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[Spurensuche zur Demokratie... ]

Started by Textaris(txt*bot), July 01, 2008, 11:34:56 AM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] kompliziert wird es allerdings, wenn Donald Trump etwa einen protektionistischen Antiglobalisierungswahlkampf führen will und der französische Front National ein Wirtschaftsprogramm vorschlägt, das manche an die frühere Sozialdemokratie erinnert.

Hier nun müsste man anfangen und nachdenken über Gründe für die Wut, und die sind eben in vielem wirtschaftliche, zunehmende Ungleichheit, sinkende Einkommen der Mittelschicht, ein extremer Glaubwürdigkeitsverlust des real existierenden Kapitalismus seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 - und hier setzt auch der Begriff vom Populismus an, der dieses Nachdenken erst einmal unterbricht oder in die falsche Richtung lenkt und lenken soll.

Wie falsch, das zeigt sich dieser Tage, wo sich die Konturen einer möglichen neuen Ordnung mehr und mehr abzeichnen, die illiberale Demokratie, die der Form nach durch Wahlen legitimiert ist, aber wesentliche Elemente wie Meinungsfreiheit oder Menschenrechte aufgibt: Erdogan, Putin, Japans Shinzo Abe und Donald Trump sind Vertreter dieser Herrschaftsform - und es wird deutlich, dass nicht Populismus die Gefahr der liberalen Demokratie ist, sondern Autoritarismus.

Natürlich gibt es einen Widerstand gegen die Art und Weise, wie die Eliten Politik machen - in der "Financial Times" hat das gerade deren Chefkommentator Martin Wolf eindrucksvoll analysiert: Wenn die regierenden Eliten nicht bald überzeugende Lösungen für die Probleme anbieten, so Wolf, der aus dem Herz des Kapitalismus schreibt, dann würden sie weggespült - und mit ihnen eine demokratische und offene Weltordnung.

In die gleiche Richtung geht die Kritik von Thomas Frank im "Guardian", der die Selbstgefälligkeit der liberalen Elite beschreibt und die Unfähigkeit, die realen Probleme zu erkennen und zu benennen - das Wort "links", auch das macht Frank deutlich, hat seine eigentliche Bedeutung verloren, weil es unter diesem Namen aktuell kaum ein Gerechtigkeitskonzept für die Massen mehr gibt.

Und so bleibt eben für viele die autoritäre Versuchung, wie sie die Politikwissenschaftler Roberto Stefan Foa und Yascha Mounk gerade für die USA und Westeuropa beschrieben haben - sie sprechen von einer Auflösung des demokratischen Grundverständnisses, ihre Analyse ist in vielem die theoretische Weiterführung dessen, was George Packer vor ein paar Jahren empirisch für die amerikanische Gesellschaft in seinem Bestseller "Die Abwicklung" beschrieben hat.

Die Zahlen, die Foe und Mounk aus der "World Values Survey" ableiten, sind tatsächlich alarmierend (pdf: http://www.journalofdemocracy.org/sites/default/files/Foa%26Mounk-27-3.pdf). Danach sinkt die Zustimmung zur Aussage, dass die Demokratie die beste Regierungsform ist, rapide, und zwar je nachdem, wie alt die Befragten sind.

Für die 1930 Geborenen, die erste Nachkriegsgeneration also, waren es Werte von mehr als 70 Prozent (USA) bzw. knapp über 50 Prozent (Europa) - dieser Wert nimmt kontinuierlich ab und ist bei den 1980 Geborenen, den sogenannten Millenials, für die USA nur noch bei knapp 30 Prozent, für Westeuropa bei 45 Prozent.

Die Frage, ob die Demokratie "schlecht" oder "sehr schlecht" ist, um ein Land zu regieren, beantworteten zwölf Prozent der mehr als 65-Jährigen in den USA, aber fast 24 Prozent der 16- bis 24-Jährigen mit ja, für Westeuropa ist die Zustimmung zu dieser Aussage niedriger, aber auch hier stimmen fast 14 Prozent der 16- bis 24-Jährigen zu.

Dementsprechend nimmt auch die Zustimmung zu autoritären Lösungen zu: In den USA hielt es 1995 einer von 16 Befragten für eine gute oder eine sehr gute Idee, dass die Armee das Land regiert, heute ist es einer von sechs. Auch in Deutschland, Schweden und Großbritannien sei die Zustimmung zu dieser Frage gewachsen.

Besonders auffällig, so Foe und Mounk, ist hierbei, wie sich die "Reichen" verhalten, definiert als die Top-20-Prozent der Einkommensverteilung: Nur fünf Prozent dieser Gruppe war Mitte der Neunzigerjahre für eine Militärregierung, heute sind es 33 Prozent - es sind besonders die Jungen und Reichen, die offen sind für "nichtdemokratische Alternativen", wie es Foe und Mounk nennen.

Das ist eine genaue Umkehrung der Werte, wie sie die unteren Einkommensschichten gemessen wurden, die 1995 in den USA noch deutliche Sympathien für eine Militärregierung zeigten - fast überall, so Foe und Mounk, "sind heute die Reichen eher als die Armen dafür, dass das Militär die Macht übernimmt".

Die Konsequenz? Es sind Konturen eines Klassenkampfes, die sich hier abzeichnen, was selbst bei konservativen Kolumnisten wie David Brooks, der Amerika auf dem Weg in den Faschismus sieht, zu echter Panik führt.

In Deutschland herrscht außen- wie innenpolitisch Ratlosigkeit und Schweigen - wenn es um die Türkei im Ausnahmezustand geht genauso wie bei der Frage, wie schädlich für die Demokratie in Europa die Austeritätspolitik Wolfgang Schäubles tatsächlich ist.

Es zeigt sich hier, wie unfähig die liberalen Demokratien zurzeit sind, der Herausforderung des Autoritarismus zu begegnen. Es kann auch nicht anders sein. Was sind die Ursachen der Wut? Der deutschen Politik fehlen ganz einfach die Worte.

Quote#18 (24.07.2016), 10:30 von ach-nur-so

Es kommt, wie es kommen musste. Autoritarismus ist, zynisch gesprochen, die logische Konsequenz eines Systems, das auf der irrsinnigen Idee real existierender Chancengleichheit aufbaut, aber eine tiefe und breite inner- wie interstaatliche sozio-ökonomische Spaltung in arm und reich, zufrieden und unzufrieden produziert. So lange es rund läuft für die Gewinner, die ausgleichende Mechanismen wie den Sozialstaat verachten und nur liberal tun, so lange es ihren Interessen nutzt, fällt das natürlich nicht so auf. Bekommen sie ihre perversen 20% Rendite auf's Eigenkapital aber nicht mehr, schalten sie in Besitzstandswahrer-Modus um, dem jedes Mittel recht ist. Dass auch sie, die "Fleißigen", denen dem Selbstempfinden nach das Zigfache zusteht, unter den Krisen und Kriegen leiden müssen, mit denen der globalisierte Wirtschaftsneoliberalismus die Welt überzogen hat, wollen sie nicht akzeptieren. Wenn das für immer weniger Reallohn arbeitende Fußvolk nicht verstehen will, welchen Segen die reine Marktwirtschaft (vgl. Merkwels Begriff der marktkonformen Demokratie) über sie gebracht hat, dann ziehen sie halt andere Methoden auf. Und das mündet im Wunsch nach politischem Autoritarismus. Protektionismus a la der Zweck heiligt die Mittel. Dass den sozio-ökonomischen Verlierern so leicht einzureden ist, dass Ausländer und Homosexuelle der Feind sind, kommt den Gewinnern wieder sehr gelegen. Expansive Bestrebungen wider die (vorläufigen?) Grenzen des Wachstums, gepaart mit gesellschaftlicher Illiberalität und dem Gegenteil von Demokratie, das wiederholt sich 1:1 wie in den 30er Jahren. Und es wird auch wieder zum Gleichen führen. Erst wenn alles in Schutt und Asche liegt, wird denen, die tatsächlich glauben, es könnte den Jungen immer noch etwas besser gehen als der Generation zuvor, wird ihnen klar werden, was sie angerichtet haben. Rechtzeitig aus den Fehlern der (Ur-)Großväter zu lernen wäre einfach zu einfach.


Quote#23 (24.07.2016), 10:35 von ah-ist-wahr?
Man könnte es auch anders formulieren: Gerade sind diejenigen ausgestorben, die unsere Welt haben brennen sehen und nun beginnt man wieder leichtherzig mit dem Feuer zu spielen.


Quote#29 (24.07.2016), 10:54 von schumbitrus
Wie autoritär ist denn die westliche Welt?

Vom Prinzip her stimmt das - nur dass wir doch selbst schon im Schein einer Freiheit leben: Die Totalüberwachung lässt Freiheit zu einer Option derjenigen werden, die über die Totalüberwachungswerkzeuge herrschen.

Das ist Demokratie von Gnaden einzelner Macht-Menschen und -Gruppen. Und wie marode das ganze schon ist, DAS erkennt man daran, dass Herr Snowden schon in Russland Asyl suchen muss - weil er in der angeblich freien Welt seines Lebens nicht sicher sein kann.

Und warum kann er im freien Westen seines Lebens nicht sicher sein? Weil er Wahrheiten zu Totalüberwachung nicht nur ausgeplaudert hat, sondern Beweise geliefert hat, dass Totalüberwachung unserer Leben eben keine Fiktion von Verschwörungstheoretikern, sondern schritt für Schritt aktiv voran getrieben wird: Jeder Anschlag, jeder Fehltritt von Menschen wird als Argument missbraucht, die Totalüberwachung weiter zu treiben und ihre Akzeptanz in den Köpfen der Menschen zu indoktrinieren. Kein Wunder dass AfD, NPD neu nach totaler Macht streben: Wo ein Trog ist, kommt das Borstenvieh ..

Das viel größere Problem ist doch, dass die Intransparenz staatlichen Handelns (NSU/NSA), mit der u.a. eine digitale Machtergreifung stattfindet, zu genau der Ohnmacht bei den Menschen führt, die Gewalt in Form von Amok, Terror hervor ruft. Umgedreht schaffen genau diese wachsenden blinden Flecken der Demokratie Potenzial für eine neue Form des Wirtschafts-Terrors mit systematisch angelegter Wirtschaftskriminalität (z.B. CDS & Co., "too big to fail", ..), die die 99% in Knechtschaft und Ohnmacht zwingt - und damit das Potenzial zu Gegenwehr fördert. Global gefragt: Wer darf die anderen ausplündern und wer muss sich die Ausplünderung seines eigenen Lebens gefallen lassen - in einer Diktatur und in einer Papiertieger-Demokratie? Welche Maslow-Stufe darf den Menschen weg gesprengt werden, damit sich einzelne illegalen Prunk und Protz "leisten" können?


Quote#34 (24.07.2016), 11:06 von regenbre
Worte?

Der (deutschen) Politik fehlen ganz einfach die Werte - nicht die Worte.


Quote#47 (24.07.2016), 11:48 von AZ1
Unlogisch!?

Erstmal Dank, Herr Diez, für die Aufnahme dieser lebenswichtigen Diskussion und den hier erreichten Fortschritt! [Null Ironie.]

Aber wie passt die Beobachtung, dass sich gerade die Reichen vermehrt von der Demokratie abwenden, zur Unterstellung, dass die Gründe für die Wut hauptsächlich wirtschaftlich sind? Hier ist noch Erklärungsbedarf. ...


Quote#49 (24.07.2016), 12:03 von burgundy

Diez vergisst aber in diesem Zusammenhang auf die mittlerweile ubiquitäre Selbstbedienungsmentalität vieler Politiker in den Demokratien hinzuweisen, die jene materiell, aber auch psychologisch und idell dermassen korrumpiert hat, dass, in Zusammenarbeit mit - vielleicht in guter Absicht - willfährigen Medien quasi - autokratische Strukturen wie in Deutschland entstehen. Eine echte Opposition gibt es nicht, jeder ist sich selbst der Nächste. Es profitiert eine Person, die ganz oben an der Macht steht (wenngleich im Bann starker Hintergrundmächte) und die anderen, subordinierten Politiker nach Belieben wie Marionetten an Fäden (oder sollte man besser sagen: Fallstricken?) manipuliert und der von einer trägen Wählerschaft die Macht ein ums andere Mal bedenkenlos hinterhergetragen wird, ohne den damit verbundenen Verlust der Demokratie zu realisieren. Das mag für die oligarchisch herrschende Kaste gut sein (Stichwort: marktkonforme Demokratie), es mag sich in wirtschaftlicher Prosperität und Machtzuwachs ausdrücken (was ja auch regelmässig von den Medien gefeiert wird), auch in erhöhtem politischen Gewicht - für das Gemeinwesen ist es fatal, auch für das Menschenbild, das sich hieraus bildet. Ein schleichender, gleichwohl dramatischer Prozess, eben nur nicht so augenfällig wie in den genannten (prä-)autokratischen Staaten.


Quote#56 (24.07.2016), 12:26 von Yabanci Unsur
Zwei falsche Konzepte

Vielleicht ist das alles der Individualisierung geschuldet. Sie ändert neben den Anforderungen an die Regierung (Management und Ausgleich der verschiedensten Interessen statt Richtungsvorgabe) auch die Eigenverantwortung des Einzelnen: die nimmt zu. Gleichzeitig werden liebgewonnene interpretatorische Ansätze wertlos, weil sie die Wirklichkeit nicht mehr genau genug beschreiben, während daraus abgeleitete Handlungen weitgehend wirkungslos bleiben (das Elend der Intellektuellen - sorry). Damit ist Verantwortungsdelegation durch die Regierten ebenfalls keine Option mehr. Irgendwann wird sich ein neues temporäres Gleichgewicht einstellen; dazu müssen wir uns aber wohl zuerst von zwei Basiskonzepten verabschieden: Endzeit und Endzustand.


Quote#60 (24.07.2016), 12:56 von ThinkItOver
Die Ratlosigkeit unserer Politiker ...

... kann mehrere Gründe haben.

1) Den Bürgern geht es vergleichsweise gut und sie haben die Lust daran verlohren, sich an Politik zu beteiligen. Andere werden's schon regeln.

2) Daher wurden immer mehr Berufspolitiker gewählt und in Ämter gebracht, die in der Regel bestenfalls Verwalter als Gestalter waren und sind. Man sehe sich nur die "Berufsvereilung" im Deutschen Bundestag genauer an und stelle fest, ein repräsentativer Querschnitt unterschiedlichster Berufsgruppen, wie die Gesamtgesellschaft sie enthält, gibt es dort - aus verschiedenen Gründen - leider nicht.

3) Diese politische Monokultur hat Schwächen. Vorallem die, auch aus persönlichen Gründen möglichst wiedergewählt werden zu wollen. Verständlich aber langfristig mit fatalen Folgen --> Ideenlosigkeit bis Ziellosigkeit. Man hat es sich im Status Quo bequem eingerichtet, aber vergessen, dass der beste Acker auch mal umgepflügt und neu besäht werden muss.

4) Die Fehler der letzten Jahre haben sich angehäuft, Missstände hervorgebracht und die einzelnen Warnschüsse nach dem Motto "Ist ja alles immer gut gegangen" aus Bequemlichkeit oder Unfähigkeit ignoriert.

5) Unsere Politiker können nicht entscheiden und Ziele vorgeben, weil sie vermutlich nie gelernt haben, was Gestalten bedeutet und das dies aus einer Komfortzone heraus schlicht nicht möglich ist.

Nicht das System Demokratie ist schlecht, sondern wir haben alle vergessen, was es bedeutet, nicht in einem demokratischen Rechtsstaat leben zu dürfen. Wäre das einer Mehrheit klar, würde Vieles ganz anders aussehen. Wir lassen ja auch nicht jemanden Arzt oder Pilot werden, der sich der Aufgabe nicht gewachsen und ungeeignet ist.


Quote#68 (24.07.2016), 13:37 von lathea
Wes' Brot ich ess, des' Lied ich sing.

Je größer die Gier nach Reichtum ist, desto weniger interessieren sich die Menschen um ihre Freiheit. In den Medien, Filmen, Reportagen und Soap-Dokus sowie Titelseiten werden stets so viele Reiche vorgeführt, als ob es selbstverständlich wäre, reich zu sein und als ob es jedem möglich wäre, schnell und einfach reich zu werden. Die wahren Werte der Demokratie werden als Attribute der Armut dargestellt. Wie sollten die jungen Generationen denn lernen, diese zu schätzen. "Erst kommt das Fressen und dann erst die Moral", dieses Zitat kennt jeder. Und das Fressen umfasst heute sehr viel, denn der Hunger nach Reichtum und einem besseren Leben ist in einer globalisierten Welt sehr gross. Fast jeder will sich mit Reichen identifizieren können und viele sind bereit, dafür Recht, Gesetz und religiöse Werte aufzugeben. Noch schlimmer wird es, wenn es politische Führer verstehen, diese Gier nach Reichtum mit der Religion und/oder Macht zu verbinden, quasi als Rechtfertigung dieser Gier, die sie zu erfüllen versprechen. Die demokratischen Freiheiten weiß nur jemand zu schätzen, der das Gegenteil kennengelernt hat oder der ein verantwortungsvolles Leben leben will und der weiß, das der Reichtum des Lebens größer und schöner ist, als der Reichtum von Geld und Macht. Wer eine gesellschaftliche Änderung will, muss die Kinder in der Schule lehren, nach Glück, innerer Ausgeglichenheit und innerem Frieden zu streben. Es gehört zum animalischen Erbe der Menschen, in Rudeln zu leben und einem Rudelsführer zu folgen. Doch zur Entwicklung des Menschen gehört auch der Spiegel, in den wir blicken können.


Quote#76 (24.07.2016), 14:13 von yadi
Oh Wunder - man höre und staune! Mit einer solchen Grundsatzkritk am Neoliberalismus, der diktatorische und autokratische Regime stützt, um wirtschaftlich Kapital ..., hatte ich von Ihnen nicht gerechnet, Herr Diez! Jetzt fehlt nur noch die Erkenntnis, dass der deutschen Politik nicht nur "die Worte" fehlen, sondern Deutschland in nicht unerheblichem Maße Teil des Systems ist.


Quote#107 Gestern, 16:28 von Reinhardt Gutsche
Alles Populismus - oder was?

In der politischen Debatte wird "Populismus" gern wie eine Streubombe zur Abwehr jeglicher Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen von den Kritisierten als rhetorische Konterwaffe in Anschlag gebracht. Dabei herrscht bei den diversen Definitionsversuchen und Verwendungen dieses Begriffes, den es in dieser pejorativen Aufladung erst seit den 60er Jahren gibt, ein heilloses semantisches Durcheinander. Sie reichen von "einem spezifischen Politikstil", "einer Form der politischen Rhetorik", einer "Strategie zum Machterwerb" bis zu nichts weniger als einer eigenständigen "Ideologie", aber ohne "bestimmtes, eigenes Wertesystem" und "ideologischen Kern" (sic!). "Populismus" könne mit allen möglichen "politischen Richtungen und Zielsetzungen einhergehen" (Karin Priester). Kurz - "Populismus" ist demnach alles und - nichts, ein Passepartout-Begriff, eine rhetorische Allzweckwaffe für alle Fälle, ein Wechselrahmen politischer Beliebigkeit. "Populismus" sei kein Substanz- sondern ein Relationsbegriff, so das höchstrichterliche Verdikt der Bundeszentrale für politische Bildung, damit einräumend, daß "Populismus" ein Begriff... ohne Substanz ist.

Es gibt wohl kein politisches Phänomen in der Geschichte, auf welches das eine oder andere aufgelistete "Populismus"-Merkmal nicht anwendbar wäre. So etwa der "Anti-Elitarismus", denn was waren alle Revolutionen und Aufstände der Weltgeschichte anderes als von "Anti-Elitarismus" getrieben, also gegen die jeweiligen Herrscher-Eliten gerichtet, seien sie nun göttlicher oder sonstiger Provenienz? Nach Cas Mudde steht gar jegliche "Ideologie", die in der Gesellschaft eine Klassenteilung anprangert und die Respektierung der ?volonté générale? einfordert, an diesem Schindanger des politisch Aussätzigen. Jacques Rousseau und Karl Marx - nichts als "Populisten"? Besonders pikant das Schandmal des "Anti-Intellektualismus?": Ludwig Erhard mit seinem Pinscher-Vorwurf an die Adresse unliebsamer kritischerSchriftsteller in der Notstandsdebatte der 60er Jahre - ein Populist? Wenn "Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik" Ausdruck von ?Populismus? sind (wiederum laut BzpB), dann ist die gesamte gegenwärtige Rußlandpolitik des Westens nichts anderes als Populismus reinsten Wassers.

Wo ist denn nun, bitte schön, der "Populismus" überall zu lokalisieren. Die einen sehen z. B. in den sog. post-kommunistischen Ländern "Nationalpopulisten, Linkspopulisten, Agrarpopulisten; Populisten der Mitte, Nationalliberale und Nationalkonservative, Sozialpopulisten sowie Law-and-Order-Populisten", also das gesamte politische Spektrum. Andere wiederum sehen gar noch einen "neoliberalen Populismus" und einem "Sozialpopulismus? am Werke, der sich mit dem "demokratischen Sozialismus" als "Wirtsideologie" verbinde usw.

Nach all diesen Ortszuweisungen der unterschiedlichen "Populismen" auf der politischen Klaviatur fragt man sich dann allerdings, welche Tasten denn dann noch übrig blieben, die davor gefeit wären, ihnen das Populismus-Etikett aufzukleben? Nimmt man alle Definitionen zusammen, dann schrumpft diese Parzelle wie das Chagrinleder bei Balzac.


Quote#112 Gestern, 16:40 von agua
an#101 luny

Elite ist schon richtig, denn politische Entscheidungen sind zu Gunsten der Geldelite. Nach der Politik gibt es einen guten Job im Wirtschafts- und Finanzwesen. Das dürfte seine Gründe haben. ...


...

http://www.spiegel.de/forum/kultur/kampfbegriff-populismus-erloest-uns-von-der-autoritaeren-versuchung-thread-491296-1.html


Aus: "Erlöst uns von der autoritären Versuchung" Georg Diez (24.07.2016)
Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/trump-erdogan-putin-erloest-uns-von-der-autoritaeren-versuchung-a-1104275.html

Textaris(txt*bot)

#36
Quote[...] Nach Monaten des Vorwahlkampfes hat unsere Empörung über Donald Trump etwas Überflüssiges: Er sagt etwas Unverschämtes, und wir greifen uns erschrocken an die Perlenkette wie feine Damen, wenn bei Tisch einer das Butter- mit dem Tafelmesser verwechselt. ...

Wir haben dieselben Methoden wie alle Eliten überall: Wir definieren, was guter Geschmack ist, was sich gehört und was nicht, und wir verachten diejenigen, die sich daran nicht halten. Wir sorgen dafür, dass unsere Zirkel geschlossen bleiben.

... Es mag auf den ersten Blick falsch wirken, dass die Abgehängten sich mit dem Ehepaar Trump identifizieren, denn immerhin ist es sagenhaft reich. Melania Trump postet Selfies aus ihrem goldenen Wohnzimmer und hat eine Assistentin, die für sie zum Supermarkt geht. Der Widerspruch, dass gerade Milliardäre die Ausgeschlossenen erreichen, löst sich aber schnell auf: Die sind nicht nur ökonomisch ausgeschlossen, sondern vor allem kulturell.

Die Front-National-Chefin Marine Le Pen verbrachte eine privilegierte Jugend in einem reichen Pariser Vorort, aber von den Marginalisierten wird sie geliebt. Während die Bessergestellten in ihr eine grobschlächtige Frau mit präfaschistischen Ansichten sehen, wärmen die verletzten Seelen sich an ihr. Denn sie haben dasselbe erlebt: die Verachtung der liberalen Elite. Le Pen hat jahrelang daran gearbeitet, endlich in die französischen Fernsehstudios vorgelassen zu werden, wo ihr Vater unerwünscht war. Jetzt kämpft sie mit einer Leidenschaft um das Amt des Präsidenten, als gehe es nicht um Politik, sondern darum, eine Rechnung zu begleichen.

Das ist die Heldengeschichte der Missachteten: Ihr, die angeblich so supertoleranten Besserverdienenden, habt uns jahrelang ignoriert. Wir durften im Reality-TV auftreten, zu eurem Amüsement, das ihr mit eurer ewigen Ironie genießt. Aber jetzt haben wir ins ernste Fach gewechselt. Jetzt wollen wir die Macht, und wir bekommen sie. Ihr habt euch doch immer beschwert, dass wir nicht wählen gehen – tja, aber genau das werden wir jetzt tun.

... Kränkung und Angst, das macht noch keine politische Haltung. Unvernünftig sei es geradezu, sich von diesen Gefühlen leiten zu lassen, liest man nun angesichts der Brexit-Wähler, die gegen ihre eigenen Interessen gestimmt haben, und angesichts der Trump-Fans, die nichts abschreckt, was ihr Kandidat sagt – ob er nun glaubt, die Nato verraten zu müssen oder dass Paris eine Stadt in Deutschland sei. Auch die AfD kommt mit blankem Unsinn immer noch am weitesten. Sarah Palin ging vor acht Jahren als Kuriosität in die Geschichte ein. Die damalige Gouverneurin von Alaska sagte auf die Frage nach ihrer außenpolitischen Qualifikation als Vize-Präsidentin den legendären Satz: "Man kann Russland von hier aus sehen." Dennoch war sie so beliebt, dass ihr Brillenmodell überall ständig ausverkauft war – so viel Identifikation bekommen nur wenige Politiker hin. Palin war die Vorläuferin des Trump-Phänomens: Ich bin ein bisschen doof, und das ist auch gut so. Sie war extrem erfolgreich, gerade weil sie Ahnungslosigkeit und Unvernunft verkörperte.

... Die Ausgeschlossenen kamen im politischen Leben schon lange nicht mehr vor, als sie so wütend wurden. Der französische Soziologe Didier Eribon sagt, dass die ehemals kommunistische Arbeiterklasse immer auch homophob und rassistisch war, aber heute wähle sie vor allem deshalb den Front National, weil die sozialistische Regierungspartei nichts mehr mit ihr zu haben wolle. Der PS unter François Hollande will eine neue Linke sein, repräsentiert von schnöseligen Männern wie Premier Manuel Valls und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, die keine Ahnung haben vom Kampf der Abgehängten gegen "die da oben". Über diejenigen, die gegen ein liberalisiertes Arbeitsmarktgesetz demonstrieren, sagte Valls neulich mit unverhohlener Überheblichkeit: Das ist die alte Linke. Die französischen Sozialisten, die deutsche SPD, die Demokraten in den USA, sie alle haben die Schmuddelherkunft hinter sich gelassen und sich auf die vornehmeren kulturellen Fragen konzentriert.

... Eine Tragödie ist es, dass die Zurückgelassenen erst durch die Rassisten und Autoritären wieder eine Stimme gefunden haben. Denn natürlich haben auch Arbeiter und Arbeitslose Transgender-Kinder, schwule Söhne und Töchter, denen sie nur das Beste wünschen, und natürlich werden gerade die Ausgegrenzten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Doch wir haben unsere Weltoffenheit zum Distinktionsmerkmal gemacht. Wir haben keine Gelegenheit ausgelassen, unsere Überlegenheit vorzuführen: So viel intelligenter, humorvoller, klarsichtiger sind wir. Wir trennen unseren Müll, und unsere Grammatik ist perfekt. Es mag nur ein Unterton sein, der unsere Arroganz verrät, doch wir sollten anfangen, ihn zu hören. Bei den Abgehängten ist die Botschaft nämlich längst angekommen. Für die Autoritären war es dann leicht, freiheitliches Denken und Verantwortungsgefühl als Luxus zu diskreditieren, den nur wenige sich leisten können. Toleranz sei die Ideologie der Macht, sagen sie. Das ist falsch und manipulativ, aber es offenbart unsere größte Schwäche.

...


Aus: "Demokratie: Was macht die Autoritären so stark? Unsere Arroganz" Elisabeth Raether (18. August 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/2016/33/demokratie-klassenduenkel-rassismus-populismus/komplettansicht

QuoteUsurpator Simplex #3

Nach der Lektüre des Artikels bleibt eine große Frage zurück. Was müssen wir, die ,,liberale Elite", unternehmen, um die ,,Elenden" zurück auf den Pfad der Rechtschaffenheit zu holen?

,,Wir müssen unsere Arroganz zügeln", so lautet die Botschaft im Plädoyer der Autorin. Doch worauf bezieht sich diese Arroganz? Für die Autorin ist es die Zurschaustellung der eigenen überlegenen Werte. Die Erkenntnis, dass es in allen europäischen Hauptstädten ,,ein nettes kleines Restaurant [....] mit guten, aber wirklich erstaunlich günstigen Weinen gibt" oder die Einsicht, dass die Thematisierung von Transgenderangelegenheiten oder Mülltrennung in Zeiten einer Wirtschaftskrise und massiver Arbeitslosigkeit eben doch kein Luxusproblem ist.

Was die Autorin nicht unter Arroganz versteht ist, die Verächtlichmachung von politisch abweichenden Weltanschauungen als Ergebnis mangelnder Intelligenz. Was die Autorin nicht unter Arroganz versteht ist, sich selbst als Teil einer Herrschaftselite zu sehen, deren Herrschaftsanspruch sich aus der Fähigkeit zur Unterscheidung von Dativ und Akkusativ ableitet.

Und ganz sicher kein Zeichen von Arroganz ist, das Verleugnen der Tatsache, dass man mit seiner Pseudotoleranz, die sich auf Frauen, Schwarze, Homosexuelle, Behinderte und Migranten beschränkt, den ,,White Male Trash" ins andere politische Lager treibt, egal wofür dieses auch stehen mag.


QuoteMcBudaTea #3.1

Es ist schon erstaunlich, wie viel Arroganz in einem Artikel zum Thema Arroganz drinnen steckt. ...


QuoteXenuria #4.13

Selbstkritik?

Wer allen Ernstes Sätze wie "Über sie, die den Fortschritt nicht so schnell begreifen, kann man auch in Zeiten der inklusiven Sprache alles Verächtliche sagen: über die Unsicheren, die Unbegabten, die Ängstlichen, über die weißen Männer." schreibt, übt keine Selbstkritik. Man kann da eine Haltung erkennen die letztlich nichts Anderes signalisiert als "Wer nicht ist wie wir, ist doof". :p

Sieht man mal genauer hin: "Man kann sie white trash nennen, oder Arbeiter, Arbeitslose, Ungelernte. In jedem Fall sind sie die Unbeliebten, weder weltgewandt noch selbstironisch. Sie sind die Gekränkten." finden sich die überheblichen, abwertenden Klischees aus der feministisch/"links-liberalen" Twilight-Zone welche die erklärten Feindbilder als Untermenschen zu degradieren trachtet. Die von der Autorin Ungeliebten zeigen durchaus ausreichend Kompetenz sich von dieser demografischen Gruppe weder regieren lassen zu wollen, noch deren paternalistische Anleitung zur Meinungsbildung anzunehmen. ...

QuotePizza Hawaii #8

"Jahrelang haben die liberalen Eliten die da unten und ihre Sorgen heimlich verachtet. Jetzt wählen die Abgehängten die Rassisten, und der Schreck ist groß"

Soviele Fehler in einem Satz. Das einzige was zumindest in der Überschrift stimmt ist das Wort Arroganz.

Ja ihr seid unendlich arrogant der der obige Satz belegt es. Ihr seid nicht die Liberalen, denn Liberale lassen auch andere Meinungen gelten und erst recht nicht die Elite und die sogenannten Abgehängten leben eher in der roten Flora. Menschen, die die von euch abschätzig genannten "Rassisten" wählen denen geht es oft sehr gut und haben eine höhere Bildung als ihr. Diese Menschen sind allerdings mit einer gewissen Weitsichtigkeit und einem Realitätssinn gesegnet, der euch fehlt. Euer Traum wird für andere zum Trauma und mehr als Verunglimpfung und Denunziation (Rassisten, Nazis, braune Soße, Islamophob,...) ist argumentativ nicht zu erwarten. Euer Problem ist, dass die Menschen sich dadurch nicht mehr angegriffen fühlen und trotzdem es wagen ihre Meinung zu sagen. Ihr habt die Begriffe wie ein Griffband am Tennisschläger abgenutzt.
Was allerdings stimmt ist, das durch diese Art der Diskussionsführung die Extreme betont werden und das war vorhersehbar. Ihr wollt Elite sein?


QuoteKabeljau #24

Ein guter Artikel. Selbstkritik ist extrem selten in Deutschland und ich finde auch, dass der Punkt getroffen wurde. Man kümmert sich um die Probleme der Welt, vergisst aber die vor der Haustür. Es ist ja auch viel cooler für die Rechte südamerikanischer Ureinwohner zu kämpfen, als sich um die sozialen Probleme in Gelsenkirchen zu kümmern.


QuoteCharlotte van H. #36

Das Essay, das die Arroganz der sogenannten Eliten auf einen essayistischen Prüfstand setzen möchte, ist letztlich an seiner eigenen Arroganz gescheitert. Es ist nämlich kein arroganter Unterton mehr, der von den "Abgehängten" schreibt, sondern schlechthin jene Arroganz, welche schon immer nur von selbstverliebten "Gedanken" geprägt war.

Der Gedanke - "Wir sind die Besseren, die wahre Elite. Wir beherrschen den dezenten Geschmack, unser Weltbild ist die perfekte Grammatik und wir sind kultiviert, da wir zusammenhangslose Kritiken über Literatur und Kunst schreiben können, all die anderen, der Pöbel, das geistlose Gesindel laufen wie die einfältigen Kinder einem beliebigen Rattenfänger hinterher" -, spiegelt eine Überheblichkeit wider, die man häufig antreffen kann in den Essays und anderen Verlautbarungen. Man beginnt mit einem Satz, der sich irgendwie selbstkritisch anfühlt und kaum ist man einige Sätze weiter, steckt man mittendrin im abfälligen Wortsalat einer Arroganz, die weder stilistisch noch intellektuell den Anspruch einer Elite (was das auch immer sein mag) erfüllen können.


Quotepa17x1 #37

Wunderbar in das Bild passt auch die Sache mit den "komplexen Zusammenhängen", die die Leute nicht verstehen, weswegen Refereden als rechtspolisitisch abzulehen sind und die Leute statt dessen von den Politikern "abgeholt" und "mitgenommen" werden müssen, wie Kleinkinder vom Kindergarten.


QuoteGorgar #53

Da ist schon etwas dran. Nicht nur wegen der eklatanten Differenz des Brexit-Votums in London und dem ländlichen England. Der Kosmopolit wandert von Weltstadt zu Weltstadt, macht seine Profite und hat keine Bindung mehr an diejenigen, die das Land charakterisieren. Regionale Küche, Dialekt, Einzigartigkeit - das wird erzeugt von den Leuten, die dort leben und sterben, wo sie geboren sind. Die nicht mal eben von London nach Frankfurt übersiedeln, von einer überteuerten gesichtslosen Bauhaus-Wohnung in die andere. Die Elite ist überall zuhause und hat deshalb keinen regionalen Bezug mehr. Die Apps funktionieren überall gleich, genau wie die Business-Hotels und Flughäfen. Währenddessen vertreibt das internationale Kapital die Einheimischen aus London, München, Paris und Berlin.

Die reiche, mobile Elite ist eine neue Klasse, die so international denkt, dass sie in Millionen Flüchtlingen Lebensverwandte sieht, Menschen, die genausogut hier wie da leben können und sich sofort in unsere Gesellschaft und Arbeitswelt einordnen können, spätestens in zweiter Generation. Während der Einheimische sich die Augen reibt und fragt: Hallo? Diese Leute haben noch nicht mal unsere Religion und ganz andere Sitten, wie soll das gehen?

Dass der Ausgang des Brexit-Referendums alle überrascht hat, selbst Farage & Co und die Buchmacher, sollte uns zu denken geben. Wir haben sie nicht nur ignoriert. Wir haben nicht einmal gewusst, dass es sie gibt.

QuoteSintsubaqua #53.2

Angeblich schwärmt Herr Dr. Gauland von der englischen Oberklasse.
Bevorzugt Herr Farage teure französische Weine.



QuoteJesses #59

Ist es nicht viel simpler? - Das untere Drittel in Deutschland, Europa und den USA ist wirtschaftlich abgehängt, billig Jobs ohne Perspektive in Zeitarbeit und Werkverträgen gefangen. Altersarmut wird für das untere Drittel kommen, da man von den micker Gehältern nicht gleichzeitg leben und sparen kann.
Derweil feiert die Presse die angeblich niedrigste Arbeitslosenquote, ohne zu erwähnen, dass man wenn man auch nur eine Stunde pro Woche als Aufstocker arbeitet, schon nicht mehr als Arbeitsloser gezählt wird.
Die Manager Gehälter sind explodiert, ohne dass Aktienkurse oder Gewinne in gleichem Maße gestiegen sind, die Gehälter der Normalsterblichen haben in den letzten 15 Jahre bestenfalls stagniert, bei steigenden Kosten für Wohnen und Energie.
Solidarität gibt es in Europa nicht, was tun wir den für die Millionen Jugendarbeitslose in Spanien, Italien, Portugal und Griechnland? Wir verordnen Sparprogramme, die die Sache nur verschlimmern. Dafür retten wir mit Steuermilliarden Banken, damit sich die Banker gleich wieder Millionen Gehälter und Boni gönnen.
Unsere Eliten sind nicht nur arrogant, das wäre ja noch zähneknirschen zu ertragen. Viel schlimmer sie sind auch völlig inkompetent und gierig und bereicheren sich auf Kosten der Working Poor und den Resten der Mittelschicht.
Das Problem der Ungleichheit wird entweder komplett ignoriert oder mit fadenscheiniger Statistik weggelogen.


QuoteJesses #64

Man sollte nicht vergessen, dass die ehemaligen Nazis und die ganzen neuen Rechten sich auch stets als Sprachrohr der wirtschaftlich abgehängten betrachten.
Es hieß nicht umsonst nationalSOZIALismus!
Gerade die SPD sollte sich fragen warum die wirtschaftlich abgehängten sie nicht mehr wählen.
Lafontaine sagte einst das Herz schlägt links. Hat die SPD noch ein Herz? Wenn sie so weitermacht schlägt es bald auch nicht mehr.


Quote
Утром_пришло_письмо #65

Danke. Ich bin beeindruckt von diesem sehr treffenden und, auch das darf man sagen, sehr gut geschriebenen Text.
Er trifft den Kern dessen, was unsere Demokratie bedroht.
Es sind nicht die Trumps und die LePens, nicht die Polen und nicht die "Lisa" verteidigenden Russlanddeutschen, und es sind auch nicht die Burka- oder Niqab-Trägerinnen, die unser gesellschaftsmodell unterhöhlen. Es ist die pseudoliberale Elite - pseudoliberal deswegen, weil sie Liberalität nur im Rahmen der Interessen und der Absichten der eigenen Klasse akzeptiert. ...


QuoteEinfacher Bürger #66

Selten so ein Essay gelesen welches so falsch ist. Von wessen Arroganz spricht die Autorin? Die der Eliten? Seit wann stellen die eine Mehrheit? Wenn dem so wäre, wäre die Welt ja in Ordnung. Ist sie aber nicht. Richtig ist vielmehr, dass die mehr oder weniger unpolitische Masse der Menschen, die ansonsten alle Hände voll zu tun hat, ihr tägliches Überleben zu sichern, schlicht die Nase voll hat. Aus ihrer Sicht geht es nur noch bergab, seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten. Vermutlich zählt die Autorin zu den ... Eliten. Das würde die völlige Fehleinschätzung erklären.

QuoteУтром_пришло_письмо #66.1

Nein, die Eliten stellen nicht die Mehrheit - deshalb kann es ja bei Wahlen ein Problem geben. Aber sie haben, zumal in den großen Medien, die Lufthoheit.
Daher deren Illusionen bei der Nabelschau. Ich glaube jedoch, anders als Sie, dass die Autorin das ganz gut erfaßt hat.



QuoteMaximKammerer #80

Satz des Tages: "Mit der eigenen Unvernunft ist man immer nachsichtiger als mit der der anderen. " Dafür Daumen hoch Frau Raether!


QuoteEinfacher Bürger #84

Sehr geschätzte Frau Raether,
Ich verrate Ihnen jetzt mal, was wirklich arrogant ist.
Wirklich arrogant ist es, wenn sich eine bundesdeutsche Regierung kurz nach Aufnahme der Arbeit als allererstes um eine Frauenquote in Aufsichtsräten kümmert, also um einige hundert Frauen, die eh schon Spitzenverdienerinnen sind, statt sich endlich einmal einer Reform der Rentenversicherung anzunehmen, von der 80 Millionen Bürger betroffen sind.
DAS ist arrogant, oder soll ich lieber sagen ignorant?
Seit nunmehr Jahrzehnten regieren alle deutschen Regierungen an den Interessen der Bevölkerung vorbei. Man beschäftigt sich mit Luxus-"Problemen", und lässt dabei die existenziellen Grundlagen verrotten. Das gilt nicht nur für die Rentenversicherung, sondern in gleicher Weise für die Infrastruktur des Landes, für den völlig desaströsen Steuerwahnsinn oder für explodierenden Kosten im Gesundheitssystem, bei abnehmenden Leistungen.
Ich könnte noch stundenlang fortfahren, was in unserem Land wichtiger wäre als .... eine Frauenquote in Aufsichtsräten.
Die Populisten sind jetzt die Quittung, die wir kassieren. Herzlichen Dank auch.

QuoteSchrägar der Hässliche #84.1
"Ich verrate Ihnen jetzt mal, was wirklich arrogant ist. Wirklich arrogant ist es, ...."
Nun ja, das was Sie aufzählen ist ja nur ein Symptom dessen, was Frau Raether beschreibt, nämlich die tiefere Ursache über all den Wählervergessenheiten, die sich die Regierungen seit spätestens Schröder geleistet haben. Insofern sehe ich keinen Widerspruch.



QuoteKulturpessimistin #92

Der Artikel ist auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel.
Das "Nationale", meinethalben "Autoritäre" wäre nicht so erfolgreich, wenn es ein soziales Gegenprojekt gäbe. Ein Projekt, dass sowohl dem schlecht ausgebildeten deutschen Schulabbrecher als auch dem arabisch sprechenden Migranten helfen würde. Ein Projekt, dass nicht Griechen hungern ließe, während die Banken gerettet werden. Ein Projekt, das hohe Sozialstandards (etwa: Deutschland vor 2003) europaweit einführte. Ein Projekt, das "alternativlos", wenn es um Kürzungen bei den einfachen Leuten geht, nicht im Wortschatz hat. Ein Projekt, das nicht Milliarden dafür aufbrächte, die eigene Unterschicht, in Uniformen gekleidet, als Soldaten in alle Himmelsrichtungen schickte.
Das Nationale gewinnt an Macht, wenn das Internationale oder das Europäische nur für Lohnzurückhaltung und Wirtschaftssubventionen steht. Das will man nicht? dann sollte man nicht nur über die eigene Arroganz nachdenken, sondern bei der Basis anfangen.

Quoteder_beat #92.1

Für dieses Projekt gab es vor langer Zeit mal eine Partei. Die SPD, erinnern Sie sich?


QuoteKulturpessimistin #92.2

Das war vor meiner Zeit, vor der Stimme für die Kriegskredite. Ich nehme an, das war auch vor Ihrer Zeit.
Aber ja, deren Anfänge kenne ich auch, wenngleich nur aus Geschichtsbüchern.



...

Textaris(txt*bot)

#37
Quote[...] Als er sagt, diejenigen, die jetzt ,,besonders laut pfeifen und schreien und ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte tragen", hätten ,,offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde", gibt es in der Semperoper warmen Applaus. Draußen, vor der Großbildleinwand, erheben sich ein ohrenbetäubendes Pfeifen und Buhrufe. ...


Aus: "Von den Mindestansprüchen der Zivilisation" Lars Radau (03.10.2016)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/tag-der-deutschen-einheit-in-dresden-von-den-mindestanspruechen-der-zivilisation/14636800.html

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Quote[...] Sowohl Lammert als auch Merkel betonten, dass es nach 26 Jahren der Einheit heute neue Herausforderungen und Probleme in Deutschland gebe. "Wer aber in diesem Streit das Abendland gegen tatsächliche und vermeintliche Bedrohungen verteidigen will, muss seinerseits in dieser Auseinandersetzung den Mindestansprüchen der westlichen Zivilisation genügen", forderte Lammert mit Blick auf den Streit um die Flüchtlingspolitik. Dazu gehörten Respekt, Toleranz, die Freiheit der Meinung, die Wahrung der Religionsfreiheit und des Rechtsstaates. Der CDU-Politiker betonte zugleich, dass auch die Flüchtlinge die in Deutschland geltenden Regeln zu achten hätten. Das gelte "für alle, ausnahmslos". ...

QuoteMartin Günzel #41

Pöbeleien, Beschimpfungen, Nazi-Sprüche und rassistische Anmache - DAS ist das Volk? Na gute Nacht, Abendland ...


Quote
Zivilisationswächter #8.35

Aber Demokratie ohne Konflikt bekommen Sie nicht, dabei bleibe ich.

Made my day, der Satz. Denn Sie haben volkommen recht. Demokratie muß immer wieder erneuert werden. Sie muß verteidigt werden gegen ihre Feinde. Und - ganz wichtig - diese Feinde können sehr wohl auch in gewählten Staatsämtern sitzen. Das hat nichts mit "rechts" zu tun, sondern ist eine schlichte Tatsache.

Deutsche Innenminister und Geheimdienste, die permanent den Polizei- und Überwachungsstaat forcieren wollen, mit wolkigem Verweis auf Terroristen, sind nicht weniger Demokratiefeinde als Menschen, die was von "Merkeldiktatur" erzählen oder mit "Volksverrätern" rumwerfen.

Demokratie muß also auch immer neu bestimmt werden. Können wir dies und das tun und trotzdem demokratisch sein? Können wir zulassen, daß Bürgerdaten Freiwild der Wirtschaft und der Politik sind, aber umgekehrt gilt immer der Datenschutz?

Können wir demokratisch sein - glaubhaft und ernsthaft - wenn unsere offiziellen besten Freunde Folterer, Drohnenmörder oder wahabitische Ölfaschisten sind?

Demokratie muß immer wieder neu erungen werden, auf allen Ebenen, und das erfordert permanente Diskussion. Jeden Tag. Denn sonst ist sie eines Tages weg, die Demokratie. ...


...


Aus: ""Wir leben so, wie es ganze Generationen vor uns nur träumen konnten"" (3. Oktober 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-10/dresden-pegida-proteste-attacke-politiker


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Frage: Das harte Vorgehen gegen die Cumhuriyet überrascht aber dahingehend, dass sie bisher von der AKP-Regierung gerne als Beispiel benutzt wurde, um auf die freie Presse in der Türkei hinzuweisen.

Dündar: Erdoğan hat wohl keinen Grund mehr, die Welt überzeugen zu müssen. Er glaubt, dass er genügend Rückhalt in Europa bekommen hat, sodass er sich vor niemandem mehr erklären muss.

Frage: Wohin steuert die Türkei gerade?

Dündar: Ich will es so ausdrücken, dass jeder Deutsche es versteht: Die Türkei steuert gerade auf ein Gestaporegime zu. Morgens werden Häuser von Andersdenkenden, Intellektuellen und Politikern gestürmt, ohne dass das türkische Parlament eingebunden wird. Wissenschaftler werden aus Universitäten verbannt, Künstler verhaftet. Ihnen wird immer derselbe Vorwurf gemacht, am Ende ist es nur noch eine Hexenjagd. Das deutsche Volk muss nur in ihrer eigenen Geschichte blättern, um zu verstehen, wohin die Türkei gerade steuert.

Frage: Könnten auch Mitglieder der Oppositionspartei CHP ins Visier der Staatsanwälte geraten?

Dündar: Natürlich. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein unterdrückendes Regime jegliche Opposition ausschalten möchte. Es könnten auch Festnahmen innerhalb der AKP geben, sobald sich da jemand nicht mehr hinter die Regierung stellt. Vielleicht wird es ein ehemaliger Minister, vielleicht ein Staatspräsident.

Frage: Staatspräsident Erdoğan will die Todesstrafe zulassen, wenn das Parlament dies bewilligt. Was steckt hinter dem Vorhaben?

Dündar: Jedes autoritäre Regime träumt von der Todesstrafe. Es geht darum, Angst zu verbreiten. Erdoğan nimmt jetzt keine Rücksicht mehr auf die EU, mit der Todesstrafe will er seine autoritäre Stellung festigen.

Frage: Glauben Sie, dass das Parlament für die Todesstrafe stimmen wird?

Dündar: Die Massen werden derzeit darauf eingestimmt. Wenn die im Parlament vertretene MHP das Vorhaben auch noch unterstützt, könnte die Todesstrafe tatsächlich wiederkommen. Wundern würde es mich nicht mehr.

Frage: Die Einführung der Todesstrafe würde das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten. Will die türkische Regierung das wirklich?

Dündar: Wir haben von Anfang an gesagt, dass sich Erdoğan nicht um die EU schert. Er wollte nie Mitglied dieser Familie werden. Dennoch stand traurigerweise die Europäische Union bisher auf der falschen Seite. In Europa hat sich kein Leader ernsthaft hinter die Front der demokratischen Kräfte in der Türkei gestellt, niemand hat das Vorgehen dieses unterdrückenden Regimes verurteilt. Damit sind gleichzeitig auch die Träume vieler Türken zunichtegemacht worden, die sich wirklich viel von den EU-Beitrittsverhandlungen erhofft hatten.

...

Quotedenkbar123 #3.4

da arbeiten wir jahre vertrauensvoll mit diktaturen (saudi-arabien, katar, etc.) und terroristen (al nusra, al qaida, pkk, etc.) zusammen, um in arabischen ländern die regierungen zu stürzen, beliefern die mit waffen, geben denen geld und finden es super, wenn die türkei in fremde länder einmarschiert und wundern uns dann, wenn so gewährsleute, wie herr erdogan abdrehen und sich nicht ans völkerrecht und sonstige demokratische spielregeln halten, nachdem der große bruder usa und die eu ihm gezeigt haben, wie egal uns das ist?


Quotebemüht #4

Zwar kann ich die Verbitterung und Enttäuschung von Herr Dündar verstehen, doch weder ist die EU und Europa für das Scheitern der Demokratie in der Türkei noch in Russland verantwortlich. Auch die Personifizierung auf Herrn Erdogan ist nicht hilfreich bei der Ursachensuche in der türkischen Gesellschaft selbst.


...


Aus: "Can Dündar: "Türkei steuert auf ein Gestaporegime zu"" Hasan Gökkaya (7. November 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/can-duendar-cumhuriyet-tuerkei-erdogan-pressefreiheit-demokratie/komplettansicht


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Im Sommer 2013 schlugen die Enthüllungen Edward Snowdens der massiven und anlasslosen Rund-um-Überwachung durch die NSA und ihre Partner medial zunächst ein wie eine Atombombe. Von einem "digitalen Fukushima" war die Rede, einer Art Kernschmelze des Schutzmantels der Menschen vor totaler Überwachung, die die Bürger nackt macht vor den Geheimdiensten und dem Staat.

Die Politik versprach angesichts des größten Spionageskandals der Geschichte, der ein Licht warf auf einen anti-demokratischen Spähapparat ohne Rücksicht auf Grund- und Menschenrechte, Aufklärung und Reformen. Doch echte Konsequenzen sind auf staatlicher Ebene bald vier Jahre nach dem Beben Mangelware beziehungsweise Fehlanzeige. An der Praxis der geheimdienstlichen Überwachung hat sich wenig bis nichts geändert außer dem Versuch, sie noch geheimer zu halten und Whistleblower wie Snowden von vornherein systematisch zu verunmöglichen oder mit schärferen Strafen zu bedrohen.

Die weitgehende Folgenlosigkeit wirft die Frage auf, ob hinter dem Geheimdienstfiasko ein Versagen demokratischer Kontrolle steht. Wir könnten noch weiter gehen und anführen, dass die Exekutive diese Entwicklung gezielt befördert, um ihre Macht zu erhalten und die gläsernen Bürger im Griff zu halten.

"Offensichtlich ist ein politisch-administratives System entstanden, das fast jede gesellschaftliche Herausforderung mit Überwachung beantwortet", meint in diesem Sinne der Erklär-Irokese der deutschen Netzgesellschaft, Sascha Lobo. Ein weltweites Amalgam aus Politik, Behörden und Unternehmen habe aus der Beschnüffelung weiter Bevölkerungsgruppen und ganzer Nationen eine quasireligiöse Bewegung mit einer eigenen Heilslehre gemacht. Getrieben werde diese von einer "internationalen Kaste von Leuten, die Grundrechte als optional ansehen".

Der "NSA-Untersuchungsausschuss" des Deutschen Bundestages ist ein Paradebeispiel, das diese These untermauert und aus dem Reich der Verschwörungstheorien holt. Zwar bemühte sich insbesondere die knappe Handvoll der darin vertretenen Oppositionspolitiker der Linken und Grünen redlich, Licht ins Dunkel der von Snowden prinzipiell offengelegten Staatsaffäre und ihre deutschen Verstrickungen zu bringen.

Dabei sind auch Aspekte zutage getreten, die aufrechten Demokraten und Bürgerrechtlern die Haare zu Berge stehen lassen: Bundesnachrichtendienst (BND) und "Verfassungsschutz" liefern Handydaten an die NSA, die den geheimen und teils menschen- sowie völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg der USA befördern; der BND hat für den US-Partner sogar "Freunde" wie europäische Behörden und Firmen ausgespäht sowie umfangreiche Datenmengen etwa von einem Frankfurter Netzknoten abgesaugt und teils über den großen Teich geschickt.

Aber es kommt noch dicker: die "Spionageabwehr" des hiesigen Inlandsgeheimdiensts fühlt sich weder für das abgehörte Handy der Kanzlerin noch für den Kommunikationsschutz der deutschen Bürger allgemein zuständig. Kontrollinstanzen für den mächtigen Geheimdienstapparat gibt es zwar, aber diese lassen sich in ihrer Reichweite eher als symbolisch auffassen.

Zugleich ist der Ausschuss auch zum Sinnbild geworden für die koordinierten Bemühungen der Bundesregierung, die Arbeit der Parlamentarier zu behindern. Dafür stehen bis auf die Grußformeln geschwärzte Papiere, die den Volksvertretern unter dem Motto der "größtmöglichen Aufklärungsunterstützung" als Basis für die Zeugenbefragungen dienen sollen. Sobald es in den "Verhören" spannend wird, verweisen die Vernommenen zudem oft auf ihre deutlich eingeschränkte Aussagegenehmigung der Bundesregierung. Oder deren Vertreter schalten sich ein und konstatieren, dass alles Weitere geheim sei und nur in "nicht-öffentlicher Sitzung" besprochen werden dürfe.

Sollen Regierungsvertreter selbst Rede und Antwort stehen, machen sie in der Regel rasch deutlich, dass ihnen das "Staatswohl" näher steht als die parlamentarische Einsichtnahme. Berühmt berüchtigt sind zudem bei allen Zeugen umfangreiche "Erinnerungslücken", wenn es ans Eingemachte geht.

...

QuoteMumrik, 19.02.2017 11:46

Eine Demokratie braucht keine Geheimdienste

Nach wie vor fordere ich, dass wir uns vom Konstrukt "Geheimdienste" in ihrer gegenwärtig verstandenen Form komplett verabschieden. Wir brauchen die nicht. Im Gegenteil, sie schaden einer Demokratie massiv. Es handelt sich um nichts anderes als "Herrschaftswissen-Erzeuger", die außerhalb des Rechts agieren. Sie sind eine Erfindung aus den finsteren Zeiten der Monarchien und Diktaturen, dort sind ihre Wurzeln, und diese bestimmen bis heute das Selbstverständnis solcher Institutionen. ...


QuoteMumrik

mehr als 1000 Beiträge seit 17.01.2001
19.02.2017 16:45

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Re: (Fast) volle Zustimmung.

cyber99 schrieb am 19.02.2017 15:41:

    (Fast) volle Zustimmung. Eine Demokratie braucht per Definition keine Geheimdienste die im Inland spionieren. Die Auslandsüberwachung ist aber ein notwendiges Übel, genauso wie ein Militär. Wenn andere "unfair" spielen, kann man selber nicht einfach so tun, als ob es einen selber gar nichts anginge. Dafür gibt es viel zu viele Verflechtungen der Politik und Wirtschaft. Von daher: Inlandsgeheimdienst: Nein. Auslandsgeheimdienst: Ja - aber nur zur Verteidigung

ich bin auch und gerade gegen Auslandsspionage. Man muss es so sehen: Wärst du gerne mit jemandem befreundet, der dich "sicherheitshalber" observieren lässt, um sich sicher zu sein, dass du wirklich sein Freund bist? Auf dieser Basis kann kein Vertrauen geschaffen werden. Die Tatsache, dass es heutzutage als "naiv" gilt, so etwas wie Vertrauen auch nur in Erwägung zu ziehen, wenn es um Beziehungen zu anderen Staaten geht, lässt tief blicken auf die Krankheiten unserer Zivilisation.

Ich finde, es müsste mal einer mutig in der Welt vorangehen und sagen: Leute, wir lassen jetzt sozusagen die Hosen runter. Wir schaffen diese unsäglichen Dienste ab, wir hören auf damit, Offensivwaffen zu produzieren, zu verkaufen oder zu erforschen, und wir spitzeln nicht unsere eigene Bevölkerung aus. Wir gehen nämlich davon aus, dass die meisten Menschen auf der Welt keine Arschlöcher sind. Und ja, ich finde, dieser Mutige sollten wir sein.



QuoteBernd Paysan, 20.02.2017 03:17

Re: (Fast) volle Zustimmung.

Es gibt da ja Ansätze zu einer Art Kompromiss: Offenlegung der beschafften geheimen Dokumente. Stell' dir vor, wir ersetzen den BND durch Wikileaks: Unsere Informationen über dunkle Aktivitäten im Ausland stammen dann von Whistleblowern und werden öffentlich gemacht.

Dann haben wir nach wie vor die notwendigen Erkenntnisse, aber eben ohne das Geheime daran: sie sind jedem zugänglich, und werden journalistisch aufbereitet, außer dem offensichtlich notwendigen Quellenschutz gibt es keine Geheimhaltung.

Natürlich muss so ein Wikileaks vin Aktivisten betrieben werden, nicht vom Staat. Dee Staat kann aber seine schützende Hand über diese Aktivisten halten.


QuoteAntiminator

55 Beiträge seit 18.02.2017
19.02.2017 22:10

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Re: Im Grunde richtig, weil...

... es unsere Bediensteten sind.
Und diese sich dem Schutze und Wohle des Volkes verpflichtet haben.
Wer dies aussagt der sollte zumindest auch ehrlich sein und nicht betrügerische Absichten verfolgen, wie dies mittlerweile den Anschein erweckt.

Und wenn solche sich über den STAAT - das sind wir alle - erheben, dann sollte dies dem Bürger mehr als zu denken geben.
Besonders jenen die auch noch Kinder haben und diesen auch eine friedliche und freiheitliche Zukunft wünschen!

Und macht man sich nichts vor dann haben diese Geheimdienste, inkl. BND, auch ihren Beitrag an den jetzigen Zuständen im Nahen Osten geleistet. Denn immerhin gaben diese einem Bush die Vorlage (Aluröhren) zum letzten Irakkrieg [...].

... Ich wäre zumindest dafür dass solche Dienste nach Abschluss ihrer "Dienstleistung" (zum Schutze und Wohle des Volkes) sämtliche Handlungen - Erfolgsnachweis - offenlegen. Dazu sollten diese Dienste verpflichtet werden, weil diese sich ansonsten verselbständigen.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (19.02.2017 22:14).


QuoteBernd Paysan, 20.02.2017 02:54

Re: Eine Demokratie braucht keine Geheimdienste

Mumrik schrieb am 19.02.2017 11:46:

    Ich bin übrigens überzeugt davon, jedes Argument widerlegen zu können, das angeblich für den Unterhalt von Geheimdiensten spräche.

Das Kompromat, dass sie drohen, über dich zu veröffentlichen, und die Attentäter, die sie auf dich hetzen werden, wenn du nicht spurst, werden dich als Politiker schnell davon überzeugen, dass du zwar jeden Grund hast, den deep state zu beseitigen, aber nicht die Macht.

Der einzige mir bekannte Fall einer Geheimdienstauflösung war das Ende der Stasi, und das ging einher mit dem Untergang der DDR. Selbst die Gestapo hat in Form des Verfassungsschutzes das Ende des dritten Reichs zumindest in Teilen überlebt. ... Und das Ende der Stasi hat den tiefen Staat ja nicht beendet, gab ja genügend davon im Westen.


...


Aus: "Geheimakte BND & NSA: Ein Blick auf drei Jahre versuchte Aufklärung" Stefan Krempl (19.02.2017)
Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Geheimakte-BND-NSA-Ein-Blick-auf-drei-Jahre-versuchte-Aufklaerung-3628757.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nach dem großen Knall am Abend der Bundestagswahl herrschte erst einmal allgemeine Ratlosigkeit: Wie konnte es passieren, dass die nationalkonservative ,,Alternative für Deutschland" die CDU in Sachsen überholte und sogar prominente CDU-Politiker wie Sachsens Generalsekretär und Bundestagsfraktionsvize Michael Kretschmer ihren Wahlkreis verloren? Seitdem läuft die Produktion von Erklärungsversuchen permanent, und nach und nach wird deutlich, wie wenig überraschend das eigentlich war. Wenn man Veranstaltungen der vergangenen Jahre zu Reizthemen wie Grenzkriminalität, Wolf,  oder Wir-haben-eh-nichts-zu-sagen Revue passieren lässt, erkennt man, dass die Wutsuppe in Sachsen schon zu kochen begann, bevor im Herbst 2014 das erste Pegida-Transparent in Dresden entrollt wurde. 

Da war zum Beispiel dieser Abend im Januar 2012 in der oberlausitzer Kleinstadt Löbau. Die Innung der Autohändler hatte zu einem Diskussionsabend mit Minister und Polizeipräsident eingeladen. Das Thema: die vielen Einbrüche und Diebstähle in der Grenzregion zu Polen und Tschechien. Das war zu einer Zeit, da Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) ein Sparkonzept für die Polizei als Zukunftskonzept anpries und versprach, dass der Freistaat den Menschen in der Grenzregion auch mit weniger Polizisten ein sicheres Leben garantieren könne. Die moderne Technik und die Kooperation mit Bundespolizei und Zoll mache eine effektive Polizeiarbeit auch künftig möglich.

Es brodelte im Saal, der voll besetzt war mit Händlern und Handwerkern verschiedenster Branchen, mit Hauseigentümern und anderen besorgten Bürgern. Es kamen gallige Kommentare und die Ankündigung, dass man dann eben die Sicherheit in die eigenen Hände nehmen müsse. Ein Händler kündigte an, sich eine Waffe zu besorgen.

So baute sich ein Bild von hemdsärmelig entschlossenen Oberlausitzern auf, die mit der Flinte im Anschlag ihr Hab, Gut und Leben sichern. Vom Podium schaute Polizeipräsident Bernd Merbitz in die Runde. Nach einer Weile erhob er sich und konterte: Wer hier für amerikanische Verhältnisse plädiere, müsse sich vor Augen führen, wie viele Menschen dort unschuldig erschossen werden. "Überlasst es der Polizei, Waffen einzusetzen. Wir sind darin ausgebildet, technisch und psychologisch." So handfest, so entschlossen trat der Polizeipräsident auf, so klar und volksnah sprach er die Menschen an, dass sich die Wogen mit einem Mal glätteten. In dieser Situation verkörperte Sachsens oberster Polizist jenen "starken Staat", den die Leute allgemein vermissten. Innenminister Ulbig hingegen wirkte an diesem Abend blass, technokratisch, unsicher. Einer von "denen da oben", die als abgehoben und alltagsfern wahrgenommen werden. Die Szene liegt fünfeinhalb Jahre zurück, aber sie bleibt symptomatisch, um eine Stimmung zu illustrieren, die in den folgenden Jahren und bis heute die politische Agenda prägt. Gut ein Jahr nach diesem Abend wurde die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) gegründet, und deren Hochburg deutschlandweit liegt seitdem in Ostsachsen, wenige Kilometer von Löbau entfernt: Dürrhennersdorf, 33,6 Prozent bei der Landtagswahl im September 2014.

Die Suche nach den Ursachen für diese radikale Abweichung vom damaligen deutschen Durchschnitt führte in eine Welt, die heil, hübsch und abgelegen wirkt. Da war der Bäcker, der zwar noch bis zur Rente durchkommt, aber um sein altes Handwerk fürchtet, weil in den Supermärkten Teiglinge aus Asien aufgebacken würden. Keine "Verlierer", aber Menschen, die etwas zu verlieren haben, so charakterisierte Sachsen-Anhalts früherer Ministerpräsident Wolfgang Böhmer die Situation in seinem sächsischen Heimatort. Und woher kommt die Bedrohung? Von riesigen Konzernen, die über internationale Handelsabkommen und den EU-Binnenmarkt ihre Macht bis in die ländlichen Verästelungen der Oberlausitz durchsetzen - so schilderten es Menschen in Dürrhennersdorf.

Dass sich viele ihrer Kinder und Enkel an den positiven Seiten der Globalisierung erfreuen, über EU-Programme ein Jahr im Ausland verbringen oder irgendwo in Europa studieren können, das ist allenfalls ein schwacher Trost. Denn im Umkehrschluss heißt das: Wer gut ausgebildet ist, verschwindet aus der Region und kommt nur noch zu Besuch zurück. Alleingelassen, unverstanden. Das sind Gemütszustände, die sich nach der Wiedervereinigung und den massiven Umbrüchen tief ins kollektive Bewusstsein eingegraben haben.

Eine Studie des Instituts für kulturelle Infrastruktur in Görlitz hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Phänomen der "Resilienz" befasst, also mit einer Widerstandsfähigkeit, die aus einer Mischung von Festigkeit und Beweglichkeit entsteht. Die Frage hier lautete: Wie widerstandsfähig ist die Demokratie in der Lausitz? Die Untersuchungen zeigten, dass es Gegenden gibt, in denen ganze Abitur-Jahrgänge die Region verlassen, irgendwo studieren und nie zurückkehren, also ihr Wissen und ihr Können nicht in ihrer Heimatstadt fruchtbar machen. Verließen schon zu DDR-Zeiten viele kluge und daher oft auch widerständige Geister die Region aus politischen Gründen, so wurde der Trend nach 1990 nicht gestoppt, sondern verstärkt. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die lokalen Eliten nach und nach verschwunden sind. Wo Akademiker gebraucht wurden und werden, kamen sie nun aus dem Westen. Fremde also waren auf einmal die Experten, die den Einheimischen erklärten, wie Politik, Verwaltung, Wirtschaft in der "neuen Welt" funktionieren. Auch ohne Wessi-Arroganz wirkt das sehr befremdlich; als hätten die Menschen ihre Lebenswelt nicht mehr selbst im Griff.

Ein Denk- und Handlungsmuster, das daraus erwachsen kann, lässt sich an einem Beispiel aus dem Norden der Oberlausitz illustrieren. Vor einigen Jahren wurde im Wald zwischen Hoyerswerda und Weißwasser ein Wolf überfahren. Nicht, weil er über eine Straße gelaufen ist und der Autofahrer nicht mehr bremsen konnte. Das Tier wurde offenkundig absichtlich überfahren. Im Dorf kannte angeblich niemand den Täter. Aber doch schienen viele zu wissen, was passiert war - und die meisten stimmten der Tat zumindest insgeheim zu. Es schien, als gälten die Gesetze hier nicht. Weil es nicht "ihre" Gesetze sind?

Voriges Jahr in Bad Muskau. Schlossgespräch. Der Autor Helmut Ortner, ein linksliberaler Intellektueller aus dem Rhein-Main-Gebiet, stellt ein Buch über die NS-Diktatur vor und diskutiert mit den Gästen über die Kultur des Streitens, über Freiheit und Demokratie. Als ein Mann mittleren Alters Missstände in seinem Heimatort beklagt und findet, dass "die Politiker" ohnehin machen, was sie wollen und dass man ja dies und das nicht sagen dürfe, da entgegnet der Autor ähnlich direkt wie einst der Polizeipräsident: "Gehen Sie doch einfach mal hin zu Ihrem Bürgermeister oder in den Gemeinderat." Und: "Natürlich dürfen Sie alles sagen, was sie denken. Hier wird doch niemand festgenommen." Der Mann wirkte überrascht - und ermutigt. Es war ihm offenbar nie klar gewesen, wo und wie er sich hätte einmischen können. Und wie leicht das sein kann. Eine Heimat hatte dieser Mann in der Demokratie der Bundesrepublik offenkundig nicht gefunden.


Frank Seibel, Journalist

Expertise:
Frank Seibel ist seit 1998 Redakteur der Sächsischen Zeitung; zehn Jahre Leiter der Lokalredaktion Görlitz, heute Reporter für die Lausitz.


Quote
von Bang Ji 21.10.2017, 16:35:23
Als 1982 mit der geisitg-moralischen Wende, die in der Bundesrepublik Deutschland von der Gruppe Kohl-Genscher verkündet wurde, jene Umgestaltung der deutschen Gesellschaft in eine systemisch hoch korrupte, feudalherrschaftliche Besitzstands- und Erbbesitzherrschaftsgesellschaft eingeleitet wurde, die ihre Vollendung - zynischer Weise - durch die sogen. Reform- und Modernisierungspolitik der Gruppe Schröder-Fischer erfuhr, war der Grundstein jener sozio-ökonomischen Realspaltung der Bevölkerung gelegt, die heute durch einen fast apathischen Politfatalismus im unteren Quartil dieses Landes reflektiert und immer extremeren Blindwütigkeitsrevolten a la Pegida beantwortet wird.

Es ist diese Realspaltung des Landes, die jene der leninistisch-stalinistischen Kaderfunktionärsdiktatoren Ulbricht und Honecker um ein Vielfaches übersteigt und tiefer geht, als sich unsere etablierten, saturierten, sanierten und manierierten Eliten und Exzellenzen auch nur ansatzweise vorstellen können, Spannungen erzeugt, die mit völlig unkontrollierbaren, gewalttätigen Konfrontationen und Konflikten wieder abgebaut werden und die Existenz dieser Elit'arier/-innen'und Exzellenzen/-innen bedingungslos zur Disposition stellt, wird - wiedereinmal in der Geschichte der Deutschen - für große Verblüffung und Überraschung sorgen.

Und wer im Geschichtsunterricht nicht vollends geschlafen hat, den wird die Ahnung beschleichen, warum derartig offenkundige, destruktive Blindwütigkeit im Lande der Dichter und Denker das Mittel der Wahl der "schweigenden Mehrheit" werden wird. "Macht kaputt, was euch kaputt macht!".

Das ist kein Rezept von Linksextremisten oder der Psychopathen des Schwarzen Blocks. Es ist der Reflex der nihilistischen Anarchisten, denen jeder Sinn für die Konstruktivität einer formierten Gesellschaft mit einer qualifizierten und fairen, konsensual verfassten, mehrwertschöpfungsfähigen Produktionsgesellschaft fehlt.

Siehe: Ansprache an Millionäre. Gedicht. Erich Kästner.


QuoteChristian Wolff, Christian Wolff war Gründer und Vorstandsmitglied im Verein ,,Thomaskirche-Bach 2000 e.V." (bis 2014). Er ist seit 1970 Mitglied der SPD. Im Dezember 2014 rief er die Initiative "Willkommen in Leipzig – eine weltoffene Stadt der Vielfalt" ins Leben. Derzeit ist er als Blogger und Berater für Kirche, Politik und Kultur tätig und hält Predigten zu kirchlichen und gesellschaftlichen Themen im In-und Ausland. 21.10.2017, 10:52:37
Allen im Artikel von Frank Seibel eindrücklich beschriebenen Beobachtungen kann ich aus eigenem Erleben der vergangenen 25 Jahre nur bestätigen - wobei die Auswirkungen in einer Bürgerstadt wie Leipzig nicht so gravierend sind, weil es dort Gott sei Dank eine offene Debattenkultur gibt (jedenfalls im Vergleich zur Lausitz). Was im Artikel zu kurz kommt, sind die gravierenden Versäumnisse der seit 1990 CDU-geführten Landesregierung. Sie ist verantwortlich dafür, dass politische und Demokratie-Bildung bis heute Fremdwörter in Kitas, Schulen und Universitäten geblieben sind. Gerade die sächsischen Hochschulen sind demokratiefreie Räume und werden wie Unterabteilungen der Ministerialbürokratie geführt. Dass dieser Missstand von den zumeist aus Westdeutschland stammenden Professoren mehr oder weniger willfährig hingenommen wird, zeigt an, dass das Demokratiedefizit nicht nur ein ostdeutsches Problem ist.
Seit 1990 wurde in Sachsen der Rechtsextremismus in allen Schattierungen geduldet und beschönigt, so dass er heute - zur Normalität geworden - kaum auffällt. Außerdem gibt es viel zu wenige Führungskräfte in den Kommunen, die sich nicht nur zur Demokratie bekennen, sondern diese in ihrem Verantwortungsbereich praktizieren - also Beteiligung ermöglichen. Wenn Kurt Biedenkopf erneut behauptet, dass die Sachsen gegen den Rechtsextremismus immun seien, dann zeigt das zweierlei: wie sehr er die Realität des alltäglichen Rechtsextremismus, die unter seiner Ägide entstanden ist, ignoriert und wie er selbst einen beträchtlichen Anteil an der jetzigen Situation hat. Tillich hat nicht etwa das "Lebenswerk" von Biedenkopf verspielt, wie die Biedenkopfs in der ZEIT selbstgerecht behaupten - Tillich hat die Ignoranz Biedenkopfs vollendet und sieht sich jetzt am Ende der Sackgasse angekommen. Ohne einen neuen Aufbruch zur Demokratie gibt es aber keine Umkehr. Diesen sollte man weder der CDU noch gar der völkischen AfD überlassen. Er muss von den Menschen ausgehen.





...



Aus: "Rechtsruck in Sachsen: Die Wutsuppe in Sachsen kochte schon vor Pegida und AfD " Frank Seibel (20. Oktober 2017)
Quelle: https://causa.tagesspiegel.de/gesellschaft/warum-ist-sachsen-so-rechts/die-wutsuppe-in-sachsen-kochte-schon-vor-pegida-und-afd.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wien / St. Pölten – Als Árpád Schilling (43) vom Ausschuss für Nationale Sicherheit des ungarischen Parlaments im September zum "Staatsfeind" erklärt wurde (genauer Wortlaut: "potenzieller Vorbereiter staatsfeindlicher Aktivitäten"), machte sich in der österreichischen Theaterszene, in der der Regisseur seit Jahren regelmäßig tätig ist, Entsetzen breit. Das kann ja wohl nur ein Witz sein? War es aber nicht. Konkrete Folgen zeitigten die ohne Evidenz ausgesprochenen Anschuldigungen nicht. Allerdings hat Schilling bereits vor zwei Jahren beschlossen, nicht mehr in Ungarn zu inszenieren, ein Berufsbann könnte ihn derzeit also nicht treffen. Viel schlimmer ist die Tatsache, dass es keinerlei Solidarität von ungarischen Theaterinstitutionen gab. Das ist typisch für die ungarische Gesellschaft, meint Schilling im Standard-Gespräch und holt ein wenig aus: Seine Landsleute hätten nach der kommunistischen Zeit nie gelernt, mit demokratischem Rüstzeug umzugehen. "Man hat uns gesagt, ihr könnt alle vier Jahre wählen gehen, den Rest erledigen wir." Eine Krankenpflegerin habe sich unlängst, so erzählt Schilling, an die Öffentlichkeit gewagt, um die schlechten Arbeitsbedingungen in ungarischen Spitälern anzuprangern, und kein einziger Kollege sei ihr beigestanden, obwohl jeder wisse, wie miserabel die Situation sei. Oder: Ein Universitätslehrer habe bei einer Demonstration die Verschlechterung im Bildungswesen beklagt und sei zwei Tage später von seinem Vorgesetzten ermahnt worden, es kein zweites Mal mehr zu tun. "Alle kuschen. Der existenzielle und psychische Druck ist enorm. Die Regierung hat das perfekt in der Hand." Es sprudelt aus Schilling heraus. Dabei geht es dem vielfach ausgezeichneten Regisseur und Gründer des heute nur noch als Produktionsplattform geführten Krétakör-Theaters nicht um seine Person oder die ihn betreffende Ächtung, sondern um den schlechten Befund von Mündigkeit und des Miteinanders, von dem verstärkt die Rede ist, seit sich weite Teile der europäischen Gesellschaften bedroht fühlen. "Die Menschen verhalten sich in Ungarn mittlerweile wie im Mittelalter!", sagt er.

Die rechtsnationale Fidesz-Partei betreibe auf allen Ebenen Angstpropaganda: Angst vor Brüssel, Angst vor George Soros, Angst vor Migranten usw. "Und dann tritt Orbán heraus und sagt, ich beschütze euch. Das ist die Geste des Königs!" Und weiter: "Die Menschen fürchten sich mehr vor Migranten als vor dem Niedergang der Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen! Das ist doch gegen jeden Wert, das ist Antikultur. Das beunruhigt mich sehr. Was passiert hier mit unserem zivilisatorischen Niveau!?" Schillings politisches Bewusstsein war immer Antriebsfeder für seine Theaterstücke und hat ihm auch den Ruf als politischer Aktivist eingetragen. 2010 hat er mit Krétakör noch sozialpädagogische Projekte betrieben, Integrationsarbeit an Schulen geleistet. Das wurde Schritt für Schritt eingedämmt, der Zutritt zu den Schulen verwehrt. Heute werden über Krétakör vor allem Demonstrationen organisiert, etwa um NGOs zu unterstützen. Schilling selbst arbeitet als Regisseur allein weiter, im Ausland. Derzeit wird die Wiederaufnahme von Eiswind am Akademietheater (19. 12.) vorbereitet, einem Thriller, in dem aufgrund von geschürter Angst tiefe Gräben zwischen Menschen(-gruppen) klaffen. Einen etwas anderen Fokus hat sein jüngstes, wieder in Zusammenarbeit mit Éva Zabezsinszkij entstandenes Drama, das am 1. Dezember am Landestheater Niederösterreich zur Uraufführung kommt. Im Stück Erleichterung wird die Auflösung eines Flüchtlingsheims mit der Errichtung eines Sportzentrums für Behinderte argumentiert, während zugleich ein Behinderter, zu Gast im Haus der Protagonistenfamilie, diskriminiert wird. Es ist ein fein gesponnenes, tief sitzende Konflikte austragendes Drama.

Es fragt danach, was unsere westlichen Werte eigentlich ausmacht, und zeigt, wie schnell sie zerbröseln. Indes werden mit wehenden Fahnen in Europa von immer größeren Mehrheiten "christliche Werte" verteidigt, nicht um sie zu leben, sondern um anderen gegenüber als überlegen zu erscheinen. Und hier setzt Schillings Stück an, das erneut Schattierungen und Leerstellen eines Thrillers geschickt in sich vereint. Als Vorbild nennt der Regisseur das Werk von Rainer Werner Fassbinder, der in kleinen, familiären Mikrokosmen die Widersprüche gesellschaftlicher Entwicklungen abzubilden vermochte. "Viele Politiker haben keine ideologische Integrität mehr, sie verhalten sich opportun. Sie reden ständig von der europäischen Kultur, den Traditionen, aber wenn man genau hinhört, dann sagen sie immer nur: ,Ich, ich, ich.'" Auch westliche Regierungen – siehe Emmanuel Macron in Frankreich oder demnächst Sebastian Kurz in Österreich -, so konstatiert er, interessierten sich nicht für Sozialpolitik und Minderheiten. "Überall ist ein Orbán." (Margarete Affenzeller, 23.11.2017)

Quote
Budenzauber

23. November 2017, 08:08:01
Die ,,westlichen Werte" erschöpfen sich schnell - mit dem Versiegen des Geldes ...



Aus: "Árpád Schilling: "Was passiert mit unserem zivilisatorischen Niveau?" Margarete Affenzeller (22. November 2017)
Quelle: https://derstandard.at/2000068303729/Arpad-Schilling-Was-passiert-mit-unserem-zivilisatorischen-Niveau


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Quote[...]  Paul Sailer-Wlasits, geb. 1964, ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Forschungsgebiete: Sprachphilosophie, Hermeneutik, Metaphorologie, Diskursanalyse, Philosophie der Mythologie, vorsokratische Philosophie und Ästhetik.

Monografien: "Die Rückseite der Sprache. Philosophie der Metapher" (2003). "Hermeneutik des Mythos. Philosophie der Mythologie zwischen Lógos und Léxis" (2007). "Verbalradikalismus. Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens" (2012). "Minimale Moral. Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache" (2016). Zahlreiche Texte und Essays zur Sprache der und in der Politik, zu politischer Kultur, zeitgenössischer bildender Kunst und philosophischer Ästhetik.



... In Zeiten der Krise führen Koalitionen aus Mutlosigkeit zumeist zum Erstarken extremer Kräfte, die ohne jegliche Hemmung in das Macht- und Führungsvakuum einzudringen gewillt sind.

Das Ende der Weimarer Republik und das Ende der Ersten Republik Österreichs waren historische Lehrstücke führungsschwacher, visionsloser Politik. In der Gegenwart Ungarns und Polens sind autoritäre Tendenzen bereits mit freiem Auge sichtbar, nur in Österreich werden die aufbrechenden gesellschaftlichen Bruchlinien gerade noch mit dem Schein von Aufbruch und Dynamik notdürftig verklebt.

Ähnlich wie der antidemokratische, militaristische Nationalist und Schriftsteller Ernst Jünger einst gegen die Weimarer Republik hetzte, können die heute nach rechter Ordnung Rufenden mit ihrer kontaminierten Sprache höhnen und genüsslich zusehen, wie "den Linken" und deren Argumenten das gesellschaftspolitische Licht ausgeht.

Spätestens seit dem großen politisch-kulturellen Entwerter in Washington ist verbalradikale Diktion auch international wieder en vogue. Die Tag für Tag über den Atlantik gezwitscherte politische Dekultivierung wird von den europäischen Möchtegern-Demagogen begierig aufgegriffen. Endlich können auch sie wieder offen und unverhohlen sagen, was Sache ist. Auch sie benötigen nun keine Sprachkultur mehr, denn wie er, stellen auch sie sich über diese. Sprachentgleisungen und Feindbildrhetorik mutieren zur Normalsprache, Stereotype und Herabwürdigungen stehen an der Tagesordnung und drohen zur neuen europäischen Leitkultur - jedoch nicht ohne Folgewirkungen - zu werden.

Die Sprache der Macht ist immer nur aufgrund der Kollaboration eines Großteils der Regierten erfolgreich, wie P. Bourdieu zeigte. Die Rückkehr zu sprachlicher Anerkennung, zu gesellschaftlichem Respekt und politischer Haltung beginnt daher beim Einzelnen, bei jeder Bürgerin und jedem Bürger. Dieser vermeintliche Schritt zurück ist jedoch der eigentliche Schritt nach vorne, zu einem sich allmählich zu kulturellem Miteinander zivilisierenden Diskurs.

QuoteNimbus Nibel, 18.04.2018 10:02

Warum ist der Autor überrascht?

Es ist lediglich 2 Generationen her, dass Menschen in Deutschland aufgrund ihrer Herkunft industriell vergast wurden. Ist nicht ewig lange her, die Opas der heutigen AfD-Wähler haben noch Hitler zugejubelt.


Quotealexf38, 18.04.2018 09:55

Differenziertes Argumentieren "wird schwieriger"

... Wie bitte?

"Schwieriger?"
Seit wann? Wieviel schwieriger denn noch?

Und Dichotomien gewinnen "wieder" die Oberhand im politischen Diskurs, das können Sie doch nicht ernst meinen? Wann war es denn jemals anders? Sind Sie ein Mensch mit höherem Sprachverständnis oder nicht? Haben Sie sich mal Heiner Geißler in den Achtziger Jahren angehört? Wo verbringen Sie Ihr Leben, in einem Ziergarten?

Was ist mit dem Stabilisierungsinstrument der Links-Rechts-Polarität und der eklig-klebrigen Tendenz zur Mitte, die jedes Argument, das sich von der politischen Mitte nach links oder rechts wegbewegt, disqualifiziert, bevor überhaupt eine Debatte entstehen kann? Die Verkürzung politischer Inhalte und die Reduktion der Notwendigkeit politischer Auseinandersetzungen auf Persönlichkeiten? Die Schmälerung und Kanalisierung des politischen Diskurses in sehr enge Vorstellungen von dem, was gesagt werden darf und was den Redner von vornherein disqualifiziert, bei gleichzeitiger Betonung der Meinungsfreiheit? Wie lange unterdrücken und vergiften diese Mechanismen schon die deutsche Politik und blockieren echte Auseinandersetzungen, haben Sie das bei Ihren Ausführungen schon in Betracht gezogen?

... Was die Rechten jetzt tun - sie etablieren ihre eigene Deutungshoheit über selbstwert- und identifikationsrelevante Ausdrücke, indem sie das etablierte, in der Tat politisch "korrigierte" Vokabular scheinbar "entlarven" und den daraus gezogenen "Erkenntnisgewinn" für sich beanspruchen - ist nichts als eine "Etikettenerneuerung" unter anderen Vorannahmen. Möglich wurde das, weil das alte Etikett immer schon eine hohle Phrase und obendrein zwangbesetzt war, d.h. Fremdbestimmung von oben suggerierte: Wer davon abweicht, ist entweder zu weit links oder - in den meisten Fällen - zu weit rechts und damit eigentlich schon in der Nähe von Neonazis. Viele Karrieren wurden auf diesem Weg abrupt beendet, das Muster wird schon sehr lange über Gebühr beansprucht, der Mechanismus wird aber von der Wählerschaft längst als perfide und berechenbar wahrgenommen, und die dabei empfundene Fremdbestimmung hat in vielen Menschen - darunter auch weniger "völkisch" veranlagten - Widerwille und Abgrenzungsverhalten hervorgerufen, weil die dahinterstehenden Grundüberzeugungen schon lange nicht mehr begründet und beworben werden, sondern weil er längst ein billiges Instrument ist, um politische Gegner links oder rechts der Mitte abzusägen und sich der eigenen politischen Rechtfertigungspflicht zu entziehen.

Auch durch diese der Erstarkung rechter Bewegungen vorangegange, jahrzehntelange Unterhöhlung und normative Besetzung der Sprache durch die bürgerlichen Parteien, Herr Sailer-Wlasits - und diesem Aspekt tragen Sie mit keinem Wort Rechnung - wurde die scheinbare "Entlarvung" der politisch korrigierten Sprache durch die neuen Rechten überhaupt erst möglich. Jetzt etablieren diese Bewegungen ihre eigene politisch "korrekte" Sprache.


...


Aus: "Die neue rechte Ordnung der Dinge" Paul Sailer-Wlasits  (18. April 2018)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Die-neue-rechte-Ordnung-der-Dinge-4024508.html

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Quote[...] Dass ausgerechnet die Chemie-Lobbyisten von der Politik mehr Transparenz in der Interessenvertretung einfordern, um Glaubwürdigkeit und damit Demokratie zu stärken, dürfte insbesondere Union und SPD beschämen. Schließlich liegen deren Koalitionsverhandlungen erst ein paar Wochen zurück und noch nicht einmal die Einführung eines Lobbyregisters hat es in den Vertrag geschafft.

Mehr Transparenz im Umgang von Politik und Lobbyismus war beiden offenbar nicht so wichtig. Wobei festzuhalten bleibt, dass CDU und Grüne diesen Plan zuvor gegen den Widerstand der FDP in das Sondierungspapier der Jamaikaner hinein verhandelt hatten.

Als klar wurde, dass die große Koalition dem Vorbild der EU und vieler deutscher Bundesländer nicht folgen und die Interessenvertreter – vom Beamtenbund bis hin zur Waffenlobby – verpflichten wird, in einem öffentlichen Register festzuhalten, wer in wessen Auftrag und mit welchen Finanzmitteln im Bundestag und der Regierung die Interessen der Auftraggeber vertritt, hat sich der Verband der Chemischen Industrie zur eigenen Initiative entschlossen – und in Transparency International einen Partner gefunden.

,,Es muss deutlich werden, wer welche Rolle hat, wie viel Geld eingesetzt und mit wie vielen Mitarbeitern diese Aufgabe wahrgenommen wird", begründete der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbandes, Utz Tillmann, seine Forderung nach einem Lobby-Gesetz. Denn fehlende Transparenz schüre Misstrauen. ,,Das Bedürfnis der Gesellschaft nach Transparenz ist legitim und nachvollziehbar."

In dem Gesetz wollen Transparency und der Chemieverband nicht nur die Einführung des Lobbyregisters geregelt wissen, in dem sich die Betroffenen eintragen und einem Verhaltenskodex unterwerfen. Jeder soll online überdies in einer Datenbank nachvollziehen können, welche Interessenvertreter im Gesetzgebungsverfahren auf Regierung und Parlamentarier Einfluss genommen haben. Dieser ,,legislative Fußabdruck" soll verhindern, dass einzelne Interessengruppen ihre gewünschten Formulierungen in Gesetzestexten hinein verhandeln und die Öffentlichkeit davon nichts erfährt. Über die Einhaltung des Gesetzes soll nach Ansicht von Transparency und dem Verband ein Lobbybeauftragter des Bundestages wachen.

Die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Eva Högl hat in den Koalitionsverhandlungen um ein solches Transparenzgesetz gerungen – ohne Erfolg. Nun sagt sie, ihre Fraktion wolle sich weiter dafür einsetzen, dass in dieser Legislaturperiode zumindest ein Lobbyregister eingeführt wird.


Aus: "Chemie-Lobbyisten beschämen die Koalition" Antje Sirleschtov (17.04.2018)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/bundestag-chemie-lobbyisten-beschaemen-die-koalition/21185188.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/fuer-mehr-transparenz-wer-einfluss-nimmt/20988668.html

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Quote[...] Der SPD muss finanziell das Wasser bis zum Hals stehen. Und wenn nicht ganz schnell von irgendwo her frisches Geld in die Parteikasse kommt, sieht es düster aus im Willy-Brandt-Haus. Eine andere plausible Erklärung für die Eile, mit der Union und SPD ihren Gesetzentwurf zur Erhöhung der Staatszuschüsse - und das gleich um satte 15 Prozent - durchpeitschen, gibt es nicht. Höchstens den, dass auch die Union jeden zusätzlichen Euro gut gebrauchen kann und deshalb dieses Stück aus dem Tollhaus der Selbstbedienungsmentalität mitspielt.

Mit treuherzigem Augenaufschlag versteht sich und der Versicherung, dass alles, was da gerade geschieht, völlig einwandfrei und unspektakulär sei. Das mag formal gesehen, also mit Blick auf die Geschäftsordnung des Bundestags, stimmen. Das war es dann aber auch. Dieses Vorgehen der großen Koalition macht fassungslos. Einmal wegen der Eile. Offenkundig soll der ungenierte Griff in die Staatskasse ganz schnell zu Beginn einer Wahlperiode erfolgen, damit er bei der nächsten Wahl schon wieder vergessen ist, und er soll möglichst unbemerkt erfolgen, weshalb das Ganze in eine Zeit gelegt wird, in der viele Deutsche bald anderes, sprich den Fußball, im Kopf haben und nicht Politiker, denen gerade sämtliche Sicherungen durchknallen.

Union und SPD haben aus dem Wählerfrust, der im Aufstieg der AfD und im Abstieg der etablierten Volksparteien etwa bei der Bundestagswahl klar herauszulesen ist, nichts gelernt. Sie blicken in ihre Bücher und stellen fest: Wer bei Wahlen viele Stimmen verliert, etwa, weil enttäuschte Wähler den Rattenfängern von der AfD hinterherrennen, dessen Ansprüche auf Wahlkampfkostenerstattung sinken. Salopp gesagt: Das Stück vom Kuchen der staatlichen Parteienzuschüsse wird kleiner.

Und wenn man den Umfragen glaubt, wird dieses Stück vom Kuchen auch nicht unbedingt wieder größer, jedenfalls nicht bald. Also wird einfach der Kuchen größer gemacht, sprich mehr Geld für die staatliche Parteienfinanzierung locker gemacht. Das geht nicht - und sollte es doch passieren, dann sollten sich Union und SPD schämen für diese Form der Selbstbedienung. Sie ist schamlos und ungeniert, das ist Politik zum Abgewöhnen.

Ja - Parteien sind wichtig. Wahr ist aber auch: Parteien können aufsteigen oder an Bedeutung verlieren. Wir brauchen Parteien, die für etwas stehen, und wenn man keine amerikanischen Verhältnisse will, wo Parteien reine Wahlvereine sind, die hauptsächlich Geld requirieren sollen, wenn wir lieber Parteien haben wollen, die politisches Wissen, Denken und Handeln vermitteln, dann brauchen und verdienen dieses Parteien für dieses Wirken in und an der Demokratie auch staatliche Hilfe. Und das gilt für Parteien egal welcher Couleur, solange sie unsere staatliche Ordnung nicht in Frage stellen.

Aber dieses Staatsgeld bekommen die Parteien schon - und das ausreichend!


Aus: "Der Griff in die Staatskasse macht fassungslos" Theo Geers (08.06.2018)
Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/parteienfinanzierung-der-griff-in-die-staatskasse-macht.720.de.html?dram:article_id=419968

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Quote[..] ...

Passionsefeu #12

>> "Wir begrüßen die Ankündigung, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben bis 2024 um 80 Prozent steigern will", sagte er.<<

Will der Wähler das auch?


Kommentar zu: "Verteidigung: Von der Leyen bekennt sich zu Aufstockung im Verteidigungshaushalt" (21. Juni 2018)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-06/verteidigung-mattis-leyen-aufstockung-verteidigungshaushalt

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Quote[...] Am Mannheimer Wasserturm brannten jugendliche Erdogan-Fans am Sonntagabend ein bengalisches Feuer ab. Junge Männer schauten durch die Schiebedächer ihrer Mercedes-Limousinen, mit der rechten Hand machten sie den nationalistischen Wolfsgruß, mit der linken das AKP-Zeichen. Sie feierten den Sieg des türkischen Staatspräsidenten mit einem Autokorso. In Essen, Köln, Stuttgart zogen sie mit Erdogan-T-Shirts und türkischen Fahnen durch die Innenstädte, viele waren schon jubelnd auf der Straße, als das Wahlergebnis noch nicht einmal feststand. ...

Dass die Deutschtürken treu zu Erdogan stehen, zeigte sich schon bei der Abstimmung zum türkischen Verfassungsreferendum und bei früheren Wahlen deutlich. Das jetzige Wahlergebnis und die Jubelfeiern der Erdogan-Anhänger alarmieren aber zahlreiche deutsche Politiker. Der grüne Bundestagsabgeordnete und ehemalige Parteivorsitzende Cem Özdemir warnt sogar vor ,,Parallelgesellschaften".

... Kritik am antidemokratischen Verhalten der Erdogan-Anhänger in deutschen Großstädten äußerte auch Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde. Es sei falsch, die Erdogan-Anhänger pauschal als Integrationsverweigerer zu bezeichnen, es sei jedoch offenkundig, dass viele türkischstämmigen Einwanderern das Demokratieprinzip nicht ausreichend verinnerlicht hätten: ,,Diese Leute wissen oft nicht, was Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Organisationsfreiheit bedeuten. Besonders bei Migranten muss über die Unterschiede zwischen Demokratie und Autokratie gesprochen werden." Er sehe bei Teilen der AfD sowie bei einigen islamistischen Gruppierungen erhebliche Demokratiedefizite. Viele würden die Meinungsvielfalt nicht akzeptieren und jeden, der sich kritisch über Erdogan äußere, als ,,Vaterlandsverräter" abstempeln.

In Deutschland, so Sofuoglu, habe man sich zu stark mit Erdogan beschäftigt, das habe die Erdogan-Anhänger noch stärker gemacht. Unter den Wählern, die am Sonntag an der türkischen Parlamentswahl teilgenommen hätten, seien viele Erstwähler gewesen, die im Jahr 2000 in Deutschland geboren seien und nun, weil sie die Doppelstaatsbürgerschaft oder die türkische Staatsbürgerschaft besäßen, zum ersten Mal gewählt hätten. ,,Man sollte sich genau anschauen, wie diese Gruppe gewählt hat, um daraus Rückschlüsse für den Demokratieunterricht zu ziehen."

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält es für unpassend, bei der Analyse des Abstimmungsverhaltens der Deutschtürken von ,,Parallelgesellschaften" zu reden, er regte aber an, das Wahlverhalten von Einwanderern zu untersuchen. ,,Bevor man sich echauffiert, sollte man die Instrumente der empirischen Sozialforschung nutzen."


Aus: "Deutschland, Feindesland?" Rüdiger Soldt , Stuttgart (26.06.2018)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/zahl-der-erdogan-waehlern-in-deutschland-alarmiert-politik-15660907.html


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Quote[...] Ich bin als Kind der Aufklärung aufgewachsen und hatte sogar das Glück, in einem Haus voller Bücher zu leben. Das hat meine Fantasie befeuert, wenn auch manchmal ganz anders als erwartet.

Ein Beispiel: Wie alle Vierzehnjährigen fand ich das Leben überwältigend und unerklärlich – also griff ich in den Bücherschrank und fand Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Ich hatte gehört, dies sei ein großes Buch, und ich hoffte, die Philosophie würde mir mein Leben erklären, in klaren Sätzen und Regeln.

Das Ganze war irgendwie erhaben und klang alles sehr beeindruckend, aber es machte mich ratlos. Mein Leben stand kopf, und das ganze System des großen Kant hatte nichts dazu zu sagen. Wie viele hoffnungsvolle Leser vor und nach mir legte ich das Buch enttäuscht zur Seite.

Und trotzdem war da diese Idee, in die ich mich – ich war schließlich im richtigen Alter – unsterblich verliebte: die Behauptung, dass ich einen Pfad durch diese chaotische Welt finden könne und dass die dafür nötige Landkarte nicht in einer heiligen Schrift zu finden sei, nicht in einer Bibliothek oder einem Mythos – sondern in mir, in meiner Vernunft. Einer Fähigkeit zu denken, die allen Menschen eigen ist, die so natürlich ist wie das Atmen.

Aus der ersten intellektuellen Liebe ist eine lebenslange, nicht immer reibungslose Beziehung mit dem methodischen Denken geworden, eine seltsame Fernbeziehung mit den leuchtenden Ideen von Leuten, die längst nicht mehr am Leben sind.

Die für mich wichtigste Begegnung dieser Art war die mit dem unwiderstehlich sinnenfreudigen und scharfsinnigen Denis Diderot im vorrevolutionären Frankreich, der als Herausgeber der großen Encyclopédie bekannt wurde, der aber in seinen Briefen, literarischen Texten und Essays ein radikal humanistisches Weltbild erschrieb und erdachte.

Diderot und die anderen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts lebten zu einer Zeit, in der die hellsten Köpfe gerade begannen, die ersten Atemzüge der Moderne zu spüren.

Bei ihnen lernte ich, dass weder die Aufklärung noch die Philosophie überhaupt aus einem Katalog von Lehrsätzen und dicken Büchern bestehe, sondern aus einer Landschaft von Debatten, Provokationen, Entwürfen und Experimenten. Philosophie ist, wie es die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch formuliert, "riskantes Denken".

In einer Welt, in der die Macht von Thron und Altar absolut war, wagten es diese Denker, alles um sich herum und in sich selbst infrage zu stellen und neu zu begreifen. Sie ließen sich durch Zensur und Geheimpolizei nicht einschüchtern, und sie riskierten sogar, durch ihre skandalösen Gedanken über Religion und über Menschenwürde zu Fremden im eigenen Land und in der eigenen Familie zu werden.

Trotz dieser oft sehr realen Gefahren erwies sich das klare Denken als unwiderstehlich und hat dadurch unsere Gegenwart geprägt: Menschenrechte, Liberté, Egalité, Fraternité , Life, Liberty and the pursuit of Happiness, Demokratie, Naturwissenschaft, die Befreiung der Sklaven, das Ende der Kirchenherrschaft und die Emanzipation der Frauen wären ohne sie buchstäblich undenkbar.

... Es hat in westlichen Ländern seit dem Ende des Totalitarismus keinen so weitreichenden und mächtigen Angriff auf die Aufklärung gegeben wie heute.

Die Aufklärung ist der Versuch, das kritische Denken und den Respekt vor Fakten höher zu achten als Meinungen, Vorurteile, Gefühle, Traditionen oder Dogmen. Dieses Prinzip ist plötzlich in die Defensive geraten:

In den Zeiten von Fake-News, in denen Faktenwissen von Filterblasen abgewehrt wird, ein amerikanischer Präsident sich selbst als Lügner täglich überbietet und in denen auch hierzulande "stichhaltige Gerüchte" bemüht werden, um die alte Mär von der jüdischen Weltverschwörung wieder wach zu kitzeln, muss man diesen Punkt nicht weiter ausführen.

Auch die universellen Menschenrechte sind längst zu einer rhetorischen Beschwichtigung zusammengeschnurrt. Denn selbstverständlich gilt global ein Zwei-Klassen-Menschenrecht. Wer im reichen Westen geboren ist, hat einfach mehr Rechte, mehr Freiheiten, mehr Chancen – und das auch auf Kosten anderer.

Christoph Ransmayr, kürzlich aus Ruanda zurückgekehrt, formuliert diesen Zusammenhang so: "Ohne die hier geschürften Erze und Seltenen Erden, ohne die Gold- und Silber- und Diamantenminen und unzähligen anderen Bodenschätze, ohne die hier eingebrachten Ernten, ohne die Arbeitskraft von Abermillionen Sklaven und Billigstlohnarbeitern wäre Europa wohl bis zum heutigen Tag noch längst nicht jenes Paradies, als das es in jenen Flüchtlingsströmen ersehnt und bewundert wird ..."

Dieses Paradies ist, wie alle Paradiese, bedroht. Das universelle Denken und die universellen Menschenrechte sind abgelöst worden vom Rückzug auf das Eigene, auf die Nation, die Grenze. Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind offensichtlich nur dann attraktiv oder durchsetzbar, wenn sie von hohen Mauern und Stacheldraht geschützt werden. Sie sind eben unsere Freiheit und unsere Gleichheit.

Aber was ist diese Freiheit wert, wenn sie darin besteht, nichts wissen zu müssen, nicht informiert sein zu müssen, sondern es sich wiederkäuend bequem zu machen? Und was ist die angemessene Reaktion auf Bürgerinnen und Bürger, denen offensichtlich ihre Mündigkeit lästig, Freiheit zu anstrengend und Gleichheit suspekt geworden ist und die eine gefühlte Wahrheit einer durchdachten vorziehen? ...

... Wir bewegen uns zwischen den Kulissen der Aufklärung wie Schauspieler mit dem falschen Text im Bühnenbild eines längst abgespielten Stücks.

Aber warum passiert all das gerade jetzt, zu einer Zeit, in der weniger Menschen hungern denn je, weniger Menschen gewaltsam sterben und in der in unseren Ländern mehr Wohlstand und mehr Sicherheit herrschen als je zuvor?

Weil es immer mehr Menschen mit der Angst zu tun bekommen.

Immer mehr Menschen fürchten den Verlust von Besitz und Status, den Verlust einer vertrauten Welt, den Verlust der Hoffnung. Immer mehr Menschen sehen eine wachsende Kluft zwischen der offiziellen, liberal geprägten Wirklichkeit und dem, was sie selbst erleben.

Die globale Wirtschaftsordnung ist zu einer bitteren Parodie der aufgeklärten Gedanken mutiert, auf die sie sich beruft. Sie ersetzt die Rationalität durch die Rationalisierung, den Universalismus durch den globalen Markt, die Freiheit des Menschen durch die Wahl der Konsumenten zwischen Produkten und die Gleichheit durch statistische Normierung. Bürgerrechte werden zu Garantieleistungen, denn in dieser Welt braucht man keinen Pass, sondern eine Kreditkarte.

Im globalen Maßstab hat diese Parodie der Aufklärung alte soziale Strukturen zertrümmert und hat, um mit dem polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman zu sprechen, eine "flüssige Moderne" geschaffen, in der Gesellschaften, Märkte, Ökosysteme und Identitäten in dauerndem Aufruhr sind.

Diese Parodie erklärt einen Teil der Angst, die in unsere Gesellschaften sickert.

Zur Veränderung kommt die Verlogenheit. Politiker und Ökonominnen sprechen von Wirtschaftswachstum, von Innovation und Produktivität, von Vollbeschäftigung und Wohlstand, aber gleichzeitig verdienen immer weniger Menschen immer mehr, während immer mehr Menschen begreifen, dass es für sie keine bessere Zukunft gibt, dass sie zwar für das System funktionieren müssen, das System aber nicht für sie.

Immer mehr Menschen spüren, dass die künstliche politische Idylle der Nachkriegszeit vorbei ist, dass die Geschichte zurückgekehrt ist nach Europa, mit all ihren längst überwunden geglaubten Schattenseiten, und mit ihr auch ihr Lebensabschnittsgefährte, der alles beherrschende Markt.

So wird die Zukunft nicht mehr als Verheißung, sondern als Bedrohung erlebt. Wir werden nicht noch reicher werden, noch sicherer und noch privilegierter. Die schönste Hoffnung unserer Gesellschaften ist es deswegen geworden, Zukunft überhaupt zu vermeiden und in einer nie endenden Gegenwart zu leben.

Diese Zukunft aber kommt längst zu uns: in Form warmer Winter und cleverer Algorithmen, aber auch zu Fuß oder in Booten, in Gestalt von Menschen. Reiche Gesellschaften können sich Zeit kaufen, um große Veränderungen hinauszuschieben, aber sie kaufen sie auf Kredit von ihren Kindern.

... Erwachsenwerden heißt immer, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Angesichts der Politik von Angst und Hass, die sich auch in Europa immer weiter ausbreitet, ist es an der Zeit, zu begreifen, dass neben der Erderwärmung heute noch ein weiterer Klimawandel stattfindet, ein Wandel derjenigen zivilisierten und oft ungeschriebenen Regeln und Haltungen, durch die Demokratie erst möglich wird.

Eine liberale Demokratie ist eine sehr junge und fragile Regierungsform, ein historisches Experiment mit offenem Ausgang. Demokratie in unserem Sinn gibt es auch in vielen Ländern Europas überhaupt erstmals seit wenigen Jahrzehnten, und in manchen wird sie längst aktiv ausgehöhlt. Sie ist kein Naturzustand, sondern läuft immer Gefahr, selbst zur Kulisse zu verkommen, zum Legitimisierungstheater für Autokraten.

Aufklärung ist riskantes Denken. Wir, die Erben, wollen dieses Risiko nicht mehr eingehen. Wir wollen eigentlich keine Zukunft, wir wollen nur, dass unsere privilegierte Gegenwart nie aufhört, obwohl sie zusehends um uns herum bröckelt und gespalten wird.

Um das, was kommt, nicht zu erleiden, sondern zu gestalten, bedarf es nicht nur neuer Technologien und Effizienzsteigerungen, keiner hohen Mauern und keiner Abschreckung, sondern einer Transformation des westlichen Lebensmodells, denn erst wenn Menschen wieder einen realistischen Grund zur Hoffnung haben, wird die Angst verschwinden.

Dafür brauchen wir den Mut, wieder etwas zu riskieren beim Nachdenken über die Welt und über die eigene Position in ihr. Die Aufklärung ist nötiger denn je, aber nicht in ihrer rationalistischen Verengung oder ihrer ökonomischen Parodie.

Für meinen besonderen Freund, den Enzyklopädisten Denis Diderot, war die Erfüllung des Lebens schon Mitte des 18. Jahrhunderts nicht die Rationalität, sondern die volupté, die Sinnlichkeit, die Lust.

Wir leben nicht aus Vernunft allein; wir verdanken unser Leben buchstäblich dem Begehren, dem Eros, der uns täglich antreibt weiterzumachen, der uns den Mut gibt, Rückschläge zu überwinden, neue Möglichkeiten zu suchen, mit anderen zu kommunizieren.

... Ich bin Mensch, weil ich begehre, weil ich mit anderen Menschen mitempfinde; und ich kann nur dann gut leben, wenn auch andere es tun. Und plötzlich entsteht aus dem Begehren eine Ethik. Das aufgeklärte Denken beginnt, zu unserer Leidenschaftlichkeit zu sprechen – und sogar zu unserer Angst.

...


Aus: "Sind wir noch die Kinder der Aufklärung?" Philipp Blom (1. August 2018)
Quelle: https://www.zeit.de/2018/32/philipp-blom-salzburger-festspiele-aufklaerung-rede-warnung/komplettansicht

QuoteBlues Man #32

Aus dem Blickwinkel eines privilegierten Bourgeois lässt sich gut Reden schwingen.
Wenngleich mir der Text eigentlich gut gefallen hat, aber ich kenne auch die andere Seite, das proletarische Sein und, ohne pathetisch wirken zu wollen, den Kampf ums tägliche Brot.
Und aus dem Blickwinkel stellt sich die Welt ganz anders dar.
Aber das wird der Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele und das elitäre Publikum niemals nachvollziehen können.


Quotekannnichtsein #32.1

das proletarische sein kenn ich auch, der text ist auch aus diesem blickwinkel richtig.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Politikwissenschaftler Thomas Kliche: Gerade Menschen, die Politik und Medien misstrauen, haben klammheimlich ein schlechtes Gewissen: Sie wissen, dass sie Mitschuld an der Sache tragen, und suchen einen Sündenbock. Die Menschen wissen ja, sie haben genau diese Politik seit Jahren immer wieder gewählt, bis es keine andere Art von Politik mehr gab. Sie wissen, dass sie selbst zu faul für zeitraubende Ämter und ätzende Parteiarbeit sind. Die Menschen wissen auch, dass sie Medien, besonders Fernsehen, zur Steuerung ihrer Gefühle einsetzen: Sie wählen Sendungen und Formate, die ihnen ziemlich berechenbar bestimmte Stimmungen und eine Bestätigung ihrer Sichtweisen verschaffen. Wer seine Ruhe haben will, schaut Köche, Volksmusik oder Schmalzfilme. Wer die Welt vor lauter künstlicher Aufregung vergessen will, schaut Horror und Weltuntergang. Wer seine eigenen abgedrehten Ansichten bestätigen möchte, taucht unter Gleichgesinnte ins Internet ab, etwa in das Netz der Populisten. Die anstrengenden Einzelheiten der Wirtschaftspolitik zum Beispiel interessieren kaum jemanden, aber alle haben hohe Erwartungen und eine Meinung dazu. Die Verachtung für Politik und Medien hat also bei vielen Menschen auch mit der eigenen Faulheit und Wirklichkeitsvermeidung zu tun.

Womit haben sich, wenn man das so sagen kann, Politiker und Journalisten ihr schlechtes Ansehen erarbeitet?

Durch Feigheit, Kurzsichtigkeit und Betriebsamkeit. Sie haben den Menschen die grundlegenden Steuerungsprobleme der Gesellschaftsordnung schöngeredet, sie haben sich von Krise zu Krise gehangelt und sie haben bis heute einfach weitergemacht, als hätte niemand die Erdstöße gespürt. Aber alle wissen inzwischen halb und halb bewusst: So geht es nicht weiter. Die Pole schmelzen, Plastik vergiftet die Ozeane, Hormone und Gülle verpesten das Trinkwasser, Industriestaaten sind überschuldet, Dieselbetrüger oder Banken oder Digitalkonzerne machen sich über den Rechtsstaat lustig, unsere Klamotten kommen aus Kinderarbeit, unsere Waffenexporte erzeugen Flüchtlinge. Diesen Tiefenbeben ist das Klein-Klein in Medien und Politik offenkundig nicht gewachsen. ... Die Menschen sind auf der Suche, voller verschobener Angst, viele suchen neue Wege. Wenn ein Macron oder ein Trump kommt oder eine Fünf-Sterne-Bewegung, gibt es rasch mal einen Erdrutsch. Es fehlt ein solidarisches, nachhaltiges Politikprojekt, das Mehrheiten ansprechen kann. Medien bieten in dieser Lage Argumente und Orientierung an. Sie steuern, zusammen mit Wissenschaft und Recht, unseren Interdiskurs, also den geistigen Raum wahrheitsfähiger Aussagen in unserer Gesellschaft. Je verrückter die kleinen Deutungsinseln im Internet werden, je weniger politische und wirtschaftliche Bildung viele Menschen haben, desto unersetzlicher wird der Interdiskurs als große Linie der Orientierung für alle. Medien mögen also Vertrauen bei manchen verlieren, aber sie gewinnen an Gewicht als selbstverständliche Grundlage unserer gesellschaftlichen Verständigung. Das sollten sie weitermachen, aber ruhigere, informativere und weisere Formate dafür suchen. Damit experimentieren sie, aber da stehen wir alle am Anfang.

... Die Diskussion über die großen Talkshows ist seit zehn Jahren überfällig. Da lassen sich eitle Streithähne von eitlen Moderatoren aufeinanderhetzen. Die machen regelrecht Themen, zum Beispiel seit Jahren durch etwa eine Talkshow zu Migration pro Woche. Die vermeintlich neuen Formen von Orientierung im Internet sind auf der anderen Seite gar nicht neu. Das sind ja vor allem zwei: Der Blogger tritt an die Stelle des Meinungsführers im Dorf, als dort halt nur einer überhaupt eine Zeitung hatte. Und die Echokammer, wo alle der gleichen Meinung sind, tritt an die Stelle der Sekten und der vielen abgelegenen Täler der Ahnungslosen. Beides gab es ja bis zum Ersten Weltkrieg gar nicht knapp. Beides wurde überwunden. Und heute stehen wir wieder in einem Lernprozess, wie wir eigentlich Wissen sinnvoll organisieren, ohne von den ganzen Eindrücken und Informationen blöd oder angeödet zu werden.

... Wir hatten ein Jahrzehnt, in dem eine Mehrheit auf stabiles, ruhiges Wachstum und bequemen Wohlstand großen Wert gelegt hat. Und jetzt stellen die Menschen auf einmal fest, dass Deutschland dadurch Probleme verschleppt hat und den Anschluss verpassen könnte, weil die Politiker gar keine Lösungen in der Tasche haben. Jetzt wollen sie langfristige Entwürfe, aber sie haben ja gerade Politiker gewählt, die damit nix am Hut hatten, vor allem Angela Merkel. Da herrscht eine tiefe Ernüchterung, und viele müssen jetzt erst wieder realisieren, dass man die eigentlichen Entscheidungen in der Demokratie nicht an die Politiker abschieben darf, sondern selbst mit Engagement und Wahl die Weichen stellt.

... In der Demokratie haben Menschen das Recht auf Blödheit und Verbohrtheit. Wir müssen stattdessen vernünftige Auseinandersetzungen, Wahrheitsliebe und Verantwortungsbewusstsein stärken. Das ist eine langfristige Aufgabe, für uns alle, besonders für die Bildungseinrichtungen.

... Es gibt aber einen Unterschied zu früheren Generationen: Willy Brandt stand für ein geschichtliches Programm von Befreiung und Gerechtigkeit, für den demokratischen Sozialismus. Solche Programme haben wir uns abgewöhnt, und jetzt fehlen sie uns. Was die Sozialdemokratie mit dem Kapitalismus national geschafft hat, nämlich ihn zu zähmen, das brauchen wir in den kommenden Jahren international.

Quotemomo

"Was die Sozialdemokratie mit dem Kapitalismus national geschafft hat, nämlich ihn zu zähmen, das brauchen wir in den kommenden Jahren international."
Diese Satz macht das gesamte - ansonsten gute Interview - total verwirrend. Die Sozialdemokratie hat überhaupt nichts gezähmt, sondern aus purem Opportunismus ihr letztes Stück Glaubwürdigkeit verloren. Das Finanzkapital hat weltweit alles unter Kontrolle und in Deutschland hat Schröder eben genau für dieses Finanzkapital Tor und Tür weit aufgemacht. Der Kanzler der Bosse wurde er aus gutem Grund genannt.


QuoteNewBambus

Ich glaube, Sie haben das mißverstanden. Hier war die SPD bis in die Regierungszeit Schmidt gemeint. Damals waren Marktwirtschaft und Soziales in einer besseren Balance als später oder heute.
Rot-Grün unter Schröder hat dann Vieles falsch gemacht und zu Lasten der Menschen in vermeintlichem Reformeifer dem Kapital wieder viel Türen geöffnet, gerade aber für die Schwachen in der Gesellschaft viele geschlossen. Daran tragen wir noch heute.


...


Aus: " Medienkritik ,,Manche alten Formen erzeugen Brechreiz"" Bernhard Honnigfort (08.08.2018)
Quelle: http://www.fr.de/kultur/netz-tv-kritik-medien/medien/medienkritik-manche-alten-formen-erzeugen-brechreiz-a-1558775

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ein exemplarisches Beispiel für das Sterben der Demokratie sind die aktuellen Entwicklungen in Polen. Das Land galt jahrelang als ein Musterknabe der Systemtransformation. Nun wurde dort die Gewaltenteilung abgeschafft. Wie konnte es dazu kommen?

,,Ist unsere Demokratie in Gefahr?" Das fragen sich die amerikanischen Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Zitblatt in ihrem vielbesprochenen Buch ,,Wie Demokratien sterben". Und fügen gleich hinzu: ,,Nie hätten wir gedacht, dass wir einmal diese Frage stellen würden!" Mir geht es ähnlich. Ich stamme aus Polen, bin Historikerin und arbeite an einem Institut, an dem die Geschichte totalitärer Systeme erforscht wird. Als im Juni 1989 die Abgeordneten des polnischen Parlaments zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in freien Wahlen gewählt wurden, war ich gerade sechs Jahre alt. Die Bedeutung dieses denkwürdigen Ereignisses habe ich natürlich erst später verstanden. Ich hätte aber nie gedacht, dass die Demokratie in Polen sterben könnte. Nun ist es vollbracht: Seit Ende Juli gibt es die Gewaltenteilung in Polen de facto nicht mehr. In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurde sie scheibchenweise demontiert.

Im Herbst 2015 gewann die national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwosc, PiS) die Parlamentswahlen. Eigentlich erhielt sie lediglich 37,6 Prozent der Stimmen, aber dank einer spezifischen Wahlordnung, die große Parteien bevorzugt, bekam die Partei von Jaroslaw Kaczynski 235 der 460 Mandate und somit die absolute Mehrheit im Parlament. Schon wenige Wochen nach den Wahlen begann die sogenannte Justizreform, deren letzte Etappe gerade abgeschlossen wurde. Das Ergebnis: Der Justizminister ist zugleich Generalstaatsanwalt, das Verfassungsgericht gehorcht der Regierung, die obersten Gremien der Judikative werden von der Regierungspartei kontrolliert. Ein Teil der Richter betreibt noch institutionelle Selbstverteidigung, aber deren verfassungstreues Handeln wird von der Regierung und ihren Unterstützern mit einer Mischung aus Ignoranz und Invektiven traktiert. Wieso verwandelte sich Kaczynski in einen Totengräber der Demokratie?

Viele polnische Bürger und ausländische Beobachter hofften, dass das Rechtsstaatlichkeitsverfahren, das die EU gegen Polen Ende 2017 eingeleitet hatte, die polnische Regierung davon abbringen wird, den Abbau der Gewaltenteilung zu Ende zu führen. Diese Hoffnung war genauso naiv wie die Demokratiegläubigkeit, die in Polen lange Zeit herrschte.

Seit den Wahlen vom Herbst 2015 gab es genug Indizien dafür, dass Kaczynski sein autoritäres Programm zu Ende führen wird. In seinen öffentlichen Reden machte er keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Viktor Orbán, indem er sich ein ,,zweites Budapest in Warschau" herbeiwünschte. Kaczynskis frühere Weggefährten berichten außerdem darüber, dass er schon 2015, als seine Partei zum ersten Mal an der Macht war, die Demokratie untergraben wollte. Dieser Plan konnte damals nicht durchgeführt werden, weil die PiS bei den vorgezogenen Wahlen 2007 zugunsten der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) verlor. Der 2010 von der PiS vorbereitete Entwurf einer neuen Verfassung hing mehrere Jahre lang auf der Homepage der Partei. Aus taktischen Gründen verschwand dieser autoritär eingehauchte Text ein paar Monate vor den letzten Wahlen aus dem Internet.

Daran zu glauben, dass sich der PiS-Vorsitzende von seinem antidemokratischen Programm verabschiedete, weil der autoritäre Verfassungsentwurf plötzlich aus dem Internet verschwand, würde allerdings bedeuten, an einen Persönlichkeitswandel eines älteren Mannes zu glauben, zu dessen Lieblingsautoren Machiavelli und Carl Schmitt gehören. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bereits vor den Wahlen 2005 versprach Kaczynski öffentlich, dass er nicht Ministerpräsident wird, wenn sein Zwillingsbruder die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Ende 2005 wurde Lech zum Staatspräsidenten gewählt, ein paar Monate später trat Jaroslaw das Amt des Ministerpräsidenten an. Dieser Wortbruch war spektakulär, aber nur einer von vielen. Unterschätzt wurde in und außerhalb Polens jedoch nicht nur der antidemokratische Elan des PiS-Vorsitzenden, sondern auch seine gesellschaftliche Unterstützung. Obwohl im Sommer 2015 die Umfragen keinen Zweifel daran ließen, dass die PiS die Wahlen gewinnen wird, konnte man sich nicht so wirklich vorstellen, dass die Regierung von einer einzigen Partei getragen werden könnte. So etwas gab es doch vor, aber nicht nach 1989.

Das Wahlergebnis vom Herbst 2015 und die bis heute stabile Unterstützung für die PiS von rund 35 Prozent zeigen, wie tief sich die polnische Gesellschaft nach dem 10. April 2010 veränderte. An diesem Tag sollte im russischen Dorf Katyn des Massakers an über 20 000 polnischen Offizieren gedacht werden, die dort im Frühjahr 1940 von der NKWD erschossen worden waren. Trotz Tabuisierung war Katyn schon vor 1989 ein zentraler Bezugspunkt der polnischen Erinnerung. Die Gedenkveranstaltungen des Jahres 2010 endeten bekanntlich in einer Katastrophe: Das Flugzeug mit dem Staatspräsidenten Kaczynski und seiner Frau Maria sowie 94 weiteren Persönlichkeiten aus Politik, Militär, Kirchen und Verbänden der Opferangehörigen an Bord zerschellte beim Landeanflug. Alle Insassen kamen dabei ums Leben.

Für knapp 30 Prozent der Polen steht Smolensk jedoch nicht für einen tragischen Unfall, sondern für ein russisches Attentat. Die antirussischen Ressentiments und verschwörungstheoretischen Reflexe wurden sofort mythologisiert. Sozialwissenschaftler betrachten die ,,Smolensker Religion" als das, was die Kernwähler der PiS im Innersten zusammenhält. Von der Tiefe des Rechtsrucks nach 2010 zeugt auch ein Blick auf die polnische Medienlandschaft. ,,Nach Smolensk" (so eine im Polnischen inzwischen gängige Zeitangabe) sind viele neue rechte und extrem rechte Medien entstanden, die meisten von ihnen gibt es bis heute.

Trotz dieser Entwicklungen rieb man sich im Herbst 2015 verwundert die Augen, als sich in der Wahlnacht herausstellte: Keine einzige linke Partei wird im Parlament vertreten sein. Auch das war im Polen nach 1989 trotz des typisch post-sozialistischen Antikommunismus völlig neu.

Die nach wie vor hohe Unterstützung für die PiS erklärt aber nur teilweise, warum in den vergangenen Monaten zwar immer wieder Anti-Regierungsproteste organisiert wurden, aber nicht einmal die Selbstverbrennung eines Mannes im Oktober 2017 vor dem Warschauer Kulturpalast als Protest gegen den antidemokratischen Kurs der PiS vermochte es, die polnische Gesellschaft aufzurütteln. Ließen sich etwa die Polen für etwa 120 Euro im Monat, denn so hoch ist das von der PiS versprochene und dann tatsächlich – wenn auch nicht für jedes Kind – eingeführte und nach 1989 praktisch nichtexistente Kindergeld, kaufen? Die wahlstrategisch effiziente Sozialpolitik der PiS und die ,,Smolensker Religion" tragen zur gesellschaftlichen Akzeptanz des Demokratieabbaus maßgeblich bei, aber die eigentlichen Wurzeln des Problems liegen woanders. Ich erinnere mich an die Gänsehaut und Glücksgefühle, als in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 2002 Danuta Hübner, die jahrelang die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel geführt hatte, in einer Pressekonferenz den Verhandlungsprozess für abgeschlossen erklärte. Das Gefühl, endlich in Europa angekommen zu sein, wurde im Juni 2003 in einem Referendum bestätigt, in dem sich fast 80 Prozent der Wähler für den EU-Beitritt Polens aussprachen. Was dabei gerne übersehen wurde: Die Wahlbeteiligung lag unter 60 Prozent. Selbst im Juni 1989 überschritt die Beteiligung beim ersten Wahlgang nur knapp die 60-Prozent-Marke und sank beim zweiten auf 25 Prozent. Die Beteiligung an den darauffolgenden Wahlen bewegte sich meistens um die 50 Prozent, und es wurde wenig getan, um die schweigende Hälfte der Gesellschaft für die Demokratie zu gewinnen.

Vieles spricht dafür, dass ein Großteil der Polen den schleichenden Staatsstreich einfach nicht wahrnahm. Was wissen denn polnische Bürger, die vor 1989 zur Schule gingen, über die Gewaltenteilung? Und kann von jemandem erwartet werden, dass er sich um abstrakte Prozesse ,,da oben" kümmert, wenn die ganze Energie in das schiere Überleben fließt, ein Teil seiner Familie im Ausland arbeitet und seine Begegnungen mit dem Staat ,,vor Ort" respektive mit unterbezahlten Angestellten oder Polizisten nicht sonderlich angenehm ausfallen? Zugleich sind viele Polen, die von der Gewaltenteilung doch etwas verstehen, einfach müde vom ständigen Reden über eine ,,Justizreform", die sich so lange hinzog und in den regierungstreuen Medien von Lügen und Listen flankiert wurde.

In den aktuellen polnischen Debatten darüber, wie man das Leben im Lande ,,nach der PiS" (eine weitere im Polnischen gängige Zeitangabe) gestalten sollte, geht es nicht nur um die nach 1989 vernachlässigte Sozialpolitik und die Bestrafung der Verfassungsbrecher. Langsam aber sicher setzen sich auch drei unbequeme Erkenntnisse über die jüngste polnische Geschichte durch: In der Verfassung von 1997 fehlen effektive Schutzmechanismen gegen Autokraten; ein Teil der Gesellschaft wünscht sich anscheinend, dass das Land mit starker Hand regiert wird, und im Feuer des Gefechts um die Marktwirtschaft wurde die politische Bildung völlig vergessen. Mit anderen Worten: Der Demokratisierungsprozess wurde noch nicht abgeschlossen.

Möge die Situation im Polen ,,nach der PiS" ebenfalls die Vorlage für einen Bestseller darüber liefern: ,,Wie Demokratien auferstehen".

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die SZ kontroverse Texte, die zur Diskussion anregen sollen.



Aus: "Der schleichende Staatsstreich" Kornelia Konczal (20.09.2018)
Quelle: https://www.sz-online.de/nachrichten/der-schleichende-staatsstreich-4016760.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nach einer Explosion vor einem AfD-Büro im sächsischen Döbeln hat die Polizei drei Tatverdächtige festgenommen. Dabei handele es sich um drei Männer im Alter von 29, 32 und 50 Jahren, teilte die Polizei Sachsen am Freitagvormittag mit. Die Explosion ereignete sich am Donnerstagabend vor dem Parteibüro. Am Gebäude entstanden erhebliche Schäden an der Tür und an der Fensterscheibe. Verletzt wurde niemand.

Der Staatsschutz ermittelt. Eine Sprecherin des Landeskriminalamts (LKA) Sachsen sagte am Freitag in Dresden, es sei zu vermuten, dass es sich um eine politisch motivierte Tat handele. Es werde aber in alle Richtungen ermittelt.

Das Büro wurde durch die Explosion beschädigt sowie ersten Erkenntnissen zufolge offenbar auch zwei geparkte Autos und zwei weitere Gebäude. Außerdem habe Werbematerial gebrannt, sagte ein Polizeisprecher. Die Polizei sperrte die Gegend großräumig ab. Auch die Feuerwehr war vor Ort. Die Höhe des Sachschadens war zunächst unklar.

Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) verurteilte die Tat. Für den Anschlag gebe es keine Legitimation, schrieb er am Freitagmorgen bei Twitter. ,,Gewalt gehört nicht zu den Mitteln der Demokratie. Die AfD muss politisch bekämpft werden und nicht mit Sprengkörpern." Dulig schrieb weiter: ,,Dieser Anschlag hilft der AfD und schadet der Demokratie."

Erst Mitte Dezember war das Büro der AfD in Borna, das etwa eine Fahrtstunde von Döbeln entfernt ist, beschädigt worden. Unbekannte warfen laut Polizei eine Mauerabdeckplatte gegen die Fensterscheibe.

Im September waren das AfD-Büro in Chemnitz und das Büro des AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier in Dresden das Ziel von Anschlägen: Beide Büros waren mit Farbe beschmiert worden. (dpa)


Aus: "Explosion vor AfD-Büro im sächsischen Döbeln" (04.01.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/sachsen-explosion-vor-afd-buero-im-saechsischen-doebeln/23827036.html

Quotemorgensum5 07:10 Uhr

Diese Aktion ist einfach nur dumm. Auch wenn die Motive nachvollziehbar sein mögen, ändert das nichts an der Tatsache, dass man sich mit politischen Gegnern nicht mit Gewalt auseinander setzt. Das machen die Rechten. Muss man das denen nachmachen? ....


Quotemigra 08:22 Uhr
Antwort auf den Beitrag von morgensum5 07:10 Uhr

    Das machen die Rechten.

Ja, ist klar. Als wenn es nicht genügend "LInke" geben würde, die der Gewalt nicht abgeneigt wären.


QuoteHanno2008 08:41 Uhr
Antwort auf den Beitrag von morgensum5 07:10 Uhr

    Das machen die Rechten.

Lieber Morgensum5, erstens wissen Sie ja (noch) gar nicht, wer das gemacht hat. Davon abgesehen ist Gewalt die Domäne rechter wie linker Weltverbesserer. Beispiele linker Gewalt aus einer langen Liste wären: RAF-Terrorismus, Morde an der Startbahn West, Zwillenschüsse im "Hambi" oder die Ereignisse in Hamburg im letzten Jahr. Auch Stalin, Ulbricht und Honecker waren nicht gerade zimperlich. Oder sind das alles keine Linken?


Quotesouthcross 08:58 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Hanno2008 08:41 Uhr
Beispiele linker Gewalt aus einer langen Liste wären:

Und nun folgt die lange Liste rechter Gewalt
https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990

und während es in Döbeln mal kurz knallte, sind in der Liste 193 Todesopfer.


Quotechangnoi 08:59 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Hanno2008 08:41 Uhr

    Stalin, Ulbricht und Honecker waren nicht gerade zimperlich. Oder sind das alles keine Linken?

waren keine! linken!

genau wie nazis keine sozialisten sind!


QuoteHanno2008 09:24 Uhr
Antwort auf den Beitrag von southcross 08:58 Uhr

    Und nun folgt die lange Liste rechter Gewalt

Habe ich doch eben gesagt: "Davon abgesehen ist Gewalt die Domäne rechter wie linker Weltverbesserer." Ihr Vorredner (morgensum5) hat ja nur die linke Gewalt implizit abgestritten, daher habe ich linke Gewalt für ihn beispielhaft belegt. Sie müssen es dann doch nicht gleich wieder gegeneinander aufrechnen, oder?

Übrigens: links und rechts ist manchmal gar nicht so leicht zu unterscheiden, besonders in den Ausprägungen, wo die individuelle Freiheit eingeschränkt und ein totalitärer Staat aufgebaut werden soll.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Menschen in Ostdeutschland stehen der Demokratie deutlich skeptischer gegenüber als Westdeutsche. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hervor. Demnach gaben lediglich 42 Prozent der Befragten in Ostdeutschland an, dass die in Deutschland gelebte Demokratie die beste Staatsform sei. In Westdeutschland meinten dies 77 Prozent.

Auch das Vertrauen, dass der Staat seinen Aufgaben gerecht wird, ist in Ostdeutschland signifikant niedriger als in Westdeutschland. So vertrauen zwei Drittel der Westdeutschen, aber nur jeder zweite Ostdeutsche darauf, dass Grundrechte wie die Meinungsfreiheit wirksam geschützt sind. 56 Prozent der Westdeutschen, aber nur 39 Prozent der Ostdeutschen sind überzeugt, dass die Gerichte unabhängig urteilen.

Das Wirtschaftssystem wird in Ost und West ebenfalls sehr unterschiedlich beurteilt. In Westdeutschland meinten 48 Prozent der Befragten, es gebe kein besseres System als die Marktwirtschaft. In Ostdeutschland waren lediglich 30 Prozent dieser Auffassung.

In anderen Punkten hingegen gibt es laut der Umfrage, für die zwischen Anfang und Mitte Januar 1.249 Menschen befragt wurden, größere Übereinstimmungen. So war für die Mehrheit der Westdeutschen wie der Ostdeutschen das vergangene Jahr ein gutes Jahr. Nur jeder Fünfte zieht für 2018 eine negative Bilanz. In das neue Jahr sind Ost- und Westdeutsche demnach gleichermaßen optimistisch gestartet, lediglich 14 Prozent in Ost wie West mit Befürchtungen.

Auch mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage sind die Menschen sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland zufrieden: In beiden Landesteilen ziehen 53 Prozent von ihnen derzeit eine positive Bilanz. Als Wohlstandsverliererinnen sehen sich über die letzten Jahre hinweg 18 Prozent der West- wie der Ostdeutschen. 34 Prozent der Westdeutschen und 36 Prozent der Ostdeutschen bilanzieren hingegen eine Verbesserung ihrer ökonomischen Lage in diesem Zeitraum. Auch die Zufriedenheit der Rentner unterscheidet sich kaum: Im Westen sind 56 Prozent der Rentner mit der Höhe ihrer Rente zufrieden, im Osten 50 Prozent.

Knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist indes die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung davon überzeugt, dass zwischen Ost und West eine Trennlinie verläuft. Der Herkunft wird dabei in Ostdeutschland eine ungleich größere Bedeutung zugeschrieben als im Westen: Laut der Umfrage ist dies nur für 26 Prozent der Westdeutschen, aber für 52 Prozent der Ostdeutschen eine der wichtigsten Trennlinien. Auch die politischen Einstellungen gelten demnach in Ostdeutschland weitaus mehr als Spaltungsthema als in Westdeutschland: 46 Prozent der Westdeutschen, aber 63 Prozent der Ostdeutschen sind überzeugt, dass hier besonders gravierende Trennlinien verlaufen.

Die Unterschiede machen viele Beobachter vor allem anhand des Wählerverhaltens und der Einstellung zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung fest. Die Allensbach-Umfrage zeigt dazu erstmals konkrete Zahlen. Demnach halten es 74 Prozent der Westdeutschen und 66 Prozent der Ostdeutschen für vordringlich, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Migranten zu bekämpfen. In der Frage, inwieweit man die Zuwanderung nach Deutschland begrenzen sollte, dreht sich dieses Verhältnis um: 65 Prozent der Westdeutschen halten dies für dringlich, in Ostdeutschland sind es 75 Prozent der Befragten.


Aus: "Allensbach-Umfrage: Ostdeutsche vertrauen der Demokratie weniger als Westdeutsche" (23. Januar 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-01/allensbach-umfrage-ostdeutsche-vertrauen-demokratie-marktwirtschaft

Quote21prozent #1.35

Aus dem Artikel: Demnach gaben lediglich 42 Prozent der Befragten in Ostdeutschland an, dass die in Deutschland gelebte Demokratie die beste Staatsform sei.

Ihr Zitat: [...]Nur was wollen denn die Demokratieverächter und EU-Feinde? Honeckers Paradies 2.0, das 4.Reich? Kann da mal jemand helfen?


Interessant! Genau diese Frage habe ich mir beim Lesen auch gestellt. Schön wäre es, wenn Allensbach auch die Frage zur Alternative zur Demokratie gestellt hätte. Das würde uns sicherlich weiterbringen, denn dann hätten wir zumindest eine Idee davon, wo denn die Reise hin gehen soll.


QuoteKatrins Septembermärchen #1.66

"Da frage ich mich, wofür die Ostdeutschen 1989 auf die Straße gegangen sind."

Jedenfalls nicht dafür, dass jetzt schon wieder alles vollkommen anders wird. Eine große Bruchstelle pro Biographie reicht eigentlich. Westdeutsche können da nur bedingt mitreden.


QuoteDer Traum ist aus #1.61

Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass viele Menschen in Ostdeutschland ein besonderes Gespür für soziale Schieflagen oder gar Demokratiedefizite haben. Was ich jedoch nicht verstehe, warum entscheidet sich ca. jede/r 4. WählerInnen für eine Partei, die die Werte der Demokratie radikal zerstören und unsere (reformbedürftige) Demokratie durch eine autoritäre Staatsform ersetzen will? Wenn man seinen Demokratiehunger stillen will, wäre es sinnvoll, für mehr BürgerInnenrechte einzutreten, statt für ,,Grenzen dicht", ,,Ausländer raus", ,,Lügenpresse", ,,Gesinnungsjustiz", Geschichtsrevisionismus usw. Denn seien wir ehrlich, die AfD bietet für diese Themen keine sinnvollen Lösungen an, weil sie außerhalb unserer demokratischen (!) Rechtsordnung liegen würden, die in reale Politik gegossen nur sein können: Nationale Alleingänge, Beschneidung der Bürgerrechte hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund, Einschränkung der Pressefreiheit und Beschneidung der Unabhängigkeit der Justiz. Die Liste der Gängelung vieler hier lebender Menschen ist damit noch lange nicht vollständig. Ich sage nur Lehrerpranger, ,,dann wird aufgeräumt" usw.
Halten Sie diesen Weg für geeignet, (subjektiv empfundene) Demokratiedefizite auszugleichen? Ich nicht.


QuoteBuonista verde #38

Die Ostdeutschen welche die DDR bewusst erlebt haben, sind eben sensibler für korrupte, verlogene Eliten, tendenziöse Medien, Systemkunst und Kultur, Verbrämung etc. ... und sie sahen zurecht die NSA-Überwachung kritischer als viele Westdeutsche. Was ereifern wir uns über die Stasi-Vergangenheit, wenn NSA und Konsortien da viel weiter sind.

Und wenn ich heute im Cicero vom korrupten Elmar Brok lese, weiß man: System-Skepsis ist liberal, ist demokratisch, ist Bürgerpflicht!


Quoteterra nullius #1.44


"DAS SYSTEM" - das ist seit den 20er jahren die Bezeichnung der Rechtsradikalen für eine demokratische Verfassung.


QuoteBratan187 #3

"Demnach gaben lediglich 42 Prozent der Befragten in Ostdeutschland an, dass die in Deutschland gelebte Demokratie die beste Staatsform sei."

Äußerst besorgniserregend.


Quotepeter_79 #1.71


"Die Wahrheit ist oft schmerzlich."

Das ist richtig, Sie sind aber nicht in der Lage, zu erkennen: Ihr Wessis habt erstmal nichts gepumpt. Sondern erstmal einen riesigen Markt und ausgebildete, willige, für weniger Geld als ihr arbeitende "Verbraucher" geschenkt bekommen. Und wie es im Kapitalismus so üblich ist, erstmal Konkurenz ausgeschaltet und die "neue Kolonie" mit euren Waren zugeschüttet und damit eure Wirtschaft ordentlich angekurbelt und die Gewinne eurer Konzerne ordentlich in die Höhe getrieben.
Die paar Milliarden für die Rentner und Straßen im Osten sind dagegen Peanuts. Und habt immer noch das Kolonialmacht-Gehabe, daher werden Sie im Osten so geschätzt.


QuoteFKOF #4.27

,,Wenn man noch 40 Jahre nach dem Krieg in einem Staat verbringen musste, der seine Bürger hinter Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl gehalten hat, ist ein feineres Gespür nicht verwunderlich."

Das feine Gespür, die AfD zu wählen, die den Schießbefehl wieder einübten will? Es scheint eher, man habe aus der Vergangenheit nichts gelernt und wählt nun wieder eine radikale Partei, die die Freiheit der Menschen einschränken will.


Quote
Ura5 #4.42

"Meine Verbesserungsvorschlag? Rollback."

Wie weit?

In die 50er als Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns arbeiten durften?
In die 40er als der deutsche Mann heldenhaft im östlichen Lebensraum und die Juden im Gas standen?
In die 10er als der deutsche Mann heldenhaft für den Kaiser verblutete oder im Berliner Hinterhof Kohlestaub einatmete?

Aber klar, früher war alles besser. Es gab in dort auch nie Nudging, Indoktrination oder Fake News in der Presse. Die Zukunft liegt in der Vergangenheit!

/Ironie off


Quotejajaimmerdasgleichemiteuch #4.55

Die Meinungsfreiheit IST gefährdet. Stellen Sie sich doch nicht absichtlich dumm. Das sind sind Sie doch offensichtlich nicht.

Der Korridor das Sagbaren wird von der Regierung unter Zuarbeit der Grünen/Linken und der Medien Stück für Stück eingeengt. Auch Gewerkschaften sorgen dafür, dass man nicht mehr offen reden kann, ohne persönliche, weitgreifende Konsequenzen zu fürchten.

Unter diesen Umständen von Meinungsfreiheit zu sprechen, ist einfach dreist.


Quoteichgebsauf #4.61

Pegida?


Quote
JeanLuc7 #4.64

"Der Korridor das Sagbaren wird von der Regierung unter Zuarbeit der Grünen/Linken und der Medien Stück für Stück eingeengt"

Unsinn. Dieser "Korridor" wird hingegen von AfD, Pegida und Konsorten imemr wieter nach rechts geöffnet. In der BRD hätte man sich 1989 nicht getraut, von einem "Vogelschiss" zu reden.

Und falls Sie mit "einengen" eine weniger männerbezogene Sprache meinen - nun ja, Herrenwitze waren auch früher schon ein Privileg der Stammtische. Dass man heute Frauen nicht mehr ungestraft sexuell belästigen kann, ist ein Fortschritt, kein Einengen.


QuoteGOE101 #4.65 Antwort auf #4.60 von jajaimmerdasgleichemiteuch


"Sind Sie nicht fähig, größer zu denken? Muss ich erst Beispiele nennen, wie Amadeu Antonio-Stiftung oder IG Metall?"

Lassen Sie uns doch bitte an der Größe Ihres Denkens teilhaben und bringen Sie ein paar konkrete Beispiele. Ansonsten könnte der Eindruck entstehen Dresden sei immer noch das Tal der Ahnungslosen......


Quotebtc76 #4.67


"Der Korridor das Sagbaren wird von der Regierung unter Zuarbeit der Grünen/Linken und der Medien Stück für Stück eingeengt. "

Mmh seltsam, was kann man denn in Dresden nicht offen sagen ? Ich kenne Dresdner Polizisten welche offen darüber sprechen die AfD zu wählen. Offen über Ihre Wahrnehmung bezüglich der Kriminalitätsentwicklung in der Stadt parlieren und keinerlei Konsequenzen befürchten. Also werden Sie doch einmal konkret. Dann können wir reden und dann schauen wir uns einmal den "Rechten" Gesinnungskorridor an. Oder am Besten wir treffen uns Samstag Abend am Postplatz oder gehen am Montag zu Lutz und tragen Reefugies Welcome TShirts,.


Quotejajaimmerdasgleichemiteuch #4.68

Ja, die Frauen müssen heute keine Brüderle-Sprüche mehr über sich ergehen lassen, werden dafür aber eben vermehrt umgebracht.
Als Mann überlasse ich die Bewertung dieser Änderung natürlich großzügig den Frauen.

Antwort auf #4.64 von JeanLuc7


Quotesonneundmond #4.69

"die Meinungsfreiheit IST gefahrdet" Natürlich kann man nicht alles sagen. Wenn sie Leute beleidigen, dann mussen sie mit den Konsequenzen rechnen. Wenn sie jemanden verleumden auch. Das ist doch selbstverständlich. Wenn sie zu Gewalt aufrufen mossen sie auch mit Konsequenzen rechnen. Wir haben ein Grundgesetz an das mussen sich alle halten auch Sie. Wo ist das Problem? Allerdings möchte die AFD Lehrern ja auch gerne einen Maulkorb erteilen, wenn die etwas sagen, was DENEN nicht passt. Wie stehen sie dazu?

Antwort auf #4.55 von jajaimmerdasgleichemiteuch


Quotejajaimmerdasgleichemiteuch #4.71

https://www.cicero.de/innenpolitik/kita-broschuere-rechtspopulismus-amadeu-antonio-stiftung-franziska-giffey

http://www.metropolico.org/2017/03/24/ver-di-checkliste-zum-ausspionieren-und-denunzieren/

Pardon, es war nicht IG Metall, sondern ver.di.
Antwort auf #4.65 von GOE101

[Beim "Lehrerpranger" geht es um Verstöße gegen das Neutralitätsgebot. Da man vermutet, die Schulleitungen gehen nicht konsequent genug gegen Lehrer vor, die dieses verletzen, halte ich eine Initiative die auf Mitarbeit der Schüler setzt für nicht verkehrt.
"Maulkörbe erteilen" ist allein Ihre Interpretation und natürlich nicht die Intention der AfD.]


QuotePausD #4.74

Ohje, ohje. Wie wir in Bayern sagen:

Da sind Hopfen und Malz verloren.

Antwort auf #4.72 von jajaimmerdasgleichemiteuch


QuoteGeistschreiber #8


"aber nur 39 Prozent der Ostdeutschen sind überzeugt, dass die Gerichte unabhängig urteilen."

Auf welcher Basis entsteht so eine Überzeugung? Gefühlte Wahrheit?


QuoteCompatito #8.2


Wenn ich meine GEZ Gebühren nicht zahlen will, weil ich nicht einsehe, dass ein großer Teil der Einnahmen für überhöhte Pensionen der ehemaligen Mitarbeiter verwendet wird und der andere Teil für ein Programm, welches mich nicht anspricht, dann kann es mir mit großer Wahrscheinlichkeit passieren, dass ich dafür ins Gefängnis gehe! Wenn aber ein Intensivtäter mehr als hundert Straftaten verübt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser noch am selben Tag wieder freigelassen wird und wieder seiner "Arbeit" nachgehen kann.

Antwort auf #8 von Geistschreiber


QuoteGeistschreiber #8.7


"Wenn ich meine GEZ Gebühren nicht zahlen will, "

Und ich will nicht fürs Falschparken zahlen. Ich will im Laden nicht für Waren zahlen und sie einfach mitnehmen. Ich will auch keine Steuern zahlen...Sie verstehen?

Ihre Ausführungen haben 0 damit zu tun, ob die deutschen Gerichte unabhänig urteilen oder nicht. Wenn Sie nicht wissen, warum und unter welchen Voraussetzungen bestimmte Entscheidungen getroffen werden, machen Sie sich schlau oder seien Sie nicht so schnell mit Ihren Beurteilungen.

Krasse Einzelfälle gibt es immer, aber der Gesamtheit der deutschen Gerichtsbarkeit die unabhängige Urteilsfindung abzusprechen ist mMn bezeichnend für bestehende Unkenntnis der Materie.


Quote
Frank-Werner #8.10

Wenn ich meine GEZ Gebühren nicht zahlen will, (...)

Dann treten Sie in eine Partei ein und bringen Ihr Anliegen vor.
Wenn Sie es erreichen, für Ihr Vorhaben (Abschaffung des ÖR-Rundfunks) bei Wahlen eine entsprechende Mehrheit zu erreichen, so wird dies geschehen.
Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch bestehen die demokratisch legitimierten Gesetze / Regelungen zur Finanzierung des ÖR fort.

[Falls Sie auf schärfere Gerichtsurteile aus sein sollten: Gerichtsurteile werden auf der Grundlage von Gesetzen gefällt, welche wiederrum demokratisch legitimiert beschlossen werden. ...]


Quote
Bernardo Soares #9


Alles sehr subjektiver Blödsinn. Wenn man die Leute im Osten fragen würde, welches politische System sie denn für besser halten oder warum so viele glauben, dass die Gerichte nicht unabhängig urteilen, würde wahrscheinlich nur noch heiße Luft kommen. Als Ossi kann ich mal wieder nur sagen: die Leute projizieren ihre Probleme halt in irrationale Ansichten. Irgendwer muss eben Schuld an den Verhältnissen haben und da die Sozialisten nicht mehr an der Macht sind, muss wer anderes dafür herhalten. Dass wird auch in Zukunft so bleiben, weil die Bevölkerung im Osten weiter schrumpfen wird und die neuen Bundesländer weiterhin keine große Wirtschaftskraft anziehen werden.

Die Ansichten spiegeln sich dann natürlich auch mit der Ignoranz gegenüber fanatischen Rechten wie Kalbitz und Höcke, die als Spitzenkandidaten mit ihrer Partei jeweils stärkste Kraft werden könnten. Regieren werden sie natürlich nicht, aber es zeigt trotzdem, dass die Spaltung in Deutschland nicht nur in der Migrationsfrage besteht, sondern seit der Wiedervereinigung und bis heute sehr tiefe Gräben zwischen Ost und West bestehen.


QuoteSuper-Migrant #11

Ost- und Westdeutsche sind grundverschieden. Als nicht-weißer Migrant - also jemand der allein durch seine Optik auffällt - habe ich schon die ein oder andere "meinungsfreie" Äußerung mitbekommen. Ich wurde vor ein paar Jahren am Dresdner Hauptbahnhof wüst rassistisch beschimpft und als ich den Kerl zur Rede stellen wollte, hat mich ein Bundespolizist mit den Worten "Lass Stecken Freundchen" hinauskomplimentiert.

Es ist auch kein Wunder, dass viele Ostdeutsche ihre Umgebung satthaben und in den Westen gegangen sind. Gewisse weltoffene Gesinnungen sind dort leider nach wie vor nicht gewünscht. Das bestätigen mir Ostdeutsche und einige meiner Kumpels, die sich dorthin zum Studieren verirrt haben. Zwei (1x Türke, 1x Tunesier) werden eigentlich regelmäßig auf der Straße rassistisch beschimpft. Kein schöner Anblick, wenn die Mutter zu Besuch ist man beim Vorbeialaufen an einer fragwürdigen Gestalt mit Affengeräuschen begrüßt wird.

Die Brüder auf der anderen Seite wurden jahrelang vom Westen gepampert, Zeit das diese mal etwas zurückgeben!


QuoteNemo Nolan #13

Muss es eigentlich immer diese Ost/West-Einteilung sein? Vielleicht wären andere Unterscheidungsmerkmale (z. B. Mieter/Eigenheimbesitzer; selbständig/angestellt; Gewerkschaftsmitglied/Nichtmitglied etc.) ganz interessant.


QuoteWieselDiesel #22

... Die Ostdeutschen wollten Sozialismus und Westgeld. Das Westgeld haben sie bekommen und den Sozialismus für Banken gibt es ja auch schon.


QuoteDr.Gott #25

Statt Ossi-Bashing sollte man eventuell erst mal den Sinnzusammenhang betrachten. Die ostdeutschen Bundesländer sind niemals wirklich integriert und auf den Standard westdeutscher Länder angeglichen worden. Viele verloren nach der Wende den Arbeitsplatz und die Karriere, nicht nur Arbeiter, sondern auch alles vom Bauern bis zum Akademiker. Stellen Sie sich vor, die BRD kollabiert morgen. Der Staat ist weg, die daram verbundenen Strukturen auch. Und niemand holt Sie ab. Das ist den meisten Ostdeutschen mittlerweile mehr als klar geworden, der Frust oder gar Hass gegen die BRD kommt nicht von ungefähr. Man hat viele Menschen einfach vergessen. Wenn ich das als Wessi sage, kommt von anderen Wessis immer sofort das Apologetentum und das "Jaja.." Wenn ich mir dabei vorstelle, ich wäre Teil des Schicksals vieler Ostdeutscher - mir würde die Hutschnur hochgehen.

Dazu kommt, dass Menschen ohne Demokratieverständnis dann über Nacht aus einem Einparteiensystem in eine Demokratie geworfen werden, an die nur Westdeutsche gewöhnt waren. Das ist gewissermaßen ein Kulturschock. Der zudem mit hohen Erwartungen gepaart kam. Und weil diese nicht erfüllt wurden, wählt man heute halt rechtsextreme Parteien. Weil die Identität litt, das Soziale und allem voran das Vertrauen. Und wir verallgemeinern nur allzu gerne, indem "die" Sachsen dann halt Nazis sind, oder "die" Chemnitzer allesamt Menschenjäger.

Von beiden Seiten muss Einsicht und Annäherung geschehen. Nicht nur von den Ossis.


Quoteprinzessin.leia #28


Kohl hat ihenen "blühende Landschaften" versprochen - erhalten haben sie eine Brache mit massenhafter Arbeitslosigkeit. Das soll sich jetzt im Bergbau wiederholen. Wie soll man da einen positiven Eindruck vom Wirtschaftssystem erhalten?

Und selbstverständlich ist "Herkunft" ein wichtiges Thema, nachdem man nach der Wende sich für seine Ossi-Herkunft und -Mentalität rechtfertigen mußte. #1 ist ein ganz typisches Beispiel dafür ("Da frage ich mich, wofür die Ostdeutschen 1989 auf die Straße gegangen sind. War es die Freiheit? Wenn ja. Für welche Art der Freiheit? Oder waren es doch eher materielle Dinge wie Bananen und Schokolade?") und zeigt, dass das Bashing bis heute andauert.


Quotecdurban #31

Es war 1990, da saß ich als irrelevanter Lokalreporter einem Vortrag von Frau Elisabeth Noelle-Neumann vor Burschenschaftern bei. Grauenhaft. Bereits damals hat Noelle-Neumann ausschließlich Wert darauf gelegt, in ihren Umfragen die eigenen Vorurteile gegen Ostdeutsche und -land zu belegen: Ossis sind demokratieunfähig, passiv, obrigkeitsgläubig, usw., das ganze Programm. Die Krönung bildete dann Neumanns Konklusion: Die Ossis müssen umerzogen werden. Kein Witz, leider. Als ob die DDR-Bürger nicht gerade eine Diltatur gestürzt hätten gerade auch um die elende Bevormundung zu beenden! Das Publikum aber fand's super - waren ja auch alles Wessis.

Es wird Zeit, die besondere Geschichte Ostdeutschlands als Ressource zu begreifen und nicht als Makel, der irgendwie überwunden werden muss. Fangen wir zum Beispiel bei der kritischen Distanz zu allen / allem an, was Macht im Lande hat. Ossis lassen sich nach wie vor viel weniger leicht von Politikergedöns einlullen, als Wessis. Das ist natürlich ein Problem für die "etablierten" Parteien, aber eben nur deshalb, weil sie glauben, dieses Problem könne durch eine Umerziehung der Ossis gelöst werden, und nicht etwa durch eine bessere Politik. Noelle-Neumann - Gott hab' sie seelig - lässt freundlich grüßen.


QuoteBCO #31.2

"Ossis lassen sich nach wie vor viel weniger leicht von Politikergedöns einlullen, als Wessis."

Kohl (im Grab) und die AfD-Spitze bekommen bei solch einer Aussage sicherlich einen heftigen Lachanfall.


QuoteTessa im Boot #32


2014 waren 82 % der Ostdeutschen für die Demokratie (West 90 %)
http://www.bpb.de/nachschlagen/datenreport-2018/politische-und-gesellschaftliche-partizipation/278503/akzeptanz-der-demokratie-als-staatsform


QuoteHugo Henner #36

Die Allensbach-Umfrage sollte nur um einen Punkt erweitert werden: das Verhalten von Deutschland gegenüber Russland.
Diesbezüglich liegen sicherlich Welten zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen mit entsprechenden Auswirkungen auf viele andere Problemzonen im Verhältnis von Bürger zu Staat.


Quote
vincentvision #52

Die Nachwehen der ostdeutschen Diktatur zeigen sich eben immer noch.

Es natürlich ist zu kurz gegriffen, die statistisch höhere Quote an Demokratie- UND Fremdenfeindlichkeit einfach nur "den Ostdeutschen" zuzuschieben - damit macht man denselben pauschalen Fehler wie die, die oft gegen ,,die Muslime" sind...

Aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Auswirkungen des DDR-Systems immer noch einen zu langen Schatten werfen.

Denn üblicherweise werden Menschen in Diktaturen auf schnelle, autoritäre Lösungen konditioniert.

Eine Debattenkultur, die Vermittlung, dass demokratische Entscheidungen immer kompromissbehaftete, oft unbefriedigende Prozesse sind und eine Förderung der Vielfalt und des Individuums finden nicht statt.

Zudem entstand durch die deutsche Wende ein hohes Maß an gebrochenen Biografien und bis heute ein verunsichertes Misstrauen gegenüber politischen Prozessen und Institutionen und Aussagen.

Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass diese Einflüsse über mehrere Generationen weitergegeben werden können.

Zusammengenommen kann dies schon Auswirkungen haben, die die Reaktionen in manchen ostdeutschen Provinzen erklären helfen und dazu führen, dass dort alles Fremde, die Politik und die Medien mit dermaßen roher Dynamik abgelehnt werden.

Und dass demokratiefeindliche Parteien wie die AfD ein leichteres Spiel haben.


QuoteBuonista verde #52.1

Das lässt ja dann für die Integration von Millionen Migranten aus autoritären Staaten, Diktaturen oder fundamental-religiösen millieus Afrikas und Arabiens nichts Gutes erahnen in Zukunft.

Komisch dass sie die soziologischen Mechanismen anscheinend so gut kennen, sie die aber für diese Gruppen in ihren Open-Border Kommentaren geflissentlich auszublenden vermögen.


Quote
vincentvision #52.3

@ Buonista verde

,,Das lässt ja dann für die Integration von Millionen Migranten aus autoritären Staaten, Diktaturen oder fundamental-religiösen millieus Afrikas und Arabiens nichts Gutes erahnen in Zukunft."

Weil es eben keine ,,Millionen" waren und hoffentlich nicht sein werden.

Das will keiner. Aber dass ihr Rechten immer mit den üblichen Katastrophenszenarien, mit fremdenängstlichen Übertreibungen und Schüren von Ängsten vorm schwarzen Mann glaubt, punkten zu können, macht die Diskussion nicht leichter.

Und erschwert zudem pragmatische Lösungen.


QuoteBuonista verde #52.4


Jetzt leugnen sie schon die Zahlen, sehr schade.


Quotevincentvision #52.5

@ Wolkenschaf: ,,Was würde nach Ihrer Meinung passieren, kämen weitere Millionen Menschen aus Diktaturen nach Deutschland?"

Die Frage stellt sich nicht, weil sie rein hypothetischer Natur ist.
Tun Sie also bitte nicht so, als ob Deutschland morgen von Horden radikalisierter Antidemokraten überrannt würde.

Aber abgesehen davon sehe ich schon einen Unterschied darin, ob theoretisch junge, verzweifelte Menschen auf der Suche nach Lebensperspektiven immigrieren - oder ob man sich mit einem älteren, frustrierten und demokratieskeptischen Rest im Land herumstreiten muss.


Quote
Inoagent #57

Das Problem bei vielen meiner "Landsleute" ist, dass sie glauben, Demokratie würde bedeuten, dass eine Mehrheit des "Volkes" losgelöst von allen Beschränkungen ihren Willen durch eine übermächtige Regierung durchgesetzt bekommt. Darum finden viele Ostdeutsche auch das System Putins so attraktiv. Der einzelne muss sich gar nicht um Politik kümmern, weil eine rechtschaffene übergeordnete Macht sowieso bestimmt und tut, was für das "Volk" richtig ist. Rechte von Minderheiten oder Religionen sind eher nervig. So entsteht dann angesichts des Parteiengerangels im Bundestag bei vielen der Eindruck, es fehle ein souveräner Staatsmann, der mal auf den Tisch haut. Und da setzt die AfD an und verspricht eine nationalistische und klar an autochthon deutsche Bürger addressierte Politik, bei der das Kollektiv " Volk" über allem steht.


QuoteNeapolitanische Nächte #56

In Westdeutschland meinten 48 Prozent der Befragten, es gebe kein besseres System als die Marktwirtschaft.

Diese 48 % an Westdeutschen sind die demokratiefeindlichste Gruppe überhaupt. Denn sie gehen offenbar irrtümlicherweise davon aus, dass diese kapitalistische Gesellschaftordnung, in der wir leben, vernünftig und gerecht wäre, weshalb sie jeden Fortschrittsglauben aufgegeben und sich in jener wohligen Gewohnheit eingerichtet haben, auf denen verbrämte Pfarrerstöchter wie Merkel und May ihr Regime der Alternativlosigkeit aufbauen. Diese Leute, bei denen schon Nietzsches letzter Mensch über die Schulter gafft, während sie sich der Banalität des konsumgesellschaftlichen Alltags hingeben und nur noch gehorchen wollen, sollten mal genauer hinschauen auf diese schreckliche Harmonie zwischen Freiheit und Unterdrückung (Niedriglohnbereich, Hartz IV), Produktivität und Destruktivität (Klimawandel), Wachstum und Regression (rechte Bewegungen, Abschottung), die das von ihnen präferierte System kennzeichnet. Weil Vernunft ja auch dazu dient, Dinge infrage zu stellen und zu sagen: nein, das, was ist, kann nicht wahr sein.


QuoteBuonista verde #56.2

Klasse Kommentar, danke dafür! - Ja, in der Tat sind unter diesen 48% viele Antidemokraten zu verorten, die mangels Bildung oder Einsicht den Widerspruch zwischen dereguliertem Kapitalismus und Demokratie nicht erkennen. ...


Quoteraengtengteng #62

Mir kommen hierzu spontan zwei Gedanken/Thesen:
- Vielleicht ist die BRD schlichtweg nicht so erfolgreich Menschen fair und gut in das System zu integrieren. Zu sehr werden "andere/neue" benachteiligt. Dann sind auch Effekte wahrscheinlicher, die z.B. die "ursprüngliche Herkunft" als besonders wichtig empfunden wird.(Das lässt sich auch wissenschaftlich ganz gut zeigen) Das kennen wir ja auch bei klassischen Migraten (z.B. türkischstämmmigen).
- Zum Thema willkommenheißen der Neuen: Wie Seradar Somunco es so schön provokativ sagte: "Scheiß Ossis kommen nach Deutschland und nehmen uns Türken die Arbeitsplätze weg" (IRONIE UND STARIRE!!!) Immer wieder sind es Abgrenzungen und imaginierte (Eigen-und Fremdgruppen) die uns allen das Leben schwer machen. Ach wie schön wäre ein WIR statt wir gegen DIE.



...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] "Die Anstalt" feiert gerade ihren 5. Geburtstag, aus diesem Anlass ist gerade ein Buch erschienen. Ein Auszug aus dem Interview mit Max Uthoff und Claus von Wagner

... Wer fürchtet denn dieses Modell mit wechselnden Mehrheiten mehr, das rechte oder das linke Parteienspektrum? Bei linken Politikern, Journalisten oder sonst wie Engagierten lauert ja auch dieser Querfront-Vorwurf: "Bloß nicht auch nur einen Millimeter in dieses Gebiet, sonst bin ich sofort Nazi." Kann es sein, dass Linke so etwas mehr fürchten als Rechte, die vielleicht doch ab und zu pragmatischer handeln? Im Übrigen, je weiter runter man kommt in der Gebietskörperschaft vom Bund, also in die Länder, in die Gemeinden, wird da durchaus ganz pragmatisch und parteiübergreifend Politik gemacht, wie man immer wieder hört.

von Wagner: Ja, alle Macht den Bürgermeistern! Es geht bloß leider eben nicht mehr, dass man so etwas wie die Finanzkrise als Bürgermeister löst. Man kann viele Probleme auf kommunaler Ebene gut lösen, weil es da um die Dinge vor Ort geht, aber sobald das größer wird - Stichwort: Wie regulieren wir große Schattenbanken? -, da kann ein Bürgermeister nichts mehr machen.

Uthoff: Nehmen wir doch ein Beispiel: Ich glaube, es gab eine Umfrage, der zufolge mehr als zwei Drittel grundsätzlich gegen Waffenexporte sind. Und eine noch größere Mehrheit in diesem Lande würde zumindest von Waffenexporten in Spannungsregionen absehen, und trotzdem tut sich da nichts und es gibt keine Verbote. Nur, wenn da jetzt mal ein Journalist auf besonders bizarre und bestialische Art und Weise getötet wird, dann sagt auch die Bundesregierung: "Jetzt schicken wir mal sechs Wochen keine Waffen da hin." Aber ansonsten gibt es doch innerhalb der Bevölkerung eine große Mehrheit gegen Exporte. Die sollte doch eigentlich ausreichen, oder?
Worauf ich hinauswill, ist, dass es eben auf Regierungsebene Gatekeeper gibt, was Meinungen betrifft. Das ist sicherlich keine Verschwörungstheorie, ich glaube, dass wir einen zu starken Einfluss von Lobbyisten in diesem Land haben. Die sorgen dafür, dass ein Politiker seine Wiederwahl schlichtweg gefährdet, wenn es einen Rüstungsbetrieb in seinem Wahlkreis gibt, dann wird der niemals gegen Waffenexporte stimmen. Ich glaube schon, dass die Enttäuschung, die bei den Bürgern über die Demokratieform herrscht, in der wir im Moment leben, sich auch daraus speist, dass ihre Meinungen auf einer ganz bestimmten Ebene schlichtweg nicht mehr repräsentiert werden ...


Aus: ""Die SPD ist Verlustaversion"" (05. Februar 2019)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Die-SPD-ist-Verlustaversion-4297543.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Demonstranten fordern mehr Kontrolle der Wahlprozesse und wollen, dass auch Oppositionspolitiker wieder im Fernsehen zu Wort kommen. Die Parlamentarierin Branka Stamenkovic von der größten Oppositionspartei "Es reicht" erzählt etwa, dass niemand von ihrer Partei ins nationale Fernsehen RTS eingeladen wird. "Die Medien sind unter der kompletten Kontrolle der Regierung", sagt sie. ... Die Abgeordneten der Regierungsparteien würden auch die Parlamentsdiskussionen dominieren, wenn diese im Fernsehen übertragen werden. "Wenn ein Regierungsmitglied ins Parlament kommt, bekommen nur die kleinen Oppositionsparteien die Chance, etwas zu fragen. Seit wir seit 2016 im Parlament sind, haben wir kein einziges Mal eine Frage stellen können", erzählt sie von dem offensichtlich dysfunktionalen Parlamentarismus. Es fehle an Zeit für echte Debatten. ... Der Jurist Marko Kmezic vom Zentrum für Südosteuropa-Studien an der Universität Graz kritisiert [ ] das Fehlen eines echten politischen Diskurses. "Während handverlesene Mitglieder der Exekutive den Gesetzgebungsprozess von Anfang an bis zur Abstimmungsphase diktieren, wird die parlamentarische Opposition durch unverhältnismäßigen Einsatz von Disziplinarmaßnahmen, häufigen Gebrauch von Dringlichkeitsverfahren und kurzfristigen Änderungen der Tagesordnung außer Gefecht gesetzt, so Kmezic zum STANDARD. ... Seit Vucic die Macht übernommen habe, sei es zu einer Konsolidierung der illiberalen Demokratie gekommen. Die Regierung mache nur Reformen, die wenig kosten würden, um das Bild einer fortschreitenden EU-Integration zu erhalten. "Gleichzeitig stärkt sie die auf Informalität, Korruption und Nepotismus beruhende Herrschaft", so Kmezic. Reformen im Bereich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fehlten völlig. (Adelheid Wölfl, 18.3.2019)


Aus: "Sorge um Serbiens Demokratie" Adelheid Wölfl (18. März 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000099763264/Sorge-um-Serbiens-Demokratie

Quote
Zagreb 1969

Sorge um Serbiens Demokratie - der war gut.
Dort hats noch nie eine gegeben, da brauchts Euch net sorgen.


Quote
Mlada i Bosna.

So nen Artikel hätten wir uns über Frankreich gewünscht
ganz gleich ob Serbien ihn auch verdient hätte.

Aber das werden wir von unserer "freien" Presse nicht bekommen.


Quote
diesenpostingnamengibtesnochnicht

"Sorge um Serbiens Demokratie"? "Regime"?
Oh gott, was hat die CIA jetzt wieder vor?


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Sheldon Adelson, dem die Hälfte der Las-Vegas-Sands-Gruppe gehört und der damit der größte Kasinobetreiber der USA ist, hat im jüngsten US-Wahlkampf mit seinen Spenden alle anderen Unternehmerbosse überboten. 113 Millionen US-Dollar hat er für republikanische Kandidaten bei den Wahlen zum Kongress 2018 ausgegeben. Adelson hatte schon in der Vergangenheit ein glückliches Händchen mit seinen Entscheidungen bewiesen. Der Kasinoboss hat 2016 die Rangliste der Trump-Geldgeber bei den Präsidentschaftswahlen angeführt.

In keiner anderen westlichen Demokratie wird so viel Geld im Rahmen von Wahlkampagnen ausgegeben wie in den USA. Weil ohne millionenschwere und oft milliardenschwere Unterstützer nichts geht, sagen Kritiker oft, die US-Demokratie werde in Wahrheit von Unternehmen, von Corporate America, dominiert. Ein Gruppe von Wissenschaftern, darunter Alma Cohen von der Harvard University und Moshe Hazan von der Wirtschaftsuniversität Tel Aviv, wollte es etwas genauer wissen. Sie sind im Rahmen einer soeben vorgestellten Studie der Frage nachgegangen, wo genau die mächtigsten US-Firmenbosse politisch stehen, welchen Kandidaten sie also Geld geben und wie viel. Die Forscher haben dafür analysiert, an wen die Firmenchefs der 1500 wichtigsten börsennotierten Gesellschaften in den USA seit dem Jahr 2000 gespendet haben.

Das Gesamtergebnis ist zwar wenig überraschend: Die Firmenchefs spenden öfter und mehr für Republikaner, die als besonders unternehmernah gelten. Erstaunlich ist aber, wie groß die Kluft ist. 75 Prozent der Spendengelder der Firmenbosse gehen an republikanische Kandidaten. Nahezu 60 Prozent der CEOs unterstützen überwiegend oder einzig die Konservativen. Gerade 18 Prozent geben Geld für die Demokraten, der Rest spendete an Kandidaten von kleineren und unbedeutenden Parteien. In manchen Branchen ist die Kluft besonders gewaltig. Im Energiesektor etwa, zu dem die großen Erdölkonzerne Exxon Mobil oder Chevron zählen, unterstützen 90 Prozent der Unternehmensbosse republikanische Bewerber. In der Warenproduktion und in der chemischen Industrie gibt es ebenso kaum Geld für Demokraten.

Die Republikaner haben in nahezu allen untersuchten Branchen eine dominante Stellung, also in Finanzindustrie ebenso wie in der Pharmabranche. Einzig im Telekomsektor liegen die beiden wichtigsten Parteien bei Spenden gleichauf. IT-Unternehmen wie Facebook und Google zählen in der Bewertung der Studienautoren zum Telekomsektor. Die Zahlen für ihre Analyse haben die Wissenschafter einer Datenbank der Federal Election Commission entnommen. Dort muss jede politische Spende über 200 Dollar bei Bundeswahlen registriert werden. Dementsprechend wurden nur Gelder zugunsten von Kandidaten ausgewertet, die für ein Bundesamt kandidiert haben. Insgesamt haben die Unternehmer im untersuchten Zeitraum 420 Millionen US-Dollar an Republikaner und Demokraten gespendet. Die Analyse bewertet die Vorgänge nicht, sondern will, so schreiben es die Autoren, einen Beitrag dazu leisten, die Rolle von großen US-Unternehmen in der Politik besser zu verstehen. Dabei sind viele Zusammenhänge offensichtlich.

Zu den ersten Amtshandlungen von Präsident Trump zählte etwa, grünes Licht für die Verlängerung der strittigen Ölpipeline Keystone XL zu geben. Trumps Vorgänger, der Demokrat Barack Obama, hatte das Projekt zuvor jahrelang blockiert. Umweltschützer kritisieren die Pipeline, weil mit Keystone Erdöl aus der westkanadischen Provinz Alberta zu Raffinerien in die USA transportiert werden soll. In Kanada wird das Öl aus sandigen Teerböden gewonnen, was als besonders umweltschädlich gilt, weil eine hohe Menge an chemischen Stoffen eingesetzt werden muss.

Trump befürwortet aber auch Fracking, bei dem Erdöl und Erdgas ebenfalls unter massivem chemischem Einsatz aus Schiefergestein gewonnen werden. Zu Trumps ersten handelspolitischen Maßnahmen gehörte, Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte zu verhängen. Während die wichtigen Autobauer in den USA wie General Motors mit diesem Schritt nicht einverstanden sind, wurden die Zölle von den Metallerzeugern lautstark gefordert.

Die Studie hat noch einige interessante Ergebnisse ans Licht gebracht. So sind Unternehmen in den USA nicht verpflichtet offen zulegen, welchen politischen Kandidaten und Parteien sie Geld geben. Manche Konzerne tun es dennoch. Laut Harvard-Wissenschafterin Cohen gibt es dabei einen klaren Zusammenhang. Wenn ein Unternehmen von einem Firmenboss geleitet wird, der eher die Republikaner unterstützt, dann veröffentlichen diese Konzerne tendenziell keine Informationen über ihre Spendenaktivitäten. Schließlich sind auch die Daten zum Spendenverhalten der weiblichen Unternehmer spannend. Zunächst waren nur 2,2 Prozent der CEOs Frauen. Unter weiblichen Chefs ist das Verhältnis aber nahezu ausgeglichen, etwa ebenso viele spenden an Republikaner wie an Demokraten. (Andras Szigetvari, 21.3.2019)


Aus: "Hunderte Millionen von US-Konzernbossen an Republikaner" András Szigetvari (21. März 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000099900951/420-Millionen-fuer-unternehmerfreundliche-US-Politik

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captain morgan

Niemand beißt die Hand die in Füttert!!


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betterknower

In Russland werden die Machtverhältnisse von Oligarchen bestimmt. In den USA sagt man halt anders dazu.


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pro noblem

man achte auf die Sprache: "420 Millionen für unternehmerfreundliche US-Politik", vor Kurzem noch hat man dazu "Lobbyisten Geld" gesagt, und vor etwas längerem sagte man geradeaus KORRUPTION dazu. Das passiert, wenn die Konzerne nicht nur die Politik, sondern auch die Sprachkultur übernehmen. Sobald Korruption salonfähig geworden ist, darf sie nicht mehr so heissen, ab nun "Geld für unternehmerfreundliche Politik". So kippt unsere Welt in ein bipolares Rechtssystem, durch die Verdrehung und den Missbrauch der Sprache.


Quote
warp.faktor

Wo die Wirtschaft Freiheit genießt, liegt die Demokratie in Ketten!
Leider wird es nicht untersucht, aber in der EU ist das Verhältnis sicher ähnlich.
Die Zusammensetzung der EU-Institutionen und die ~30.000 hochbezahlten Lobbyisten (Bestecher) in Brüssel weisen ebenso deutlich darauf hin, wie die ständig sinkende Steuerleistung der Konzerne.


Quote
Zeus (himself)

Wieso wird hier immer nur die EU-ebene erwähnt? Glaubst, dass es auf nationalstaatlicher Ebene anders ist?


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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Richtlinie (EU) .../2019 des Europäischen Parlaments und des Rates vom ... über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG verfolgt das Ziel, das Urheberrecht der Europäischen Union an die Erfordernisse der digitalen Gesellschaft anzupassen. Der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren entstandene und kontrovers diskutierte Entwurf wurde nach dem Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments und mit dem im Trilog ausgearbeiteten Kompromiss am 26. März 2019 im Europäischen Parlament mit deutlicher Mehrheit ohne weitere Änderungen angenommen.

Der Vorschlag wurde von der Kommission Juncker eingebracht. Federführend war zunächst der EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (CDU/EVP), bevor dies der Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für den Digitalen Binnenmarkt Andrus Ansip (RE/ALDE) und EU-Digitalkommissarin Marija Gabriel (GERB/EVP) übernahmen. Berichterstatter im federführenden Rechtsausschuss war der deutsche Abgeordnete Axel Voss (CDU/EVP). Als Schattenberichterstatterin fungierte Julia Reda (Piratenpartei/Grüne/EFA).

Die Vorlage des Entwurfs gilt auch nach mehreren Revisionen als umstritten. Zustimmung erhielt dieser von Verbänden der Kreativwirtschaft, Künstler- und Journalistenverbänden, Verlagen und Verwertungsgesellschaften, während er auf Ablehnung seitens Bürgerrechtsorganisationen, netzpolitischer Vereinigungen sowie der Branchenverbände der Informations- und Telekommunikationsbranche stieß. Gegenstand der Kontroversen sind insbesondere Bestrebungen zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger sowie die Umsetzung einer Verpflichtung zur Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Inhalte und damit verbundener Upload-Filter.

...


Aus: "Urheberrechtsreform der Europäischen Union" (Stand: 27. März 2019)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Urheberrechtsreform_der_Europ%C3%A4ischen_Union

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Quote[...] Als Upload-Filter wird eine serverseitige Software bezeichnet, welche Medien und Dateien beim Hochladen prüft, gegebenenfalls abweist, verändert oder sonstige Maßnahmen initiiert. Maschinelle Datenverarbeitung soll hierbei eine inhaltliche Prüfung durch Menschen ersetzen. Besondere Bedeutung haben solche Filter für öffentlich zugängliche Dienste, wenn diese Inhalte anderer Benutzer Dritten zugänglich machen oder vollständig veröffentlichen, beispielsweise soziale Medien oder Videoportale. Upload-Filter können zum Beispiel eingesetzt werden, um zu verhindern, dass Rechtsgüter wie das Urheberrecht oder das Persönlichkeitsrecht verletzt werden. ...

... Nach Ansicht einige Kritiker können solche Filter genutzt werden, um Internetzensur zu betreiben und zum Beispiel Inhalte, die gegen eine bestimmte Meinung verstoßen, bereits vorher zu sperren und damit das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit erheblich einzuschränken. Hierbei fällt auch der Begriff der maschinellen Zensur.

...


Aus: "Upload-Filter" (Stand: 26. März 2019)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Upload-Filter

https://de.wikipedia.org/wiki/Contentfilter

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Quote[...] Viele Online-Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten werden künftig nicht darum herumkommen, Upload-Filter einzusetzen und damit geschützte Werke schon vor dem Erscheinen auf ihren Seiten unzugänglich zu machen. Das EU-Parlament hat dazu am Dienstag nach einer hitzigen Debatte und heftigen Lobby-Schlacht die seit Langem umkämpfte Urheberrechtsreform verabschiedet.

Für die Reform stimmten 348 Abgeordnete, 274 waren dagegen, 36 enthielten sich. "Presseveröffentlichungen" werden damit durch ein zweijähriges Leistungsschutzrecht geschützt. Änderungsanträge, wonach diese Klausel sowie die für die Haftung von Plattformen gestrichen werden sollten, kamen gar nicht zur Abstimmung.

Allein hierzulande waren am Samstag an einem europaweiten Aktionstag etwa in Berlin, Köln und München insgesamt über 100.000 überwiegend junge Menschen gegen die Reform auf die Straße gegangen. Sie befürchten unverhältnismäßige Eingriffe in die Meinungsfreiheit und Zensur und dürften nun massiv von der Politik enttäuscht sein. Neben Bürger- und Menschenrechtlern sowie Verbänden der Digitalwirtschaft hatten auch führende Rechtswissenschaftler vor dem Vorhaben gewarnt.

Laut der im Trilog Mitte Februar von Verhandlungsführern aus dem Parlament, dem Ministerrat und der EU-Kommission gefundenen Übereinkunft sollen die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass Diensteanbieter "für das Teilen von Online-Inhalten" ein Werk öffentlich wiedergeben, wenn sie der Öffentlichkeit Zugang zu von den Nutzern hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen verschaffen. Dies hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bislang anders gesehen. Die betroffenen Portalbetreiber müssen daher etwa durch eine Lizenzvereinbarung die Erlaubnis von allen erdenklichen Rechteinhabern einholen.

Größere Nutzer von Plattformen wie YouTuber, die "erhebliche Einnahmen" etwa mit Werbung erzielen und gewerblich tätig sind, müssen trotzdem nach Artikel 17 (vormals 13) nach wie vor selbst Lizenzen für von ihnen genutztes fremdes geschütztes Material abschließen. Die Betreiber werden zudem für das Teilen von Inhalten und die damit erfolgende öffentliche Wiedergabe verantwortlich, was einen Paradigmenwechsel im Haftungsregime darstellt. Bisher waren sie explizit von den damit eröffneten Sanktionen ausgenommen.

Aus dem Schneider sind die erfassten Diensteanbieter nur, wenn sie alle Anstrengungen unternommen haben, um die Erlaubnis einzuholen und "nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt" ebenfalls mit aller Kraft sich bemüht haben sicherzustellen, dass bestimmte Werke nicht verfügbar sind, wenn die Rechteinhaber dazu "einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben".

In jedem Fall müssen sie zudem nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von Urhebern oder Verwertern unverzüglich die entsprechenden Werke sperren, von ihren Seiten entfernen und erneut "alle Anstrengungen" unternommen haben, ein künftiges Hochladen zu verhindern. Auch wenn die Verhältnismäßigkeit der einzusetzenden Mittel ausdrücklich gewahrt und die Verfügbarkeit geeigneter und wirksamer Instrumente und deren Kosten berücksichtigt werden sollen, dürfte es bei fast allen Providern auf Upload-Filter hinauslaufen.

Die dafür verwendeten Algorithmen sollen aber gewährleisten, dass sich alle Nutzer auf ihre Rechte stützen können, zu zitieren, zu kritisieren, zu rezensieren sowie "Karikaturen, Parodien oder Pastiches" erstellen zu dürfen. Für diese Möglichkeit, etwa Meme zu verbreiten, haben die Mitgliedsstaaten Sorge zu tragen. Der Artikel soll auch nicht "zu einer Pflicht zur allgemeinen Überwachung" führen.

Nicht erfasst werden unkommerzielle Dienste wie Online-Enzyklopädien, bildungsbezogene oder wissenschaftliche Verzeichnisse, Betreiber von Cloud-Diensten für "die eigene Nutzung", Entwicklungsplattformen für freie Software und reine Online-Marktplätze wie eBay. Außen vor bleiben Startups, die weniger als drei Jahre auf dem Markt sind und deren Jahresumsatz unter zehn Millionen Euro liegt. Wenn sie im Monat auf über fünf Millionen Besucher kommen, sollen aber auch diese Firmen alles in ihrer Macht Stehende tun, um das erneute rechtswidrige Hochladen von Inhalten zu verhindern.

Das Leistungsschutzrecht soll sich nicht auf Hyperlinks beziehen. "Einzelne Wörter" oder "sehr kurze Auszüge" aus einem Presseartikel dürfen genutzt werden. Verleger und Google streiten seit Jahren vor Schiedsstellen und Gerichten darüber, was die ähnlich gefasste Grenze hierzulande bedeutet.

Der Entwurf muss zuletzt noch den Rat passieren. Eigentlich gilt dies als Formsache und soll Anfang April über die Bühne gehen. Gegner hoffen aber, dass Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) ihren Twitter-Bekenntnissen gegen Upload-Filter doch noch Taten folgen lässt und dem Koalitionsvertrag folgend den Deal ablehnt. Damit könnte die Mehrheit im Gremium der Regierungsvertreter wackeln.

Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken unterstrich in der abschließenden Aussprache, dass Barley gegen Artikel 17 sei, sich während der Verhandlungen aber Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe geschlagen geben müssen: "Gas gegen Upload-Filter", habe der Deal des Kanzleramts mit Frankreich gelautet, verwies er auf einen FAZ-Bericht.

Die Zeitung habe den "Kuhhandel" aufgedeckt, konstatierte die Piratin Julia Reda, die sich der grünen Fraktion angeschlossen hat. Frankreich halte im Gegenzug für Deutschlands Ja zu der Reform still bei der Gaspipeline Nord-Stream 2. Die 200.000 Menschen, die am Wochenende europaweit gegen das Vorhaben demonstriert hätten, ließ sie wissen: "Die Politik wird Lügen über euch auskippen, wenn es um knallharte geopolitische Interessen geht." Auch im Parlament sei der bislang einmalige breite Protest "mit Beleidigungen erdrückt" worden. Einige wenigen Lobby-Gruppen hätten Diffamierungen frei erfunden, die dann von Zeitungen verbreitet worden seien, "die sich Profite erhoffen". Die Richtlinie sei "verheerend für die Freiheit im Netz", doch nun wolle niemand die Verantwortung übernehmen für Upload-Filter.

Die Linksfraktion trat geschlossen gegen den Entwurf an. Für sie beklagten Jirí Maštálka und Martina Michels eine Zensur des Internets, eine Schikane für Startups und negative Folgen für Diskussionsforen. Kleinere Provider könnten nicht mit der ganzen Welt Lizenzen aushandeln. Dabei hätten Millionen Nutzer den Abgeordneten mitgeteilt: "Man überlässt Maschinen keine Entscheidung über Grundrechte." Besser gewesen wären eine Digitalsteuer, ethische Algorithmen sowie ein strenges Kartellrecht. Der fraktionslose Grieche Lampros Fountoulis fühlte sich aufgrund der Filter an die Sowjetunion und Orwell erinnert.

Sonst zeigten sich die meisten Fraktionen gespalten. Von der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) hielt nur der Pole Michal Boni Artikel 13 für einen Fehler, da damit Maschinen erkennen sollten, was sie nicht rausfiltern dürften. Das Internet bleibe so nicht der kreative Ort, "wo viele sich verwirklichen können".

Der EVP-Rechtspolitiker Pavel Svoboda lobte den Entwurf dagegen als guten Ansatz, um "mit den Parasiten" Schluss zu machen, "den Plattformen, die geistiges Eigentum stehlen". Für ihn wäre es Zensur, wenn man den Kreativen und Künstlern nicht die Möglichkeit gäbe, sich von ihrer Arbeit zu ernähren.

"Es wird keine Zensur geben, die rechtmäßige Meinungsfreiheit wird nicht eingeschränkt", beteuerte der Berichterstatter Axel Voss (CDU). Google, Facebook und YouTube machten "Governance by Shitstorm" und zeigten, "wie einfach es ist, gerade junge Bevölkerungsgruppen zu instrumentalisieren". Das europäische Kulturgut dürfe aber nicht Tech-Monopolen zur "Ausbeutung" überlassen werden.

In diesem Sinne stilisierte auch der griechische Sozialist Giorgos Grammatikakis die Entscheidung zu einer "Schlacht um Europa und seine Kultur" hoch. Viele wollten, "dass das Netz weiterhin ein wilder Westen bleibe", ärgerte sich auch der italienische Sozialdemokrat Nicola Danti. Seine französische Fraktionskollegin Virginie Rozière wetterte "gegen den Ultra-Kapitalismus" der US-Giganten. Die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt witterte in Artikel 13 derweil ein "wunderbares Geschäftsmodell" für Google & Co, die nun ihre Filter verkaufen könnten. Die vorgesehene "faire Vergütung" Kreativer sei "total verwässert" worden.

Von einem "historischen Augenblick" sprach der französische Liberale Jean-Marie Cavada. Das Parlament suche erstmals, einen Ausgleich zwischen den großen Plattformen und denen zu schaffen, "die sie nährten". Wenn das Sterben der Presse nicht aufgehalten werde, kursierten bald nur noch Gerüchte. Der dänische Liberale Jens Rohde wunderte sich, dass sich die Linke vor den Karren der Tech-Giganten spannen lasse, die keine Steuer zahlten und Kunstraub betrieben. Die Grüne Helga Trüpel betonte: "Alles, was lizenziert wird, wird nicht gefiltert. Wir bringen Gerechtigkeit ins freie Netz."


Aus: "Urheberrechtsreform: EU-Parlament winkt Upload-Filter und Leistungsschutzrecht durch" Stefan Krempl (26.03.2019)
Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Urheberrechtsreform-EU-Parlament-winkt-Upload-Filter-und-Leistungsschutzrecht-durch-4350043.html?seite=all

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Quote[...] "Die in scharfem Ton geführten Diskussionen rund um Upload-Filter haben eine gesellschaftliche Spaltung zwischen vornehmlich jüngeren und internetaffinen Menschen und großen Teilen des politischen Establishments offenbart", ist Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder nicht entgangen.

... Das Parlament habe "mehrheitlich gegen die Interessen von Nutzern gestimmt", bedauerte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Damit bedrohten verpflichtende Upload-Filter "auch viele vollkommen legale nutzergenerierte Inhalte", da die Algorithmen "nicht wirkungsvoll zwischen erlaubter und nicht erlaubter Nutzung unterscheiden" könnten. Besonders bitter sei, dass die Abgeordneten keine konkreten und wirksamen Gegenmaßnahmen eingeführt wurden, um rechtmäßige Inhalte vor Blockaden zu schützen. Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) warnte, dass nun "die Zensurmaschine" das Internet in der EU übernähme.

"Statt ein faires und gerechtes Urheberrecht für alle zu verhandeln, das nicht nur die Interessen von Großkonzernen in den Vordergrund stellt, hat das Europäische Parlament die Bedenken von fünf Millionen Bürgern ignoriert", kritisieren die Initiatoren der vielbeachteten Petition zur "Rettung des Internets". Es sei beschämend, dass die Volksvertreter die Bedenken etwa der rund 200.000 Demonstranten vom Wochenende nicht ernst nehme "und noch nicht mal über die einzelnen Artikel abstimmen wollte". Ales Reaktion seien für den Dienstagabend Spontandemos in Städten wie Köln, Frankfurt, Leipzig, Dresden oder Hamburg anberaumt worden.

...


Aus: "EU-Urheberrechtsreform: "Schwarzer Tag für Europa und das freie Internet"" Stefan Krempl (26.03.2019)
Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Copyright-Reform-Schwarzer-Tag-fuer-Europa-und-das-freie-Internet-4351253.html

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Quote[...] Nicht die Entscheidung an sich wird der EU Vertrauen kosten. Jeder Demokrat muss mit Niederlagen leben können. Es ist die unfassbare Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist.

Versetzen wir uns kurz in den Kopf eines jugendlichen Demonstranten, der am vergangenen Wochenende – wie zehntausende Altersgenossen auch – gegen die Einführung von Uploadfiltern demonstriert hat. Womöglich ist der Protest gegen ,,Artikel 13" für ihn das entscheidende Erlebnis seiner politischen Frühsozialisation. Was hat er also bisher bewusst erlebt, wenn es um Brüsseler Politik geht?

Die Wahrheit ist, dass diesen Protestierenden fortwährend die politische Existenz abgesprochen wurde. Sie wurden von führenden Europapolitikern der Union als ,,Bots" oder als ,,Fake" bezeichnet, später dann noch als Krawallmacher und Quertreiber gebrandmarkt. Daniel Caspary, CDU-Europaabgeordneter aus Baden-Württemberg, schwadronierte in der ,,Bild"-Zeitung gar von ,,gekauften Demonstranten", die ,,zumindest teilweise" von amerikanischen Großkonzernen Geld bekämen.

Doch auch die Sozialdemokraten haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Die Noch-Justizministerin Katarina Barley stimmt im EU-Rat erst für die Urheberrechtsreform, nur um dann später – als der Schaden kaum noch zu reparieren war – plötzlich an der Seite der Reformgegner aufzutauchen.

Und dann wäre da noch die unglaubliche Episode, über die am Montag die ,,Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet hat: Angeblich soll sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier die französische Zustimmung zur höchst umstrittenen Gaspipeline ,,Nord Stream 2" mit einem deutschen Ja zu Uploadfiltern erkauft haben. Vielleicht galt der Deal, so es ihn dann gegeben hat, intern sogar als Verhandlungserfolg. Aber was müssen nun jene Menschen denken, die in den vergangenen Wochen bei Wind und Wetter auf die Straße gegangen sind: Wenn ihr wichtigstes politisches Anliegen für die Zustimmung zum wirtschaftlichen Vorzeigeprojekt des berüchtigten Menschenfreunds und Kryptodemokraten Wladimir Putin verhökert wird?

Drei Monate vor der Europawahl ist an diesem Dienstag in Straßburg so ein politischer Flurschaden entstanden, dessen Folgen womöglich Jahre und Jahrzehnte zu spüren sein werden.

Natürlich, man hätte sich von Anfang an sachlich über die Reform unterhalten können. Es gibt sogar ein paar vernünftige Gründe, für das EU-Urheberrecht zu sein. Artikel 18 (bis vor wenigen Tagen: Artikel 14) soll die faire Bezahlung von Urhebern garantieren. Und insgesamt gibt es erstmals einen europäischen Rahmen für einen wirkungsvollen Urheberschutz. Das ist nicht nichts.

Über die guten Gründe, dagegen zu sein, wurde schon oft gesprochen. Artikel 16 (vormals: Artikel 12) dürfte deutsche Künstler und Kreative viel Geld kosten, weil sie in Zukunft möglicherweise wieder ihre Tantiemen mit den Verwertern teilen müssen. Und natürlich geht es in Artikel 17 (vormals: Artikel 13) um Uploadfilter. Denn künftig werden Plattformen dazu verpflichtet, den Upload von rechteverletzenden Inhalten zu verhindern, bevor er geschieht. Das geht nur mit Filtern – oder mit hunderten Sweatshops, in denen zehntausende Kontrolleure die täglich Millionen von Ladevorgänge mit eigenen Augen sichten, bewerten und aussortieren.

Aber um den sachlichen Austausch von Argumenten geht es schon seit Wochen nicht mehr. Schuld daran haben vor allem jene Europapolitiker, die politisch Andersdenkende nicht ernst genommen oder sogar diffamiert haben. Das war mehr als einfach nur unsouverän. Es war eine kulturelle Provokation.

Warum konnte der Protest so groß werden? Warum gingen Zehntausende Menschen gegen eine Urheberrechtsreform auf die Straße? Letztlich waren die Beschimpfungen aus Brüssel auch Ausdruck einer Fremdheit mit der Lebenswelt von netzaffinen Menschen. Europapolitiker hatten beim Schutz von Künstlern eher den Stargeiger oder die Opernsängerin im Kopf als den Instagram-Star oder die Youtube-Influencerin. Dass neue kreative Produktionsprozesse auch ein neues Denken im Urheberrecht brauchen, wollte vielen Abgeordneten bis zum Schluss nicht in den Kopf.

Natürlich sind die Uploadfilter noch nicht Gesetz, sie müssen nun von der Bundesregierung in deutsches Recht umgesetzt werden. Doch selbst die CDU möchte das eigentlich nicht mehr. Was aber bei vielen Filter-Gegnern hängen bleiben dürfte, ist vor allem ein Gedanke: Dass die Hoffnung auf die grundsätzliche Gutartigkeit der Politik in der Regel enttäuscht wird. Und das darf uns allen nicht egal sein.


Aus: "Europa hat seit Dienstagmittag ein echtes Problem" Ein Kommentar von Sebastian Christ  (26.03.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/eu-urheberrechtsreform-europa-hat-seit-dienstagmittag-ein-echtes-problem/24146870.html

QuoteStolzwieBolle 09:40 Uhr
Nur von Leuten...

    Dass die Hoffnung auf die grundsätzliche Gutartigkeit der Politik in der Regel enttäuscht wird.

...die entweder noch sehr jung sind oder das Gedächtnis eines Flohs haben.

Wer schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, dem sind die zahllosen Schweinereien, Millionen- und Milliardenverschwendungen, Durchstechereien und "alternativlos" durchgeknüppelten Großprojekte und die dafür Verantwortlichen noch erinnerlich. ...


Quotebergmann61 26.03.2019, 20:57 Uhr

    Europa hat seit Dienstagmittag ein echtes Problem

Und davor war eitel Sonnenschein oder wie?
Ich finde es sehr bedauerlich das durch die Art und weise des zustande Kommens noch mehr Wasser auf die Mühlen der EU - Gegner gekippt wird.
Ich bin gespannt auf die EU -Wahl. Wahrscheinlich hofft man bei CDU, SPD und FDP auf das schnelle Vergessen der jüngeren Wähler.

...


QuoteAnarchrist 26.03.2019, 18:36 Uhr

... Die Christlich Demoirgendwas Union macht genau das, was sie schon von Beginn an macht: Die Bevölkerung als unmündige aber nützliche Idioten zu betrachten.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Als die verfassungsgebende Nationalversammlung 1919 ein halbes Jahr lang in Weimar tagte, waren 37 Frauen mit von der Partie. Mit den Nachrückerinnen waren es gar 41 Frauen, eine weltweit für Aufsehen sorgende Quote, die in Deutschland erst 1983 wieder erreicht wurde. Als erste Rednerin trat Marie Juchacz an: "Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, und zwar ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat."

Im Zuge der deutschen Revolution von 1918 erkämpften die Frauen das aktive und passive Wahlrecht.

... Frauen, die sich dagegen wehrten, wie die laute Zwischenruferin Luise Zietz von der USPD, wurden als "Kreischziege" abgekanzelt, der die nötige "Fraulichkeit" fehlte – was immer das sein sollte. Tatsächlich beschränkte sich die Berichterstattung über die Frauen im ersten demokratisch gewählten Parlament Deutschlands häufig auf ihr Aussehen und die Mode, die sie trugen.

Ernüchtert schrieb die Feministin Lida Gustava Heymann über die "altersschwachen Greise", die bereits im "dahingeschiedenen Reichstag" bei der Politik-Simulation mitmachten und nun "so unglaublich das auch scheint, von deutschen Männern - und leider auch Frauen - wiedergewählt worden sind."

Ihre Lebensgefährtin, die bekannte Pazifistin und erste deutsche Juristin Anita Augspurg, die unter Kurt Eisner an der Ausrufung der bayerischen Republik beteiligt war, war da bereits Opfer der männlich dominierten Politik. Als Pazifisten war sie von den Männern in der USPD ausgebootet worden. Ähnliches passierte später der SPD-Linken Tony Sender, die 1924 ihren Wahlkreis Frankfurt aufgeben und in das linke Dresden wechseln musste, um ihren Parlamentsplatz behalten zu können.

Das Netzwerk der weißen alten Männer, wie es heute heißen würde, bestimmte, was die richtigen Frauenthemen waren. Die ersten Politikerinnen durften über "das Soziale" reden, über Mutterschutz, die Stellung nichtehelicher Kinder oder die Rechte verheirateter Frauen, aber nicht über Außenpolitik oder gar militärische Fragen wie später über den Bau des Panzerkreuzers A. Annie get your Gun war in Deutschland nicht angesagt.

Aber es gab Veränderungen. Über die Parteigrenzen hinweg stimmten die Frauen für Artikel 119 der Weimarer Verfassung: "Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung beider Geschlechter. /.../ Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge." Auch Artikel 121 verrät die weibliche Handschrift: "Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern." Ein Passus, der auch hundert Jahre später nicht an Bedeutung verloren hat.

... Zur Nationalversammlung bekamen alle Frauen zusammen ein eigenes Frauenzimmer spendiert, zum Aufenthalt in den Parlamentspausen. Hier wurde Kaffee und Kuchen serviert, während sich die Herren in Wirtsstuben und Bierkellern trafen und "Hinterzimmer-Absprachen" austüfteln konnten.

Von dieser wichtigen Form der politischen Kommunikation ausgeschlossen, war es für Frauen wie die Sexualreformerin Helene Stöcker klar, dass eigene parteiübergreifende Netzwerke gebildet werden müssen. 1919 ist sie zusammen mit Anita Augspurg Mitgründerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, später den "Bund der Kriegsdienstgegner".

Auf ihre dadaistische Weise reagiert auch die Künstlerin Hanna Höch auf den Politik-Betrieb des Jahres 1919. Sie nahm das berühmte Badehosen-Foto des noch nicht vereidigten Reichspräsidenten Friedrich Ebert und seines Reichswehrministers Gustav Noske, ergänzt es um die Vasenol-Werbung für Fußpuder gegen die Stinkstiefel und rief in dieser im Oktober 1919 zur Schau gestellten Collage zur echten Wahl einer "Deutschen Frauen-Nationalversammlung" auf. Im kleingedruckten die Forderung: "Schrankenlose Freiheit für Hanna Höch".

Die erste deutsche Demokratie existierte 14 Jahre. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Frauen aus der Politik gedrängt. Die Herrenrasse duldete keine selbstbewussten Frauen.

Viele Weimarer Politikerinnen kamen auf die Fahndungslisten und mussten fliehen, etwa Anita Auspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann. Augspurg hatte gleich nach der ersten großen Rede Hitlers in München seine Ausweisung als unerwünschten Ausländer gefordert. Andere begingen Selbstmord, etwa die SPD-Politikerin Minna Bollmann. Politikerinnen wie Marie Zettler von der Bayerischen Volkspartei wurden von der Gestapo überwacht und mussten ihre meist publizistische Arbeit einstellen.

Wieder andere arrangierten sich mit den neuen Machthabern, wenngleich unter Vorbehalten, wie der Fall von Gertrud Bäumer von der Deutschen Demokratischen Partei zeigt. Sie gab weiterhin eine Frauenzeitschrift heraus, musste aber die Aufnahme nationalsozialistischer Inhalte dulden. Erinnert werden muss auch an Frauen wie die SPD-Politikerin Johanna Tesch, die sich im Widerstand gegen Hitler engagierten und im Konzentrationslager starben. (jk)


Aus: "Missing Link: Weimar 1919 - Meine Herren und Damen!" Detlef Borchers (31.03.2019)
Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Missing-Link-Weimar-1919-Meine-Herren-und-Damen-4356582.html?seite=all


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Quote[...] Kurz vor dem 70. Geburtstag des Grundgesetzes ist die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland laut einer Umfrage mit der deutschen Verfassung zufrieden. 88 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass sich das Grundgesetz in den vergangenen Jahren "sehr gut" oder "gut" bewährt hat. Das geht aus einer repräsentativen Studie des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap unter Wahlberechtigten hervor. Deutschland feiert am 23. Mai 70 Jahre Grundgesetz.

Weniger zuversichtlich sind die Menschen in Deutschland laut der Erhebung allerdings mit Blick auf die Demokratie: Fast zwei Drittel (65 Prozent) gaben zwar an, zufrieden damit zu sein, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Rund jeder dritte Befragte (34 Prozent) äußerte sich darüber allerdings unzufrieden. Überdurchschnittlich hoch ist die Unzufriedenheit in den östlichen Bundesländern (45 Prozent). Deutlich geringer ist sie in den westlichen Bundesländern (32 Prozent).

Überdurchschnittlich hoch ist die Unzufriedenheit außerdem in Haushalten mit niedrigem Einkommen (47 Prozent). In Haushalten mit hohem Einkommen lag sie dagegen bei nur 29 Prozent. Als Haushalte mit niedrigem Einkommen galten jene, die ein Haushaltsnettoeinkommen unter 1.500 Euro im Monat haben, als hoch alle mit über 3.000 Euro im Monat. Für die Studie wurden 1.000 Wahlberechtigte befragt.

Am 23. Mai 1949 hatte der Parlamentarische Rat nach Zustimmung der westlichen Militärgouverneure und der Landtage – mit Ausnahme Bayerns – das Grundgesetz verkündet.


Aus: "Deutsche sind zufrieden mit dem Grundgesetz" (10. April 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-04/umfrage-infratest-dimap-grundgesetz-hohe-zufriedenheit


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Quote[...] Der Bundessicherheitsrat hat eine Rüstungslieferung genehmigt, die für Saudi-Arabien bestimmt ist. Erst Ende März hatte die Bundesregierung beschlossen, den bestehenden Rüstungsstopp für Saudi-Arabien um sechs Monate zu verlängern. Bei der Verlängerung des Exportverbots wurden jedoch einige Ausnahmen erlassen, die das Verbot etwas lockerten. 

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schrieb in einer Mitteilung an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags, dass es sich bei der Lieferung um "Technologie für Satteltiefladerfertigung" der Ulmer Firma Kamag handelt. Dem Schreiben zufolge sollen die Bauteile aus Ulm nach Frankreich geliefert werden – "mit Endverbleib der hergestellten Güter in Saudi-Arabien". Damit fällt die Lieferung unter eine der Ausnahmen, die bei der Rüstungsstoppverlängerung erlassen wurden. Diese erlaubt die Lieferung von Rüstungsgütern, die von deutschen Firmen zusammen mit Unternehmen aus anderen EU-Staaten hergestellt werden.

Die Ausnahme wurde auf Drängen von Frankreich und Großbritannien erlassen. Deutschland hatte den kompletten Exportstopp für Saudi-Arabien Mitte November nach der Tötung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul verhängt.   

Der geheim tagende Bundessicherheitsrat, dem auch Kanzlerin Angela Merkel angehört, erteilte dem Schreiben zufolge in seiner jüngsten Sitzung insgesamt neun Liefergenehmigungen an sechs Länder – darunter Algerien, Indonesien, Katar und Singapur.

Es soll auch drei Exportgenehmigungen für die Vereinigten Arabischen Emirate geben. Der Golfstaat ist wie Saudi-Arabien aktiv am Jemen-Krieg beteiligt. Für solche Länder hatten Union und SPD bereits in ihrem Koalitionsvertrag im März 2018 einen teilweisen Exportstopp verhängt, aber eine Hintertür für bereits genehmigte Geschäfte offengelassen. 

Die Linke reagierte empört auf die Entscheidungen des Sicherheitsrats. "Offensichtlich geht es der Bundesregierung nicht schnell genug mit neuen Rüstungslieferungen an die Jemen-Kriegsallianz", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sevim Dağdelen. Dies sei "ein Verstoß gegen geltendes europäisches Recht".


Aus: "Jemen-Krieg: Bundessicherheitsrat genehmigt Rüstungsexport nach Saudi-Arabien" (12. April 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/jemen-saudi-arabien-ruestungsgueter-waffenlieferung-bundessicherheitsrat

Quote
J_Lababidi #2

Ein erschütternden Beispiel, wie sich unsere Bundesregierung die Realität hinbiegt, wie es gerade passt.
Aber es geht ja nicht gegen Russland, sondern unsere Musterdemokratie am Golf. Und im Jemen-Krieg werden natürlich auch nur die richtigen gekillt.
Ich schäme mich für unser Land.


QuoteSlowenendeutscher #2.4

Für unser Land schämen ? Das nennt man die hoch gepriesene Globalisierung. Frankreich und England wollten keinen Stopp aus finanziellen Gründen. Also macht Deutschland mit.Schließlich sind wir ja ein geeintens Europa. Ein Hoch auf die europäischen Werte.


QuoteGrüüüüüüüüüüüüüüün #2.5

Wieso schämen Sie sich für ein gutes Beispiel europäischer Zusammenarbeit?
DAS ist EU. DAS ist Globalisierung.
Leute wie Sie müssen endlich mit dieser Rosinenpickerei aufhören.


QuoteCompatito #2.22

Heute Morgen habe ich im Fernsehn einen Spendenaufruf von deutschen Hilfsorganisationen für die Hungernden im Jemen gesehen. Das muss man sich mal vorstellen: Der Jemen wird mit deutschen Rüstungsprodukten zerbombt und die Bevölkerung wird ausgehungert! Die deutsche Rüstungsindustrie macht damit hunderte von Millionen Euro Gewinn und der dumme deutsche Michel soll mit seinem Spenden dafür grade stehen! Unglaublich!


Quotejoachim #3

Das ist eine weitere moralische Bankrotterklärung der westlichen Demokratien. Frankreich war ja sowieso schon nicht bereit, dem Verhalten des dortigen Despoten die nötigen Konsequenzen folgen zu lassen, und auch meine kanadische Regierung glänzt nur mit grossen Worten, hat aber die geplanten Waffenlieferungen immer noch nicht abgesagt. Nur ab und an wenn der öffentliche Aufschrei zu laut wird, spricht man von Überprüfung der Genehmigung, aber offensichtlich ohne die geringste Absicht, wirklich etwas tun zu wollen wenn Profite auf dem Spiel stehen. Bei diesem ständigen Zynismus braucht sich niemand zu wundern, wenn mehr und mehr Bürger den Glauben die Demokratie verlieren.


Quotekarlmitdembart #3.6

Vielleicht geht es in der Weltpolitik gar nicht um Moral. Das wäre doch eine naheliegende Schlussfolgerung.


QuoteAsgardel #4.1

Vor allem wundern sie sich dann über Politikverdrossenheit. ...


QuoteFrau Frühling #6

Sehr schade, Die Menschen im Jemen scheinen da nicht so wichtig zu sein, zu mindestens nicht so wichtig das man auf Umsatz verzichten kann.
Sollten dann irgendwann eine Million Flüchtlinge aus dem Jemen vor der Tür stehen hat man wieder nicht's gewusst.


Quote
dark_knight #6.1

Wie sollen die denn nach Europa kommen?
An dem Krieg können europäische Staaten nur gewinnen. Die moralisch flexible Bundesregierung wäre schön doof da nicht mitzumachen.


QuoteWucht in Tüten #8

Meiner Meinung nach sind Rüstungsexporte Beihilfe zum Mord. Ein entsetzliches Beispiel deutscher Gier auf Kosten von Menschenleben.


Quote
Mike -Stgt- #9

"Eigentlich gilt ein Lieferungsstopp"

Eigentlich gelten auch Menschenrechte, aber wenn es ums Geld geht, dann halt nicht. ...


Textaris(txt*bot)

#59
Quote[...] Das Grundgesetz ist die hellste Verfassung, die je auf deutschem Boden ersonnen wurde. Sie ist nicht nur eine Verfassung wie aus dem Lehrbuch einer freiheitlichen Demokratie; sie ist auch ein Lehrbuch über die deutsche Geschichte und ihre Lektionen. Wer zweifelt, dass Völker aus ihrer Vergangenheit lernen können, sollte sich die Protokolle der Beratungen auf Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat ansehen. Das Grundgesetz ist, von den Werten, für die es steht und die es schützt, bis zu den Regeln, die es für die Organe des Staates aufstellt, eine Antithese zur Herrschaft des Bösen in den Jahren 1933 bis 1945. Mit Blick auf die Erfahrungen in der Weimarer Republik und auf den Zivilisationsbruch der Nazi-Barbarei schufen die Väter und Mütter des Grundgesetzes eine Grundordnung für das Zusammenleben der Deutschen, die, was eine gute Verfassung ausmacht, überzeitliche Qualität hat. Selbst dieses Manifest konnte die Zukunft nicht vorhersehen. Das Internet etwa mit seinen Chancen und Gefahren kann in einer siebzig Jahre alten Verfassung noch nicht vorkommen. Das Rüstzeug für die – in pluralistischen Demokratien ,,ewige" – Debatte über das Verhältnis von Persönlichkeitsrecht, der Meinungsfreiheit und deren Grenzen ließ sich aber auch schon zu analogen Zeiten aus dem Grundrechtskatalog entwickeln.

Nicht allein auf diesem Spannungsfeld erweist sich das Grundgesetz als eine Verfassung der Ausgewogenheit, der Balance und der Güterabwägung. In ihrem Zentrum steht das Individuum mit seiner unantastbaren Menschenwürde – aber nicht das Recht auf schrankenlosen Egoismus.

...


Aus: "70 Jahre Grundgesetz : Eine zeitlose Verfassung" Ein Kommentar von Berthold Kohler (23.05.2019)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/70-jahre-grundgesetz-eine-zeitlose-verfassung-16201310.html

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Quote... Das Grundgesetz legt die wichtigsten Rechte des Einzelnen im Verhältnis zum Staat fest und organisiert das staatliche Handeln. Die Gleichheit aller vor dem Gesetz gehört zu den wichtigsten Grundrechten und ist in  Artikel 3 des Grundgesetzes festgeschrieben. Ob Mann oder Frau, Kind oder Erwachsener, Menschen mit oder ohne Behinderung - das spielt keine Rolle. Auch Herkunft, Abstammung, Sprache, Religion und politische Weltanschauung haben keinen Einfluss auf die Rechte oder Pflichten der Menschen in Deutschland.

Das ist in den Grundrechten ( Artikel 1 bis 19) festgelegt. Allen voran steht die Würde des Menschen ( Artikel 1). Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. ...


Aus: "Was regelt das Grundgesetz? " (Stand: 2019)
Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/was-regelt-die-verfassung-1590242

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Quote[...] Das Grundgesetz gilt als einer der größten Glücksfälle, der den Deutschen je passiert ist. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es der neuen Bundesrepublik Halt gegeben. Seit 1990 gilt es für alle Deutschen. Es mahnt ständig, den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt allen staatlichen Denkens und Handelns zu stellen. ...


Aus: "Eine Verfassung feiert Geburtstag" Christoph Hasselbach (22.05.2019)
Quelle: https://www.dw.com/de/eine-verfassung-feiert-geburtstag/g-48624525

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Quote[...] Vor zehn Jahren war die Aufgabe, zum 60. Verfassungsgeburtstag einen Artikel zu schreiben, noch eine vergleichsweise geradlinige Angelegenheit: hier war das Grundgesetz, Gegenstand unseres mustergültig demokratischen und liberalen Verfassungspatriotismus, aus Niederlage, Teilung und Besatzungsherrschaft einst geboren, dann zur vielbewunderten und -kopierten gesamtdeutschen Vollverfassung herangediehen. Mit dem vereinten Europa als Fluchtpunkt seiner Geschichte am Horizont.

All seinen Feinden, Kommunisten wie Nazis, hat es widerstanden als wehrhafte Demokratie, die aus dem Schicksal der Weimarer Vorgängerin gelernt hat, sich zu verteidigen und gleichwohl sich selber treu zu bleiben. Das gab Anlass zur Hoffnung, dass ihr dasselbe auch gegen den islamistischen Terror gelingen wird. Daraus, so schien es im Jahr 2009, ließ sich eine straffe Verfassungserzählung spinnen, die ihre Spannung aus dem klaren Unterschied bezog zwischen dem zu Verteidigenden und dem, wogegen es verteidigt wird: das Grundgesetz im Spannungsfeld der Abwehr seiner Feinde.

Zehn Jahre später, zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes, kann man diese Geschichte so nicht mehr erzählen. Nicht nur, weil die Erzählung vom Grundgesetz als Vollendung deutscher Einheit und Wegweiser europäischer Einigung durch Pegida und Eurokrise stark an Evidenz verloren hat. Es sind die Spannungspole, die nicht mehr funktionieren.

Das Grundgesetz – im Gegensatz wozu? Vor zehn Jahren gab es die NPD und die Neonazi-Kameradschaften, die als geschworene Feinde von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten ein plausibles Außen abgaben zu dem zu verteidigenden Innen des Grundgesetzes. Heute ist die NPD nur deshalb überhaupt noch da, weil sie dem Bundesverfassungsgericht 2017 für ein Parteiverbot zu unbedeutend erschien. Stattdessen sammelt sich das rechte Spektrum in der AfD. Und die kennzeichnet, dass sie bei aller Verbalradikalität gegenüber dem ,,System" über das Grundgesetz kaum jemals anders als in den höchsten Tönen der Affirmation redet.

Die AfD verfassungsfeindlich? Oh, nichts weniger als das. Sie schwingt sich, im Bunde mit konservativen Staatsrechtslehrern, zur Verteidigerin der bundesdeutschen Verfassungsidentität gegen europapolitische Entstaatlichung und flüchtlingspolitischen ,,Rechtsbruch" auf. Sie inszeniert sich als Streiterin für Pluralismus und Meinungsfreiheit wider den angeblichen Tugendterror links-liberaler Gesinnungseliten und für ,,Aufklärung" und die Emanzipation von Frauen und Homosexuellen, wenn es gegen den Islam geht. Wo immer ihnen die Verteidiger des Grundgesetzes mit dem Versuch einer Feindbestimmung entgegentreten wollen, so hat es den Anschein, schallt es wie in dem Märchen vom Hasen und dem Igel: Ick bün all dor!

Das hat Methode. Eine autoritäre Herrschaft errichtet man heutzutage nicht mehr durch Staatsstreich und bewaffneten Umsturz, durch Auflösung des Parlaments und Verhaftung politischer Gegner. Nicht die Beseitigung der demokratischen Verfassung und ihrer Institutionen ist im 21. Jahrhundert das Ziel autoritärer Parteien und Bewegungen, sondern sie sich zu Diensten zu machen. Viktor Orbán in Ungarn und Jaroslaw Kaczynski in Polen haben vorgemacht, wie das geht. Beide haben unterschiedlich elegant, aber gleichermaßen erfolgreich dafür gesorgt, dass die Verfassung ihnen bei der Absicherung ihres Machtanspruchs nicht mehr groß in die Quere kommen kann und sich dafür umso mehr als Abwehrinstrument gegen völker- und europarechtliche Rechtspflichten nützlich macht.

Die Schlüsselrolle dabei spielt jeweils das Verfassungsgericht: Das haben sich Orbán und Kaczynski aus gutem Grund jeweils zuallererst vorgeknöpft. So brauchen sie nicht nur keinen verfassungsgerichtlichen Widerstand mehr zu befürchten, sondern haben obendrein einen Trumpf in der Hand, wenn die europäischen Gerichte in Luxemburg und Straßburg ihnen Schwierigkeiten bereiten: Dann erklärt das gehorsame Verfassungsgericht flugs, dass die Einmischung aus Europa gegen die eigene Verfassungsidentität verstößt. Das kann sehr praktisch sein im Konflikt mit EU und Europarat.

Mit Feinderklärungen und ,,wehrhafter Demokratie" richtet man gegen diese Art der Verfassungskorrosion von innen nichts aus. Im Gegenteil, wer sich aus berechtigter Sorge um die Verfassung der Versuchung hingibt, den Einsatzbereich des grundgesetzlichen Waffenarsenals vom Extrem- und Ausnahmefall in den politischen Normalbetrieb hinein auszuweiten, der besorgt das Geschäft der Autoritären, ohne dass diese selbst noch einen Finger krumm zu machen brauchen. Um den politischen Normalbetrieb abzusichern, bedient sich die Verfassung anderer Mittel, die mit Wehrhaftigkeit, Verboten und anderen autoritären Maßnahmen nichts zu tun haben – allen voran der Unterscheidung zwischen einfachem und verfassungsänderndem Gesetzgeber.

Wer am Grundgesetz etwas ändern will, braucht eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Eine Wahl zu gewinnen und eine Mehrheit im Parlament hinter sich zu versammeln, reicht dafür aus, zum Kanzler gewählt zu werden, eine Regierung zu bilden und Gesetze verabschieden, ändern und aufheben zu können, kurz: um Macht auszuüben. Aber um die grundlegenden Regeln zu verändern, nach denen die Macht erworben wird, also die Verfassung – dazu reichen Wahlsieg und Mehrheit nicht. Dafür muss die Opposition mit ins Boot, die im Wettstreit um die Mehrheit unterlegene, gerade nicht zur Machtausübung legitimierte Minderheit. Deshalb Zweidrittelmehrheit.

Diese Unterscheidung zwischen der Macht durch die Verfassung und der Macht über die Verfassung – sie ist es, die in Polen und in Ungarn nicht mehr funktioniert. Orbán wie Kaczynski nehmen für sich auf Basis ihrer jeweiligen Wahlsiege die Macht auch über die Verfassung in Anspruch. Orbán verschafft sie sich durch ein groteskes Wahlsystem, das ihm die entsprechende Mehrheit der Stimmen im Parlament beschert. Und Kaczynski erreicht es dadurch, dass er das Land in einer dauerhaften Verfassungskrise hält und einfach Fakten schafft. In beiden Ländern leistet die Verfassung nicht mehr, was eine Verfassung leisten muss, nämlich den politischen Normalbetrieb von Auseinandersetzungen um die Regeln des legitimen Machterwerbs frei zu halten. So wird der Machterwerb zu einer Frage des Machtbesitzes. Ergo autoritär.

Für das Grundgesetz in Zeiten der AfD, um auf unser Problem mit der Verfassungserzählung zurückzukommen, heißt das Folgendes: Wer sich um die Verfassung im achten Jahrzehnt ihres Bestehens Sorgen macht, dem bleibt nicht bloß die Wahl zwischen ,,wehrhaftem" Verfassungsautoritarismus auf der einen und dem gerührten Psalmodieren von Grundrechtsartikeln auf der anderen Seite, um die von der AfD verkörperte Gefahr zu bannen. Es gibt etwas zu tun.

Die Absicherung des politischen Normalbetriebes, die das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit leistet, reicht, soweit es um den Buchstaben des Grundgesetzes selber geht. Die Regeln, nach denen im System der Bundesrepublik politische Macht erworben, verteilt und kontrolliert wird, sind aber keineswegs alle im Grundgesetz selber verankert. Das Wahlrecht, das Parteienrecht, das Parlamentsrecht, das ganze Gestänge und Getriebe des Verfassungsrechts, ist in einfachen Bundesgesetzen niederlegt. Und die kann eine einfache Parlamentsmehrheit jedenfalls formell ohne viel Federlesens zu ihren Gunsten ändern, vielfach sogar ohne die Zustimmung des Bundesrats zu benötigen.

Materiell würde sicherlich das Bundesverfassungsgericht darauf aufpassen, dass sich hier niemand einen unfairen politischen Vorteil verschafft. Aber damit kommen wir zum kritischen Punkt, und der ist das Bundesverfassungsgericht selbst. Eine Bundestagsmehrheit, die sich Orbán und Kaczynski zum Vorbild nimmt, würde nicht lange brauchen, um zu merken, welch weitreichende Möglichkeiten das Grundgesetz ihr zugesteht, das Bundesverfassungsgericht nach allen Regeln der Kunst lahm zu legen. Und zwar ohne am Grundgesetz selbst auch nur einen Buchstaben verändern zu müssen.

Im Grundgesetz selbst ist geregelt, dass es das Bundesverfassungsgericht gibt und wofür, dass seine Richterinnen und Richter je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden und dass ein Teil von ihnen vom Bundesgerichtshof, vom Bundesverwaltungsgericht und den anderen obersten Fachgerichten kommen muss. Alles andere aber, insbesondere ,,Verfassung und Verfahren" des Bundesverfassungsgerichts (Artikel 94 Absatz 2 Grundgesetz), steht nicht in der Verfassung selbst, sondern in einem regulären Bundesgesetz. Das eine einfache Mehrheit im Bundestag ändern kann.

Bislang steht in diesem Gesetz, dass die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts in Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen. Damit ist dafür gesorgt, dass die Regierungsmehrheit nicht immer nur getreue Gefolgsleute nach Karlsruhe schickt, damit die dort dafür sorgen, dass das Gericht ihr bei der Umsetzung ihres Programms nicht in die Quere kommt. Nichts würde dieselbe Regierungsmehrheit aber daran hindern, das Gesetz zu ändern und dieses Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit kurzerhand abzuschaffen.

Damit hätte sie noch nicht gleich das Verfassungsgericht unter ihrer Kontrolle: Bis genügend Posten in den beiden Senaten frei werden, dass sich die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten drehen, würden womöglich Jahre vergehen. Da könnte sie aber nachhelfen: Sie könnte die Zahl der Richterposten in den Senaten erhöhen, von acht auf zwölf etwa. Sie könnte auch einen dritten Senat schaffen und komplett selbst besetzen. Sie könnte diesem dritten Senat alle politisch kritischen Verfahren zuschieben.

Wem dieses Szenario zu weit geht: Sie könnte sich auch damit begnügen, für so genannte ,,normverwerfende" Urteile – also solche, die Gesetze für verfassungswidrig erklären – im Senat eine Zweidrittelmehrheit zu verlangen. Diese Forderung wurde aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag immer wieder mal erhoben. Dann würde schon eine regierungshörige Sperrminorität von drei Richtern pro Senat genügen, um das Verfassungsgericht effektiv zu neutralisieren.

Mein Petitum ist nicht, Verfahren und Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts künftig bis ins letzte Detail im Grundgesetz selbst zu regeln, um sie einer hypothetischen autoritären Parlamentsmehrheit zu entziehen. Mit der Erwartung, jede noch so entfernte Missbrauchsmöglichkeit abzudecken und zu verhindern, wäre jede noch so klug konzipierte Verfassung überfordert. Kein konstitutionelles Regelwerk wird jemals so raffiniert und ausbalanciert und vollständig sein, dass es ohne ein Minimum an vorgefundener politischer Kultur der Fairness auskäme.

Mein Petitum ist vielmehr, den Regelbestand des deutschen Verfassungsrechts kritisch daraufhin zu überprüfen, ob es den politischen Normalbetrieb hinreichend schützt. Ein Beispiel, wo mir dies evident nicht der Fall zu sein scheint, ist das Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Das sind Lücken in der Absicherung des politischen Normalbetriebs, die wir uns nicht leisten können. Nicht mehr, seit die AfD die politische Bühne betreten hat.

In den ersten sieben Jahrzehnten des Grundgesetzes gab es wenig Anlass, sich über solche Dinge allzu sehr den Kopf zu zerbrechen. Das hat sich geändert. Es ist nicht mehr der Verfassungsfeind, der uns Sorgen bereiten sollte. Es ist der Normalbetrieb, der unsicher geworden ist. Um ihn müssen wir uns kümmern. Das scheint mir die dem achten Jahrzehnt des Grundgesetzes angemessene Verfassungserzählung zu sein. Für eine vitale bürgerschaftliche Verfassungskultur wäre das ohnehin nicht das Schlechteste.


Aus: "70 Jahre Grundgesetz: In unsicherer Verfassung" Maximilian Steinbeis (22.05.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/70-jahre-grundgesetz-das-grundgesetz-in-zeiten-von-afd-und-co-/24357768-2.html

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Quote[...] Der besondere Wert des Grundgesetzes von 1949 liegt darin, dass es den Menschen, seine Würde und seine Freiheiten in den Mittelpunkt stellt und für eine offene Staatlichkeit eintritt. Obgleich die Wiederherstellung der deutschen Einheit in den Jahren der Teilung oberster Auftrag blieb und alles staatliche Handeln auf dieses Ziel ausgerichtet sein musste, erlaubte das Grundgesetz die politische und militärische Westbindung. Es ermöglichte der Bonner Republik, Hoheitsrechte zu übertragen und der EU beizutreten. Denn gemäß der Grundgesetzpräambel von 1949 war die Bundesrepublik verpflichtet, "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen".

Hoch anzurechnen ist es den Vätern und Müttern des Grundgesetzes ebenso, dass sie keine unerfüllbaren sozialen Versprechungen machten und die Verfassung darum bislang im Großen und Ganzen hielt, was sie verkündet. Das Grundgesetz schuf Vertrauen, das war und bleibt ein großer Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung von 1919 und zu vielen modernen Verfassungen der vergangenen Jahrzehnte.

Im Vergleich zur neuen südafrikanischen Verfassung von 1996 zum Beispiel, bei deren Ausarbeitung mehrere deutsche Staatsrechtslehrer Pate standen und die hierzulande manche Neider fand, fallen die Verheißungen des Grundgesetzes geradezu sparsam aus. Die Liste der südafrikanischen Ankündigungen ist lang und reicht vom Recht auf ein Dach über dem Kopf über faire Arbeitsverhältnisse und medizinische Versorgung bis zum Recht auf Bildung, auf Nahrung und auf Zugang zu Wasser und Elektrizität. Gleichwohl ist Südafrika ein knappes Vierteljahrhundert später immer noch ein Land, in dem ein gewaltiges Ausmaß an Ungleichheit herrscht. Die Verfassung hat daran so gut wie nichts geändert.

Auch hierzulande – wenngleich nicht im Entferntesten vergleichbar mit den Verhältnissen in Südafrika – wächst die soziale Kluft. Die Kinderarmut steigt, immer mehr Familien kommen mit ihrem Gehalt nicht über die Runden, und in großen Städten herrscht ein dramatischer Mangel an bezahlbaren Wohnungen.

"Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen", sagt das Grundgesetz. Und in der derzeitigen Debatte über den Wohnungsmangel wird auch die von der Verfassung ausdrücklich gewährte Möglichkeit der Enteignung "zum Wohle der Allgemeinheit" wiederentdeckt. Doch hat das Grundgesetz selbst nie den Anschein erweckt, als könne es sämtliche sozialen Ungerechtigkeiten rechtlich verbindlich und zur Zufriedenheit aller beheben.

Mit seinen zurückhaltenden Formulierungen hat es so von Anbeginn einer Verfassungsenttäuschung und damit auch einer Demokratieenttäuschung vorgebeugt. "Eine Verfassung muss verlässlich sein", sagt der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Dieter Grimm, "sie sollte niemals Ansprüche wecken, die sie nicht einlösen kann, sonst nimmt das Vertrauen in sie und den Staat Schaden."

Andererseits ist das Grundgesetz nicht starr, sondern hat sich sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen immer wieder geöffnet und angepasst – nicht zuletzt dank seines obersten Interpreten, des Bundesverfassungsgerichts. Das hohe Ansehen und die Zeitgemäßheit der deutschen Verfassung sind auch das Ergebnis der oft ebenso umsichtigen wie weitsichtigen Rechtsprechung der 16 Karlsruher Richterinnen und Richter.

Die etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika unter vornehmlich konservativen Juristen weitverbreitete Meinung, ein Gericht müsse sich streng an den ursprünglichen Wortlaut der Verfassung halten und dürfe nichts in die Normen hineinlesen, was dort nicht schwarz auf weiß stehe und nicht der Intention der einstigen Verfassungsgeber entspreche, findet hierzulande kaum Anhänger.

Wäre diese als "Originalismus" bezeichnete Rechtsauffassung Richtschnur, hätte Karlsruhe im Streit um die Volkszählung 1983 niemals aus dem im Grundgesetz verbürgten Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde ein Grundrecht auf Datenschutz herauslesen dürfen, wonach der Einzelne prinzipiell selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmt. Denn als das Grundgesetz 1949 geschrieben wurde, hatte niemand auch nur den leisesten Schimmer von den Möglichkeiten und Folgen elektronischer Datenverarbeitung.

Dieses vom Verfassungsgericht entwickelte und etwas sperrig benannte "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" hält auch der ehemalige Karlsruher Verfassungsrichter Udo Di Fabio, ein eher konservativer juristischer Vordenker, für eine "bahnbrechende Errungenschaft". Wie die überwältigende Mehrheit deutscher Juristen sieht er im Grundgesetz ein "living instrument", ein für zeitgemäße Deutungen und Korrekturen offenes Dokument. "Eine Verfassung und deren Interpretation", sagt Di Fabio, "sind, ohne dass sie beliebig und wetterwendisch werden dürfen, immer ein bisschen Kind ihrer Zeit."

So lässt sich, wenn aus heutiger Sicht auch kaum noch nachvollziehbar, erklären, warum das Bundesverfassungsgericht 1957 unter Berufung auf den damaligen Stand der herrschenden wissenschaftlichen Forschung die Strafbarkeit von Homosexualität unter erwachsenen Männern für verfassungskonform hielt. Gerade die sich fundamental verändernden gesellschaftlichen Einstellungen zur Sexualmoral, zum Schwangerschaftsabbruch und zur Definition von Ehe und Familie blieben nicht ohne Einfluss auf die Rechtsprechung.

Aber nicht nur die Deutung der Verfassung, sondern auch Veränderungen des Verfassungstextes selbst sind meist Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels. 1986 noch lehnte eine Mehrheit der Abgeordneten eine Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz ab, acht Jahre später wurde er als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen. Die Auswirkungen des Klimawandels waren inzwischen zu offensichtlich. 2002 folgte der Tierschutz als Staatsziel, eine Folge der heftigen Kontroverse über die ausufernden Tierversuche und das religiös begründete Schächten, das betäubungslose Schlachten von Tieren. Verändert hat sich dadurch wenig, denn Staatsziele sind keine einklagbaren Grundrechte, sondern nur Richtschnüre für das staatliche Handeln.

Das Grundgesetz hat die Hürden für eine Ergänzung hoch gelegt, aber nicht so hoch, dass die Verfassung völlig unbeweglich wurde. Etwa siebzig Mal hat der Gesetzgeber in den vergangenen siebzig Jahren mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit eine Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Die meisten Korrekturen betrafen den Föderalismus, das komplizierte Geflecht zwischen dem Bund und den inzwischen 16 Bundesländern, und erregten kaum öffentliches Aufsehen. Einige jedoch griffen in die Freiheitsrechte der Bürger ein oder rüttelten am gesellschaftlichen und politischen Selbstverständnis der Deutschen und waren darum heftig umkämpft.

So galt es 1949 vielen als völlig ausgeschlossen, dass die Deutschen nach der Nazi-Zeit und den von ihnen angerichteten Verheerungen im Zweiten Weltkrieg jemals wieder über eine eigene Armee verfügen oder Vorschriften über einen nationalen Notstand erlassen würden. Darum war der Protest auch besonders groß, als Bundestag und Bundesrat Mitte der Fünfzigerjahre mit großer Mehrheit die Wiederbewaffnung beschlossen und ins Grundgesetz schrieben: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Oder als 1968 die sogenannten Notstandsgesetze beschlossen wurden. Sie erlauben, "zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" die Bundeswehr im Innern einzusetzen und das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis der Bürger einzuschränken.

Beide Änderungen des Grundgesetzes erfolgten zwar auch auf Druck der westlichen Besatzungsmächte, weil die Bundesrepublik sonst nie die volle staatliche Souveränität erhalten hätte. Dennoch waren diese Eingriffe für viele Westdeutsche ein Dammbruch und ein Verrat am Friedensversprechen der Verfassungspräambel. Wütend und enttäuscht zogen Zehntausende zum Bonner Bundestag, Gewerkschaften riefen zum Boykott auf, Studenten besetzten Hörsäle und gründeten die Außerparlamentarische Opposition.

Ebenso groß war der Widerstand, als Bundestag und Bundesrat im Mai 1993 das Grundrecht auf Asyl entkernten und praktisch abschafften. Demonstranten blockierten die Wege ins Bonner Regierungsviertel, etliche Abgeordnete mussten mit Hubschraubern und Booten zur Abstimmung gebracht werden. Und als 1998 per Grundgesetzänderung der Polizei erlaubt wurde, private Wohnräume nicht nur wie bisher zur Abwehr einer schweren Gefahr heimlich zu verwanzen, sondern auch, um Straftäter im Nachhinein dingfest zu machen, trat die Justizministerin aus Protest gegen diesen sogenannten Großen Lauschangriff zurück. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wollte nicht Notarin einer weiteren Aufweichung des in der Verfassung garantierten Schutzes der privaten Wohnung sein.

Doch der "Notstand Demokratie", wie die Gegner der Notstandsgesetze plakatiert hatten, trat nicht ein. Zum einen weil die Verfassungsänderungen weniger einschneidend waren als befürchtet. Die Gesetze für den Notstand etwa kamen bislang kein einziges Mal zur Anwendung, nicht einmal in den Jahren der terroristischen Bedrohung durch die Rote Armee Fraktion. Und Flüchtlinge haben dank europäischer und internationaler Verträge nach wie vor einen einklagbaren Schutzanspruch und nehmen diesen auch, wie die vergangenen Jahre zeigten, hunderttausendfach in Anspruch. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht die Freiheitseingriffe wie etwa beim Großen Lauschangriff immer wieder deutlich entschärft.

Gleichwohl haben einige Änderungen dem Grundgesetz und dem Verfassungsverständnis durchaus Schaden zugefügt. Eigentlich sollten sie das Grundgesetz der Gegenwart und neuen Herausforderungen anpassen, erreicht aber haben sie paradoxerweise oft das Gegenteil: weniger Flexibilität und geringere Wandlungsfähigkeit.

Der Abschnitt über das Finanzwesen liest sich inzwischen so, als hätten die Autoren mit einem Rechenschieber danebengestanden. Bis ins letzte Detail wurde in den vergangenen Jahrzehnten ins Grundgesetz geschrieben, welche Steuern und Abgaben der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben erheben darf und wie die Einnahmen zwischen dem Bund und den Ländern genau verteilt werden müssen. Das Grundgesetz gleicht auf diesen vielen Seiten eher einem Steuergesetzbuch als einer Verfassung.

Knapp und verständlich hieß es einst im Grundgesetz: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Natürlich galt dieses Recht nicht uneingeschränkt, sondern war an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Diese wurden jedoch nicht im Grundgesetz aufgezählt, sondern standen in den einfachen Gesetzen wie zum Beispiel dem Asylgesetz.

1993 jedoch fügte der Gesetzgeber vier Absätze in die Verfassung ein, in denen er festschrieb, wann dieses Grundrecht auf Asyl nicht oder bloß eingeschränkt gilt: etwa wenn ein Flüchtling aus einem anderen EU-Staat oder aus einem sogenannten sicheren Drittstaat einreist oder wenn er aus einem als sicher eingestuften Herkunftsstaat stammt. Die vielen Einschränkungen machen den ursprünglich sehr schlanken Text vierzigmal so lang.

Ein ähnliches Schicksal erlitt das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Der einst schlichte Artikel wurde mit der Einführung des Großen Lauschangriffs endlos aufgebläht und hat inzwischen den Umfang und die Detailversessenheit einer Strafprozessordnung. Immer häufiger wird auch der Wunsch geäußert, das vom Verfassungsgericht geschaffene Grundrecht auf Datenschutz ausdrücklich in die Verfassung zu schreiben und darin genaue Regeln für E-Mails, Homepages und Cloudspeicher aufzunehmen.

Zu Recht ist Bundesjustizministerin Katarina Barley, SPD, dagegen. Sie findet, dass die vom Karlsruher Gericht entwickelten Grundsätze auch im Zeitalter der Digitalisierung ausreichen. Eine Verfassung, sagt sie, sollte nur den Rahmen stecken, sich mit allgemeinverständlichen Programmsätzen begnügen und keine Einzelheiten regeln. "Je spezieller ein Grundrecht auf Datenschutz, desto schneller wird es von einer technologischen Entwicklung überholt, die wir heute noch gar nicht kennen." Der Text des Grundgesetzes sei "schön", sagt Barley, deshalb habe sie mit solchen bandwurmartigen Verfassungskorrekturen auch "ein ästhetisches Problem".

Weit mehr noch als ein ästhetisches zeigt sich darin ein Demokratieproblem. Denn je umfangreicher und detaillierter die Verfassung, desto enger werden die Spielräume für die Politik und die Interpretationsmöglichkeiten für die Gerichte.

Der Sinn einer Verfassung besteht ja gerade darin, dass die darin enthaltenen Grundsätze, wenn nicht für die Ewigkeit, so doch für eine gewisse Dauer festgezurrt sind und nicht mit einer einfachen parlamentarischen Mehrheit verändert werden können. Das heißt umgekehrt: Damit die Demokratie nicht erstarrt, also ein Mehrheitswechsel zu einem Richtungswechsel und zu politischem Wandel führen kann, darf der Verfassungsrahmen nicht zu eng gezimmert werden. Er muss genügend Raum für neue einfache Mehrheitsentscheidungen lassen.

In der Neigung des Gesetzgebers, so viel wie möglich im Grundgesetz selbst festzuschreiben, offenbart sich ein tiefes Misstrauen gegenüber dem politischen Gegner und dem demokratischen Prozess. Das ist nicht gut. Die Demokratie braucht das Grundgesetz, aber zu viel Grundgesetz schadet ihr auch.


Aus: "Grundgesetz: Siebzig Jahre Streit" Martin Klingst (22. Mai 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/2019/22/grundgesetz-jubilaeum-70-jahre-bundesrepublik-geschichte/komplettansicht

QuoteEinFriese #1

"In der Neigung des Gesetzgebers, so viel wie möglich im Grundgesetz selbst festzuschreiben, offenbart sich ein tiefes Misstrauen gegenüber dem politischen Gegner und dem demokratischen Prozess. Das ist nicht gut."

Darin offenbart sich eher das Verbot der sogenannten "dritten Ebene", also Recht, das über den einfachen Gesetzen, aber unterhalb des Grundgesetzes steht.
Wenn also Regelungen derart festgeschrieben werden sollen, dass sie einen Regierungswechsel überstehen, dann gibt es dafür nur das Grundgesetz als Platz.
Bei einem Regierungswechsel ist man dann selbst der politische Gegner, man traut sich also auch selbst nicht.


Quoteatlantik #1.1

Ein gewisses Misstrauen gegenüber der politischen Fähigkeiten der Deutschen ist durchaus angebracht.


...

Textaris(txt*bot)

#60
Quote[...] Deutschland, 70 Jahre nach der letzten Kriegsepoche. Die Klimakatastrophe dräut am Horizont, während die Regierung mit kleinen, zumeist nur rhetorischen Korrekturen den Status quo zu erhalten sucht. Eine bleierne Zeit, über die die Wissenden später einmal sagen werden: Uns haben zu wenige geglaubt, bevor sie selbst zu leiden begannen. In diese Zeit fällt der Hilfeschrei eines freien Denkers – doch das System schlägt mit voller Härte zurück.

So weit der Klappentext eines dystopischen Romans, wie ihn die Gegenwart gerade zu schreiben scheint. Der Stoff ist perfekt. Da ist der Einzelne, der YouTuber Rezo, der sich mit einem dringlichen Anliegen https://youtu.be/4Y1lZQsyuSQ ('Die Zerstörung der CDU', 18.05.2019) über einen allen zugänglichen Kanal Gehör verschafft. Und da ist ein staatstragender Apparat, da ist die CDU, die alle Kritik diskreditiert, verschleppt, verhöhnt, verschweigt und aussitzt.

Die Frage ist nur: Wessen Unglück beschreibt diese Dystopie? Wird unser Held und Videobotschafter ein Opfer sein? Oder doch eher die Partei, die gerade gegen ihn in die Schlacht zieht wie ein letztes Ritterheer, das im Pfeilhagel einer moderneren Kriegstechnik untergeht? Oder geht sogar ein ganzes System unter? Unser System, dessen 70. Geburtstag wir gerade gefeiert haben?

Um diese letzte Frage einigermaßen beantworten zu können, müssen wir leider die spezifische Komik ausblenden, die im Clash "YouTuber versus CDU" liegt. Natürlich ist das alles lustig anzusehen: wie hüftsteife Christdemokraten die Pfade der tausendfach abgestimmten Kommunikation verlassen müssen und daran grandios scheitern; wie sie täppisch versuchen, in einer medialen Auseinandersetzung zu bestehen, die sie nicht gewinnen können, den Wirrwarr um das mögliche Antwortvideo eines etwas altväterlichen 26-Jährigen eingeschlossen.

Aber das Problem ist gar nicht die CDU, sie hat es grad nur. SPD, Grüne, Linke, FDP – manche wären vielleicht eher chaotisch als autoritär, sie alle würden aber genauso scheitern. Das Rezo-Video offenbart ein grundsätzliches Problem der parlamentarischen Demokratie im digitalen Zeitalter. Es offenbart die Unmöglichkeit, dem millionenfach vergrößerten Charisma des Einzelnen aus einer Partei heraus etwas entgegenzusetzen, das zugleich als repräsentativ für diese Partei wahrgenommen wird und Augenhöhe mit dem Individuum herstellt.

Was soll eine Partei in so einer Lage machen? Welche Optionen bleiben ihr denn, außer ein paar quadratische Statements, ein unglückliches Gesprächsangebot und ein skurriles Fakten-PDF?

Erste Möglichkeit: Lieber gar nicht reden, als Unsinn reden. Würde als Arroganz missverstanden.
Zweite Möglichkeit: Die eigene Politik sehr weitgehend infrage stellen. Geht nicht ohne Parteitagsbeschluss.
Dritte Möglichkeit: Sich das smarte Statement eines den Strukturen enthobenen Altmeisters nachträglich zu eigen machen. Ließe die jetzige Führung noch älter aussehen.

Es gäbe gewiss noch viel mehr gut gemeinte Ratschläge. Aber der neuen Macht des Einzelnen in den digitalen Hypezyklen würden auch sie nicht gerecht. Gegen die Einzelnen kann hierzulande langfristig keine demokratische Partei bestehen – so demokratisch diese Einzelnen, im Einzelnen, auch gesinnt sein mögen. Zu groß, zu träge, zu verantwortlich.

Selbst wer Rezos Aussagen wichtig und richtig findet, mag den gesellschaftlichen Zustand, den sein Video sichtbar macht, daher als bedrohlich einschätzen. Denn die nächstliegende systemimmanente Antwort darauf ist überaus gefährlich: Populistische Parteien mit frei agierenden Führerfiguren würden einem solchen Angriff natürlich viel leichter widerstehen. Sie könnten ein Ich gegen das Ich setzen, den Konflikt frei eskalieren lassen – und dann mal gucken, wer am Ende mehr Leute hinter sich versammelt. Man überlege sich gut, ob man diese Form demokratischer Öffentlichkeit wirklich will.

Dystopien sind nun immer überzeichnete Versionen einer Zukunft, auf welche die Realität viel langsamer zumäandert, als sie uns zunächst erzählen. Und vielleicht wird ja auch alles gut! Vielleicht erkennen sich bald doch wieder alle Wählerinnen im Parteiensystem wieder, vielleicht sehen alle Autofahrer und Vielfliegerinnen ein, dass es ökologisch so nicht weitergeht, vielleicht erlebt auch die digitale Demokratie ein überraschendes Comeback auf großer Ebene und löst über direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten alle Legitimitätsprobleme.

Dystopien sind zugleich aber auch viel mehr Gegenwart, als uns ihre Beschwörung der Apokalypse glauben lässt. Rezos Video mag eine Episode bleiben, und noch einige Wahlen mögen für die CDU glimpflich ins Land gehen, obwohl sie Klimapolitik eher mit schönen Worten als mit harten politischen Maßnahmen betreibt. Die Frage wird dann aber sein, als wie demokratietreu sich diejenigen erweisen, die in der Klimapolitik die größte Dringlichkeit sehen. Sind alle bereit, angesichts der wachsenden ökologischen Bedrohungen das Zaudern und Abwägen demokratischer Parteien weiter zu ertragen – und die damit verbundene Form der entseelten Kommunikation? Oder wird eine kritische Masse ein hartes Durchgreifen fordern?

Zusätzlich zu anderen, ohnehin demokratiefeindlich gesinnten Strömungen könnten sie die zweite deutsche Republik ernsthaft – für ein höheres Ziel – infrage stellen. "Die Zerstörung der CDU" heißt Rezos Video, dessen Legitimität im demokratischen Diskurs hier überhaupt nicht zur Debatte steht. Die hilflosen Reaktionen werfen aber die größere Frage auf, was zuerst kaputtgeht, die Umwelt oder die Parteiendemokratie.



Aus: "Rezo: Nicht nur die CDU wird zerstört" Ein Kommentar von Johannes Schneider (24. Mai 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2019-05/rezo-video-youtuber-cdu-reaktionen-demokratie

Quoteikonist #1

Reaktion der CDU

ab 500 000 Klicks: wer pubst da rum
ab 1 000 000 Klicks: wir beobachten mal diesen Bullshit
ab 3 000 000 Klicks: wird Zeit, ihm zum Friseur zu schicken
ab 5 000 000 Klicks: wir lassen uns nicht von so einen Diletantten an den Pranger stellen
ab 7 000 000 Klicks: mea culpa


QuoteMaximus Decimus Meridius #11

Hat der Autor denn die Dimension erfasst?
Die Dystopie betrifft doch die Medien, die die Diskrepanz zwischen Realität und Wünschenswertem erst ermöglichen wenn sie über Jahre nicht die kritischen Fragen stellen, die dieser Rezo nun gestellt hat.
Die Medien sind die Vermittlungsinstanz zwischen Politik und Bevölkerung und wenn sich derartige Abgründe zwischen Narrativ und tatsächlichem Handeln auftun, dann trägt eine Vermittlungsinstanz, die privaten Interessen folgt anstatt ihren professionellen Überblick dazu zu nutzen propagierten Anspruch der politischen Akteure auch tatsächlich einzufordern eine gehörige Menge an Verantwortung dafür.


Quotekarl-m #11.1

Bester Kommentar dazu. Das Video hält den Medien den Spiegel vor, sie haben es versäumt die Folgen dieser Politik darzustellen.

Konkretes Beispiel:
https://youtu.be/XaWE8K2nRVs

Da muss ein niederländischer Journalist nach Berlin fahren um die naheliegendste Frage zu stellen. Und so kann es weitergehen.

und so geht es weiter
https://youtu.be/STqv600KN3k


Quote
rock_kid_2012 #1.1

Die Zeit ist zu spät

"Angriff auf die CDU
Nein zur CDU, nein zur SPD - 70 Youtuber stellen sich hinter Rezo"

Das wird ein spannender Wahlsonntag.
https://www.sueddeutsche.de/politik/rezo-video-youtuber-1.4462172


QuoteChecker112 #1.4

Das sind die Wähler von morgen die man heute vergrault hat.


Quotematius2 #1.8

Interessant ist auch , dass die AFDnahen Botnetzwerke nicht mehr ninterherkommen.
Bestens


QuoteZahirae #1.14

Prächtig.
Und essenzlos , dieser Artikel hier.
Da wird gejammert über "Es offenbart die Unmöglichkeit, dem millionenfach vergrößerten Charisma des Einzelnen aus einer Partei heraus etwas entgegenzusetzen, das zugleich als repräsentativ für diese Partei wahrgenommen wird und Augenhöhe mit dem Individuum herstellt."
Kann das wahr sein?
Die beiden Volksparteien hatten ihre Chancen und sie haben sie alle mit Nichtigkeiten verdaddelt.
Es sind die Jungen, auch hier wieder, die aufstehen (und in diesem Falle des zweiten Videos garantiert bedrohlich viele mit genommen haben und klar gehen da jetzt welche zur Wahl und wählen nicht die 2 obsoleten Parteien und schon gar nicht die alternativen Deppen.). ...


QuoteTurna #1.21

Hab das Rezo-Nachfolge-Video gerade geguckt.

Wow, super Aktion von den jungen Leuten. Genau richtig.
Und sie haben absolut Recht.*
https://youtu.be/Xpg84NjCr9c

*Nein, das ist kein Schreibfehler.


QuoteJunger liberal-konservativer Katholik #3

Der Klimawandel ist menschlicher Abstammung, aber es gibt auch andere Probleme. Ich verstehe nicht, weshalb man seine Wahlentscheidung größtenteils von diesem Thema abhängig macht.


Quote
WinterIsLeaving #3.1

Als junger liberal-konservativer Katholik würde mir das auch schwer fallen.


QuoteM. Hauber #3.6

Ganz einfach: Wenn der Klimawandel so voranschreitet wie bisher, werden die Probleme, die durch den Klimawandel erzeugt werden, die anderen Probleme (die übrigens schon auch gelöst werden müssen) bei weitem in den Schatten stellen.


QuoteBubi59 #3.87

Vielleicht weil das für junge Menschen in ein paar Jahrzehnten ein existentielles Problem sein wird? Dann hilft auch kein gutbezahlter Job in der Wirtschaft mehr.


Quotekemal_acaröz #24

+++ Eine staatstragende Partei scheitert am Versuch, angemessen auf die Vorwürfe des YouTubers Rezo zu reagieren. +++

Tja die Zeiten sind vorbei, in denen Parteien, Medien, Unternehmen, oder Institutionen die Deutungshoheit über das eigene Image kontrollieren konnten. Das ist Kontrollverlust und Demokratisierung zugleich.

Unternehmen wissen das längst und haben ihre Social Media Abteiilungen aufgestockt, um in solchen Fällen professionell darauf reagieren zu können. Krisenmanagement.Bei der CDU wirkt das eben ziemlich hilflos. Mangelndes Kommunikationshandwerk.

Dieser Machtverlust schmeckt eben manchen nicht. Medienvertretern auch nicht, wie man lesen kann. Ist aber auch irrelevant, der Zug ist abgefahren.


QuoteBitte freundlich bleiben #24.1

Nein, ist er leider nicht.
Die Plattformen kann man immer noch kontrollieren und das Internet funktioniert leider relativ zentralistisch (siehe China).


Quotestuhlkreis #25

Es geht um den Konflikt Jung gegen Alt.

Ein weiser Mensch pflanzt Bäume in deren Schatten er niemals sitzen wird.
Dagegen stehen kurzfristige Interessen, egal ob Machtpolitischer oder Monetärer Art.
Es reibt sich, bis es knallt.

Ein großes Problem der Politiker besteht meines Erachtens darin, dass sie es nicht gewohnt sind, mit einem Gegenüber zu verhandeln bei dem sie keine Kontrolle über die Verhandlungsmasse haben. Es geht weder um politischer Ämter noch um persönliche Bereicherung durch die man den Gegenüber auf Linie bringen könnte.
Deshalb kann durch so ein Diskurs auch keine endgültige konstruktive Lösung entstehen.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, was in den Köpfen einiger Politiker vor sich geht:
Wie viel müssen wir den Protestlern zugestehen damit sie Ruhe geben? / Wie behalte ich möglichst viele von meinen persönlichen Vorteilen.
Es geht nur noch um Machterhalt.

Traurig.


QuoteStefanMo #30

Ich halte das Rezo-Video für ein Glücksmoment der Demokratie. Es zeigt nämlich, dass es neben den Parteien eine Option der demokratischen Teilhabe gibt.
Bisher führten Parteien gegenüber dem Volk endlose Monologe und das Wahlvolk soll alles so machen wie es die Parteien wünschen. Wird nun das Handeln von Parteien durch die Bevölkerung infrage gestellt, dann zeugt das von einem demokratischen Bewußtsein in der Bevölkerung und das ist toll. Gleichzeitig hat das Handeln der Union in der Sache Rezo aufgezeigt, dass die Union von der Struktur her undemokratisch, dialogunfähig und oft sogar antidemokratisch ist. Ähnliches kann man auch den anderen Parteien feststellen. Ich sage das immer so, trifft die Politik auf Wirklichkeit, dann ist die Politik vollkommen irritiert.
Oftmals sind sowohl die Medien, die Politik aber auch die Wissenschaft vollkommen verwirrt, wenn sie feststellen, dass es politische Teilhabe jenseits der Parteien gibt. Deshalb ist der Versuch der Parteien Menschen, die sich anderweitig engagieren, oftmals zum Scheitern verurteilt.
Wie gesagt das Rezo-Video ist für mich eine Sternstunde der Demokratie und kommt zum siebzigjährigen Jubiläum des GG gerade zur richtigen Zeit. ...


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Alexander Goerlach fordert in seinem Gastkommentar ein Überdenken der überkommenen Gesellschaftsstrukturen.

... Die Demokratie ist in der Krise, überall auf der Welt. Das klingt verstörend, wird aber besser verdaulich, wenn man genauer hinschaut und feststellt, dass die Gründe dafür überall, mit nationalen Nuancierungen, dieselben sind. Denn das bedeutet, dass es nur einem Land gelingen muss, die Demokratie zu renovieren, und die gesamte freie Welt ist wieder auf dem goldenen Pfad, den sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschritten hat. Was ist nun dieser Grund? Die Demokratien, in denen wir leben, garantieren die Menschenrechte, kodifizieren sie in einer Verfassung und errichten auf ihr die staatliche Gemeinschaft. Jede Bürgerin hat auf dieser Grundlage Rechte: das Wahlrecht, das Recht auf schulische Ausbildung, das Recht auf Gesundheitsversorgung. Diese beiden Rechtegattungen, Bürgerrechte und soziale Rechte, sind miteinander verwoben, wie der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf herausgestellt hat. Denn was bringt einem Menschen das Wahlrecht, wenn er nichts zu essen hat? Das Versprechen der Demokratie ist daher Freiheit und Teilhabe zugleich. In den demokratischen Gesellschaften driften diese beiden seit nunmehr einem Vierteljahrhundert auseinander: Das Haushaltseinkommen stagniert, wohingegen das Bruttoinlandsprodukt steigt. Das heißt, dass es der Wirtschaft gut und besser geht, davon aber nichts bei den Menschen ankommt. Die Frustration, die daraus keimt, nennt der Stanford-Professor Francis Fukuyama "Indignation", Entwürdigung. Der Mensch spürt, dass nicht mehr er im Mittelpunkt steht. Und das, obwohl er doch der Souverän der Demokratie ist.

Im Mittelpunkt stehen heute, in der digitalen Ökonomie, die Daten. Geschäftsmodelle beruhen auf ihnen, der Mensch ist nur noch der Beschaffer dieser Daten. Er ist somit nicht mehr Adressat der Wirtschaft, sondern ein Objekt. Hinzu tritt, dass der Prozess der Automatisierung die Arbeitswelt verändert und zusammen mit dem zuerst genannten ein Gefühl der Machtlosigkeit, der Entwürdigung bei den Bürgern erzeugt. Dieses Gefühl wächst sich zur Angst aus und entlädt sich in Zorn. Das ist die Stunde der Populisten, für die es eine Kleinigkeit ist, diesen Zorn zum Ressentiment zu machen: ein Ressentiment gegen das Neue, gegen die Veränderung, gegen Flüchtlinge, gegen "die da oben".

Alvin Toffler hat bereits vor einem halben Jahrhundert in seinem Buch Der Zukunftsschock geschrieben, dass es Zeiten gibt, in denen der Fortschritt so schnell geht, dass selbst die Eliten nicht mehr hinterherkämen, ihn zu verstehen und zu erklären. Niemand gibt gern zu, dass er etwas nicht weiß, und so macht sich auch hier, in dem Teil der Gesellschaft, dem sich die besser Gebildeten gern zurechnen, das Ressentiment breit. In diese Situation hinein postulieren die Populisten, dass die Menschen angeblich genug von Fakten und Experten hätten. Da selbst Ärzten misstraut wird, brechen heute wieder die Masern aus, weil in dieser Gemengelage noch nicht einmal mehr Einigkeit über die Sinnhaftigkeit von Impfungen hergestellt werden kann.

Verstärkt wurde dieser Prozess massiv durch die Finanzkrise des Jahres 2008. Diese Krise wird von den Betroffenen vor allem als eine moralische verstanden: Wieso werden die Banken gerettet, nicht aber die hunderttausenden Hausbesitzer, die von ihnen hinters Licht geführt wurden? Wieso werden Renten und Sozialleistungen gekürzt, aber keiner der Verantwortlichen dafür wandert ins Gefängnis? Barack Obama hat unzählige neue Jobs geschaffen nach der Krise. Das hat die Amerikaner aber nicht überzeugt, denn sie wollten neben den Jobs auch Fairness und Gerechtigkeit.

Ein neuer Gesellschaftsvertrag muss genau dem Rechnung tragen. Es geht um Fairness, Transparenz, Gerechtigkeit – und in der Folge Umverteilung. In der klassischen Arithmetik im linken Spektrum war die Umverteilung der Kern des Gerechten. Heute geht es zuerst einmal um ein faires System, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und auf Grundlage dessen eine Verteilung der Güter, die von einer Gesellschaft erwirtschaftet werden, erlangt wird. James Fishkin, ebenfalls ein Stanford-Professor, hat das in seinen Versuchen zur "deliberativen Demokratie" nachgewiesen: Wenn heterogene Gemeinschaften eine Entscheidung zu treffen haben, kommt es darauf an, dass alle Interessengruppen fair vertreten und repräsentiert sind. Dann, so Fishkin, sind alle Beteiligten bereit, einen Konsens zu finden, auch wenn dieser Konsens einen Ausgleich und somit ein Weniger für den einen oder die andere bedeuten mag.

Das funktioniert aber nur in einem ressentimentfreien Umfeld. Und deshalb verwundert es überhaupt nicht, dass die Populisten, die sich gern "starke Männer" nennen, nichts hinbekommen, wenn es darum geht, Gesellschaft aufzubauen und Politik zu gestalten. Sie nutzen das Ressentiment, um Gruppen gegeneinander aufzuwiegeln, sodass diese beschäftigt sind und das mangelhafte Nichtregierungsverhalten nicht bemerken.

Das Heilmittel hier ist das Gegenteil des Vorurteils: die Empathie. Empathie bedeutet, dass man sich rational und emotional in den anderen hineinversetzt, um so ein Problem, eine Fragestellung von allen Seiten zu beleuchten und einer Antwort zuzuführen. Der neue Gesellschaftsvertrag muss hier ansetzen: auf Grundlage der Empathie auszuloten, was fair und gerecht ist. So werden soziale und Bürgerrechte wieder zusammengeführt, und die Demokratie wird gerettet. Es geht nicht um Daten, sondern um Menschen. Es geht nicht um künstliche Intelligenz, sondern um wirkliche, echte Menschen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Honorarprofessor für Ethik. Er gibt "Conditio Humana" heraus, ein Magazin zu Technologie, künstlicher Intelligenz und Ethik. Sein Buch "Homo Empathicus. Von Sündenböcken, Populisten und der Rettung der Demokratie" ist eben bei Herder erschienen.



Aus: "Für einen neuen Gesellschaftsvertrag" Alexander Görlach (2. Juni 2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000104226949/Fuer-einen-neuen-Gesellschaftsvertrag

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Als Hannes Androsch 1981, auf dem Höhepunkt des Consultatio-Skandals, ein Praterlokal betrat, gaben ihm die Gäste, größtenteils Arbeiter, stehende Ovationen. Seine Unschuld war damals noch nicht bewiesen, andernfalls sie wohl nicht applaudiert hätten. Plebejer, die sich keine andere Welt als die verkehrte vorstellen können, mögen den Gauner oder Lottogewinner lieber als den Idealisten, der den Kuchen gerecht verteilen will. Erstere könnte man ja selber sein, und wie sie würde man nichts abgeben davon.

Wer meint, Ibiza-Gate diskreditiere Strache und Spießgesellen, hat bereits bei den EU-Wahlen letzten Sonntag den Beginn einer Kette blauer Wunder erleben können. Wer so denkt, liegt einem größeren Selbstbetrug auf als die FPÖ-Wähler, die nach linker Lesart noch immer verirrte Schäfchen seien, welche in der Verzweiflung darüber, von der Sozialdemokratie rechts liegengelassen worden zu sein, den Rechten in die Arme gelaufen seien.

Alsbald würden sie einsehen, dass die FPÖler keine Sozialisten für unsere Leut' sind, sondern Steigbügelhalter westlichen und östlichen Kapitals. So sieht ein linker Selbstbetrug aus, der liberale aber im Glauben, die rechtsstaatlichen Institutionen seien heilige Tempel, vor denen das Volk erschaudert.

Dem politisch verwaisten FPÖ-Fan haben sich auf Ibiza Ocean Eleven-hafte, coole Jungs dargeboten, die wild und gefährlich leben, auf Augenhöhe mit verhängnisvoll schönen russischen Oligarchinnen pokern und sich stellvertretend für ihn den Anteil am Kuchen, von dem man ihn fernhält, nehmen.

Und zwar mit den Methoden des Gangsterfilms, mit dem man sozialisiert wurde und der weitaus spannender ist als das Streberspiel namens parlamentarische Demokratie. Zum Leidwesen poststrukturalistischer Politologen hat das Ibiza-Video zudem enthüllt, wie primitiv und simpel die Spiele der Macht ablaufen, bei denen es dann doch zugeht wie bei Bertolt Brecht oder im Mobster-Movie: Zack, zack, zack, wer zahlt, schafft an, Glock, Glock, Glock, Kohle her, Redaktionen stürmen, Staat übernehmen, liberaler Konkurrenzunternehmer, missliebiger Journalist – ihr seid so was von tot.

Der Ethnologe und Psychoanalytiker Mario Erdheim hat die Funktionabilität von Soldaten in der institutionellen Verlängerung ihrer Adoleszenz erkannt, im Stoppen ihres Reifungsprozesses, ihrer Individuation.

Dieser Corpsgeist der ihren Offizieren oder "Leibfüchsen" ergebenen großen Jungs überträgt sich – mit allen homoerotischen Implikationen – auf die rechte Bewegung, als Sammelbecken für Männer, die nicht mehr erwachsen werden können.

Rechtes Ressentiment war zunächst der Reaktionsmodus des unteren Mittelstands, der sich schon von politischer Reflexion abgehängt hatte, bevor er sich einbildete, auch sozial abgehängt zu werden. Es übertrug sich wie ein schleichendes Gift auf das Gros der werktätigen Massen.

Diese Menschen, denen man mit einem mannigfaltigen Unterhaltungs- und Freizeitangebot die Fähigkeit ausgetrieben hatte, ihre politischen Rechte wahrzunehmen, zu erkämpfen oder zu verteidigen, nahmen die politische Welt nur noch so wahr wie ihre Vorabendserien, Talkshows und Computerspiele: individualisierend, psychologisierend und durch die Emotionen, welche die sogenannten Kandidaten bei ihnen auslösten.

Diese wiederum designten das politische Spiel den Konsumentenwünschen entgegen. Und inszenierten den rebellischen Bruch mit einer völlig richtig als falsch empfundenen, aber falsch gedeuteten Welt.

Wenn die Rechtswähler etwas verstehen, dann, dass sie von der alten liberalen Ordnung nichts mehr zu erwarten haben – sie spüren den postdemokratischen Schein der riesigen Umverteilungsmaschinerie, richten ihre Aggression aber nicht auf die Lüge der Vernünftigkeit dieser Ordnung, sondern auf die Vernunft selbst: die richtige Grammatik, die Menschenrechte, den Rechtsstaat, die Humanität.

Rechte Agitation ist der ständig in den Startlöchern scharrende Zivilisationsbruch, der die kollektive Enthemmung, kollektiven Sadismus mit der Erzählung von Law and Order und alten emotionalen und territorialen Rechten legitimieren soll.

Die Rechtschreibfehler auf FPÖ-Plakaten, eine beliebte Lachnummer fürs Bildungsbürgertum, waren dessen bewusst gesetzte Provokation, sie sagten nichts als: Diese Sprache gehört uns, und wir werden mit ihr machen, was wir wollen, und so wie der Orthografie wird es euch und euren ausländischen Freunden auch ergehen.

Rechte Bewegungen waren stets nicht nur Magnete und Sammelbecken für Kriminelle, Kriminalität ist ihr Bodensatz und Teil ihres Wesens. Sie sind für alle, die sich halb fühlen in der Welt, das Angebot, über die Halbwelt gesellschaftliche Ohnmacht in Macht weißzuwaschen. Wenn das falsche Ganze schon nicht begriffen wird, muss es in Trümmer geschlagen werden, damit die Halbwelt dessen Platz einnehmen kann.

Der Polizist mit einem Bein im Dealer- und Rotlichtmilieu, Schieber, Psychopathen, Fremdenlegionäre, Provinzspekulanten, Heimatschützer ... die rechte Bewegung ist die Bewegungszone, wo schwere Jungs sich in angesehene Bürger und langweilige bürgerliche Leichtgewichte sich in schwere Jungs verwandeln dürfen.

Die Dreieinigkeit von Warlord, Plünderer und Raubtierunternehmer, der als nationalpopulistischer Commandante oder Cavaliere ins Parlament einzieht, um dieses zu unterwandern, ist das permanente Ideal der vaterlosen Buberlpartien. Daher die Begeisterung für den serbischen Nationalismus.

All das vereint die Ikonografie auf dem Cover von Straches Propagandabiografie mit dem bezeichnenden Titel Vom Rebell zum Staatsmann, worauf er posiert als – Staatsmann, Rapper und Soldat, der eindeutig Assoziationen mit der Fremdenlegion und Fallschirmeinsätzen wecken will.

Dieser Wandel will sich als Bruch verkaufen, vom faschistischen Rabauken zum würdigen Patrioten. Doch Volksnähe und Nation, Ehre und Anstand sind bloß die Etiketten, an denen das Rudel untereinander sich als tiefverwurzelte Dazugehörige erkennt, wenn es in der permanenten Bartholomäusnacht darum gehen wird, Flachwurzler und fremdes Kraut zu jäten.

"Wien darf nicht Chicago werden", dekretierte einst jene Partei, die wie keine andere dafür steht, das zivilisatorische Niveau jenes demokratisch abgesicherten, subtileren Gangstertums, das die Enteignung der Massen zugunsten von Konzernen und Banken managt, auf das von Chicago 1927 und vielmehr Moskau 1993 zu senken.

Wie östliche Oligarchen nach ihren Gangsterkriegen um die postsowjetische Verschubmasse als Feudalherren, Nationalfaschisten und richtige Kerle und "richtig schoafe Weiber" posieren, fungiert als das große romantisierte Vorbild der kleinen Jungs, die mit ihren Glocks und ersehnten Mehrheiten an einflussreichen Zeitungen spielen.

Richtige FPÖ-Wähler schrecken Kriminalität und Peinlichkeit nicht ab. Darum haben sie die Partei ja gewählt. Sie wählten ihre eigene Peinlichkeit an die Macht, eine Peinlichkeit, mit der sie sich identifizieren können, um den Preis, sich das letzte Hemd ausziehen zu lassen, und den Deal, dass wenigstens Migranten sich nicht einmal ihrer Haut sicher sein dürfen.

Und wenn sie sich von ihren chronisch adoleszenten Über-Ichs vorübergehend abwenden, dann nicht aus staatsbürgerlicher Einsicht, sondern weil andere Über-Ichs, z. B. Kronen Zeitung und Kurz, sich in dieser Universum-Folge einstweilen durchgesetzt haben.

Kein Grund, sich ihnen überlegen zu fühlen. Denn die kognitive Verzerrung in der politischen Wahrnehmung geht durch alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten. Das merkt man vor allem am Wunschdenken, die liberalen Besitzstandwahrer des Kapitals gäben ein zivilisatorisches Bollwerk gegen die rechten Horden ab. Sie sind es, welche die sozialen Flurschäden verantworten, die nun von der braunen Suppe geflutet werden.



Aus: "Die Freiheitlichen: Kleinspurganoven und ihr großes Ding" Essay Richard Schuberth (1.6.2019)
Quelle: https://derstandard.at/2000104117573/Kleinspurganoven-und-ihr-grosses-Ding

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submarino

Gute Analyse. Leider.


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plainberg

wie hat es einmal geheissen, die fpö ist die partei der anständigen und tüchtigen


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Wolfxxi

Dieser Artikel bedient die Vorstellungen der Menschen, meist Maturanten und Akademiker, welche weit weg von den Problemen der breiten Masse ihr Leben genießen dürfen.
Mit den wahren Gefühlen und Überlegungen der angesprochenen Wähler hat dies kaum zu tun.
Quasi gutmenschliche Kundenbindungsstrategie damit der Teil der Wählerschaft welcher auf den "einfachen" FPÖ Wähler herabsieht bestätigt wird.
Für mich eine Art intellektuelle Variante eines Rattengedichtes.


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Cicero22

"Der Ethnologe und Psychoanalytiker Mario Erdheim hat die Funktionabilität von Soldaten in der institutionellen Verlängerung ihrer Adoleszenz erkannt, im Stoppen ihres Reifungsprozesses, ihrer Individuation. Dieser Corpsgeist der ihren Offizieren oder "Leibfüchsen" ergebenen großen Jungs überträgt sich – mit allen homoerotischen Implikationen – auf die rechte Bewegung, als Sammelbecken für Männer, die nicht mehr erwachsen werden können."

Interessant. Ich habe mir auch schon überlegt, weshalb der 43-jährige Gudenus oder der 50-jährige Strache sich in dem Video kaum von meinem 13 jährigen Sohn unterscheiden. Das Ganze wirkt wirklich stark pubertär und die Protagonisten als extrem unreif. Wie halbstarke Jungs mit Entwicklungsverzögerung.


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Joseph Yossarian

Rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ wurden immer als merkwürdige Allianz von Täuschern und Getäuschten gesehen. Der Essay nimmt diese These auseinander und zeigt auf, dass der Getäuschte eigentlich davon träumt zu den Täuschern zu gehören. Ibiza als Wichsvorlage. Macht Sinn.


QuoteAruanda

Apropos kriminelle Energie: Wie stehts mit der Aufklärung der strafrechtswidrigen Auspioniererei und Veröffentlichung? In anderen Ländern weiss man offenbar schon einiges ("Russische Oligarchenichte" ist bosnische Studentin). In Österreich wird offen
bar nicht sonderlicher Wert auf die Aufklärung gelegt, man ist mehr dabei, die Ausspionierten medial zu erledigen. ...


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mir wird schlecht

den vorfall als spionage zu bezeichnen, bestätigt nur die obige zusammenfassung!


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Hey Hey, My My

Selbst Sonderschüler verstehen, dass sich die beiden "Helden" selbst erledigt haben. Die Nichte ist ziemlich irrelvant.

Aber anderer Frage: Habe gerade einen interessanten Essay gelesen und möchte die Probe aufs Exempel machen: Schlägt dein kleinkriminelles Herz nicht höher, wenn zwei du..e Kleinkriminelle von anderen Kleinkriminellen übers Ohr gehauen werden?


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Gerichtlich beeideter Deutschprofessor

Das ist eben die Infantilisierung der Politik.
Findet schon seit Jahrzehnten statt. Haider war einer der ersten, die erkannt haben, dass es sinnlos ist, die Wähler als Erwachsene anzusprechen und zu behandeln. Wer das erwartet, findet heute in Österreich praktisch keine Partei und keinen Politiker mehr, die ihm wählbar erscheinen.


Quote
mowox

Berlusconi - Syndrom
ich will auch so ein Gauner sein der die Puppen tanzen lässt .....


Quote
hotzenplotz1

Schon als Berlusconi Anfang 1990-er zum ersten Mal kandidierte, lobten ihn viele Italiener nicht trotz - sondern wegen - seiner Mafia-Kontakte.


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madeingermany

Die FPÖ macht mit ihren Wählern das, was Zuhälter mit Prostituierten machen: das Angstmachen-Beschützer-Spielchen. ...


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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Colin Crouch (* 1944 in London-Isleworth) ist ein britischer Politikwissenschaftler und Soziologe. Mit seiner zeitdiagnostischen Arbeit zur Postdemokratie und dem gleichnamigen Buch wurde er international bekannt. ... 2004 veröffentlichte Crouch das Werk Post-Democracy, 2008 auf Deutsch unter dem Titel Postdemokratie. Unter einem idealtypischen postdemokratischen politischen System versteht er ,,ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden. Es sind Wahlen, die sogar dazu führen können, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten." Zur Beruhigung der Massen werde eine Scheindemokratie als Showveranstaltung inszeniert. Crouch warf im Jahr 2008 der Politik des Neoliberalismus vor: ,,Je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zuläßt, daß diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn – mehr oder minder unbemerkt – zu einem Selbstbedienungsladen machen. In der Unfähigkeit, dies zu erkennen, liegt die fundamentale Naivität des neoliberalen Denkens."

...


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Colin_Crouch (5. Juni 2019)

Quote[...] Mit viel Geld lässt sich leicht Politik machen, die Zivilgesellschaft bleibt außen vor. In den USA ist das Problem allgegenwärtig, breitet sich aber auch in Europa aus.

Immer mehr Menschen stellen die Annahme infrage, Kapitalismus und Demokratie seien beste Freunde. Für diese berechtigte Skepsis gibt es zwei Hauptgründe: Erstens ist der moderne Kapitalismus ein globales Phänomen, während die Demokratie vor allem auf nationaler und lokaler Ebene stattfindet. Zweitens wird der moderne Kapitalismus von der Finanzwelt gelenkt, was zu einer wachsenden Ungleichheit führt. Größere Ungleichheit wiederum gefährdet die Demokratie.

Es steht also außer Frage, dass die Globalisierung für die Demokratie ein Problem darstellt. Die Weltwirtschaft wird entweder gar nicht oder von internationalen Organisationen reguliert, die gegenüber den Organen der Demokratie nur bedingt rechenschaftspflichtig sind. Außerdem können transnationale Firmen die Autorität der nationalen Demokratie allein schon dadurch untergraben, dass sie nur in Länder investieren, deren Wirtschaftspolitik ihnen gefällt. Das manifestiert sich am deutlichsten in den weltweit sinkenden Einnahmen aus Unternehmenssteuern, da die Staaten sich gegenseitig darin übertreffen wollen, die großzügigsten Steuergesetze zu bieten. Die Folge: Die Steuerlast wird auf den einzelnen Bürger abgewälzt und für staatliche Leistungen stehen weniger Ressourcen zur Verfügung.

Die Staaten könnten dieser Entwicklung natürlich entgegenwirken, indem sie sich der Herausforderung gemeinsam stellen. Meist ist die Versuchung jedoch zu groß, das Land mit den großzügigsten Bedingungen für internationale Konzerne zu werden. Die Europäische Union ist hier zumindest teilweise eine Ausnahme. Ihr Parlament ist das weltweit einzige Beispiel für eine transnationale Demokratie. Doch sein Einfluss ist schwach.

Die europäische Demokratie sieht sich zwei feindlichen Kräften gegenüber: der Beeinflussung der Europäischen Kommission und der einzelnen Mitgliedsstaaten durch Konzerne auf einer Ebene, die für das Parlament nicht zugänglich ist, und den Bemühungen xenophober Populisten, die Macht weg von der EU und zurück zu den Nationalstaaten zu bringen. Da die meisten Populisten in der politischen Rechten angesiedelt sind, interessiert es sie nicht, ob die Nationalstaaten gegen die Macht der Konzerne verlieren.

Grundsätzlich spielt sich Demokratie auf zwei Ebenen ab: auf der formellen Ebene der Wahlen und Parlamente und auf der informellen Ebene, auf der die Lobbyisten Druck auf die Zivilgesellschaft ausüben. Auf der ersten Ebene sind wir sehr darauf bedacht, für Gerechtigkeit zu sorgen. Jeder hat eine Stimme, egal, ob arm oder reich.

Für informelle Politik bestehen wenige Einschränkungen, und genau das ist die Grundlage für ihr Gedeihen und für unsere Freiheit. Wir können jederzeit auf vielfältige Weise Druck ausüben, um den Staat davon zu überzeugen, diese oder jene Politik zu verfolgen, solange wir nicht Korruption oder Gewalt einsetzen. Ob wir jedoch diesen Druck überhaupt ausüben können, hängt von den Ressourcen ab, über die wir verfügen. Daher begünstigt informelle Politik die Reichen und verstößt so gegen den Grundsatz der Gleichheit – einem Grundpfeiler der Demokratie.

Diese Disbalance spielt keine große Rolle, wenn die Ungleichheit in einem Land begrenzt ist oder wenn der Einfluss, der in einem Politikbereich ausgeübt wird, nicht ohne Weiteres auf einen anderen übertragen werden kann.

In den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war das weitgehend der Fall. Seither hat die Ungleichheit jedoch kontinuierlich zugenommen – nicht so sehr in der Mehrheit der Bevölkerung, sondern eher zwischen der kleinen Gruppe der Superreichen und allen anderen. Man muss schon sehr reich sein, um politischen Einfluss ausüben zu können, und diese kleine Gruppe, die vielleicht 0,1 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist genau in dieser Position. Ein solches Ausmaß an Ungleichheit herrscht vor allem in den USA, breitet sich aber derzeit nach Europa aus.

Der wichtigste Motor der Ungleichheit ist die Finanzialisierung der Weltwirtschaft. Was ist damit gemeint? Wer finanzielle Ressourcen besitzt und manipulieren kann, generiert Erträge, die mit keiner anderen Form menschlicher Aktivität jemals erzielt werden können. Wurde der Reichtum erst einmal erworben, kann eine Einzelperson oder ein Konzern einen Teil davon für politische Lobbyarbeit einsetzen und so staatliche Maßnahmen – wie Steuerpolitik, gesetzliche Veränderungen und Staatsaufträge – beeinflussen. Sie ermöglichen es dem Vermögensinhaber, in Zukunft noch mehr zu verdienen. Die zunehmende Ungleichheit und die Schwächung der Demokratie befinden sich so eng umklammert in einer verhängnisvollen Abwärtsspirale.

Doch eine weitere Spirale zeigt in die Gegenrichtung. Der moderne Kapitalismus ist abhängig vom Massenkonsum. Dieser wiederum hängt davon ab, dass die Einkommen der Bevölkerung in der Breite wachsen.

Im Jahr 2014 wurde in einem Arbeitspapier der Industrieländerorganistion OECD zur Beschäftigung und Migration errechnet, dass in den USA die obersten ein Prozent der Einkommensbezieher zwischen 1975 und 2007 (dem Jahr vor der Finanzkrise) fast 50 Prozent des Wachstums des Nationaleinkommens auf sich vereinten. Eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verzeichnete dagegen stagnierende ober sogar rückläufige Einkommen. Trotzdem wurde weiter konsumiert. Dies war nur mithilfe einer wachsenden Verschuldung möglich, die trotz aller Risiken von einem Finanzsystem gefördert wurde, das durch die Lobbyarbeit der Banken dereguliert worden ist. Schließlich wurde die Belastung durch die hohen Ausfallrisiken zu viel für die Finanzmärkte. Es kam zu der Krise, von der wir uns immer noch nicht vollständig erholt haben.

Es stellt sich nun die Frage: Gibt es für einen vom Massenkonsum abhängigen Kapitalismus, der zunehmend Ungleichheit generiert, keinen anderen Weg, als die Haushalte erneut zu einer nicht tragbaren Schuldenlast zu ermuntern? Zum jetzigen Zeitpunkt scheint die Demokratie nicht imstande, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Klar ist: Der globale Kapitalismus kann nur auf transnationaler Ebene gezügelt werden. Unsere politischen Parteien scheinen jedoch gespalten zwischen denen, die sich den Lobbyisten geschlagen gegeben haben und nicht an Regulierung glauben, und solchen, die sich in die begrenzte Reichweite des Nationalismus zurückziehen wollen.

Der Kapitalismus behindert so den Wirkungsgrad der Demokratie. Dennoch haben die Kapitalisten keinen Grund, mit dieser Regierungsform unzufrieden zu sein. Die Demokratie sichert Rechtsstaatlichkeit und gibt eindeutig vor, mit welchen Verfahren Gesetze geändert werden können und wie für eine vorgeschlagene Veränderung Lobbyarbeit betrieben werden kann. Dies ist für Kapitalisten attraktiv.

Auf der anderen Seite kann eine Demokratie aber auch massenweise Vorschriften zum Schutz von nicht marktbezogenen, nicht unternehmerischen Interessen produzieren. Das bevorzugte Regime der Kapitalisten ist deshalb in Wahrheit das postdemokratische, wenn alle Formen der Demokratie und allen voran der Rechtsstaat weiter fortbestehen, das Elektorat jedoch passiv geworden ist und lediglich auf die sorgfältig betriebenen Wahlkampagnen reagiert.

Aktivismus und eine dynamische Zivilgesellschaft sind dabei nicht erwünscht, da sie dann störende Kontra-Lobbys hervorbringen könnte, die mit dem stillen Wirken der wirtschaftlichen Lobbyisten auf den Fluren der Regierung konkurrieren. Das Wiederaufflammen des Nationalismus stört zwar auch diese friedliche Szenerie, da sie sich jedoch auf die eigene Nation konzentriert, spielt sie auf der globalen Ebene kaum eine Rolle. Sie liegt einfach außerhalb ihres Einflussbereichs.

Bislang sind wir noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem die Dominanz der Konzerne über die Politik vollkommen ist, denn dann wären alle Verbraucherschutz- und Arbeitsgesetze längst abgeschafft. In diese Richtung geht jedoch die Reise – angetrieben durch die zunehmende Ungleichheit und dadurch, dass politische und wirtschaftliche Macht sich gegenseitig stärken. Die Demokratie wird dem Kapitalismus wahrscheinlich auch in Zukunft den bestmöglichen Rahmen bieten. Jedoch gilt dies umgekehrt wohl nicht mehr.

Übersetzt aus dem Englischen von Supertext Deutschland GmbH 


Aus: "Die Superreichen gefährden die Demokratie" Ein Essay von Colin Crouch (5. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-04/kapitalismus-demokratie-ungleichheit-globalisierung/komplettansicht

QuoteĐakovo #2.5 

Ich sehe, dass in großen Teilen der Bevölkerung Gier schwindet und Teilen geil ist. Und ich bin guter Dinge, dass dieser Trend sich fortsetzt.
Es ist durchaus möglich, dass Geld als etwas asoziales betrachtet wird. Noch zeigen Hochglanzmagazine die Reichen und Schönen aber das Bild wandelt sich.
Mich beeindrucken übrigens Glückliche Menschen am meisten.
Und den Trumps dieser Welt sollte man paar Atolle zur Verfügung stellen, wo sie sich aneinander berauschen können.

Quote
Piet Vermailen #2.8

Ganz ohne Geld wird es nicht gehen, siehe Kommunismus.
Aber ich mag deinen Beitrag :)


QuoteGutsweib #2.7

Marktwirtschaften neigen immer zur Konzentration. Die notwendige Folge, es gibt eine steigende Zahl von Superreichen. Die seit Frau Merkel gültige Staatsdoktrin "marktkonforme Demokratie Staat statt sozialer Marktwirtschaft" fördert diese Entwicklung. Diese Politik wurde von den Medien immer bejubelt. Es soll sich also keiner beschweren.


Quotejaundnein #2.14

Mit einer solchen Haltung "uns geht's doch noch gut" basierend auf einem angeblichen Trend, den ich aus meinem Umfeld nicht bestätigen kann, stellen Sie den reichen 1 bis 10% doch nur einen Freibrief aus. ...

QuoteGhandi19 #2.19

"Diese Politik wurde von den Medien immer bejubelt. Es soll sich also keiner beschweren."

Genau so ist es! - Zuerst Merkels Politik unkritisch und stärkend begleiten
und dann über die Trumps, den Brexit und Co. schimpfen,
als wäre das alles nicht die Politik, die sie als Medien "hofierten"....
(ja, auch Trump. Denn er ist 'nur' eine Folge des Versagens der Demokraten in den USA...und das waren und sind ja unsere Freunde.)

Und: Die Klattens, Quandts, Springer und Mohns machen auch hier mit Merkels CDU ihre Politik:
"Mit viel Geld lässt sich leicht Politik machen, die Zivilgesellschaft bleibt außen vor. In den USA ist das Problem allgegenwärtig, breitet sich aber auch in Europa aus. "


QuoteWaldschrat86 #2.47

Sie nennen's Leistungsgesellschaft, andere nicht und selbst wenn das alle täten, ist Leistung ziemlich heterogen. Als Beispiel und damit es auch nicht krumm wird, innerhelb des Segments bleibend: Bezahlter Leistungssport. Da gibt es im Fußball Unsummen, aus anderen Gründen als der erbrachtern Leistung auf dem Platz. Beim Handball, Basketball, Leichtathletik, usw. können die Sportler nur davon träumen, auch dann wenn ihr Sport, genauso viel oder gar mehr Leistung erfordert.

Hier wird auch nicht Reichtum verteufelt, sondern Superreichtum. Es gibt bettelarm. arm, saturiert, wohlhabend, reich, superreich. Ich würde mal schätzen per Leistung schafft man maximal wohlhabend, alles darüber ist nunmal system- bzw. gesellschaftsbedingt, wie eben beim Profifußballer im Gegensatz zum Profihandballer.


QuoteJuanito alimaña #2.48

Im Kommunismus hatte jeder jede Menge Geld,aber die Regale waren leer, das ist der Unterschied.


Quote
Deine Freiheit ist auch die der Anderen #2.49

Das Märchen, der Lokomotiven der Gesellschaft, nur wer reich ist ist Leitungsträger.
Hohle Phrasen zur Selbstermächtigung, bzw. Beweihräucherung


Quote
Stan Laurel #2.51

"...während die Ackermänner, Jains, Winterkorns und wie sie alle heißen für die größten Scheißjobs noch Millionengehälter- und abfindungen in den Arsch geblasen kriegen.
Das ist so selten dämlich, dass es schon lächerlich ist...."

Tatsächlich ist es auch immer wieder erhellend wenn man sich die Mühe macht nachzuhalten, was eigentlich aus Spitzen-Managern geworden ist, die in ihrer Aufgabe offensichtlich gescheitert sind. Man stellt erstaunt fest dass diese auffallend oft an anderer Stelle wieder und erneut in Spitzenpositionen Beschäftigung finden. Soviel zum Prinzip Leistung.
In Wahrheit gilt das Prinzip Kaste.


Quote
Willy Wusel #2.52

"Es gibt keine Gleichheit!"

Ach. Und ich dachte immer vor Gott und dem Gesetz sind alle Menschen gleich.
Und ich füge hinzu: bei politischen Wahlen in einer Demokratie.

...


Willy Wusel #2.53

"Jeff Bezos alleine auf einem Südsee-Atoll hätte nicht reich werden können."

Völlig richtig. Er hat ein Herr von unterbezahlten Paketboten, die hunderttausende von Stunden für ihn schuften.
Man fragt sich, wo der Unterschied zu Ludwig XIV ist. Der hatte die Bauern und das gemeine Volk, die für ihn und seinen Hof geschuftet haben.


QuoteDeine Freiheit ist auch die der Anderen #2.54

.. zum Kenterpunkt der Egoisten, Liberalisten, Marktradikalen. Selbstermächtigung durch Eigendefinition.
Es braucht eine freie Wirtschaft keine Frage, aber keine ungezügelte Regelfreie in der bestimmte Leute sich ermächtigen in Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik die Deutungshoheit zu haben. Zumal wenn sie wie hier mit einer Selbstgefälligkeit und Absolutheit vorgetragen wird. Wer anderes zu sagen wagt wird abgewertet, diskreditiert der wird als jemand der es nicht versteht dargestellt. ...


QuoteJuanito alimaña #2.55

Tja...das mit Ludwig XIV und seine Umgebung war am Ende eine ziemlich kopflose Angelegenheit.Die französische Revolution war nichts anders als ein Putsch der Bourgeoisie gegen den Adel und die Kirche, aber das ist eine andere Baustelle.


QuoteTollerTyp87 #2.78

[Vilfredo Pareto untersuchte die Verteilung des Grundbesitzes in Italien und fand heraus, dass ca. 20 % der Bevölkerung ca. 80 % des Bodens besitzen. Im Jahr 1989 wurde festgestellt, dass 20 % der Bevölkerung 82,7 % des Weltvermögens besitzen. ... Daraus leitet sich das Paretoprinzip ab. Es besagt, dass sich viele Aufgaben mit einem Mitteleinsatz von ca. 20 % erledigen lassen, so dass 80 % aller Probleme gelöst werden. Es wird häufig kritiklos für eine Vielzahl von Problemen eingesetzt, ohne dass die Anwendbarkeit im Einzelfall belegt wird. ... https://de.wikipedia.org/wiki/Paretoprinzip (24. Mai 2019)]

... das Pareto-Prinzip ist keine systemunabhängige Grundkonstante, sondern beschreibt lediglich ein statistisches Verteilungs-Phänomän. Es gibt keine empirische Grundlage, die eine solche Verteilung beim Einkommen oder Besitz begründet. Die Verteilung bleibt damit eine systemische Frage.

Wir müssen endlich die Interpretation des Kapitalismus als eine Art unumstößliches Naturgesetz überwinden. Natürlich konzentriert sich in einer Welt des "imperativen Kapitalismus" mit dem Kapital auch Macht, wodurch immer auch Einfluss auf die Politik genommen wird, egal welches politische System vorherrscht. Grafiken über die Entwicklung der Verteilung von Einkommen und Besitz belegen diesen Einfluss. Die Globalisierung und überwiegend neoliberale Politik der vergangenen Jahre sei es durch IWF oder EZB hat diese Situation weiter verschärft und den Sozialstaat ausgehöhlt, der eigentlich als eine große Errungenschaft der Moderne angesehen wurde.

Eine neoliberale Marktwirtschaft ist weder sozial noch ökologisch. Sie ist Ursache der zukünftigen Herausforderungen (Klimawandel, Massenmigration etc.) und damit ungeeignet diese zu überwinden. Der Markt ist in vielen Bereichen eben nicht perfekt und muss daher reguliert werden. Klar muss auch die Einflussnahme in einem politischen System transparenter werden. Die Anpassung des politischen Systems allein, reicht allerdings nicht aus, um die ungleichen Machtverhältnisse auszugleichen.


QuoteGhandi19 #3.36

"Die Lösung ist schwierig..."

Nein, es ist ganz einfach.
Der Politik fehlt nur der Wille.

...Beispiel:
Skandinavien


QuoteJosef Fragen #3.43

Einige der Superreichen( Warren Buffett, Bill Gates u.a. ) erkennen ja mittlerweile sogar die Gefahr, die von der enormen Ungleichverteilung des Kapitals, für die westlichen Demokratien ausgeht.
Nur haben diese auch keine Idee. Etwas Wohltätigkeit da und dort ist keine Perspektive.
Damit macht man nur die Unterschicht zu Almosenempfängern.
In diesen Kreisen muss die Einsicht wachsen, dass sie selbst nichts wären, wenn es nicht Millionen andere Menschen gäbe.
Was wären Google, Microsoft, Apple, Amazon, Aramco, Alibaba, Huawei, Samsung etc. wenn es nicht Milliarden von Menschen gäbe?
Also wäre es doch eine gute Idee von all diesen Unternehmen 20% - 30% der Aktien an einen Globalen Bürgerfonds zu übergeben.
Andernfalls könnte es ja passieren, dass man diese irgendwann zerschlagen muss oder ein globaler Boykott das schnelle Ende herbeiführt.


Quoteikonist #4

1789


QuoteSörenFinnKevinCataleyaChantal #4.1

Lesen Sie mal bei Piketty nach, wie vergeblich diese Revolution im Hinblick auf die Vermögensverteilung war. Im 19.Jhd lebte und starb jeder dritte Einwohner von Paris völlig mittellos. Zwischen den glamourösesten und protzigsten Superreichen des ganzen Kontinents. Und er stellt zurecht (sinngemäß) die Frage, wie sich so viele Menschen ihr ganzes Leben lang so vera*schen lassen konnten.


Quoteikonist #9

Die Ideologie des Neofeudalismus: Popkultur


QuoteDeserteur 2.0 #12

Ein Artikel der mir aus dem Herzen spricht. Wenn ein System jegliche Balance verliert, wie damals die Monarchie durch den Absolutismus, ist es schneller Geschichte als es ihm lieb sein kann.
Deswegen muss sich unsere Politik unabhängiger machen, was keine leichte Aufgabe ist, wenn dann damit gedroht wird, dass man tausende von Arbeitsplätzen verlegt. ...


QuoteLurkling #14

Schönes Essay, dann bleibt nur zu hoffen das die junge Generation sich nicht mit gut bezahlten Jobs und vermeintlichem Erfolg abspeisen lässt wie die bisherigen und neben der Umweltkatastrophe die dieses System hervor gebracht hat auch noch das System der indirekten Beeinflussung als solches angeht.


QuoteFurbo #23

Guter Essay. Und recht hat der Verfasser. Wie die Großindustrie die Politik bestimmt, sieht man doch auch sehr gut in Deutschland. Die deutsche Regierung ist in weiten Bereichen nur noch das Sprachrohr irgendwelcher Interessenverbände.


QuoteDie Sieben Todsünden #24

Nick Hanauer (Milliardär) hat das übrigens schon vor fünf Jahren gesagt. Und wer könnte als Kapitalismusanbeter eigentlich einem Milliardär widersprechen, der das Geld nicht mal geerbt hat?

... You probably don't know me, but like you I am one of those .01%ers, a proud and unapologetic capitalist. ... In fact, there is no example in human history where wealth accumulated like this and the pitchforks didn't eventually come out. You show me a highly unequal society, and I will show you a police state. Or an uprising. There are no counterexamples.
https://www.politico.com/magazine/story/2014/06/the-pitchforks-are-coming-for-us-plutocrats-108014


QuoteKaffeeonkel #26

Der Text hätte auch von Kewin Kühnert sein können. Im Augenblick zählt nur noch Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit (was immer man darunter auch verstehen mag). Es gab schon immer (Super)Reiche und wo bitte wurde in den letzten 30 Jahren in welchem Land der EU die Demokratie gefährdet oder gar abgeschafft? Professoren leben unter einer Käseglocke und malen sich immer ihren Idealzustand aus. Die haben einfach zu viel Zeit.


QuoteAristocats1 #26.1

Ihr Beitrag zeugt von Unwissen. Beispiel Ungarn. Dort wurden nahezu alle kritischen Medien von Freunden Orbans aufgekauft. Praktisch gibt es dort keine freie Presse mehr. Oder was sagen Sie zu den Autokonzernen in Deutschland? Sie haben jahrelang geltende Gesetze gebeugt. Bis heute gibt es für die betrogenen Autokäufer nicht mal Entschädigungen. Von Strafen in Deutschland wegen der Umweltverschmutzung ganz zu schweigen.


Quoteah-jun #26.2

Vielleicht leben auch Kaffeeonkel in einer Blase?
Im übrigen ist im Artikel genau ausgeführt, dass die Demokratie formal aufrechterhalten wird, aber der "Kern" in einer Salamitatik unauffällig ausgehöhlt wird.
Auch das Streben nach einem "Idealzustand" für die breite Bevölkerung ist nichts verwerfliches. Auch die Superreichen arbeiten - erfolgreich - an einem Idealzustand für ihre Gruppe.


Quotehobuk #26.4

Während Sie in wahrscheinlich 100 Jahren kein Gehör bei der Regierung finden, geht es für einen "Leistungsträger" oder "Superreichen" bestimmt etwas schneller und auf dem kurzen Dienstweg.
Man kennt und hilft sich.
Insofern befinden wir uns eigentlich schon in einer Kleptokratie.
Oder anders gefragt, wieso werden Gesetze und Maßnahmen deutlich am Wählerwillen vorbei durchgesetzt?
(Afghanistankrieg, Glyphosat, TTIP(Versuch) , Dieselgate usw...)
Nur um ein paar Schlagwörter einzuwerfen.


QuoteKai Ne-Ahnung #26.3
Die letzten 30 Jahre haben uns dahin gebracht, wo wir in den westlichen, neo"liberalen, kapitalistischen Systemen heute gelandet sind. Es geht um den Stand heute, und der ist:
Die Superreichen gefährden die Demokratie


Quotealice_42 #28

>> Der Kapitalismus behindert so den Wirkungsgrad der Demokratie. <<

Er zerstört sie, wenn er nicht eingehegt und reguliert wird, unweigerlich. Denn eine Demokratie, in der einige wenige finanzstarke Interessenvertreter die Richtlinien bestimmen, ist bekanntlich gar keine Demokratie mehr, sondern eine Oligarchie.

Wir sind da auf einem guten Weg :-|


QuoteAristocats1 #28.1

Das ist traurig aber wahr. Wir sind auf dem direkten Weg zurück in den Feudalismus. Auch heute gibt es wieder zahlreiche Privilegien für die Reichen, die Dank des Geldes dann auch vererbt werden. Es sei hier nur an die große Bankenrettung gedacht, die letzendlich nichts anderes war als eine große Reichenrettung. Die Kosten dafür wurden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Länder wie Deutschland konnten das auf Kosten einer verrotteten Infrastruktur noch so wuppen. In den ärmeren Ländern (Spanien, Griechenland, Italien) hat die Bevölkerung diese Rettungsaktion mit massiver Verarmung bezahlt.


QuoteAnthon Hofreiter II #32

Es ist leider genau andersherum, wie man sehr schön am Beispiel Berlins sehen kann.
Sobald mehr Menschen von Transferleistungen leben, also in Berlin Politiker + Lobyisten + Hartzer, funktioniert Demokratie nicht mehr.
Dann wird, zu Lasten der Produktiven, welche diese Gruppe durchfüttern muss Politik gemacht, weil die Nehmer schlicht in der Mehrheit sind.


QuoteBitte freundlich bleiben #32.1

Der Reiche lebt auch von den Transfairleistungen der Produktiven. ;-)


QuoteAnthon Hofreiter II #32.2

Jepp, völlige Zustimmung. ...


QuoteSuper-Migrant #35

Die Regierung der Superarmen - mit all ihren Supereigenschaften - macht dann alles besser, oder?
Wie wäre es wenn der Staat sich nicht ständig einmischen würde? Dazu gehört es auch, dass er sich nicht von ,,Reichen" bestechen lässt. Es ist doch klar, wenn der Staat sich als allmächtiger Etatismus aufführt, der meint alles bestimmen zu dürfen, dann kauft man sich diesen auch einfach.
Weniger Etatismus, mehr Freiheit, weniger Pöbel!

Quoteah-jun #35.1
"Es ist doch klar, wenn der Staat sich als allmächtiger Etatismus aufführt, der meint alles bestimmen zu dürfen, dann kauft man sich diesen auch einfach."

Da ist es doch besser die Superreichen bekommen den Einfluss umsonst!


Quote
Geht_so_oder_auch_nicht #36

Die Bürger haben durch ihr jahrzehntelanges Wahlverhalten die heutigen Verhältnisse herbeigewählt. Natürlich kann man diese Entwicklung zwar kritisieren, aber letztendlich beruhen sie nun einmal auf demokratischen Wahlen. Die Mehrheit will diese Entwicklung so, das hat man als Demokrat zu akzeptieren, auch wenn man persönlich andere Vorstellungen hat.


Quoteah-jun #36.1

Da haben Sie recht. Wenn es darauf ankommet verbündet sich der Mittelstand mit den Interessen der Reichen und Superreichen gegen die Unterschicht.


Quote
Kai Ne-Ahnung#36.2

Der Wähler will also das die gewählten Parteien/Politiker vor der Wahl ständig A versprechen aber sobald die Pöstchen gesichert sind, das B der Industrie, der Wirtschaft und der Vermögenden bedienen? Natürlich nur mit "Bauchschmerzen" und so. ...


QuoteClausM #62

Was sollen die Krokodilstränen? - Genau das war doch das allzu offensichtliche Ziel von Politik und Medien in den letzten Jahrzehnten.
Jeder Schlag, den man gegen die wirtschaftlich Schwächeren führte, wurde von frenetischem Jubel begleitet.


QuoteGoaSkin #63

Die Supperreichen mögen die Demokratie gefährden, doch die ganz einfachen Leute möchten scheinbar die Demokratie schnell hinter sich bringen - mit Hilfe der Superreichen.
Denn sie sind nicht abgeneigt, Superreiche Leute wie Trump, Berlusconi oder Farage zu wählen, um diese Entwicklung zu beschleunigen.
Paradoxerweise werden solche Leute gerade mit der Argumentation gewählt, dass geglaubt wird, die Eliten hätten sich gegen die einfachen Leute verschworen. In der Konsequenz werden dann Politiker gewählt, die wie niemand sonst für diese Klischees stehen.


Quote
konne #64

Wir leben heute in einer Scheindemokratie, Demokratie existiert nicht mehr. Wir können zwar protesitieren, frei sprechen aber das stört die Superreichen nicht. Solange man die Gehälter senken kann, Sozialleistungen streichen kann ist ihnen alles egal. Mam sieht es deutlich in Griechenland, und Spanien wo die Verarmung immer grösser wird. In Deuitschland ist man etwas diskreter ...


QuoteRabe374 #65

Ich sehe das ziemlich unproblematisch. Es geht uns allen unterm Strich sehr gut von den Lebensumständen, auch wenn such immer mehr der Sozialneid ob der angeblich so schlimmen eigenen finanziellen Lage einschleicht.

Das Problem scheint eher zu sein, dass immer mehr Leute unzufrieden mit dem eigenen sozialen Status sind. Es kann aber nun mal nicht einfach so jeder reich und schön sein, zumindest nicht ohne entsprechende oft jahrelange Anstrengung und grundlegende Fähigkeiten.

Wenn die Leute lieber mal mit dem zufrieden wären was sie haben, wäre schon viel geholfen. Man könnte jedem Normalbürger 1.000 Euro mehr im Monat an Einkommen schenken - nach ein paar Monaten würde er sich wieder arm und ungerecht behandelt vorkommen.


QuoteRekitsonga #65.1

>>Man könnte jedem Normalbürger 1.000 Euro mehr im Monat an Einkommen schenken - nach ein paar Monaten würde er sich wieder arm und ungerecht behandelt vorkommen.<<

Nein. Er würde sich freuen, dass er in seiner Wohnung bleiben darf, weil er die überhöhte Miete wieder bezahlen kann.


QuoteRabe374 #65.2


,,Nein. Er würde sich freuen, dass er in seiner Wohnung bleiben darf, weil er die überhöhte Miete wieder bezahlen kann."

Die armen Mieter. Nur ausgenommen und vor die Tür gesetzt von den pöhsen Immobilien-Haien. Schon klar. Man kann sich das Leben aber auch zurecht heulen.


QuoteFlinders #67

Balsam für die Kommunistenseele. Mehr nicht.


QuoteMix Mastermond #97

Ich bin der Meinung, dass wir keine Neid-Debatte brauchen! Die reichen Menschen sollen ruhig reich sein. Warum auch nicht?
Hauptsache die armen Menschen leben ihr Leben in Würde!


Quotechrisbo18 #72

Je mehr ich erfahre und darüber nachdenke, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass diese Entwicklung kein Zufall ist, sondern mehr und mehr gesteuert wird.
Die Reichsten verfügen über Medienhäuser, Rohstoffquellen und Einflüsse in fast alle Unternehmen, die für Staaten oft eine große Abhängigkeit darstellen.
Die Gesellschaften werden ausgesaugt und müssen mehr und mehr leisten, während sich die Vermögen der Reichsten von selbst vervielfachen. Und dem ist kein Ende zu setzen!
Ich bin kein Sozialist oder Kommunist, doch plädiere ich für ein Ende dieser einseitigen Auslegung.
Auch frage ich mich, was man mit so viel Geld eigentlich will? Wie viele Häuser, Autos, Yachten oder was auch immer kann man besitzen oder gar nutzen?
Ok, das ist vielleicht eine naive Frage, doch wer erlaubt es, dass Geld über der Gesellschaft steht?
Der Kapitalismus ist nicht die schlechteste Lösung, doch was daraus gemacht wird, lässt mir graue Haare wachsen!


Quotedjborislav #74

Ich kenne berufsbedingt Superreiche. Sie haben mittlerweile privaten Wachschutz und sind in ständiger Angst, dass ihre Kinder entführt werden.
Auch wird von den Superreichen chronisch die Gefahr einer Revolution unterschätzt, die Gelbwesten haben schonmal einen Vorgeschmack geliefert. Occupy ist zwar eingeschlafen, kann aber jederzeit in anderer Form wieder aufflammen, durch das Internet lässt sich gewaltsamer Widerstand bestens vernetzen.
Aber abgesehen von staatlicher Regulierung, die sehr wohl möglich wäre (Transaktionssteuer, Abschaffung privater Schiedsgerichte, strengere Bankenaufsicht mit genug Eigenkapitalauflagen...), muss sich auch jeder Aktien- und Fondbesitzer an die eigene Nase fassen: bin ich gierig und investiere ich in destruktive Heuschrecken-Unternehmen oder lege ich nachhaltig an und verzichte u.U. auf ein paar Prozent Rendite. Die Gier ist auch kollektiviert worden und betrifft uns alle.


QuoteHansifritz #100

"Die Superreichen gefährden die Demokratie"

Vor einem Jahr lief sowas noch unter Verschwörungstheorie.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Manuela Schwesig kann nicht, weil sie als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern die Demokratie in Ostdeutschland verteidigen muss. Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel kann nicht, weil er bald in die Entwicklungspolitik wechselt. Olaf Scholz kann nicht, weil er schon Vizekanzler und Finanzminister ist. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer kann nicht, weil sie an Multipler Sklerose leidet. Lars Klingbeil kann nicht, weil er lieber Generalsekretär der SPD bleiben möchte. Justizministerin Katarina Barley kann nicht, weil sie jetzt nach Brüssel geht. Familienministerin Franziska Giffey kann nicht, weil Plagiatsjäger gerade ihre Doktorarbeit auseinandernehmen. Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, würde eventuell können wollen, verspürt aber gerade "keine Ambitionen" – und Juso-Chef Kevin Kühnert darf nicht, weil er noch Kapuzenpullis trägt und zu oft "Sozialismus" sagt.

Das "schönste Amt neben Papst" hat Franz Müntefering 2005 den Vorsitz der SPD genannt. 14 Jahre später titelt die taz: "Scheißjob zu vergeben". Das lange Siechtum der SPD hat die kritische Phase erreicht: Mit 15 Prozent bei der Europawahl und weiter sinkenden Umfragewerten droht ihr der Exitus. Und wer will schon als Chefin oder Chef das Willy-Brandt-Haus abschließen müssen, wenn dort alle Lichter ausgegangen sind?

Alle prominenten Sozialdemokraten, die bereits ausgeschlossen haben, die älteste und stolzeste Partei Deutschlands künftig führen zu wollen, haben Gründe für ihren Entschluss. Trotzdem wirkt die Massenabsage sozialdemokratischer Frontrunner wie eine Flucht derjenigen aus dem System Politik, die es eigentlich tragen sollen. Und das hat nicht nur mit dem Niedergang der SPD zu tun.

Die Abkehr von der Verantwortung ist Ausweis einer tiefen Vertrauens- und Sinnkrise, die das Zentrum der deutschen Politik erfasst zu haben scheint. Viele Politiker, etwa die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, schildern das politische Berlin als einen Ort, den meiden muss, wer anständig bleiben will: lebensvergessen, nur mit sich selbst beschäftigt, eine in sich geschlossene Blase mit eigenen Regeln und Gesetzen, die die Wirklichkeit ausblendet. In diesem Babylon Berlin will kaum noch jemand eine Hauptrolle spielen. Doch wenn schon Politiker die Spitzenjobs in ihren Parteien oder einer Regierung nicht wollen – wer will dann noch in die Politik?

Je verworrener die Lage erscheint, desto hektischer sucht ein Teil der Öffentlichkeit nach dem starken Einzelnen, der Erlöserfigur. Zeitungscover der vergangenen Monate zeigten Martin Schulz (SPD) als Sankt Martin, Friedrich Merz (CDU) als Friedrich den Großen, Robert Habeck (Grüne) als nächsten Kanzler und Juso-Chef Kühnert als Ein-Mann-"Sprengkommando". Gesucht werden Heilsbringer – oder, wie in Kühnerts Fall, wenigstens Typen, die den Laden in die Luft jagen. Dabei werden alle größer gemacht, als sie sein können. Jeder Politiker, der zum Ziel dieser Sehnsüchte wird, ahnt, dass er sie kaum erfüllen kann. Und jeder Politiker reagiert darauf unterschiedlich.

Friedrich Merz mit abgestandener Selbstgewissheit.

Christian Lindner (FDP) mit Überinszenierung.

Martin Schulz mit verwirrter Hektik.

Das bisher wirksamste Mittel scheint Robert Habeck gefunden zu haben: einen Panzer aus Zweifeln. Bei ihm soll jeder Satz zeigen, wie Habeck im Höhenflug den möglichen Absturz mitdenkt – und Erwartungen stets dämpft, anstatt sie zu beflügeln. Ein Selbstschutz mit Kollateralnutzen: Habeck und die Grünen steigen erst mal weiter auf.

Die Polit-Prominenz aller Parteien sieht sich mit einer paradoxen Situation konfrontiert: Die Einzelnen werden in der Politik zugleich wichtiger und ohnmächtiger. Die Erwartungen an sie wachsen – und ihre Gestaltungsmöglichkeiten schrumpfen. In der Regierung werden die immer komplexeren Entscheidungen an Expertenkommissionen delegiert, es steigt die Zahl der Interessenvertreter, die in jedem Verfahren angehört und deren Anliegen mitbedacht werden müssen. Viele Probleme, vom Klimawandel bis zur Besteuerung von IT-Giganten, sind allein im nationalen Rahmen nicht zu lösen.

Hinzu kommt ein zweites Paradoxon: Die Bedingungen, unter denen Politik heute entsteht, sind eigentlich nicht mehr Basta-tauglich, was gleichzeitig zu einer wachsenden Basta-Sehnsucht führt. Steht dann, wie bei Andrea Nahles, eine Person ganz oben, die autoritär agiert, wird umgehend losgejammert: immer nur von oben herab, zu wenig kommunikativ, zu sehr alte Welt.

All das führt dazu, dass die Hypes kürzer werden, die Stürze umso tiefer. Martin Schulz hadert noch immer damit, wie er, zumindest in seiner Wahrnehmung, erst hoch- und dann abgeschrieben wurde. Und Andrea Nahles, die erste Frau an der SPD-Spitze, hat nicht nur Partei- und Fraktionssitz niedergelegt – sie hat die Politik gleich ganz verlassen.

Überschießende Erwartungen bei schwindendem Einfluss und Abstürze vom Himmelhohen ins Bodenlose – beides trägt wesentlich dazu bei, dass sich nicht nur Sozialdemokraten verstärkt fragen: Warum tut man sich das an? Gleichzeitig wirkt der dauernde Wechsel von Aufwallung und Ernüchterung wie ein Schrumpfprogramm für das Vertrauen in die Politik.

"Sofortismus" nennt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte die Anforderung einer Medienwelt ohne Sendeschluss an moderne Politiker. Twitter, Facebook und Instagram verlangten nach einer persönlicheren Kommunikation, nach einer Abkehr von der "apparatschikhaften Sprache". Das Duo an der Grünen-Spitze, Habeck und Annalena Baerbock, sei auch deshalb so erfolgreich, weil es einen "räsonierenden, suchenden Ton" anschlage. "Habeck und Baerbock führen, indem sie Fragen stellen, und nicht, weil sie Antworten liefern."

Doch wer heute noch räsoniert, kann morgen schon unentschlossen wirken. Und wer nahbar sein will, macht sich angreifbar. Robert Habeck konnte das zuletzt selbst erleben, als er nach einigen unsinnigen Tweets und dem anschließenden Shitstorm seinen Twitter-Abschied verkündete. Twitter mache ihn "lauter, aggressiver, polemischer", erklärte Habeck dazu. Zeit zum Nachdenken bleibe kaum noch. Jetzt ist er nur noch bei Instagram, dem Flauschkanal der sozialen Medien.

Dauerkommunikation und Ad-hoc-Erreichbarkeit, so meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, gelten inzwischen als politische Kernkompetenzen – frei nach dem Motto: "Nur wer rund um die Uhr auf Sendung ist, erfüllt die Anforderungen der neuen Zeit. Aber wer mal danebenliegt, den machen wir so richtig fertig!" Die Lust an der Demontage sieht Pörksen als Gegenpol zur Sehnsucht nach dem Erlöser. Die falschen Sätze in einem Video, das Gestammel in einer Talkshow, der plötzliche Tränenausbruch auf einer Pressekonferenz, die Lästerei auf der sicher geglaubten Hinterbühne – all das sorge "im Kuriositätenkabinett der sozialen Medien für Furore".

In Pörksens Schlussfolgerung liegt ein weiterer Grund, warum Spitzenämter für viele keine Traumjobs mehr sind: "In der Kombination aus Beobachtungsdruck und Reaktionszwang, Authentizitätsverlangen und Perfektionssehnsucht züchtet diese Gesellschaft, ob sie will oder nicht, den Typus des kleinmütigen, visionsfeindlichen, sich hinter Phrasen verschanzenden Angstpolitikers, den sie dann verachtet."

Je höher man steigt, desto größer werden die Zwänge. Als SPD-Chefin stehe sie "blank" da, hat Andrea Nahles einmal gesagt. Alles werde beobachtet, analysiert, interpretiert, bewertet; nichts bleibe verborgen. Das auszuhalten sei "brutal".

Ein Sozialdemokrat, der für führende Positionen gehandelt wurde, hat intern bereits abgewinkt. Im Gespräch nennt er dafür zwei Gründe. Zum einen möchte er nicht aushalten müssen, was Andrea Nahles erlebt hat. Die Häme der Medien, die Illoyalität der Parteifreunde, die Unverschämtheiten hinter vorgehaltener Hand, das Genöle und Gemeckere, die Zermürbungstaktik der Gegner, das Warten auf das Ende. All das bleibe nicht im Büro und auch nicht im Willy-Brandt-Haus, man trage es mit nach Hause, wo es "das Private verseucht". Und zum anderen möchte er nicht so werden, wie man werden müsse, wenn man an der Spitze überleben wolle: Man müsse selbst brutal sein.

Das Amt formt den Menschen mehr als der Mensch das Amt, heißt es. Zuweilen deformiert das Amt den Menschen sogar.

Doch es sind nicht nur Sozialdemokraten, die sich die Härten des politischen Geschäfts nicht mehr antun wollen. Die Linke findet partout keine Nachfolgerin für die scheidende Fraktionschefin Sahra Wagenknecht – und als die Union vor wenigen Jahren einen Nachfolger für den ins Verteidigungsressort wechselnden Innenminister Thomas de Maizière suchte, wollte über Monate niemand den Job haben, bis schließlich der CSU-Mann Hans-Peter Friedrich zwangsverpflichtet wurde.

In der Politik gebe es kein Vakuum, hieß es früher. Heute produzieren Politiker das Vakuum selbst.

In der Union flieht zwar noch niemand von der Spitze. Aber es zeichnet sich eine erstaunliche Parallele zum Schicksal von Nahles ab. Vor einigen Monaten galt Annegret Kramp-Karrenbauer noch als ausgemachte Kanzlerin, heute ist unklar, ob sie überhaupt kandidieren soll.

Dazwischen lagen verunglückte Auftritte, verstammelte Statements und einstürzende Beliebtheitswerte. Die Parteivorsitzende wurde daraufhin noch unsicherer und ihre Kritiker mutiger, manche auch unverschämter. Bei Nahles dauerte die Selbst- und Fremddemontage im Amt noch ein gutes Jahr, Annegret Kramp-Karrenbauer scheint schon nach einigen Wochen beschädigt. Und wie bei der SPD stellt sich auch bei der Union die Frage, ob die strukturellen Probleme der Partei nicht so groß sind, dass die Vorsitzende zwar Hoffnungen trägt, aber dann bloß den Niedergang verwaltet. Der Abwärtssog wird auch AKK verändern.

"Verhärtung ist die größte Gefahr", sagt ein Minister im Gespräch. Die Arbeit in der Politik zeichne sich dadurch aus, dass man mit Menschen, die "einem Übelstes nachsagen oder sogar antun, am nächsten Tag wieder zusammenarbeiten muss". Das schulde jeder Politiker dem Dienst an der Demokratie. Es führe aber zu einer Art Gefühlspanzerung. Der beste Schutz gegen diese Verhärtung, sagt der Minister, sei "größenwahnsinniges Selbstbewusstsein der Marke Lafontaine". Ansonsten müsse man versuchen, die Dinge abperlen zu lassen.

Franz Müntefering erzählte gern die Anekdote von seinem ersten Gespräch mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner. Als der Neu-Abgeordnete Müntefering seinem Chef dargelegt hatte, was er so vorhabe, sagte Wehner: "Dann mach mal. Pass aber auf, dass du nicht austrocknest."

Die Gefahr, auszutrocknen oder zu verhärten, hat es also schon vor 40 Jahren gegeben. Halten Politiker einfach nur weniger aus als früher? Sind das heute alles Weicheier?

Noch einmal der Minister: Vor 40 Jahren habe man auch schon mitbekommen, wenn andere gelästert hatten. "Heute vertausendfacht sich das aber sofort in den sozialen Medien – und das macht es brutaler."

Verändert hat sich auch das Arbeitsethos. Der Erlöserdruck bei gleichzeitiger Unerlösbarkeit und die strukturelle kommunikative Überforderung treffen heute auf eine andere Politikergeneration. Das soldatische Ethos, das die de Maizières und Münteferings noch verströmten, verdunstet allmählich aus dem Regierungsviertel. Die heute 30- bis 50-Jährigen sind achtsamer und absprungbereiter.

Sichtbar wurde diese Entwicklung erstmals mit Philipp Rösler. Kaum zum FDP-Vorsitzenden gewählt, verkündete der damals 38-Jährige, mit 45 sei Schluss für ihn mit der Politik. Es gebe ja noch anderes im Leben. Schluss für ihn war dann noch früher, aber darauf kommt es hier nicht an. Dass ein Politiker mit dem Erreichen seines größten parteiinternen Ziels – des Vorsitzes – zuerst über seine Work-Life-Balance redete, war neu. Politiker gehen auf im Beruf, klammern sich an ihr Amt: Das war die Öffentlichkeit gewohnt. Doch für viele jüngere Politiker gilt wie für Altersgenossen in anderen Jobs auch: Der Beruf ist nicht alles. Sie bewahren sich eine innere Distanz zu der Maschine, in die man jeden Morgen hineinsteigt, nur um abends ziemlich zerbeult und mit schmerzenden Knochen wieder herauszukriechen.

Konstantin Kuhle gilt als kommender Mann in der Lindner-FDP. In wenigen Monaten im Bundestag hat der 30-Jährige sich als innenpolitischer Sprecher der Fraktion ein fachliches Ansehen erworben, von dem manch altgedienter Abgeordneter träumt. Die Tagesschau sendet seine Statements, und vor Kurzem gelang ihm mit einer Attacke auf die AfD sogar das Kunststück, aus einer Bundestagsrede einen viralen Hit zu machen.

Wenn man mit Kuhle über sein erstes Jahr im Bundestag spricht, kann er begeistert von den guten Momenten erzählen. Von den gelungenen Anträgen, dem Teamgeist in der Fraktion. Aber er erzählt auch vom Verschleiß, den er an sich selbst bemerkt. In Sitzungswochen, sagt Kuhle, fühle er sich wie früher, wenn er als Kind zu warm angezogen in ein Kaufhaus ging. Ein schwitziger Film liege auf seiner Haut, während er zu den Terminen hetze, Ausschuss, Interview, Hintergrundgespräch, Plenum, anschließend sitze er bis tief in die Nacht am Schreibtisch. Nach einer solchen Woche sei er zuletzt eigentlich immer krank geworden. Er sagt, er habe sich vorgenommen, gelassener zu werden. Vor einiger Zeit hat er sich eine Meditations-App auf sein Handy geladen. Aber häufiger als zweimal im Monat hat er bislang noch nicht meditiert.

Kuhle sagt, er wolle sich nicht beklagen. Doch wenn man ihn fragt, ob er sich vorstellen könne, die nächsten 20 Jahre im Bundestag zu sitzen, zuckt er mit den Schultern und sagt: "Ich stelle mir das rein physisch schwierig vor."


Aus: "Verantwortung: Niemand will"  Peter Dausend und Robert Pausch (18. Juni 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/2019/26/politik-verantwortung-sofortismus-demontage/komplettansicht

Quotegehheimzumama #9

Die GroKo-Parteien bekommen seit 2015 Wahl um Wahl gezeigt, dass die Wähler die Migrationspolitik ablehnen. Trotzdem setzen Sie ihren selbstzerstörerischen Kurs fort. Der Migrationspakt wurde zum Beispiel von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Trotzdem wurde er von den GroKo Parteien durchgewunken.


QuoteGenau, die 'Altparteien' (die meinten Sie doch eigentlich) sollen mal schön vor dem 13-Prozent-Völkchen zittern, dass sich zur Europawahl zum 11-Prozent-Völkchen gemausert hat. Wer sich dem braunen Bodensatz der Gesellschaft öffnet, landet ganz schnell unter der 5-Prozent-Hürde.

Hups, Weltbild zerstört? Sorry :(


QuoteTreverer2 #9.2

die mehrheit der bevölkerung war auch gegen ein liberaleres scheidungsrecht. ...


QuoteFrank Mayer #13

Liebe Journalisten fragen Sie doch mal selbst ob das nicht am Umgang der Medien mit exponierten Politikern zu tun hat .


QuoteMaus-Bieber #13.1

Also sind wieder mal "die Medien" schuld?
Scheint mir doch sehr arm und schwach als Analyse.


Quotehkscooter #15

Die Gesellschaft hat sich rasant weiterentwickelt, die Politik ist in den Mustern der 70er und 80er Jahre stecken geblieben.
Heute arbeiten Unternehmen interaktiv, um gemeinsam Kosten zu sparen oder Innovationen zu entwickeln (z.B. Selfbilling); Politik veteufelt grundsätzlich noch jeden Vorschlag des "Gegners"; jedes Mitglied der Gesellschaft muss Rechenschaft über Performance ablegen, vom Vorstand bis zum ALG2 Empfänger; Politik steht auf dem Marktplatz und verteilt Kugelschreiber oder produziert sich in ÖR-Talkshows mit den Moderatoren, die sie auch noch per GEZ und Rundfunkrat bezahlt. Politiker sind i.d.R. von den Gesetzen, die gemacht werden, selbst immer seltener betroffen.
Fazit: Die Welt lebt von Zielvereinbarungen und deren Einhaltung bzw. den Konsequenzen der Nichteinhaltung; Politik lebt im selbst gemachten Vakuum der Vollkasko-Glocke, und viel zu selten wird gelüftet. ...


QuoteTreverer2 #20

ich mache (ehrenamtlich) seit über 30 jahren politik in verschiedensten positionen. was es da in den letzten zehn, fünfzehn jahren an steigerung von ansprüchen und anforderungen durch die wählerschaft gibt, ist irre. und ehrenamtlich nicht leistbar, schon gar nicht, wenn man noch sein täglich brot. und da geht es auch nicht nur um zeit, sondern auch um die (intellekuellen) fähigkeiten und das wissen (um politische prozesse).

anstatt selber aktiv zu werden, werden politisch bereits aktive menschen immer mehr als eine art dienstleister gesehen, die gefälligst zu helfen haben. dies wird verschärft durch die sozialen medien, die zum einen dafür sorgen, dass die erreichbarkeitshürden runter (und somit die erwartung hoch) geschraubt werden. und wehe, man reagiert nicht...


QuoteUser XX #20.1

Nunja Politiker sind Dienstleister!
Der Anspruch an so ziemlich jeden Beruf ist gestiegen, das ist halt so.

Wenn Sie es ehrenamtlich betreiben, ist das lobenswert aber hier geht es doch um einen hochbezahlten spitzenposten. ...


QuoteRL59 #24

Nicht erstaunlich. Politik, wie sie heute von den meisten Politikern verstanden wird, ist völlig out. Der gemeine Mensch betrachtet sie meist als exotische Affen im Zoo, die ziemlich viel Geld verbraten und sonst aber keine Vorbilder sind. Am Besten, man bemerkt sie möglichst nicht so oft. Selbst als Unterhalter in Talkshows taugen sie nicht viel. Da nimmt man lieber richtige Schauspieler, die einen wenigstens mit Witz belügen.


Quoteplayerpiano #24.1

Lieber RL59, da hilft nur eins: Selber ran. Wir leben in einer Demokratie, das heißt von denen die sich aktiv einbringen wollen. Das wollen leider immer weniger weil es in jeder Hinsicht schlecht entlohnt wir, vor allem von Besserwissern, die vom Spielfeldrand pöbeln ohne selbst mitspielen zu wollen oder können. Ironie Off.


QuoteOlafSch #49.5

Die Schlafwandler 1914 erwarteten einen schnellen Krieg mit dementsprechend "moderaten" Verlusten. Krieg wurde damals als legitimes Mittel der Politik angesehen, nach heutigen Maßstäben unvorstellbar aber eben eine andere Zeit.


QuoteWilhelm Meisters Lehrjahre #49.6

Ja, das taten sie. Und dabei vernachlässigten sie eine anderen Tugend: die der gründlichen Analyse vor der Entscheidung. ...


Quote
Easy B. #69

Der Einfluss der Politik ist ja insgesamt im Sinkflug. Wenn man sich nicht am Kollektivcharakter der Gesellschaft, sondern an den Profit- und Eigentumsinteressen einer kleinen privaten Minderheit orientiert, muss man sich nicht wundern, wenn die politischen Institutionen von Lobbyisten, Wirtschaftsverbänden sowie Finanz- und Unternehmensberatern genötigt und infiltriert werden.

Politik wird dann zum Drahtseilakt, wobei die Propaganda privater Medienmogule letztlich den Ausschlag gibt, in welche Richtung der Daumen zeigt. Deshalb sind spontane Aktionen der Bevölkerung so wichtig. ...


...


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Berlin Die Bundesregierung hat im ersten Halbjahr mindestens 178 Millionen Euro für externe Berater ausgegeben. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Finanzministeriums in den 14 Ressorts, die auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Matthias Höhn durchgeführt wurde und der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Mit Abstand am meisten investierten das Innenministerium mit 78,7 Millionen Euro und das Verkehrsministerium mit 47,7 Millionen Euro in Sachverstand von außen. Das Bildungsministerium benötigte dagegen am wenigsten zusätzliche Expertise. Dort wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres nur 293.000 Euro für Berater ausgegeben.

Finanz-Staatssekretärin Bettina Hagedorn weist in ihrer Antwort allerdings darauf hin, dass es für externe "Beratungs- und Unterstützungsleistungen" keine einheitliche Definition in den einzelnen Ministerien gebe. Deshalb könne "nicht von einer ressortübergreifenden Vergleichbarkeit der Angaben ausgegangen werden".

Das Kanzleramt ist in der Aufstellung nicht berücksichtigt. Als einziges Bundesministerium machte das Verteidigungsressort keine Angaben. Dort sei "die entsprechende Erhebung (...) noch nicht abgeschlossen", schreibt Hagedorn. Die Zahlen würden aber nachgereicht.

Der Einsatz von Beratern im Verteidigungsministerium wird seit einem halben Jahr von einem Untersuchungsausschuss des Bundestags überprüft. Es geht um Vorwürfe von unkorrekter Auftragsvergabe bis hin zu Vetternwirtschaft. Wahrscheinlich wird die gerade ausgeschiedene Verteidigungsministerin und künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch noch vom Ausschuss befragt.

Höhn nannte es "skandalös", dass ausgerechnet vom Verteidigungsministerium noch keine Zahlen geliefert worden seien. "Erst etabliert sie (von der Leyen) eine zum Teil rechtswidrige Berater-Kultur, die seit Monaten ein Untersuchungsausschuss aufklären muss, und trotzdem ist das Verteidigungsministerium nicht auskunftsfähig. Dies wird sie als Kommissionspräsidentin dem Untersuchungsausschuss erklären müssen", sagte der Linken-Politiker.

Im Februar hatte eine ähnliche Umfrage des Finanzministeriums ergeben, dass es zwischen 2014 und 2017 eine deutliche Steigerung der Ausgaben für Berater gegeben hat. 2014 lagen sie noch bei 63 Millionen Euro, 2015 waren es schon 105 Millionen, 2016 stieg die Zahl auf 243 Millionen und 2017 lag sie bei 248 Millionen Euro. Für 2018 lagen zum damaligen Zeitpunkt noch keine vollständigen Zahlen vor.

Das Engagement von Unternehmensberatern und anderen Experten von außen durch die Bundesregierung ist hoch umstritten. Kritiker meinen, dass der Einkauf von Sachverstand zu teuer und angesichts der mehr als 20.000 Mitarbeiter in den Ministerien auch nicht zwingend notwendig sei. Zudem wird zu großer Einfluss auf die Regierungsarbeit befürchtet. (dpa)


Aus: "Regierung zahlt viele Millionen für Berater" (23.07.2019)
Quelle: https://www.saechsische.de/regierung-zahlt-millionen-euro-fuer-berater-5097806.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] 70 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Mauerfall: Im Jahr 2019 werden große Jubiläen begangen. Doch was die Politik als wichtige demokratische Errungenschaften feiert, was bedeutet das eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern noch? Offenbar nicht mehr allzu viel, folgt man dem Befund einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, die der SPD nahe steht. Demnach ist die Mehrheit der Deutschen, nämlich 53 Prozent, unzufrieden damit, wie die Demokratie hierzulande funktioniert – ein Tiefstand.

Das war nicht immer so: Lange waren etwa 60 Prozent der Deutschen zufrieden mit der Demokratie, doch seit 2015/16 gibt es einen steilen Knick nach unten. Die Studienautoren führen das vor allem auf die wirtschaftliche Situation und den Anstieg der Flüchtlingszahlen zurück.

Dabei zeigen sich große Unterschiede: Menschen mit hoher Bildung und Einkommen sind überdurchschnittlich zufrieden mit der Demokratie. Die Kehrseite ist, dass diejenigen, die sich tendenziell wenig an Wahlen beteiligen, besonders unzufrieden sind, etwa Menschen mit geringerem Einkommen. Auch unter Nichtwählern ist der Anteil der Unzufriedenen besonders hoch: Er liegt bei mehr als 70 Prozent. Und wer findet, es sei völlig egal, wer regiert, ist ebenfalls unzufrieden mit der Demokratie. Menschen auf dem Land sind unzufriedener als Großstädter.

In Ostdeutschland, wo bald drei neue Landtage gewählt werden, ist der Frust besonders groß: Nur etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Ostdeutschen ist zufrieden mit der Art und Weise, wie die Demokratie funktioniert, gegenüber knapp der Hälfte (49 Prozent) im Westen. Dieser große Abstand zwischen beiden Seiten besteht seit Jahren und wird nicht kleiner. Studienautor Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, sagt: "Teile der Ostdeutschen sind noch nicht wirklich angekommen in der liberalen Demokratie."

Das macht er auch an den Wahlerfolgen der AfD fest: Zwar gebe es keine Anzeichen, dass sich die Menschen gänzlich von der Demokratie abwenden. Aber die Erfolge der AfD in Ostdeutschland seien dramatisch. Eine kritische Schwelle sei insbesondere in Sachsen erreicht: "Da gibt es tatsächlich demokratiegefährdende Tendenzen."

Gleichzeitig sind die Ostdeutschen deutlich optimistischer als Westdeutsche: 41 Prozent blicken zuversichtlich in die Zukunft, im Westen sind es etwa 30 Prozent. Allerdings ist das Zukunftsvertrauen insgesamt gering: Zwei Drittel der Deutschen gehen davon aus, dass es künftigen Generationen in Deutschland schlechter gehen wird. Am pessimistischsten sind Süddeutsche – möglicherweise, weil sie den größten Wohlstand und damit am meisten zu verlieren zu haben.

Viele Befragte sehen den Wohlstand ungleich verteilt: Zwei Drittel stimmen der Aussage zu, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht von der guten wirtschaftlichen Entwicklung profitiert. Das sähen auch jene so, "die selbst nicht auf der Verliererseite sind", schreiben die Autoren.

Unterschiede gibt es zwischen den Anhängerinnen und Anhängern der einzelnen Parteien. Mit etwa zwei Dritteln Zustimmung sind Anhänger der Union am zufriedensten mit der Demokratie in Deutschland. Das erklären die Autoren mit dem Gefühl, den Wahlsieger und damit die spätere Regierungspartei gewählt zu haben. Auch die Grünen-Anhänger sind mit deutlicher Mehrheit zufrieden. Große Unzufriedenheit zeigen dagegen Anhänger der Linken: Nur ein Drittel findet die Demokratie, wie sie funktioniert, gut.

Gänzlich unzufrieden sind Anhänger der AfD: Nur sieben Prozent sagen, sie finden die Funktionsweise der Demokratie gut oder sehr gut. Studienautor Decker warnt: Die AfD sei zwar eine demokratisch gewählte Partei, aber nicht unbedingt eine demokratische Partei. "Sie steht auf Kriegsfuß mit elementaren Prinzipien der Demokratie."

Eines dieser elementaren Prinzipien der Demokratie sind Teilhabemöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger – in einer repräsentativen Demokratie wie in Deutschland sind das vornehmlich Wahlen. Und auch hier herrscht große Unzufriedenheit. 40 Prozent sagen, sie wünschten sich mehr direkte Demokratie – ein Wert, der allerdings wieder sinkt, womöglich angesichts der verheerenden Folgen des Brexit-Referendums.

Die Unzufriedenheit drückt sich auch darin aus, dass viele Menschen den politischen Institutionen kaum noch vertrauen. Parteien, Bundestag und Bundesregierung sowie den Medien wird wenig Vertrauen entgegengebracht. Auffällig sind auch hier AfD-Anhänger: Ihr Vertrauen in Parteien und Bundesregierung liegt im einstelligen Bereich.

Das geringe Vertrauen in Parteien äußert sich überdies im negativen Bild von Politikern: Fast 90 Prozent der Befragten sagen, dass die meisten Politiker mehr versprechen, als sie halten könnten. Und drei Viertel glauben, dass sich Politiker nicht um die Sorgen von Menschen wie ihnen kümmern. Umgekehrt erkennen zwei Drittel an, dass der Politikerjob schwer ist, und nur eine Minderheit findet, dass Politiker unverständlich sprechen würden.

Das schlechteste Image von Politikern haben mit großem Abstand die Anhänger der AfD. Die Anhänger aller anderen Bundestagsparteien (mit Ausnahme der Linken) gestehen Politikerinnen und Politikern mehrheitlich zu, das Beste für das Land im Sinn zu haben.

Woran liegt nun diese Unzufriedenheit – und was kann man dagegen tun?

Politiker "sind nicht die besseren Menschen und brauchen es auch nicht zu sein", schreiben die Autoren. Gleichwohl geben sie mehrere Empfehlungen ab, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen: Sie sollten in ihren Positionen beständig sein, nur das versprechen, was sie halten können, mit eigenen Fehlern aufrichtig umgehen und auf lukrative Nebentätigkeiten verzichten.

Der Studie zufolge sind viele Menschen in Deutschland vor allem enttäuscht davon, was die Politik konkret umsetzt. Das war schon  1997 so: Als Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Probleme das Ende der Kohl-Jahre einläuteten, lag die Demokratiezufriedenheit ähnlich niedrig wie jetzt.

Heute treiben die Menschen insbesondere Rente und Wohnen  um. Nur ein Viertel findet, dass der Staat den Lebensstandard im Alter gut gewährleistet, noch weniger Menschen finden das Problem, ausreichend (bezahlbaren) Wohnraum zu schaffen, gut gelöst: Nur 15 Prozent stimmen hier zu. Gut bewertet wird dagegen mehrheitlich die Bildung, der Lebensstandard Arbeitsloser und die Gesundheitsversorgung.

Welche Forderungen haben die Menschen also an die Politik? Die Studie wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung beauftragt – daher überrascht es nicht, dass Kernforderungen der SPD abgefragt wurden. Demnach sind 77 Prozent der Befragten für eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung und fast zwei Drittel für ein staatliches Vorkaufsrecht für Wohnungen. Zudem lehnt es eine knappe Mehrheit der Befragten ab, Migranten weniger Sozialleistungen zu gewähren als Einheimischen. Auch die Idee, Arbeitslose zu verpflichten, jeden Job anzunehmen, auch wenn dieser Job nicht ihrer Qualifikation entspricht und sie weniger verdienen würden, weist die Mehrheit zurück. Erstaunlich ist dabei: Allen Hartz-IV-Debatten zum Trotz, die die SPD fast zerrissen hätten, sind SPD-Anhänger mehrheitlich für diese Jobverpflichtung. 

Ebenso auffällig ist, dass Befragte mit Migrationshintergrund mit mehr als zwei Dritteln viel stärker dafür sind, Zugewanderten weniger Sozialleistungen zu gewähren als Einheimischen. Doch Studienautor Decker findet das nicht überraschend: "Es geht um Konkurrenz. Die Arbeitsmigranten, die sich ihren Wohlstand in Deutschland hart erarbeitet haben, sind offenbar weniger bereit, mit neuen Zuwanderern zu teilen, die zum Teil aus anderen Kulturkreisen kommen, wie etwa die Flüchtlinge aus dem arabischen Raum. Wohlfahrtschauvinismus als Einstellung findet sich nicht nur unter den Biodeutschen."

In Ostdeutschland sei der Wunsch, einheimische Menschen bei Sozialleistungen gegenüber Zuwanderern zu bevorzugen, auch wegen der massenhaften Abwanderung so groß (57 Prozent Zustimmung gegenüber 43 Prozent in Westdeutschland), so Decker. Der Verlust großer Bevölkerungsteile nach dem Mauerfall habe die Gesellschaft verändert und sei vergleichbar mit anderen mittel- und osteuropäischen Ländern. "Die innereuropäische Konfliktlinie über die Flüchtlingspolitik in Europa verläuft direkt durch Deutschland."

Neben konkreten Politikangeboten empfehlen die Autorinnen und Autoren neue Beteiligungsmöglichkeiten. Denn Zukunftsthemen wie der Klimaschutz liefen repräsentativen Systemen, die auf kurzfristige Wahlerfolge ausgerichtet sind, zuwider, sagt Studienautor Decker. Die Beschäftigung mit Klimapolitik ist also nicht attraktiv für gewählte Politiker, weil sich ihre Ergebnisse erst viel später zeigen. Um Gesetze und Programme zu langfristigen Zukunftsthemen zu verabschieden, könnten daher alternative Beratungs- und Entscheidungsverfahren wie zum Beispiel Loskammern sinnvoll sein. Als Beispiel führt Decker Irland an: Dort hat eine Gruppe zufällig ausgewählter Bürgerinnen und Bürger mit großem Erfolg zusammen mit Experten eine Verfassungsreform zu umstrittenen Themen wie Schwangerschaftsabbruch und der Ehe für alle erarbeitet.

Aber, so schränkt Decker ein: Zu viele Hoffnungen solle man in solche institutionellen Reformen nicht setzen, sondern: "Die Bürger müssen sich mit dem politischen Angebot besser identifizieren können. Das heißt, die Interessen derjenigen, die heute auf der Strecke bleiben oder glauben, dass sie auf der Strecke bleiben, wieder stärker zu berücksichtigen", etwa mit der Grundrente ohne Bedürfnisprüfung und einer besseren Wohnungspolitik.

Denn: "Der Schlüssel, um das Vertrauen wieder zu stärken, ist der Politik-Output. Der Staat muss sich mehr um den Zusammenhalt und um die Gleichheit in der Gesellschaft kümmern."


Aus: "Friedrich-Ebert-Stiftung: Mehrheit der Deutschen ist demokratieverdrossen" Rita Lauter (13.08.2019)
Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-08/friedrich-ebert-stiftung-demokratie-ostdeutsche-westdeutsche-zufrieden-studie/komplettansicht

Quotekarl-m #3

Was ist dass denn für eine Frage! Mit der Demokratie kann man nicht zufrieden oder unzufrieden sein. Sie ist eine Staatsform, die kann man bevorzugen oder ablehnen.
Ich war mit der Politik von Brandt und teilweise von Schmidt einverstanden und somit zufrieden. Die Politik von Kohl und AM lehnte ich ab und war/bin damit unzufrieden.
Alle genannten Kanzler agierten in der selben Salatsform. Die Frage muss lauten: Sind sie mit der Umsetzung der Demokratie aktuell zufrieden?


QuoteProclamator #3.5

"Die Frage muss lauten: Sind sie mit der Umsetzung der Demokratie aktuell zufrieden?"

Nein. Die Frage müsste lauten: Sind sie mit der Politik, die Ihre Regierung derzeit macht zufrieden und fühlen Sie sich repräsentiert?


Quote
zimuncumuncu #4

Was für ein bemitleidenswert misanthropisches Volk wir doch sind. Bei allen Problemen und bei aller gerechtfertigter Kritik. Dieses Ergebnis ist vollkommen losgelöst von der Realität.


Quotedingensda #4.7

Liebe Demokratieverdrossene,
ich würde mal einen Studienaufenthalt in einem Land empfehlen, in dem eine Lichtgestalt wie Putin, Erdogan, Maduro oder Idi Amin Dada (Gott hab ihn selig) dafür sorgt, dass alles immer bestens läuft.

Alternativ möchte ich mit Walter Lübcke sagen: Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.


QuoteSlowenendeutscher #4.12

Es kommt immer darauf an , welche Realität man für real hält.
Man soll nicht alles denken , was man glaubt.


Quote
Coveillance #5

"Mehrheit der Deutschen ist demokratieverdrossen
Nur noch eine Minderheit ist einer Untersuchung zufolge zufrieden mit der Demokratie"

Ist es nicht möglich, dass diese Mehrheit nicht mit der Demokratie, sondern mit dem Demokratie-Schauspiel unzufrieden ist, welches momentan aufgeführt wird, im Berliner Reichstagsgebäude, welches nun von Zaun und Wassergraben umgeben wird?


QuoteThrym #7

Wir haben momentan die Wahl zwischen:

-einem völlig ambitionslosen Verwaltungsmodus von Karrieristen (Union, SPD)

-hysterischen Moralisten (Linke, Grüne) mit unendlich teuren weltfremden Ideen

-einer FDP, die sich von ihrem sozialliberalen Bürgerrechts-Markenkern entfernt hat

-einer AfD die es nicht schafft und auch gar nicht immer schaffen will, sich von Rechtsradikalen zu distanzieren. Die dafür aber ein Alleinstellungsmerkmal beim Bekämpfen illegaler Migration hat.

Wie soll denn da irgendjemand wirklich begeistert sein Kreuzchen machen? Es kann halt jeder genervt das wählen, was er persönlich für das kleinste Übel hält. Aber Begeisterung? Nein!


QuoteUniKrebsforscher #7.3

Die Gesetze der Physik sind nicht weltfremd. Klimawandel is coming (Winter is going). Die Grünen sind eher noch zu wenig fordernd. Mag sein dass Ihnen das nicht passt. Ändert aber nichts. Man kann sich zwar noch eine Weile selbst belügen, wird dann aber trotzdem von den menschengemachten Tatsachen (CO2 Anstieg, Umweltzerstörung) eingeholt...


QuoteDada Max #7.4

Man könnte zum Beispiel über das Kreuzchen hinaus mal aus der reinen Konsumentenrolle rauskriechen und selbst aktiv in das Geschehen eingreifen, wenn man denn tatsächlich so wahnsinnig unzufrieden ist. Ist hierzulande nicht verboten. Man darf sogar eine andere Meinung haben als die Mehrheit. Und diese äußern, ohne eingesperrt zu werden. Immerhin leben wir in einer Demokratie.



Textaris(txt*bot)

Quote[...] Sandro Zanetti lehrt Allge­meine und Ver­gleichende Literatur­wissen­schaft an der Univer­sität Zürich. Er ist Mitglied des Zentrums Geschichte des Wissens (ZGW) und des Zentrums Künste und Kultur­theorie (ZKK) sowie Heraus­geber von Geschichte der Gegenwart.

Zu den vulgärsten Polit­pa­rolen der jüngsten Vergan­gen­heit gehört der von Donald Trump herum­po­saunte (und vorab schon von Ronald Reagan geprägte) Slogan Make America Great Again. Verrä­te­risch ist das letzte Wort: Again. Es sugge­riert erstens, dass es früher eine Größe Amerikas gab (gemeint sind aber nur die USA), zwei­tens, dass es zu einem Verlust dieser Größe kam, und drit­tens, dass man nur einiges wieder rück­gängig machen muss, um zu diesem früheren, angeb­lich besseren Zustand zurück­zu­kehren.

Dieses Frühere ist aller­dings nichts anderes als eine Projek­tion: noch nicht einmal restau­rativ, sondern eine hohle Unter­stel­lung einer zugleich rück­sichts­losen und wehlei­digen Gegen­wart, eine diffuse Sehn­sucht nach einer besseren Welt, die man aus der Vergan­gen­heit hervor­holen zu können glaubt. Dabei wird mit einer großen und zugleich unauf­ge­klärten Geste eines schein­baren Bescheid­wis­sens alles ausge­blendet, was früher viel­leicht nicht so gut war: Skla­verei, Ausbeu­tung, unheil­bare Krank­heiten, Kriege hier und dort, Benach­tei­li­gungen von Menschen aller Art.

Was genau will man also über­haupt wieder­haben? Das andau­ernde Vergessen viel­leicht, dass den Preis für das eigene Wohl­ergehen womög­lich andere zu bezahlen haben? Was war denn früher wirk­lich besser? Die Frage, so gestellt, ist allge­meiner, und es ist diese Frage, die der vor wenigen Wochen verstor­bene Michel Serres in einem seiner letzten Bücher in gut pole­mi­scher Absicht stellte: Was genau war früher besser? Ein opti­mis­ti­scher Wutan­fall.

Auf Fran­zö­sisch erschien das Buch unter dem Titel C'était mieux avant! schon 2017. Dem voraus ging die kurze Streit­schrift und Liebes­er­klä­rung Petite Poucette von 2012 – auf Deutsch: Erfindet euch neu! Eine Liebes­er­klä­rung an die vernetzte Genera­tion, 2013. Deren Prot­ago­nistin ,,Däume­lin­chen" (Petite Poucette) aus dem Kunst­mär­chen von Hans Chris­tian Andersen kehrt auch in der neuen Publi­ka­tion wieder: Sie vertritt – geschickt mit dem Daumen auf dem Smart­phone unter­wegs – die Enkelinnen- und Enkel­ge­nera­tion, deren Gegen­wart von den miese­pe­trigen Mecker­greisen – den ,,grands-papas ronchons" – kaum noch verstanden wird. Denn diese Mecker­greise sind jene, die in Serres zuweilen gera­dezu grotesken Über­spit­zungen die Vergan­gen­heit partout zum verlo­renen Para­dies verklären wollen.

Gibt es einen Erfah­rungs­schatz, den die Groß­el­tern, heute, ihren Enke­linnen und Enkeln weiter­geben können? Wie hilflos ein solcher ,Schatz' anmuten kann, lässt sich schon – damals im Rück­blick auf die im Ersten Welt­krieg stumm gewor­dene Solda­ten­ge­nera­tion – in Walter Benja­mins Essay ,,Erfah­rung und Armut" von 1933 nach­lesen. Dass man seither aber die Vergan­gen­heit auch noch verklären sollte, das käme, folgt man den Über­le­gungen von Serres, einer intel­lek­tu­ellen Bank­rott­erklä­rung gleich.

Die Verklä­rung der Vergan­gen­heit führt Serres zufolge ebenso wenig weiter wie das Meckern über die Gegen­wart. Das von Stefan Lorenzer hervor­ra­gend über­setzte Buch heißt deshalb aus guten Gründen: ein opti­mis­ti­scher Wutan­fall. Um eine fein­sin­nige philo­so­phi­sche Abhand­lung handelt es sich also nicht. Wir lesen kein um Ausge­wo­gen­heit bedachtes Alters­werk, sondern eine hemds­är­melig formu­lierte Abrech­nung mit einem Klischee – jenem der besseren Vergan­gen­heit eben, das in Serres Augen nichts anderes verdient als eine ebenso heitere wie grobe Zurecht­wei­sung und Verun­glimpfung.

Der bissig-ironische Ton wird gleich auf den ersten Seiten ange­schlagen:

    Früher wurden wir von Musso­lini und Franco regiert, von Hitler, Lenin und Stalin, Mao, Pol Pot, Ceaușescu – alles gute Leute, ausge­wie­sene Spezia­listen für Vernich­tungs­lager und Folter, Massen­hin­rich­tungen, Kriege, Säube­rungen. Vergli­chen mit diesen illus­tren Akteuren wirkt so ein demo­kra­ti­scher Präsi­dent eher blass, es sei denn, er nötigt eine besiegte Nation, den demü­ti­genden Versailler Vertrag zu unter­zeichnen, über­zieht Dresden mit Bomben­tep­pi­chen oder zündet eine Atom­bombe, um die Zivil­be­völ­ke­rung von Hiro­shima und Naga­saki auszu­lö­schen.

Man lese dieses Zitat gerne zweimal durch, hohle tief Luft – und fahre dann fort mit der Lektüre:

    Sieht man von der Bombar­die­rung der Zivil­be­völ­ke­rung in den Städten ab, so ist in den Kriegen, meist von Verant­wort­li­chen reiferen Alters beschlossen und orga­ni­siert, die männ­liche Jugend getötet worden: In den Minis­te­rien, Botschaften und Haupt­quar­tieren saßen Väter aus jener Elite, die sich mit Inbrunst einer im zwei­stel­ligen Millio­nen­be­reich betrie­benen Ermor­dung ihrer Söhne widmeten. Den Töch­tern und Söhnen, die über­lebt hatten und zwei­fellos geblendet waren von der impo­nie­renden Gräber­zahl, wurde wenig später in den Hörsälen eine ganz andere Geschichte nahe­ge­bracht, die vom ,Vater­mord'. – Tote und Lügen­ge­schichten, ja, früher war doch wirk­lich alles besser.


Die Spitze gegen die Psycho­ana­lyse (,,Vater­mord") ist nicht ohne Witz, weil sie den akade­mi­schen Boom der Psycho­ana­lyse selbst als Effekt einer Verdrän­gung zu verstehen gibt: Statt sich um die Frage zu kümmern, was Menschen ihren Kindern und Enkel­kin­dern und also ihrer Zukunft anzutun in der Lage sind, fällt es offenbar leichter, die persön­liche Vergan­gen­heit zum Richtmaß der eigenen Hand­lungen zu erheben.

Dazu hätte man in dem Buch gerne noch mehr gelesen. Was aber klar scheint: Dämo­ni­sie­rung und Verklä­rung des Vergan­genen erweisen sich ganz schnell als zwei Seiten derselben Medaille – ein Gedanke, den Serres nicht explizit formu­liert, aber der erklären hilft, warum die Reka­pi­tu­la­tionen der Vergan­gen­heit, so wie sie im Buch selbst ausfallen, so abge­klärt, mit Blick auf die Gegen­wart aber auch so heiter daher­kommen.

Die ganzen folgenden Seiten verwendet Serres darauf, detail­reich in Erin­ne­rung zu rufen, wie es ,früher' war. Sein ausge­wie­senes wissen­schafts­his­to­ri­sches Inter­esse verbindet sich dabei mit prägnanten biogra­fi­schen Erin­ne­rungen:

Bei diesem Früher, da war ich schließ­lich dabei. Ich kann ein Exper­ten­ur­teil abgeben. Hier ist es.

Serres verfolgt dabei eine Doppel­stra­tegie: Er schil­dert roh die hygie­ni­schen Bedin­gungen seiner eigenen Herkunft, die medi­zi­ni­schen Kata­stro­phen, die Mühen der Land­wirt­schaft, die prak­tisch recht­lose Situa­tion der Frauen, die Schwer­fäl­lig­keit der Kommu­ni­ka­tion, die Folgen des Krieges, der Korrup­tion, der Armut. Zugleich zeigt er auf, was sich in der Folge und bis zum heutigen Tag alles gebes­sert hat. Er zählt die tatsäch­lich revo­lu­tio­nären tech­ni­schen Inno­va­tionen auf, die rasanten medi­zi­ni­schen Fort­schritte, die posi­tiven poli­ti­schen Errun­gen­schaften. Fast hat man Angst, dass der dekla­rierte Opti­mist Serres die mani­festen Kehr­seiten dieser Entwick­lungen völlig über­sieht – wobei der Wie-es-früher-wirklich-war-Experte am Ende doch noch ins Grübeln gerät:

Die Fort­schritte, deren Lob ich singen wollte, haben eine hohe Lebens­er­war­tung gezei­tigt, und diese hat uns wiederum eine große Zahl an Greisen beschert, die im Besitz nicht vererbter Vermögen sind. Viele von ihnen kommen an die Macht, um sie für ihre Fort­schritts­ver­wei­ge­rung zu nutzen. Durch diese zirku­läre Kausa­lität bremst der Fort­schritt sich selbst.

Serres weiß, dass Voltaire seinen Candide – den Opti­misten – als Trottel in die Welt schickte und dass seither der Opti­mismus gerade in der fran­zö­si­schen Denk­tra­di­tion nicht gerade hoch­an­ge­sehen ist. Statt die Skepsis, wie die Mecker­greise, auf die Gegen­wart zu richten und vor lauter selbst­pro­du­zierter Blen­dung vonseiten der Vergan­gen­heit das Bessere der Gegen­wart zu über­sehen, geht es Serres jedoch gerade umge­kehrt darum, die Möglich­keit des Besseren in der Gegen­wart für die Zukunft zu retten und statt­dessen die Skepsis gegen­über der Vergan­gen­heit, ja gegen­über den glori­fi­zierten Schein­ver­gan­gen­heiten wach­zu­halten.

Diese Blick­um­kehr geschieht im Buch brachial, die Sprache ist unzim­per­lich, die Argu­men­ta­tion sprung­haft. Gerade dies macht das Buch aller­dings zum Vergnügen. Ein Nach­mittag genügt, um es zu lesen. Danach begegnet man den Mecker­greisen mit der nötigen Portion Ironie: C'était mieux avant!


Michel Serres, Was genau war früher besser? Ein opti­mis­ti­scher Wutan­fall, aus dem Fran­zö­si­schen von Stefan Lorenzer, Frank­furt am Main: Suhr­kamp 2019.



Aus: "Was genau war früher besser? Eine Nach­mit­tags­lek­tion von Michel Serres" Sandro Zanetti (2019)
Quelle: https://geschichtedergegenwart.ch/was-genau-war-frueher-besser-eine-nachmittagslektion-von-michel-serres/

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Es ist, wie Paul Lendvai es kürzlich in einem STANDARD-Interview diagnostiziert hat: Die wichtigsten Staatsmänner teilen sich in Diktatoren und Politclowns. Der Osten hat die Diktatoren (Putin, Xi Jinping), der Westen die Clowns. Aber gefährliche Clowns. Bei Donald Trump muss man inzwischen bereits im "Diagnostischen und Statistischen Handbuch der psychischen Störungen" nachschlagen.

Was er jetzt in einem inkohärenten Redeschwall zu "Grönland kaufen", zu den Ratings seiner alten TV-Show und zu Israel ("Ich bin der Auserwählte") von sich gab, steht längst unter Demenzverdacht. Europa hat Boris Johnson oder Matteo Salvini zu bieten, die alle Verhaltensoriginalität mit einem Destruktionskurs verbinden. Österreich hat dazu "nur" einen Ex-Vizekanzler zu bieten.

Zuletzt wurde man auf den Newcomer Jair Bolsonaro aufmerksam. Der rechtsextreme Präsident Brasiliens fackelt gerade den Amazonas ab, macht dafür aber die Umweltschützer verantwortlich. Die NGOs zünden demnach den Urwald an, um Bolsonaro zu schaden: "Das ist der Krieg, in dem wir uns befinden", sagt er. Klassische Täter-Opfer-Umkehr.

Aber: Die wurden alle gewählt. Mit Ausnahme von Boris Johnson vom Volk, in freien Wahlen. Kein Putsch, keine Machtergreifung. Wie steht es um den Gemütszustand des Wahlvolkes, wenn es so gefährliche Clowns an die Macht (oder in deren Nähe) bringt? (Hans Rauscher, 22.8.2019)


Aus: "" Hans Rauscher (22. August 2019)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000107696445/diktatoren-und-clowns

Quote
maxi munkenkatz

lakonisch könnte man ja meinen: na, weil die demokratie eben auch clowns erlaubt. allerdings: clown? - diese tolpatschigen ewigverlierer, über die man aus schadenfreude lacht. white supremacists, neo-nazis, faschisten als clowns zu bezeichnen, wäre eine beleidigung für den clown.

möglicherweise müsste man die frage stellen: warum lassen sich wähler zu clowns machen? - weil sie sonst nicht viel zu lachen haben?


Quote
We love you

Wir stehen vor gigantischen Herrausforderungen. Klimawandel, Digitalisierung unserer Arbeit, Flucht und Migrationsbewegungen -um nur ein paar zu nennen.
Diese Verunsicherungen werden gekonnt von Rechtspolulisten benutzt. Das neoliberal durchdrungene Selfiesubjekt mit Kurzzeitaufmerksamkeit springt ausgezeichnet auf die Emotions,- Inszenierungs,- Schlagwort-, Vereinfachungs und Herabwürdigungspolitik an.
Fesch konservativ oder RotzigProll. Beides kommt gut an. Dahinter steht das Kapital.
Ende der Sachpolitik.
Hinzu kommt, dass sich der Kapitalismus in seinen letzten Atemzug befindet.
Jene die Macht haben, versuchen noch schnell ihre Schäfchen ins trockene zu bringen und so viel Geld wie möglich zu scheffeln, bevor es ordentlich tuscht.


Quote
Just N. Opinion

Nicht zu vergessen:
Auch ein Erdoğan wurde gewählt.
Auch ein Orbán wurde gewählt.
Auch ein Berlusconi wurde gewählt.

Trotteln wählen halt gern Trottel. ...


Quote
Rohling

Diese Typen sind das Äquivalent zu Sozialporno und Dschungelcamp im TV und 224 Punkt Schlagzeilen der Boulevardpresse, es zählt der Unterhaltungswert.


Quote
Bibi Blockwart

Das sage ich schon die ganze Zeit und kassiere dafür regelmäßig rot. Egal wie dumm das Volk wählt, scheinbar ist es unfehlbar bzw darf nicht kritisiert werden.
Wer aber die Ammenmärchen voller Angst, Hass und die Versprechungen à la zurück in die 'gute alte Zeit' glaubt, der IST einfach dumm. Sorry. Is so.  ...


Quote
alexanderletten

In unser lieben, kleinen und beschaulichen Gemeinde hängt seit gestern ein Wahlplakat der FPÖ, auf diesem ist Robert Lugar abgebildet und drunter steht:
"Das Richtige tun."
Das ist dermaßen grotesk, und aberwitzig, ich wusste echt nicht ob lachen das Richtige ist.
Die Idiotie beginnt wie man sieht in so kleinen Rahmen, und endet mit den allseits Clowns und Faschisten.


Quote
Quargelsemmerl

Ich meine, dies iat die Folge von mittlerweile drei Generationen TV-Schädigung.
Die Leute verwechseln die reale Welt mit Comendy-Sitcoms, wobei die Boulevardmedien die Lachspur liefern.
Politiker werden nach der Fähigkeit gewichtet, das Publikum zu unterhalten.
Wer die deppertsten und frechsten Sprüche klopft, wird gewählt.
Wir befinden uns im Schenkelklopfer-Zeitalter.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Mareike Nieberding hat Literaturwissenschaft und Publizistik in Berlin und Paris studiert und besuchte anschließend die Deutsche Journalistenschule. Sie ist Redakteurin beim SZ-Magazin in München, zuvor arbeitete sie bei ZEITmagazin ONLINE. 2016 gründete sie die überparteiliche Jugendbewegung DEMO. 2018 erschien ihr Debüt "Ach Papa" im Suhrkamp Verlag. "Verwende deine Jugend" ist ihr zweites Buch, ZEIT ONLINE veröffentlicht einen leicht gekürzten Auszug daraus.


Die Jugend von heute ist nicht politikverdrossen. Sie ist parteienverdrossen. Alle großen Jugendstudien der letzten Jahre, wie die Shell-Jugendstudie oder die Sinus-Studie, haben herausgefunden, dass die Jugend von heute nicht nur pragmatisch und pflichtbewusst, familienorientiert und optimistisch ist, sondern vor allem, dass sie sich im Vergleich zu vorherigen Generationen zunehmend politisiert. Nur eben nicht in Richtung der Parteien und dem etablierten Politikbetrieb, sondern in Abgrenzung zu dem, was gemeinhin als "die Politik" verstanden wird.

Laut der Shell-Studie von 2015 haben nur drei bis vier Prozent der Jugendlichen schon mal Erfahrungen in politischen Organisationen gesammelt. Das hat einerseits mit der Komplexität der Parteien zu tun, die auf junge Menschen oft abschreckend wirkt. Es hängt aber wohl auch damit zusammen, dass solcherart Politik für Jugendliche ein Synonym für Intransparenz und Taktiererei darstelle, wie die Sinus-Studie es formulierte. So stünden junge Menschen dem etablierten Betrieb nicht nur weitgehend leidenschaftslos gegenüber, vielmehr langweilten Politik und PolitikerInnen sie geradezu. Den Parteien wird außerdem unterdurchschnittlich wenig Vertrauen entgegengebracht.

Der Großteil der jungen Menschen interessiert sich nicht für Politik in Form von Parteitagen, Pressekonferenzen und Wahlwerbespots. In den meisten Fällen erreichen diese Veranstaltungen und Botschaften sie kaum noch: Fast zwei Drittel von ihnen informieren sich gar nicht über den politischen Betrieb. Für die Parteien und ihr Personal ist das ein Desaster. Weil es eben keine Absage an das Politische an sich ist, sondern eine Absage an die Art und Weise, wie Politik von Parteien gemacht wird.

Dieser Generation mangelt es nicht an politischem Interesse. Ganz im Gegenteil: Die Jugendlichen von heute interessieren sich nicht nur für den Klimaschutz, sie interessieren sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, für die Umwelt und soziale Gerechtigkeit, sie wollen sich in diesen Bereichen auch engagieren: 32 Prozent sagten bereits 2015, dass ihnen politisches Engagement wichtig ist. Fast der Hälfte von ihnen ist es sogar besonders wichtig.

32 Prozent, das klingt wenig. Ich könnte hier nun genauso gut schreiben, dass eben nur ein Drittel der Jugendlichen aktiv etwas verändern will und damit viel zu wenige. Aber große Veränderungen gehen immer von Minderheiten und manchmal sogar von Einzelnen aus:

Die Schwedin Greta Thunberg ist eine dieser Einzelnen, die längst nicht mehr allein sind. Am 20. August 2018 startete sie ihren Skolstrejk för klimatet. Statt in die Schule zu gehen, setzte sie sich von diesem Tag an jeden Freitag vor das schwedische Parlament in Stockholm. Sie hielt einen TED-Talk, sprach auf der UN-Klimakonferenz in Katowice, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und ermahnte Staatsoberhäupter und RegierungschefInnen mit den Worten: "Ich will, dass ihr in Panik geratet." Ihrem Protest folgen Jugendliche weltweit unter dem Hashtag fridaysforfuture.

Auch in Deutschland gingen große Veränderungen immer von kleinen Gruppen aus: Als die StudentInnen des SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, 1968 den "Muff von tausend Jahren" aus den Talaren ihrer Professoren klopfen wollten und damit in Deutschland die Grundlage schufen für die 68er, die Hippie-Bewegung, die sexuelle Befreiung, einen neuen antiautoritären Erziehungsstil.

Das alles klingt nach Revolte und Rock'n'Roll, aber damals führte Roy Black die Charts an. Früher war nicht alles besser, auch in den Sechzigern und Siebzigern engagierte sich nur ein Bruchteil der Jugend politisch. SozialwissenschaftlerInnen schätzen, es waren gerade mal drei bis vier Prozent. Doch die Radikalität ihrer Forderungen und die Lautstärke, mit der sie diese vortrugen, veränderte die Bundesrepublik. Die Debatten und Aktionsformen der Studentenbewegung bildeten die Grundlage für die Friedens- und die Anti-Atomkraftbewegung, viele ihrer ehemaligen MitstreiterInnen waren MitbegründerInnen der Partei Die Grünen. Man sollte die 32 Prozent von heute, die aktiv etwas verändern wollen, ernst nehmen. Es sind so viele wie seit der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre nicht mehr, als die Jugend als überdurchschnittlich politisiert galt, auch weil ihre Zukunftsaussichten so schlecht waren.

Jeder fünfte Jugendliche war in den Achtzigern arbeitslos. Sich politisch zu engagieren hatte damals oft existenzielle Gründe. Im Vergleich dazu geht es der Jugend von heute so gut wie noch nie. Sechzig Prozent von ihr sind in relativem Wohlstand aufgewachsen und sehr gut ausgebildet. Diese große Gruppe geht auch aufgrund des demografischen Wandels einer aussichtsreichen beruflichen Zukunft entgegen. In vielen Branchen herrscht Fachkräftemangel, der Arbeitsmarkt verwandelt sich immer mehr von einem Arbeitgeber- in einen Arbeitnehmermarkt. ProgrammiererInnen oder MaschinenbauingenieurInnen können sich ihre Jobs aussuchen. Die Jugend kann optimistisch sein, sie ist es laut der Shell Jugendstudie 2015 auch: Fast zwei Drittel der Jugendlichen schauen zuversichtlich in ihre persönliche Zukunft. Sie hätten also allen Grund sich entspannt zurückzulehnen. Dass die Jugend genau das nicht tut und Verantwortung für sich und das Gemeinwesen übernehmen will, wie sie es Woche für Woche mit ihren Schulstreiks fürs Klima beweist, lässt hoffen und ist nicht nur eine riesige Chance für Parteien, NGOs und Bürgerinitiativen, es ist eine Chance für die Demokratie.


Aus: " Mareike Nieberding" (23. August 2019)
Quelle: https://www.zeit.de/campus/2019-08/verwende-deine-jugend-mareike-nieberding-vorabdruck/komplettansicht

Quoteheletz2 #11

Ohne Parteitage, Pressekonferenzen und Wahlwerbespots geht es aber nicht. :)  Das werden diese Jungen auch noch kapieren.