Wenn E. in der Halle erscheint, geht ein ängstliches Zucken durch die Gesichter. Man warnt die Kollegen, nickt in seine Richtung, zuckt die Augenbrauchen oder flüstert seine Anwesenheit weiter. Seine hoch gewachsene und körpermächtige Gestalt von preußischer Natur, dazu sein ernstes, von äußerlicher Unantastbarkeit verhülltes Gesicht, die blank polierte Glatze und ein eiskalter Blick, durch den die ihm innewohnende Macht aufgrund seiner Position allgegenwärtig zu spüren ist, erzeugt jedes Mal dieselbe Art von duckmäuserischer Reaktion. Für viele gibt es anscheinend nichts Schlimmeres, als von ihm beim so genannten, kurzfristigen Nichtstun `erwischt` zu werden, das heißt in Momenten, in denen man keine offensichtliche Arbeitsbewegung macht. Dabei ist es manchmal unumgänglich, dass man einige Minuten warten muss, sei es, weil die Schränke noch nicht fertig sind, oder der Wagen noch nicht frei ist. Gegen sieben Uhr beginnt sein erster Rundgang und er erscheint mit seiner Arbeitstasche am Halleneingang. Dort stellt er sich breitbeinig auf und lässt den Blick minutenlang durch die Halle spähen. Irgendein Instinkt sagt ihm, dass hier etwas nicht stimmt. Ja, was sucht er denn, dachte ich immer, und begriff erst später, dass es die kleinsten Abweichungen sind, die nicht seiner durchstrukturierten Vorstellung von einer reibungslosen Arbeitsmaschine entsprechen. Wie zum Beispiel zwei Kollegen, die im Mittelgang miteinander reden. Selbst wenn er es aus der Entfernung gar nicht hören kann, worüber gerade geredet wird, geht eine sichtbare Fassungslosigkeit durch sein Gesicht. Abgesehen davon, dass jeder mit jedem sein persönliches Verhältnis hat und die kleinen zwischenmenschlichen Momente gerade jene Augenblicke sind, die einem kurz aus der Eintönigkeit heraus reißen, ist es auch unumgänglich, dass man sich auch über die Arbeit an sich unterhalten muss, da der Ablauf eines Fließbandes mehr denn je davon abhängt, wie konstruktiv die einzelnen Schritte ineinander greifen. Doch E. stemmt die Hände in die Hüften und beobachtet in ungläubigem Interesse, als könne er es nicht begreifen, dass sich dort zwei Arbeiter die Frechheit raus nehmen und in ihren bezahlten Stunden miteinander plaudern. Dann schaut er um sich, als wolle jeden in der Halle darauf aufmerksam machen, doch niemand erwidert seinen Blick, was ihn wiederum noch mehr erzürnt, da er anscheinend der Einzige ist, der sie beim Nichtstun entdeckt hat, und marschiert schließlich in langen, schweren Schritten auf jene Ahnungslosen zu, um sie zur Rede zu stellen.
Bisweilen sieht man ihn wie einen Jäger auf seiner Pirsch um die Autos schleichen, hier und da leise in die Wagen spähen und Ausschau halten, auf all diese `faulen Gesellen`, die es sich erlauben, sich auf ihren bezahlten Stunden auszuruhen. Jedes Mal gibt es eine verbale Anmache und Meldung an den Vorarbeiter, die, sichtlich müde dieser albernen Wiederholungen, seine Mahnungen an die Arbeiter weiter geben, und im Unterton mitschwingen lassen, was sie selbst davon halten. Doch seine selbst erteilten Mahnungen und Kündigungen haben schließlich das letzte Wort.
Ich habe mir versucht vorzustellen, wie seine Vision von der Reduzierung eines Menschen in eine rein funktionierende Arbeitskraft wohl aussieht, und kann nicht umhin, mir `Klappen – Karsten` (hier bekommt jeder seinen Spitznamen) als Beispiel zu nehmen. Mittlerweile weit über fünfzig arbeitet er schon seit zwanzig Jahren in dieser Firma und macht seit Jahren nichts anderes als die Bohrungen der Topfbänder für die Schranktüren. Es erinnert ein wenig an das ewige Verlieren an dem Spielautomaten namens `Einarmigen Banditen` und ist in seiner grotesken Eintönigkeit kaum zu überbieten. Ich habe ihn einmal in seinem Klappen – Reich besucht, um mir Klappen für den Heckschrank zu besorgen. `Ob ich einige Klappen haben könnte?` Keine Reaktion. `Soll ich mir einfach welche nehmen?` Keine Reaktion. Manche sagen, dass er seit Jahren kaum ein Wort mehr spricht, und die verschlossene, griesgrämige Einsamkeit, die er sich in all der Zeit über ins Gesicht tätowiert hat, spricht für sich. Er fällt nicht auf. Er ist bis auf seine bloße Funktion auf einen ausführenden Arm reduziert und arbeitet wie eine Maschine. Ein Geschenk für jeden Arbeitgeber.
Vor einigen Tagen ließ sich E. ganze sieben Minuten Zeit (wie er später, ich möchte fast meinen, zu Protokoll gab), um einen Lagerarbeiter ausgiebig zu beobachten, wie er während seiner Tätigkeit am Schalter (Material – und Werkzeugausgabe) in `wiederholtem Male` ausgiebig mit den Kollegen `scherzte und lachte`. Wie immer hatte er sich etwas abseits auf seine Beobachterposition verschanzt und ist erst eingeschritten, nachdem die `Tatverdächtigen` nicht von alleine damit aufhörten. Es gab seine obligatorische verbale Anmache, die sich darin äußerte, dass man hier schließlich nicht zum Spaß sei und letztendlich seine Arbeit zu machen hätte, die aber in all diesem `unaufhörlichen Scherzen` nicht einmal vernachlässigt wurde. Ja, er hatte es sogar mit einem Arbeiter zu tun, dessen `Führungszeugnis` bisher keinen Grund zum `Tadeln` gab. Selbst die Rechtfertigungsversuche, dass er doch Freude an der Arbeit hätte und ihm das Verhältnis zu seinen Kollegen am Herzen läge, änderte nichts daran, dass E. sich dieses `absonderliche Verhalten` streng notierte. Erst ein ausgiebiges Gespräch zwischen Arbeiter, Vorarbeiter und E. konnte die Wogen glätten…
Seit diesem Vorfall, welches mich an Schulzeiten erinnerte, wenn die Lehrer einem das Nachsitzen androhten, wenn man nicht sofort mit dem Herumalbern aufhören würde, begriff ich erst, dass wir es hier mit einem sehr humorlosen Menschen zu tun haben. Nicht ohne Grund sieht man ihn selbst niemals lachen. Nicht einmal ein
Lächeln verirrt sich auf seinem steinernen Gesicht. Dieser Mensch hat einfach nur ein großes Problem mit allen musischen Dingen, die das Leben zu bieten hat, und er erträgt es nicht, dass andere es mitunter zu genießen wissen. Was für ein lächerlicher Kampf war es doch, in dem er so viel Energie investierte, um sich selbst ständig darin zu bestätigen, dass das Leben eben kein `Zuckerschlecken` ist, sondern ausschließlich harte ehrliche Arbeit, mit dem man gutes Geld verdient.