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[Die Befragung von Wertvorstellungen... (Notizen)]

Started by Textaris(txt*bot), February 20, 2007, 11:20:30 AM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Meistens wird der Begriff im Sinne einer menschlichen Bewertung (als Werturteil) oder einer Werterfahrung gebraucht und ist nicht so neutral gehalten wie der Begriff Bedeutung.


Aus: "Wert" (02/2007)
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wert

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Quote[...] Wertvorstellungen oder kurz Werte sind Vorstellungen über Eigenschaften (Qualitäten), die Dingen, Ideen, Beziehungen u. a. m. von Einzelnen (sozialen Akteuren) oder von sozialen Gruppen von Menschen oder von einer Gesellschaft beigelegt werden, und die den Wertenden wichtig und wünschenswert sind. Zu unterscheiden ist zwischen Werten als Mittel (z. B. Geld, Werkzeug, Gesetze), die ihren Wert durch ihre Funktion erhalten (äußere Werte) und Werten, die auf Werterfahrungen durch Fühlen beruhen (innere Werte wie z. B. Lust, Glück, Wohlbehagen, Schönheit, Harmonie).

Man kann ferner zwischen materiellen Werten und immateriellen Werten unterscheiden. Werte sind die konstitutiven Elemente der Kultur, sie definieren Sinn und Bedeutung innerhalb eines Sozialsystems (Gruppe, Gesellschaft etc.)


Aus: "Wertvorstellung" (02/2007)
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wertvorstellung

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Quote[...] Bei der soziologischen Untersuchung des Wertewandels in der heutigen Zeit werden unter anderem zwei Extrempositionen vertreten:

Nach Ronald Inglehart findet seit den 1970er Jahren eine Abwendung von materiellen und Zuwendung zu postmateriellen Werten statt. Als zukünftiges Ergebnis wird eine hohe Engagementbereitschaft und höhere Freiheit angenommen.

Nach Elisabeth Noelle-Neumann gibt es hingegen seit 1968 einen kontinuierlichen Werteverfall. Als Symptome werden Bedeutungsverluste von Kirche und Religion, Autoritätsverluste, Erosion zahlreicher vermeintlicher Tugenden (jetzt eher als "Sekundärtugenden" gesehen), abnehmender Gemeinsinn und ein sinkendes politisches Engagement genannt.

Eine differenzierte Position der Wertesynthese bezieht Helmut Klages. Dieser geht davon aus, dass Wertewandel Erfordernis einer modernern Gesellschaft ist und ein Zwang zur Individualisierung herrscht.


Aus: "Wertewandel" (02/2007)
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wertewandel


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Mittlerweile ersetzen Fragebogen die kindliche Fantasie. Alle fünf Jahre verschickt er sie weltweit, seit über dreissig Jahren. Der wiederholte Vergleich verdeutlicht Trends und Wandel. Ersichtlich werden universelle Werte, etwa die Vorliebe für Kunst oder Religiosität. "Alle sehen gerne Schönes und hören Musik", so Inglehart. "Alle wollen verstehen, woher sie kommen, wohin sie gehen."

Doch das Universelle ist die Ausnahme. Vergleicht Inglehart Länder und Kontinente, stellt er "eine gigantische Bandbreite an Werten" fest. Liege beispielsweise das Verhältnis zwischen dem reichsten amerikanischen Bundesstaat, Connecticut, und dem ärmsten, Mississippi, bei 1 zu 2, so misst er den Unterschied zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern in einem Verhältnis von 1 zu 100. "Wer Hunger hat, entwickelt eine gänzlich andere Strategie und somit andere Werte als einer, der satt ist." Wer von Rebellen physisch bedroht wird, sieht Schutz für sich und seine Familie als bedeutsamsten Wert. Wer die Heizung andreht, wenn es kalt ist, die Lampe anzündet, wenn die Nacht einbricht, kann sich anderem widmen als dem nackten Überleben. Ändern sich die Lebensumstände, ändern sich die Werte – diese These bildet den Kern von Ingleharts Forschung. Ihn interessiert, wer wo welche Prioritäten setzt und unter welchen Umständen sich die Abfolge von Wünschen ändert.

Zwei Faktoren führen Wechsel herbei. Zum einen nennt er die ökonomische und physische Sicherheit. Wer genug zu essen hat und nicht bedroht ist, kann weit unabhängiger handeln und sich vermehrt selbst verwirklichen. Werte wie Toleranz, Demokratie oder Umweltschutz lösen Überlebenswerte ab. Zum Zweiten bestimmt die Art der Arbeit die Art der Werte. Bestellen die Menschen das Feld, sind sie der Natur ausgeliefert. Je nach Wetter fällt die Ernte gut oder schlecht aus. Da bleibt nur das Anrufen einer höheren Macht. Deshalb sind religiöse Werte in einer Agrargesellschaft zentral. Löst das Fliessband den Pflug ab, tritt zentrale Planung an die Stelle Gottes. Die Industrialisierung verdrängt die Religion, Werte werden säkularer. Gravierender sind die Einschnitte in einer Wissensgesellschaft, wie Inglehart die Länder Westeuropas, Nordamerikas oder Japan beschreibt. Alles wechselt dort rasant. Menschen müssen sich ständig anpassen, was Innovation und Kreativität verlangt. Die Selbstverwirklichung wird zur Pflicht.

[...] Was hat ihn in der dreissigjährigen Arbeit am meisten überrascht? "Dass die Religion nicht ausgestorben ist, sondern weltweit wichtiger wird", erklärt Inglehart. Noch zu Beginn der Siebzigerjahre gingen sämtliche Sozialwissenschaftler von einer weltweiten Säkularisierung aus. "Wir haben uns geirrt", gesteht er. Unterschätzt wurde die Geburtenrate gläubiger Frauen. Sie liegt bei über fünf Kindern, wohingegen säkulare Frauen im Schnitt weniger als zwei gebären. Nicht nur prozentual nimmt der Anteil weltlicher Menschen ab, er sinkt real.

Zwar stärkt die Industrialisierung den säkularen Trend. Dieser wird aber in Wissensgesellschaften wieder leicht korrigiert. Doch formieren sich andere religiöse Ausprägungen, weg von traditionellen Kirchen, hin zur eigenständigen Sinnessuche. Wer sich selbst verwirklicht, entscheidet selbst über persönliche Werte wie Sexualität, Abtreibung oder Scheidung, so Inglehart. "Er folgt nicht einem diktierenden Prediger, sondern wählt eine eigene Religion". Nicht Sicherheit, sondern Autonomie bringt nun der Glaube.

[...] Der wichtigste Wertewandel selbstverwirklichter Menschen zeige sich in deren wachsender Toleranz. Das manifestiere sich nirgends so sehr wie bei der Akzeptanz von Homosexuellen. "Nein" sagten vor dreissig Jahren noch über die Hälfte der von Inglehart weltweit Befragten, ob Schwule und Lesben jemals akzeptiert werden sollen. Heute anerkennen etliche Länder gleichgeschlechtliche Ehen. Das unterstreiche auch, wie Wertewandel oft Gesetzesänderungen herbeiführen. "Wer sich sicher fühlt, öffnet sich, wer Angst hat, verschliesst sich", begründet Inglehart den Trend zu mehr Toleranz. Nicht überrascht war er, Irak in einer unlängst abgeschlossenen Studie als fremdenfeindlichstes Land zu erkennen. "Iraker fühlen sich derzeit extrem unsicher."

Neben der verstärkten Akzeptanz von Ausländern, Schwulen und Lesben macht Inglehart insbesondere eine wachsende Gleichberechtigung der Geschlechter aus.

[...] Zwar gibt es eine Beziehung zwischen Glück und Demokratie, so Inglehart. "Demokratie führt aber nicht automatisch zu Glück."

Der Umkehrschluss trifft zu. "Wer glücklich ist, wird offener für demokratische Werte." Ein Mysterium sei Lateinamerika. "Alle lateinamerikanischen und insbesondere die karibischen Länder sind glücklicher, als es ihr Vermögen erahnen lässt", erzählt Inglehart. Sicher, das Wetter ist ein Faktor. Wichtiger aber ist: "Die Menschen haben weit mehr Freunde, und sie verbringen mehr Zeit mit ihnen."

[...] Die Daten, die Inglehart in seinem engen Büro in Ann Arbor auswertet, sind für Organisationen wie die Weltbank oder die Vereinten Nationen gute Anhaltspunkte, wie sich die Welt entwickeln könnte. Der Professor selbst gibt sich optimistisch. "Abgesehen vom negativen Trend des Terrorismus und der Antwort darauf besteht Hoffnung." Überall werden Menschen reicher, sicherer und glücklicher. Ein Grossteil der Welt ist industrialisiert. In zuvor extrem armen Ländern wie China oder Indien bilden sich Mittelklassen. Handelsschranken fallen, Kapital und Technologie bewegen sich, was überall neue Stellen schafft.

Doch werden die Menschen glücklicher? Gerade in entwickelten Ländern nimmt der Konsum von Antidepressiva rasant zu. Ein TristesseIndikator sei das nicht, sagt Inglehart. "Wir können uns Pillen leisten, deshalb schlucken wir sie."


Aus: "Mit den Lebensumständen ändern sich die Werte" Von Peter Hossli; Freelancer, New York (19.02.2007)
Quelle: http://emagazine.credit-suisse.com/app/article/index.cfm?fuseaction=OpenArticle&aoid=178219&coid=120&lang=DE


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller.

Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.

Veröffentlichungen unter anderem "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.


Reden wir über Werte. Der Begriff, immer in der Mehrzahlform, ist derzeit ständig zu hören: in Sonntagsreden, in Debattenbeiträgen, in Leitartikeln, in Talkshows. Unsere Werte. Auch als westliche oder christliche Werte kommen sie vor. Wir sollen und wollen an ihnen festhalten. Wir müssen sie verteidigen.

Was exakt sie beinhalten, wird fast niemals gesagt. Worum also geht es?

Nehmen wir die christlichen Werte. Besser wäre von Botschaften, Grundsätzen, Zielen die Rede. Sofern der Inhalt von Jesu Bergpredigt gemeint ist, die Feindesliebe, wurde und wird er von christlichen Staaten vorwiegend missachtet. Oder nehmen wir jene mitmenschliche Praxis, die gemeinhin Brüderlichkeit heißt. In der französischen Revolution säkularisiert, wurde sie, als Solidarität, ihrem theologischen Ursprung völlig entfremdet.

Das Lexikon weiß, dass die christlichen Werte sich nicht bloß von einer Religionsgemeinschaft zur anderen ändern, sondern zudem in ihrer zeitlichen Abfolge. Eine genaue Definition sei daher nicht möglich.

Mit den westlichen Werten verhält es sich vergleichbar. Man kann die Gewaltenteilung dazu rechnen und die Menschenrechte. Letztere gibt es in unterschiedlichen Fassungen: jener der französischen Nationalversammlung von 1789, jener der Vereinten Nationen von 1946, jener des deutschen Grundgesetzes von 1949. Dies nur als Beispiele.

Zwischen dem Wortlaut der Erklärung und der Politik der Erklärer können sich Differenzen auftun, wie schon die USA-Gründerväter bewiesen: Sie waren durchweg Sklavenhalter. Wir wollen hier nicht ins Philosophische gehen, wo Rickert, Scheler und Max Weber erheblich voneinander abweichende Definitionen und Zuordnungen trafen.

Politische Parteien in Deutschland unterhalten Grundwertekommissionen, die vermutlich nicht nötig wären, wenn über die Grundwerte Einigkeit bestünde. Außerdem: Welche Werte gibt es eigentlich jenseits der Grundwerte? Und wie soll man sie benennen? Folgewerte? Minderwerte?

Die israelische Autorin Eva Illouz zählt zu den westlichen Werten den Konsum. Der ist unentgeltlich selten zu haben, wie auch das Wort Werte einen hörbar finanziellen Beiklang hat. Gemeint ist der Geldwert. Haben den auch die Menschenrechte?

Das Lexikon sagt: "Die Bedeutung des Wertbegriffs verändert sich, je nachdem ob die Wertzuschreibung von Einzelnen, von sozialen Akteuren oder von einer Gesellschaft erfolgt und ob sie als objektive Erkenntnis oder subjektive Haltung verstanden werden."

Wohl wahr. Und was immer unter westlichen Werten zu subsummieren ist, von der Individualität bis zum Pluralismus, von der Solidarität bis zum Hedonismus, von der Toleranz über die religiöse Vielfalt bis zum Laizismus, es handelt sich entweder um Gewohnheiten oder um Rechte und Regeln oder um gesellschaftliche Ideale.

Insgesamt meint es den westlichen Lebensstil. Ihn zu verteidigen haben wir guten Grund und alles Recht. Warum aber reden wir statt von Lebensstil lieber von Werten? Weil es kostbarer klingt? Der Begriff Werte erweist sich bei näherem Hinsehen als bloße Worthülse: pompös und der Sache nicht dienlich. Wir sollten ihn besser meiden.

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Aus: "Grundwerte in der Gesellschaft: "Westliche Werte" sind nur Worthülsen" Rolf Schneider (29.12.2015)
Quelle: http://www.deutschlandradiokultur.de/grundwerte-in-der-gesellschaft-westliche-werte-sind-nur.1005.de.html?dram%3Aarticle_id=341006

Textaris(txt*bot)

Quote[...] «Jemand, der ‹Flüchtende› sagt und von ‹MigrantInnen› spricht, gleichzeitig aber seine Kinder auf eine Privatschule schickt, wo er niemals mit Migrationsproblemen konfrontiert wird, und dann anderen ihre politisch nicht korrekte Sprechweise vorhält – das ist die Doppelmoral, auf die ich allergisch bin. Die gibt es links, in anderer Form rechts und auch in der verlorenen Mitte.»

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Aus: "«Mir ist das Einzelgängertum widerfahren», sagt der Schriftsteller Jürg Halter" Nora Zukker (3.1.2018)
Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/mir-ist-das-einzelgaengertum-widerfahren-sagt-der-schriftsteller-juerg-halter-ld.1343532

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Quote[...] Der Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich erläutert ... die neue Kluft zwischen dem Moral-Adel und dem Moral-Proletariat.

Sie kritisieren, dass durch die Betonung kultureller Unterschiede eine neue Klassengesellschaft im Entstehen sei. Was ist das Kennzeichen dieser neuen Kluft?

Es gab immer wieder Klassengesellschaften. Die Frage ist, was den Klassenunterschied definiert. Ich sehe heute eine Entwicklung, wo wir so etwas wie einen Moral-Adel bekommen im Gegensatz zu einem Moral-Proletariat. Die einen haben das Geld und die Zeit, um Crowdfunding-Projekte zu starten oder um Produkte zu kaufen, die teurer sind, durch die aber irgendetwas Sinnvolles auf der Welt gemacht wird. Dagegen stehen Menschen, die Billigware kaufen müssen oder die keine Zeit haben, bei jedem Produkt zu erkunden, ob es als Fair-Trade zertifiziert ist. Dieses Moral-Proletariat muss häufig in Niedriglohnjobs viel arbeiten und hat weder Zeit noch Geld für höhere Ansprüche.

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Aus: "Wie der Moral-Adel auf andere hinunterschaut" Josef Bruckmoser (Dienstag 28. November 2017)
Quelle: https://www.sn.at/panorama/wissen/wie-der-moral-adel-auf-andere-hinunterschaut-21024403

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Quote[...] Seit geraumer Zeit ist kaum etwas so beliebt wie Werte. Politiker beschwören «unsere Werte», Kulturkonservative berufen sich auf Heimat oder Tradition als ihre Werte, linksalternative Milieus bekennen sich zu Werten wie Nachhaltigkeit und Multikulturalismus und richten ihr Konsum- und Freizeitverhalten danach aus.

Über alle Unterschiede hinweg ist diesen Diskursen dabei die Annahme gemeinsam, dass Werte jeweils erst und immer wieder in Kraft gesetzt werden müssen. Wer eine nihilistische Diagnose stellt, also für die gesamte Gesellschaft einen generellen Verlust der Werte beklagt und deren Neubelebung fordert, aber auch wer sich um einzelne Werte kümmert, um individuell profilierter zu sein, vertritt gleichermassen die Überzeugung, dass Werte nur durch persönlichen Einsatz Geltung erlangen können. Solange sie nicht eigens verkörpert sind, bleiben sie abstrakt und leer.

Diese Defizitunterstellung legt jedoch nicht nur eine Handlungsnotwendigkeit nahe, sondern verheisst vor allem einen Handlungsspielraum. Die Verkörperung und Realisierung von Werten verlangt und erlaubt jeweils eine Gestaltung: Hier ist Kreativität gefragt.

Damit aber ist es für viele attraktiver, nach Werten zu leben, als ihr moralisches Leben an Tugenden, Pflichten oder Normen zu orientieren. Denn zu deren Erfüllung steht kaum Spielraum zur Verfügung: Man wird ihnen gerecht, oder man verfehlt sie. Anders als Werte existieren sie – so zumindest die herrschende Vorstellung – an sich und objektiv, und sie erlegen dem Menschen verbindliche Verhaltensregeln auf. Zwar kann man sich beim Essen oder im Energieverbrauch als massvoll erweisen oder tapfer in einem Beziehungskonflikt oder in einer Gefahrensituation sein, doch was massvoll und was tapfer ist, ist jeweils kaum strittig.

Dagegen lässt sich ein Wert wie «Familie» ganz unterschiedlich realisieren. Die einen geben viel Geld für eine möglichst grosse Wohnung aus, so dass jedes Kind genügend Platz hat, andere setzen alles daran, sich möglichst viel Zeit für die Kinder zu nehmen, weshalb sie vielleicht sogar auf eine berufliche Karriere verzichten. Wieder andere ziehen aufs Land, um den Kindern ein Aufwachsen in natürlicher Umgebung zu ermöglichen und um familiäre Rituale möglichst ungestört pflegen zu können.

Das Beispiel macht darauf aufmerksam, dass Werte bei ihrer Verwirklichung aber nicht nur Spielraum lassen, sondern zusätzlich zu einer immateriell-ideellen Dimension immer auch eine materielle Grundlage haben. Das gilt bereits für ihre gesamte Begriffsgeschichte. So verstand man unter Werten lange Zeit sogar primär materielle Güter – ein Haus, Schmuck, eine gute Aussteuer –, die aber zugleich mehr waren, da sie für Tradition, Fleiss oder gesellschaftlichen Status standen oder es erlaubten, sich für andere Menschen einzusetzen. Mittlerweile haben sich die Akzente verschoben.

Als Werte gelten nun Familie, Heimat oder Nachhaltigkeit – und das zuerst deshalb, weil sich damit Ideen eines guten Lebens verbinden. Sekundär spielt jedoch nach wie vor eine Rolle, dass bestimmte materielle Voraussetzungen vorhanden sein müssen, um diese Ideen auch verwirklichen zu können. Nur wer das Geld für die grössere Wohnung oder das Haus auf dem Land hat oder über genügend Rücklagen verfügt, um auch Teilzeit arbeiten zu können, wird es schaffen, den Wert «Familie» glaubwürdig zu realisieren.

Oft genügen nicht einmal Geld oder Zeit, um den eigenen Werten in gewünschtem Umfang Ausdruck zu verleihen. Vielleicht braucht man Bildung, vielleicht sogar spezifische inszenatorische oder performative Fähigkeiten – eben Kreativität –, um jene Spielräume zu füllen. Wer etwa auf die Strasse geht, um für einen Wert wie Datenschutz zu demonstrieren, wer eine Crowdfunding-Kampagne initiiert, um der Nachhaltigkeit in der Produktion auf die Sprünge zu helfen, wer sich für den Erhalt eines alten Gebäudes einsetzt, kann das jeweils nicht tun, ohne auf zahlreiche Ressourcen zurückzugreifen. Man muss sozioökonomisch und von seinen Anlagen her mehr oder weniger stark privilegiert sein; sonst ist ein Erfolg nahezu ausgeschlossen.

Positiv formuliert bedeutet das, dass Werte es erlauben, materielle Güter und Produktionsmittel aller Art für etwas zu verwenden, das einen ideellen Charakter besitzt. Sie stimulieren zu Transformationsleistungen, bei denen Geld oder Wissen dazu genutzt wird, die Welt ein klein wenig besser zu machen. Im mindesten verhilft man einem Wert wie Geschichte, Toleranz oder Fair Trade in der eigenen Lebenswelt zu mehr Realität, vielleicht wird man aber auch für andere Menschen zum Vorbild und schärft deren Bewusstsein für bestimmte Werte.

So weit, so gut. Doch hat die Werteseligkeit in der gegenwärtigen Gesellschaft auch eine gefährliche Kehrseite. Es ist nämlich die Seligkeit nur von Eliten. Und sie führt dazu, dass diejenigen, die über keine Privilegien verfügen, die also nicht wohlhabend, gebildet und kreativ begabt sind und die daher jene Spielräume nicht zu füllen vermögen, sich immer wieder als Menschen zweiter Klasse erfahren müssen.

Für sie stellt es einen grossen Nachteil dar, dass es unüblich geworden ist, die moralische Qualifikation an Tugenden oder Pflichten zu messen, sondern dass es vornehmlich darum geht, Werte umzusetzen. Denn um massvoll, gerecht, ehrlich oder rücksichtsvoll zu sein, braucht es weder Geld noch Begabung, ja nichts, worüber nicht jeder Mensch allein dadurch verfügt, dass er Mensch ist. Sind Tugend- und Pflichtenethiken ihrer Logik nach also egalitär, ist eine Wertethik im Gegenteil exklusiv. Sie ermöglicht es nicht allen Menschen gleichermassen, auch gute Menschen zu sein. Vielmehr gilt: Wer Werte nicht eigens zur Geltung bringen kann, ist bestenfalls bieder und langweilig, wird vielleicht aber sogar als abgestumpft, gleichgültig, unverantwortlich wahrgenommen.

Aber damit nicht genug. Die Ungleichheit steigert sich noch dadurch, dass die Privilegierten, die ihre Werte umfassend ausleben können, dazu neigen, auch stolz darauf zu sein und sich daher über andere Menschen zu erheben. Immerhin tun sie – zumindest nach eigenem Empfinden – nicht nur etwas Gutes, wenn sie sich für Familie, Natur oder Nachhaltigkeit engagieren, sondern erweisen sich zudem als aktiv und kreativ. Sie gestalten die Werte ja eigens und vollbringen damit gute Werke im doppelten Sinn. Moralstolz und Schaffensstolz verbinden sich miteinander und sorgen für Glücksgefühle, die sich im Empfinden eines guten Gewissens ausdrücken. Die Privilegierten werden somit zu Gewissenshedonisten, die schnell dabei sind, mit Dünkel und erhobenem Zeigefinger auf die vielen anderen herabzublicken, die nicht genauso gute Werke vollbringen.

Die Orientierung an Werten führt somit zu einer Verstärkung und Vertiefung sozialer Unterschiede. Wer wohlhabend ist, kann sich und sein Leben auch noch als gerechtfertigt erfahren, wer hingegen arm ist, erscheint gleich ein zweites Mal, nämlich in moralischem Sinne, als mangelhaft, gar als minderwertig. Und während die einen sich dank ihrem wertebewussten Lebensstil selbst als wertvoll erleben, kommt es den anderen so vor, als seien sie nur Trash. Es liegt somit in der Logik einer Wertethik, dass sich auf der einen Seite eine Moralaristokratie herausbildet, in der sich alles um das imposante Verkörpern einzelner Werte dreht, während andererseits ein Moralproletariat entsteht, das kaum eine Chance auf Anerkennung hat.

Schon bei Max Scheler, der vor rund einem Jahrhundert die umfassendste Wertethik ausgearbeitet hat, bestand das entscheidende Kriterium für moralisches Verhalten nicht etwa darin, dass es gegenüber dem kategorischen Imperativ bestehen kann, sondern dass es spezifisch und individuell einen Wert zum Ausdruck bringt. Eine moralische Handlung war für Scheler letztlich sogar genauso einzigartig wie ein Kunstwerk. Ein imposant realisierter Wert ist damit ein Meisterwerk – oder, wie man auch sagen könnte, ein Meisterwert. Wirklich imposant wird dieser aber nur, wenn möglichst grosse Mittel zu seiner Realisierung zur Verfügung stehen. Und es wird umso mehr ein Werk daraus, je begabter jemand ist, diese Mittel auch zu nutzen.

Massgeblich konnte eine Wertethik allerdings erst in einer Wohlstandsgesellschaft werden, in der hinreichend viele Menschen genügend materielle Ressourcen haben, um sie auch für die Umsetzung von Werten übrig zu haben. Aber selbst wenn es viele sind, die nun ihre Werte realisieren, sind es noch mehr, die das nicht oder nur ungenügend können. Dass sie gegenüber dem Moraladel und angesichts von dessen Neigung zu Selbstgerechtigkeit Ressentiments entwickeln, liegt auf der Hand.

Davon zeugen bereits die populistischen Bewegungen, die in den letzten Jahren gerade in den Ländern virulent geworden sind, in denen ein moralisches Wohlstandsgefälle entstanden ist. In ihnen könnte man sogar eine neoprotestantische Mentalität erkennen, geht es doch heute nicht anders als vor fünfhundert Jahren darum, dass sich Menschen dagegen wehren, nur deshalb als moralisch schlechter qualifiziert zu gelten, weil es ihnen an äusseren Voraussetzungen dazu fehlt, als gut anerkannte Werke zu tun. Wie damals vor allem der Ablasshandel Widerstände auslöste, sind es heutzutage Crowdfunding-Projekte, Bio-Supermärkte, traditionsbewusste Do-it-yourself-Szenen oder der politische Kunstaktivismus, die den Argwohn wecken, einigen zu viel und allen anderen viel zu wenig Chancen auf ein gutes Gewissen zu gewähren.

Es ist höchste Zeit zu erkennen, wie gefährlich es ist, politisch-moralische Diskurse vor allem als Diskurse über Werte zu führen. Und es braucht eine Debatte darüber, wie sich verhindern lässt, dass sozioökonomische Unterschiede zu weiteren Unterschieden führen und nichtprivilegierte Menschen zugleich als moralische Personen abgewertet werden. So oft gerade die politische Linke den Kapitalismus als Motor sozialer Ungleichheit kritisiert hat, so selten hat man bisher die herrschende Wertethik als Motor moralischer Ungleichheit kritisiert. Wenn sich das nicht bald ändert, drohen unruhige Zeiten.


Aus: "Werte muss man sich leisten können – der neue Moraladel" Wolfgang Ullrich (3.1.2018)
Quelle: https://www.nzz.ch/meinung/werte-muss-man-sich-leisten-koennen-der-neue-moraladel-ld.1332906

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Quote[...] Nicht Gott, der Teufel versucht den Menschen, sagt der Papst.

... ist die Versuchung durch das (falsche) Gute nicht das, was allen Formen von religiösem Fundamentalismus zugrunde liegt?

Dazu ein vielleicht überraschendes historisches Beispiel: das Attentat auf Reinhard Heydrich, Hitlers Statthalter in Prag. Die tschechoslowakische Exilregierung in London beschloss 1942, Heydrich zu töten. Jan Kubiš und Jozef Gabčík, die das für die Operation ausgewählte Team anführten, wurden in der Nähe von Prag abgesetzt. Am 27. Mai 1942 war Heydrich auf dem Weg in sein Büro. Allein mit seinem Chauffeur in einem offenen Wagen.

Als der Chauffeur an einer Kreuzung in einem Vorort von Prag die Fahrt verlangsamte, trat Gabčík in den Weg und zielte mit einer Maschinenpistole auf das Auto. Doch der Angriff schlug fehl. Anstatt dem Fahrer zu befehlen wegzufahren, befahl Heydrich anzuhalten und wollte den Angreifer stellen. In diesem Augenblick warf Kubiš einen Sprengsatz auf den hinteren Teil des Autos. Die Explosion verwundete sowohl Heydrich als auch Kubiš.

Als sich der Rauch verzogen hatte, tauchte Heydrich mit seiner Waffe in der Hand aus dem Autowrack auf. Er jagte Kubiš ein paar Minuten lang, brach dann aber zusammen. Er schickte seinen Fahrer los, um Gabčík zu Fuss zu verfolgen, während er selber, immer noch mit der Pistole in der Hand, seinen linken Oberkörper hielt, der stark blutete.

Eine Frau, die zufällig vorbeikam, eilte Heydrich zu Hilfe. Sie hielt einen Lieferwagen an, um den Verwundeten von der Unfallstelle wegzubringen. Heydrich wurde auf die Ladefläche des Autos gelegt und in die Notfallstation eines nahe gelegenen Spitals gebracht. Er starb ein paar Tage später: Aber er hätte überleben können. Und die hilfsbereite Passantin wäre in die Geschichte eingegangen als die Person, die Reinhard Heydrich das Leben gerettet hat.

Ein militaristischer Nazi-Sympathisant würde an dieser Geschichte wohl Heydrichs persönlichen Mut hervorheben. Mich hingegen fasziniert die Rolle der unbekannten Frau. Sie half Heydrich, der wehrlos in seinem Blut auf der Strasse lag. War sie sich bewusst, wer er war? Wenn ja und wenn sie keine Nazi-Sympathisantin war – beide Vermutungen haben alle Wahrscheinlichkeit für sich –, warum tat sie das, was sie getan hat? War es eine reflexartige Reaktion? Kam die Tat aus dem urmenschlichen Mitgefühl heraus, einem Menschen zu helfen, der sich in Not befindet – wer auch immer es ist? War das Mitgefühl stärker als das Wissen darum, dass dieser Mann einer der schlimmsten Nazi-Verbrecher war, ein Mann, der für Millionen von Toten mitverantwortlich war?

Die Frage stellt uns vor die Wahl zwischen dem abstrakten liberalen Humanismus und der Ethik des radikalen emanzipatorischen Kampfes: Wenn wir auf der Seite des liberalen Humanismus bleiben, sind wir am Ende so weit, dass wir bereit sind, die schlimmsten Verbrecher zu dulden. Und wenn wir dem folgen, was uns das Gesetz des politischen Kampfs befiehlt, befinden wir uns auf der Seite der emanzipatorischen Universalität. Und das heisst: Die arme Frau hätte ihrem Mitgefühl widerstehen und versuchen müssen, dem verletzten Heydrich den Rest zu geben.

Wer Dilemmata dieser Art wegdiskutiert, weil sie ihm moralisch zu heikel sind, macht Ethik zu einer leblosen Angelegenheit. ...


Aus: "Hiobs Schweigen" Slavoj Žižek (3.1.2018)
Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/hiobs-schweigen-ld.1343521

Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Mit einem Rundgang durch das Warenangebot der moralischen Extraklasse eröffnet der Medienwissenschaftler Wolfgang Ullrich sein Buch ,,Wahre Meisterwerte". Diese ,,Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur" trifft den Nerv der Zeit.

Zum einen entlarvt Ullrich den konsumistisch geprägten Werte-Diskurs der Popkultur. Nicht umsonst ist das Buch durchgängig mit Screenshots von Instagram illustriert: Denn ebendort – in den sozialen Medien – setzt sich der ,,wertebewusste" Mensch mit seinen ,,wert"-vollen Konsumprodukten in Szene. ,,Wer sich zu Werten bekennt, kann das eigene Selbstbewusstsein in mehreren Dimensionen steigern," schreibt Ullrich. ,,Und soviel es bringt, sich auf Werte zu berufen, so wenig verlangt es umgekehrt. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis scheint vielmehr sensationell gut zu sein. Der Wertemensch ist stark: geradezu unangreifbar."

Ullrich beobachtet, dass Werte ,,gestaltet", ,,verwirklicht", ,,verkörpert" werden müssen – ihre Umsetzung wird als kreative Leistung verstanden, die vor allem der individuellen Selbstverwirklichung dient. Resultat seien ein ,,Gewissenshedonismus" und eine zunehmend populäre Wertethik. Mit Hans Joas betont Ullrich die Gefahr, dass eine solche Wertethik ,,ausschließlich die Situationsbezogenheit unserer Entscheidungen betont und damit der Prinzipienlosigkeit und Willkür Tür und Tor öffnet".

Zum anderen gelingt es Ullrich, dieselben Tendenzen jenseits der Konsumwirtschaft auf der Ebene politischer und gesamtgesellschaftlicher Diskurse nachzuweisen. Damit leistet er einen wichtigen Diskussionsbeitrag zu den aktuellen Debatten um politische Korrektheit, Gutmenschen und Wutbürger. So hinterfragt er etwa die Aktivistengruppe ,,Tools for Action", die partizipative Projekte mit ,,Spaßfaktor" gegen Naziaufmärsche organisiert: ,,Statt vor allem in Sorge darüber zu sein, dass alte und neue Rechtsextreme auf die Straße gehen, genießen sie es, zu den Guten zu gehören und sich moralisch integer und kreativ zu erleben."

Schlagkraft gewinnt Ullrichs Kritik dadurch, dass er nicht nur die problematischen Seiten einer oberflächlichen Werte-Inszenierung nachzeichnet und deshalb auch nicht in ein allgemeines Gutmenschen-Bashing verfällt. Vielmehr arbeitet er eine Dynamik heraus, ,,durch die letztlich der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt verlorengeht". Denn die Realisierung eines ,,wertebewussten" Lebensstils setzt einen gewissen materiellen Wohlstand voraus. Dieser ermöglicht erst eine entsprechende Inszenierung. Die Ärmeren hingegen hätten schlechtere Chancen, ,,sich zu bestimmten Werten zu bekennen oder diese zu realisieren".

Mit der Analyse dieser Problematik bietet Ullrich einen Schlüssel zum Verständnis gegenwärtiger Gegenbewegungen. Hierzu gehören die sich – gerade auch aus dem rechten politischen Spektrum heraus – artikulierenden Vorbehalte gegenüber den ,,Moraleliten" ebenso wie Teile der Rap-Kultur, wenn etwa der Rapper Kollegah postuliert: ,,Ihr haltet Peacezeichen hoch, ich halte Schießeisen hoch".

Dabei enttarnt Ullrich die Kritik aus den Reihen der AfD oder Identitären Bewegung an linksliberalen ,,Gutmenschen" als gleichfalls wertethisch aufgeladen – nur dass die Kritiker ihrerseits antimodernistischen Werten anhingen. Dementsprechend hat die politische Rechte inzwischen auch einen Markt eigener ,,wertvoller" Konsumprodukte entwickelt. ,,Damit aber", stellt Ullrich fest, ,,ist der Gegensatz zwischen ,links' und ,rechts' weniger prägend als zwischen ,arm' und ,reich' – also der zwischen Menschen, die damit zu tun haben, ihre materiellen Lebensgrundlagen zu sichern, und anderen Menschen, die über genügend Ressourcen verfügen, um sich täglich um ihr Gewissen kümmern, zu Werten bekennen und das eigene Agieren und Konsumieren als sinnstiftend empfinden zu können."

Wie ist auf diese Entwicklungen zu reagieren? Dass eine Beendigung des Werte-Kultes illusorisch wäre, ist dem Autor bewusst. Jedoch fordert er eine gesamtgesellschaftliche Debatte über ,,den Charakter und die Gefahren einer Wertethik" ein. Mehr noch: Die Besinnung auf die jeweilige Wertgrundiertheit des Handelns unterschiedlicher Konfliktparteien böte die Chance, zu einem Dialog zu führen, wo bislang gegenseitige Verachtung herrscht.


Aus: "Gekaufte Werte" Tilman Asmus Fischer (31.01.2018)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/wolfgang-ullrich-ueber-ethik-und-kapitalismus-gekaufte-werte/20908210.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Westliche Doppelmoral: Saudi-Arabien, Russland und Syrien  ... In die aufgeladene Stimmung mit starker Schwarz-Weiß-Malerei zwischen dem Westen und Russland passt, dass Saudi-Arabien die Repression im Inneren weiter anzieht, nachdem sowieso schon Bürger- und Frauenrechtler verfolgt, eingesperrt und mit hohen Strafen verurteilt wurden. Jetzt wurde ein Gesetz eingeführt, nach dem diejenigen, die Satire online veröffentlichen, mit 5 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe vonrechnen müssen, wenn dies die "öffentliche Ordnung" stört. Und das geht weit, alles, was "die öffentliche Ordnung, religiöse Werte und die öffentliche Moral lächerlich macht, provoziert und stört", kann bestraft werden. Der junge Kronprinz Mohammed bin Salman setzt auf die harte Hand, um das rückwärts gewandte theokratische Regime bei aller technischen Modernisierung zu verteidigen. Und er kann das mit der Duldung der westlichen Staatengemeinschaft machen, die ihre angeblichen Werte nur dort kraftvoll zur Geltung bringt, wo es ihr geopolitisch und wirtschaftlich nicht schadet. ...


Aus: "Westliche Doppelmoral: Saudi-Arabien, Russland und Syrien" Florian Rötzer (05. September 2018)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Westliche-Doppelmoral-Saudi-Arabien-Russland-und-Syrien-4155121.html

QuoteTrumpelstilzchen, 05.09.2018 08:08

Doppelmoral ist der völlig falsche Begriff, denn moralische Kategorien spielen überhaupt keine Rolle, es sei denn zur Manipulation des Pöbels...


Quotestony246, 05.09.2018 09:24

Es geht nur um Geschäfte

Dafür, dass der militärisch industrielle Komplex einen Haufen Geld verdient, dafür dass die Mitglieder der politischen Führung daran mitverdienen, und dass die Wirtschaft der USA angekurbelt wird. Und der gemeine Bürger zahlt das über seine Steuern, während die reiche Elite immer mehr von Steuern entlastet wird.

Und wenn dafür ein paar hunterttausend Menschen getötet werden und Millionen um ihre Existenz gebracht und vertrieben werden: Wo cares? Denn wir sind ja per Definition die Guten.


QuoteDer Terrier, 05.09.2018 08:14

ja ja Doppelmoral

Bei TP hat es doch bisher niemanden gestört das Russland und Diktator Assad in Syrien verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Die Friedensbewegten, Russlandfreunde und Linke hetzen immer nur gegen den Westen.

Die von Assad und Russland ermordeten Kinder in Syrien hat doch hier bisher keinen interessiert.


QuoteAngestalt, 05.09.2018 08:22

Re: ja ja Doppelmoral

...leider hat Telepolis nicht die Reichweite anderer Medien. Wenn ich Ihre Kritik auf diese anpasse liest die sich so:

Bei ZON/SPON & Co hat es doch bisher niemanden gestört das Saudi Arabien & US-Konsorten im Jemen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Die Neoliberalen, US-Freunde und als Linke getarnte Kriegstreiber hetzen immer nur gegen den Russlad und Iran.

Die von Saudi Arabien ermordeten Kinder im Jemen haben doch bisher keinen interessiert.


etc.

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Am 23. Februar 2022 begeht das Deutsche Heer den "Tag im Zeichen unserer Werte" als ein Teil des Programms ,,Klare Haltung – starke Überzeugungen", welches zur Erhöhung der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit in der Persönlichkeitsbildung ins Leben gerufen wurde. Die Werteordnung des Grundgesetztes ist für Soldatinnen und Soldaten die Grundlage für glaubwürdiges und verantwortungsbewusstes Handeln innerhalb und außerhalb des Dienstes. ...


Aus: "Ein "Tag im Zeichen unserer Werte"" (2022)
Quelle: https://www.bundeswehr.de/de/organisation/weitere-bmvg-dienststellen/zentrum-innere-fuehrung/unsere-angebote/tag-im-zeichen-unserer-werte

Textaris(txt*bot)

... angebliche außenpolitische Wertorientierung ... ethische Flexibilität ...

Quote[...] Stephen M. Walt ist Kolumnist bei Foreign Policy und Robert und Renée Belfer Professor für internationale Beziehungen an der Harvard University ... Glauben die Liberalen wirklich, was sie über ihre außenpolitischen Ideale sagen? - Ein Kommentar über internationale Beziehungen von Stephen M. Walt

Die umstrittene Entscheidung der Regierung Biden, die Ukraine mit Streumunition zu beliefern, ist ein bezeichnendes Beispiel für die Grenzen des Liberalismus als Leitfaden für die Außenpolitik. Die Rhetorik der Regierung preist die Überlegenheit von Demokratien gegenüber Autokratien, betont ihr Engagement für eine ,,regelbasierte Ordnung" und behauptet standhaft, dass sie die Menschenrechte ernst nimmt. Wäre dies jedoch der Fall, würde die EU keine Waffen schicken, die ernsthafte Risiken für die Zivilbevölkerung bergen und deren Einsatz im Ukraine-Krieg sie in der Vergangenheit scharf kritisiert hat.

Aber wie auch bei anderen wichtigen Themen (z. B. den Beziehungen zu Saudi-Arabien, der zunehmenden Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch Israel oder dem Engagement für eine offene Weltwirtschaft) werden diese liberalen Überzeugungen über Bord geworfen, sobald sie unbequem werden. Dieses Verhalten sollte uns nicht überraschen: Wenn Staaten in Schwierigkeiten sind und befürchten, dass sie einen Rückschlag erleiden könnten, werfen sie ihre Prinzipien über Bord und tun, was sie für nötig halten, um zu gewinnen.

Um diese Rechte zu bewahren und uns gleichzeitig voreinander zu schützen, sind Liberale der Meinung, dass Regierungen ihren Bürgern gegenüber rechenschaftspflichtig sein sollten (in der Regel durch freie, faire und regelmäßige Wahlen), dass sie durch die Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt werden sollten und dass die Bürger die Freiheit haben sollten, zu sprechen, zu verehren und zu denken, wie sie wollen, vorausgesetzt, dass die Ausübung dieser Rechte anderen nicht schadet. Um es kurz zu machen: Ich mag diese Grundsätze genauso wie jeder andere, und ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, in dem sie (größtenteils) intakt sind.

Für Liberale sind die einzigen legitimen Regierungen diejenigen, die sich an diese Grundsätze halten, auch wenn keine Regierung dies perfekt tut. Wenn sie sich der Außenpolitik zuwenden, neigen Liberale daher dazu, die Welt in gute Staaten (solche mit legitimen, auf liberalen Grundsätzen basierenden Ordnungen) und schlechte Staaten (so gut wie alle anderen) zu unterteilen und die meisten, wenn nicht sogar alle Probleme der Welt auf letztere zu schieben.

Sie glauben, dass, wenn jedes Land eine etablierte liberale Demokratie wäre, Interessenkonflikte in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würden und die Geißel des Krieges verschwinden würde. Liberale legen auch großen Wert auf die Bedeutung von Normen und Institutionen - die die gepriesene regelbasierte Ordnung untermauern - und beschuldigen häufig nicht-liberale Staaten, sie mit kaltschnäuziger Missachtung zu verletzen.

    Diese Sicht der internationalen Angelegenheiten ist unbestreitbar verlockend. Anstatt die Beziehungen zwischen den Staaten als einen unerbittlichen Kampf um Macht und Position zu sehen, bietet der Liberalismus eine verführerische Vision von Fortschritt, moralischer Klarheit und einem positiven Handlungsprogramm.
    Stephen M. Walt


Er erlaubt es den Amerikanern (und ihren engsten Verbündeten), sich einzureden, dass das, was für sie gut ist, auch für alle anderen gut sein wird. Man muss die liberale Ordnung nur immer weiter ausbauen, und irgendwann wird in einer zunehmend wohlhabenden und gerechten Welt ewiger Frieden herrschen. Außerdem: Was ist die Alternative? Will jemand wirklich die willkürliche Ausübung von Macht, die Unterdrückung von Freiheit oder die Behauptung, dass mächtige Akteure tun können, was sie wollen, verteidigen?

Leider leidet die liberale Sichtweise an mindestens zwei gravierenden Mängeln. Das erste Problem ist der universalistische Anspruch des Liberalismus. Da er sich auf die Behauptung stützt, dass jeder Mensch überall bestimmte unveräußerliche Rechte hat, neigen liberale Staaten dazu, Kreuzritter zu sein, die Außenpolitik als einen Alles-oder-Nichts-Kampf zwischen Gut und Böse betrachten. George W. Bush verkündete diese Sichtweise in seiner zweiten Antrittsrede, als er verkündete, das ultimative Ziel der amerikanischen Außenpolitik sei ,,die Beendigung der Tyrannei in unserer Welt".

Warum war dies notwendig? Weil ,,das Überleben der Freiheit in unserem Land zunehmend vom Erfolg der Freiheit in anderen Ländern abhängt". In der Praxis würde diese Politik jedoch einen nicht enden wollenden Konflikt mit Ländern garantieren, die andere Traditionen, Werte und politische Systeme haben. Diese Überzeugungen können auch eine gefährliche Selbstüberschätzung fördern: Wenn man auf der Seite der Engel kämpft und mit den Gezeiten der Geschichte schwimmt, kann man leicht davon ausgehen, dass der Sieg unvermeidlich ist und nicht so schwer zu erreichen sein wird.

Und wenn die Weltpolitik ein manichäischer Kampf zwischen Gut und Böse ist, bei dem die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht, dann gibt es keine Grenzen für die Bereitschaft zu kämpfen und wenig Grund zur Zurückhaltung. Wie Senator Barry Goldwater es in seiner erfolglosen Kampagne für das Präsidentenamt 1964 ausdrückte:

    Extremismus bei der Verteidigung der Freiheit ist kein Laster. ... Mäßigung im Streben nach Gerechtigkeit ist keine Tugend.
    Senator Barry Goldwater


Dieselbe Denkweise findet sich heute in der überhitzten Rhetorik der lautesten liberalen und neokonservativen Verteidiger der Ukraine, die jeden, der eine andere Sichtweise des Konflikts vertritt, schnell als Beschwichtiger, Verteidiger des russischen Präsidenten Wladimir Putin oder Schlimmeres angreifen.

Das zweite Problem ist die Zerbrechlichkeit dieser liberalen Überzeugungen, wenn sie auf die Probe gestellt werden, wie die Entscheidung von Präsident Joe Biden, Streumunition an die Ukraine zu liefern, beweist. Wenn sich der (böse) Feind als widerstandsfähiger erweist als erwartet und der Sieg nicht schnell errungen werden kann, dann werden selbsternannte Liberale anfangen, Politiken oder Partner zu unterstützen, die sie in besseren Zeiten vielleicht meiden würden. George W. Bush mag die Tugenden der Freiheit gepriesen haben, aber seine Regierung folterte auch Gefangene.

Wie das Magazin Forward berichtet hat, ist der Besuch von Vertretern der Asowschen Brigade, einer ukrainischen Miliz mit einer gut dokumentierten nationalsozialistischen und rassistischen Vergangenheit, an der Stanford University im Juni 2023 ein aktuelles Beispiel. Putins Behauptungen, die Ukraine müsse entnazifiziert werden, sind übertrieben, aber die Bereitschaft ausgesprochener Liberaler wie Michael McFaul oder Francis Fukuyama, Asow-Vertreter in Stanford willkommen zu heißen, zeigt eine bemerkenswerte ethische Flexibilität.

    Politik ist natürlich die Kunst des Möglichen, und manchmal müssen moralische Überzeugungen kompromittiert werden, um größere Ziele zu erreichen.
    Stephen M. Walt


Die Vereinigten Staaten verbündeten sich beispielsweise mit dem stalinistischen Russland, um Nazideutschland zu besiegen, und diese Art von ethischer Zweckmäßigkeit ist weit verbreitet. Wie Alexander Downes in seiner umfassenden Studie über die gezielte Tötung von Zivilisten zeigt, sind Demokratien oft genauso bereit, Zivilisten zu töten wie ihre autoritären Gegenspieler, und zwar ganz bewusst. Die Briten führten im Zweiten Burenkrieg eine brutale Aufstandsbekämpfungskampagne, die alliierte Blockade im Ersten Weltkrieg ließ die deutsche Zivilbevölkerung hungern, und die Vereinigten Staaten und Großbritannien bombardierten im Zweiten Weltkrieg gezielt zivile Ziele (einschließlich des Einsatzes von zwei Atombomben auf Japan).

Später warfen die Vereinigten Staaten während des Vietnamkriegs fast 6 Millionen Tonnen Bomben auf Vietnam ab (etwa dreimal so viel wie auf Deutschland und Japan während des Zweiten Weltkriegs), einschließlich gezielter Angriffe auf vietnamesische Städte, und ihre ,,sanktionsfreudige" Außenpolitik hat Zivilisten in Syrien, Iran und anderswo geschadet. Und wenn liberale Staaten (oder ihre Verbündeten) Kriegsverbrechen oder Gräueltaten begehen, ist ihr erster Instinkt oft, diese zu vertuschen und die Verantwortung zu leugnen.

Für Realisten ist ein solches Verhalten natürlich keine Überraschung. Sie betonen, dass das Fehlen einer zentralen Autorität in der Weltpolitik die Staaten dazu zwingt, sich um ihre Sicherheit zu sorgen, und sie manchmal dazu veranlasst, anderen Staaten gegenüber aggressiv zu handeln, weil sie davon überzeugt sind, dass sie dadurch sicherer werden. Diese bekannte Tendenz macht es nicht richtig oder entschuldigt die Exzesse, die sowohl Demokratien als auch Autokratien manchmal begehen, aber sie hilft uns zu verstehen, warum die Unterscheidung zwischen ,,guten" liberalen Staaten und ,,schlechten" Autokratien nicht so eindeutig ist, wie Liberale behaupten.

In der Tat lässt sich gut argumentieren, dass wohlmeinende liberale Kreuzzügler für viel mehr Probleme verantwortlich sind als diese angeblich kaltherzigen, amoralischen Realisten. Wie Michael Desch argumentiert hat, würde ein breit angelegter realistischer Ansatz in der Weltpolitik eine gesündere und friedlichere Welt hervorbringen, eben weil er universelle Kreuzzüge ablehnt und anerkennt, dass andere Gesellschaften Werte haben, die sie ebenso bewahren wollen wie wir unsere eigenen.

    Aus diesem Grund betont der Realismus die Notwendigkeit, die Interessen anderer Staaten zu berücksichtigen und umsichtige diplomatische Anpassungen vorzunehmen, wenn sich die Kräfteverhältnisse verschieben. Dieser Ansatz hätte den Vereinigten Staaten geholfen, einige der kontraproduktiven Exzesse der unipolaren Ära zu vermeiden, Fehler, die beträchtliches Leid verursacht und Amerikas Image vielerorts beschädigt haben.
    Stephen M. Walt


Wahrscheinlich sollte ich einigen meiner liberalen Widersacher gegenüber toleranter sein. Sie geben es vielleicht nur ungern zu, aber ihre Bereitschaft, ihre liberalen Überzeugungen angesichts unbequemer internationaler Realitäten aufzugeben, ist an sich schon eine starke Rechtfertigung für die grundlegende realistische Perspektive. Es wäre schön, wenn die liberalen Stimmen, die den außenpolitischen Diskurs in den USA dominieren, eher bereit wären, diese Fehler einzugestehen, und weniger selbstgerecht wären, wenn sie ihre politischen Empfehlungen verteidigen. Der öffentliche Diskurs wäre zivilisierter und produktiver, und die Erfolgsquote der US-Außenpolitik würde sich mit Sicherheit verbessern.


Dieser Artikel war zuerst am 19. Juli 2023 in englischer Sprache im Magazin ,,ForeignPolicy.com" erschienen



Aus: "Bidens Streubomben gegen Russland: Widersprüche des Liberalismus" Foreign Policy (30.07.2023)
Quelle: https://www.fr.de/politik/krieg-ukraine-krieg-usa-streumunition-russland-joe-biden-liberalismus-george-bush-ukraine-zr-92430522.html

Quoteahr66

Erstens lässt der Autor jedwede Differenzierungsfähigkeit vermissen, wenn er alles Handeln irgendwie demokratisch verfasster Staaten über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren(!) pauschal "dem Liberalismus" zuschreibt. Und zweitens kritisiert er diesen "Liberalismus" in derselben Pauschalität und mit demselben moralischen Rigorismus, den er dann "dem Liberalismus" selbst vorwirft. Das ist beides äußerst billig, mal vorsichtig ausgedrückt.


QuoteThomas Ortlauf (PNG)

Ein interessanter argumentativer Einblick in die intern-amerikanische Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern des politischen Liberalismus und des politischen Realismus, wobei man ergänzen sollte, dass der politische Liberalismus in den USA, und zwar im Grunde von Staatsgründungsbeginn an (Sklaverei u.a.m.), auch noch stark christlich verbrämt ist, und zwar heutzutage entweder - insbesondere unter den Republikanern - aus einer sich offen bekennenden religiösen Bindung heraus oder unbewußt, nämlich etwa durch die unbewußte geistige Verwurzelung in der ursprünglich christlich geprägten europäisch-westlichen endzeitlichen historischen Denktradition ("Ende der Geschichte", Francis Fukuyama).
Dass die ganze angebliche außenpolitische Wertorientierung der amerikanischen Liberalen im Grunde "phony" ist, dass nämlich die Auswahl der im "Kampf für die Menschenrechte" zu Gegnern und "Feinden" auserkorenen Länder, in die man die Demokratie "exportieren" möchte, immer sehr selektiv ist und in erster Linie immer an den handfesten nationalen ökonomischen oder nationalen sicherheitspolitischen Interessen ausgerichtet ist, ist eine weitverbreitete (und oft dann als "antiamerikanisch" verunglimpfte) Kritik an den USA und sozusagen ein "offenes Geheimnis".
Das Argument der politischen Realisten, dass eine "zentrale Autorität in der Weltpolitik" fehlt und dass es deswegen bei den internationalen Beziehungen und Auseinandersetzungen immer noch in erster Linie "rein um die Macht", um einen Machtkampf zwischen Nationalstaaten, geht (mit dem letztendlichen Ziel der "Weltherrschaft"), finde ich - "realistisch gesehen" - eine zutreffende Beschreibung, aber meiner Ansicht nach sollte man es - angesichts des enormen Zerstörungspotentials und der prekären Zerbrechlichkeit des instabilen Gleichgewichts der nuklearen Abschreckung - nicht bei dieser "realistischen Weltlage" belassen, sondern sich vielmehr "vor-sichtiger-weise" intersiv darum bemühen, die UNO, die ein noch sehr unvollkommener Ansatz einer "zentralen Autorität in der Weltpolitik" ist, so rasch wie möglich weiterzuentwickeln und weiter auszubauen.


QuoteWerner Engelmann

So richtig es ist, die moralische Problematik des Einsatzes von Streubomben generell aufzuzeigen, so macht der Autor sich doch in mehrfacher Hinsicht selbst unglaubwürdig:

1. Er urteilt und verurteilt mit eben dem "moralischen" Rigorismus, den er seinen Gegnern vorwirft.

2. Er arbeitet mit schwammiger, historisch fragwürdiger Begrifflichkeit. So, wenn er pauschalisierend und in unzutreffender Weise den "Westen" generell unter den Begriff "Liberalismus" packt, ohne sich im entferntesten mit der wirklichen Definition von "Liberalismus" zu beschäftigen.

3. Er vermischt nach Belieben die Begriffe "liberal" und "universalistisch", indem er (ausgehend von Putins Krieg in der Ukraine) behauptet, Grundlage der behaupteten Einteilung in "gut" und "böse" seien die auf "liberalen Grundsätzen basierenden Ordnungen" der westlichen Welt.
Ob Herr Walt noch nichts davon gehört hat, dass Putins Angriffskrieg - unabhängig von "liberalen Prinzipien"- eine gravierende Verletzung des international gültigen Völkerrechts darstellt?

4. Es ist geradezu absurd, wenn er behauptet, dass "liberale Staaten dazu (neigen), Kreuzritter zu sein, die Außenpolitik als einen Alles-oder-Nichts-Kampf zwischen Gut und Böse betrachten" und er dann ausgerechnet einen George W. Bush als Prototyp für solch "liberales" Denken benennt.

5. Er urteilt mit einem doppelten moralischen Maßstab, wenn er einerseits Putins Begründung für den imperialistischen Angriffskrieg, "die Ukraine müsse entnazifiziert werden", als lediglich "übertrieben" verharmlost und zugleich zu relativieren sucht, indem er den "Besuch von Vertretern der Asowschen Brigade (...) an der Stanford University im Juni 2023" mit der völkerrechtswidrigen Entfesselung eines Angriffskriegs auf die gleiche Stufe stellt.

Es liegt mir absolut fern, dem Autor "Putin-Nähe" zu unterstellen. Unbestreitbar aber ist, dass ein Putin an einer solchen fragwürdigen "Analyse" eines selbsternannten "Realisten" seine Freude haben kann.


QuoteMargarete

Wollte der Autor uns jetzt wirklich weiß! machen, dass alle Kriege in der Welt nur um die Frage der Autokratie gegen das Liberale (oder andersherum) geführt wurden.? Dass die vielen Kriege die auch die USA weltweit (mit) angezettelt haben sich nicht um Ausbeutung und Ressourcen drehten, sondern nur um moralische Fragen? Wow! Der Putsch in Chile 1973 zum Erhalt der Kupferproduktion in privater Hand, nur eine moralische Frage. Der Krieg gegen Irak der eindeutig auf Fake News beruhte, nur um die Moral zu retten. Die Unterstützung der rechten Contras in Lateinamerika zum Erhalt der Oligarchien - nur eine Frage der Moral....usw. usf. Seit 1999 werden in Europa Kriege zwecks leichterer Rechtfertigung der Kampfhandlungen gegenüber dem liberalen Volk (z.B. Jugoslawien, Afghanistan etc pp) auf die moralische, statt auf die politische Ebene reduziert. Insofern ist es richtig sich kritisch mit dem Begriff der liberalen Moral auseinanderzusetzen. Aber Kriege in den Artikel einzuführen und so tun als hätten all diese Auseinandersetzungen wirklich moral-wertige Hintergründe gehabt, das macht mich fast schon sprachlos. Da bietet die Analyse der wirtschaftlichen und geopolitischen Ausgangsbedingungen (also des kapitalistischen Strebens) doch mehr Erklärungspotential.


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