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[Porn Studies... (affektive Involvierung)]

Started by Textaris(txt*bot), June 12, 2008, 10:28:38 AM

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Textaris(txt*bot)



Quote[...] "Das Spektrum der Ansätze, Pornografie zu theoretisieren oder zu kritisieren, ist heute so diversifiziert wie die unter diesem Begriff zusammengefassten Darstellungen von Sexualität selbst. Lange Zeit waren die feministischen Debatten um Pornografie von dem Antagonismus zwischen Anti-Porno- und Anti-Zensur-Positionen geprägt, wobei einerseits die misogynen Aspekte der heterosexuellen Pornografie - bisweilen auch Kausalitäten zwischen pornografischen Szenarien und Vergewaltigungsstatistiken - betont und andererseits das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit gegenüber Zensurbestrebungen ins Feld geführt wurden. Mit Publikationen wie dem Buch "Hard Core" von Linda Williams, die 2004 einen programmatisch "Porn Studies" betitelten Sammelband folgen ließ, setzte Anfang der neunziger Jahre unter dem Einfluss von Textualitätsmodellen ein Paradigmenwechsel hin zu Fragen nach den historisch variablen Konventionen, Medien und Ästhetiken der Pornografie als Genre ein - womit Porno tendenziell auch den Status einer vermeintlichen Überschreitung gesellschaftlicher Normen einbüßte und zum Gegenstand akademischer Forschung avancierte - in den Worten von Williams wechselte Porno von einer Position "ob/scene" zu einer "on/scene". Der von der amerikanischen Künstlerin und ehemaligen Porno-Darstellerin Anne Sprinkle und der französischen Theoretikerin Marie-Hélène Bourcier geprägte Begriff des "Postporn" steht im diametralen Gegensatz zu den "PorNO"-Kampagnen der siebziger und achtziger Jahre schließlich für den Versuch, mittels pornografischer Inszenierungen alternative sexuelle Ökonomien jenseits von normativen Identitätszuschreibungen zu entwerfen. In diesem Zusammenhang wird Pornografie nicht als spezifisches Genre begriffen, in dem Körper verfügbar gemacht und einem objektivierenden Blick unterworfen werden, sondern - beispielsweise in den Arbeiten der französischen Theoretikerin Beatriz Preciado - über Gesten queerer Selbstermächtigung Bezüge zu den ästhetischen Praktiken der Performance Art hergestellt und dementsprechend die lebendige Präsenz sexualisierter Körper gegen die pornografische Logik der visuellen Lust und des Konsums positioniert. Die Mehrzahl der Künstler/innen, die sich in den letzten Jahren mit Pornografie auseinander gesetzt haben, scheint allerdings der Annahme zu folgen, dass es unter den derzeitigen ökonomischen und technologischen Bedingungen kein Außerhalb der Pornografie mehr geben kann - eine These, die in jüngster Zeit unter dem Schlagwort einer "Pornografisierung" oder "Pornoisierung" der Gesellschaft beispielsweise in der taz von Mark Terkessidis mit Bezug auf das in immer härteren Gonzo-Filmen inszenierte "Regime einer permanenten Überforderung" der Darstellerinnen in Analogie zu neo-liberalen Arbeitsverhältnissen diskutiert wurde. Zensurbestrebungen, wie es sie im Fall der schwulen S/M-Inszenierungen Robert Mapplethorpes in den achtziger Jahren in den USA gab, sind im Kunstfeld heute kaum mehr anzutreffen. Vielmehr lässt sich feststellen, dass Pornografie "in den Salons der Hochkultur bildwürdig geworden ist" - wie es die gerade erschienene Ausgabe der Zeitschrift Kunstjahr für 2006 formuliert. Auch wenn es beim derzeitigen "Porno-Boom" in Kunst und Pop-Kultur wohl nicht um eine provokante Erweiterung des bürgerlichen Kunstkanons um sexuell aufgeladene Motive geht, sondern es sich um einen Reflex auf - mitunter um eine Reflexion über - die Begehrlichkeiten des Kunstmarktes handelt, haben Künstler/innen von Vanessa Beecroft, David LaChapelle und Jeff Koons über Richard Philipps, Richard Prince und Thomas Ruff bis hin zu Larry Clark, Tracey Emin und Andrea Fraser die Pornografie schon seit längerem als Feld entdeckt, in dem analytisch-kritische Distanz und affektive Involvierung auf Produzent/innen- wie Rezipient/innenseite zusammenkommen und verwertbar werden können."


Aus: "Vorwort" - [HEFT Nr. 64 / DEZEMBER 2006 "PORNO"]
von Diedrich Diederichsen / André Rottmann / Mirjam Thomann)
Quelle:  http://www.textezurkunst.de/



Textaris(txt*bot)

Quote[...] Im "Alternative Porno"-Bereich posieren schon seit Jahrzehnten Männer und Frauen, die gegen die Sex-Sehgewohnheiten verstoßen: Dünne, Dicke, Alte, Krumme und Schiefe, Zugepiercte und -tätowierte, Independent Girls and Boys und jede Menge Menschen von nebenan, auch Slacker, auch Rriot Girls, auch PoptheoretikerInnen. Man kann sie bei Bedarf ersurfen, als Fotobücher in unzähligen Verlagen kaufen, und die Handlungsbandbreite geht vom züchtigen Halbnacktfoto bis zum Hardcore-Film. Und es ist klar, dass man es nie allen Frauen recht machen kann, egal, ob sie sich auch mit Anfang 30 noch lieber "Mädchen" nennen und auf Stoner-Rock stehen, oder ob sie rundliche Endfünfziger-Hausfrauen in westfälischen Kleinstädten sind.

Die Vermutung bleibt allerdings, dass Frauen sich im Gegensatz zu Männern, denen - je nach Fantasiefreudigkeit - teilweise Bilder von nackten Damen schon für einen hübschen Abend reichen, in den seltensten Fällen nur mit einem Pimmelfoto ans Werk machen - bislang sind nicht nur sämtliche Heftprojekte gescheitert, die mit nackten Männern Leserinnen ziehen wollten, auch klicken laut Seitenbetreiberangaben Frauen jene schwulen Seiten selten an, auf denen muskulöse Solomänner an sich herumspielen, sondern beobachten - jedenfalls zu Handanlegungszwecken - doch lieber das gute alte Rein-raus-Spiel.

[...] Immerhin entsprechen die Fotos der Jungsheft-Jungs und Giddyheft-Mädchen tatsächlich den von den Macherinnen gestellten Anspruch an Natürlichkeit - im Gegensatz zu dem ebenfalls aktuell erschienenen Alley-Cat-Magazin. Doch der Spacken, der auf YouTube unter dem Pseudonym "Gulliver Ehrs" in einem Bett-Herumlümmel-Video das Giddyheft rezensiert (was lustig ist, wenn man das Original dieser Videoblog-Verballhornung kennt: Medienjournalist Oliver Gehrs kommentiert in seiner "berlinwatch"-Videorubrik regelmäßig den Spiegel), hat recht: Man weiß nicht, was sie einem sagen wollen.

[...] Den aktuellen Trend, sich mehr mit seiner Sexualität auseinanderzusetzen, erklärt Küper am Phänomen Dita von Teese, Burlesque-Tänzerin und Ex-Freundin von Marilyn Manson. Es imponiere einfach, wenn andere Frauen offen mit ihrer Sexualität umgehen, so die Chefredakteurin. An dieser Offenheit orientieren sich auch die Texte im Heft, die sich zum Glück nicht mit Umschreibungen aufhalten. "Schundromanbegriffe gibts bei uns nicht", sagt Ina Küper. Das Wort "Gemächt" sei albern, da fühle sich die Leserin verarscht. Das Kind wird also beim Namen genannt - in diesem Fall "Schwanz".




Aus: "Porno-Magazine für Frauen - Zwei Hefte für ein Halleluja" - Die Magazine "Alley Cat" und "Jungsheft" versuchen, "postfeministische" Erotik an die Frau zu bringen - und sind dabei weder originell noch gewagt. VON J. ZYLKA UND F. SEYBOLDT (11.06.2008)
Quelle: http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/zwei-hefte-fuer-ein-halleluja/


Textaris(txt*bot)

Quote[...]
mcnep schrieb am 27.3. 2007 um 13:46:16 Uhr zu
Pornosophie


Pornosophie ist mehr als ein stumpfsinniges Abfeiern von Fickreihen, das den Betrachter zu einem mechanisch agierenden Beobachter, einer Auge-Hand-Einheit degradiert: Die Pornosophie ist bestrebt, den künstlichen Dualismus zwischen Genitalapparat und Über-Ich mit dem Ziel einer rigiden Sexualisierung der Gesellschaft zu überwinden. Pornosophische Texte sind keine Handreichungen für Junggesellen, keine Fluchtburgen der Triebhaftigkeit, vielmehr geht es ihnen darum, der nachgerade lachhaften Versautheit der Individualexistenzen das wirkmächtige Pathos kollektiver Stimulanz entgegen zu stellen, um auf diesem Weg den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Impotenz zu ermöglichen.



Quelle: http://www.assoziations-blaster.de/info/Pornosophie.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Michael Pfister und Stefan Zweifel vermessen in ihrer von der Universität Zürich angenommenen Dissertation Pornosophie & Imachination die inneren Grenzen und Tiefenschichten des literarischen >Absolutums< de Sade und befragen es mit La Mettrie und Hegel, wobei sie in der Tradition der Pornosophie kein "Blatt vor den (Mutter-) Mund" (S. 10) nehmen.

In der "porneutischen Vorbemerkung", die diskret über Methode, Intention oder Zielsetzung der Verfasser schweigt, wird der Diskurs der Pornosophie als "Zwittergattung porno-philosophischer Bücher" (S. 9) genealogisiert, die aus der "gefährlichen Liebschaft" zwischen "philosophischer Hochaufklärung" und "erotischer Aufklärung von unten" (S. 10) hervorgegangen sei; aus der Kreuzung von Voltaires Dictionnaire philosophique mit Clelands Fanny Hill oder Rétif de la Bretonnes Pornographe mit Rousseaus Contrat Social. Der Höhepunkt des doppeldeutigen Genres der Pornosophie sei de Sades Hauptwerk Justine und Juliette 2, das Pfister / Zweifel als erste vollständige deutsche Edition in zehn Bänden neuübersetzt und herausgegeben haben.

Darin, so die Quintessenz der Herausgeber, "vervollkommnet Sade sein Weltverständnis, das auf kosmologischer Ebene die ewige Bewegung der Materie, auf der politischen die permanente Revolution der Gesellschaft und in individuell-moralischer Hinsicht die treibende Kraft der menschlichen Triebe zum Zentrum hat; alles in allem ein beinahe unentwirrbares Gespinst von Ratio und Eros." 3 Hinter dieser Hochzeit von Vulva und Geist – die es beide zu öffnen gelte – stecke die pornosophische Überzeugung, dass die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit durch die sexuelle Aufklärung vorbereitet werden müsse. Die kritische Stoßrichtung der Werke des Goldenen Zeitalters der Pornosophie (1650–1800) richte sich gegen Kirchenmoral und Obrigkeit, wobei die acht Jahre nach der Kritik der reinen Vernunft erscheinende Philosophie im Boudoir laut Lacan "die Wahrheit der Kritik" 4 ausspreche.

De Sade (1740–1814), so Pfister / Zweifel, treibe die Intellektualisierung der Erotik sowie die Erotisierung des Intellekts auf die Spitze und bringe den Phallo-Logozentrismus seiner Epoche in jenem Bild auf den Punkt, wo einer seiner Heldinnen ein Phallus im Gehirn wächst: "Ich ficke, also bin ich" (S. 10), lautet die Pop-Moderne Formel, bei der "die cartesianische Evidenzerfahrung ins Fleisch verlegt" wird. Dagegen scheint der kreative Gedankenstrom der Verfasser einem wilden Denken zu entspringen, das inhaltlich von der "Hirnbrünstigkeit der Aufklärung" über die "Schwelle der Moderne" zum "Gipfel der Negation" fließt, um gegen Ende ins "Reich der bösen Imagination" zu münden, wo sich das Subjekt schließlich auflöst.


Schon diese ersten "surmoralen" Gedankenstriche zeigen, dass Pfister / Zweifel de Sades karnevaleske Texte jenseits von Gut und Böse unterlaufen, übertönen, travestieren und ein provokatorisches Spiel mit ihnen treiben. Als Kronzeuge dient ihnen dabei de Sades "Lehrmeister" Julien Offray de La Mettrie (1709–1751), einer "der größten Materialisten aller Zeiten" (Max Horkheimer), der ebenso wie de Sade kein starres Gedankensystem proklamiert, sondern Denkexperimente am offenen Textkörper durchführt, so dass die Stil- und Philosophievielfalt dieser Autoren im Versuch alles zu sagen die Autorität der Vernunft untergräbt. In dem Moment, wo das Verschwiegene, Verdrängte, Hässliche, Ekelerregende und die tiefsten Abgründe der menschlichen Begierde an die Oberfläche des Bewusstseins kommen, "wird die enzyklopädische Vernunft von ihrem eigenen Wahnsinn erfasst..." (S. 16) und der Diskurs der Klassik gelangt an sein Ende. 5

Wurden La Mettries polyphone Texte in der ideengeschichtlichen Tradition bisher meist durch die Brille der Naturwissenschaften gelesen und als Anregungen für Marx und Engels interpretiert, so "erweitern" Pfister / Zweifel die verkürzte philosophische Lesart vom "Maschinenmenschen" um den Begriff der La Mettrieschen Imagination, die als "automatische" (selbstbewegte) Instanz, alle Geisteskräfte unter sich fasst und "ohne Kontrolle durch einen Maschinisten immer neue Vorstellungen und Ideen, Bilder und Maximen" fabriziert, "was in eine zunehmende Auflösung aller philosophischen Konzepte und natürlich der Moral mündet." (S. 21)

Schließt man dieses Konzept der Imagination mit de Sades "auf den ersten Blick rein mechanizistisch wirkender Erotik" (S. 21) kurz, entsteht eine "Doktrin der Imachination", in der das unbeherrschbare Spiel der Einbildungskraft die alles beherrschende kalte Vernunft zum schmelzen bringt. Ziel ist dabei nicht der Mensch als Maschine, sondern der erotische Textkörper, eine Textmaschine, die unsere Wahrnehmung erweitert und die Phantasie von den gesellschaftlichen Zwängen befreit.

Ebenso wie de Sades La Mettrie-Rezeption keine wissenschaftlich-objektive ist, scheint auch Pfister / Zweifels de Sade-Rezeption vom Lustprinzip geleitet, nur dass de Sades "récriture"-Strategie – das Um-, Ab- und Weiterschreiben fremder Texte in den eigenen – produktionsästhetische Spuren hinterlassen hat, denen die Verfasser nun nachspüren und die sie spielerisch (um-)zudeuten versuchen. Demnach sei es de Sades Eigenart gewesen, durch seinen einseitig-obsessiven Blick verborgene Tendenzen im Werk La Mettries aufzuspüren, diese durch manipulative Eingriffe zu verschärfen, um in einem obszönen Akt der Enthüllung zu zeigen, was hinter dessen Denken verborgen lag.

[...] Was der Pornosoph de Sade andererseits vom Erotiker La Mettrie gelernt habe, sei das kokette Spiel von Enthüllung und Verschleierung, denn – so zitiert de Sade La Mettrie – "vieles lässt sich trefflicher ausdrücken, indem man es verschweigt (schreibt la Métrie [sic] irgendwo); man reizt die Begierde, indem man die Neubegierde des Geistes auf einen teilweise verhüllten Gegenstand lenkt, dessen Geheimnis man nur erahnen kann, wiewohl man sich damit brüsten möchte, es zu lüften." 8 (S. 124)

[...] Im letzten Teil des Buches führt der "Widerstreit von Vernunft und Imagination" auf ästhetischer Ebene zur "Inthronisierung der Phantasie" (S. 167). Nach La Mettrie funktioniert die Imagination automatisch und fabriziert immer neue Vorstellungen, Ideen, Bilder und Maximen, was in einer zunehmenden Auflösung aller philosophischen Konzepte und der natürlichen Moral mündet. Sein Begriff der >machine<, den er zum Leitbegriff seiner polemischen Aufklärung macht, kommt – wie La Mettrie selbst – von der Medizin her und ist eine durchgängige Bezeichnung für den menschlichen Körper (S. 189), der aus selbsttätigen Binnenmaschinen zusammengesetzt ist und einer "Mechanik der Lust" unterliegt. De Sades
(Schreib-) Maschinenmetapher befeuert zudem die ungebundene Lust der freien Imagination, transformiert Sexualität in Schrift und erhitzt so die Gemüter.

Die spielerische Kopplung von Imagination und Maschine befreit den Menschen als >Imachination< aus der Welt der Tatschen, indem eine "absolute Poesie des Gehirns" (S. 173) erzeugt wird, die den Menschen gegen die Ideologie- und Religionsmaschinen schützt. Entsprechend wird in Juliette und Justine eine Gottesmaschine, die zur Verblendung der Menschen dient, in eine nützliche Orgienplanungsmaschine umfunktioniert. Im Reich der Imachination, in dem alles erlaubt ist und alles gesagt werden darf, besteht der "Sade-Effekt" 12 darin, die Text-Maschine darauf zu programmieren, alles zum Ausdruck zu bringen, um die vermeintlich gesicherten Überzeugungen und Wertsysteme des Lesers zu zerstören und das Subjekt zu spalten.

Die zeichensetzende Argumentations- und Todesmaschine begräbt den Leser unter der Textmasse und macht aus dem Roman ein Folterinstrument, das sich ins Gedächtnis einschreibt oder dessen Phantasien austreibt, so dass der Leser zum Komplizen des Bösen wird und sich (ihm) die Frage stellt, ob das Böse nur im Text oder auch in uns existiert. Gleichzeitig führt die Imachination in den (a)politischen Raum, wo sie, ohne Stellung zu beziehen, die Verabsolutierung einzelner Prinzipen negiert und für die Abschaffung aller Gesetze plädiert (bis auf eines, das vor den Repressionen des Staates schützt und dem Individuum erlaubt, seine Eigenheiten auszuleben). Da de Sade jedoch gleichzeitig alle Formen öffentlicher Gewalt karnevalistisch inszeniert, entlarvt er die Machtgelüste sexueller Triebe und verortet die Leidenschaft der politischen Haltung in der Triebstruktur des jeweiligen Anführers als "unumschränkte Befriedigung seiner Gelüste." 13 Die "Politik" de Sades entpuppt sich so in letzter Konsequenz als Politik der "crise" [14] (S. 84), die unmittelbar ins mediale "Theater des Terrorismus" [15] unserer Tage führt.

[...] Vielleicht lassen sich die postmodernen "Phänomene" des Sextourismus oder Ego-Shootings durch die de Sadeschen Skandaleffekte verbotener Gedanken und die Einblicke in die eigenen Abgründe besser verstehen. Da Michael Pfister und Stefan Zweifel selbst imachinativ argumentieren, verwandeln sie ihren Text in der Tradition Deleuze / Guattaris in eine autoerotische (Junggesellen-) Maschine, die den Erotiker La Mettrie und den Pornosophen de Sade mit dem etwas zu kurz kommenden Dialektiker Hegel verkuppelt. Dabei produzieren sie gleichzeitig kreative Konnexionen, die in anderen Medien münden, wie die anregenden Exkurse "König Ubu und der kategorische Imperativ zum Verbrechen" oder Pasolinis "Sodom"-Verfilmung zeigen.

Das Dialektische dieser Liebschaften spiegelt sich nicht nur in den Bezügen, Beziehungen und von den Verfassern inszenierten, argumentativen Stellungswechseln der Autoren untereinander wider, sondern manifestiert sich auch in der Lust der Verfasser am eigenen Text, die vor allem dem Objekt der zu untersuchenden Begierde (de Sade) entspringt.

Vielleicht gerade deshalb wird der Leser das Gefühl nicht los, dass es den Verfassern in Anlehnung an ihr Vorbild auch darum geht, "auf der Ebene der Phantasie möglichst ungesehene literarische Effekte zu erzielen", so dass weite Teile dieses philosophisch-erzählerischen Werks wie "ein wildes Gemengegelage und eine Huldigung an die Imachination des Maschinisten" (S. 27) erscheinen.

Dennoch ist dieses Buch aufgrund seiner gedanklichen Bandbreite und des kurzweiligen Stils nicht nur für den künstlerischen >Menschen in der Revolte< (S. 18) zu empfehlen, sondern auch für jene, die von den Rändern der Aufklärung ins Herz der Finsternis vordringen wollen, für Pornosophen und Pragmatiker, sowie alle Leser mit Lust am Text.

[...]


Aus: "Dialektische Liebschaften" (Von Thomas Willems, 17.03.2003)
Michael Pfister / Stefan Zweifel: Pornosophie & Imachination. Sade LaMettrie Hegel (Batterien; 68) München: Matthes & Seitz 2002. ISBN 3-88221-836-3.
Quelle: http://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=2498


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QuoteEine porneutische Vorbemerkung 7
I Surmoralismus 13
I. Die Hirnbrünstigkeit der Aufklärung 15
Sade auf der Schwelle zur Moderne 15
Sade, La Mettrie die schwarzen Schafe des Materialismus 19
Sade, La Mettrie, Diderot eine gefährliche »menage à trois. 27
Ästhetischer Surmoralismus 33
2. Frühreif im Bösen: Einführung in Sades Denkwelt 37
Sades Italienreise Spurenelemente des Monströsen 39
Die Idee des Bösen 42
Auf dem Gipfel der Negation 44
Die Welt als Würfelwurf 49
Mord in der Mitra 52
Der Vulvanus 57
3. Julien und Juliette oder Aufklärung und Moral 62
König Ubu und der kategorische Imperativ zum Verbrechen 72
Exkurs: Sade und Salò die Grenzen von Pasolinis Verfilmung 77
Politik als anarchische Orgiastik 83
I1 Pornosophie 91
4. Erotisierung des Textkörpers 93
Chivarusmarbarbarmavocsacromicrepanti 93
Exkurs: La Mettrie und Sade im Spannungsfeld
der Pornosophie 102:

>>Alles sagen<<. Justine und Juliette im Fluß der Sprache I 16

5. Schleiertänze der Ironie 1 2 2
Ökonomie des Striptease 122
Die Philosophie im Spiegelkabinett 126
Rhetorische Maskenspiele 128
Das zerrissene Bewußtsein 132
Selbstschöpfung und Selbstvernichtung 136
Allegorischer Totentanz 140
6. Die Dialektik des Sadomasochismus: Hege1 mit Sade 144
Herr und Knecht 144
Sade und Masoch 152

111 Imachination 165
7. Im Reich der bösen Imagination 167
Abschied vom Materialismus 167
Die Schriftzüge der Phantasie 170
Das Weltende in Kürze 176
8. Von Lust- und anderen Maschinen 182
Der Autor als Schreibmaschine 184
Der Mensch im Maschinenpark 187
Exkurs: Ontologie als Skatologie 192
Mechanik der Lust 201
Femme machine 206
Auflösung des Subjekts 2 1 1
9. Die Imachination der Wunschmaschinen 2 16
Das Erektil der Surrealisten 225
Die Junggesellenmaschine 229
Der Oulipoet 232
Die Brustwarze der Wunschmaschine 237

[...]


Aus dem Inhaltsverzeichnis von "Pornosophie Imachination Sade La Mettrie Hegel Matthes" Von  Michael Pfister/Stefan Zweifel

-

Quote[...]  Rezensionsnotiz zu [Pornosophie und Imachination: Sade, LaMettrie, Hegel - Matthes und Seitz, München 2002, ISBN 9783882218367, 283 Seiten] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2003
Konträr zu vielen Lesarten des 20. Jahrhunderts beschreibt Dietmar Dath den Marquis de Sade als "Sexualisierer des Schreibens" und nicht als "Denker des Sexuellen". Auch hierin liege die Unterscheidung zu zeitgenössischen Autoren des Pornografischen, angefangen von Michel Houellebeque, Lucius Shapard über Catherine Millet zu Paul DiFilippo, die je nach persönlicher Vorliebe und mehr oder weniger gelungener Emanzipation, sei es mit Hass, Kaltschnäuzigkeit oder völliger Asozialität "ihre Meinungen über die conditio humana einwickeln wie übelriechenden Fisch in Zeitungspapier". Im jetzt auf Deutsch vorliegenden Schlussteil des de Sade'schen Hauptwerkes "Justine und Juliette" sei - versteckt unter vielen anderen Stellen und Textorgien - Adornos zentraler Gedanke der "Dialektik der Aufklärung" schon vorweggenommen, nämlich verdichtet im de Sade'schen Satz: "Die Grausamkeit selber stellt lediglich die Verästelung der Feinfühligkeit dar, sage ich, und je stärker unsere Seelen von dieser letzteren durchdrungen sind, um so schlimmere Gemetzel verüben wir."

Der von Stefan Zweifel und Michael Pfister herausgegebene, akribische und ansprechend aufgemachte Begleitband zu "Justine und Juliette" mit dem Titel "Pornosophie & Imachination - Sade, La Mettrie, Hegel" enthält, so der Rezensent, "unzählige interessante Echos und Korrespondenzen" des hochbürgerlichen Denkens, führe aber genau mit dieser akademischen Methode in die Sackgasse. Denn ein Werk des Denkens seien die "Textorgien" de Sades nicht, und ihnen hinterher zu denken, wie dies im "wahnsinnigen 20. Jahrhundert" viele versucht hätten (z.B. Pasolini) führe zwangsläufig in die Irre. De Sades Ausleuchtungen des Menschen als Sexualwesen, erstmals losgelöst vom Biologischen, könne man eher in den Horrormeldungen der Boulevardblätter (wenn man das Moralin weglässt) aufscheinen sehen, oder bei einem Abend im Internet, als bei belesenster Erleuchtung.


Quelle: https://www.perlentaucher.de/buch/pornosophie-und-imachination-sade-la-mettrie-hegel.html (2003)

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Es ist eben auch für die abgebrühten Besucher eines Pornofilm-Kinos immer noch ein Skadalon, die Intimität eines filmerotischen Momentes mit Dritten zu teilen. Zu glauben, das Überspielen der eigenen Emotionen durch Coolness und/oder Lachen sei ein Privileg der Pubertierenden, ist angesichts von Sexualität grundfalsch. Ich will mich von dieser Erkenntnis auch gar nicht ausnehmen: Miriam und ich saßen ja direkt vor der Privatleben-Exhibitionistin und haben geschwiegen. Wir haben den Film nur an wenigen stellen im Flüsterton zueinander kommentiert und ihn - aus kühler filmwissenschaftlicher Distanz? - selbst in den Hardcore-Sequenzen "ernsthaft rezipiert". Diese Abgeklärtheit ist die andere Seite der Medaille.


Aus: "PFF: »Mein Freund fickt zum Glück besser!«" (Zum 3. PornFilmFestival, 23. Oktober 2008, 10:06 Uhr, Autor: Stefan Höltgen, in: Festival-Tagung-Messe, Filmtagebuch, Stimulationsraum)
Quelle: http://www.simulationsraum.de/blog/2008/10/23/%c2%bbmein-freund-fickt-zum-gluck-besser%c2%ab/
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Quote[...] Zuerst habe ich mir im Kino "Eiszeit" einen sehr instruktiven Vortrag von Stephan Wolf über die Frage das Privaten in der Pornografie gehört. Zentrale Thesen waren:

   1. Private Porn ist ein Widerspruch in sich. In dem Moment, wo eine Kamera oder ein Publikum anwesend sind, ändert sich das Verhalten des Gefilmten und wird "unprivat".
   
   2. Private Porn, wie sie auf Clip-Portalen wie Youporn, yutuvu und anderen gezeigt werden, verlieren ihren pornografischen "Wert" in dem Moment, wo das Gesicht der Protagonisten nicht zu sehen ist.

   3. Private Porn in der Art der Clips von "Beautiful Agony", in denen nur das Gesicht gezeigt wird, öffnet dem Fake Tür und Tor.

Die Gegenüberstellung von "Fake" und "authentisch" halte ich (natürlich) für etwas problematisch. Authentizität ist keine Eigenschaft des Bildinhaltes, sondern der Form in Verbindung mit der medienhistorischen Vorbildung des Zuschauers. Insofern war das letzte von Wolf herangezogene Filmbeispiel aus "Beautiful Agony" besonders interessant. Hatten sich die mir bekannten Clips der Seite zuvor darauf beschränkt, einzelne Frauen(gesichter) mit starrer Kamera in einer Plansequenz zu filmen, so hat das vorgeführte Beispiel drei Modelle gezeigt, dramaturgisch (im Hinblick auf ein Erreichen der "Klimax") montiert und mit Authentizitätsmarkern versehen: Hinter dem Körper derjenigen, die gerade im Bildvordergrund zu sehen ist, sieht man eine andere Protagonistin und die Kamera, die sie filmt. Zum Erreichen der Authentizitätssuggestion ist dabei sowohl die Montage als auch das filmische Beiwerk (Ton und Setting) entscheidend.

Als Gradmesser für Privatheit, wenngleich sie nach der ersten These sowieso unmöglich ist, die Betonung bestimmter "body parts" heranzuziehen, klang allerdings überaus plausibel für mich. Wolf leitete das aus der Frühgeschichte des Films her und verwies auf den kurzen Film "The Kiss" von 1896, in welchem der Kuss als damals größtmögliche Abbildung des Privaten auf das Gesicht konzentriert ist und in Großaufnahme gezeigt wird.

Vielleicht erklärt sich damit auch die seltsame Faszination, die Bukake-Aufnahmen im Pornofilm haben, weil sie die für die Pornografie konstitutiven "body parts" miteinander in einem Bild kombinieren. Ich erinnere mich, dass in der Videothek in Jena, in der ich Mitglied war, der mit Abstand am häufigsten Verliehene Film ein Porno war, auf dessen Cover nichts anderes als ein mit Sperma übersätes Gesicht war. Auf der Rückseite waren dann ausschließlich ähnliche Screenshots. In Anbetracht der landläufigen Annahme, dass es der nackte weibliche Körper sei, der pornografisches Interesse auslöst, hat den Videothekar und mich schon damals das empirische Gegenteil überrascht.


Aus: "PFF: Selfploitation" (24. Oktober 2008, 09:57 Uhr, Autor: Stefan Höltgen, in: Festival-Tagung-Messe, Stimulationsraum)
Quelle: http://www.simulationsraum.de/blog/2008/10/24/pff-selfploitation/

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Quote[...] Ich habe dann noch ein paar Fragen zur Produktion von "Happy Video Privat" gestellt, die mir vor allem den Hintergrund des "Privaten" etwas verdeutlichen sollten. Erfahren habe ich, dass die Wohnungen der Darsteller so gut wie nicht umgeräumt wurden für die Filmaufnahmen. Kunstlicht sei nur äußerst selten verwendet worden. Am stärksten hat sich der filmische Prozess in der Postproduktion auf das Material eingewirkt: Was man in den einzelnen Folgen sieht, ist ein (pornografisch montierter!) Zusammenschnitt aus etwa 60 Minuten Rohmaterial. Mag sein, dass Pornografie beim Filmen nicht die Intention gewesen ist - am Schneidetisch entsteht sie jedoch unweigerlich. Das Rohmaterial ist bestimmt durch seinen (quasi) dokumentarischen Charakter und Einstellungen, die die Unsicherheit und die Fragen der Protagonisten wiedergeben. So etwas gehört aber nicht in einen Pornofilm.

Interessant waren dann auch noch die Erläuterungen über die Vorgespräche und das Verhalten der Darsteller im Angesicht der Kamera (man erinnere sich an den vorherigen Bei-/Vortrag über Privacy and Porn). Während in den Interviewszenen die Technik schnell vergessen war, hat sie in den Fickszenen zu erhöhter Unsicherheit und Angst bei den Darstellern geführt. Die Kamera wurde zu einem nunmehr aktiven Beobachter (klar, Nah- und Detailaufnahmen kann man als Gefilmter wohl nur schwer ignorieren). Als Reaktion hierauf begannen die Darsteller sich wie Porno-Schauspieler zu verhalten. Sie wurden schnell und hektisch und haben ihren Auftritt dann teilweise sogar an erlernten pornografischen Sequenzen orientiert (Stellungswechsel, besondere Praktiken etc.) Wenn das kein schöner Beleg für die sexual-konstruktivistische Macht von Pornografie ist ...


Aus: "PFF: »Das ist so erfolgreich, weil es so ungeil ist.«" (24. Oktober 2008, 10:34 Uhr, Autor: Stefan Höltgen, in: Festival-Tagung-Messe, Stimulationsraum)
Film & Diskussion: Harry S. Morgan "Happy Video Privat"
Quelle: http://www.simulationsraum.de/blog/2008/10/24/pff-%c2%bbdas-ist-so-erfolgreich-weil-es-so-ungeil-ist%c2%ab/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] "One natural hypothesis is something like repression: if you're told you can't have this, then you want it more," Edelman says.


Quote
Bullshit

Sat Feb 28 02:26:29 GMT 2009 by Chuck Bronson

I'm in the middle of the bible belt and I'm a conservative and I watch porn all the time. Who cares? Does watching porn make you evil? Do all conservatives hate porn? Is there something I'm missing here? Not all conservatives are religious types, and not all religious types are anti-porn.


Quote
And Your Point Is?

Sun Mar 01 04:22:42 GMT 2009 by Lisa Bennett

Were you implying something about conservatives? Hmmmm? Because most porn is used by men, rather than women. If we're going to discuss pornagraphy and those who have a predeliction to it, and what that means about their "morality", let's discuss why men seem to be the overwhelming majority of consumers. Why stop at "conservatives"?

Thank you.


Quote
Conservatives Are Stupid

Sat Feb 28 23:41:58 GMT 2009 by Paul

Who pays for porn? Seriously?


Quote
How Vague

Sat Feb 28 19:18:07 GMT 2009 by j

I'm an opened minded conservative. I visit this site & other science/intelligent sites several times a day but if I keep seeing this kind of abstract extrapolation...I'm done. What a stretch! Callaway crawl back under your rock or learn how to connect the dots with empirical data


Quote
This Is True

Sat Feb 28 18:36:41 GMT 2009 by a. w.

i work in a call center for the nations largest mail-order adult catalog and i gotta say this is true. i get the most calls and orders from the traditionally conservative states.

and surprisingly, the older white southern males (50 years +) purchase the most gay porn and they love the interracial black guy/white girl movies eventhough i venture to guess they would NEVER admit it.



read all 192 comments (01.03.2009)


From: "Porn in the USA: Conservatives are biggest consumers" by Ewen Callaway (27 February 2009)
Source: http://www.newscientist.com/article/dn16680-porn-in-the-usa-conservatives-are-biggest-consumers.html

Journal reference: Journal of Economic Perspectives  vol 23, p 209 (pdf)
http://people.hbs.edu/bedelman/papers/redlightstates.pdf



Textaris(txt*bot)

Quote[...] The Wallpaper July Issue is devoted to sex


Wallpaper Sex Issue
http://blog.robbiecooper.org/2009/06/12/wallpaper-sex-issue/

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Orgasm Faces: Immersion: Porn Brings Voyeurism To The Fore
Robbie Cooper's film of young adults discussing (and demonstrating) their love of pornography
By Anna, 2:40 PM on Fri Jun 12 2009, 26,331 views
http://jezebel.com/5288494/orgasm-faces-immersion-porn-brings-voyeurism-to-the-fore


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http://www.wallpaper.com/art/video-robbie-cooper-sex-sighs--videotape/3453


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Quote[...] Pornos sind auch was für Frauen und müssen nicht sexistisch sein - davon sind die Veranstalterinnen des "PorYes" überzeugt, des "ersten feministischen Pornofilmpreises Europas". Am Samstag wird er in Berlin verliehen. "Die Zeit ist reif für so etwas, weil die Nachfrage nach Pornos sowohl bei Frauen als auch bei Männern größer geworden ist", sagt Organisatorin Laura Meritt. Der Titel "PorYes" ist eine Anspielung auf Alice Schwarzers Kampagne "PorNo" gegen pornografische Filme.

Riesenbrüste und nur die Männer in Ekstase - das soll bei dem neuen Preis anders sein. Mit der "Auster"-Trophäe sollen Filme gewürdigt werden, bei denen weibliche Lust, die Vielfalt bei Sexualität, Körpertypen, Alter und Herkunft der Darsteller nicht zu kurz kommen. Auch ob Frauen hinter der Kamera stehen, spielt eine Rolle für die international besetzte Jury.

Porno-Pionierinnen wie Annie Sprinkle, Candida Royalle und Maria Beatty werden für ihr Lebenswerk geehrt. Außerdem gibt es einen Überraschungspreis, kündigt Meritt an. Ganz so streng sind die Fronten in der Porno-Debatte nicht - im Publikum sind auch Leserinnen der feministischem Zeitschrift "Emma". Alice Schwarzer sei eingeladen, sagt Meritt. "Mal sehen, ob sie kommt."

Meritt ist Kommunikationswissenschafterin und führt ein Geschäft für Sexspielzeug. Außerdem ist sie Gastgeberin eines Salons. Den "PorYes"-Abend in den Hackeschen Höfen moderiert Filmemacherin Margaret von Schiller.

Wer noch mehr Aufklärung zum Thema wünscht, wird auf der Internetseite des Preises fündig. Auf die Frage, wo die Männer bleiben, heißt es, auch diese hätten es satt, immer "die gleichen langweiligen Einweg-Pornos" vorgesetzt zu bekommen. Alle sollen dazu angeregt werden, sich "ganzheitlich schön" zu fühlen. "Wir brauchen keine XXL-Genitalien, Waschbrettbäuche oder Wespen-Taillen."

Auch ein anderes Frauenbild ist bei "PorYes" wichtig. "In herkömmlichen Pornos sehen die Frauen meist abgekämpft und fertig aus, als ob sie aus einem Krisengebiet kommen, was ja meistens auch so ist."

Als Angriff auf Schwarzers "PorNo"-Kampagne ist die Aktion nicht gemeint, wie die Organisatorin betont. Im Gegenteil: Sie unterstütze die Kampagne und richte sich gegen Diskriminierungen, sexistische und rassistische Darstellungen und die "Pornografisierung" im Alltag, sagt Meritt.

(APA)


Aus: "Berlin: Feministischer Porno-Preis wird vergeben"
16.10.2009  (DiePresse.com)
Quelle: http://diepresse.com/home/panorama/skurriles/515476/index.do


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monochrom und die Zukunft des Porno / Berlin
Podiumsdiskussion mit Johannes Grenzfurthner (monochrom), Rose White, Ella Saitta, Aaron "SFSlim" Muszalski @ C-Base Berlin, 29. Dezember 2009; 21 Uhr.

    If you ask mainstream pornographers what their vision of the future is, it involves cracking down on piracy making more money re-selling the same generic products in new formats. What about independent pornographers with an eye on longtail markets who are focused on creating "weird" products that most people don't want to buy? Or consumers who are seeking porn to cater to their special interests not covered in mainstream heteronormative porn? Or people who prefer porn and Real Dolls to sexual involvement with other humans? And, what of the future of computer-generated porn? While the major adult companies are still trying to figure out why people aren't buying as many $45 DVDs as they used to, more and more niche pornographers, artists, merchants, and performers are popping up to create offbeat erotic entertainment with a small, but enthusiastic fanbase. Join these nerdy perverts for a discussion on the many directions in which the future of porn is really headed.



[gepostet von johannes, 12/22/2009]



Quelle: http://www.monochrom.at/info-monochrom/2009_12_01_archiv.html#7296911910963031238


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Quote[...] Sasha Grey, 21, ist in der US-amerikanischen Porno-Branche einer der größten Stars. Über das nicht jugendfreie Genre hinaus etablierte sich die als Marina Hantzis in Sacramento, Kalifornien, geborene Grey inzwischen als Schauspielerin, Model und Musikerin.

"9 to 5 - Days in Porn", ein Dokumentarfilm über die Porno-Industrie der USA von Jens Hoffmann, porträtiert auch Sasha Grey. In Steven Soderberghs "The Girlfriend Experience" spielt sie die Hauptrolle. In den USA wurde der Film von der Kritik positiv besprochen, verschwand aber schnell wieder aus den Kinos. Einen Termin für den deutschen Kinostart gibt es bisher nicht.

Talkmasterin Tyra Banks konnte ihren Frust irgendwann nicht mehr verbergen. Ihr Gast, die damals 18 Jahre alte Sasha Grey, weigerte sich beharrlich, die Rolle zu spielen, die Banks ihr zugedacht hatte. "Eines Tages", redete Banks schließlich wie ein evangelikaler Prediger auf die mit rosarotem Strick-Pulli und streng zurückgekämmtem Haar züchtig zurechtgemachte Grey ein, "wirst du deine Seele befragen und den wahren Grund dafür heraus bekommen, warum du das tust."

Grey rollte nur still mit den Augen. Schließlich hatte sie die Frage von Banks ja schon längst beantwortet. Sie mache Porno, weil es sich gut anfühle, hatte sie gesagt. Und nein, sie sei nicht missbraucht worden als Kind. Dem Klischee, dass junge Mädchen ins Porno-Geschäft rutschen, weil sie traumatisiert sind, dass sie Opfer auf einem selbstzerstörerischen Weg sind und wieder auf die rechte Bahn gebracht werden müssen, mochte Sasha Grey unter keinen Umständen entsprechen.

Marina Hantzis alias Sasha Grey, mittlerweile 21 Jahre alt, macht Porno, weil sie das will. Sie will das offenbar so sehr, dass sie ihre Pornokarriere einer Hollywood-Karriere vorzieht: Es müsse schon eine ganz besondere Rolle sein, sagt sie, damit sie sich dazu überreden lasse, in einem Mainstream-Film mitzuspielen.

Alleine die Tatsache, dass Sasha Grey die Wahl hat, in die jugendfreie Unterhaltungsbranche zu wechseln, hebt sie von den Tausenden junger Frauen ab, die jedes Jahr ins kalifornische San Fernando Valley strömen - das Hollywood der US-Pornoindustrie. Nicht einmal dem unangefochtenen Superstar der Szene, Jenna Jameson, ist das gelungen. Grey hingegen fliegen die Angebote nur so zu - und das nicht erst, seitdem sie in diesem Frühjahr in "The Girlfriend Experience" von Independent-Kultregisseur Steven Soderbergh eine New Yorker Edelprostituierte spielte.

Die Rolle hat Sasha Grey ihrer Komplexität wegen angenommen, sagt sie, als künstlerische Herausforderung. Überhaupt, sagt Sasha Grey, habe sie trotz ihrer bruchstückhaften Schulbildung im Proleten-Distrikt von Sacramento, North Highland, einen ausgesuchten Geschmack. Zu ihren Lieblingsregisseuren gehören Jean Luc Godard und Michelangelo Antonioni, auf ihrem Nachttisch liegen Bücher von Hunter S. Thompson und Thomas Pynchon. Und tatsächlich - so viel Klischee muss sein - ist sie für eine 21-jährige Pornodarstellerin aus prekären Verhältnissen verblüffend klug. Sie philosophiert in Interviews ebenso beredt über die Kommodifizierung sämtlicher Lebenszusammenhänge, etwa die Privatisierung des öffentlichen Raums, wie über die verschwimmenden Grenzen zwischen Porno und Pop.

Aber Sasha Grey ist nicht nur deswegen der aktuelle Liebling amerikanischer Intellektueller. Es ist ihre schnelle, dynamische Karriere. Mit nicht einmal 18 entschied Sasha Grey sich gezielt für ihre Porno-Karriere und verfolgte diesen Berufsweg mit ungewöhnlicher Systematik. Sie suchte sich den besten Agenten, schrieb eine Bewerbung, in der sie routiniert im Branchenslang ihre Einsatzgebiete aufzählte - Blow Job, Mädchen auf Mädchen, Mädchen auf Junge, anal, doppelte Penetration, doppelt vaginal, doppelt anal und Gang Bang -, und sie hatte eine voll ausgearbeitete Strategie der Selbstvermarktung. Ihr Branding war die Rolle des jungen, scheinbar unschuldigen Mädchens, das im Bett jedoch so hart und pervers sein konnte, dass es selbst abgebrühten männlichen Kollegen bisweilen die Sprache verschlug. "Ekelhaft, laut und schmutzig - das will ich auf der Leinwand sein, deshalb bin ich in diesem Geschäft", sagt Grey.

Schockierend und zugleich faszinierend ist aber nicht in erster Linie, dass sie es vor der Kamera mit 15 Männern gleichzeitig treibt oder sich ihre Schamlippen mit Elektroschocks traktieren lässt, sondern dass sie die Mechanismen der Porno-Industrie so klar, fast emotionslos durchschaut. Sie habe schon mit elf im Internet Pornos studiert, die Posen, die Rollen, die Genres, erzählt sie. Mit 17 war sie dann bereit, einzusteigen. Und so hat Sasha Grey vom ersten Tag an den Spieß umgedreht und die vermeintlich ausbeuterische Branche für ihre Ziele ausgenutzt. "Empowering" - ermächtigend findet sie das.

Für Grey ist das Sex-Geschäft nur ein Zweig der Unterhaltungsbranche wie jeder andere auch. Die Art, wie sie ihre nächsten beruflichen Ziele formuliert, untermauert das: Sie will eine eigene Porno-Produktionsfirma leiten, ein Buch über Sex und Philosophie schreiben, mit ihrer Band "ATelecine" ein Album aufnehmen. Es ist eine vielleicht bald typische Multimedienlaufbahn einer hochbegabten digitalen Autodidaktin.

Für Hüter kleinbürgerlicher Sittlichkeits-Normen wie Tyra Banks ist das schlicht: abartig. Steven Soderbergh hingegen glaubt, Sasha sei eine "brandneue Spezies". ...


Aus: "Ekelhaft, schmutzig und klug" Von Sebastian Moll (27. Juli 2009)
Quelle: http://www.fr-online.de/panorama/pornostar-sasha-grey-ekelhaft--schmutzig-und-klug,1472782,3266094.html

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Quote[...] SPIEGEL ONLINE: Stimmt es, dass Sie Ihre Karriere in der Pornoindustrie als Teenager sorgfältig planten, um mit 18 loszulegen?

Grey: Sieben Monate vor meinem 18. Geburtstag begann ich, die Details dieser Industrie zu recherchieren. Ich hatte die Highschool beendet, war im College und jobbte in einem Steakhouse als Kellnerin. Dort wurde mir meine Wirkung auf Männer bewusst, weil ich viel mehr Trinkgeld als alle meine Kollegen bekam. Es war bizarr, ich war nicht stolz darauf, aber ich registrierte, dass es so ist. Ich studierte dann Interviews mit Pornodarstellern. Zu einer von ihnen nahm ich über MySpace Kontakt auf und fragte sie aus: Wieviel verdient man als Frau in einem Film? Wie oft wird man gebucht? Was wird erwartet? Ich machte mir Listen mit den Pros und Contras, in einem Porno mitzumachen. Die Pros überwogen, und als ich 7000 Dollar zusammen hatte, ging ich nach L.A. und versuchte mein Glück.

SPIEGEL ONLINE: Was reizte einen Teenager aus geordneten Verhältnissen mit Schulabschluss ausgerechnet an der Pornoindustrie?

Grey: Ich passe nicht ins Klischee: Ich hatte nie ein Drogenproblem, keine familiären Dramen und bin auch nicht dumm. Das Bild weiblicher Pornodarstellerinnen ist meistens stereotyp und falsch. Pornos faszinierten mich schon lange. Das begann, als ich 16 war und meine Jungfräulichkeit verlor. Im Zeitalter des Internets war der Zugang zu Pornos problemlos geworden. Ich schaute mit Freunden aus Neugier einige Filme und war beeindruckt. Ich habe mich als Mädchen lange für meine sexuellen Gefühle geschämt. Der erste Sex änderte das.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Grey: Es war, als ob eine Lampe in meinem Kopf angeht, als mir klar wurde, dass Sex tatsächlich Spaß macht. Ich fragte mich, wofür ich mich so lange geschämt habe. Bald konsumierte ich sehr viele Pornos. Einerseits machte mich das an, andererseits realisierte ich auch, wie öde diese Filme sind, dass da etwas fehlte, um sie wirklich spannend zu machen. Mein Plan war, diese Lücke zu schließen.

SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie diese Lücke beschreiben?

Grey: Das ist schwierig in Worte zu fassen. Pornos sind zweckgebunden, sie zeigen was die Konsumenten sehen wollen. Ich fand aber, dass die Umsetzung phantasievoller sein könnte. Ich behaupte sogar, dass in Pornos Raum für Kunst ist.

SPIEGEL ONLINE: Nehmen wir das mal an, aber: Wollen Pornofans Kunst?

Grey: Natürlich nicht, das ist ihnen völlig egal. Wer Pornos anschaut, will immer nur schnelle Befriedigung, das ist auch mir klar. Aber man kann dem Publikum die Kunst ja aufdrängen, denn zuschauen tun sie ohnehin. Und diese Kunst wollte ich beisteuern. Ich wollte außerdem Frauen vermitteln, dass sie sich nicht für ihre Sexualität schämen müssen.

SPIEGEL ONLINE: Entschuldigung, wir verstehen leider immer noch nicht, worin Ihre Pornokunst besteht.

Grey: Sie besteht darin, dass ich als Person, Mensch und Charakter in einem Pornofilm wahrgenommen werde. Das erreichte ich zum Beispiel, indem ich immer direkt in die Kamera sprach, was mir gerade durch den Kopf ging. Ich durchbrach, was in der Theaterwelt die "Vierte Wand" genannt wird, was bedeutet, dass ich einer imaginären Handlung einen Hauch Realität verpasste. Dadurch irritierte ich die Zuschauer, die an dezent stöhnende Frauen gewöhnt waren. Die Idee war, dass Männer, wenn sie befriedigt sind und ihren Computer ausschalten, immer noch darüber grübeln sollen, was ich ihnen da eigentlich vorgeführt habe.

SPIEGEL ONLINE: Unterschieden sich Ihre Auftritte denn so sehr von denen Ihrer Kolleginnen?

Grey: Oh ja! Die meisten Frauen lassen in Pornos alles wortlos über sich ergehen und das habe ich immer gehasst. Die Rollen in Pornos waren klar verteilt: Der super-maskuline Typ beglückt die dankbar schweigenden Frauen. Mein Plan war, die männlichen Darsteller zu verunsichern, ihre Maskulinität klein zu reden während der Aufnahmen.

SPIEGEL ONLINE: Das bereitete Ihnen keine Probleme bei den Dreharbeiten?

Grey: Viele Männer waren geschockt. Sie waren es gewohnt, vor der Kamera die Kontrolle bei einer Sexszene zu haben. Das verweigerte ich und übernahm, wann immer es ging, die Führung. Das war für viele Männer schwer zu akzeptieren. Glauben Sie mir, das war ganz einfach, weil ich unerwartet eine Routine durchbrach. Außerdem war ich physisch und verbal bereit, Dinge zu tun, vor denen selbst viele Männer zurückschrecken. Das war der Reiz.

SPIEGEL ONLINE: Sie müssen der Albtraum vieler Pornoregisseure gewesen sein.

Grey: Das war ich. Aber ich war ja sehr populär, deshalb mussten sie mich buchen. Ich wusste, was mein Name wert ist, und das machte ich zur Not auch deutlich. Filme sind immer ein Kräftemessen zwischen Darstellern und Regisseuren, und ich war gewohnt, zu gewinnen. Kontrolle ist alles, besonders bei Pornos.

... SPIEGEL ONLINE: Kann man behaupten, dass Pornos mittlerweile ein akzeptierter Teil der Unterhaltungskultur sind?

Grey: Das ist wohl so. Das liegt aber vor allem daran, dass jeder mit einem Computer heute mit wenigen Klicks alles zu sehen kriegt, wovon früher nur phantasiert wurde. Aber viele Menschen fühlen sich immer noch von Pornos bedroht. Zwischen der Sexualität in großen Kinofilmen oder Werbung und der Pornografie verläuft immer noch eine feine Grenze. Viele Erwachsene spielen mit Pornomotiven in Kunst und Unterhaltung, sind aber entsetzt, wenn sie tatsächlich einen sehen. Sexuell gesehen ist unsere Gesellschaft noch entsetzlich verklemmt. Das Unbekannte macht vielen Angst. Und das ist andererseits der beständige Reiz von Pornos: das ewige Tabu!

SPIEGEL ONLINE: Bekommen Heranwachsende, die viele Pornos im Internet sehen, nicht ein groteskes Bild von Sexualität?

Grey: Nicht nur Teenager, auch Erwachsene! Viele Männer und Frauen denken, was sie da sehen, müssten sie im eigenen Bett auch leisten. Was natürlich großer Quatsch ist. Aber es ist auch eine selten ausgesprochene Wahrheit, dass gar nicht so wenige Menschen gern mal Dinge ausprobieren würden, die sie in Pornos sehen. Sie trauen sich aber nicht, das auszuleben.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind in diesem Frühjahr aus der Pornoindustrie ausgestiegen. Warum?

Grey: Ich hatte schon länger keine Lust mehr. Ich hatte alles erlebt, wiederholte mich nur noch. Und weil in letzter Zeit immer mehr Angebote für Rollen in regulären Filmen und TV-Serien kamen, machte ich Schluss.

SPIEGEL ONLINE: Vermissen Sie etwas von ihrem Pornoalltag?

Grey: Das Absurde! Das habe ich meistens geliebt. Teilweise sogar den Sex, ich habe da viel gelernt. Aber vor allem vermisse ich die Sicherheit. Ich hatte ein festes Einkommen, feste Arbeitspläne. Das ist alles weg. Jetzt fange ich mit 23 noch mal von vorne an.



Aus: ""Ich wollte die Männer verunsichern"" Das Interview führte Christoph Dallach (13.10.2011)
Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ex-pornostar-sasha-grey-ich-wollte-die-maenner-verunsichern-a-791470.html

http://en.wikipedia.org/wiki/Sasha_Grey



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Quote[...] Es ist eng und stickig im Kreuzberger Kinosaal, Helfer schleppen Bierbänke herbei, auf denen man sich den Hals verrenkt, wenn man auf die Leinwand blickt. Als alle endlich sitzen, steht ein kleiner Mann mit weißem Bart auf und sagt: "Meinen Film vor einem Publikum wie euch zu zeigen, das war in den Siebzigern nicht möglich." Frauen und Männer, die sich nebeneinander im Halbdunkel einen Pornofilm anschauen, einen schwulen noch dazu. "Die Kinobesitzer hatten wahnsinnige Angst, dass sich jemand anfassen könnte. In den Kinos war es damals so hell, dass man Zeitung lesen konnte."

Der kleine Mann heißt Wakefield Poole und hat 1971 die Pornografie revolutioniert. Sein Film Boys in the Sand, der im Anschluss an Pooles kleine Ansprache auf dem Porn-Filmfestival in Berlin-Kreuzberg gezeigt wird, war ein Jahr vor dem Kassenschlager Deep Throat der erste pornografische Film, der in öffentlichen Kinos in den USA lief. Boys wurde in der New York Times rezensiert, und plötzlich war es angesagt, in einem der großen Broadway-Paläste einen Pornofilm zu sehen. Das Jahrzehnt des "Porno Chic" hatte begonnen.

Im Moviemento-Kino ist dieser Hype in diesen Tagen wieder ein wenig spürbar. Die meisten Vorführungen sind bis auf den letzten Platz belegt, an der Bar liegen Nachrücker-Listen aus. Selbst die Organisatoren des Porn-Filmfestivals, das sich gerade in der siebten Auflage befindet und mittlerweile weltweit bekannt ist, haben mit solchem Andrang nicht gerechnet. Eilig kündigen sie zusätzliche Vorführtermine an.

... Es mag mit der großen Retrospektive zusammenhängen, die die Menschen ins Moviemento lockt. In diesem Jahr zeigt das Festival zum ersten Mal die Klassiker des Porno Chic. Die verspielten Epen von Radley Metzger sind darunter, Georgina Spelvin verzaubert noch einmal in der Vorhölle von The Devil in Miss Jones (1973), und natürlich geht nichts ohne Behind the Green Door (1972) von den Mitchell-Brüdern. Die Bilder zeigen – was den Sex angeht – ungefähr das, was auch heute als pornografisch gilt, sieht man einmal von dem etwas angestaubten Soundtrack ab.

Faszinierend an diesen Filmen, die man heute oft nur noch in gut sortierten Videotheken findet, ist aber vor allem ihre Unbeschwertheit. In den Filmen sucht eine muntere Generation mit der Kamera nach sexueller Freiheit und bleibt sich gleichzeitig sichtlich der Utopie dieses Unterfangens bewusst. Was Retro-Pornos von den neueren Produktionen des Festivals unterscheidet, ist, dass sie noch nicht gegen einen Mainstream ankämpfen. Sie leiten diesen ja selbst erst ein.

... Mit den Retro-Pornos kehrt auf dem Festival aber vor allem ein Phänomen zurück: das öffentliche Schauen. Das ist insofern erstaunlich, als dass die Pornografie einer bestimmten Epoche normalerweise mit den Medien ihrer Zeit verschmolzen ist. In den 1920er und 1930er Jahren waren Pornos ohne Ton in Endlosschleife in Bordellen zu sehen. Sie sollten Kunden anregen, mit einer Prostituierten im Hinterzimmer zu verschwinden. In den 1970er Jahren wurden Pornos geselliger, man ging als Paar oder mit Freunden ins Kino. In den 1980ern, als die Videorekorder und noch später die DVD-Player kamen, wanderte der Porno ins Wohnzimmer. Mit dem Internet wurden sie schließlich überall verfügbar.

Jetzt sind die Pornos zurück auf der Leinwand, obwohl gerade eher Einzelbildschirme regieren. Nicht alle Pornos natürlich – die Mehrzahl läuft in einschlägigen Internetportalen. Aber der Ansturm auf das Porn-Filmfestival zeigt eine Sehnsucht nach dem gemeinsamen Erleben von Pornografie.

Damit stellt sich erneut die Frage, was eigentlich beim Pornogucken im Kollektiv passiert? Wakefield Poole hat bei seinem Kommentar zum grellen Licht in den Kinosälen der Siebziger auch an die Unsicherheit erinnert, die angesichts öffentlicher Pornovorführungen herrscht: Hat die Sitznachbarin ihre Hände noch auf der Lehne liegen? Bricht eine Orgie los? Oder ist das Gestöhne da vorne allen peinlich? Wie lässt sich die körperliche Lust und die gleichzeitige eintretende Stille ertragen, wenn in 100-facher Vergrößerung auf der Leinwand ein Penis in einem Mund verschwindet?

Im Moviemento passiert erst einmal – nichts. Vielleicht starren alle noch ein bisschen angestrengter nach vorne, zur Seite guckt man jedenfalls nicht. Es ist verrückt: Im Film wird geleckt, gestreichelt, gestöhnt. Wer allein ist, weiß, wie er sich zu solchen Szenen verhalten kann. Masturbieren oder vorspulen, so einfach ist das. Sitzen im Dunkeln weitere 70 Menschen, gestaltet sich die Situation wesentlich komplizierter. Ein öffentliches Pornoereignis gleicht in dieser Hinsicht eher einer Mutprobe: Irgendwie sind alle gekommen, um etwas Gewagtes sehen. Und um dabei gesehen zu werden. Zwischenzeitlich wäre man dann aber doch lieber allein.

In diesem kollektiven Dilemma liegt der eigentliche Genuss des Pornokinos. ...




Aus: "Filmfestival in Berlin - Pornogucken im Kollektiv" Sarah Schaschek (29.10.2012)
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/film/2012-10/pornfilm-festival-2/


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Quote[...] Patrick Catuz beschreibt in seinem Buch mit dem sprechenden Namen Feminismus fickt! (Lit Verlag) die sich wandelnde Beziehung von Feminismus und Pornografie.

... Das genaue Hinsehen fällt vielen offenbar schwer.

Patrick Catuz: Ja, ich kann auch verstehen, dass Leute überwältigt sind von der rohen Art mancher Produktionen oder von der Flut an Bildern expliziter Nacktheit. Man kann sich durchaus schwer damit tun, überhaupt hinzusehen oder sich darüber hinaus noch damit zu beschäftigen. Es gehört auch Überwindung dazu, sich nicht gänzlich von der eigenen Erfahrung zu distanzieren, sondern sich selbst und seine möglichen körperlichen Reaktionen zu reflektieren. Das ist vielleicht auch nicht immer angenehm, wenn man sich körperlich von einem Porno angesprochen fühlt, den man aus intellektuellen Gründen eher ablehnen würde. Mir fällt dazu ein guter Aufsatztitel der feministischen Soziologin Frigga Haug ein: Als ich einen Film genoss, den ich schlecht fand. Die Formulierung bezog sich zwar auf einen Liebesfilm, ist aber auch für den Porno anwendbar.

...


Aus: ",,Es gibt mehr als Cum Shots"" Verena Reygers (05.03.2014)
Quelle: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/es-gibt-mehr-als-cum-shots

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Quote[...] Für die Fußballnationalmannschaft lassen die Deutschen sogar ihre liebsten Porno-Websites stehen. Mit Anpfiff des WM-Vorrundenspiels gegen Portugal sackte bei YouPorn der Besucherverkehr aus Deutschland um mehr als 60 Prozent gegenüber dem tagesüblichen Durchschnitt ab. In der Partie gegen Ghana lag das Minus zeitweise bei gut 50 Prozent, wie eine Auswertung des Portalbetreibers MindGeek auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE zeigt.

"Die WM läuft und die Deutschen kleben vor ihren Fernsehern, statt YouPorn zu schauen", kommentierte MindGeek die Zahlen. Auch beim Gegner hielten sich die Pornofans während der Matches merklich zurück: In Portugal sackte der Verkehr um 40 Prozent ab, in Ghana um etwa 45 Prozent.

An einem normalen Tag besuchen laut MindGeek rund 20 Millionen Menschen weltweit YouPorn; im Schnitt bleiben sie für acht Minuten und 56 Sekunden auf der Seite. 2012 erhielt das Portal 575 Millionen Visits aus der Bundesrepublik, damit waren die Deutschen die zweiteifrigsten Konsumenten hinter den US-Amerikanern. Sie verweilen aber nur acht Minuten und 39 Sekunden bei YouPorn.

Ihr Verhalten nach Abpfiff wird offensichtlich vom Spielausgang bestimmt. So dauerte es nach dem 4:0-Triumph gegen Portugal mehrere Stunden, ehe sich der deutsche YouPorn-Traffic wieder auf Normallevel einpendelte. Offenbar war den Usern eher nach gemeinsamen Feiern und Autokorsos zumute. Nach dem 2:2 gegen Ghana hingegen schalteten die Fans bald wieder vom Fußball auf Sexclips um. Und die Portugiesen ließen im Anschluss an die Schmach gegen Deutschland ihren ganzen Frust beim Porno ab; sie waren stundenlang rund zehn Prozent aktiver als üblich.

Diese Zahlen decken sich mit älteren Auswertungen von YouPorn und der Schwesterseite PornHub für andere Sportereignisse: Die Gewinner bleiben den Sexportalen oft noch lange fern. Die Verlierer indes kommen schnell zurück. Die bisherigen Werte der Fußball-WM 2014 bestätigen dies auch für andere Länder. Das Eröffnungsspiel etwa kostete YouPorn bei Anpfiff rund 60 Prozent seiner brasilianischen, 70 Prozent seiner kroatischen und die Hälfte seiner deutschen Besucher. Nur eine Stunde nach der 1:3-Niederlage gegen die Südamerikaner war Kroatien wieder auf dem üblichen Niveau, in Brasilien hingegen dauerte das satte vier Stunden.

Die Spanier steuerten gleich nach dem 1:5-Debakel gegen die Niederlande im Übermaß YouPorn an, die Holländer folgten eine Stunde später. Nur die Anhänger der Squadra Azzurra scheren aus der Reihe: Direkt nach dem 2:1 gegen England kehrten 80 Prozent mehr Italiener als üblich bei YouPorn ein. Vielleicht brauchte mancher nach dem Zittersieg ein wenig Entspannung oder Erleichterung.

YouPorn und PornHub veröffentlichen seit einiger Zeit immer wieder derartige Nutzerstatistiken.

...

QuoteBeste Studie ever
aldamann heute, 09:06 Uhr
Mir war schon lange klar, dass wir ein Volk von W***rn sind, jetzt werden Details bekannt. Mit Zitaten aus dem Artikel mach ich Eindruck an meinem Stammtisch. Mindestens für 8 Minuten und 39 Sekunden!

http://forum.spiegel.de/showthread.php?p=16053589#post16053589



Aus: "Internetverkehr während der WM: Fußball schlägt Porno" Claus Hecking (02.07.2014)
Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/youporn-traffic-leidet-unter-der-fussball-wm-a-978303.html


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Quote[...] An der Spitze der von deutschen Männer als erotisch empfundenen Berufe liegt die Stewardess, dicht gefolgt von der Krankenschwester (laut einer Umfrage des Verbraucher-Portals Mafo vom Februar 2015). Das ist nun weder besonders überraschend noch ist etwas dagegen einzuwenden. Beide können einem im Flugzeug oder im Krankenhaus ja wirklich von großem Nutzen sein.

Aber gleichzeitig überführen diese Vorlieben den deutschen Mann als ein Wesen aus der ewigen Vergangenheit. Denn entweder sieht er sich in dieser Wimmelbuch-Variante seiner Fantasie als Vorgesetzten der jeweiligen Dame, also einer, der endlich mal sagen darf, wo es lang geht. Oder er darf in seiner Wunschvorstellung den hilflosen Wurm geben, der mit Gips ans Bett gefesselt ist oder der im Flugzeug mit grünem Gesicht nach einer Papiertüte verlangt.

Gelobt seien also die rund 13 Prozent der Männer, die sich in der Arbeitsagentur der sexuellen Vorlieben einen der praktischsten Berufe überhaupt ausgesucht haben: nämlich die Kfz-Mechanikerinnen. Diese Männer schwindeln sich kein Grundwissen in Sachen Auto an und wedeln nicht gleich hektisch mit dem ADAC-Kärtchen, wenn der Keilriemen auf dem Weg in den Urlaub gerissen ist. Stattdessen staunen sie über die Fertigkeiten ihrer Liebsten und suchen schon mal nach der Handwaschpaste gegen die hartnäckigen Ölflecken.

Die deutschen Frauen reagieren offenbar verstört auf die Vorlieben der Männer und stellen im Gegensatz Künstler, Musiker und Schauspieler an die Spitze ihrer Lieblingsberufe. Und Piloten. Sie scheinen sich also heimlich nach Typen zu sehnen, die nie daheim sind. Sondern auf Tournee, beim Nachtdreh oder auf dem Langstreckenflug. Zugabe oder Verspätung? Ist doch kein Problem, Schatz.

Eine kleine Gruppe Frauen greift jedoch total daneben und wünscht sich am liebsten einen Lehrer ins Bett. Das, liebe sechs Prozent, nennt man wohl Hardcore und ist angesichts vieler Erinnerungen aus der eigenen Schulzeit die schlimmstmögliche Vorstellung. Da gab es zum Beispiel den Lehrer, der während des Schuljahrs wirklich jeden Tag das gleiche Hemd trug. Oder derjenige, der aussah wie ein fleißiger Kokser, weil er mit seinen Kreidefingern ständig in der Nase popelte. Oder der Lehrer, der eine Woche lang immer wieder in Tränen ausbrach, nachdem Franz Josef Strauß gestorben war.

Diese alten Geister haben in unseren Betten nichts zu suchen. Auf den Schreck: ein Gläschen Tomatensaft.


Aus: "Nackte Zahlen: Sexkolumne - Auf Wolke Sex" Julia Rothhaas (17. August 2015)
Quelle: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43448/Schmutzige-Fantasie


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Quote[...] "Pornografie mit ihren schädlichen Auswirkungen, besonders auf Kinder, hat sich zu einer öffentlichen Gesundheitskrise entwickelt, die die Leben von Millionen Menschen zerstört." Dieser Satz ist im kürzlich überarbeiteten – deutlich rechtskonservativ geprägten – Parteiprogramm der US-Republikaner zu finden. Den Kampf gegen Pornokonsum, der von verschiedenen Interessengruppen seit Jahrzehnten geführt wird, hatte vor wenigen Monaten bereits Gary R. Herbert, Gouverneur in Utah, ausgerufen, der von einer "Epidemie" sprach.

... Feministische Theoretikerinnen und Aktivistinnen begleitet die Auseinandersetzung um weibliche Lust und Pornografie indes seit Jahrzehnten. Während die 1980er-Jahre von emotional geführten Debatten zwischen Pornografie-GegnerInnen und ihren KritikerInnen geprägt waren, haben sich Porn Studies mittlerweile als differenziertes akademisches Feld herausgebildet. 2014 erschien erstmals die international ausgerichtete und interdisziplinäre Fachzeitschrift "Porn Studies". Als Teil eines "sexpositiven" feministischen Aktivismus verstehen sich indes auch ProduzentInnen und PerformerInnen, die alternatives pornografisches Material kreieren. Es sei eine Bewegung entstanden, "die Wert auf feministische Kriterien legt wie Vielfalt in der Darstellung – die Lust der Frau soll wie die aller Geschlechter zu sehen sein –, einvernehmliche Sexualpraktiken und gute Arbeitsbedingungen", sagt Laura Méritt. Die Filme und Bilder grenzen sich klar vom Mainstream-Porno ab, der häufig die schnelle Befriedigung von (Hetero-)Männern ins Zentrum stellt und alles abseits dieser Norm in die Kategorie "Fetisch" einordnet. ...

... "Faire" Pornografie muss auch im Interesse der KonsumentInnen liegen – davon ist Djure Meinen überzeugt. Gemeinsam mit Jenny-Louise Becker – beide begeisterte Porno-KonsumentInnen – leitete er auf der Republica-Konferenz 2015 eine Diskussionsrunde unter dem Titel "Fair Porn: von Lust und Gewissen". Gratisplattformen beziehungsweise Piraterie haben die Branche enorm unter Druck gesetzt – was sich letztendlich auch auf die Entlohnung auswirkt. Wie CNBC im Jänner berichtete, erhalten DarstellerInnen in den USA zwischen 800 und 1.000 Dollar für eine Heterosexszene, bei Newcomern, denen die Unterstützung einer geschickt verhandelnden Agentur fehlt, sind es teilweise nur 300 Dollar. Mireille Miller-Young, Dozentin an der UCSB, hat die rassistischen Strukturen innerhalb der Branche aufgearbeitet. Generell verdienen Women of Color durchschnittlich deutlich weniger als weiße Darstellerinnen, auf Pornowebsites sind Kategorien wie "Latina Abuse" zu finden. Abseits großer Produktionsfirmen sind die Arbeitsbedingungen für DarstellerInnen – etwa bei möglichst billig produzierten "Amateur"-Pornos – völlig undurchsichtig. Während gegenwärtig ganz selbstverständlich über fair produzierte Kleidung gesprochen wird, fehlt dieser Diskurs bei der Pornografie. Trotz einer vermeintlichen Übersexualisierung der Gesellschaft passiere eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität nicht, sagt dazu Djure Meinen. So bleibe auch der eigentlich alltägliche Pornokonsum vieler NutzerInnen im Dunkeln. Gratisplattformen wie Youporn steht Meinen kritisch gegenüber: "Sie befördern die Strategie, immer wieder aufs Neue nach kostenlosen Filmen im Internet zu suchen, die die eigenen Bedürfnisse widerspiegeln." Auch wenn Pornhub beispielsweise mit Statistiken zu den meistgesuchten Begriffen der NutzerInnen geschickte PR betreibt, sind faire Produktionsbedingungen kein Thema des dahinterstehenden Unternehmensgeflechts, das zahlreiche Plattformen unter einem Dach vereint. Auch im Fall von Gina-Lisa Lohfink reagierte das Unternehmen erst auf massiven medialen Druck.

Pornoregisseurin Bell glaubt indes, dass der Pornokonsum vieler NutzerInnen nach wie vor konfliktbehaftet sei – Filme zu kaufen würde auch bedeuten, sich die Lust auf Pornografie eingestehen zu müssen. Bell ist von den USA in die Niederlande übersiedelt und erwartete sich ein progressiveres Klima, doch auch in Europa hafte PornodarstellerInnen nach wie vor ein Stigma an, sagt die Regisseurin. Aktivistin Laura Méritt sieht durchaus Fortschritte und setzt auf "stete Aufklärung, Angebote und sexuelle Bildung zum Aufbau einer erotischen Konsenskultur". Für eine Stärkung der sexuellen Bildung tritt auch Sexualpädagogin Ziegelwanger ein. Entgegen aufgeregt geführten Debatten ist sie davon überzeugt, dass Jugendliche recht gut mit Pornografie umgehen können – sofern der Konsum freiwillig passiere. "Anderen ohne ihr Einverständnis Material zu zeigen beziehungsweise zu schicken ist eine Form von Gewalt", sei ein Grundsatz der sexuellen Bildung. Kinder und Jugendliche vor ungewollten Bildern zu schützen, sei trotzdem nicht vollständig möglich. "Gerade deshalb muss das Thema gesamtgesellschaftlich diskutiert werden", sagt Ziegelwanger. ...


Aus: "Pornografie: Wiederbelebte Debatten" Brigitte Theißl (24. Juli 2016)
Quelle: http://derstandard.at/2000041384889/Pornografie-Wiederbelebte-Debatten


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ich gucke Pornos, seit ich elf oder zwölf Jahre alt war. Lange dachte ich – oder redete mir ein –, die starken Schuldgefühle, die ich dabei empfand, rührten vor allem daher, dass ich die Altersschranke wegklickte, obwohl ich längst nicht volljährig war. Auch die Attraktivität der Sache schob ich zumindest in Teilen darauf. Doch es hörte natürlich nicht auf, als ich 18 geworden war. Legal ist es zwar längst, dass ich mir das angucke – aber ist es auch in Ordnung?

Die erste Hausarbeit im Studium habe ich über feministische Sichtweisen auf Pornografie geschrieben. Dieser Versuch, das Schuldgefühl zu rationalisieren, wurde zwar gut benotet, meine Beschäftigung mit dem Thema nahm damit allerdings kein Ende. Alle paar Monate ändere ich meine politische Meinung zu der Angelegenheit. Entweder: Ist doch okay, wenn alles einvernehmlich ist. Oder: Es gibt keine Freiheit im Patriarchat, alles andere ist Selbstbetrug. Inzwischen tendiere ich langfristig zu letzterer Position.

Allein, meinem Konsum hat das keinen Abbruch getan. Inzwischen habe ich gelernt, was ich will: Frauenkörper, Penisform, Setting, Stellungen, Praktiken. Sogar einige Namen von Darstellerinnen, die mir besonders gefallen, weiß ich inzwischen. Ich fühle mich zwar nicht mehr ekelig und schmutzig danach, aber Zweifel bleiben. Wie sehr prägten Pornos meine Fantasien, mein Frauenbild, kurz: meine Sexualität? Dabei entsteht ein unschöner Verdacht: Ist meine Lust frauenverachtend? Anders als die Verwendung des N-Wortes kann man so etwas ja nicht einfach ablegen. Also was tun?

Im Prinzip gucken alle Männer Pornos, auch viele Frauen. Dass in einem bürgerlichen Umfeld nicht dazu angeregt wird, über den Konsum von Pornografie und somit auch über seine Fantasien zu sprechen, mag ja normal sein. Aber warum kann in einem linken Umfeld kaum jemand darüber sprechen? Man geht dann womöglich zu feministischen Pornofilmfestivals, die alles besser machen wollen. Aber Hand aufs Herz: Wer steht wirklich auf diese Filme? Ich vermute, sehr wenige.

Diese Fragen mögen offensichtlich klingen. Aber sie haben eben keine offensichtlichen Antworten. Es ist schier unmöglich, Studien zum Verhältnis von Pornografie, Lust und Sexualität durchzuführen, da keine Kontrollgruppen zusammengestellt werden können. Wäre es sinnvoll, in einer Art kollektiv-therapeutischem Induktionsvorgang zu versuchen, Antworten zu entwickeln? Bin ich der Einzige hier, der sich solche Fragen stellt?



Aus: "Keine Freiheit im Patriarchat" Leander Badura (14.11.2018)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/keine-freiheit-im-patriarchat

Quote
denkzone8

ein outing das heute so brenzlig ist
wie früher das eingeständnis der selbst-befriedigung/-befleckung.
rohe, echte geil-heit ist: nicht gesellschafts-fähig,
auch wenn sie kommerziell ausgebeutet wird.

ist ein politiker denkbar, der öffentlich macht: "ich bin ein gewohnheits-mäßiger bordell-gänger.
und das ist auch gut so." ?

warum aber ist im partiarchat/der männer-herrschaft die offen-gestellte männliche geil-heit verpönt/tabuisiert?
wie in spitzen-küchen die verwendung von brüh-würfeln?
der makel liegt in der (kampf-losen) kapitulation, dem zugeständnis der un-beantworteten bedürftigkeit.
zu signalisieren: ich bin unten, ich bin auf milde gaben angewiesen: ist nicht manns-genug im patriarchat.

oda?


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ob Frau oder Mann - die Pornopower hinterlässt ihnen einen gigantischen seelischen Scherbenhaufen und die hypersexualisierte Moderne nichts als nackte Leere.


Aus: "Die Pornografisierung als globale Waffe" Wolf Reiser (08. Dezember 2018)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Die-Pornografisierung-als-globale-Waffe-4239828.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Alle schauen Pornos. Okay, nicht alle, aber viele. Obwohl die meisten Pornos immer noch von Männern gesehen werden, gibt es gerade unter jüngeren Frauen immer mehr, die auch welche konsumieren. Laut einer Studie, die Porn Hub 2018 veröffentlichte, zählt die Seite in Deutschland mittlerweile 24 Prozent Nutzerinnen, drei Prozent mehr als noch im letzten Jahr.

Die meisten Männer, die ich kenne, finden Frauen, die über Pornos reden, irgendwie "cool". Frauen, die keine Pornos schauen beziehungsweise nicht darüber reden wollen, werden zur gleichen Zeit noch und immer wieder als verklemmte Alte abgestempelt, die insgeheim keine Lust auf Sex haben. In offener Solidaritätsbekundung zu allen Frauen, die keine Pornos schauen oder nicht darüber reden wollen, rede ich jetzt über Pornos. Weil in unserem Verhältnis zu ihnen etwas ausgetragen wird, das uns alle angeht.

Und ja, es wird jetzt explizit. Weil das die Sprache dieser Bilder ist, denen die meisten von uns sich regelmäßig aussetzen. Und ja, es wird auch pornografisch. Nicht zuletzt, weil es eine Frau ist, die spricht. Wenn Philip Roth in Portnoys Beschwerden auf 20 Seiten über sein Masturbationsfrühlingserwachen schreibt, ist das lustig oder radikal. Wenn ich es tue, mache ich mich darin zum Objekt der Fantasien des Lesers. Sich dem zu entziehen, ist unmöglich: Ins Klinisch-Distanzierte zu verfallen, wäre genauso eine Anpassung an diese Erwartung, wie in die Vollen zu gehen. Die Sprache, in der wir uns selbst neu schreiben können, muss erst noch erfunden werden. Vorerst ist es diese.

Ich sehe Pornos ungefähr seit dem Zeitpunkt, als meine Eltern mir mit zwölf einen Computer mit DSL-Anschluss ins Zimmer gestellt haben. Seitdem bewegen sich meine Präferenzen innerhalb einer relativ engen Bandbreite aus heterosexuellem Hardcore. Einer meiner Lieblingspornos ist der, in dem Rocco Siffredi eine Frau an den Haaren in eine Toilettenschüssel drückt, nachdem er sie sechs Minuten lang von hinten gevögelt hat, um anschließend in ihr mit Mascara verschmiertes Gesicht zu kommen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich dafür schäme, dass mich diese Szenen anmachen. Vielleicht finde ich es sogar selber ein bisschen cool. Trotzdem stellt sich jedes Mal, nachdem ich gekommen bin, ein dumpf-widerliches Gefühl ein, das mich dazu bringt, sofort panisch alle Tabs zu schließen.

Vielleicht, weil es tatsächlich eine ziemlich offensichtliche Diskrepanz zu dem gibt, was ich mir abseits meiner Befriedigungsaktivitäten sonst gerne so anschaue. Jedenfalls nicht Frauen, die von orangegebrannten Stiernacken mit Schaum vorm Mund in Grund und Boden gerammelt werden. Ich frage mich also, was diese Filme, die ich mir seit 15 Jahren mindestens zweimal die Woche reinziehe, mit mir tun, warum ich mir gerade die reinziehe, ob es anderen Frauen auch so geht, und was unsere Beziehung zu diesen Bildern über das aussagt, was küchenpsychologische Editorials, Hohepriester und Gynäkologen seit 4.000 vor Christus versuchen zu begreifen: weiblichen Sex.

Ich entscheide mich für eine kleine Feldstudie – und starte mit Selbstbeobachtung. Das Setting versuche ich, möglichst originalgetreu zu reinszenieren: Vorhänge zu, aufs Bett, Kissen hinterm Rücken, Laptop neben mich, Hände frei. Die Pornos, die ich mir anschaue, gehören zu den beliebtesten klassischen Formaten weltweit. Die erwähnten Rocco-Siffredi-Sachen, Casting Couch, POV, also Point-of-View-Shot-Filme, bei denen der Mann eine GoPro auf dem Kopf hat oder selber die Kamera führt. Und die, in denen ein Mann fickt und ein anderer die Kamera hält.

Ergebnis der vorläufigen Analyse: Die Pornos, die ich sehe, haben alle etwas gemeinsam. Der männliche Blick, der in der feministischen Theorie und auch abseits davon mittlerweile berühmt-berüchtigte "Male Gaze", wird durchexerziert von vorne bis hinten. Die Kamera, das Set und der Darsteller gehen bei allen Filmen meiner Auswahl eine Komplizenschaft miteinander ein. Die Frau kommt von außen dazu, in den Casting-Couch-Sequenzen etwa als vermeintliche Amateurin, die als einzige im Raum nicht weiß, wie heftig es gleich zur Sache gehen wird, während sie noch harmlose Fragen nach ihrem Boyfriend und ihren Haustieren beantwortet. Sie ist das Ding, auf das sich die Aufmerksamkeit und die Action in der Folge richtet.

Durch die den Bildern eingeschriebene Perspektive, durch das besagte Blick- beziehungsweise Ficktriumvirat, wird man als Zuschauerin automatisch Teil dieser Komplizenschaft. Bei den POV-Filmen, die die Frau in gewisser Weise aus Ego-Shooter-Perspektive vorführen, passiert das sogar noch deutlicher.

Ich drücke auf Pause und rufe ein paar heterosexuelle Männer an. Ich will wissen, wie die das sehen, was genau sie daran anmacht, schließlich sind sie ja das Hauptzielpublikum. Ergebnis der Umfrage: Für die meisten Männer, mit denen ich gesprochen habe, ist es ziemlich eindimensional. Heruntergebrochen: Sie wollen halt die Darstellerin im Bild so ficken, wie der Mann sie da gerade fickt. Er ist ihr Stellvertreter.

Ich frage mich, was das für mich als Frau bedeutet, die die gleichen Filme sieht. Wer fickt denn hier für mich?

Die weibliche Darstellerin jedenfalls nicht. Ich stelle mir zu keinem Zeitpunkt vor, so gevögelt zu werden wie die Frau in den Bildern. Das wäre zwar der logische Folgeschluss, ist aber überhaupt nicht so. Es muss um irgendetwas anderes gehen. Doch auch der männliche Darsteller ist für mich absolut uninteressant. Wie groß sein Penis ist, ob der Mann schwabblige Oberarme oder schiefe Zähne hat, durchtrainiert, alt, jung, rasiert oder haarig ist, total egal. Er muss nur wollen, das ist irgendwie das Wichtigste, stelle ich fest. Man muss dem Kerl ansehen, dass er ganz schrecklich große Lust auf die Frau hat, so sehr, dass er gar nicht anders kann, als über sie herzufallen. Je härter er dann an ihr herumzerrt, desto sichtbarer wird das, inklusive der Übersteuerungen, wie zum Beispiel bei der Toilettenschüsselsache. 

Das passiert in meiner Wahrnehmung aber eher im Hintergrund. Ich schaue fast die ganze Zeit die Frau an. Ihren Körper, ihre Nacktheit, ihre Entblößung, ihre Scham. Der Moment, in dem etwas vermeintlich Echtes bei ihr durchbricht, macht mich viel mehr an als der Typ, seine Physiognomie oder sein Gesichtsausdruck, den man ohnehin fast nie sieht. Die Frau ist also auch für mich in jedem Fall viel mehr Objekt, sogar und gerade in den Momenten, in denen die Sichtbarkeit von Schmerz, Hingabe und Ausgeliefertsein die Performance sprengt. Sie wird für mich in dieser Konstellation, auch durch die Logik des Bildaufbaus und des Plots, auf eine verschobene Art zum Anderen, auf das ich schaue. Daran ist irgendetwas ziemlich schizophren, zumal ich im echten Leben eher nicht auf Frauen stehe.

Ich frage mich, ob mein Erleben sich mit dem anderer Frauen deckt. Ich mache also weiter mit der Masturbationstelefonie und rufe hintereinander neunzehn Frauen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und Lebenssituation an, die ich kenne und von denen ich weiß, dass sie hin und wieder oder regelmäßig Pornos sehen. Ich hänge bis nachts um vier an der Strippe, am Ende habe ich eineinhalb Schachteln Zigaretten geraucht und eine Reihe notgedrungener Herrengedecke intus. Das Ergebnis ist für mich ziemlich überwältigend: Ihr Zugriff ist in einigen Punkten komplett anders als meiner. Im Gegensatz zu den Männern, bei denen im Großen und Ganzen Übereinstimmung herrschte, hat hier jede einzelne einen radikal eigenen Modus, mit den Bildern umzugehen.

Während mir eine Frau erzählt, dass sie die echten Menschen gar nicht richtig sehen will und deshalb immer nur zu den Close-Ups der Geschlechtsteile spult, erzählt mir eine andere, dass sie das Gefühl habe, das Ganze aus einer Art auktorialen Perspektive zu sehen, "wie Gott oder so". Die nächste sagt, sie möge es vor allem, zuzusehen, wie die Darstellerin "durchhält", sie sehe sich deshalb vor allem die Gesichter der Frauen an, wie sie sich zu schwitzigen Grimassen verziehen. Eine andere machen vor allem die Momente "überraschender Nacktheit" von Frauenkörpern an, in denen sie etwas Humoristisches liest. Die meisten sagen, dass sie die Blowjobszenen überspringen. Die homosexuellen Frauen, die ich befrage, schauen zum Teil heterosexuelle Pornos, mit der Begründung, es ginge ja vor allem um die Frau als begehrtes Objekt, logisch. Die Schwänze sind da eher im Weg, die Lesbenpornos aber oft zu kuschelig.

Einige der heterosexuellen Frauen schauen Schwulenpornos, aber eher aus Neugier. Für die meisten steht die Frau oder das, was mit ihr passiert, im Vordergrund. Der Mann im Bild interessiert sie eigentlich nicht die Bohne, und wenn, dann nur als Begehren und Richtung, also mehr oder weniger Schwanz gewordener Zyklop, der die Lust gegenüber der Frau verkörpert, was sich spätestens im Cumshot manifestiert, dem Samenerguss meist ins Gesicht oder auf die Brüste der Darstellerin also. Keine der Frauen konnte angeben, sich mit ihr identifizieren beziehungsweise sich eins zu eins vorzustellen, sie würde von dem Typen da so gefickt wie die Frau in dem Bild.

Ich stelle fest, dass fast alle Frauen Schwierigkeiten damit haben, das in Worte zu fassen, was sie an den Bildern anmacht. In einigen Aspekten stimmen aber fast alle überein. Keine der Frauen, ich inklusive, schaut experimentellen oder explizit feministischen Porno, dem es vor allem darum geht, die männlich orientierte Perspektive hinter sich zu lassen so etwas wie eine weibliche Subjektivität, also einen "Female Gaze" zu etablieren. Wie ich, mögen sie das Rohe, Unpolierte, das Zulassen von Unbeholfenheit, die komplexeren Narrative und die persönliche Verbindung, die zu den Protagonistinnen aufgebaut wird. Wenn sie es als Kunst oder Kino anschauen würden, fänden sie die Bilder großartig. Nur anmachen tut es sie irgendwie nicht. Um zu masturbieren, gucken alle, mit denen ich gesprochen habe, klassischen Mainstreamporno.

Als ich fertig bin, muss ich erst einmal durchatmen. Ziemliches Kuddelmudel das alles. Klar ist allein, dass der Pornokonsum den Frauen viel mehr Imaginationskraft abverlangt als den Männern. Aber wenn uns das hier offensichtlich so viel Arbeit und perspektivische Verrenkungen abverlangt, warum funktionieren für mich und die Frauen meiner Minifeldstudie dann die anderen Filme nicht, die mit vollem Recht und aus gutem Grund versuchen, uns Frauen stärker als schauendes Subjekt anzulegen? Allein die Tatsache, dass es gar nicht so einfach ist, an diese Filme heranzukommen, dass es immer irgendwas kostet und man die Kreditkartendaten nicht da hat, wenn man schon wirklich krass horny ist und nur zehn Minuten Zeit mit dem Smartphone auf der Unitoilette hat, kann es ja nicht sein.

Es scheint, als würden wir das Instrumentarium des althergebrachten "Male Gaze" im Porno irgendwie brauchen, um unser eigenes Begehren zu aktivieren. Im Versuch, dem eine weibliche Subjektivität entgegenzusetzen, scheitert der betreffende experimentelle und feministische Porno zumindest als Gebrauchsprodukt.

Doch warum bleibt der "Female Gaze" beim Pornokonsum auf eine so völlig vertrackte Art eine Leerstelle? Eine mögliche Antwort ist ebenso einfach wie niederschmetternd: Weil er es bis heute nicht nur dort ist, sondern weit über unseren Schmuddelfilmhorizont hinaus.

Gerade weil es in Pornos um das Triggern unserer kruden Spleens und tiefsten Begierden geht, kann man sie und unseren Umgang mit ihnen nur vor dem Hintergrund unserer restlichen Lebenswelt denken und verstehen. Ob in der Literatur, der Kunst oder in jüngerer Zeit auch im Film und in der Werbung: Seit Hunderten von Jahren werden Frauen vor allem als das Andere gezeichnet, das Ding, das beglotzt, gewollt, angehimmelt, verachtet, gejagt, geliebt wird. Das im Gegensatz dazu schauende, sprechende Ich der Millionen Erzählungen, in denen die Bilder und Fantasien unserer Gesellschaften wurzeln, war vom Gilgamesch-Epos über die Odyssee bis hin zu Jean Jaques Rosseau, dem Marquis de Sade und Henry Miller in erster Linie ein männliches. Männer schauen die Welt an. Wir werden von der Welt angeschaut. Die Flut so weit zurückreichender kulturschaffender Mechanismen lässt sich nicht durch ein paar Jahrzehnte der strauchelnden, wenn auch lauten, radikalen und unvermeidbaren und natürlich begrüßenswerten Versuche der Umwertung einfach auflösen. Wir stehen immer noch am Anfang.

Blick und Begehren sind unauflösbar miteinander verstrickt. Und wie verspult die Blickbeziehungen in Bezug auf das weibliche Begehren bis heute sind, wird absurderweise gerade an den Stellen sichtbar, wo in Massenmedien weibliche Unabhängigkeit zelebriert wird. In einem Werbefilm von Chanel klammert sich Keira Knightley im Seidenlaken an einen Flakon. Danach wirft sie sich in einen hautengen beigefarbenen Anzug und rattert auf dem Motorrad zu einem Fotoset, an dem ein Drei-Tagebart-Schönling, der in dem Plot die gleiche Rolle einnimmt wie der Darsteller im Porno, ihr mit mysteriös-verzaubertem Blick die Tür öffnet. Sie schleppt ihn dann ab, bevor sie abhaut und ihm noch einen finalen Medusen-Tease-Blick zuwirft. Dann der Abspann – COCO MADEMOISELLE is here again, beautiful, independent and mischievous. Hätten weder Mister Rehauge oder irgendein anderer Typ um sie herum Interesse an Keira, ginge das ganze Konzept nicht mehr auf. Das, was hier verkauft wird, ist ein kleines Fläschchen nach Patschuli duftendes Gewolltwerden. Fast schon zynisch, dass im Hintergrund der Eröffnungsszene Joss Stones Version von It's a Man's World dudelt.

Was in diesem Fall auf die Spitze getrieben wird, passiert nicht nur in platten Werbeclips. Als Maneater schreit Nelly Furtado nicht umsonst Everybody look at me, me in den schwitzigen Club wildgewordener Glatzköpfe in Muskelshirts. In der ersten Szene von Sophia Coppolas Lost in Translation sieht man fünf Minuten lang ausschließlich Scarlett Johanssons Hintern, Bella aus Twilight will von Edward so unbedingt begehrt werden, dass sie sich von ihm sogar totbeißen lassen würde und selbst Hermine Granger erlebt ihren ersten tatsächlichen Moment to shine erst, als sie in ein Ballkleid gesteckt wird, weswegen Ron Weasley fast die Augen herausfallen. In all diesen Momenten, die uns auf der Leinwand und im echten Leben Gänsehaut über den Rücken jagen, kommen wir nicht als "Ich", sondern als das "Andere" vor. Es sind nicht nur Männer, die uns als Objekte denken; wir selbst tun es, seit Jahrhunderten.

Einen Female Gaze als einfachen Umkehrschluss zum Male Gaze kann es deshalb nicht geben. Denn in der Logik der meisten Bilder und Erzählungen die wir kennen, war er immer ein auf uns selbst gerichteter. Der Porno schreibt diese Geschichte nur auf besonders zugespitzte Weise fort. Auf YouPorn gibt es Versuche eines sogenannten Female POV, bei denen Frauen mit GoPros ausgestattet sind, wobei die Kamera jeweils so auf sie draufgeschraubt wurde, dass sie von oben gefilmt werden und man bei den Blowjobszenen Nase, Zunge und Brüste der Frau sieht. Dass Frauen wirklich so sehen, kommt natürlich einer anatomischen Unmöglichkeit gleich, es sei denn, die Frau in dem Film ist ein Brontosaurier. In einer anderen Szene sieht man zehn Minuten Cunnilingus aus der weiblichen Perspektive, bevor die Frau auf einmal doch von hinten gevögelt wird, während die Kamera geradewegs weiterhin auf den Mann gerichtet ist, was auch nicht so richtig plausibel ist, es sei denn, sie kann ihren Kopf drehen wie die Frau mit der Hexenfrisur aus Scary Movie.

Schon unmittelbar nach meiner Mitternachtstelefoniererei musste ich an einen Essay denken, den ich vor einiger Zeit gelesen habe. Koschka Linkerhand schreibt darin in Rückbezug auf Simone de Beauvoir und Barbara Sichtermann, dass Frauen Objekte setzen müssen, um sich selbst als Subjekt denken und fühlen zu können. Vielleicht lässt sich diese These, in einer etwas abdriftigen Umkehrung, auch auf die Frage nach der Pornografie übertragen: Um sich als Zuschauerin zu dem Mangel weiblicher Subjektivität im heterosexuellen Hardcoreporno verhalten zu können, muss man ein paar imaginäre Ausweichbewegungen vollführen. Entweder man eignet sich die angelegte männliche Perspektive an, was eine gewisse Paradoxie in sich trägt, oder man schafft eine Vielzahl anderer Manöver, um irgendeine Form der Subjektivität herzustellen, den Sex als Ereignis denken etwa, auf Partikelkörper zoomen oder wackelnde Fettrollen anstarren.

Ein Schluss, der sich aufdrängt, grenzt an Skurrilität: Die Aneignung des männlichen Blicks, wenn wir Hardcorepornos schauen, kann auf eine abwegige Art als Ermächtigung gedacht werden. Nie sind wir so sehr schauendes, begehrendes Subjekt wie dann, wenn wir uns reinfahren, wie andere Frauen entblößt und durchgebumst werden. Weil wir darin Objekte setzen, zu denen wir uns verorten können. Etwas daran ist ganz offensichtlich ziemlich korrupt. Die Subjektivität, die wir uns da aneignen, ist nur geliehen. Aber offensichtlich ist es die einzige, zu der wir uns wirklich verhalten können.

Mittlerweile ist es Morgen geworden. Draußen rumort ein Müllwagen, ein ganz normaler Tag bricht an. Ich klappe noch mal den Laptop auf und klicke mich durch die Tabs und meine Notizen. Den luftleeren Raum zwischen diesen Gedanken und meinem Alltag kann ich in solchen Momenten fast körperlich spüren. Gleich werde ich aufstehen, mich schminken, mir ein paar Tropfen Coco Mademoiselle aufsprühen und zum Frühstücken gehen, mir nur einen schwarzen Kaffee und einen Obstsalat bestellen, weil ich mich vor nichts mehr fürchte, als davor, ich könnte einen fetten Arsch bekommen. Weil es mich oft glücklich macht, wie es ist. Weil es sich anfühlt wie in der Werbung, wenn ich die Augen aufschlage und sehe, wie der Typ auf der anderen Seite des Café-Tischs nervös mit den Lippen zuckt. Dann fängt es an zu rauschen und zu kribbeln und ein Lied geht an in meinem Kopf. Hoffentlich nicht Nelly Furtado.

Nicht alles an dieser Rolle, die das Angeglotztwerden weiter etabliert, muss unauflösbar und schrecklich sein. Obwohl vieles daran in Wechselbeziehung zu Umständen steht, die uns leiden lassen, Beschämung, Unterdrückung und Ungleichbehandlung. Ich lebe und spiele mit ihr, so gut ich eben kann. Eines ist aber klar: Ob und wie wir angesehen werden, liegt nicht in unserer Verantwortung. Egal, ob wir mit wehender Reizwäsche die Straße herunterrennen oder uns für ausgeleierte Jogginghosen entscheiden – unser Körper steht immer zur Debatte. Trotzdem und gerade deshalb müssen wir anfangen, darüber zu sprechen, welche Rolle wir selbst in diesem Dazwischen der Blicke spielen. Worin wir aufgehen können, wo wir ausgeliefert sind, wo wir schauen, wo wir mitspielen, wo wir handeln, wo wir widerspenstig sein wollen. Für uns, nicht für die anderen. Wir müssen es laut tun, ohne Angst, ohne Scham und mit Mut zum Scheitern. Weil sich nur daraus ein Sprechen über den weiblichen Blick denken lässt. Und weil wir die Deutungshoheit darüber, ob und wie wir sehen und gesehen werden, sonst den Männern überlassen.

Und auch wenn es ultimativ verschwurbelt und an vielen Stellen aussichtslos wirkt: Alleine die Tatsache, wie kreativ Frauen in ihrer Imagination werden, wenn sie sich zu Pornografie verhalten, zeigt, welch unglaublicher Reichtum darin liegen kann. Vielleicht gibt es sogar eine Möglichkeit, diesen Raum irgendwie und irgendwann für uns produktiv zu machen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir in Zukunft leben und lieben wollen. Aber dafür müssen wir begreifen, dass es auch unser eigenes Begehren ist, das wir als Schauplatz dieses Konflikts denken müssen.


Aus: "Pornofilme: Der weibliche Blick" Anna Gien (18. Januar 2019, 20:20 Uhr)
Quelle: https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2019-01/pornofilme-frauen-konsum-anstieg-fantasie/komplettansicht

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2019-01/pornofilme-frauen-konsum-anstieg-fantasie/komplettansicht#comments

QuoteTerminus Est #4.1

Bei mir wechseln die "Trigger" - mal diese Art von Porno, mal die andere. Ich habe schon vor längerer Zeit etwas ähnliches wie die Autorin bei mir festgestellt, das ich bei manchen Pornos nach der Befriedigung schnell "ausmache" und mich irgendwie davon distanziere. Sie taugen nur zur Befriedigung.

...


QuoteJohn Farson #4.5

"Ich möchte mich bei der Szene übergeben und kann nicht nachvollziehen, was daran erregend sein soll. Kann mich jemand aufklären (blödes Wortspiel, ich weiß;-)"

Leider kann ich das nicht befriedigend ( ;) ) erläutern. Manche mögen's halt schmutzig und gerade der gesellschaftliche / moralische Tabubruch, der hierbei mitschwingt gepaart der sadistischen-masochistischen Ader, also das Gefühl jemanden zu erniedrigen oder erniedrigt zu werden, ist für manche Eben der "Trigger", der das Floß zum Schwimmen bringt.


Quote
Columba livia #4.11

Sie schrieb ja, dass sie es in der Realität absolut nicht erleben möchte.
Offenbar sind Fantasien eben doch nicht unbedingt in der Realität wünschenswert, ebenso wie man sich gerne mal in der Fantasie vorstellt, jemanden aus Wut umzubringen, aber es dann eben doch nicht nur nicht tut, sondern wirklich nicht kann.


QuoteIME2605 #4.21

Irgendwie erstaunlich, dass auf Zeit-online sexuelle Phantasien die sich mit Gewalt gegen Frauen im Zusammenhang mit sexueller Erregung beschäftigen, geduldet werden. Bislang lief die Debatte immer so: Eine gesunde Frau lasse sich niemals freiwillig ihren Kopf in die Toilettenschüssel drücken. Dass sich hier eine Frau outet, die sich jedenfalls bis zu ihrem eigenen Spannungsabbau zur sexuellen Erregung bei derartigen Visualisierungen bekennt, ist nachgerade eine Sensation. ... Die Sexualforschung hat womöglich ein neues Thema: Welcher Zusammenhang besteht zwischen sexueller Erregung einer Frau vorher, dumpf widerliches Erleben nachher "metoo" und dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, möglichst in jüngeren Jahren, der 15 Jahre später wenn das sexuelle Erleben endlich ausgereift ist, geoutet wird ? Immerhin gibt der Beitrag einen Einblick in die letzten Abgründe der weiblichen Psyche. ...


QuoteHolocenemammal #4.22

Was für ein plumper Versuch hier die These unterzubringen Frauen könnten gar nicht vergewaltigt / belästigt werden da sie es entweder insgeheim wollen oder aber selbst nicht beurteilen können ob sie nun einvernehmlichen oder nicht-einvernehmlichen Sex hatten.
Mal abgesehen davon dass es in der #MeToo-Debatte primär um Machtmissbrauch zur sexuellen Ausbeutung von Geschäftsverbindungen geht.
So blind wie Ihr Kommentar es erscheinen lässt kann man doch gar nicht für die patriarchalen Bedingungen sein.


QuoteIME2605 #4.23

Ein bisschen mehr Differenzierungsvermögen und Sorgfalt beim Denken sollte man schon erwarten.

Wer sich auf eine sexuelle Handlung freiwillig einlässt, sich dabei erregt während sie stattfindet und sie erst hinterher nachdem die sexuelle Erregung befriedigt worden ist, bis hin zu widerlichen Gefühlen bereut, kann schwerlich vergewaltigt, missbraucht oder sonst wie sexuell belästigt worden sein.

Wer oder was die Erregung auslöst dürfte so ziemlich egal sein. Jede Frau wehrt sich zurecht gegen den Vorwurf, ihr Rock sei zu kurz gwesen, weswegen sie gierige Männerblicke auf sich gezogen habe.
Hat demgegenüber ein Mann eine reale Chance sich wegen sexueller Belästigung zur Wehr zu setzen, weil der Rock einer Frau provokant kurz gewesen ist ? Wohl auch zu Recht nicht. Selbstbeherrschung darf und muss man erwarten.

Im übrigen beurteilt keine Frau selbst ob, sie einvernehmlichen oder fremdbestimmten Sex hatte, wenn sie einen Mann wegen eines sexuellen Missbrauch anzeigt. Diese Beurteilung nehmen vor der Anklage Staatsanwälte und danach Gerichte vor, während die Presse die Stimmung aufheizt.

Insofern ist das Outing der Dame hier in der Tat sensationell, weil es endlich einmal eine Frau ist die öffentlich zugibt, dass die Empfindsamkeit von Frauen einer differenzierten Betrachtung zugänglich bleiben muss.


QuoteDieLäuferin #4.24

Sie verstehen irgendwie nicht, dass sich die Autorin nicht mit den Protagonisten/Protagonistinnen identifiziert. Warum ist das so wahnsinnig schwer zu verstehen, obwohl es genau darum in dem Artikel geht? Insofern ist doch die Frage, ob ich es real erleben will, völlig hinfällig. Einem Mann der sich an besagter Szene aufgeilt unterstellt man doch auch nicht (oder stellt in Frage), dass er gern die unterjochte Frau in dem Film wäre? Warum denken Sie, "Geschlecht" ist eine so dermaßen mächtige Kategorie, dass man(n) und frau gar nicht anders können, als sich mit Darstellern/Darstellerinen, die man überhaupt nicht kennt, und die vermutlich nichts mit einem selbst gemein haben, außer dieser einen Kategorie, zu identifizieren und sich in diese Rolle hineinzuversetzen? ...


Quoteturntabledream #4.25

Wie oft soll man es noch sagen – es geht hier weder ums reale Unterwerfen, noch um ein imaginiertes Unterwerfen. Letzteres würde bedingen, dass sich die Zuschauerin mit der im Film gedemütigten Frau identifiziert; davon aber distanziert sich die Autorin ziemlich klar.


QuoteIME2605 #4.29

... Die Bandbreite des sog. hardcore, von mir aus auch S/M, wie das in den Kommentaren hier auch bezeichnet wurde, umfasst auch das Spiel mit Dominanz und Unterwerfung in allen nur vorstellbaren und nicht vorstellbaren Varianten. Es ist mir völlig schnuppe worum es in dem Artikel sonst noch geht und mit was sich die Autorin nun persönlich identifiziert oder nicht. Relevant ist allein ihr geoutetes Innenleben, also wovon sie sich vorher und sei es auch nur in Form des "sensation-seeking" , bis hin zur sexuellen Befriedigung erregen lässt und es hinterher, weil sich "dumpf widerliche Gefühle" einstellen, bereut. Allein erheblich ist, dass es eine Frau ist, die zugibt, dass sie als Frau so empfindet. Wenn es eine Frau gibt die so empfinden kann, kann es auch Hunderttausende andere geben, die so empfinden.
Viele Forscher sagen, die Meisten die solche dunklen Phantasien haben, leben sie nicht wirklich in der Realität aus, dennoch gibt es auch diejenigen die das tun. Wer sich Kinderpornos ansieht (glücklicherweise ist das verboten) und sich dabei sexuell erregt, hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine pädophile Neigung. ...


QuoteFrida9876 #6.3

Das genau ist ja das Problem, das die Autorin hat und von dem sie sich fragt, woher es kommt. Dass Frauen in der Gesellschaft immer nur als sexuell begehrenswertes Objekt gesehen werden und zwar so sehr, dass sie sich selbst kaum mehr anders sehen können.und ihre Befriedigung nur im begehrt werden finden können. Im benutzt werden, im Objekt sein.

Fest steht wohl, das unter den Geschlechtern weitaus mehr Frauen als Männer submissiv veranlagt sind. Da stellt sich mir mir die alte Frage, Anlage oder Prägung. Die Autorin entscheidet sich für Prägung in einer jahrhundertelangen männerdominierten Welt. Und obwohl sie gerne sexuell handelndes Subjekt wäre, zumindest kognitiv, gelingt es ihr nicht, aus dieser Objektschiene heraus zu kommen. Anscheinend will sie es auch gar nicht, weil ausschließlich das sie erregt.

Dies zu wissen ist schwierig mit dem feministischen Selbstbild in Einklang zu bringen. Frau kann diesen Teil von sich selbst ablehnen, sich dafür schämen, nach der Befriedigung schnell den Laptop zuklappen und über jahrhundertelange Männerdominanz philosophieren oder sie kann offensiv zu dieser "Veranlagung" stehen. Dies zu tun schafft ihr unter FeministInnen allerdings nicht nur Freunde .


Quoteohdochnein #12

Interessanter Artikel. Dass Frauen auch gerne Mainstreampornos schauen war mir bewusst, dass der feministische Porno derart durchfällt, nicht.



QuoteM.Aurelius #15

Man mag zu Pornofilmen stehen wie man will, aber angesichts der allgegenwärtigen Gewalt in den Medien, empfinde ich die Welle der Aufregung und Entrüstung die Pornos immer noch entgegenschlägt, als eine beispiellose Bigotterie und Ausdruck einer schon fast perversen Prüderie.


QuoteIn.der.Tat #25

"Einer meiner Lieblingspornos ist der, in dem Rocco Siffredi eine Frau an den Haaren in eine Toilettenschüssel drückt, nachdem er sie sechs Minuten lang von hinten gevögelt hat, um anschließend in ihr mit Mascara verschmiertes Gesicht zu kommen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich dafür schäme, dass mich diese Szenen anmachen. Vielleicht finde ich es sogar selber ein bisschen cool. Trotzdem stellt sich jedes Mal, nachdem ich gekommen bin, ein dumpf-widerliches Gefühl ein, das mich dazu bringt, sofort panisch alle Tabs zu schließen."

Das kommt mir als Mann auch sehr bekannt vor.


Quotebrunoharmless #32

good honest writing.


Quotekommentator24de #35

Mehr solcher Versuche zur Identitätsfindung (von Männern und Frauen) könnten zum besseren Verständnis der Geschlechterrollen beitragen. Ich habe Stellen in dem Artikel gefunden, die mir die weibliche Sichtweise näher gebracht haben - Danke dafür! - Generell ist der Umgang mit der Sexualität natürlich ein rein menschliches Problem. Die Spiegelneuronen scheinen bei Männern und Frauen aber tatsächlich unterschiedlich getriggert zu werden. Ob diese Phänomene nun kulturell historisch oder biologisch impliziert sind - wäre ja auch eine spannende Frage. Ob wir damit neue und tragfähige Beziehungen und Definitionen von Geschlechterrollen näher kommen ... Das Thema bleibt spannend, die Evolution ist noch nicht zu Ende und sie hat zu allen Zeiten auch von Irrtümern gelebt.


QuoteRosenklotz #65

Die Scham nach dem Anschauen von Pornos ist auch bei Männern verbreitet und hat es längst zum Meme geschafft. Ich habe Mal in die Pornhub Kategorie "bei Frauen beliebt" geschaut und habe Vanilla/Blümchen/Softcore erwartet. Ich war sehr überrascht was da wirklich beliebt ist...


QuoteEinTollerName #37

Ein sehr interessanter und klug geschriebener Text, der die Ambivalenz des ,,male gaze" weder simplifiziert noch mit Schaum vorm Mund erklärt.


Quotesympathischer Senfdazugeber #67

"Männer schauen die Welt an. Wir werden von der Welt angeschaut".

Ein treffsicherer Satz. Im Grunde bezeichnet er, wie sich der Blick des Mannes auf den Blick der Frau überträgt. Gleiches gilt auch für das Begehren.
Schon der hellsichtige Nietzsche lässt seinen "Zarathustra" die unwillkommenen Worte sagen: "Das Glück des Mannes heißt: ich will. as Glück des Weibes heißt: er will".
Es gibt unterirdische Höhlen, in die der Feminismus (so wichtig er für die gesellschaftliche Entwicklung ist, oder besser gesagt, war) nicht hinabdringt, weil es in unserem beim Sex aktiven Reptilienhirn gewisse Tiefenmuster zu geben scheint, die sich nicht so ohne Weiteres in den Bann der Moral schlagen lassen. Mit anderen Worten: Sex und ist entweder gut oder politisch korrekt.


QuoteKlaus Klammer #67.1

"Schon der hellsichtige Nietzsche lässt seinen "Zarathustra" die unwillkommenen Worte sagen: "Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will". "
Und trotzdem hat er sich ausgerechnet in die Salomé verguckt, die ganz anders wollte.


Quotetart #72

Anna
Danke!
Ich freu mich das es deinen artikel gibt
Das sowas möglich ist
Das ist für mich reale emanzipation


Quote
AH-JA #75

,,Sex ist das Tor zum Leben."
F. Harris (1856 - 1931),
US-amerikanischer Schriftsteller.

Eine sehr lebendige und offene Darstellung der Fantasien von einem Teil der Frauen, ohne moralischer Belehrung oder Bekehrung. Das tut gut.


QuoteHeisenberg MCMVI #86

Ich habe glaube ich noch nie kommentiert und den Artikel eigentlich erst einmal nur aus reiner Neugier gelesen.
Er ist aber so unfassbar gut geschrieben und so ehrlich und irgendwie auf ziemlich geniale Weise lehrreich, dass ich einfach mal ein bescheidenes - ,,Wahnsinn, bitte mehr von der Autorin" da lassen muss!
Das ist doch mal ein geistreicher Beitrag für eine offenere Gesellschaft.


Quote
EvaK42 #80

Ich fand nicht so interessant, was die Autorin schreibt, das hat mich nicht sehr überrascht. Interessant fand ich, daß sie das mal so offen schreibt -- und vor allem einigen Herren der Unterkiefer runter klappt. Zumachen bitte nicht vergessen.


QuoteNeapolitanische Nächte #83

Mir geht's nicht nur bei Pornos, sondern auch bei Hitchcock so. Dort werden auffallend häufig das Patriarchat verletzende Frauen vergewaltigt und erdrosselt (Frenzy), bestialisch unter der Dusche abgeschlachtet (Psycho), getötet und zerstückelt (Rear Window), langsam vergiftet (Notorious), erschlagen (Murder!), erstochen (Die 39 Stufen), erwürgt (Der Fremde im Zug), missbraucht (Marnie), von Vögeln angegriffen und zerhackt (The Birds), beinahe aus dem Fenster gestoßen (Rebecca), von Mordanschlägen bedroht (Im Schatten des Zweifels, The Lady Vanishes) und unschuldig zum Tode verurteilt (Bei Anruf Mord).

Wie bei Pornos gibt es für Frauen nur vier Gründe, jene Filme durch die Augen des rundlichen Herren mit den aufgeblasenen Backen zu sehen:

1. Der masochistische Blick (Lust an der Erniedrigung)
2. Der transvestitisch-fetischisierte Blick
3. Der machtvolle Blick (promiske Frauen stehen kulturhistorisch für die Erregung maskuliner Kastrationsängste)
4. Der archaische Blick

In bestimmten Situationen können die archaischen Hirnteile, die unsere Instinkte und Triebe steuern, den rationalen Teil, der sich hinter der Stirn befindet und die Vernunft regelt, völlig überstimmen. Argumente, dass Pornos negative Rollenbilder vermitteln, dringen dann gar nicht erst bis in die primitiven Bezirke vor. Sie belohnen vielmehr deren Konsum und verschaffen Befriedigung. Deshalb fühlen sich zB manche Frauen auch absurderweise von Serienkillern und brutalen Schlägern angezogen.


QuoteFast_Opossum #97

Wow, vielen Dank für diesen Artikel - erfrischend geschrieben, kurzweilig zu lesen und setzt sich trotzdem nicht platt aus feministischer Perspektive mit dem Thema auseinander - vor allem die Frage des ,,male gaze", den wir Frauen einnehmen und warum es keinen female gaze geben kann, finde ich super spannend.

Vor allem mag ich den kämpferischen Twist, der dahinter steht - Frauen, lasst euch nicht länger nur ankucken, kuckt selber an!


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] 

DER PORNOJÄGER: EINE HATZ ZWISCHEN LUST UND POLITIK
Regie: Peter Heller
BRD 1989
16mm, OV

Martin Humers Lebensinhalt dreht sich um Pornografie: mit großer Leidenschaft arbeitet dieser Mann daran, diese mit allen Mitteln aus Österreich zu verbannen – mit der Beantragung von Strafanzeigen, spektakulären Aktionen, Amtsanmassung und teils auch Erpressung.
Mit Rechtsradikalen zu reden ist nicht nur heutzutage dämlich. Es war schon 2014 dämlich. Und 1932. Und selbstverständlich war es das auch 1989. Das sieht man sehr schön im Gespräch zwischen Martin Humer und seinem Erzfeind, einem großen Wiener Verleger von Pornozeitschriften: beide kommen im Wartesaal eines Wiener Gerichts ins Gespräch, der Verleger gibt sich sichtlich Mühe, mit Humer zu reden, doch dieser brüllt ihn immer wieder mit weiteren Beleidigungen, Obszönitäten, Unterstellungen und Schimpftiraden nieder...
Der TV-Dokumentarfilm DER PORNOJÄGER gehörte für mich zu den großen Highlights des Hofbauer-Kongresses. Wie DIE TOTENSCHMECKER ein Blick in das kackbraune Herz des teutonischen Alltagsfaschismus. Humer, der selbsternannte Kämpfer für Anstand, scheut sich nicht davor, Gegner systematisch zu dehumanisieren: immer wieder bezeichnet er sie als "Schweine". Die "Massenpornografie" ist für ihn ein Mittel des Weltkommunismus, der Marxisten und der Ausländer, um das deutsche Volk zu destabilisieren. Humer spricht meist von "deutsch" und "Deutschland" und entpuppt sich damit als echter "Großdeutscher". Den aktuellen österreichischen Staat bezeichnet er als Diktatur, die wesentlich schlimmer sei als das Dritte Reich und scheut sich nicht, seine Gegner als Nazis zu beschimpfen. Er beteuert immer wieder, dass er natürlich den Frauen im Pornomilieu helfen wolle, nur um sie wenig später außer sich vor Zorn als "Huren" und "Schlampen" zu bezeichnen, denen alles "Mütterliche" fehle – als liege der einzige Existenzgrund von Frauen, (sexlose) Mutter zu sein. Wilde Verschwörungstheorien mit Linken und Ausländern als Sündenböcke, vulgärer Sexismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus bei gleichzeitiger Beschimpfung der Gegner als Nazis... Wer bei der Sichtung des Films das höchst unangenehme Gefühl bekommt, das alles kürzlich schon ähnlich gehört zu haben – tja, so "neuartig" ist die sogenannte "Neue Rechte" halt auch wieder nicht...

DER PORNOJÄGER "redet" nicht mit Humer, aber er beobachtet ihn beim Reden. Ohne jeglichen Off-Kommentar lässt er den selbsternannten Tugendwächter seine Tiraden ausspucken und voller Stolz die vielen angesammelten Regalmeter an Pornozeitschriften (Beweismittel) in seinem Büro zeigen. Zwischendurch kommen natürlich auch weitere Personen zu Wort: am häufigsten der Geschäftsführer eines Pornomagazins, aber auch Staatsanwälte und Richter (von denen einige tatsächlich fast ihre komplette Arbeitszeit den Strafanzeigen Humers widmen müssen) sowie Humers erste Ehefrau. Der Film lässt sämtliche gezeigte Personen für sich sprechen, nutzt keinerlei Off-Kommentar und greift auch so gut wie nicht ein. Das ist natürlich weder "neutral", noch heißt es, dass Regisseur und Autor Peter Heller zu dem Gezeigten keine Position beziehen würde, denn die Kadrage und die Montage werden doch immer wieder als ironisierende Mittel eingesetzt (für Zuschauer natürlich, die das so sehen wollen). So stellt sich Humer einmal in seiner Arbeitszentrale ganz stolz vor eine grotesk überdimensionierte, gefühlt fünf Meter hohe Regalwand, in der sorgfältig Pornozeitschriften sowie Aktenordner mit Beweismitteln verstaut sind. Die Kamera schwenkt auch mal genüsslich über die Ordnerrücken (ein ziemlich dicker Ordner ist mit "Pasolini" beschriftet). Putin hat einmal gesagt, dass er Terroristen bis aufs Klo verfolgen würde, aber das hat der Pornojäger Humer schon Jahrzehnte vor dem russischen Präsidenten gemacht: die Kamera folgt Humer und seiner ihn assistierenden Tochter durch mehrere Räume voller Regale, und eines dieser Räume ist dann auch das stille Örtchen, vollgestellt mit Ordnern voller Beweismittel (also Pornozeitschriften). Hier ging wahrscheinlich das lauteste Lachen durch den ganzen Saal.
Natürlich ist Humer irgendwo auch eine "komische" Figur. Ohne mit der Wimper zu zucken und mit großem Ernst nennt er auch mal einige Dutzend völlig bestialische und absurde Titel von Pornofilmen, die er gerade rechtlich verfolgen will (was auch für große Erheiterung im Saal sorgte). Das Lachen bleibt einem aber auch regelmäßig im Hals stecken, denn Humer und seine Leute schrecken auch vor Amtsanmaßung, latenter Bedrohung und schließlich auch Erpressung nicht zurück. Ein unkenntlich gemachter Interviewpartner entpuppt sich als Besitzer eines Pornoladens, den Humer erfolgreich zur "Kollaboration" erpresst hat: Insider-Hinweise werden getauscht gegen den Verzicht auf eine Strafanzeige (die in Fällen kleiner Betriebe durch die potentielle, juristisch angeordnete Unterbrechung der Geschäftstätigkeit während der Untersuchung tatsächlich zum Konkurs führen kann – Humers Tätigkeiten haben also in seinem Sinne manchmal durchaus Erfolg). Auch wenn DER PORNOJÄGER: EINE HATZ ZWISCHEN LUST UND POLITIK durchaus in einigen ironischen Momenten ein lustiger Film war (und der Saal hat an einigen Stellen sehr herzlich gelacht), ist er doch auch beklemmend.



Aus: "Volljährig, schlaflos & lustvoll in Nürnberg (Teil 1)" (Freitag, 22. November 2019)
Euphorien vom 18. außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos
Quelle: https://whoknowspresents.blogspot.com/2019/11/volljahrig-schlaflos-lustvoll-in.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Offene Räume, um über Pornos zu sprechen, sind [ ] bis heute selten. Pornografie ist schambehaftet. Sie wird vielfach kritisiert und doch jeden Tag von Millionen Menschen konsumiert. Gerade deshalb, findet Oeming, gehöre das Thema an die Uni. Sie sagt: Wir sollten besser verstehen, welche Pornos angesehen werden, von wem und warum.

Im laufenden Wintersemester bietet Madita Oeming an der Freien Universität Berlin das Seminar Porn in the USA an. Im Interview mit ze.tt erzählt sie, was sie ihren feministischen Kritiker*innen erwidert und was wir beim Porno schauen über uns selbst lernen können.


ze.tt: Frau Oeming, Sie halten es für problematisch, in gute und schlechte Pornografie zu unterteilen. Warum?

Madita Oeming: Weil wir dann schon wieder in der Wertung sind. Und die ist, gerade wenn es um Pornos geht, oft von moralischen Vorstellungen bestimmt. Mit ,,guten Pornos" sind meistens die gemeint, die Sex zeigen, der gesellschaftlich akzeptabel ist. Oder Pornos, die ästhetisch ansprechend sind, optisch einem Hollywoodfilm ähneln. So ein Film ist aber meiner Meinung nach nicht automatisch ,,besser" als ein BDSM-Porno mit trashiger Optik – nur für die Mehrheitsgesellschaft irgendwie leichter auszuhalten.

Es stört mich, wie diese Zweiteilung, gerade in feministischen Kreisen, oft genutzt wird, um nicht nur die sexuellen Praktiken, sondern oft auch die Frauen in ,,schlechten" – also hier Mainstreampornos – abzuwerten. Wir ersetzen quasi eine Abwertung mit einer anderen. Das bringt uns nicht wirklich weiter in unserer sexuellen Befreiung.

ze.tt: Was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang feministische Pornografie?

Madita Oeming: Feministische Pornografie ist ein Label. Wie jedes Label hat es seinen Zweck, aber auch seine Grenzen. Ich glaube schon, dass wir es brauchen, weil es einen Dialog anstößt. Es macht erstmal darauf aufmerksam, dass Frauen in der Geschichte des Pornos lange ausgeschlossen wurden – hinter der Kamera, aber auch als Konsumentinnen. Und dass sich das ändern sollte. Es beschreibt einen anderen Ansatz, neue Bilder und vielleicht auch ein neues Zeitalter.

Aber es vermittelt leider auch den Eindruck, dass Frauen grundsätzlich etwas anderes wollen und sehen wollen als Männer. Und damit auch, dass alle Frauen das Gleiche sehen möchten. Das sind für mich sexistische Annahmen. Gern geht es in der öffentlichen Unterhaltung darum, dass Frauen angeblich Romantik und Geschichten und Zärtlichkeit im Porno wollen. Das verstärkt Genderstereotype, statt sie aufzubrechen. Es wird oft binär gedacht, heteronormativ und transexklusiv. Das verkennt für mich den Kern feministischer Pornographie und auch den Kern von Feminismus.

ze.tt: Mit Ihrer Arbeit ecken Sie in feministischen Kreisen an. Wie erwidern Sie die Kritik?

Madita Oeming: Meistens damit, dass ich es für antifeministisch halte, mir als Frau den Mund zu verbieten, mir meine Kompetenz, meinen Feminismus und meine Freiheit auf Lehre und Forschung abzusprechen. Das ist schon eine spezielle Ironie, wenn Feministinnen mir vorwerfen, dass ich die Degradierung von Frauen verherrlichen würde, aber mich im gleichen Atemzug beschimpfen und mir Gewalt, die Hölle oder ähnliches an den Hals wünschen.

Inhaltlich entgegne ich ihnen, dass eine Frau meiner Meinung nach das Recht haben muss, selbstbestimmt konsensuellen Sex vor der Kamera zu haben, wenn sie das möchte. Und dass es nichts anderes als slut shaming für mich ist, sie dafür zu bestrafen, auszugrenzen oder ähnliches. Das Gleiche gilt für mein Recht als Frau, zu Pornos zu masturbieren. Ich versuche ihnen das emanzipatorische Potential zu verdeutlichen, das ich im Porno auch sehe, im Porno-Machen sowie im Porno-Gucken. Damit stößt man aber oft auf Granit aus verhärteten Denkmustern und Fehlannahmen. Es ist eine sehr frustrierende, meist unproduktive Auseinandersetzung. Gegen die eigene Bewegung anzukämpfen, tut weh.

ze.tt: Sie werden auch aus rechten Kreisen angefeindet. Was triggern Sie bei diesen Leuten?

Madita Oeming: Ich fürchte, ich bin eine ideale Projektionsfläche für rechte Ängste: junge Frau, die es wagt, öffentlich über Sex zu sprechen. Und das auch noch als Akademikerin, also nicht lustig anzüglich, sondern ,,verschwurbelt". Dann noch als Feministin, also auch nicht sexy oder süß, sondern ,,anstrengend" – ,,Genderwahn auf Steuerkosten."

Einerseits nehme ich den Männern ihr Medium weg. Andererseits verschmutze ich junge Menschen mit ,,rot-grün versifftem" Gedankengut und ,,perversen" Fantasien. Es klingt unlogisch, aber in Reaktionen aus rechten Lagern sind Pornos gleichzeitig heilig und das ultimative Unheil.

ze.tt: Können Sie das genauer erklären?

Madita Oeming: Es gibt immer wieder Kommentare, die so klingen, als würde ich den Porno kaputtmachen. Ob mit Verkopftheit oder Feminismus. Als sei es eine Art letzte Bastion, die ich angreife: Jetzt müssen auch noch Pornos politisch korrekt sein? Gleichzeitig heißt es aber, dass ich mit Pornos die Uni, die Jugend, ja ,,unser" Land kaputt machen würde. Das ergibt nicht wirklich Sinn. Vermutlich spiegelt sich darin einfach ihre eigene verwirrte Haltung. Ich bin sicher, auch Rechte schauen gerne Pornos, aber es passt halt nicht in ihr konservatives Wertekorsett.

ze.tt: Was können wir durch Pornografie über die Gesellschaft lernen, in der wir leben?

Madita Oeming: Porno bedeutet Tabubruch. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir die Tabus einer Gesellschaft ziemlich gut an den Pornos ablesen können, die sie konsumiert. Inzestfantasien sind zum Beispiel in der westlichen Welt ein absoluter Trend. Es ist unwahrscheinlich, dass das daran liegt, dass eine Großzahl von Menschen tatsächlich Sex mit Familienmitgliedern haben möchte, sondern vielmehr an unserer Freude, im Porno zu sehen, was in der Realität nicht erlaubt ist.

Im alten Ägypten hätte diese Erzählung vermutlich keinen Reiz gehabt, weil Inzest nicht verboten war. In den USA genießt der sogenannte interracial porn eine auffällige Beliebtheit, was durchaus als Nachwehen von Sklaverei und Segregation und der damit verbundenen Tabuisierung von Sex zwischen Schwarzen und weißen Menschen gelesen werden kann. Porno ist eine Art regelfreier Raum. Und er zeigt: Etwas in uns sehnt sich nach wie vor nach dem Verbotenen.

ze.tt: Und was können wir durch Pornografie über uns selbst lernen?

Madita Oeming: Oh, wenn wir offen dafür sind: sehr, sehr viel. Schmerzhaft viel! Unsere körperlichen Reaktionen sind gnadenlos ehrlich. Manchmal führen uns Pornos Dinge vor Augen, die wir gar nicht sehen wollen. Gelüste, die wir sogar vor uns selbst verheimlichen. Alte Wunden und Traumata. Aber auch Schönheitsideale, Grenzen, Ekel. Das kann erschreckend, aber auch spannend, sogar heilsam sein, wenn wir uns drauf einlassen.

Wir können unsere unerfüllten Fantasien entdecken und absolut sicher durchspielen. Quasi mit den Körpern der Menschen auf dem Bildschirm. Wir können sexuelle Neigungen erkennen und zulassen. Genießen. Und natürlich können wir viel über den menschlichen Körper lernen. Wie unterschiedlich er aussieht, wie er sich verhält beim Sex, was er alles kann. Das kann uns auch dabei helfen zu lernen, unseren eigenen Körper anzunehmen und zu erforschen.

ze.tt: Gibt es für Sie neue Erkenntnisse aus Ihrem Seminar mit den Studierenden an der FU Berlin?

Madita Oeming: Ich habe wahnsinnig viel von meinen Studierenden gelernt. Unsere Diskussionen hallten oft noch die ganze Woche in mir nach. Es war eine sehr kluge und kritische Truppe. Sie haben mir noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es bei diesem Thema ist, Ambivalenz auszuhalten. Es gibt auf viele Fragen einfach keine eindeutige Antwort.

Besonders aufschlussreich waren für mich auch unsere Reflektionen: Wie es ist, zusammen Pornos zu schauen, wie ich unterrichte, wie unsere Gruppendynamik ist. Es ging viel um unsere eigenen Privilegien. Um schwer zu entlernende Werte und Sehgewohnheiten. Eine wichtige Erkenntnis für mich als Dozentin war, dass es gerade in einer eher homogen liberalen Gruppe notwendig ist, konservative Sichtweisen herzuleiten und zu verstehen. Sich quasi in die andere Seite hineinzuversetzen. Deren Argumentationsweise nachzuvollziehen, auch wenn man sie dann dekonstruiert.

ze.tt: Welche Sichtweise zum Beispiel?

Madita Oeming: Wir haben uns mit dem Anti-Porno-Feminismus beschäftigt, indem wir Catharine MacKinnon und Gail Dines gelesen haben, die Pornografie mit sexualisierter Gewalt gleichsetzen. Oder mit den Strategien, mit denen die Panik um Pornosucht in Boulevardmedien verbreitet wird. Auch die negativen Reaktionen auf das Seminar haben wir gemeinsam analysiert. Je weniger man sich selbst von Pornos bedroht fühlt, desto schwerer ist es zu verstehen, warum sie für andere so angstbesetzt sind.

ze.tt: Sie sagen, Sie sind Wissenschaftlerin, keine Sexualtherapeutin. Wie meinen Sie das?

Madita Oeming: Menschen kommen oft mit privaten sexuellen Problemen auf mich zu. Das kann einerseits, gerade im beruflichen Kontext, sehr grenzüberschreitend sein. Hier werde ich in eine Rolle gedrängt, die ich mir nicht ausgesucht habe. Und andererseits fühle ich mich manchmal überfordert mit der Verantwortung. Ich bin einfach nicht dafür ausgebildet, Menschen in Hinblick auf ihre Orgasmusprobleme, Körperunsicherheiten, Fetische oder ähnliches zu beraten. Selbst wenn ich viel darüber weiß.

Es zeigt sich immer wieder ein wahnsinniger Gesprächsdarf und Berge über Berge von sexueller Scham. Sie erhoffen sich von mir Erleichterung, oft eine Art Absolution. Ich höre mich immer wieder sagen: ,,Das ist völlig normal. Damit sind Sie nicht allein!" Aber das ist eigentlich nicht meine Aufgabe.

...


Aus: ",,Porno kann uns Dinge vor Augen führen, die wir sogar vor uns selbst verheimlichen"" Nina Monecke (16. Februar 2020)
Quelle: https://ze.tt/porno-kann-uns-dinge-vor-augen-fuehren-die-wir-sogar-vor-uns-selbst-verheimlichen-sex-masturbation/