[...] Als Kurator und Spezialist für moderne Kunst ist Christian (Claes Bang) theoretisch bestens beschlagen. Es fällt ihm nicht schwer, seinem Publikum das Konzept von «The Square» zu vermitteln: Es handelt sich um ein weiss eingegrenztes Quadrat von vier auf vier Meter auf einem beliebigen öffentlichen Platz.
Aus: "70. Filmfestival Cannes «The Square»: Weisses Quadrat mit goldenen Aussichten" Michael Sennhauser (21. Mai 2017)
Quelle:
https://www.srf.ch/kultur/film-serien/filmfestival-cannes/the-square-weisses-quadrat-mit-goldenen-aussichten---
[...] Ruben Östlunds in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneter Film handelt von einem schwedischen Museumskurator, der mit unerwarteten Prüfungen konfrontiert wird. Eine beißende, einfühlsame Satire, die wie die Rhapsodie einer Gesellschaft mit chronisch schlechtem Gewissen wirkt
Die Kunstwelt als eitle, selbstgenügsame Blase ist eine dankbare Zielscheibe für den Spott eines Satirikers. Östlund nimmt sie mit mal rabiatem, mal diskretem Eifer ins Visier.
Die moderne Kunst, die Christian einem Publikum vermitteln sollte, betrachtet er zunächst offen und neutral. Den Widerspruch zwischen hohem Entschlüsselungsbedarf und leichter Durchschaubarkeit macht er nicht auf. Ein Kunstwerk ist für ihn nicht per se sinnfrei oder bezeichnend. Vielmehr kann darüber klug oder dumm geredet werden.
Die materielle Konkretion der Werke führt Östlund noch auf eine andere Spur, die Kluft zwischen Theorie und physischer Realität. Christian, der das behagliche Leben eines Kulturfunktionärs führt, wird durch den Diebstahl zeitweilig in eine andere Welt geschleudert. Die Machtposition, die er im Kulturbetrieb bekleidet, gibt ihm keine moralische Handhabe für diese Situation. Hier zeigt sich Östlund als listiger, einfallsreicher Drehbuchautor. Er häuft die Zumutungen und Anfechtungen im Leben seiner Hauptfigur. Sein Film ist komponiert wie eine Rhapsodie, in der lauter Themen anklingen, die vorerst keinen Zusammenhang finden, dann aber Entsprechungen offenbaren.
In Christian stellt er den Repräsentanten einer aufgeklärten Gesellschaft auf den Prüfstand, deren Toleranz bleiern und deren Höflichkeit lähmend sein können. »Schwedenscheiß« nennt sein Assistent unverblümt diese Spielart politischer Korrektheit, deren Kehrseite die Uneigentlichkeit ist. Der bizarre Kuratorenjargon macht es Christian unmöglich zu benennen, was er will und wer er ist. Nicht nur im Beruf spielt er eine Rolle, die eingeübt werden will.
Im Kern handelt »The Square« vom Terror eines modernen Lebensstils, in dem Spontaneität erst zutage treten kann, wenn etliche Schichten ritualisierter Umgangsformen abgetragen sind. Östlunds Kratzen an der Firnis der Zivilisation kulminiert in einer Performance, die schwer zu ertragen ist und doch ausgehalten werden muss. Darin nimmt er die moderne Kunst übrigens ernst. Für den Kuratoren hält er noch eine weitere Katharsis parat, die ihm die sachte Chance eröffnet, für sich als Mensch einzustehen.
Aus: "Kritik zu The Square" Gerhard Midding (22.09.2017)
Quelle:
https://www.epd-film.de/filmkritiken/square