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[Fiktive Kunst... ]

Started by Textaris(txt*bot), November 04, 2008, 12:21:17 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Pietro Psaier war ein klassischer Fall von später Entdeckung. Im Hintergrund der Factory soll der Pop-Art-Künstler eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben - als Warhols Geliebter wie auch als dessen Ideengeber. Trotzdem kannte ihn bis ins neue Jahrtausend niemand. Erst dann kamen Ruhm (Wikipedia-Eintrag) und Erfolg (bis zu 18.000 Euro wurden für einen Psaier gezahlt). Doch pünktlich zur Wiederentdeckung starb der Künstler 2003 angeblich im Tsunami-Chaos. Seine Leiche wurde ebenso wenig gefunden wie andere Lebensurkunden oder Kunstsystemreferenzen vor 1998. Klarer Fall von zweitem Mythenbildungsweg: Die Figur Psaier war offenbar eine Erfindung. Wikipedia jedenfalls entschloss sich zur Löschung des Eintrags.

Künstler und - seltener - Künstlerinnen zu erfinden hat Tradition. Ende der 90er-Jahre etwa tauchte im europäischen Ausstellungsbetrieb kontinuierlich der Name Darko Maver auf. Ein serbischer Antinationalist sei der Künstler, hörte man, und seine harschen Folterpuppen passten gut in die Zeit der Gräuel des Kosovokriegs. Doch im Jahr 2000 ließ die italienische Gruppe 010.010.111.0101101.Org verlauten, Maver sei ihre Erfindung, ein Hoax also.

In solchen Fiktionen mischt sich Kunst mit Literatur. Die Erfundenen wirken nicht nur durch ihre Werke, sondern vor allem durch die angedichtete Vita. Oft will diese aktiv in die bestehende Kunstgeschichte eingreifen. Wie etwa die Biografie von Georg Paul Thomann. Gut 100 Seiten fasst sie und liest sich wie eine alternative Geschichte der radikalen Kunst. Thomanns Leben erzählt davon, wie sich ästhetische und politische Positionen verbinden lassen, die in Wirklichkeit strikt getrennt existieren: Wiener Aktionismus, Punk und Political Correctness verknüpfen seinen Lebensweg mit der Realität zu einer zusammenhängenden Erzählung. Doch Thomann hat nie gelebt. Er ist eine Erfindung der Wiener Gruppe Monochrom.

Dennoch tritt Thomanns fiktiver Lebensweg durchaus in die Realität ein: In der wurde Thomann 2002 als österreichischer Beitrag nach São Paulo zur Biennale geschickt. Das flog zeitnah auf, was einkalkuliert war, bot aber doch die Gelegenheit zu erklären, warum Thomann vorgeschoben wurde: Den unappetitlichen nationalen Repräsentationsjob wollte Monochrom nicht selbst erledigen.

Fiktive Kunst muss also gar nicht so tun, als wäre sie echt, um interessanten Schaden anzurichten. Obwohl auch das großen Spaß machen kann. Das weiß auch David Bowie, der am 1. April 1998 aus der Biografie des bisher übersehenen abstrakten Expressionisten Nat Tate las, die der Schriftsteller William Boyd soeben veröffentlicht hatte. Tates sich in ausufernder Tragik suhlendes Leben war präzise auf den gutbürgerlichen Geschmack am verkannten Genie zugeschnitten. Dabei hatte Boyd den Namen Nat Tate einfach aus den führenden britischen Kunstmuseen zusammengebosselt: der National und der Tate Gallery. Das lässt vermuten, dass es dem Schriftsteller allein um einen harmlosen und anekdotenfähigen Akt der Satire ging. Damit wurde der Kunstbetrieb ja schon oft bloßgestellt, geschadet hat es ihm eigentlich nie.

Dabei kann Fake-Kunst viel mehr sein als bloße Anekdotengewinnung. Sie kann davon erzählen, was möglich sein könnte jenseits der echten Welt der Sachzwänge. Auf diese Weise wird sie mehr als bloß ein weiterer beliebiger Kunstulk - sie wird dann selbst wiederum zu Kunst.

Frank Apunkt Schneider ist Teil der Gruppe monochrom und Miterfinder von Georg Paul Thomann.


Aus: "Fiktive Künstler - Gibt's doch gar nicht" von Frank Apunkt Schneider (FTP, 29.10.2008)
Quelle: http://www.ftd.de/lifestyle/:Fiktive-K%FCnstler-Gibt-s-doch-gar-nicht/429864.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Es geht um die mutmaßliche Fälschung von mindestens 35 Gemälden aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Mehr als 14 Jahre lang haben die Beschuldigten offenbar systematisch auf dem Kunstmarkt Gemälde platziert, die sie als unbekannte Werke bekannter Maler aus

gaben. Nicht nur über Auktionshäuser in Deutschland, sondern auch über Händler in London und Paris landeten diese Bilder in der Kunstwelt - die Schadenssumme beläuft sich nach den Schätzungen der Ermittler auf mindestens 15 Millionen Euro. Für Galeristen, Auktionatoren und Kunsthistoriker könnte der Fall das werden, was einst die "Hitler-Tagebücher" für den "Stern" waren: ein Fiasko.

...


Aus: "Der Hippie und die Expressionisten"
Von Röbel, Sven; Schmid, Barbara; Schmitt, Jörg; Sontheimer, Michael; Truckendanner, Petra (30.10.2010)
Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-74822682.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] "Ich habe den ersten Platz gewonnen", schrieb Discord-User Sincarnate in einem Post mit Fotos von drei Leinwänden.

Sincarnates echter Name ist Jason Allen. In einem Kunstwettbewerb der Colorado State Fair, einem großen Volksfest, belegte er mit seinem Werk "Théâtre D'opéra Spatial" in der Kategorie digitale Kunst den ersten Platz.

Das auf Leinwand gedruckte Bild ist auch wirklich beeindruckend: Menschen in klassischen Gewändern blicken durch ein großes kreisrundes Loch einer geräumigen Barockhalle auf eine grelle, sonnengetränkte Landschaft. Es sieht aus wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Epos. Wüsste man es nicht besser, würde man denken, dass Allen, der hauptberuflich das Brettspielunternehmen Incarnate Games leitet, ein begnadeter Maler ist.

Aber Allen hat für "Théâtre D'opéra Spatial" keinen Pinsel in die Hand genommen, noch nicht mal einen digitalen. Gemalt hat das Bild die KI-Software Midjourney, Allen gab die Befehle. Vor allem auf Twitter hat diese Herangehensweise für empörte Reaktionen gesorgt. Künstlerinnen und Künstler warfen Allen vor, das Aussterben kreativer Jobs voranzutreiben.

"TL;DR – Jemand hat mit einem KI-generierten Werk bei einem Kunstwettbewerb mitgemacht und den ersten Preis gewonnen", schreibt der Künstler Genel Jumalon in einem viralen Tweet über Allens Auszeichnung. "Ja, das ist ziemlich beschissen."

User OmniMorpho antwortete: "Wir sehen das Künstlertum vor unseren eigenen Augen sterben. Wenn kreative Berufe nicht vor Maschinen sicher sind, laufen selbst hochqualifizierte Berufe Gefahr, überflüssig zu werden. Was wird uns dann noch bleiben?", und bekam dafür über 5.500 Likes.

... "Technologie wird zunehmend eingesetzt, um Auftragsarbeiten zu übernehmen und Milliardäre reicher zu machen", sagte der Cartoonist Matt Bors dem Autoren Warzel in einem Folgeartikel. "KI-Kunst ist Teil dieser Entwicklung. Für Softwareentwickler und technikinteressierte Menschen ist das cool, aber für Illustratoren ist das sehr verstörend, weil es sich anfühlt, als hätte man damit den Bedarf für Illustratoren ausgeschaltet."

Allen sagte, dass er sein Werk beim Einreichen klar als "Jason Allen via Midjourney" gekennzeichnet habe und betonte ein weiteres Mal den menschlichen Anteil an dem Kunstwerk. "Ich generiere Bilder mit Midjourney, überarbeite sie mit Photoshop und rechne sie mit Gigapixel hoch."

Trotz der Kontroverse hat ihn der Sieg nur angestachelt. "Ich werde jetzt nicht damit aufhören", sagte er. "Dieser Preis hat mich in meiner Mission nur bestärkt."

...



Aus: "Ein KI-generiertes Bild hat einen Kunstwettbewerb gewonnen und Künstler sind angepisst" Matthew Gault (6.9.2022)
Quelle: https://www.vice.com/de/article/bvmvqm/ein-ki-generiertes-bild-hat-einen-kunstwettbewerb-gewonnen-und-kunstler-sind-angepisst