• Welcome to COMMUNICATIONS LASER #17. Please log in.

[Um Herumlungerer und Trinker zu vertreiben... ]

Started by Textaris(txt*bot), August 27, 2018, 03:35:41 PM

Previous topic - Next topic

0 Members and 1 Guest are viewing this topic.

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Zwei Saxofonistinnen stehen am Eingang der S-Bahn-Station Hermannstraße und entlocken ihren Instrumenten ein Hupen und Jaulen. Besonders schön geraten die Stellen, an denen sich das Neuköllner Ambiente direkt mit der Musik verbindet – wenn also ein Polizeiauto mit grellem Tatütata vorbeirast oder ein Busfahrer demonstriert, dass seine Hupe lauter ist als jeder noch so schrille Saxofon-Ton.

Die Initiative Neue Musik Berlin hatte zu dem kleinen Konzert am Freitag geladen – an den Ort, wo die Berliner S-Bahn angekündigt hatte, demnächst sogenannte atonale Musik spielen zu wollen. Nicht, weil man damit Fahrgäste beglücken wollte, im Gegenteil: um Herumlungerer und Trinker zu vertreiben, die sich vor dem S-Bahn-Eingang in zu hoher Zahl aufhielten.

Die Idee schlug Wellen: Lisa Benjes, Mitarbeiterin der Initiative Neue Musik, macht am Freitag deutlich, wie dumm und geschichtsvergessen der Vorstoß der Berliner S-Bahn-Betriebe sei. Benjes verweist darauf, dass der Begriff ,,atonale Musik" Komponisten wie Arnold Schönberg und Alban Berg in den 1920er Jahren diskreditieren sollte.

Später wurde deren kompositorisches Schaffen von den Nazis zur sogenannten Entarteten Kunst gezählt. Und mit einer einst derart verfemten Musik wolle man nun gegen Menschen am Rande der Gesellschaft vorgehen? ,,Wenn man darüber nachdenkt, ist das, was hier geplant wird, wirklich nicht mehr lustig", so Lisa Benjes.

Auch über die Ressentiments gegenüber einer Musikrichtung, die hier in platter Weise nur verstärkt würden, kann sie sich trefflich aufregen. Boulevardblätter hätten von ,,Grusel­klängen gegen Obdachlose" fabuliert.

Benjes sieht darin die Instrumentalisierung einer Musikform, die eigentlich ,,auch Spaß machen soll". Spaß macht es den Leuten, die zahlreich zum Bahnhofskonzert gekommen sind, sichtlich. Neben Musik gibt es belegte Brötchen, Kartoffelsalat und Bier. Die Message ist klar: Atonale Musik, wenn man sie denn so nennen mag, soll Menschen zusammenbringen, nicht spalten.

Vor dem S-Bahnhof Hermannstraße waren eher ruhige ,,atonale" Klänge zu vernehmen. Ein Flötist spielte nach den Saxofonistinnen Glissandi mit sehr viel Pausen zwischen den Tönen. Danach war ein Cellist an der Reihe, der sich von einem Synthesizer begleiten ließ. Auch nichts, was als Musikfolter durchginge.

Dass auch jemand von der Berliner S-Bahn selbst am Freitag bei dem kleinen Konzert war, wurde am Tag darauf bekannt. Die S-Bahn Berlin GmbH bestätigte am Sonntag auf taz-Anfrage Zeitungsberichte vom Samstag, man wolle von der Sache mit der atonalen Musik in dem S-Bahnhof Abstand nehmen. Stattdessen will man es nun vielleicht mit Naturgeräuschen versuchen.

Gezwitscher gegen Biertrinker, Quaken gegen Obdachlose? Mal sehen, was die Vögel und Frösche von der Idee halten werden.


Aus: "Berliner S-Bahn: Atonal doch nicht ideal" Andreas Hartmann (26. 8. 2018)
Quelle: https://www.taz.de/Berliner-S-Bahn/!5528001/

QuoteJim Hawkins

In Hamburg haben sie das auch schon mal mit klassischer Musik versucht:
www.taz.de/!642665/

Mir ist schleierhaft, wo die Obdachlosen denn hin sollen. Man bekämpft nicht das Problem, sondern seine Sichtbarkeit.


Quoterero

@Jim Hawkins Es ging nicht um Obdachlose, sondern um Trinker und Junkies.

Die können durchaus Wohnungen haben und treffen sich trotzdem gern an öffentlichen Plätzen.


QuoteSisalbaum

@rero "Die können durchaus Wohnungen haben und treffen sich trotzdem gern an öffentlichen Plätzen."

So what?

Sind Plätze eigentlich noch öffentlich, wenn sich Teile der Öffentlichkeit dort nicht mehr aufhalten dürfen?


QuoteSamS

Lesefrucht aus denäm MuWi-Studium: Schnulzige Volksmusik soll in manchen Städten tatsächlich gegen Treffpunkte jugendlicher Trinker geholfen haben. Vielleicht Silbereisen, Helene F. und die Herzbuben im Wechsel (kenn mich aber nicht so gut aus, das wurde im Studium kaum behandelt, vielleicht gibt es noch schleimigeres 😆).

Meine Vermutung: Die Jugend wäre gleich weg, und die älteren Trinker nach einer Stunde friedlich eingeschlafen... Ob die Lärmbelästigung aud den Lautsprechern besser ist, als die aus den feuchten Kehlen der Zecher, wage ich aber zu bezweifeln ...


...