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[Informationelle Selbstbestimmung... ]

Started by Textaris(txt*bot), June 09, 2005, 04:07:51 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] "Wenn wir davon ausgehen, dass alle Vorgänge des Ichs begleitet werden von neuronalen Vorgängen, also beispielsweise ein individuelles Gedächtnis haben, in dem wir die wichtigen Daten unsere Lebensgeschichte gewissermaßen speichern, dann wäre eine Offenlegung dieser höchstpersönlichen Daten in Form einer bildgebenden Diagnostik schon etwas, was unsere Privatheit oder wie das Grundgesetz das ausdrückt, unsere informationelle Selbstbestimmung berührt." (Honnefelder)

...


Aus: "Wie steuerbar ist der Mensch?" Von Ingeborg Breuer (28.05.2009)
Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/971235/


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Quote[...] Im deutschen Recht bezeichnet die Informationelle Selbstbestimmung das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Es handelt sich dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um ein Datenschutz-Grundrecht, welches im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird. Der Vorschlag, ein Datenschutz-Grundrecht in das Grundgesetz einzufügen, fand bisher nicht die erforderliche Mehrheit.

[...] Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und wurde vom Bundesverfassungsgericht im so genannten Volkszählungsurteil 1983 als Grundrecht anerkannt. Ausgangspunkt für das Bundesverfassungsgericht ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, also Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (unter B II 1 a) des Urteils).

Die freie Selbstbestimmung bei der Entfaltung der Persönlichkeit werde gefährdet durch die Bedingungen der modernen Datenverarbeitung. Wer nicht wisse oder beeinflussen könne, welche Informationen bezüglich seines Verhaltens gespeichert und vorrätig gehalten werden, werde aus Vorsicht sein Verhalten anpassen (s.a. Panoptismus). Dies beeinträchtige nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe. ,,Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß."

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich nach Ansicht des EU-Parlamentes auch aus Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ab:

    ,,Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs."

    – EMRK Art. 8 (1)

Aufbauend auf dieser Begründung hatte das EU-Parlament gegen die EU-Kommission Klage erhoben, weil die verbindliche Speicherung der Verkehrsdaten der EU-Bürger gegen diese Regelung verstoße.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist weit gefasst. Es wird nicht unterschieden, ob mehr oder weniger sensible Daten des Einzelnen betroffen sind. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass unter den Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten der Informationstechnologie auch ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen könne und es insoweit keine belanglosen Daten gebe.

...


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Informationelle_Selbstbestimmung (12/2007)

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QuoteMan tritt sein Recht auf informelle Selbsbestimmung bereitwillig ab, um im Kaufhaus ein paar Euro zu sparen. Mit einer Leichtgläubigkeit, die an jene staunenden Ureinwohner der Südsee erinnert, die den weißen Kolonisatoren für ein paar bunte Glasperlen ganze Inseln überließen.

[...] Sie heißen RFID-Chip und Scoring, Database Warehouse und Profilbildung. Es sind dies Techniken der schönen neuen Welt der Kunden-Ausspähung. Schon jetzt hat die Datenspeicherung und -vernetzung für kommerzielle Zwecke beunruhigende Ausmaße erreicht. Was der Besitzer einer elektronischen Kundenkarte wo wann kauft -- ein offenes Buch. Jene Freiheit, welche der sperrige Begriff der "informationellen Selbstbestimmung" umschreibt, nehmen die meisten Menschen als selbstverständlich hin: das Recht, Herr über die eigenen Daten zu sein und selbst zu entscheiden, wer diese wozu erheben und verwenden darf. Vor 20 Jahren wurde, beim Protest gegen die Volkszählung, dieses Recht hart erkämpft und von den Karlsruher Richtern in zahlreichen Urteilen bestätigt. Wenn der Staat zu viel wissen will, wie beim Großen Lauschangriff, stößt er bald an die Grenzen des Rechts und der öffentlichen Meinung. In der Wirtschaft aber fehlt diese demokratische Kontrolle fast völlig.

[...] Der Bürger weiß nicht, welchen Preis er noch zahlen wird. Sein Verhalten wird digital abgebildet und für Fremde verfügbar, für Kontrolle, sogar für Repression. Schon warnt der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass ein junger Mensch, der einmal seine Handyrechnung nicht beglich, "kein Konto mehr eröffnen darf, keine Wohnung findet und keinen Versicherungsvertrag bekommt". Einem anderen wird es nichts nützen, dass er stets pünktlich zahlt und den Dispo nicht überzieht. Das Scoring-Verfahren, im Internet-Handel schon verbreitet, rastert nämlich seine Daten: Wohnt er in einer schlechteren Gegend, klingt sein Name ausländisch, gibt es keine Ware auf Rechnung. Er gilt als unzuverlässiger Kunde, ohne das Geringste verschuldet zu haben. Und das ist erst der Anfang. Welches Orwellsche Potenzial die digitale Welt entwickeln kann, wenn sie etwa auf das Gesundheitswesen übergreift, ist eine erschreckende Vorstellung.

Der Gesetzgeber steht vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Verbote wären wegen der Vertragsfreiheit der falsche Weg. Er könnte aber die Unternehmen zur Transparenz verpflichten: Wenn alle wissen, wozu exakt ihre Daten benutzt werden, wäre viel gewonnen. Er müsste sicherstellen, dass dem Einzelnen keine Nachteile entstehen, wenn er die Abgabe von Daten verweigert. Und er sollte dringend den Datenschutz aufwerten, den heute viele für ein lästiges Anhängsel oder eine grüne Spielwiese halten. Man wird ihn noch brauchen -- dringender als je zuvor. Denn wozu der Staat letztlich nie in der Lage war, das schafft nun die Privatwirtschaft: Sie sammelt Daten ohne Grenzen und Kontrolle.


Aus: "Vernachlässigte Datensorgfalt - Wir geben gerne" (SZ vom 18.5.2005) von Joachim Käppner
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/,tt4m3/computer/artikel/321/53268/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" wird 25 Jahre alt, aber von einer Selbstbestimmung der Bürger kann nicht die Rede sein. Telekommunikationsunternehmen und Geldinstitute gehen mit Daten der Bürger um, als handele es sich um Altpapier.

Telefon-, Bank- und sonstige sensible Daten von Hunderttausenden Menschen kursieren als kommerzielle Handelsware und als kriminelles Diebes- und Hehlergut. Kunden der Landesbank Berlin müssen derzeit befürchten, dass ihre Konten von Kriminellen leergeräumt werden, weil die Geheimnummern für Kreditkarten und elektronische Überweisungen auf dem freien Markt aufgetaucht sind.

Es ist dies alles wie ein Hohn auf die großen Sätze, die das Bundesverfassungsgericht vor 25 Jahren, am 15. Dezember 1983, formuliert hat: Das Grundgesetz, so deklarierten die Verfassungsrichter damals im Volkszählungsurteil, schütze im Zeitalter "der modernen Datenverarbeitung" den einzelnen Bürger "gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner Daten". Die Verfassungsrichter wandten sich eindringlich, aber vergeblich gegen eine Gesellschaftsordnung, "in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß".

Der Datenschutz war von diesem Tag an ein Grundrecht. An dessen 25. Geburtstag ist leider festzustellen: Es ist ein schwer malträtiertes Grundrecht. Die Sensibilität dafür, was der Datenschutz schützen soll, ist verlorengegangen.

Das ist nicht nur die Schuld der Privatwirtschaft, sondern auch der Politik. Sie hat das Grundrecht auf Datenschutz behandelt wie ein Kuckucksei. Sie hat sich dafür gerächt, dass der Staat 1983, nach dem Urteil des Verfassungsgerichts, dreißig Millionen Formulare für die Volkszählung in den Reißwolf werfen musste. Über zwanzig Jahre lang wurde der Datenschutz beschimpft und verächtlich gemacht. Man hat ihn aus dem Nest der Grundrechte wieder hinausgeworfen.

Wenn irgendwo die Forderung nach "Datenschutz" fiel, dann kam aus der Politik wie ein Reflex der törichte Satz: "Datenschutz ist Täterschutz". Der Datenschutz wurde als angebliches Haupthindernis der Strafverfolgung angeschwärzt, er diente auch als Ausrede für Ermittlungspannen.

In der politischen Diskussion wurde so getan, als sei der Datenschutz etwas Unanständiges für unanständige Leute. Der Datenschutz wurde stets negativ beladen. Wer über die Gefährdung der Privatsphäre durch Datenverarbeitung reden wollte, der musste sich daher erst einmal entschuldigen, ein Bekenntnis gegen "übertriebenen" Datenschutz ablegen und darlegen, dass er dem Fortschritt von Technik, Wissenschaft und Kriminalitätsbekämpfung nicht im Wege stehen wolle. Datenschützer galten der Politik (in der Folge dann auch der Öffentlichkeit) als komische Heilige. So verdarb das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die Quittung erhält die Gesellschaft jetzt. Die Verächtlichmachung des Datenschutzes hat das Bewusstsein über das Wesen von Persönlichkeitsdaten verschwinden lassen. Diese Daten werden behandelt, als wären sie nicht Ausdruck, sondern Abfall der Persönlichkeit.

Seit Monaten jagt daher ein Datenschutzskandal den anderen - bei Lidl, Banken, Telekom und Co. Das einschlägige Datenschutzgesetz steht einigermaßen hilflos vis-à-vis. Es stammt aus dem Jahr 1977, also aus der Steinzeit der Datenverarbeitung; schon dieses Alter zeigt, dass es kaum noch einschlägig ist. Der Datenschutz hinkt den neuen Technologien hinterher. Er ist ihnen ausgeliefert.

Das geltende Gesetz konzentriert sich auf das Verhältnis von Staat und Bürger, es beachtet die Privatwirtschaft kaum. Dort aber liegt schutzmäßig vieles, ja fast alles im Argen. Die jüngsten Novellierungen ändern daran wenig. Wenn nicht per Gesetz die externe Kontrolle von Privatfirmen durch unabhängige Stellen vorgeschrieben wird, kann man den Datenschutz als Totalverlust abschreiben.

Informationstechnische Systeme haben schleichend Besitz vom beruflichen und privaten Alltag ergriffen. Es ist nicht nur der Staat, der aus Sicherheitsgründen den Datenschutz immer kleiner schreibt und über seine Bürger immer mehr wissen will.

Die Privatwirtschaft durchleuchtet ihre Kunden, ohne dass die es merken: Verwendet der Käufer beim Bezahlen eine Kunden- oder Kreditkarte, kann der Kassencomputer die persönlichen Daten (Name, Kontonummer, Kundennummer) mittels der an der Verpackung angebrachten Chips mit den Informationen verknüpfen, die im Warenwirtschaftssystem gespeichert sind. Der Bundesdatenschutzbeauftragte ermuntert daher die Bürger zum kleinen Widerstand an der Kasse: Man kann die lästige Frage, ob man eine Kundenkarte habe, mit der Frage nach den Identifizierungs-Chips und den Möglichkeiten ihrer Deaktivierung kontern. Das wären kleine Beiträge zur neuen Sensibilisierung.

Vor allem aber ist die Aktivierung des Gesetzgebers notwendig: Datenschutz ist der Schutz der Menschen in der digitalen Welt. Er ist das zentrale Grundrecht, das Ur-Grundrecht der Informationsgesellschaft. Er schützt nicht abstrakte Daten, sondern konkrete Bürger.

Quote

15.12.2008 10:24:46

rua123: @liu1600

tja, auch da gilt offenbar der Satz, dass der Zweck die Mittel heiligt. Datenschutz je nach politischer Opportunität! Im übrigen fehlt mir der Hinweis, dass auch die teils unglaubliche Sorglosigkeit im eigenen Umgang mit persönlichen Daten zu den heutigen Zuständen beiträgt. Wer seine Adressen, Kontodaten, Kreditnummern etc. ungeschützt in die Welt bläst, braucht sich hinterher nicht wundern, dass sie da auch sind!



Quote15.12.2008  09:57:37
lapidar68:

Solange die Mehrheit der Bürger dieses Landes verkündet: Der Staat kann gerne alle Informationen über mich haben, ich habe nicht zu verbergen, solange wird der Datenhunger des Staates ungesättigt bleiben!


Quote

15.12.2008 09:18:55

Rhinelander:

Sie haben Recht, Herr Prantl, wenn Sie die Untätigkeit der Politik und die nicht vorhandene Sensibilisierung für Datenschutz auf ALLEN Seiten rügen. Das Problem ist indes, daß das Kind schon im Brunnen ist und zudem ein echtes Interesse des Staates, den Souverän zu schützen, überhaupt nicht mehr vorhanden ist.





Aus: "Die Daten und ihr Schutz" Ein Kommentar von Heribert Prantl  (15.12.2008)
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/793/451505/text/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Vor 25 Jahren fällte das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung, die unter dem Namen Volkszählungsurteil bekannt wurde. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde ableitend befanden die Karlsruher Richter, dass es ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gibt. Die Erkenntnis, dass es keine belanglosen Daten gibt, wenn Daten gesammelt werden, etablierte den Datenschutz als Persönlichkeitsschutz.

Hintergrund des epochalen Urteils bildete eine für das Jahr 1983 geplante Volkszählung, die im Kern auf die Erfassung der gesamten Bevölkerung mit den Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung hinauslief. Praktisch stand hinter der Volkszählung die Einführung eines Personenkennzeichens, die 1978 gescheitert war und bis zu einem gescheiterten Versuch des Reichsicherheitshauptamtes von 1944 zurückverfolgt werden konnte. Gegen diese Volkszählung lief darum das Volk Sturm, während die Politik den ganz großen Knüppel herausholte: So bezeichnete der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann die gegen die Volkszählung argumentierenden Datenschutzbeauftragten als Verfassungsfeinde, während sein Ministerium untersuchte, wie diesen Kritiker gekündigt werden könnte.

Beim Bundesverfassungsgericht wurden mehr als 1600 Beschwerden gegen das eigens für die Zählung vom Parlament verabschiedete Volkszählungsgesetz registriert. Vier Beschwerden wurden für die mündliche Verhandlung ausgewählt, darunter die Beschwerde des Informatikers Wilhelm Steinmüller. Dieser hatte zuvor in dem Gutachten "Grundlagen des Datenschutzes" für die Bundesregierung eine Idee seines Kollegens Bernd Lutterbeck zu einem umfassenden Datenschutzsystem ausgearbeitet. Wo Lutterbeck vom "phasenorientierten Datenschutz" sprach, setzte Steinmüller auf ein "informationelles Selbstbestimmungsrecht".

Steinmüller beschrieb das Vorhaben später so: "Unsere Strategie beruhte auf einem Aufsatz des vorher als Ordnungshüter wohl kaum bekannten früheren Bundesinnenministers Benda, der nun – als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes – sein letztes großes Urteil zu fällen hatte und sich damit für die Rechtsgeschichte qualifizieren konnte. Worauf wir bauten: Benda hatte soeben unter Aufgabe seiner früheren Lehrmeinung einen Festschriftbeitrag zum Datenschutz veröffentlicht, der zwar nicht seine überragende Kompetenz, wohl aber seine Ansprechbarkeit für das Thema bewies."

Während die Position der Informatiker vor dem Verfassungsgericht als wissenschaftliche Lehrmeinung vorgetragen werden sollte, gab es auch eine Klage aus der Protestbewegung gegen die Volkszählung, vorgetragen von den Hamburger Anwältinnen Gisela Wild und Maja Stadler-Euler. "Sie legten eine ziemlich heftige, fast anarchistisch-individualistische Verfassungsbeschwerde ein, vor deren Hintergrund wir uns abgeklärt, liberal und gemäßigt profilieren konnten: Selbstverständlich dürfe der Staat auch auf Vorrat Daten sammeln, trugen wir vor, aber nur für Planungszwecke und mit dem Korrelat entsprechender Abschottung der Statistik-Ämter gegenüber der übrigen Verwaltung. Das überzeugte das Gericht, zumal der Staat ja in der Tat 'auf Vorrat' Statistiken nicht nur führen, sondern auch pflegen muss. Damit fiel das Volkszählungsgesetz, das genau das nicht vorsah, und mit ihr die Volkszählung", heißt es in Steinmüllers Erinnerungen.

Vom Verfassungsgericht wurde damit der sogenannte Melderegisterabgleich aus dem Gesetz gestrichen. Es dürfe nicht sein, dass die Verwaltung Informationen in die Hände bekommen sollte, die eigentlich für die anonyme Statistik bestimmt waren. Damit war die Volkszählung vorerst gescheitert und konnte erst 1987 in einer überarbeiteten Form durchgeführt werden.

Das solchermaßen vor 25 Jahren entstandene informationelle Selbstbestimmungsrecht steht gegen eine Gesellschaftsordnung, "in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß". Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Entwicklungen möglich gemacht, die aktueller denn je sind, vom IT-Gütesiegel über das Scanning von KFZ-Kennzeichen bis hin zur jüngsten Entscheidung des Verfassungsgerichtes zu der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

In seinem Rückblick auf 25 Jahre mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht formuliert Roland Appel, 1987 Autor des Buches "Vorsicht Volkszählung", wie heute die Konsequenzen aus dem Urteil gelebt werden müssen: "Ähnlich wie im 'Wilden Westen' hilft es auf absehbare Zeit nur, uns selbst zu schützen. Der Colt ist in diesem Falle ein möglichst sicherer Browser, Software und Betriebssysteme, die nur schwer von Dritten ausspioniert werden können. Dabei hat derzeit die einzige wirklich kostenlose Linux/Open-Source-Software die vermutlich größte Sicherheit zu bieten. Dazu ein guter Virenschutz und allem voran: Wissen und Bildung. Wissen ist Macht, das gilt im Internetzeitalter in verschärfter Form. Wem heute Wissen fehlt, wird morgen immer machtloser sein."

Als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefasst wurde, so Appel weiter, "hatte der Staat noch die Mittel, dieses Recht weitgehend durchzusetzen, Karteien, Daten und Computer zu beschlagnahmen und nachzusehen, ob gegen diesen Grundsatz verstoßen worden ist. Das hat sich grundlegend geändert, das demokratische Gewaltmonopol wird dem Staat im Internet von Suchmaschinen und Providern streitig gemacht." In diesem Sinne ist das Engagement für den Datenschutz aktueller denn je. Nicht von ungefähr belegt heute der "Datenklau" den dritten Platz als Wort des Jahres. (Detlef Borchers) / (anw/c't)

Quote15. Dezember 2008 12:42
Zitat Zypresse
cbv (mehr als 1000 Beiträge seit 06.01.00)

Im Interview mit dem Deutschlandfunk am 9. November 2007:

DLF:
Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum
Verständnis einer modernen Demokratie?

Zypresse:
Doch natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
heisst ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was
von ihnen speichert.

Vielleicht sollte ihr jemand diesen Heise-Artikel an die Stirn
tackern.



Quote15. Dezember 2008 13:23
Re: Zitat Zypresse
Bartträger (mehr als 1000 Beiträge seit 27.07.05)

cbv schrieb am 15. Dezember 2008 12:42

> Vielleicht sollte ihr jemand diesen Heise-Artikel an die Stirn
> tackern.

Das wird nicht gehen. Man könnte den Artikel aber vielleicht in einen
Schuh stecken und ihr den dann zuwerfen.

Quote15. Dezember 2008 13:49
Re: Zitat Zypresse (Editiert vom Verfasser am 15.12.08 um 13:52)
estraven60 (mehr als 1000 Beiträge seit 31.08.03)

Hihi, Schuhgröße 10? Ob die Dame genauso flink ist wie Mr. Bush?

> http://www.n-tv.de/1068438.html

[Montag, 15. Dezember 2008 - Attacke auf Bush Schuhwerfer ist Nationalheld]
[http://www.n-tv.de/1068789.html]


Quote15. Dezember 2008 14:33
Die Einführung eines Personenkennzeichens
Maester (37 Beiträge seit 01.06.05)

war also der Grund für den damaligen Eklat. Schade, dasz heute das
Volk nicht mehr das selbe zu sein scheint, denn dieses Jahr wurde
dieses Personenkennzeichen mit Auslieferung der lebenslangen
Steuernummer an alle Bundesbürger Realität. Gestört hat das nur
wenige, der Rest hats brav abgeheftet.



Quote15. Dezember 2008 13:25
Leider hilft der sichere Browser gegen die Vorratsdatenspeicherung nicht
BlackwaterBundestrojanerGmbh (mehr als 1000 Beiträge seit 11.10.07)

Informiert wird der Betroffene ueber Zugriffe auch nicht immer,
nichtmals zuverlaessig nach Abschluss von Ermittlungen, sofern kein
Verfahren eingeleitet wird.
Ein oeffentlich einsehbares Logfile, wer zugegriffen hat, gibt es
auch nicht.
Mindestens die Geheimdienste und wer weiss wer sonst noch alles,
koennen also ungestoert in den Daten schwelgen - Transparenz null.
.
In dem Artikel wird es genau auf den Punkt gebracht:
Der Bundesbuerger weiss nicht mehr, wer was ueber ihn weiss.
.
Mit wem ich wann und von wo aus telefoniert habe, mit wem ich wann
Emails getauscht habe, wann ich im Internet war, alles jetzt
einsehbar und begruendet mit dem superschwammigen Terrorbegriff, fuer
Geheimdienste sicher auch ohne Begruendung formlos beim Provider
einsehbar (Network bridges).
.
Jetzt ist alles doch viel viel schlimmer gekommen als man sich das
vor 25 Jahren in den schlimmsten Alptraeumen vorgestellt hat.

Blacky


Quote15. Dezember 2008 16:11
ITler unter sich
ongar (mehr als 1000 Beiträge seit 13.02.01)

sollten doch eigendlich wissen was zu tun ist.

Hier schreiben viele Leute die sich bewusst sind, was die
"neue" Gesetzgebung bringt.

Dann zieht eure Konsequenzen und werft einen Schuh, und ich
meine nicht den russischen od. irakischen, sondern den
italienischen.

Ich bin nur ein kleiner PC-Schrauber und kann nicht an das
Getriebe aber mit etwas Glueck sitzt ja jemmand an der
richtigen Stelle oder es sind genug an weniger wichtigen
Stellen. Ohne die Leute die die (elektronische) Infrastruktur
erhalten geht garnichts. Ich kann durchaus mit einen Ausfall
leben. Andere, und da bin ich mir sicher, weniger.

gruss rudi





Aus: "Vor 25 Jahren: Informationelle Selbstbestimmung wird Grundrecht" (15.12.2008)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/Vor-25-Jahren-Informationelle-Selbstbestimmung-wird-Grundrecht--/meldung/120428


Textaris(txt*bot)

Quote[...] wir sind vielmehr zusammen gekommen, um den 25. Jahrestag der Verkündung des "Volkszählungsurteils" des Bundesverfassungsgerichts am 15. Dezember 1983 zu würdigen, das - um ein Wort meines ehemaligen Kollegen Wolfgang Hoffmann-Riem aufzugreifen - in der Folge zur "Magna Charta" des deutschen Datenschutzrechts geworden ist. Denn in diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz erstmals ein "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" abgeleitet.

Wie kam es jedoch dazu, dass ausgerechnet die für das Jahr 1983 geplante Volkszählung zu einer solchen Entscheidung führte?

Die eingangs zitierte Passage aus dem Weihnachtsevangelium nach Lukas führt deutlich vor Augen, dass Volkszählungen schon vor 2000 Jahren ein übliches Mittel waren, mit dem Regierungen Informationen über ihre Bevölkerung gewannen. Insbesondere im Römischen Reich galt der sogenannte "Zensus", die Volks- und Vermögensschätzung, als ein notwendiges Instrument der Steuererhebung.

In den Vereinigten Staaten sind Volkszählungen im Zehnjahresrhythmus sogar von der Verfassung vorgeschrieben. Auch in der Bundesrepublik Deutschland gab es bereits vor dem Jahr 1983 Volkszählungen und für das Jahr 2011 ist ein EU-weiter Zensus geplant, der in Deutschland - anders als im Jahr 1983 - hauptsächlich registergestützt durchgeführt werden soll.

Diese Erhebungen dienen heute aber nicht mehr in erster Linie steuerlichen Zwecken, sondern sie verschaffen dem Staat die statistische Grundlage für gesellschaftspolitische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Planungen und Entscheidungen.

Dies war auch bei der für das Jahr 1983 geplanten Volkszählung so. Gleichwohl hat damals das die Datenerhebung anordnende Gesetz auch in solchen Teilen der Bevölkerung Beunruhigung ausgelöst, die - ich zitiere das "Volkszählungsurteil" – als loyale Staatsbürger das Recht und die Pflicht des Staates respektierten, die für rationales und planvolles staatliches Handeln erforderlichen Informationen zu beschaffen.

Zu dieser Beunruhigung mag beigetragen haben, dass einige Sachkundige - wie etwa Sie verehrter Kollege Spyros Simitis als Hessischer Landesdatenschutzbeauftragter - trotz einstimmiger Verabschiedung des Volkszählungsgesetzes in den gesetzgebenden Körperschaften von Anfang an die Auffasssung vertraten, die dort geregelten Möglichkeiten der Erhebung und Verwertung von Daten genügten nicht hinreichend unserer Verfassung. Dies hat ja dann zum Teil mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 auch eine Bestätigung erfahren.

Jedoch beruhte die Beunruhigung in der Bevölkerung darüber hinaus auch wesentlich darauf, dass sich im Laufe der 70er Jahre die Möglichkeiten der Datenverarbeitung erheblich weiterentwickelt hatten. Zur Datenverarbeitung wurden damals immer mehr Großrechner eingesetzt. Diese konnten aus Größen- und Kostengründen nur vom Staat und kapitalkräftigen Unternehmen betrieben werden.

Die Datenverarbeitung fand deshalb in zentralen, in der Regel gut abgeschirmten Rechenzentren statt und wurde nur von einer kleinen Schicht hochspezialisierter Fachleute beherrscht. Gerade dadurch sah wohl mancher das von George Orwell für das Jahr 1984 prognostizierte Menetekel zur Wirklichkeit werden, nämlich eine totale Beherrschung der Gesellschaft durch eine allwissende, selbst die Gedankenwelt kontrollierende Partei.

Mittlerweile haben sich die technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung freilich so sehr revolutioniert, dass der "Große Bruder" George Orwell's aus heutiger Sicht über die damals, gewissermaßen in der informationstechnischen Steinzeit bestehenden Möglichkeiten der Überwachung nur noch mitleidig lächeln könnte.

Die technischen Möglichkeiten von heute befinden sich allerdings nicht mehr in den Händen weniger Einzelner oder gar nur von Staaten. Die Privatisierung der Informationstechnologie hat im Zusammenwirken mit der Globalisierung die Zahl potentieller "Big Brother" so unübersichtlich werden lassen, dass aus datenschutzrechtlicher Sicht anarchische Zustände eher zu drohen scheinen als ein totalitärer Überwachungsstaat.


[...] Freilich wurde der Staat in den Jahren nach dem "Volkszählungsurteil" nicht nur gläserner, er bekam auch selbst immer mehr Möglichkeiten zur Durchleuchtung Einzelner. So wurden in den 90er Jahren insbesondere zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität neue Ermittlungsmethoden eingeführt, wie der "kleine" und der "große Lauschangriff", und es wurden die Befugnisse des BND zur Überwachung der Telekommunikation ausgeweitet.

Und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA und vom 11. März 2004 in Madrid wurden in Deutschland sowie auf EU-Ebene Maßnahmen durchgeführt oder beschlossen, wie die präventive polizeiliche Rasterfahndung nach sogenannten "Schläfern", die "Online-Durchsuchung" oder die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten.

Damit steht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Vergleich zur Zeit des "Volkszählungsurteils" vor neuen Herausforderungen. Sie haben ihren Grund allerdings nicht nur in der Art der drohenden Gefahren, sondern auch in den revolutionären Veränderungen der Informations- und Kommunikationstechnologie. Es ist dabei anzuerkennen, dass der Staat - schon um seiner grundrechtlichen Pflicht zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit zu genügen - diese technischen Veränderungen bei der Gefahrenbekämpfung und Verfolgung von Straftaten nicht unberücksichtigt lassen kann. Gleichwohl dürfen bei der Ausbalancierung von Freiheit und Sicherheit die Gewichte nicht grundlegend verschoben werden.

Für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellt zunächst der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anforderungen an den Rang der zu schützenden Rechtsgüter sowie die Art und Intensität von deren Gefährdung. So sind beispielsweise präventive polizeiliche Rasterfahndungen ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter oder automatische KFZKennzeichenüberwachungen ohne konkreten Anlass und ohne jede Konkretisierung der Verwendungszwecke mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren.

Darüber hinaus darf - dies hat das Bundesverfassungsgericht seit seiner Anfangszeit immer wieder betont - der Kernbereich privater Lebensgestaltung, der sich letztlich aus der Menschenwürde ableitet, durch staatliche Überwachungsmaßnahmen nicht angestastet werden. Die Menschenwürde und der Menschenwürdegehalt spezieller Freiheitsrechte sind nämlich nicht gegenüber anderen Freiheitsrechten und den aus ihnen folgenden Schutzpflichten des Staates abwägbar oder gar "wegwägbar".

Gleichwohl stellt sich in der Praxis oft das Problem, dass vor einer Datenerhebung nicht geklärt werden kann, ob sie den Kernbereich betreffen wird. Für diese Situationen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur "Online-Durchsuchung" ein zweistufiges Schutzkonzept durch die Unterscheidung von Erhebungs- und Auswertungsphase entwickelt, auf das ich jetzt aber nicht näher eingehen möchte.

Vielmehr möchte ich noch erwähnen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Maßgabe des "Volkszählungsurteils" im Alter von fast 25 Jahren mit der genannten Entscheidung zur "Online-Durchsuchung" gewissermaßen eine "Schwester" bekommen hat, nämlich das "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme".

Die Geburt dieser neuen "Tochter" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts war notwendig, weil weder die speziellen Freiheitsrechte noch die übrigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen die Gefahren hinreichend Schutz gewähren, die sich aus der für die Persönlichkeitsentfaltung bedeutsamen Nutzung der Informationstechnik ergeben.

Das neue Grundrecht sichert den persönlichen Bereich nämlich auch dann, wenn auf das informationstechnische System insgesamt zugegriffen wird und nicht nur auf einzelne Kommunikationsvorgänge oder gespeicherte Daten.

Zudem schützt es die Vertraulichkeit und Integrität dieser Systeme insbesondere dann, wenn der Einzelne wegen ihrer technischen Komplexität gar nicht mehr in Lage ist, über ihre Vertraulichkeit und Integrität selbst bestimmen zu können. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liefe hier von seinem Ansatz her ins Leere.

Angesichts dieser alten und neuen grundrechtlichen Grenzen für die sicherheitsrechtliche Tätigkeit des Staates scheint mir seine Verwandlung in einen Überwachungsstaat "Orwell'scher Prägung" eine eher fernliegende Möglichkeit zu sein. Denn jenseits aller verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten der bisher vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Maßnahmen versuchen - nach meiner Beobachtung - die derzeit maßgeblichen politischen Akteure zumindest, sich an diese Vorgaben zu halten.

Zudem verfügt unser Gemeinwesen über rechtsstaatliche und demokratische Kontrollmechanismen, die es von totalitären Überwachungsstaaten unterscheidet, wie wir sie auch aus unserer jüngeren Geschichte kennen.

Zum 25. Jahrestag des "Volkszählungsurteils" sorge ich mich jedenfalls mehr davor, dass wir uns zu einer privaten Überwachungsgesellschaft internationalen Ausmaßes verwandeln, und dies weitgehend auch noch völlig freiwillig.

Durch den andauernden technischen Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologie und die internationale Vernetzung der Informationswege haben wir alle – zumindest diejenigen von uns, die sich diesen laufenden technischen Veränderungen stellen wollen oder können - im Vergleich zur Zeit vor 25 Jahren unglaublich viele neue Handlungsmöglichkeiten hinzugewonnen.

Wir können über das Internet Briefe schreiben, die in Sekundenschnelle ankommen, Bücher und Bahntickets kaufen sowie unsere Bankgeschäfte erledigen. Wir freuen uns darüber, wenn wir beim Einkauf Bonuspunkte bekommen, für die wir später ein "Geschenk" erhalten oder geben im Internet ohne größeres Nachdenken auf verschiedensten Seiten unsere intimsten Gedanken, Gefühle oder Bilder einem uns unbekannten Publikum preis. In Zukunft könnte - wofür es sicherlich gute Gründe gibt - auch noch unsere Krankenakte digital gespeichert und versendet werden.

Würden alle diese irgendwo auf der Welt über uns gespeicherten Informationen zusammengeführt, ließe sich sehr leicht ein "Persönlichkeitsprofil" von jedem von uns erstellen. Dadurch würde der im "Volkszählungsurteil" für unzulässig befundene "Super-Gau des Datenschutzes" Wirklichkeit werden, allerdings herbeigeführt durch die Hände Privater.

Auch eine weitere, bereits eingangs zitierte Aussage des "Volkszählungsurteils" scheint auf privatem Sektor neue Aktualität zu bekommen. Die Aussage lautete: "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über einen weiß". Diesbezüglich drängt sich der Gedanke an die in letzter Zeit fast schon wöchentlich aufgetretenen Skandale betreffend den "Datendiebstahl" oder die Überwachung von Arbeitnehmern geradezu auf.

Wenn man noch berücksichtigt, dass das Internet - wie es heißt - "nichts vergisst", erscheint eine zweckwidrige Verwendung von heute im Internet kommunizierten Daten in der Zukunft geradezu programmiert.

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Sinne des "Volkszählungsurteils" und seine junge "Schwester", das Grundrecht auf Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, fordern auch diesbezüglich den Schutz der Bürger.

Denn die genannten Grundrechte verpflichten den Staat, im Ausgleich mit konkurrierenden Freiheitsrechten ein angemessenes Schutzregime zu schaffen und durchzusetzen sowie sich auf internationaler Ebene für ein solches Regime einzusetzen.

Dabei wird sich der Staat häufig nicht mit bloßen Selbstverpflichtungen Privater begnügen dürfen, sondern wird selbst eine verbindliche Ordnung konstituieren müssen, um der grundrechtlichen Werteordnung auch im Privatrechtsverkehr Geltung zu verschaffen.

Die nun von der Bundesregierung geplante Einführung des Einwilligungsprinzips für den Datenhandel sowie eines - allerdings freiwilligen - Datenschutzauditverfahrens mit Gütesiegel scheinen daher nahezu geboten zu sein, um dem objektiven Gehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung endlich auch im privaten Bereich hinreichend Rechnung zu tragen.

Allerdings befürchte ich auch, dass der grundrechtliche Schutzauftrag des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung angesichts des ständigen Fortschritts der Technik wohl nie wird abgeschlossen werden können.



[...]  Meine Damen und meine Herren, Sie sehen, der Ausgangspunkt des "Volkszählungsurteils"
hat in den letzten 25 Jahren erhebliche Veränderungen und Entwicklungen erfahren. Gleichwohl haben die Aussagen des "Volkszählungsurteils" nichts von ihrer Aktualität verloren.

Ich bin daher der festen Überzeugung, dass es auch in 25 Jahren - dann allerdings auch zusammen mit dem Urteil zum Schutz informationstechnischer Systeme, das dann gerade seinen 25. Geburtstag gefeiert hat - nicht nur noch pflichtschuldig zitiert, sondern auch immer wieder mit Erkenntnisgewinn gelesen werden wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.




Aus: "Dokumentation der Papier-Rede - Das Internet vergisst nicht" (15.12.2008)
Zum 25. Jahrestages des Volkszählungsurteils: Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, warnt vor einer Überwachungsgesellschaft internationalen Ausmaßes. Eine Dokumentation des Redetextes
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/computer/895/451606/text/


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Quote[...] Es ist eine Horrorvorstellung: Bei der Ankunft in den USA prüft der Grenzbeamte, für welche Firma wir arbeiten, in welchen Vereinen wir aktiv sind, welche Bücher wir kaufen, welche Webseiten wir abrufen, welchen Organisationen wir spenden und welche Arztrechnungen wir begleichen. Ein paar Klicks am Computer genügen, und unser komplettes Profil erscheint auf dem Bildschirm. Dann Daumen rauf oder runter, ob wir den Vereinigten Staaten als Gäste genehm sind, gleich zurückgeschickt oder gar inhaftiert werden.

Im Namen der Terrorbekämpfung sammeln und speichern Behörden diesseits und jenseits des Atlantiks Telefonverbindungen, Fluggastdaten und Kontobewegungen. Deutschland führt bald die elektronische Gesundheitskarte ein, dann werden auch Krankendaten gespeichert. Zug um Zug verschafft sich der Staat ein genaues Bild von der Privatsphäre eines jeden Bürgers. Angeblich für unsere Sicherheit und Gesundheit.

Doch wehe, die Informationen werden zusammengeführt. Wehe, sie geraten in die falschen Hände. Wehe, sie werden missbraucht. Der gläserne Bürger ist längst Realität. Beim Abschluss von Versicherungen und Arbeitsverträgen gibt es kaum noch Geheimnisse. Längst basteln die Spindoktoren in den Marketingabteilungen der Wirtschaft an zielgerichteter Werbung via Telefon und Internet. Der Verbraucher ist der Maschinerie der Konzerne ausgeliefert.

Auch Unternehmen sind bedroht: Staaten und Konkurrenten spähen gegenseitig Geschäftsbeziehungen aus, indem sie Kontoverbindungen auswerten und Telefonverbindungen überprüfen. Fehlt nur noch, dass sie mittels moderner Mautsysteme auch Bewegungsprofile erstellen.

[...] Bisher haben die politischen Parteien das Thema sträflich vernachlässigt, im Wahlkampf spielt es kaum eine Rolle. Der Umgang mit Bürgerrechten ist und war immer leichtfertig, selbst wenn die Parteien sich in ihrem Programm als Anwalt des Bürgers darstellen. Die FDP trug in den Neunzigerjahren den großen Lauschangriff mit. Union, SPD und Grüne verschärften die Überwachungstätigkeit des Staates. Stichworte sind die Auflösung des Bankgeheimnisses, die Vorratsdatenspeicherung, die Onlinedurchsuchung. Das Volk will sich diese Eingriffe immer weniger gefallen lassen. Nicht zuletzt die Achtungserfolge der Piratenpartei zeigen das. Ihre Mitgliederzahl steigt rapide, zur Bundestagswahl wurde sie gerade zugelassen, in fast allen Bundesländern hat sie in kurzer Zeit die nötige Anzahl von Unterstützungsunterschriften gesammelt. So kommt das Thema informationelle Selbstbestimmung in den Wahlkampf. Und das ist überfällig.



Aus: "Das Ende der Privatsphäre"  VON STEPHAN BALLING (Rheinischer Merkur Nr. 31, 30.07.2009)
Quelle: http://www.merkur.de/2009_31_leiter_datenschutz.35994.0.html?&no_cache=1


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Quote[...] Das Yahoo-Gate wird immer größer: Erst der mehrere Monate nach Bekanntwerden veröffentlichte massive Datenklau, der viele Fragen offen lässt, dann der von der Regierung verordnete Email-Scan mit noch mehr Fragezeichen.

Das im Auftrag der Regierung durchgeführte Scanning kann nach Berichten von Reuters noch viel weitreichender gewesen sein, als bislang bekannt geworden ist. Datenschützer und der demokratische US-Senator Ron Wyden aus Oregon fordern daher die US-Regierung auf, die Direktive an Yahoo offenzulegen. Es sieht nach Erkenntnissen der Experten so aus, dass nicht nur die Emails gescannt worden sind, sondern das gesamte Yahoo-Netzwerk. Angeblich sollte nur der Pornografie-Filter geändert worden sein, aber der, so die Experten, durchsucht nur Videos und Bilder. Auch den Spam-Filter hätte man nicht verändern können, ohne dass es der nicht eingeweihten Sicherheitsabteilung aufgefallen wäre. Vielmehr habe man nach Aussagen früherer Yahoo-Mitarbeiter ein Kernel-Modul für Linux eingeschleust, das alles überwacht hat, was bei Yahoo über die Netze geht.

Die Behörden betonen, dass es sich dabei nur um bestimmte digitale Signaturen im Zusammenhang mit einer möglichen terroristischen Aktivität gehandelt habe, aber keinesfalls um eine allgemeine Massendurchsuchung von Emails und Telefon-Daten derart, wie sie die NSA gemäß der Veröffentlichung von Edward Snowden durchgeführt habe.

Die US-Datenschützer sehen dennoch in einer Durchsuchung des kompletten Netzwerks einen Verstoß gegen das "Fourth Amendment" zur US-Verfassung.

... Yahoo-Chefin Marissa Mayer gerät damit immer mehr unter Druck. Anders als etwa Tim Cook von Apple habe sie ohne Gegenwehr die Regierungsdirektive akzeptiert.

...

Quoteevilk666, 10.10.2016 12:58

in Deutschland undenkbar

Also nicht der Umstand, dass sich z.B. BND und Telekom zur Massenüberwachung verabreden.
Ich meine, dass Teile der Regierung daran etwas auszusetzen hätten.
Aktuell erleben wir, dass rechtswidrige Taten von BND & Co durch Gesetzesänderung legalisiert werden sollen (die alten Rechtsbrüche bleiben natürlich sanktionsfrei, wie immer). Und wenn die Bundesregierung schon den BND die Totalüberwachung durchziehen lässt, soll das in Zukunft auch niemand mehr rauskriegen können - so wie auch alle anderen Behördentaten, in die das dumme Fußvolk seine Nase nicht reinzustecken hat. Also wird per Archivgesetz das Informationsfreiheitsgesetz ausgehebelt - Behörden müssen nur noch das rausgeben, was sie möchten. Alles andere schicken sie schnell ins Archiv & dann ist da 60 Jahre land der Deckel drauf. BND & Co dürfen "selbst entscheiden", was das Volk sehen darf - zur Not bleibt es eben bis in alle Ewigkeit geheim.

Aber in den USA ist das kaum anders - zum Teil aber trotzdem noch besser als bei uns.
Es wird viel Empörung geben, dann wird der Straftäter Clapper den Strafvereitlern (Parlamentarier) wieder einmal eine Lüge (Straftat) auftischen und ungeschoren (Strafvereitelung) davonkommen. Die Geheimdienste überwachen ja nur wegen der Terroristen. Zwar sammeln die auch Kompromat, gucken euren Kindern im Schlafzimmer beim Ausziehen zu oder tauschen sich deren Nacktfotos aus - aber da muss man dem größeren Ganzen wegen halt mal drüber hinwegsehen. Wo käme man auch hin, wenn diese kleinen Hoppalas alle bestrafen würde..


Quotestephen-falken

238 Beiträge seit 01.09.2015
09.10.2016 13:21

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Nur Yahoo?

Die Enthüllungen sind ja schlimm, keine Frage. Doch überraschen kann das eigentlich Niemanden. Snowden hat vieles aufgezeigt. Und die NSA werden sich in den 3 Jahren nicht auf den Lorbeeren ausgeruht haben.

Verschlüsselung greift immer mehr um sich und das reine abgreifen von durchgeleitetem Traffic läuft immer mehr ins Leere. Ein Beispiel ist die gerade angezeigt Seite, Heise.de. Was liegt für die NSA jetzt näher als direkt bei den Anbietern "einzusteigen". Legal oder illegal, das ist nur eine Frage des Standortes. Ist der Anbieter in den USA beheimatet, gehts es ganz bequem und ohne aufsehen, per NSL. Andere Anbieter muss man mühsam einzeln hacken, das wird sicherlich oft genug getan. Ob heise dabei ist? Ob das den Aufwand lohnt? Benutzen die Equipment von Cisco? Egal.

US-Anbieter werden ganz sicher abgeschnorchelt werden. Alles im Sinne der nationalen Sicherheit. Doch nur Yahoo? Kein Hotmail, kein google, kein FB, kein Twitter? IMHO unglaubwürdig. Das findet IMHO bei allen US-Anbietern exakt genauso statt nur weiß davon eben noch niemand. Völlig absurd zu glauben das beträfe nur Yahoo.


Quotedylpes, 09.10.2016 13:27

Wieso sollte sie unter Druck sein? Von Regierungsseite alles Paletti, die Gehaltszahlungen sind auch auf dem Konto und was aus Yahoo wird "wayne interessierts".


...


Aus: "Yahoo-Gate: Offenbar wurden nicht nur Emails gescannt" Andreas Stiller (heise online, 09.10.2016)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Yahoo-Gate-Offenbar-wurden-nicht-nur-Emails-gescannt-3343461.html

Textaris(txt*bot)

Edward Joseph ,,Ed" Snowden (* 21. Juni 1983 in Elizabeth City, North Carolina) ist ein US-amerikanischer Whistleblower und ehemaliger CIA-Mitarbeiter. Seine Enthüllungen gaben Einblicke in das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten – überwiegend jenen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Diese lösten im Sommer 2013 die NSA-Affäre aus. Er wurde dafür mehrfach von nichtstaatlichen Organisationen ausgezeichnet und für den Friedensnobelpreis nominiert. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Snowden

Quote[...]  Eine Kolumne von Can Dündar - Überlegungen zu Oliver Stones "Snowden"-Film
1. Oktober 2016 DIE ZEIT Nr. 41/2016, 29. September 2016

Wer ist schuld? Die Regierung, die Handys und Internetkommunikation illegal ausspäht, oder der Regierungsmitarbeiter, der die Straftat enthüllt? Der Geheimdienst, der das Parlament belügt, oder der Geheimdienstmitarbeiter, der die Lüge offenbart?

In Demokratien dürfen Regierungen das Volk, das Parlament und die Presse nicht belügen. Schuldig macht sich auch, wer seine Lüge in Akten mit dem Stempel "streng geheim" steckt und zum "Staatsgeheimnis" erklärt. So erlebten wir es bei der Watergate-Affäre, den Pentagon Papers, die die Vietnam-Lügen offenbarten, in der Iran-Contra-Affäre, bei der die Bewaffnung der Opposition in Nicaragua herauskam. Und ich persönlich erlebte es bei meiner Berichterstattung über illegale Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien. Stets wurden zunächst nicht die Regierungen beschuldigt, sondern diejenigen, die den Skandal dokumentierten. ...

"Wenn der Kongress davon weiß, weiß es auch der Gegner. Geheimhaltung ist Sicherheit, Sicherheit bedeutet Überlegenheit." Von dieser Geisteshaltung des Geheimdienstlers im Film sind bekanntlich viele Geheimdienste inspiriert. Doch wir sehen auch und haben es in der Wirklichkeit der Staaten schon oft gesehen, dass die angeblich zum Schutz von Geheimhaltung und Sicherheit aufgetischten "offiziellen Lügen" letztlich die Geheimhaltung und Sicherheit gefährden. Als ich aus dem Film kam, den ich ohne meine Frau, die nicht ausreisen darf, in einem Kino fern meines Landes sah, klangen mir Snowdens Worte im Ohr: "Ich hatte ein ruhiges Leben, meine Liebste, meine Familie, meine Zukunft. Dieses Leben habe ich verloren. Aber ich habe ein neues. Die eigentliche Freiheit, die ich gewonnen habe, ist: Ich muss mich nicht mehr darum sorgen, was morgen geschieht. Denn ich bin froh über das, was ich heute tue."

Als ich heimkam, löste ich das Klebeband von der Webcam, zwinkerte dem schwarzen Loch zu und ging zu Bett.


Aus: "Eine Kolumne von Can Dündar - Überlegungen zu Oliver Stones "Snowden"-Film"
1. Oktober 2016 DIE ZEIT Nr. 41/2016, 29. September 2016
Quelle: http://www.zeit.de/2016/41/snowden-film-sicherheit-jounalisten-informationen-oeffentlichkeit-can-duendar