Handeln, verleugnen das Potenzial eines Miteinanders von freier Individualität und Gesellschaft. … Debords Filme waren mehr als zwanzig Jahre lang praktisch nicht zu sehen: Er selbst zog sie 1984 aus dem Verkehr, und erst nach dem Freitod des Künstlers kehrten sie allmählich wieder ans Tageslicht zurück …“ | http://derstandard.at/2000029954422/Guy-Debord-Mit-dem-Geist-des-Experiments-zurueck-ins-Tageslicht

“ … Die Unbedingtheit, die aus Guy Debords Kino-Trailer für seinen Film La Société du spectacle spricht, mutet fast wie ein Witz an – und ist auch einer, nicht erst heute (in der noch viel extremeren Gesellschaft des Spektakels Jahrgang 2015), sondern schon damals, 1973. Dieser Witz ergibt seinen schneidenden Sinn aber erst dann, wenn man ihn – so wie das gesamte schneidende Schaffen von Guy Debord (1931-1994) – nicht wie üblich als Muskel-Entspannung nach der Pose der Unbedingtheit begreift, sondern als deren ernsteste Zuspitzung. Es ist der härteste Galgenhumor, der in der Kunst, im Kino und in der Gesellschaftstheorie des 20. Jahrhunderts zu finden ist. Zugleich steckt in Debords luzider Härte der Vorschein eines anderen Lebens, und sei es nur durch das emphatische Wachhalten jener (biografischen) Erfahrungen von Freiheit und Revolte, die er in den Filmen immer wieder beschwört. Er hat dieses andere Leben beschützt, indem er sich weigerte, „das Spiel zu spielen“. Er stellte lieber neue Spielregeln auf. Er wurde nicht zu einem der üblichen öffentlichen Intellektuellen (Hofnarren), die das Spektakel als „kritische Geister“ beleben, sondern machte sich nahezu unsichtbar. Schon 1959 heißt es in seinem zweiten Film: „Ein Film über diese Generation kann nur ein Film über das Fehlen ihrer Werke sein.“ Debord war damals keine 30, und „diese Generation“ ist die internationale Gruppe der Situationisten, in deren Mitte er sich bewegte. … Sechs essayistische, sprachgewaltige, zwischen Fotografie, Bewegtbild und Stimme, zwischen Wut und Melancholie changierende Kinomonumente „gegen das Kino“. Werke, die den politisch-kulturellen Konsens der Medien- und Konsumgesellschaft frontal angreifen und dafür das Massenmedium ihrer Ära wählen – allerdings in Schwarzweiß. Filme, die zugleich „strategisch“ und „maßlos“ sind: strategisch nicht nur, wenn sie Clausewitz, Johnny Guitar, Karl Marx, Die Kinder des Olymp und Baltasar Gracián zitieren, maßlos nicht nur in ihrem Abzielen aufs große Ganze. Und Filme, die diesen ganzheitlichen Angriff durchwegs auf der Grundlage einer singulären, persönlichen Erfahrung führen. Das macht sie teilbar, mitteilbar, benutzbar – gerade weil sich kaum jemand mehr vorstellen mag, wie ein Leben, ein Alltag jenseits des Spektakels aussehen könnte. …“ | http://www.filmmuseum.at/jart/prj3/filmmuseum/main.jart?rel=de&content-id=1216720898687&schienen_id=1448635933522&reserve-mode=active (filmmuseum.at „Guy Debord„, 29. Jänner bis 11. Februar 2016)

[Zum Wahn der Liebe #53… ]


Ultimo tango a Parigi (1972) | Bild/Impuls via

(29.11.2021):“ … Dieser Film ist ein Klassiker – und gilt bis heute als grenzüberschreitend und kontrovers, nicht zuletzt wegen Berichten, dass eine entscheidende Szene ohne Einwilligung von Hauptdarstellerin Maria Schneider gedreht worden sei. … Die im Jahr 2011 an Krebs verstorbene Schauspielerin Maria Schneider äußerte sich mehrmals über die Szene. Der Daily Mail sagte sie im Jahr 2007, dass sie sich vergewaltigt gefühlt habe. …“ | https://kurier.at/kultur/medien/tv-serie-arbeitet-skandal-um-marlon-brando-klassiker-der-letzte-tango-in-paris-auf/401822692

“ … Weltverlorene Figuren finden sich bei Bacon wie bei Bertolucci in Räumen wieder, die von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen zu sein scheinen. … das von Bertolucci vorgestellte erotische Modell bleibt eine Utopie, die zum Scheitern verurteilt ist. Als Jeanne später in der Liebeswohnung von ihrem Vater erzählt und auch Paul von seinen Eltern berichtet, wird die Autarkie ihrer Beziehung und des Ortes nach und nach aufgebrochen. Beide transportieren über ihre Erzählungen ein Stück der Außenwelt, ein Stück bourgeoiser Wirklichkeit mit allen Konventionen und Beschränkungen in den zuvor hermetisch abgeriegelten Raum. … hier [soll] noch [] auf die Interpretation Bernd Kiefers hingewiesen werden, der die Befunde zusammenfassend dargestellt hat: „Bertolucci wollte schockieren, und er wußte, wodurch sich die bürgerliche Kultur, die die „sexuelle Revolution“ (Wilhelm Reich) integriert hatte, noch schockieren ließ: durch die Darstellung kruder, emotional, ja personal abgelöster Sexualität. Das Sakrale, die transzendierende Kraft, ist dem Sexus genommen worden; es bleibt das wahnsinnig-verzweifelte Suchen nach dem Körper, dem eigenen und dem des Partners, in einer fremd gewordenen Welt.“ (Bernd Kiefer: Bernardo Bertolucci. In Thomas Koebner (Hg.): Filmregisseure. Stuttgart 1999, S. 67)“ … Bertoluccis zu Puppen erstarrten Tangopaare visualisieren eine moderne Gesellschaft, die zur produktiven Maschine verkommen ist. Gefangen in einem dichten Regel- und Normenwerk, treten diese völlig ignorant ihrer Umwelt gegenüber und sind gekennzeichnet durch emotionale Blindheit. …“ | Aus: „Seduktionstheorie des Films IV: Anatomie einer Leidenschaft – Anmerkungen zu Bernardo Bertoluccis transgressivem Liebesfilm DER LETZTE TANGO IN PARIS“ Peter Moormann (Datum ????) | Quelle: www.ikonenmagazin.de/artikel/Tango.htm

(15. Januar 2016): “ … Einer von Bertoluccis Freunden, der Schriftsteller Alberto Moravia, sah im Letzten Tango zwei gegensätzliche Kräfte walten, den Eros, der das Lustprinzip verkörpert und Thanatos, das Prinzip des Todes. Die Wohnung ist der privilegierte Sitz des Eros, während über alles andere, über die Außenwelt, Thanatos obwaltet. Der Eros verbleibt als die einzige vollkommene Artikulationsmöglichkeit in der Zivilisation, was eine klare Kritik Bertoluccis an der westlichen Kultur bedeutet. „Der Sexus ist lebendig. Der ganze Rest ist tot: die Bourgeoisie, die Ehre, die Orden, die Familie, die Ehe und sogar die Liebe selbst.“ Die bürgerliche westliche Gesellschaft kennt keine andere lebendige Wahrhaftigkeit als den Sex, … Bertolucci erklärte, in der westlichen, bürgerlichen Gesellschaft sei die Paarbeziehung von Einsamkeit und Tod gekennzeichnet. In seinem Film erlebten die Figuren den Sex als eine neue Sprache. Entsprechend ist der Einsatz des Tango. Er entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in den Bordellen von Buenos Aires und genoss in Europa als Import einen Anstrich von Verruchtheit und Erotik. Die bürgerlichen Tanzpaare, die sich bei Bertolucci im Tango üben, führen ihn ritualisiert und leblos aus. War der Tango im Großen Irrtum noch heißblütig, ist er hier eine kalte Karikatur. … Ist er [Paul] zu Beginn der Erzählung noch brutal gewesen, so wird er im Lauf des Films entmännlicht. Gegen Ende rückentwickelt sich Paul zum Flegel, welcher der feinen Gesellschaft den Hintern zeigt, und zum Kind, das den Kaugummi unter die Balustrade klebt, ehe er in fötaler Stellung tot liegen bleibt, im Schoß von Paris. … Jeannes Vater ist im Algerienkrieg gefallen. Sie hat ihn in seiner Uniform hinreißend gefunden. Die Vermutung liegt nahe, dass sie in Paul ihren Vater wiederzufinden hofft. Auch Bertolucci bezeichnete ihre Beziehung als ödipal. Jeanne ist passiv, nur durch Brutalität erregbar, unterwirft sich Paul und ist von ihm fasziniert, weil er ihr die Erfahrung völliger Hingabe vermittelt. Pauls Einsiedlertum, sein Mysterium und seine Authentizität machen ihre Begegnungen mit ihm zu etwas Höherem als ihr Alltag, vermitteln ein Erlebnis von Abenteuer und Freiheit. Paul will nicht altern, Jeanne nicht erwachsen werden. … Als Bertolucci den Letzten Tango schrieb, brach nach fünf Jahren gerade die Beziehung mit seiner Lebensgefährtin auseinander. Bei Brando gab es Vermutungen, dass er aufgrund der Streitigkeiten um Alimente und Sorgerecht einen gehörigen Hass auf Frauen und Familie entwickelt hatte. Der Streifen geriet sofort unter Beschuss durch Feministinnen, von denen einige ein Verbot forderten. Dazu meinte Bertolucci, das sei für ihn eine viel zu instinktive Reaktion. Das Werk handle von Chauvinismus, und moralische Urteile abzugeben interessiere ihn nicht. Überhaupt traumatisiere der Film Männer stärker als Frauen, weil er Männlichkeit in Frage stellt. Es gab Kritikerinnen, die sich dieser Lesart anschlossen: Paul sei gleichzeitig eine extreme Ausprägung des Machotums wie auch ein Beispiel dessen Scheiterns, was eine feministische Kritik erschwere. …“ | https://de.wikipedia.org/wiki/Der_letzte_Tango_in_Paris

CLAUDIA TIESCHKY (10. Mai 2010): “ … Das Rätsel des Tangos löst der Film nicht. „You fucking big fucker — ein Mann mag alle Mysterien des Universums kennen, aber das seiner Frau wird er nie verstehen“, sagt Brando am Sarg seiner Ehefrau. Bertolucci schwört, das war improvisiert — so einen Monolog hätte er sich nie ausgedacht. …“ | http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-fernsehen-der-letzte-tango-ich-kenne-diesen-mann-nicht-1.419898

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