[...] Es gebe "kaum noch Spontankommunikation in öffentlichen Räumen (...) Niemand flirtet mehr, alle zücken beim Betreten eines öffentlichen Raums ihre Smartphones." ... Wir lebten in einer Welt, in der "jeder die Gestapo des anderen ist". ... Welzer diagnostiziert eine Art umfassende Welterkrankung, die sich aus acht Symptomen zusammensetzt: dem Hyperkonsum, der Ausweitung des Marktes auf jede zwischenmenschliche Interaktion, der Vereinzelung der Individuen durch Pseudogemeinschaften in der virtuellen Welt, der Kontrolle aller digitalen Aktivitäten durch die "smarte Diktatur", der Umgestaltung der res publica zur res oeconomica, der Erklärung aller individuellen Lebenslagen zum alternativlosen Schicksal, der Bewertungssucht bei Netzaktivitäten, schließlich der Überwachung. Diese lose miteinander verknüpften und unordentlich nebeneinandergestellten Phänomene nennt Welzer "Übergangszonen ins Totalitäre" – und es ist abermals frappierend, dass auf einem derart skizzierten Weg zur Diktatur nicht die politisch von den wirtschaftlich Verantwortlichen unterschieden werden. Es ist in unserer "neo-feudalen" Welt dunkel von einem "privatwirtschaftlich-staatlichen Komplex" die Rede, der uns beherrsche. ... der notorische Verdacht, so gut wie alle außer dem Autor lebten in einem Verblendungszusammenhang; die polemische Unpräzision, mit der mit Großbegriffen wie Diktatur oder Totalitarismus hantiert wird; schließlich redundante Verweise auf den gesunden Menschenverstand ("Leben ist aber analog") oder gleich die eigene so engagierte Jugend hinterlassen den Eindruck ungerichteter Wüterei. Welzer suggeriert mit seiner Kapitalismuskritik eine Verschwörung von welthistorischem Ausmaß, der man spontan misstraut. ...
Aus: ""Die smarte Diktatur": Schlimmer als bei den Nazis?" Adam Soboczynski (16. Juni 2016)
Quelle:
http://www.zeit.de/2016/24/die-smarte-diktatur-harald-welzer