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[Virtuelles Demonstrationsrecht (Deportation Class)]

Started by Textaris(txt*bot), July 03, 2005, 11:58:42 AM

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Textaris(txt*bot)

QuoteDie Lufthansa AG hatte Klage gegen ein Mitglied der Frankfurter Flüchtlingsinitiative Libertad eingereicht, weil diese Gruppe im Sommer 2001 öffentlich dazu aufgerufen hatte, die Internetseite der Fluglinie durch massenhafte Aufrufe zu blockieren. Libertad wollte so auf den Transport von Abschiebehäftlingen durch das Flugunternehmen aufmerksam machen.

Während sich die Organisatoren auf ein "virtuelles Demonstrationsrecht" beriefen, bezeichnete die Lufthansa die Aktion als "Anstiftung zu Nötigung". Am zweiten Verhandlungstag entschied die Vorsitzende Richterin nun zugunsten des Flugunternehmens. Sie folgte damit auch der Position der Staatsanwaltschaft. Diese hatte zwar keine Gewaltandrohung gesehen, doch hätten die Abschiebungsgegner ein "empfindliches Übel" für das Unternehmen billigend in Kauf genommen. Die beklagte Seite will nun in Revision gehen - auch, weil das Urteil eine grundsätzliche Bedeutung für das Internet als politisches Forum haben wird.

Die Blockade der Lufthansa-Internetseite fand zeitgleich zur Jahreshauptversammlung des Unternehmens im Juni 2001 statt. Man habe das deutsche Flugunternehmen gewählt, "weil die Lufthansa mit Abschiebungen Geld verdient", hatte der Angeklagte Andreas-Thomas Vogel am ersten Prozesstag ausgesagt. Vogel stand als Betreiber zweier Internetseiten vor Gericht, auf denen die Internetblockade maßgeblich vorbereitet wurde.

Wenn die Lufthansa keinen Unterschied zwischen Urlaubstickets und einem so genannten deportee-ticket (Ticket für die abzuschiebende Person) mache, "dann müsse sie in Kauf nehmen, dass das Image Schaden nimmt", verteidigte sich Vogel. Das Internet habe sich in den vergangenen Jahren "als öffentlicher Raum etabliert", hieß es zugleich in einer Erklärung der Gruppe Libertad, die sich auf die Unterstützung von 250 Flüchtlingsgruppen und Einzelpersonen beruft.

Da das Internet als politisches und kommerzielles Medium anerkannt sei, müsste es auch für Protestaktionen offen stehen. "Wenn diese Abschiebungen mit Taxen durchgeführt würden, dann wäre es natürlich, an großen Taxiständen zu protestieren",erklärte Rechtsanwalt Thomas Scherzberg die Position der Verteidigung. Auch damit ginge eine Gewerbeeinschränkung der dort parkenden Taxen einher. Die Richterin teilte diese Auffassung nicht: 90 Tagessätze zu zehn Euro lautete ihr Urteil.

Bei der Lufthansa wurde der Schuldspruch begrüßt. "Wir sehen das als Bestätigung unserer Position", sagte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von tagesschau.de. Schließlich haben man im Vorfeld der Aktion beobachten müssen, wie "Störungen und Sabotage geplant wurden". Die Fluglinie habe auf die Aktion daher mit der Bereitstellung weiterer digitaler Kapazitäten für die Interseitepräsenz reagieren müssen. Für das Unternehmen seien dadurch Kosten "von bis zu 45.000 Euro" entstanden, sagte der Sprecher, ohne diese Summe weiter aufschlüsseln zu können. Nach Angaben der Lufthansa wird über das Onlineportal in diesem Jahr voraussichtlich ein Viertel der Gesamtbuchungen abgewickelt.

Neben dem geschädigten Unternehmen hatte auch das Bundesministerium für Justiz ein "Demonstrationsrecht online" abgelehnt. Das Ministerium halte es für "zweifelhaft, dass sich die Initiatoren auf das Demonstrationsrecht berufen können", sagte eine Ministeriumssprecherin.

Vogel, der sich "stellvertretend für die Initiatoren" vor Gericht sah, will die Verurteilung anfechten. Dazu hatte auch Rechtsanwalt Scherberg geraten. "Es muss grundsätzlich entschieden werden, ob im Internet ein anderes Recht gilt als auf der Straße", sagt der Verteidiger. Um diese Entscheidung herbeizuführen, sei das Verfahren aufrechterhalten worden, obgleich die Staatsanwaltschaft angeboten hätte, es einzustellen.

Scherzberg verweist auch darauf, dass die "Online-Demonstration" im März 2001 regelgerecht angemeldet worden sei. Die Polizei habe darauf aber nicht reagiert, weil sie mit der Aktion offenbar nichts anfangen konnte. "Mein Mandant hat also nicht nur im guten Glauben gehandelt, alle Auflagen des Demonstrationsrechtes erfüllt zu haben", sagt der Jurist im Gespräch mit tagesschau.de. Und er könne sich selbst auf den Innenminister Otto Schily berufen, der die Blockade von Internetseiten "auf einer anderen politischen Ebene" - konkret gegen Internetauftritte der NPD - ebenfalls gefordert hatte.
Stand: 02.07.2005 02:03 Uhr

Aus: "Grundrecht und Internet - Erster 'Online-Demonstrant' zu Geldstrafe verurteilt" Von Harald Neuber
Quelle: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4487900_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html

Textaris(txt*bot)

#1
Quote[...] Der Angeklagte konnte sich nach Meinung des Gerichts nicht auf die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes berufen, da eine Versammlung beim Versuch einer Denial-of-Service-Attacke nicht gegeben sei. Auch habe sich der Angeklagte nicht auf die im Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Meinungsfreiheit berufen können, da diese durch andere Gesetze wie zum Beispiel § 240 StGB relativiert würden. Das Gericht sah auch keinen "guten politischen Zweck", da die Lufthansa zum Transport von abgeschobenen Flüchtlingen verpflichtet und daher der falsche Adressat für die Aktion gewesen sei. Als verwerflich sah das Gericht die Handlungen des Angeklagten an, da die Online-Blockade zwei Stunden dauern sollte und damit für einen langen Zeitraum geplant gewesen sei.

Das Gericht konnte nicht auf einen Verbotsirrtum erkennen, da sich die Online-Aktivisten vor der Blockade juristisch beraten ließen. Der zu Rate gezogene Jurist habe den Aktivisten bescheinigt, sie würden eine Ordnungswidrigkeit begehen. Auch wenn für einen Laien kein Unterschied zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit erkennbar sei, mussten sie aber allgemein davon ausgehen, dass sie Unrecht begehen würden. Die Höhe der Strafe begründete das Gericht mit dem nicht unerheblichen Schaden von 42.370,80 Euro, die der Lufthansa durch Abwehrmaßnahmen entstanden sei. Auch habe der Angeklagte Tausende zu einer Straftat angestiftet.

Der Verteidiger Thomas Scherzberg kündigte Rechtsmittel an. Dabei könnte es sich um eine Revision vor dem Landgericht oder eine Sprungrevision beim Oberlandesgericht handeln. "Es ging darum, neue Protestformen im virtuellen Raum auszuprobieren", sagte der als Zeuge gehörte Rechtsanwalt, der die Blockierer vor der Aktion beraten hatte. Scherzberg hatte zuvor vergeblich argumentiert, dass niemandem Gewalt angetan worden sei. Die Organisatoren hätten auch mit keinem Wort Folgeaktionen angekündigt, wie von der Anklage angenommen. Der Angeklagte nannte die Aktion in seinem Schlusswort "elektronischen zivilen Ungehorsam". Die Demonstration sei auch ganz bewusst beim Ordnungsamt der Stadt Köln angemeldet worden. Als Versammlungsort war damals die Homepage www.lufthansa.com angegeben worden.

Menschenrechtsgruppen hatten am 20. Juni 2001 eine Online-Protestaktion gegen die Lufthansa gestartet, da sie der Fluggesellschaft unterstellten, sie profitiere von der Abschiebung der etwa dreißigtausend Flüchtlinge jährlich, die zur Hälfte mit Lufthansa-Maschinen zurückgeschickt werden. Damit sollte die Online-Übertragung der Aktionärsversammlung behindert werden. (Volker Weber) / (anw/c't)

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/61327 (01.07.2005)

Textaris(txt*bot)

#2
Quote[...] Durch die "Kraftentfaltung des Mausklicks", hieß es in der mündlichen Urteilsbegründung, sei der Tatbestand der Gewalt "in seiner stärksten Form erfüllt" worden. Bei dem elektronischen Protest gegen den Transport von Abschiebehäftlingen durch die Lufthansa sei "der Wille Anderer gebeugt" worden.

Die Amtsrichterin schoss damit seltsam über das Ziel hinaus. Sie verurteilte "Gewalt", während selbst die Staatsanwaltschaft nur von der (schwächeren) "Androhung eines empfindlichen Übels" sprach. Sie sah eine "Zwangswirkung" auf potentielle User, während selbst die Lufthansa keine Einschränkung der Seite glaubhaft belegen oder einen Schaden nachvollziehbar beziffern konnte. Dafür lieferte sie postwendend die Begründung: Es sei ihr mit dem Urteil auch darum gegangen, "potentielle Nachahmer" abzuschrecken. Zum Verständnis sollte erwähnt werden, dass dieselbe Juristin 2003 bereits Gegner des Irak-Krieges verurteilte, die an einer Blockade der Rhein-Main-Airbase teilgenommen hatten.

Politische Vorurteile haben also mutmaßlich dazu beigetragen, dass in Frankfurt eine wichtige Chance vertan wurde. In dem Verfahren hätte geklärt werden können, inwieweit Bürgerrechte im Internet Geltung erlangen müssen. Richterin Wild, die alle Beweisanträge der Verteidigung als "irrelevant" anlehnte, fehlte dazu entweder das Verständnis oder die Bereitschaft.

Aus: "Grundrecht hinkt nach" von Harald Neuber (04.07.2005)
Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20449/1.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ein Urteil gegen die Initiatoren einer Online-Demonstration wurde vom Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt wegen Verletzung bestehender Gesetze aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen. Das geht aus der heute veröffentlichten Begründung hervor. Am 20. Juni 2001 hatten sich nach Angaben der Veranstalter etwa 13.000 Personen an der Blockade der Online-Plattform der Fluggesellschaft Lufthansa beteiligt, um gegen Abschiebungen zu demonstrieren. Durch den massenhaften und zeitgleichen Mausklick und unterstützt von einer einschlägigen Software, sollten die Server des Konzerns blockiert werden.

Online-Demos seien keine Gewalt, keine Nötigung, keine "Drohung mit einem empfindlichen Übel", keine "Datenveränderung"; auch eine Verurteilung als Ordnungswidrigkeit käme nicht in Betracht, so die Berufungsrichter. Die Online-Demo habe stattdessen auf die "Meinungsbeeinflussung" gezielt.

Damit sieht sich die Gruppe Libertad in ihrer Position bestätigt. "Auch das Internet ist ein Ort für Proteste und Demonstrationen." Schon vor den Online-Protesten habe das Bundesjustizministerium und der Geheimdienst Verfassungsschutz die Aktion für rechtswidrig erklärt, sprachen sogar von ,,Computersabotage", so die Aktivisten in einer Stellungnahme. Danach ermittelte vier Jahre lang der Staatsschutz gegen die Aktiven, es gab Hausdurchsuchungen, es kam zur Beschlagnahmung von Rechnern und der Behinderung der Arbeit von Libertad.

"Angesichts dieser juristischen Gewaltspirale wird der Vergleich mit 'dem Auslösen des Abzugs an einer Waffe' zurückgewiesen und festgestellt, dass 'die bloße Muskelinervation' des Mausklicks und der 'auf die Taste gesenkte Finger' keine Gewalt und keine Drohung ist", so Libertad weiter. Das Internet sei trotz seiner Virtualität ein realer öffentlicher Raum. Wo schmutzige Geschäfte gemacht würden, dort könne und müsse man auch dagegen protestieren. Mehr als 20.000 Menschen würden jährlich gewaltsam aus Deutschland abgeschoben, während gleichzeitig die Festung Europa mit Lagern, Stacheldraht, Polizei- und Militäreinsätzen ausgebaut werde. Eine Politik, die Jahr für Jahr Hunderte von Toten fordere, beschreiben die Libertad-Aktivisten die Situation. (as)


Aus: "Freispruch in Sachen Online-Demonstration gegen die Lufthansa - Aktion von Demonstrationsrecht abgedeckt" (de.internet.com; Donnerstag, 01.06.2006)

Quelle: http://de.internet.com/index.php?id=2043350&section=Marketing-News