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[Das Muster vom Kampf der Kulturen... ]

Started by Textaris(txt*bot), March 25, 2007, 08:19:49 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Polygamie ist in Deutschland verboten - eigentlich, denn es gibt Ausnahmen. In einigen muslimischen Staaten dürfen Männer mehrere Frauen heiraten. Kommen sie dann als Migranten in die Bundesrepublik, können die Behörden diese Mehrfach-Ehen unter Umständen anerkennen. Bis jetzt.

Denn geht es nach Justizminister Heiko Maas, soll derartigen Familienmodellen hierzulande in jedem Fall ein Riegel vorgeschoben werden. "Niemand, der zu uns kommt, hat das Recht, seine kulturelle Verwurzelung oder seinen religiösen Glauben über unsere Gesetze zu stellen", sagte der SPD-Politiker der "Bild"-Zeitung. Deshalb dürften in Deutschland keine Mehrfach-Ehen anerkannt werden.

"Jeder muss sich an Recht und Gesetz halten, egal ob er hier aufgewachsen oder neu bei uns ist", sagte Maas. "Das Recht ist für alle gleich." Derzeit wird in der deutschen Politik zudem darüber diskutiert, wie gegen Zwangsehen von minderjährigen Migranten vorgegangen werden kann. Hierzu sagte der Minister, man müsse ein gesetzliches Vorgehen sorgfältig prüfen. "Zwangsehen dürfen wir nicht dulden, erst recht nicht, wenn minderjährige Mädchen betroffen sind."

kev/AFP


Aus: "Justizminister: Maas will Mehrfach-Ehen die Anerkennung verweigern" (14.06.2016)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-will-mehrfach-ehen-anerkennung-verweigern-a-1097480.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ahmad Mansour Jahrgang 1976, ist ein israelisch-arabischer Psychologe und Autor. Er ist Programmdirektor der European Foundation for Democracy und Sprecher des Muslimischen Forums Deutschland. Ende 2015 erschien bei S. Fischer sein Buch ,,Generation Allah. Wieso wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen".

Anonym will die Frau bleiben, die mir neulich schrieb, die Mitarbeiterin eines Jugendamts. Sie war ratlos. Ihrem Amt sind Fälle bekannt, in welchen Familien ,,mit Migrationshintergrund" Gewalt zur ,,traditionellen Erziehung" gehört. Da haben kleine Mädchen und Jungen blaue Flecken, werden mit Drohungen eingeschüchtert und zum ,,Gehorsam" erzogen. Doch die Mitarbeiter im Jugendamt sollen ,,kultursensibel" mit Eltern und Kindern umgehen, und auch dann nicht unbedingt einschreiten, wo das rein rechtlich notwendig wäre. Ihr Brief sagte, zusammengefasst: ,,Das geht doch eigentlich nicht, oder?" Als würde sie von mir ein Okay für etwas wollen, was menschlich und gesetzlich glasklar ist: Einschreiten, selbstverständlich, egal, woher jemand kommt.

Was die Mitarbeiterin dieses Amts geschrieben hat, ist nicht ungewöhnlich. Hunderte solcher Briefen bekomme allein ich. LehrerInnen und SozialarbeiterInnen schildern, in welchem Dilemma sie sich befinden: Sollen sie Rücksicht nehmen auf Tradi­tio­nen? Respekt vor autoritären Vätern haben? Die Ehre von Mädchen – und deren Familien – achten, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen sollen? Es sind liebe Menschen, die da schreiben – und völlig hilflose.

Muslime und Menschen mit ,,Migrationshintergrund" genießen bei linken, progressiven Zeitgenossen in Deutschland besondere Sympathie und Solidarität. Sie wollen damit ein Zeichen setzen gegen Rassismus und Vorurteile. Ich selbst bin Araber, komme aus Israel und lebe hier seit 2004. Viele nette Menschen sind mir in meinen ersten Jahren in Deutschland im linksliberalen Spektrum begegnet.

Seit ich mich kritisch über bestimmte Religionsinhalte äußere, mit denen ich großgeworden bin, sind sie nicht mehr ganz so nett. Ihre Reaktionen sind natürlich nicht vergleichbar mit den Gegnern aus den ,,eige­nen Reihen", von denen ich Hasspost erhalte. Aber einen Araber wie mich mögen manche Leute nicht mehr.

Ich entspreche nicht dem Klischee dessen, der sich ausschließlich über rassistische Vorurteile beklagt – auch wenn ich das durchaus tue – , sondern ich begrüße die Demokratie, in der ich hier lebe, und ich kritisiere offen und deutlich die konfessionelle Enge der muslimischen Communities hier im Land. Ich kritisiere muslimische Dachverbände wie Ditib oder den Zentralrat der Muslime, die behaupten, im Namen meiner Religion zu sprechen und für alle Muslime in Deutschland, was schon allein statistisch nicht stimmt.

Ich setze mich für innerreligiöse und gesellschaftliche Reformen ein und spreche öffentlich darüber, dass vieles schiefläuft in den Familien, an den Schulen, in der Gesellschaft, im Umgang mit religiösem Fundamentalismus und islamischem Radikalismus.

Ein Netzwerk von deutschen Links­liberalen und Grünen ,,beschützt" eine Mehrheit der Muslime in Deutschland vor der Minderheit ihrer muslimischen Kritiker. Was ist daran links, was progressiv?, frage ich mich. Und: Seid ihr noch bei Trost? Oder sind wir eure Kuscheltiere geworden?

Humanistische Gesellschaftskritik und Aufklärung haben eine große Tradition im deutschsprachigen Raum. Aufklärung hat immer – absolut immer – mit der Kritik an Herrschaft zu tun, und Herrschaft hat fast immer mit Herren zu tun, also mit Männern, mit dem Patriarchat. Die großen monotheistischen Weltreligionen huldigen einem patriarchalen, strafenden Gott, einem der stärksten Machtfaktoren für ein hierarchisches, antidemokratisches Weltbild.

Marx nannte Religion das ,,Opium fürs Volk". Hegel, Kant und Weber waren Religionskritiker. Freud analysierte als Ursprung für die Erfindung eines strengen Gottvaters unter anderem ein unmündiges Bedürfnis danach, Verantwortung an Autoritäten abzugeben, sich kindlich zu unterwerfen. Die Französische Revolution übte Kritik an Religion als Instrument der Herrschaft und Unterdrückung. Auch in der Studentenrevolte von 1968 ging es um die Kritik am Klerus, an der Stellung der Frau in der Kirche, an religiösen Denkverboten, an den Vorstellungen von Autorität oder an der grausamen Praxis in staatlichen wie kirchlichen Kinder- und Jugendheimen. In jüngster Zeit empört sich die demokratische Öffentlichkeit über den massenhaften Missbrauch von Kindern in katholischen und anderen Institutionen, der ab 2010 ans Licht gekommen ist.

Kritik von Gläubigen wie Nichtgläubigen an Religion als Herrschaftsinstrument ist ein Klassiker der Linken! Diese Kritik gehört zentral zu ihrem Fundament. Umso verrückter erscheint es, wenn die muslimischen Kritiker ihrer eigenen Religion von Grünen, Linken und sogar So­zial­de­mokraten mit Argwohn betrachtet werden. Warum ist unsere Kritik nicht ebenso berechtigt?

Unter anderen Vorzeichen tut das links-grüne Lager dasselbe wie die Salafisten, Wahhabisten und übrigen islamischen Fundamentalisten, die wir kritisieren. Sie wollen kritische Muslime mundtot machen. Die einen entmündigen Muslime im Namen eines patriarchalischen Gottes, die anderen, weil sie meinen, Kritik an unserer Religion sei zu kränkend für uns, wir Muslime seien nicht fähig, kritisch zu denken und uns von verkrusteten Traditionen zu lösen. Aber warum soll das, was anderen Religionen – dem Katholizismus, dem Protestantismus, dem Judentum – durch Kritik und Reform von innen und außen in der großen Mehrheit gelungen ist, nicht auch im Islam gelingen? Und warum erhalten wir dafür nicht Solidarität von den Progressiven im Land?

Den kritischen Muslimen wird die Debatte in Deutschland von zwei Seiten verweigert: von den offiziellen muslimischen Verbänden und von den meisten linken, grünen Milieus. Das ist erstaunlich und sollte zu denken geben. In beiden Lagern weigert man sich, brennende Probleme der muslimischen Communities klar zu benennen und anzugehen.

Diese Probleme sind, unter anderem: Das Anwachsen eines gefährlichen Fundamentalismus, der immer mehr junge Leute in den Terrorstaat des IS zieht, das Ausgrenzen von Frauen als Menschen zweiten Ranges, die Erziehung von Kindern mit Angstpädagogik, eine Sexualfeindlichkeit, die zugleich hochgradig se­xualisiert wie tabuisiert, ein Buchstabenglaube, der den Koran nicht in seinem historischen und lokalen Kontext versteht, sondern als von Allah diktierten Text begreift. Tausende von Beispielen zeigen, wie unfrei und unglücklich das Kleben an diesen Vorstellungen macht.

Solange die muslimischen Verbände – ebenso wie die Grünen und Linken – leugnen, dass ein traditionell patriarchalisches Verständnis des Islam den fundamentalistischen Muslimen in die Hände spielt, solange haben bei diesem Thema AfD und Pegida das Sagen. Die Neue Rechte pachtet das Benennen der Probleme für sich – und sie tut es auch tatsächlich: hetzend und rassistisch, statt politisch aufklärend, soziologisch klar und religionsanalytisch.

Kluge und präventive Politik muss in der Mitte der Gesellschaft eine Debatte wollen und anstoßen. Traditionelles Islamverständnis befördert sexuelle Tabus und sexuelle Gewalt. Es hat enormen Einfluss auf das Verhalten der Geschlechter zueinander. Was in der Kölner Silvesternacht passiert ist, hat sein Vorbild auf dem Kairoer Tahrirpatz und anderswo. Von der ,,religiösen Tradition" zur sexuellen Abstinenz gezwungene junge Männer, greifen auf Frauen in der Öffentlichkeit zu. Das festzustellen ist nicht rassistisch, sondern ein Fakt. Wir, die Muslime, haben das Problem – die kritischen unter uns benennen es und brauchen die Solidarität der Demokraten im Land. Von der AfD, von Pegida wollen wir sie nicht, denn sie ist keine.

Eine offene, tabufreie Debatte wird zu Lösungen führen, zum Nachdenken und zu besserer Prävention. Und sie wird die Rechtsradikalen und die Islamisten schwächen. Dazu muss allen klar werden, dass Muslime nicht für die ,,Opferrolle" gecastet werden wollen, sondern als gleichberechtigte Bürger gleiche Rechte und Pflichten wahrnehmen wollen.

Wir kritischen Muslime sind viele. Mehr als Ihr denkt. Im April 2015 habe ich in Berlin das ,,Muslimische Forum Deutschland" mitgegründet. Wir streiten für einen humanistischen Islam, für eine Debatte innerhalb der muslimischen Community. Wir sind JournalistInnen, IslamwissenschaftlerInnen, wir sind SoziologInnen, PsychologInnen, Studierende. Und wir alle sind Teil dieser Gesellschaft. Traut euch, uns zuzuhören, mit uns zu diskutieren!

QuoteRuhig Blut
11. Jul, 12:51

,,Umso verrückter erscheint es, wenn die muslimischen Kritiker ihrer eigenen Religion von Grünen, Linken und sogar Sozialdemokraten mit Argwohn betrachtet werden." Dass dieses Problem existiert, war mir schon klar. Aber so verbreitet, wie Mansour es beschreibt? Extrem bitter.


QuoteGrisch 11. Jul, 17:23

"Umso verrückter erscheint es, wenn die muslimischen Kritiker ihrer eigenen Religion von Grünen, Linken und sogar Sozialdemokraten mit Argwohn betrachtet werden?"

Kognitive Dissonanz ist eben schwer auszuhalten und unser Gerhin macht sichs gern einfach und denkt in gut/böse Kategorien. Manch "faules" Gehirn preist noch dazu die angebliche Objektivität von Intuitionen und Gefühlen, was das ganze Schlamassel nicht einfacher macht - zumal dann, wenn man den Menschen in seiner Einfalt auch noch als Krone der Schöpfung betrachtet...

Wenn also Muslime (die Guten) von Pegida (den Bösen) bedroht werden,
können Muslime (die Guten) nicht gleizeit böse sein... und diejenigen die was anderes behaupten, müssen dann zu den Bösen gehören, sonst beginnt das Weltbild zu wanken.

Letzlich bleibt da nur der Appell der Aufklärung, den Verstand einzuschalten und Widersprüche aushalten zu lernen, sonst wird man sich immer nur ein einfaches aber meist falsches Bild von der Wirklichkeit machen können.


QuoteJanz Schlau
9. Jul, 22:47

Ich bin in einem christlich-fundamentalistischem Umfeld aufgewachsen, in dem Erziehungsratgeber sich auf den biblischen Rat beriefen 'wer sein Kind liebt, der züchtigt es'; in dem Sex vor der Ehe tabu war; in dem Schwule mit 'Konversionstherapien' malträtiert oder ausgeschlossen wurden; und in dem die Überzeugung galt: 'Wer nicht zu uns gehört, wird für immer in der Hölle gefoltert - und das zu recht'. Was bizarr klingen mag, ist relativ häufig. In Deutschland gibt es laut Selbstauskunft rund eine Millionen Evangelikaler. Die teilen sich zwar wiederum auf ein ganzes Spektrum auf, treffen sich aber in einem Bibelverständnis, dass ziemlich deckungsgleich mit dem Koranverständnis fundamentalistischer Muslime ist.

Was mich regelmäßig die Wände hochgehen lässt, sind social media Kontakte _aus diesem Umfeld_, die Panik vor der angeblichen 'Islamisierung' Deutschlands schieben.

Daher stimme ich voll mit den wesentlichen Punkten des Essazs überein: Wir brauchen Fundamentalismuskritik und sollten die nicht den Falschen überlassen. M.E. ist es wichtig, dabei deutlich zu machen, dass es nicht um die pauschale Ablehnung einer Religion oder eines Kulturkreises geht. Sondern um die Ablehnung des religiösen Fundamentalismus und seiner Folgen, egal unter welcher 'Flagge'.

Evtl. wäre ein guter Weg, wenn 'Aussteiger' aus solchen Traditionen sich gemeinsam stark machen, über Religionsgrenzen hinweg?


...


Aus: "Essay Linke und Muslime: Wir sind nicht eure Kuscheltiere" Ahmad Mansour (9. 7. 2016)
Quelle: https://www.taz.de/!5317219/

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Quote[...] ,,Wir sind nicht eure Kuscheltiere", schrieb vor drei Wochen der Psychologe und Autor Ahmad Mansour in einem vielbeachteten taz-Essay. Er als Muslim finde, dass Muslime in die offene Debatte integriert gehörten. Die unter manchen Linken und Liberalen verbreitete ,,Kultursensibilität" sei absurd und teils rassistisch.

Bei Letzterem hat er ganz recht: Der nur scheinbar freundliche Gedanke ,,Das ist halt deren Kultur" ist falsch. Andersartigkeit kann man auch ohne nationale ,,Kulturen" respektieren. Es gibt genauso wenig ,,die Araber", wie es ,,die Deutschen" gibt, das kann ich als ,,Deutsch-Araber" aus eigener Erfahrung bestätigen. Der Multikulturalismus geht aber letztendlich davon aus.

Diesem Konzept von ,,Kultur" habe ich beispielsweise zu verdanken, dass mir in Liebesangelegenheiten wegen meiner dunklen Augen ,,Glutäugigkeit", also besondere Leidenschaftlichkeit, zugeschrieben wird, was an sich ganz praktisch ist. Doch einmal davon abgesehen, dass solche Zuschreibungen irgendwann an der Realität und ihren Ambivalenzen zerplatzen, hat das Vorurteil vom ,,glutäugigen Orientalen" auch eine Schattenseite: nämlich die des von Emotionen und Trieben gesteuerten Arabers. So eng liegen ,,positive" kulturelle Vorurteile und Rassismus oft zusammen.

Hat Mansour also recht, wenn er meint, dass man sich mit der Kritik an Menschen mit arabischem und türkischem Hintergrund nicht zurückhalten solle, dass Aufklärung hier nicht haltmachen dürfe? Nicht ganz. Denn öffentliche Debatten sind Märkten ähnlich: Beide bringen im Idealzustand sehr positive Effekte hervor, in der Realität werden sie stark durch Machtverhältnisse und andere Umstände verzerrt.

Ein herrschaftsfreier und rational geführter Dialog hat das Potenzial, auf allen Seiten kulturelle Normen und Wertvorstellungen in Frage zu stellen. Mit der Zeit kann das dazu führen, dass repressive Wertvorstellungen über Bord geworfen werden. Gäbe es da nicht den Rassismus.

Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp widmet sich in seinem neuen Buch ,,Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit" ebendiesem Problem. Er legt dar, dass die ,,Sprechsituation" in einer Debatte ungeheuer relevant ist, so wie es eben auch relevant ist, ob gerade zwischen gleichwertigen Diskutanten debattiert wird oder ob eine Person gemobbt wird. Die Art und das Ausmaß, in dem zur Zeit beispielsweise Kritik an ,,dem Islam" geübt wird, ist zu einem Großteil irrational und verzerrt durch antimuslimische und ausländerfeindliche Ressentiments. 57 Prozent der Deutschen empfinden den Islam als bedrohlich.

Die letzten Mitte-Studien der Uni Leipizig besagen, dass etwa 34 Prozent der Deutschen glauben, ihr Land sei in gefährlichem Maße überfremdet, und volle 41 Prozent finden, man solle Muslimen die Einwanderung nach Deutschland verbieten. Die Kommentarspalten von Artikeln zum Thema werden beherrscht von frisch gebackenen Islamexperten, offensichtlich geschult durch die einseitige Lektüre von Autoren wie dem in deutschen Talkshows oft gesehenen Islamkritiker Hamad Abdel-Samad, dessen Bücher voll von Methodik- und Denkfehlern sind. Rechtskonservative Publikationen wie Cicero oder die Welt drucken unverhältnismäßig viele Artikel über von Migranten begangene Verbrechen oder die Rückständigkeit des Islam. Die Argumentationen sind dabei durchzogen von Halbwissen und unzulässigen Pauschalisierungen.

Eine unverzerrte und differenzierte Diskussion darf sehr wohl auch feststellen, dass in Teilen muslimischer Communities antiliberale und autoritäre Denk- und Verhaltensweisen überproportional und in spezifischer Weise anzutreffen sind. Das steht nicht in Frage. Aber die Debatte wird auf ungute Weise geführt. Es wird zu viel von ,,dem Islam" oder ,,der Kultur" ,,der" Araber und Türken geredet. Und die gibt es, wie bereits erklärt, nicht. Man immunisiert sich dabei gegen den Rassismus-Vorwurf, indem man lobenswerte Ausnahmen wie einen Abdel Samad oder eben Ahmad Mansour hervorhebt. Diese dienen aber nur der Bestätigung der Regel.

Ähnlich wie Abdel-Samad beruft sich Mansour auf ein kurzsichtiges Verständnis von Aufklärung. Man muss nicht Horkheimer und Adorno lesen, um zu verstehen, dass im Konzept ,,Aufklärung" ein regressives Element enthalten ist, weil es dazu verleitet, die Menschheit in ,,Aufgeklärte" und ,,Barbaren" zu unterteilen. Der unaufgeklärte Barbar muss, weil er irrational und gefühlsgelenkt – quasi glutäugig – ist, zu seinem Besten gezwungen werden. Genauso rechtfertigten die europäischen Kolonisatoren ihre Grausamkeiten und ihre Raffgier. Und diese Entgegensetzung von aufgeklärten Westlern und barbarischen Südlern durchzieht und verzerrt die gesamte Debatte über den Islam und Migration.

Ein weiteres Problem ist der einseitige Fokus der Debatte. Wie Biskamp darlegt: Wenn die Probleme im Islam immer und immer wieder thematisiert würden, während andere religiöse oder kulturelle Traditionen und andere Bevölkerungsgruppen weitestgehend unproblematisiert bleiben, trügen ,,auch die genauesten und differenziertesten Redebeiträge über Islam und Musliminnen zum Problem bei: Die überproportional thematisierte Gruppe wird haargenau kritisch und differenziert durchleuchtet und gerade dadurch marginalisiert."

Die eigene Gruppe wird dabei gereinigt von allen ,,barbarischen" Impulsen, so wie nach der Silvesternacht von Köln viele Deutsche, die für den Feminismus bisher nur Verachtung übrig hatten, plötzlich zu wilden Streitern für Frauenrechte wurden. Frauenfeindlich sind die anderen. Und je barbarischer der andere ist, desto aufgeklärter wirkt man selbst. Um aus dieser Falle auszubrechen, so Biskamp, solle man statt ständig allgemeine Debatten über ,,den Islam" zu führen, sich auf konkrete Fragen konzentrieren und diese präzise diskutieren.

Gerade Mansour neigt aber zu Ungenauigkeiten und dient damit der Rechten ungewollt als Zuspieler von Argumenten, die darum (fälschlicherweise) als besonders objektiv gelten, weil er selbst arabischer Herkunft ist. Das beginnt schon mit dem Titel seines Buches ,,Generation Allah": Das darin enthaltene Bild beschwört eine ganze Generation von irrationalen und gefährlichen Menschen herauf.

Wer solche Bilder kreiert, muss sie präzise belegen. Aber im Buch findet man kaum genaue Zahlen, dafür viele Anekdoten und die bedrohliche Aussage, dass die Generation Allah nach seinen ,,Beobachtungen" wachse. Eine lapidare ,,Beobachtung" reicht aber nicht aus, um verallgemeinerte Erkenntnisse zu formulieren. Auf Grund seiner an sich sehr zu begrüßenden Tätigkeit als Präventionsarbeiter gegen Salafismus wird er berufsbedingt ständig auf ,,Problemkinder" treffen, was seine Wahrnehmung beeinflusst.

Die jungen Migrantentöchter und Migrantensöhne, die ich kenne, scheinen mir jedenfalls nicht zu dieser ,,Generation Allah" zu gehören, werden aber durch solche Zuschreibungen stigmatisiert. Stigmatisierungen und damit verbundene Vorurteile sind ein wesentlicher Faktor in einem von französischen und amerikanischen Wissenschaftlern unlängst nachgewiesenen Teufelskreislauf aus Ausgrenzung und Integrationsverweigerung.

Generell lässt sich sagen, dass Mansours Kernargument der wissenschaftlichen Diskussion hinterherhinkt. Die meisten Attentäter sind nämlich eben gerade keine gefestigten Muslime, sondern haben seit Kurzem die Religion für sich entdeckt, wie verschiedene Studien zeigen. Wer über Terrorismus spricht, kommt um diese Fakten nicht herum und muss sie mindestens ansprechen.

Um es zu betonen: Sicher hat Mansour recht, wenn er sagt, dass Salafisten einen zu großen Einfluss auf Jugendliche haben und dass über diesen Einfluss gesprochen werden, er zurückgedrängt werden muss. Aber die unreflektierte Bezugnahme auf die Aufklärung und die Vorzüge einer offene Debatte sind naiv. Die Rechte fordert ,,offene" Debatten über ,,den Islam" und ,,die Kultur" von Migranten – ähnlich wie reichere Länder gerne lautstark freie Märkte fordern: weil es ihnen nützt.

Die Antwort kann selbstverständlich nicht sein, nicht kritisch miteinander zu reden. Aber man sollte sich Verzerrungen und Ungleichheiten bewusst machen und mit diesem Wissen nach fairen Verhältnissen streben, die eine solide Grundlage für offene Debatten bieten. Leute wie Mansour sollten sich klarmachen, dass es auch gute Gründe haben kann, dass manche Linke ,,plötzlich nicht mehr so nett" sind, wenn sie mit seinen Thesen konfrontiert werden.


Aus: "Linke und die Debatte um den Islam: Ums Kuscheln geht es nicht" Houssam Hamade (2.8.2016)
Quelle: https://www.taz.de/Linke-und-die-Debatte-um-den-Islam/!5322474/

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Im Bordprogramm von Air Berlin wird eine lesbische Kussszene nur verpixelt gezeigt. Auch bei einer anderen Airline gibt es Zensur. ... Dass solche Zensur vorgenommen werden, ist auch der Lufthansa nicht fremd: ,,Nicht alle Fluggäste teilen unsere mitteleuropäischen Werte. Wir nehmen daher Rücksicht auf alle Gäste", sagte Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty. Manche Szenen, die "für europäische Augen" normal seien, würden bei interkontinentalen Flügen gelegentlich abgeändert.

...


Aus: "Air Berlin zeigt lesbische Kussszene nur zensiert" Robert Klages (05.08.2016)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/queerspiegel/film-im-bordprogramm-verpixelt-air-berlin-zeigt-lesbische-kussszene-nur-zensiert/13976434.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wer arm ist, wählt eben rechts. Auf diese einfache Formel lassen sich viele Versuche herunterbrechen, die Wahlerfolge der AfD zu erklären. Sie gilt als Partei der Abgehängten, der Frustrierten - und folgerichtig ist die erste Reaktion auf ihre Erfolge stets: Die Politik muss sich um die Armen, Abgehängten, Benachteiligten kümmern. Aber so einfach ist das nicht.

Für die These von der Partei der Abgehängten spricht zwar auch in Mecklenburg-Vorpommern einiges. Die Arbeitslosigkeit liegt mit neun Prozent über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Viele Dörfer veröden. Das Lohnniveau in dem ostdeutschen Bundesland ist so niedrig wie sonst nirgends in Deutschland.

Doch es spricht eben auch so vieles dagegen. Immerhin gelang es in den vergangenen Jahren, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, es geht bergauf in Mecklenburg-Vorpommern. Und längst nicht nur Arbeitslose wählen die AfD. Die Partei erreicht Menschen mit den unterschiedlichsten Bildungsabschlüssen oder Jobs. Am stärksten schneidet sie übrigens nicht unter Wählern mit niedrigen, sondern mit mittleren Bildungsabschlüssen ab.

So war es in der Vergangenheit auch bei anderen Landtagswahlen, bei denen die AfD Erfolge feierte - sei es im wohlhabenden Baden-Württemberg oder in Sachsen-Anhalt, das mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie Mecklenburg-Vorpommern. Wer auf den Wahlpartys der AfD unterwegs ist, trifft nur selten einen Arbeitslosen.

Stattdessen: stolze Kleinunternehmer, selbstbewusste Facharbeiter, bestens gelaunte Rentner, die sich pudelwohl fühlen in ihrem neu entdeckten Rebellentum. Um das Leid der Armen Deutschlands geht es allenfalls vorne auf der Rednerbühne. Wer sich länger mit den Sympathisanten der AfD unterhält, der erfährt eher das Gegenteil von Mitgefühl: Nicht wenige von ihnen würden Hartz-IV-Empfänger am liebsten persönlich zur Arbeit zwingen, auf jeden Fall aber den Hartz-IV-Satz senken. Und neulich bei der Programmdiskussion sprachen die Parteimitglieder ernsthaft darüber, ob man den "selbst gewählten" Lebensentwurf von Alleinerziehenden unterstützen solle.

Dazu passt das Wirtschaftsprogramm der AfD, das sich an neoliberalen Prinzipien orientiert, staatliche Eingriffe in das Wirtschaftssystem skeptisch sieht, Unternehmen entlasten, dem Bürger mehr Verantwortung übertragen will. Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge gehört übrigens ein Drittel aller AfD-Sympathisanten deutschlandweit zu den Besserverdienern. Einen ähnlich hohen Wert hat sonst nur die FDP.

Das Thema, mit dem sich die AfD profilieren konnte, ist dementsprechend nicht die Sozialpolitik, sondern es ist die Flüchtlingspolitik. Die Anhänger der AfD wollen schlicht nicht, dass Flüchtlinge ins Land kommen. Sie wollen ein Deutschland wie vor 50 Jahren als Männer noch Männer, Frauen noch Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund noch Gastarbeiter waren. AfD-Wähler fühlen sich nicht unbedingt wirtschaftlich abgehängt - sondern kulturell.

In ihrer Selbstwahrnehmung sind sie es - Facharbeiter, Unternehmer, Familienväter - die in den vergangenen Jahren am meisten geleistet haben. Im Falle vieler ostdeutscher Sympathisanten vielleicht auch: geopfert und gelitten haben. Und nun meinen sie zu beobachten, wie Ausländer, Feministinnen und Multikulti-Laberbacken Politik und Gesellschaft übernehmen. Dieses Gefühl will die AfD ansprechen, wenn sie in Mecklenburg-Vorpommern plakatiert: "Damit Deutschland nicht zerstört wird." Wenn sie schreibt "für unsere Kinder", dann meint sie die Kinder heterosexueller, deutschstämmiger Ehepaare, nicht die Kinder alleinerziehender Frauen und schon gar keine Flüchtlingskinder.

Das bedeutet, dass eine mildtätige Sozialpolitik allein ihren Erfolg nicht bremsen wird. Es geht in der Auseinandersetzung mit der AfD in erster Linie nicht um einen Klassenkampf sondern um einen Kulturkampf. Und der ist ungleich schwerer zu führen, weil er mit ein bisschen mehr Geld für Bedürftige nicht zu lösen ist. Wer vor vielen Jahren eine der ersten Lesungen eines Thilo Sarrazin besucht hat, auf denen entfesselte Bildungsbürger über Kopftuchmädchen, Hartz-IV-Empfänger und Gender-Gaga schimpften, hat das ahnen können.

Dass sich das Narrativ der "Partei der Abgehängten" trotzdem so hartnäckig hält, ist verständlich. Denn es hält dem restlichen Bürgertum die Frage vom Hals, wie viel AfD eigentlich im eigenen Großvater, im fleißigen Kollegen, in der netten Nachbarin steckt. Es verortet Rassismus, Misogynie und Eliten-Verachtung weit weg vom eigenen Leben in den prekären Randlagen der Gesellschaft. Diese Wahrnehmung jedoch ist Selbstbetrug - und unterschätzt, wie gefährlich die AfD eigentlich ist. Sie spaltet nicht einfach den armen vom wohlhabenden Teil der Gesellschaft, sondern reißt sie mittendurch.

Was also ist das richtige Rezept gegen die AfD? Zunächst einmal sollte der Rest von Deutschland die AfD-Anhänger nicht als Frustrierte und Abgehängte unterschätzen, die man mit Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen und einer Rentenerhöhung zufriedenstellen kann. Es sollte den Kampf aufnehmen, auf Augenhöhe führen und dabei deutlich machen: Das Deutschland, das ihr wollt, wollen wir nicht. Denn 21 Prozent für die AfD sind viel - aber längst keine Mehrheit.



Aus: "Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die AfD führt einen Kulturkampf - keinen Klassenkampf" Kommentar von Hannah Beitzer (5. September 2016)
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/landtagswahl-in-mecklenburg-vorpommern-die-afd-fuehrt-einen-kulturkampf-keinen-klassenkampf-1.3148761

Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Ein falsches Wort mache aus einem Demokraten noch keinen Nationalsozialisten, heißt es. Das ist richtig - trifft aber die Sache nicht. Wenn eine CDU-Abgeordnete von ,,Umvolkung" spricht, eine AfD-Vorsitzende von einer ,,positiven" Konnotierung des ,,Völkischen" oder ranghohe AfD-Funktionäre über ,,Volksverräter", Russlands ,,Heimholung" der Krim oder die ,,Volksgemeinschaft" schwadronieren, dann lautet die Frage nicht, ob diese Personen heimliche Anhänger Hitlers sind. Die Frage lautet, ob sich in Deutschland über die Wiederbesetzung bestimmter Begriffe eine Renaissance eines ethnischen und kulturellen Autoritarismus anbahnt, der unserer pluralistischen Ordnung hohnspricht.

Es ist die Bedeutung der Worte selbst und nicht nur, wer sie früher verwendet hat, die Besorgnis auslösen muss. Denn nicht nur ,,raum- und kulturfremde Menschen" (Alexander Gauland), sondern auch ,,Volksdeutsche" hatten dereinst wenig zu lachen.


Aus: "Nazi-Begriffe Völkisches Schwadronieren" Justus Bender (26.09.2016)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/nazi-begriffe-voelkisches-schwadronieren-14452736.html


Textaris(txt*bot)

#250
Viele Frauen in der türkischen Metropole Istanbul sehen keinen Widerspruch zwischen der Verschleierung und einem modischen, eleganten Look. Konservative Muslime sehen das kritisch. ... Quelle: http://video.tagesspiegel.de/5148628737001?lightbox=1 ("High Heels und Hidschab in Istanbul", 30.09.16)

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Quote[...]  Die Journalistin Noor Tagouri zeigt sich mit Hidschab im "Playboy" und die Medienmaschine läuft heiß. Es geht um die Frage: Wer bestimmt, was ein Kopftuch bedeutet?

... Die Regeln der Aufmerksamkeitsindustrie allerdings sind nach wie vor dieselben: Wer wahrgenommen werden möchte, bedient sich am besten jener Symbole, vor denen sich all jene fürchten, die erwiesenermaßen uncool sind. In den Sechzigern und Siebzigern ging es dabei vor allem um Nacktheit, Polygamie und Kommunismus, in den Achtzigern um Snobismus und Konsum, in den Neunzigern um die totale Ironisierung. Und in den re-fundamentalisierten Nuller- und Zehnerjahren geht es nun zum ersten Mal in der Popgeschichte wirklich ernsthaft um Religion.

Als Cassius Clay, Ferdinand Lewis Alcindor und Cat Stevens zum Islam konvertiert sind und sich fortan Muhammad Ali, Kareem Abdul-Jabbar und Yusuf nannten, hat das in den USA noch kaum mehr als ein Schulterzucken ausgelöst. Heute müssten sie damit rechnen, Besuch von der Polizei zu bekommen und sei es unbemerkt, auf ihrem Telefon.

Die Generation von Noor Tagouri nutzt diese Hysterie als Mittel der Abgrenzung, Profilierung und Selbstdefinition. In einem Interview mit dem Magazin Marie Claire sagte Tagouri vor Kurzem, dass Kopftücher in ihrer Familie nie eine Rolle gespielt haben und sie selbst erst mit 16 angefangen habe, einen Hidschab zu tragen, also ungefähr in dem Alter, in dem Janis Joplin und Jim Morrisson zum ersten Mal LSD genommen haben. Zur Belohnung gibt es heute tatsächlich Leute, die auf ihre Interview-Anfragen antworten: "Mit Leuten wie dir rede ich nicht."

Auf diese Weise widmet sie auch die Symbolik des Hidschab um: Er steht jetzt nicht mehr zwangsläufig für Patriarchat und Konservatismus, sondern im gleichen Maße für Protest und Emanzipation. Bislang waren es vor allem die Eliten im Westen und in der muslimischen Welt, die darum gerungen haben, wer über die Bedeutung des Hidschab zu entscheiden habe. Jetzt sind sie nicht mehr allein.

QuoteIhrbenut #8

Der Hidschab steht für Protest und Emanzipation und die Burka wird dadurch sozusagen das Flaggschiff, das Banner der Emanzipation, der Gleichberechtigung, des Non-Konformismus.
Wenn das der Fritz Teufel noch erleben könnte!


QuotevonTeichmann #9

Meine Nachbarin ist über 80, hier im Dorf in Nordhessen geboren und trägt .... tja, ich wage es kaum zu sagen: ein Kopftuch. Ich kenne sie gar nicht anders. Und ihr im letzten Jahr verstorbener Mann, ein zupackender Landwirt, trug einen Bart. Vollbart.

Nordhessische Salafisten ...

Sagt mal: Hat die Welt nichts anderes zu tun als sich über Kopftücher aufzuregen?

QuoteDaStauntDerLaie #9.2

Echt progressiv, die Nachbarin.



QuoteLuis Tränker #9.12

Nordhessische Salafisten ...

... Neben den bereits genannten Gründen (augenscheinliche Hygiene) haben diese Frauen selten ihre Haare und ihren Hals mit diesem Kopftuch zu verdecken versucht. Die RKK hatte bis in die 1960/70iger Jahre hinein auch eine Aufforderung an die Frauen den Kopf mit einem Tuch zu bedecken, wenn sie die Kirchen betreten wollten. Dazu gehörte damals auch, dass Frauen in Hosen, aber auch mit freien Armen, der Zutritt zur Kirche verweigert wurde, und dies auch dann, wenn keine Messen stattfanden. Aber auch hier galt: Nicht alle Haare und der Hals musste unsichtbar werden und ja, es war auch eine Demutsbezeugung der den Frauen abverlangt wurde - weniger vor Gott als vor den anwesenden Herren. [Der christliche Brautschleier ist übrig. noch solch ein christliches Relikt, der diese "Unterwürfigkeit" unter den Mann darstellen sollte. Aber auch hier war es nicht Sinn und Zweck die sog. Reize vor den Männern zu verstecken und wenn man solche alten Hochzeitsfotos ansieht, dann wird man auch feststellen, dass die besagte Großmutter auf diesen Feierlichkeiten kein Kopftuch mehr trug, sondern offene und hergerichtete Haarpracht.]


Quotepalomino #12.1

Immer die, die aktuell die Macht haben, die über 10.000-jährige Kulturgeschichte dieses Symbols nach ihrem Dünken zum Wohl oder Wehe umzudeuten.

Quoteschmodddermonster #12.2

ganz so alt ist der playboy aber nun nicht...



QuoteDieter Drabiniok #15

Meine Oma und sogar meine Mutter haben Kopftücher getragen. Oma strenge Katholikin, Mutter Protestantin. Mein Vater ist aus der katholischen Kirche ausgetreten, als der Pastor von meiner Mutter verlangte zum Katholizismus zu konvertieren, weil er sie sonst nicht trauen würde.

Wenn hier jemand über fünfzig ist, kennt er solchen Unfug vielleicht aus eigener Erfahrung.

Was das mit dem Playboy zu tun hat? Gar nichts! Was der Kommentar dann soll: Er soll lediglich den Irrsinn und den Fundamentalismus kennzeichnen, den es in jeder Religion gibt. Dass Stofffetzen eine Aufregung erzeugen können, wie ein Fuchs im Hühnerstall, sagt eigentlich mehr über unsere "fundamentalistische" Gesellschaft aus, als mir lieb ist!

[wenn ich mir alte Bilder aus der DDR anschaue, oder Dokumentationen aus der Zeit des Nationalsozialismus, tragen dort die Frauen und BDM Mädchen Kopftücher! Wenn ich das richtig interpretieren, haben auch wir diesen Frauen "unterdrückenden" Stofffetzen Jahrzehntelang nicht als solchen betrachtet. Da war und galt er lediglich als nützlich (bei der Arbeit) oder "kleidsam", für eine braves deutsches Mädchen.]


QuoteAllan Clarke #34

Wir waren "damals" so sicher, dass die nachfolgenden Generationen uns super-aufgeklärt-links-progressiv-punkgestählten Superrebellen nicht mehr "schocken" könnten. Und nun kommen die "Kids" mit Symbolen einer erzreaktionären Religion um die Ecke. You cannot beat puberty.


Quotedabec #36

Gratuliere, ein herzerfrischend, wohltunender Artikel Herr Stephan! Mitten in die Paranoia, ihre These bestätigt sich in nicht wenigen Leserzuschriften :-)
,,Es geht um die Frage: Wer bestimmt, was ein Kopftuch bedeutet?
,,Und diese mediale Reizbarkeit angesichts des Hidschabs ist vielleicht die eigentliche Geschichte."
Kopfschüttelnd kann man zurzeit nur den Hype um das Burkiniverbot und in diesem Fahrwasser auch die Kopftuch / Hidschab Debatte verfolgen. ...


...


Aus: ""Playboy": Mitten in die Paranoia" Felix Stephan (29. September 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/2016-09/playboy-hidschab-emanzipation-islamismus

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Seit Jahren sehen Mitschüler und Lehrer nur die Augen der Achtklässlerin: Obgleich eine Vollverschleierung im Unterricht verboten ist, hat eine Schule im niedersächsischen Belm erst jetzt die Behörden eingeschaltet. Warum?

Häufig hat die Johannes-Vinke-Schule in Belm bei Osnabrück, Niedersachsen, versucht, die Schülerin und ihre Mutter umzustimmen - ohne Erfolg. Wie die "Neue Osnabrücker Zeitung" ("NOZ") berichtet, kommt die heutige Achtklässlerin bereits seit dem Schuljahr 2013/2014 mit einem Nikab zur Schule. Dieser Schleier lässt nur einen schmalen Sehschlitz frei.

Nun hat die Schule die Behörden eingeschaltet: Laut "NOZ" meldete die Schulleiterin der Belmer Oberschule den Fall Ende August 2016 an die Landesschulbehörde. Kurz zuvor hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück entschieden, dass ein Abendgymnasium eine Nikab-tragende Schülerin abweisen darf. Schule und Schulbehörde argumentierten, mit Nikab sei im Klassenraum keine offene Kommunikation mehr gewährleistet.

Der Fall der Achtklässlerin beschäftigt nun laut "NOZ" die Polizei, den Verfassungsschutz und das Kultusministerium in Hannover. "Die Landesschulbehörde ist damit beauftragt, die Schule weiter zu beraten und zu unterstützen mit dem Ziel, eine Verhaltensänderung bei der Schülerin zu bewirken", teilte laut Bericht ein Sprecher von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) mit.

Die Schule wollte sich am Freitag nicht zu dem Fall äußern. Die Frage, warum die Schulleitung es so lange toleriert habe, dass die Jugendliche vollverschleiert in den Unterricht kommt, beantwortet das niedersächsische Innenministerium dem Zeitungsbericht zufolge so: Die Schule habe den Nikab zunächst toleriert, "auch um der Schülerin den Schulabschluss zu ermöglichen, und weil es in diesem konkreten Einzelfall bisher zu keinen Störungen des Schulfriedens gekommen ist".

Ob die Landesbehörden nun darauf bestehen, dass die Schülerin den Nikab ablegt, ist noch offen. In der Frage treffen zwei im Grundgesetz garantierte Rechte aufeinander: die in Artikel 4 geschützte Religionsfreiheit und der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, der in Artikel 7 geregelt ist.

Nach dem Willen der Unionsinnenminister der Länder sollen sich muslimische Frauen in deutschen Gerichten, Ämtern, Schulen und im Straßenverkehr nicht mehr vollverschleiern dürfen. In anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, gilt bereits ein Verschleierungsverbot im öffentlichen Raum. Wie sinnvoll solche Verbote sind, ist allerdings umstritten.

So warnt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) davor, verschleierte Mädchen vom Unterricht auszuschließen. "Ein Verbot der Vollverschleierung ist der vollkommen falsche Weg", sagte GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann in einem früheren "NOZ"-Interview.

Schule sei für verschleierte Mädchen aus strengkonservativen islamischen Haushalten oft die einzige Möglichkeit, Kontakt zu Gleichaltrigen aufzunehmen. Die Zahl der Mädchen und Frauen, die sich in Deutschland vollverschleiern, ist allerdings verschwindend gering.


Aus: "Niedersachsen: Achtklässlerin kommt seit drei Jahren mit Nikab zur Schule" (30.09.2016)
Quelle: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/belm-in-niedersachsen-achtklaesslerin-kommt-mit-nikab-zur-schule-a-1114672.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Kairo/Amman - Der Jordanier Nahed Hattar war Christ, zählte zu den Islamkritikern und löste mit einer Karikatur bei Muslimen blanken Hass aus. Auf dem Weg zum eigenen Prozess wurde der Schriftsteller nun erschossen. ... Zu sehen ist nach Angaben des arabischen Senders Al-Dschasira ein IS-Kämpfer, der mit zwei Frauen im Bett liegt und Gott bittet, ihm einen Drink zu bringen. Der mit weißem Bart und goldener Krone gezeichnete Gott öffnet von außen den Vorhang und schaut in das Zimmer. Hattar löschte die Karikatur später und beteuerte, sie würde sich über Terroristen und ihr Weltbild lustig machen: ,,Es verletzt die Göttlichkeit Allahs in keiner Weise." ...

... Hattar wurde nach dem Erscheinen der Karikatur wegen Beleidigung des Islam angeklagt und zwischenzeitlich festgenommen. Die Familie des Aktivisten teilte Medienberichten zufolge mit, er habe die Behörden informiert, dass er Morddrohungen bekommen habe. Personenschutz habe Hattar trotzdem nicht erhalten. Der Getötete verfasste mehrere kritische Schriften gegen den politischen Islam und war als Unterstützer von Syriens Präsident Baschar al-Assad bekannt.


Aus: "Islamkritischer Journalist in Jordanien erschossen" (25.09.16)
Quelle: www.merkur.de/politik/islamkritischer-journalist-jordanien-erschossen-zr-6782703.html

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Quote[...] Papst Franziskus hat mit ungewöhnlich drastischen Worten einen Schutz der Ehe eingefordert. Die Gegenwart erlebe einen ideologischen "Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören", sagte er in Georgiens Hauptstadt Tbilissi. Diese Zerstörung erfolge "nicht mit Waffen, sondern mit Ideen". Franziskus sprach von "ideologischen Kolonialisierungen", gegen die es sich zu verteidigen gelte. Eheleute seien ein "Abbild Gottes". Wenn es zur Scheidung komme, werde "das Abbild Gottes beschmutzt", sagte der Papst bei einem Treffen mit Angehörigen der katholischen Minderheit in Georgien. ...

QuoteKnaake #4

"Eheleute seien ein 'Abbild Gottes'"; eine Aussicht welche die eigene Geistlichkeit offensichtlich nicht vom Hocker reißt; oder? So nach dem Motto: "Abbild Gottes? Nein danke!". Für mich als exkatholischer Laie schon etwas verwirrend..


Quoteatheistischer_humanist  #4.8

lol


QuoteFreigeist_1974 #5

Wie wäre es, wenn sich der Typ auf Tipps zur Reparatur von Rasenmähern beschränken würde? Davon hätte er mit Sicherheit mehr Ahnung.
Beziehungstipps von bigotten, alten Männern im Kleidchen... wie lächerlich!


...


Aus: "Franziskus: Papst spricht von "Weltkrieg" gegen die Ehe" (1. Oktober 2016)
Quelle: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/papst-franziskus-ehe-schutz-scheidung-georgien

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Barbusig schreitet sie über das Schlachtfeld, in der einen Hand die französische Tricolore, in der anderen das Bajonett; die französische Nationalfigur Marianne. Mit dem Gemälde «Die Freiheit führt das Volk» machte Eugène Delacroix 1830 die nackte Brust zum Symbol der Freiheit. Dass die Revolution vor allem Männer gleicher machte, geht beim Anblick des kräftigen Busens leicht vergessen.

Die sichtbare Brust war für Europa im Grunde gar kein Novum. Bis zum 18. Jahrhundert tauchten an verschiedenen Höfen Kleider auf, die eine oder beide Brüste frei ließen, wobei die in der Öffentlichkeit gezeigte Brust meist Adligen und Mätressen vorbehalten blieb, ganz im Gegensatz zu anderen Kulturkreisen. Im indischen Gliedstaat Kerala zum Beispiel erhielten Frauen niedriger Kasten erst 1858 das Recht, ihre Brust zu bedecken. Im Westen hingegen musste sich die Brust nach den strengen viktorianischen Kleidungssitten ihren Platz an der frischen Luft Schritt für Schritt zurückerobern, und nicht nur die weibliche; noch in den dreissiger Jahren wurden in den USA badende Männer ohne Ganzkörperanzug festgenommen.

1964, die Empörung über den Bikini war inzwischen abgeflaut, glaubte der Modeschöpfer Rudi Gernreich in den USA mit seinem Monokini, eine Reduktion des Bikinis auf ein Unterteil und zwei Nackenschnüre, ein Symbol für die starke, ungehemmte Frau gefunden zu haben. Der Entwurf, der den Blick auf den blossen Busen frei liess, setzte sich allerdings weniger am Wasser als in Topless-Etablissements durch.

Ein anderes Symbol löste die Oben-ohne-Welle aus: Brigitte Bardot, die sich am Strand von Saint-Tropez mit nichts als einem Unterteil zeigte. 1968, als Feministinnen in den USA mit der Entsorgung ihrer BHs den Begriff «bra burning» prägen und Studentinnen in einem Hamburger Gerichtssaal mit nacktem Oberkörper gegen «obrigkeitsstaatliches Denken» protestieren, wird Bardots Antlitz zur Vorlage für die Marianne-Büsten in Frankreichs Rathäusern gewählt. Die Freiheit dieses nackten Busens, der die sexuelle Revolution an den Strand gebracht hat, scheint ambivalent.

Der «Spiegel» beschreibt 1978 ausführlich den Trend, der sich trotz Protesten und Festnahmen an Europas Stränden ausbreitet, und konstatiert: «Für italienische Playboys ist es Pflicht, mindestens eine hüllenlose Dame topless an Bord zu haben.» Angesichts vieler entblösster Brüste im Marzili-Bad, dem Schweizer Mekka des Oben-ohne, lanciert die Berner EDU eine kantonale Volksabstimmung «gegen die Verrohung der Badesitten». Derweil berichtet die NZZ im verregneten Sommer regelmässig, aber relativ unaufgeregt über die neue Mode und wertet die entblösste Brust quasi als Indikator gesellschaftlicher Offenheit: «Es ist nicht zu fassen. Reagieren die Berner plötzlich schneller als die Zürcher?»

Mitte der neunziger Jahre, als Busenwunder wie Pamela Anderson Karriere machen, stellt Kaufmann an den französischen Küsten ein Abflachen des Oben-ohne-Trends fest. Die scheinbar entpolitisierte nackte Brust ist an den Stränden, in den See- und Freibädern immer seltener zu sehen, nach der Jahrtausendwende wird sie zunehmend zum Politikum. 2004 wird eine Brustwarze, Kristallisationspunkt symbolischer Aufladungen, zur Kampfzone erklärt: Die kurz hervorblitzende Brust von Janet Jackson bei ihrem Pausenauftritt am Super Bowl, dem Final der US-Football-Profiliga, ist für das prüde Amerika zu viel: Seit dem sogenannten Nippelgate wird die Show mit fünf Sekunden Verzögerung übertragen. 2010 erlebt die politisch instrumentalisierte Brust in Kiew ihr grosses Revival: Zum ersten Mal nutzen ukrainische Femen-Aktivistinnen ihre nackten Oberkörper als Info-Panels im Kampf für Frauenrechte, doch das Tauschprinzip nackte Haut gegen Aufmerksamkeit vermag die Logik der kritisierten Sexualisierung des weiblichen Körpers nicht wirklich zu brechen.

Schlüssiger lesen sich barbusige Kämpfe für das Recht, öffentlich Brüste zu zeigen: 2007 kämpfen Schwedinnen der Organisation Bara Bröst mit nacktem Busen für gleiche Oberkörper-Rechte in Hallenbädern, und in den USA ruft die Organisation GoTopless zu Oben-ohne-Märschen auf, nachdem in New York, wo topless in der Öffentlichkeit seit 1992 erlaubt ist, eine Frau ohne Oberteil zu Unrecht verhaftet worden ist. In Genf, wo ein Gesetzesartikel aus dem Jahr 1929 geschlechterangemessene Badekleidung vorschreibt, ist für Ende August bereits die vierte GoTopless Pride geplant, mit abgeklebten Brustwarzen, als Zeichen der gesellschaftlichen Zensur. Ob sich wie letztes Jahr eine komplett verhüllte Muslimin mit den Oben-ohne-Protestierenden ablichten lässt?

Kämpfe um die nackte Brust werden auch von und gegen Internetkonzerne geführt: 2008 verzichtet Facebook nach heftigen Protesten und öffentlichen Stillaktionen darauf, Fotos von stillenden Müttern zu zensieren. Sechs Jahre später geht Scout Willis, Tochter von Demi Moore und Bruce Willis, mit nacktem Oberkörper durch New York, nachdem ihr Instagram-Account wegen nackter Oberkörper gesperrt worden ist. Die Pop-Sängerin Rihanna erscheint aus gleichem Anlass im durchsichtigen Kleid an einer Gala – Aufmerksamkeit ist ihr gewiss. ...


Aus: "Der befreite Busen" Melanie Keim (19.8.2016)
Quelle: http://www.nzz.ch/gesellschaft/aktuelle-themen/kultur-des-oben-ohne-der-befreite-busen-ld.111736

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Quote[...] Barbara Vinken lehrt allgemeine Literaturwissenschaft und romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2013 ist (bei Klett-Cotta) ihr Buch «Angezogen. Das Geheimnis der Mode» erschienen.

Kleiderordnungen sind wieder in aller Munde. Der französische Verfassungsgerichtshof sah sich diesen Sommer genötigt, kommunale Verbotsdekrete gegen den Burkini aufzuheben: hatte doch der Bürgermeister von Cannes verfügt, dass man – und vor allen Dingen: frau – am Meer nicht verhüllt erscheinen dürfe. Das Bild, das zeigt, wie uniformierte Polizisten am Strand von Nizza eine Frau dazu nötigen, ihr langärmliges Oberteil coram publico auszuziehen, reiste um die Welt. Prompt wurden aus den Archiven Fotos der fünfziger Jahre ausgegraben, auf denen ein ebenfalls voll bekleideter Polizist einer nur mit einem Bikini bekleideten Schönheit ein Strafmandat ausstellt. Alles irgendwie sittenwidrig, einmal zu viel, einmal zu wenig. Die Staatsgewalt beschämt und bestraft Frauen, Polizisten verfügen, wie viel Haut frau zu zeigen, wie viel sie zu bedecken hat.

Selbst wenn uns der Burkini stört, steht das Verbot doch gegen eine der modernen, liberalen Grundüberzeugungen: dass wir uns nämlich nach Lust und Laune kleiden können. Gewisse Schamgrenzen müssen gewahrt werden; als Erwachsene dürfen wir nicht nackt durch die Stadt ziehen, in die Strassenbahn steigen (Erregung öffentlichen Ärgernisses). An der Côte d'Azur dürfen wir «oben ohne» baden, anderswo weniger – und am wenigsten an amerikanischen Stränden. Verschleiern wie in vielen arabischen Ländern müssen sich Frauen jedenfalls im Westen nicht. – Aber sollten sie es nicht dürfen?

Natürlich gab und gibt es für bestimmte Institutionen und Berufe immer Kleidervorschriften. Flugkapitäne müssen im Dienst eine Mütze tragen, Militärangehörige Uniformen, Nonnen und Mönche ihre Ordensgewänder, Banker Anzug und Krawatte, Ärzte und Krankenschwestern kommen in Weiss. In den USA dürfen manche Restaurants und Klubs nur mit Krawatte und nicht mit Sneakers betreten werden, in der First- und der Businessclass dürfen Frauen in den USA nicht in zehenfreien Sandalen fliegen, und Mitglieder des Kongresses dürfen nicht im Hoodie kommen. Kirchen in Italien bestehen darauf, dass Frauen nicht in Minis und nicht mit tief ausgeschnittenem Décolleté oder mit nackten Oberarmen, Männer nicht in Shorts herumspazieren. In vielen Schulen ist eine Schuluniform Pflicht. Sodann gibt es endlose Stilberater in puncto erfolgversprechender Kleidung im Büro: keine Spaghettiträger, keine zu kurzen Röcke, keine nackten Beine und, in den USA, das ein Land der Fussfetischisten sein muss, auf gar keinen Fall nackte Zehen, keine zu hohen und zu dünnen Absätze, geschweige denn ein nackter Bauch oder Shorts, aus denen die Pobacken lächeln.

Im öffentlichen Raum müssen wir bekleidet sein, aber wie wir unsere Nacktheit verhüllen, ist unsere Sache. Hier haben wir keine Kleidervorschriften der Obrigkeit zu befolgen, wir dürfen uns lustvoll der Tyrannei der Mode unterwerfen, ihr heroisch widerstehen oder ihr einfach die kalte Schulter zeigen. Polizeilich durchgesetzte Kleidervorschriften erscheinen uns heute wie eine Sache der Vergangenheit.

Schon der alte Cato sah den Untergang der Republik im weibischen Prunk der römischen Senatoren beschlossen; zu viel Purpur, zu viel Gold und manchmal gar geölte und parfümierte Haare! In der frühen Neuzeit wimmelt es von präzisen Kleidervorschriften. In der Ständegesellschaft machten Kleider Leute; auf den ersten Blick trennten sie die Stände, bestimmten die Geschlechter, bezeichneten ein Sein und mit dem Sein einen wohlgeordneten, gottgewollten Kosmos. Den Männern war es verboten, Frauenkleider, den Frauen, Männerkleider zu tragen, wie schon im 5. Buch Mose festgelegt. Gold, Silber und Perlen, kostbare Pelze, Atlas, Damast, Seidensamt waren oft dem Adel vorbehalten.

Was bemängelt, ja was unter Androhung von Strafen verhindert wurde, war das, was heute trickle-down effect heisst: Die niederen Stände sollten nicht mehr scheinen wollen, als sie waren. Mit dem Prunk der höheren Stände durften sie sich nicht schmücken. Wie man an der Kleiderordnung der Stadt Schweinfurt von 1780 sieht, muss das ungeachtet der Vorschriften tagaus, tagein besonders beim putzsüchtigen weiblichen Geschlecht passiert sein: «Dieweil man auch öffentlich wahrgenommen hat und noch täglich wahrnimmt, dass diejenigen Weibspersonen, die in der dritten Classe sich befinden, Kleider aus Damast, Taft, Seidenstoffen, Samt und andere kostbare Stoffe, auch teure Spitzen, ungescheut tragen und viel Geld darein stecken. Hält man ihnen dies vor, so führen sie zur Entschuldigung an, dass ihnen die kostbaren Stoffe, die schon fertigen Kleider von ihren Freunden verehrt oder auch von ihren Verwandten geschenkt worden seien.»

Ludwig XIII. war der letzte französische König, der durch Luxusdekrete auch den Adel von übertriebenem Protz und Prunk abzuhalten suchte. Zur Zeit Ludwigs XV. waren dann die Financiers reicher als der Hof, der sich etwas anderes einfallen lassen musste: Das bescheidene Raffinement ausgesuchter Einfachheit war viel «angesagter» als dumm prunkender Reichtum. Nach der Revolution der Sansculotten – immerhin nach den Beinkleidern der Aristokraten benannt – wurden alle Männer oder jedenfalls alle Bürger gleich durch den Anzug. Von der Mode war man nicht mehr streng in Stände geteilt, wie in Schillers Ode «An die Freude» besungen. Die Frauen wurden, wie wir sie kennen: unbeschreiblich weiblich.

Forthin trennte die Mode weniger die Klassen als die Geschlechter. Prompt sah sich Napoleon veranlasst, durch eine letzte Kleidervorschrift, die bis heute nicht aufgehoben wurde, aber stillschweigend übergangen wird, festzulegen, wer die Hosen anhat: Den Frauen wurde das Tragen von Hosen per Gesetz verboten. Fast wäre den Priestern im hundertjährigen Kampf, den die französische Republik im 19. Jahrhundert gegen die Kirche führte, das Tragen der Soutane per Gesetz verboten worden. 1789 kam es tatsächlich zum Verbot der Soutane, einem Verbot, das die Revolution nicht überlebte, das aber 1905, zum Zeitpunkt der Trennung von Kirche und Staat, erneut diskutiert wurde. Der Sozialist Aristide Briand verhinderte ein erneutes Verbot mit dem Argument, die Soutane sei ein Kleid wie alle anderen.

Während die Europäer von Kleidervorschriften im öffentlichen Raum relativ verschont blieben, hagelte es im Zuge der Modernisierung und der Säkularisierung in den Ländern, die endlich westlich und modern werden wollten, nur so Verbote – und die Kleidervorschriften betrafen durchaus nicht nur den Frauenkörper, obwohl dieser zu ihrem Lieblingsschlachtfeld wurde und es bis heute geblieben ist.

Der globale Siegeszug der westlichen Mode in der Türkei, in Ägypten, in Iran verdankte sich nicht freier Wahl, sondern gesetzlichen Verordnungen. Das Verbot, das Schah Reza Khan gegen den Tschador als Symbol der Rückständigkeit erliess, wurde auf den Strassen Teherans gewaltsamer durchgesetzt als das Burkiniverbot heute an französischen Stränden: Auf offener Strasse riss man Frauen den Tschador herunter. Die berühmte «Hutrede» Atatürks, die gegen die traditionelle männliche Kopfbedeckung 1925 den westlichen Hut propagierte, mündete in eine gesetzliche Verfügung. Im gleichen Atemzug wurde das Kopftuch in Schulen, Universitäten und staatlichen Institutionen verboten.

Heute wird in Iran unter Androhung härtester Strafen darüber gewacht, dass jede Frau verschleiert ist. Das sollte aber nicht vergessen lassen, dass der Tschador, mit dem die iranischen Studentinnen nach der iranischen Revolution von 1979 in Frankreich triumphierend in die Hörsäle strömten, dass das Kopftuch, das heute die Frauen – Richterinnen oder Ärztinnen – in der Türkei tragen, weniger Indizien für eine neue Islamisierung und eine Unterdrückung der Frau waren und sind als vielmehr Protest gegen den autoritären, laizistischen Staat, als der sich die Türkei und der Iran aufführten.

Angesichts der von Frantz Fanon beschriebenen Zwangsentschleierungen der Algerierinnen auf öffentlichen Plätzen, die die französischen Kolonialherren unter Rufen wie «Vive l'Algérie française» unternahmen, könnte man aus der Geschichte doch eines gelernt haben: Es ist keine wirklich gute Idee, Leute mit Gewalt zur Freiheit zu zwingen. Aber ebendies geschieht wieder: 1989 wurden drei Mädchen von der Schule verwiesen, weil sie sich weigerten, ihr Kopftuch abzunehmen, seit 2004 gilt in Frankreich ein allgemeines Kopftuchverbot für Schülerinnen, 2010/11 wurde die Burka im öffentlichen Raum verboten – alles mit dem Hinweis auf die nötige Befreiung der Frau durch den säkularen Staat.

Im säkularen Frankreich scheint der Islam an die Stelle und in die Rolle zu geraten, in der die katholische Kirche vor hundert Jahren war. In dieser Neuauflage des heute wie damals erbitterten Laizitätsstreites muss man befürchten, dass die Laizität in einer Perversion der eigenen Prinzipien zu einem Fundamentalismus wird, der umständehalber noch radikaler und verbitterter ist als 1905.

Dass heute die Sicherheit aller auf dem Spiel stehe und mindestens die totale Verschleierung verboten gehöre – schön finden muss man sie ja nicht, und sehr fremd und unheimlich kann sie einem schon vorkommen –, verschiebt die Lage noch weiter zurück, ins Zeitalter der europäischen Religionskriege, als die Religion zur Chiffre für nationale Interessenlagen wurde und Paranoia zur ersten Bürgerpflicht. – Glaubten wir nicht, wir hätten das hinter uns?


Aus: "Wer bestimmt, was untragbar ist?" Barbara Vinken (6.10.2016)
Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/zeitgeschehen/kulturgeschichte-der-kleiderordnungen-wer-bestimmt-was-untragbar-ist-ld.120490

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Quote[...] Während der Olympischen Spiele im August ging es weltweit durch die Medien: Selbstbewusst traten einige Sportlerinnen muslimischen Glaubens im Kopftuch an und betonten, dass es ihre eigene freie Entscheidung sein, das Kopftuch zu tragen. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die US-amerikanische Fechterin Ibtihaj Muhammad, die als erste US-Muslimin mit einem Kopftuch bei Olympia antrat. Sie holte nicht nur eine Bronzemedaille, sondern wurde auch nicht müde zu betonen, wie wichtig ihr das freiwillig getragene Kopftuch ist:

"Wir haben hier bei Olympia die Möglichkeit, noch mehr muslimische Frauen zu inspirieren", sagte Fechterin Muhammad in einem Interview nach dem Achtelfinale. "Es ist schön, immer mehr Frauen mit Kopftuch beim Sport zu sehen" und "ich bin dankbar, dass ich die Chance habe, der muslimischen Gemeinschaft eine Stimme zu geben."

Weite Teile der Presse bejubelten die Kopftuchträgerinnen als Zeichen der integrativen Funktion des Sports über Länder- und Religionsgrenzen hinweg. Kein Wort davon, dass für einen Großteil der muslimischen Frauen weltweit das Tragen eines Kopftuchs oder anderer Verhüllungen keine freiwillig gewählte Option, sondern ein Zwang ist.

Kaum zwei Monate nach den Olympischen Spielen wurde nun ein Sportereignis angekündigt, bei dem genau dieser Kopftuchzwang zum Problem wird. Während der Schacholympiade in Baku Mitte September hat der Weltschachbund FIDE beschlossen, die Frauenschach-WM 2017 im Iran stattfinden zu lassen. Doch seit der Islamischen Revolution 1979 herrscht im Iran Kopftuchpflicht für Frauen – auch für Ausländerinnen und Nicht-Musliminnen. Wer sich nicht an diese Regel hält und als Frau in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch erscheint, wird von der Religionspolizei verhaftet.

Bei Schachspielerinnen und Schachspielern ruft dies international Kritik hervor. Nazi Paikidze-Barnes, U.S.-Schachmeisterin 2016, hat bereits angekündigt, dass sie die Schachweltmeisterschaft im Iran boykottieren wird, weil sie Unterdrückung nicht unterstützen will. "Ich halte es für unakzeptabel, eine Frauen-Weltmeisterschaft an einem Ort abzuhalten, an dem Frauen fundamentale Rechte verwehrt bleiben und wo sie als Bürger zweiter Klasse behandelt werden", sagte sie der BBC.

Die 22-Jährige Amerikanerin georgischer Herkunft hat eine Petition gestartet, in der sie die Organisatoren auffordert, entweder den Ausführungsort der Weltmeisterschaft 2017 zu verlegen oder den teilnehmenden Frauen selbst die Entscheidung zu überlassen, ob sie Kopftuch tragen wollen oder nicht.

Für die Ankündigung ihres Boykotts erhielt Schachgroßmeisterin Nazi Paikidze-Barnes nicht nur Unterstützung sondern auch Kritik. Ihr wurde vorgeworfen, dass ihr das Verständnis für Islamische Kultur und die iranische Gesellschaft fehle. Paikidze-Barnes wies diese Vorwürfe entschieden zurück:

"Ich bin nicht gegen den Islam oder irgendeine andere Religion. Ich bin für Religionsfreiheit und für Entscheidungsfreiheit. Ich kritisiere den FIDE-Beschluss nicht aufgrund der Religion des Iran oder aufgrund seiner Menschen, sondern aufgrund der Gesetze der Regierung, die meine Rechte als Frau einschränken."

Der Weltschachbund verteidigte in einer offiziellen Erklärung seine Entscheidung. Erstens habe von keinem anderen Land ein Angebot für die Durchführung der Frauenschach-WM 2017 vorgelegen und zweitens habe keiner der Delegierten einen Einwand gegen die Entscheidung gehabt. Eine mögliche Erklärung hierfür liefern die Fotos der Abstimmungsrunde, mit denen die offizielle Stellungnahme garniert ist: Unter den Delegierten befinden sich kaum Frauen.

Doch natürlich haben auch die Frauen im Weltschachbund ein Mitspracherecht. Susan Polgar, Vorsitzende der FIDE-Kommission für Frauen-Schach, versteht die Aufregung um die Entscheidung nicht. Die U.S.-amerikanerische Schachgroßmeisterin ungarischer Herkunft sagte dem britischen Telegraph, Frauen sollten "kulturelle Unterschiede" respektieren.

Polgar betonte, dass sie selbst mit dem Tragen einen Kopftuchs kein Problem habe, wenn es alle trügen, und wies darauf hin, dass die Organisatoren beim Frauenschach-Grand-Prix, der im Februar 2016 ebenfalls im Iran stattgefunden hatte, den Teilnehmerinnen eine "wunderbare Auswahl" an Kopftüchern zur Verfügung gestellt hätten.

"Ich bin in fast 60 Ländern gewesen", sagte Polgar dem Telegraph, "wenn ich andere Gegenden mit anderen Kulturen besuche, zeige ich meinen Respekt, indem ich mich so kleide, wie es dort traditionell üblich ist. Darum hat mich niemand gebeten. Ich mache es aus Respekt."

Respekt ist in bei der geplanten Frauenschach-WM tatsächlich angebracht. Allerdings nicht vor der Einschränkung von Frauenrechten, die im Iran keineswegs kulturell gewachsen ist, sondern dem Land mit der Islamischen Revolution von einer religiösen männlichen Machtelite aufgezwungen wurde. Respekt ist angebracht vor iranischen Frauen und Männern, die mit kreativen Aktionen gegen den Kopftuchzwang und die Beschneidung von Frauenrechten protestieren. Ihrem Mut gilt Respekt. Und Unterstützung.




Aus: "Frauenschach-WM 2017 im Iran: WM-Boykott wegen Kopftuchzwang" Daniela Wakonigg (10.10.2016)
Quelle: http://hpd.de/artikel/wm-boykott-wegen-kopftuchzwang-13602


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Stumpf musste sich einer Anhörung im US-Senat stellen. Der Vorstandschef übernahm bei der Anhörung die Verantwortung für den Skandal, stritt jedoch ab, dass es ein grundsätzliches Problem mit der Kultur der Bank gebe. ...


Aus: "Chef von Wells Fargo tritt nach Skandal zurück" (13. Oktober 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-10/scheinkonten-wells-fargo-john-stumpf-ruecktritt

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Kopftuch, Hautfarbe – Äußerlichkeiten stören uns am anderen am meisten. Das ist das Erbe der Kolonialzeit, in der Menschen als exotische Zooattraktionen begafft wurden. 

... Zu lange wurde die Wahrnehmung von vermeintlich fremd aussehenden Menschen von der Gewissheit kultureller Überlegenheit geprägt. Auch deswegen streiten wir heute weiter über Äußerlichkeiten wie Kopftücher und verwechseln Integration mit Unsichtbarkeit.

... Das koloniale Kapitel Deutschlands wurde unter anderem von immens erfolgreichen Völkerschauen ab Ende des 19. Jahrhunderts begleitet. Auch das Hamburger Unternehmen Hagenbeck, das der ehemalige Fischhändler Gottfried Hagenbeck von 1848 an vom Zoohandel zur Tierschau erweitert hatte, mischte mit. Unter der Führung des Sohnes Carl, der 1866 den ersten Tierpark eröffnete, initiierten die Hagenbecks zwischen 1875 und 1930 mindestens 100 derartiger Ausstellungen: "Lappländer", "Nubier", "Inuit", "Wildes Afrika", "Menschenrassen am Nil" und "Ceylon-Karawanen" wurden Besuchern auf bunten Plakaten angekündigt und konnten gegen Eintritt in Zoos oder auf städtischen Freigeländen besichtigt werden. 

Fremde anzuschauen sollte der Unterhaltung, aber auch der Aufklärung dienen, im Grunde aber beglaubigen, was die Besucher bereits zu wissen meinten. Für die Organisatoren stand dabei nicht kultureller Austausch, sondern das Geschäft an vorderster Stelle. Die Spektakel passten gut zu den kolonialen Interessen, da sie immer die Überlegenheit der europäischen Betrachter voraussetzten und koloniale Absichten bestärkten. Eine Veränderung dieser Einschätzung war nie vorgesehen. Fremd Aussehende wurden gemäß herrschender Klischees ausgewählt und nach Europa verfrachtet: Afrikaner galten etwa als sehr wild und vorwiegend Raubtiere jagend, während Araber als Handels- und Reitervolk mit Anspielungen an 1001 Nacht vorgestellt wurden; die glücklichen und verspielten Südseeinsulaner eigneten sich für dramatisierte Szenen weniger gut; Indern wurde eine höher entwickelte Kultur zugestanden. "Indianer" hatten mit Marterpfahl und Friedenspfeife aufzutreten, wie von Karl May erdacht. Als Hagenbeck einen Stamm engagierte, der dem nicht entsprach, empörten sich Besucher: "Das sind keine echten Indianer".

Durch die Völkerschauen wurden die exotische Fantasien des Publikums theatralisch greifbar, der Blick auf das andere kontrolliert: "Wir dürfen nichts anziehen, Herr, keine Schuhe, nichts, sogar ein Kopftuch müssen wir ablegen. Wilde müssen wir vorstellen", klagte eine der im Wiener Prater ausgestellten Ashanti-Frauen. Der Dichter Peter Altenberg beschrieb die Verhältnisse zwar einfühlend, aber doch in den gängigen Fantasien vom "edlen Wilden" als dem besseren Menschen verhaftet.

Die zahlreichen Besucher erwartete auf den Schauen ein idealisiertes Dorfleben, zusammengewürfelte Gruppen, die als Familien vorgestellt wurden. Man konnte sie beim Kochen, beim Essen, beim Arbeiten beobachten und die vor Ort produzierten Waren erwerben: Masken, Tee, Tabak, alles unter der Marke Hagenbeck. Wichtig dabei war vor allem, dass die Europäer sich in ihrer kulturellen Überlegenheit bestätigt fühlten. Symbolisiert wurde dies durch niedrige Zäune oder gespannte Seile, die den Betrachter vom Betrachteten trennten und so eine Hierarchie in der Begegnung mit den Ausgestellten schufen. Schauen, Berühren, Kaufen waren erlaubt, nicht jedoch der Kontakt von Mensch zu Mensch.

Um Gespräche zu unterbinden, wurden bevorzugt Darsteller engagiert, die kein Englisch konnten. Zusätzliche Engagements für Privatpartys und in Varietes unterliefen diese Kontrollmaßnahme allerdings. Auch verließen Darsteller manchmal unerlaubt das Gelände, was anscheinend zu amourösen Verwicklungen führte, wie die damalige Presse behauptete. Die weiche, glänzende Haut der Singhalesen verführe besonders dazu, sie zu berühren und zu prüfen, ob die dunklere Farbe nicht abginge, hieß es in Zeitungsberichten. Besonders die Wiener und Berliner Damen seien verrückt nach schwarzen Männern gewesen, wird das rassistische Klischee des sexuell hyperaktiven Schwarzen bestätigt.

Die sogenannten Ausstellungen wurden täglich von Tausenden Besuchern regelrecht überrannt und ließen den zur Schau Gestellten keine Ruhe: "Die Luft rauscht beständig vom Geräusch der Gehenden und Fahrenden, unsre Umzäunung ist augenblicklich gleich voll", notierte ein Inuit zum Aufenthalt in Berlin.

Neben dem Vergnügen fürs Volk hatten ihre Körper ernsthaften Wissenschaftlern als Untersuchungsgegenstand zu dienen. Hagenbeck stand in engem Kontakt zur Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und ihrem Vorsitzenden Rudolf  Virchow, nach dem bis heute in Berlin ein Krankenhauskomplex benannt ist. Lappländer, Patagonier, Dinka, Zulus "im Naturzustande", wie es hieß, und viele andere wurden vermessen, akribisch untersucht und beschrieben. Diese Zusammenarbeit mit der Wissenschaft steigerte wiederum der Wert von Hagenbecks "Ware", er erhielt Unterstützung von offiziellen Regierungsstellen für seine Anwerbungen. Die unternahm vor allem John Hagenbeck, ein Halbbruder Carls, der es vom Tierhändler zum Plantagenbesitzer gebracht hatte und der sich, nachdem mit Tieren allein nicht mehr so gut verdient werden konnte, als erfolgreicher Rekrutierer betätigte.

Das Unternehmen Hagenbeck legt heute in seiner offiziellen Stellungnahme Wert auf die Tatsache, dass die Fremden in den Völkerschauen gegen Bezahlung auftraten und ordnet diese in die Tradition von Varietes und heutigen Folkloredarbietungen ein. Die Veranstaltungen hätten Besuchern Gelegenheit geboten, exotische Lebensformen, Klischees inbegriffen, kennenzulernen, ohne sich auf lange Reisen begeben zu müssen. Mit dem Aufkommen des Films sei diese bildende Absicht überflüssig geworden.

Tatsächlich wurden die Hagenbecks auch im neuen Medium aktiv. John spezialisierte sich auf "Raubtiersensationsfilme", während Carl sein ursprünglich für Tiere geschaffenes Habitat nun auch für Filmaufnahmen zur Verfügung stellte. Japan, China, der Dschungel und sogar die Südsee wurden im Hamburger Tierpark nachgestellt. Das Spiel zwischen Authentizität und Inszenierung setzte sich in diesem Medium fort. Fritz Lang etwa mietete für Das indische Grabmal vom heutigen Überseemuseum in Bremen echte Requisiten, wie Buddhastatuen und Möbel.

Umgekehrt belieferte Hagenbeck auch Museen mit originalen Objekten. Das Ineinander von Filmproduktion und Ethnologie ließ die Grenzen zwischen fantasierten und wirklichen Fremden weiter verschwimmen. Mit dem Erstarken der Nazi-Ideologie wurde die Angst vor dem Nicht-Deutschen wieder stärker als die Sensationslust. Es gab kaum mehr Völkerschauen. Exotische Menschen wurden im Film nun oft von geschminkten einheimischen Schauspielern dargestellt.

Die Aufarbeitung des Rassismus in Deutschland blieb nach dem Zweiten Weltkrieg lange mit dem Holocaust und Antisemitismus beschäftigt. Rassistische Perspektiven auf andere Opfergruppen wurden jedoch nur geringfügig korrigiert. Bis heute scheinen die alten Muster zu gelten. Das romantisierte Exotische wird auf Ferienreisen goutiert, im eigenen Umkreis jedoch mit vorsichtiger Distanz und oft Ablehnung betrachtet. Das liegt auch begründet in der so falschen Trennung zwischen kulturfähigen und primitiven Menschen, die eben in den Völkerschauen vor allem an Accessoires und körperlichem Erscheinungsbild festgemacht wurde.

So kommt es, dass Diskussionen sich bis heute an Äußerlichkeiten verhaken und vor allem mit Ausschließungen verfahren: Wir wollen ein bestimmtes Detail nicht sehen "bei uns", verfallen in einen Fetischismus über Kopftücher und Burkas, verdecken damit den Blick auf Subjekte, die wir eigentlich wahrnehmen sollten. Fantasien und Fantasmen treten an die Stelle einer Begegnung auf Augenhöhe. Die größte Zumutung scheint tatsächlich immer noch zu sein, vermeintlich Fremde als gleichwertig anzusehen, da mit diesem Eingeständnis das rassistische Weltbild ins Wanken geriete. Somit auch eine Vorstellung vom Eigenen, die sich bloß in Abgrenzung gegenüber anderen formt und sicher wähnt.

Um es mit den Worten eines bekennenden Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern auszudrücken: "Wenn man sie einmal kennenlernt, dann kann man sie nicht mehr hassen."

QuoteHerzeleide #6

Auch völlig ohne Kolonialzeit war ein "Neger" oder noch früher ein "Mohr" die absolute Attraktion in einem deutschen Örtchen. Die Leute sind zusammengelaufen und haben das fremde Wesen bestaunt. Umgekehrt ist es in Afrika mit Weissen genauso gelaufen. Wieso muss man da die alten bösen Kolonial-Klischees wieder bemühen??


QuoteReverendSpeaks #6.1

"Wieso muss man da die alten bösen Kolonial-Klischees wieder bemühen??"
Weil unsere Haltung in beispielloser Sklaverei und Ausbeutung bis auf den heutigen Tag mündete. Die beiderseitige Neugier speiste sich scheinbar aus sehr unterschiedlichen Quellen. Darüber sollte ruhig öfter geredet werden.

Quotemagnalogger #6.2

Ihnen ist die traditionellle Ausbeutung und Sklaverei in Asien, Afrika und Amerika aber schon bekannt, oder? Die traditionellen arabischen Sklavenjäger, z.B. Der Umfang allerding dürfte durch die Europäer gewachsen sein, das ist vermutlich richtig.

Ausbeutung und Sklaverei kamen sicherlich nicht durch die Europäer nach Afrika. Auch haben afrikanische Stämme an der europäischen Sklaverei verdient. Noch heute halten sich manche Stämme andere Stämme als Sklaven, btw.


Quoteältere leseratte #7

Ich glaube die These nicht, dass Menschen sich grundsätzlich wegen ungewohnten Äusserlichkeiten ablehnen. Es ist nur ein Teil der Menschen, der sich immer einen Schwächeren sucht, den er erniedrigen kann, um sich selbst zu erhöhen.
Dem ist alles recht, was sich zum Verhöhnen, Ausgrenzen und am Ende zum Vernichten eignet . Ob es der Dorfdepp ist, die Frau, die als Hexe verbrannt wurde, oder später Menschen aus fernen Ländern, die eine andere, nie gesehene Hautfarbe und Kultur als äusseres Merkmal zu dem "anderen" machte, das man bekämpfte.

Die Mehrheit der Menschen stört sich nicht an der Religion, noch nicht einmal an einem ungewohnten Äusseren aufgrund der Religion, nicht an der Hautfarbe, nicht an der Sprache, sofern einer den anderen in Ruhe lässt, d.h., respektiert.
Das, was bei von aussen kommenden Fremden als Bedrohung erlebt wird, sind Parallelgesellschaften, die sich von der hier gewachsenen Gesellschaft aufgrund ihrer Andersartigkeit gezielt und bewusst abgrenzen und sich für die hiesige gewachsene Gesellschaft genauso wenig interessieren wie die Kolonialisten sich damals für die Kolonien, Gruppen also, die nur eines wollen: von dem, was eine Gesellschaft noch zu bieten hat, profitieren, auf Kosten dieser Gesellschaft.
Die Unterstellung, dass alle Europäer feindselige Ausbeuter waren oder sind, ist heute so falsch wie damals. Viele Europäer waren und sind selbst Ausgebeutete.


QuoteCelibidache conducts Bruckner #7.1

"Die Unterstellung, dass alle Europäer feindselige Ausbeuter waren oder sind, ist heute so falsch wie damals."

Hierzu zitiere ich gerne den viel verehrten Michael Klonovsky:

"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."


Quoteältere leseratte
#7.6  —  vor 13 Stunden 3

Sie könnten so einfach argumentieren.
Die asiatischen Kulturen wie China und Japan waren den Kulturen der "Weissen" Europas in jeder Hinsicht ebenbürtig und technisch immer wieder voraus.
Als im Mittelalter wissenschaftliche Erkenntnisse im "christlichen" Mitteleuropa als "Ketzerei" verurteilt wurden, legten in den vom Islam geprägten arabischen Ländern Wissenschaftler viele Grundlagen für die technische Revolution der Jetztzeit.

Zum anderen Teil Ihres posts.
Etliche afrikanische Länder wurden vor den Christen von Moslems besetzt und zwangsbekehrt. Ihre einseitigen Schuldzuweisungen an die Weissen sind also ebenso haltlos wie einseitige Schuldzuweisungen an alle anderen Ethnien oder Kulturen.

Vielleicht ist Klonovsky ja Rassist, nach Ihrem post beurteilen kann man das nicht, mir war er z.B. bis eben völlig unbekannt. Sachdienlicher wäre es, wenn Sie etwas von ihm anführen, das ihn als Rassisten ausweist. Dann lässt sich darüber diskutieren.
Auf Wikipedia ist zu lesen, dass er von "Unterschicht" und "Sozialschmarotzern" spricht. Verunglimpfende Ausdrücke, die zeigen, dass die AfD keine Alternative sein kann für sozial Empfindende, wenn er tatsächlich Berater der AfD ist (lt. wikipedia ist er derzeit Berater von Frauke Petry).
Warum zitieren Sie nicht Vergleichbares, sondern reagieren nur emotional mit einem Pauschalurteil, das Sie durch keinerlei Inhalt belegen?


QuoteC.M.-IDenver #10

Nun, die Menschen in Deutschland konnten sich, zur Zeit des Kolonialismus, nicht durch Wikipedia über das Aussehen der Maori oder der Äthiopier informieren, dazu bedurfte es ein Besuch bei Hagenbeck. Das Gefühl der kulturellen Überlegenheit bedingte doch zuvor die technische Überlegenheit. Hätte es in den Herkunftsländer, der zur Schau gestellten Ethnien, einen James Watt, einen Edison oder einen Bell gegeben, so wäre es auch denkbar, dass in diesen 'exotischen Ländern' Weisse, als Exponate, in Ausstellungen gezeigt worden wären.


QuoteRoma Quadrata #13

Der Rassismus ist nicht eine reine europäische Kulturerfindung. Tatsächlich findet er sich in allen tribalistischen Gesellschaften (Japan, China, auch in Afrika). Der europäische Rassismus ist lediglich dahingehend einzigartig, dass er später durch technologische Überlegenheit (Feuerwaffen gegen Pfeile und Beile) und einen aus damaliger Sicht plausiblen naturwissenschaftlichen Unterbau (biologische Wende durch die Evolutionstheorie) flankiert wurde. Die Europäer sahen sich im vermeintlichen Recht, weil sie in ihren Eroberungen so gnadenlos erfolgreich waren. Man sollte die europäische Geschichte aufarbeiten ...


QuoteMarknho #27

Hagenbeck und die Besucher der Völkerschauen haben mehr mit Teddybärwerfern und Weltrettern gemein als mit den dumpfen Fremdenfeinden.

Damals wie heute ist es der paternalistische Blick auf Fremde, denen keine eigene Verantwortung zugestanden wird. Heute wird das Subjekt nicht im Zoo betrachtet sondern gerettet.


QuoteOF-am-Meer #28

Ja ja, zur Hochzeit der "europäischen" Kolonien und der Sklaverei im 16.-19. Jahrhundert waren 90% der Einwohner des heutigen Deutschland selbst Leibeigene, das änderte sich erst nach 1806. Um 1770 wurden hessische Burschen von ihrem Landesfúrsten an die Briten verkauft, um in Amerika zu kämpfen. Von 1618-48 und später tobten sich die europäischen Großmächte im heutigen Deutschland aus, 30% der Bevölkerung wurden ausgerottet, ganze Landstriche entvölkert, größere Städte "magdeburgisiert". ... Wann fängt man endlich an, Fremde als "normale" Menschen zu sehen .


...


Aus: "Völkerschauen: Die Fremden bestaunen" Sabine Scholl (31. Oktober 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/2016-10/voelkerschauen-rassismus-hagenbeck-10nach8/komplettansicht


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Bannon hat erfolgreich mitgeholfen, eine Koalition aus all den wütenden Weißen Amerikas hinter Trump zu vereinen. Milo Yiannopoulos sollte die im Netz versprengte Alt-Right hinter Breitbart zusammenführen. "Wir haben den Kulturkampf gegen die Eliten lange vor Trump begonnen", sagt Yiannopoulos selbstbewusst. "Ohne uns wäre Trump gar nicht möglich gewesen."

... Über drei Millionen kennen Yiannopoulos über Facebook, sein YouTube-Kanal hat 275.000 Abonnenten. Auf Twitter folgten ihm bis Juli 350.000 Menschen. Dann schloss Twitter seinen Account nach einigen aggressiven Kommentaren und verbannte ihn auf Lebenszeit. In der Alt-Right-Breitbart-Trump-Welt von Yiannopoulos war das eine weitere Erfolgsgeschichte. Denn bewies es nicht, dass auch das Silicon Valley Teil der liberalen Verschwörung ist? Yiannopoulos hatte sich mit der schwarzen Schauspielerin Leslie Jones angelegt, die in dem weiblichen Ghostbusters-Remake mitspielt. Sie hatte sich über die vielen Hass-Tweets beschwert, die sie nach dem Film bekommen hatte. Yiannopoulos warf ihr vor, sich als Opfer aufzuspielen, nur weil der Film gefloppt sei. Jones forderte, dass man ihn von Twitter verbanne, worauf seine Follower Jones mit ausfälligen rassistischen Tweets überschütteten.

Yiannopoulos fand das Verhalten völlig in Ordnung. Die liberale Elite in Hollywood sei viel zu zart besaitet, sagt er. Wer jeden gleich als Sexisten oder Rassisten beschimpfe, der müsse sich nicht beschweren, wenn die so Beschuldigten dann wirklich sexistisch und rassistisch zurückschlagen. Daraufhin schloss Twitter seinen Account. Das Hashtag #freeMilo verbreitete sich umgehend im Netz. Sogar die New York Times berichtete darüber.

Auf einen Angriff mit einem noch härteren Gegenschlag reagieren: eine Methode, die auch Donald Trump verinnerlicht hat, und die nach der Wahl entweder mit dem Triumphgeheul der Sieger oder mit der Wut der Verlierer um sich greifen wird.

Seit Beginn des Wahlkampfes reist Yiannopoulos nun schon auf Breitbarts Kosten durch die USA. Der Kulturkampf aus dem Internet soll sich auch an den Universitäten festsetzen. Und es ist erstaunlich, wie leicht das geht. Denn wie Trump bricht auch Yiannopoulos mit vielen etablierten konservativen Vorstellungen. Yiannopoulos ist schwul.

Seine Tour hat er The Dangerous Fagot Tour genannt, die Tour der gefährlichen Schwuchtel. In großen Buchstaben steht der Name neben seinem lächelnden Gesicht am Tourbus. In seinen Auftritten macht er sich mit großem Augenaufschlag über Lesben lustig, mit übertrieben exaltiertem Gehabe über Feministinnen, über sich selbst und die liberalen Eliten. Dazu präsentiert er Fakten, Statistiken und immer wieder die eine Lösung: Donald Trump. Das Ganze ist verpackt in einen ironischen Stand-up-Comedian-Ton. Nur wenn Yiannopoulos vor den Gefahren des Islams warnt, wird er ernst. Nach dem Vortrag in Texas sagt einer der Besucher: "Milo ist der Provokateur, der wir gerne sein wollen. Er ist interessant und skandalös. Milo ist unser Oscar Wilde."

Dass eine Generation die zivilen Umgangsformen und die gesellschaftlichen Normen, die ihr zugrunde liegen ablehnt, ist durchaus kein neues Phänomen. Schon die Punkbewegung rief: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Neu daran ist jedoch, dass diese Bewegung jetzt von rechts kommt. Warum aber werden diese Normen von so vielen Amerikanern mittlerweile als eine Fessel wahrgenommen, die man abstreifen muss?

Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen wurde es in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie den Universitäten mit ihrer PC-Kultur sicherlich übertrieben. Zum anderen haben sie einige Widersprüche erzeugt. Einer wurde nach dem Attentat auf einen LGBT-Club in Orlando im Juni deutlich. Damals starben 49 Menschen durch einen selbstradikalisierten Muslim, viele wurden schwer verletzt. Yiannopoulos reiste umgehend an den Tatort, hielt eine wütende Rede gegen den Islam und schrieb später auf Breitbart: "Die Linke hat sich für den Islam und gegen die Schwulen entschieden. Und jetzt sind 100 Menschen in Orlando tot oder verstümmelt." – "Wann hören Homosexuelle endlich auf, Demokraten zu wählen?"

Damit hatte Milo den Finger in eine Wunde gelegt, die er seit Jahren gräbt. Er wirft den Demokraten einen Relativismus vor, der die kulturellen Unterschiede ausblendet und Gefahren ignoriert, einfach weil sie nicht in ihr Weltbild passen. Und wie jeder gute Demagoge beutet auch Yiannopoulos bei seinen Angriffen immer eine echte Schwäche aus. Er kritisiert die Vorsicht der Demokraten im Umgang mit dem Islam und das ist durchaus legitim. Denn die Grenzen der Toleranz müssen auch in einer liberalen Gesellschaft immer wieder neu diskutiert werden.

Indem Yiannopoulos die Toleranz der Demokraten aber als regelrecht verlogen und für Schwule sogar tödlich gefährlich beschreibt, dreht er seine Anklage ins demagogisch-rassistische. Als Schwuler genießt er dabei eine Glaubwürdigkeit, die ein herkömmlicher Islamhasser nie hätte.

Weil die Frage "Wie wollen wir zusammenleben?" im nächsten Jahr nicht nur in Holland, sondern auch in Frankreich und Deutschland zur Wahl steht, dehnt Breitbart das Medienunternehmen gerade nach Europa aus. In London habe sie bereits ein Büro, Paris, Berlin und Brüssel werden gerade als neue Standorte sondiert.

Dort werden sie ebenfalls versuchen, die mächtige Überzeugung zu kultivieren, dass mit dem Aufkündigen der Toleranz eine neue Ehrlichkeit hereinbricht. Denn mit der Toleranz verschwindet zuerst der Respekt vor dem anderen und dann die Bereitschaft nach Alternativen des Zusammenlebens zu suchen. Übrig bleiben Gefühle, bleiben Wut und Hass. Und wer will gegen die Ehrlichkeit von Gefühlen argumentieren?

Und die Gefühle sind so leicht zu bedienen. Am Tag, an dem Trumps Sextapes bekannt wurden, stieg Milo Yiannopoulos in eine mit Schweineblut gefüllte Badewanne. Die Wanne stand in einer mit Hipstern gefüllten Galerie in New York. Yiannopoulos trug dabei nur eine "Make Amerika Great Again"-Kappe. Breitbart filmte und lud alles sofort auf die Website hoch. Hinter der Badewanne hingen Bilder von Menschen, die, wie Yiannopoulos zuvor erklärt hatte, alle von illegalen Einwanderern oder islamischen Terroristen getötet worden waren. Die liberalen Medien, die sich alle so über Trumps "Umkleidegerede" aufgeregt haben, hätten jedoch wenig Mitleid mit den Toten gehabt. Statt des Islam hätten sie die Angst vor ihm als das eigentliche Übel hingestellt.

Wer das System aus den Angeln heben wolle, rief Yiannopoulos, wer dieser Tage Punk sein wolle, der müsse rechts sein und Trump wählen. Dann spritzte er das Schweineblut durch die Galerie. Sein Publikum war begeistert.

QuoteFranzbrötchen #1

"Wann hören Homosexuelle endlich auf, Demokraten zu wählen?"
Wann hören solche Klischees endlich auf, dass Homosexuelle immer links sein müssen ...

QuoteStunde der Patrioten #1.1

Als Minderheit verwirklicht man seine Ziele mit Hilfe der Linken. Hat man es geschafft, bewahrt man das Erreichte mit Hilfe der Konservativen.



QuoteJohWin #6

Traurig an der Spaltung ist, dass sachliche Kritik immer schwieriger wird.
Man kann sachliche Kritik am Feminismus, am Islam und am Nationalismus haben.
Wenn man diese dann äußert, wird man jetzt sofort einem Lager zugeordnet.
Das ist gefährlich und verhindert die Entwicklung der Gesellschaft.


Quotedenkbar123 #6.1

ich befürchte, das ist der zweck des ganzen! die zunehmenden finanzmarkt-katastrophen, die nur mühevollst bisher kaschiert werden konnten, deuten an, das es so wie bisher nicht mehr lange weiter gehen kann ... und spätestens seit 2008/2009 ist das auch in der breiten masse angekommen, und die frage nach der ungerechten vermögensverteilung, steigende armut auch im reichen westen, trotz stets steigenden bip's könnte vielleicht eine für die superreichen und system-profiteure unangenehme fragen und breite systemkritik in der mehrheitsgesellschaft bewirken können - die vielleicht wirklich mal was verändern könnte. mit diesen polarisierungen und in kleine gruppen zersplittert, kann macht viel besser manipulieren und steuern.


QuoteBeeeeerliner #7

Das postfaktische Zeitalter treibt interessante Blüten. Sicher haben vielleicht auch homosexuelle Kinder von Einwanderern das Bedürfnis, sich selbst über die Ablehnung anderer und über die Ausgrenzung von Minderheiten zu definieren, denen man selbst gerade nicht angehört.
Es bleibt aber dämlich, weil Spaltung nicht die Grundlage einer Gesellschaft sein kann. ...


QuoteFrau54 #7.4

Ja, das empfinde ich genauso. Ein weiteres Beispiel dafür ist die "Brexit-Abstimmung" in GB. Die Leute haben aus den unterschiedlichsten Gründen "Leave" gestimmt, finden sich jetzt aber alle als Teil eines "Lagers" behandelt.
Wegen der größeren Spannweite von Wahlmöglichkeiten ist es bei uns nicht so ausgeprägt, aber die Versuchung ist schon groß, jemanden wegen der Äußerung zu einem bestimmten Thema gleich einem bestimmten Weltbild zuzuordnen.
Mit der Komplexität unseres Menschseins sind wir halt schnell überfordert.....


QuoteGMsecondbest #14

Eine manchmal ins aberwitzige kippende PC-Kultur, ein übersteigerter Multikultiwahn, irrationaler Extremfeminismus., die immer wieder erkennbare Doppelmoral von links (überspitzt:konservativ, homophob, patriarchalisch und deutsch=böse; konservativ, homophob, patriarchalisch und fremd=kulturbereichernd) schaffen erst die Angriffsfläche die solch ein Demagoge genüsslich zu nutzen weiß. Die Gräben in den Gesellschaften werden dadurch weltweit immer größer. Eine gefährliche Entwicklung.

Quote
vincentvision #14.1

Ach Gott, GMsecondblast, hören Sie doch auf mit Ihrem Opfergetue der typischen Rechten, wonach immer die anderen - die angeblich linke Übermacht, die linksgesteuerte Meinungsdiktatur und ähnlicher Blödsinn - schuld ist am eigenen Fehlverhalten und der Aufgabe menschenfreundlichker und toleranter Prinzipien.



QuoteFrauHuber #16

Na hoffentlich bleibt es beim Schweineblut und wir landen nicht mal wieder bei der Logik "nur ein toter xy ist ein guter xy".


QuoteThe Dead Parrot #21

Gestern Thiel, heute Yiannopoulos. Ist das nicht fast schon wieder diskriminierend, wenn wir von Schwulen fordern, dass sie sich nicht auch für "das Böse" einsetzen dürfen? Müssen denn Schwule den ganzen Tag als Doppelverdienerehepärchen in kreativen Berufen und im stylischen Loft den ganzen Tag den Body pflegen bevor sie die Welt retten? Welches Weltbild vertritt man eigentlich, wenn man einen Schwulen immer nur in einer bestimmten politischen Ecke verorten möchte?...

Quotekeats #21.2

Sie haben Recht. Yiannopoulos ist nicht besser, weil er schwul ist. In Belgien gab es mal ne tolle Werbung zur Inklusion Behinderter: man sieht einen Mann , der über Schwule, Schwarze und Frauen herzieht. Dann sieht man, dass er im Rollstuhl sitzt. Und dann der Text "Ja, er ist behindert, aber vor allem ein Trottel."
Touché ;-)



...


Aus: ""Wann hören Homosexuelle endlich auf, Demokraten zu wählen?"" Kerstin Kohlenberg, New York (2. November 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/us-wahl-donald-trump-extreme-rechte-jugendkultur-breitbart-milo-yiannopoulos/komplettansicht


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Was bei der Diskussion um das Wahlverhalten der einkommensärmsten Gruppen gerne vergessen wird: In den USA wie in Deutschland gehen die »Abgehängten«, die Ärmsten der Armen, meist gar nicht zur Wahl. So sinkt etwa in Deutschland die Wahlbeteiligung seit 40 Jahren kontinuierlich, allerdings nicht in allen Statusgruppen im gleichem Maße, sondern vor allem bei Menschen aus der Unterklasse. In den USA kommt erschwerend hinzu: Eine beträchtliche Zahl an Menschen sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie Probleme mit der Strafjustiz hatten. So durften in Swing States wie Virginia und Florida 30 bis 40 Prozent der schwarzen Männer gar nicht erst wählen. Der absolute Anteil der Stimmen aus der Unterklasse für Trump dürfte angesichts einer in den USA ohnehin traditionell relativ niedrigen Wahlbeteiligung äußerst gering sein.

Doch wenn die Erklärung nach der Polarisierung zwischen Arm und Reich unzureichend ist, um Trumps Sieg zu verstehen, was polarisiert sich denn gerade? Diese Frage stellen sich Linke auch mit dem Aufstieg der AfD in Deutschland und angesichts der Flüchtlingsdebatte, die seit über einem Jahr läuft.

Einer Antwort kommt man bei der Analyse des zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampfs näher. Clinton war nicht nur die Kandidatin des politischen Establishments, sondern auch - wenngleich als kleineres Übel - eines tendenziell jüngeren kosmopolitischen urbanen Bürgertums; derer, die in den großen Städten an den Küsten leben, weltweit vernetzt und gesellschaftspolitisch liberal gesinnt sind, jener Postmaterialist_innen, die sich nicht so sehr für materielle Fragen interessieren müssen. In Städten mit über 50.000 Einwohner_innen holte Clinton 59 Prozent, Trump hingegen lag in Kleinstädten und ländlichen Gebieten mit 62 Prozent der Stimmen vorne.

Doch Trump ist in erster Linie Präsident derjenigen, die zum einen Sorge haben, ökonomisch weiter Schritt halten zu können, und sich zum anderen kulturell abgehängt fühlen.

Es sind Wähler_innen mit niedriger bis mittlerer formaler Bildung, mit Hang zu Nationalismus, Rassismus, Antifeminismus, die sich gegen Minderheitenrechte, gegen Einwanderung, gegen den weiteren Kampf für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Clinton gegen Trump: Das war auch ein Kampf von Diversity gegen Monokultur - ein Kampf, der nicht nur in den USA stattfindet.

Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht in diesem Zusammenhang von einem weltweiten Widerstreit zweier kultureller Orientierungen. Es gebe auf der einen Seite »eine historisch außergewöhnliche kulturelle Öffnung der Lebensformen«: Geschlechternormen werden in Frage gestellt, und Lebensstile differenzieren sich aus. Dieses kosmopolitische Milieu ist hochindividualisiert und feiert die Selbstentfaltung und die Kreativität. Wir treffen es in den Metropolen dieser Welt, keineswegs nur an den Küsten der USA und in europäischen Hauptstädten, sondern auch in Beirut, Istanbul und Jakarta. Demgegenüber beobachtet Reckwitz - ebenfalls weltweit - Tendenzen der »kulturellen Schließung von Lebensformen, in denen eine neue rigide Moralisierung wirksam ist«. Diese Schließung sei kollektivistisch in einem identitären Sinne; Reckwitz zählt Nationalismus und Rechtspopulismus ebenso wie religiösen Fundamentalismus zu der Strömung der Kulturessenzialisten.

Dieser Kulturkrieg dürfte tatsächlich die entscheidende Polarisierung dieser Tage sein, eine Polarisierung, die auch von Teilen der Linken mitgetragen wird: Wirtschaftliberale, Sozialdemokraten, linksliberale Akademiker_innen bilden eine Front gegen die Bedrohung durch die Rechten und Fundis. In diesem kulturellen Bürgerkrieg bewegen sich Liberale wie Rechte im Rahmen der Kulturalisierung. Es ist ein Rahmen, in dem Emotionen eine größere Rolle spielen als Fakten. Doch die Wahl von Trump zeigt auch: Neben dem Kulturkrieg gibt es durchaus »rationale« Erwägungen für Teile der Arbeiterklasse, es mal mit Trump zu versuchen.

Trumps Erfolg in den Swing States am Rostgürtel, der ältesten Industrieregion der USA an den großen Seen, ist dafür bezeichnend. Dort leben die Reste des fordistischen Industrieproletariats, die entweder bereits in den vergangenen Jahrzehnten sozial abgestiegen sind oder sich zumindest um ihren erkämpften Besitzstand sorgen. Speziell für Industriearbeiter_innen im produktionsnahen Bereich können nationalistische Antworten auf ihre Problemlagen durchaus plausibel sein. In der Fabrik kommt ein festangestellter Arbeiter aufgrund der Vervielfältigung der prekären Arbeitsverhältnisse häufig in Kontakt mit Menschen, die zwar die gleiche Arbeit leisten, aber viel schneller je nach konjunktureller Lage entlassen werden können oder deutlich weniger Lohn erhalten. Der drohende Abstieg betritt personifiziert in Gestalt der Zeitarbeiterkollegen in jeder Pause die Kantine. Dass diese Abstiegsangst vor allem bei den Resten des Industrieproletariats rassistisch gewendet werden kann, hat zwei Gründe: Erstens finden vor allem im Industriebereich Standortverlagerungen statt. Das protektionistische Angebot eines Donald Trump kann bei denen wirken, deren früherer Arbeitsplatz sich jetzt in Mexiko oder Südostasien befindet - oder die sich um eine Verlagerung der Produktion ihres sogenannten Arbeitgebers sorgen.

Zweitens hat sich zwar die Ungleichheit zwischen oben und unten in den vergangenen Jahrzehnten zugespitzt, gleichzeitig hat die vertikale ökonomische Ungleichheit anhand von Geschlecht und »Ethnie« zumindest gefühlt abgenommen. So haben etwa Frauen, »ethnische Minderheiten« und Migrant_innen zu Zeiten des weiß-männlichen Ernährermodells der 1950er- und 1960er-Jahre in den einstigen Industriestaaten aufgeholt - eben auch durch Kämpfe von Linken und Liberalen insbesondere nach 1968. Das hat den Druck auf die etablierten höheren Fraktionen der Arbeiterklasse verstärkt. Kulturkonservatismus und tief verankerter Rassismus treffen hier auf verschärfte Konkurrenzprinzipien im Kapitalismus.

So kommt die explosive Mischung zusammen: Der rechte Kulturkampf und die berechtigten materiellen Sorgen von Teilen der Arbeiterklasse bilden eine ausgezeichnete Grundlage für eine reaktionäre Verarbeitung von Abstiegsängsten. Reaktionär sind diese, da sich nach einer Zeit zurückgesehnt wird, in der die eigene Stellung unter den Ausgebeuteten im Vergleich zu den anderen Ausgebeuteten besser war; reaktionär sind sie auch, weil sie letztlich nur eine Krisenverarbeitung innerhalb des neoliberalen Paradigmas sind. Nicht Kämpfe um höhere Löhne, gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, für Umverteilung stehen auf der Tagesordnung, sondern der Kampf gegen andere Gruppen, die sich auf dem nationalen - und weltweiten - Arbeitsmarkt wiederfinden. Trump hat es bestens verstanden, diese Nachfrage zu bedienen.


Aus: "Kulturkampf und soziale Frage" 
Sebastian Friedrich (ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 621 / 15.11.2016)
Quelle: https://www.akweb.de/ak_s/ak621/42.htm


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Es ist an der Zeit zu erkennen, dass der Populismus seine Wucht nicht aus Armut, sondern aus dem gefühlten Verlust der Identität zieht. Unsere Zeit widerlegt den alten Spruch von Bill Clinton, der vor zwanzig Jahren eine Epoche markierte: "It's the economy, stupid." Heute spielt die Ökonomie eine immer geringere Rolle, dafür aber gilt: "It's the culture, stupid!"

... Natürlich interpretieren die Ressentimentbeladenen in jedem Nationalstaat ihre Identität ein bisschen anders, aber ihre Meinung ist einhellig über die metrosexuellen Latte-Macchiato-Bewohner der Metropolen mit ihren unverständlichen, meist englischsprachigen Obsessionen, ob LGBTQ, Gendermainstreaming, Refugees welcome, Veggie days, Climate change oder der vierfachen Mülltrennung mit separatem Komposttütchen.

...  Das Problem der Volksparteien ist, dass sie sich im Zuge ihrer eigenen Modernisierung mit diesen Themen so verheiratet haben, dass ihnen der Zugang zur Pizzeria oder zur Raucherkneipe in der Provinz mit Bockwurst und Bommerlunder immer schwerer fällt. Dort werden Themen verhandelt, die den aufgeklärten Metropolenbewohner schaudern lassen: zu viel Islam, zu viele Asylanten, zu viele Einwanderer ins Sozialsystem, zu viele Einbrecher vom Balkan, zu wenig Polizei, zu wenig Kontrolle an den Grenzen, in einem Wort: Staatsversagen.

Mit Geld allein kommt man in diese Kneipen nicht mehr rein. Leider entscheiden die Menschen zunehmend gegen ihr ökonomisches Interesse. Sie rechnen nicht mehr. Im britischen Cornwall, das weitgehend von EU-Subventionen abhängt, stimmten die Bewohner mit großer Mehrheit für den Brexit. Vernunft ist ein Konzept der Vergangenheit. Jetzt kommt die Ära der Emotionen.

...


Aus: "Es ist die Kultur, Dummkopf!" Eine Kolumne von Michael Thumann (25. November 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/2016-11/populismus-volksparteien-afd-rentenerhoehung-polen-5vor8/komplettansicht

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Der Mann, der ihr Chef hätte werden sollen, ein Schweizer, druckst rum und sagt schließlich: Er müsse ihr leider absagen, wegen "interkultureller Differenzen". In diesem Moment, sagt Wagener, sei bei ihr "der Groschen gefallen". ... Die "Deutschen"-Debatten gipfelte darin, dass sich die kantonale Zürcher Integrationsförderung bemüßigt sah, die Deutschen mit einer Plakatkampagne zu helvetischer Zurückhaltung zu erziehen. ...

Quote
kategorien #1.1

Deutsche gelten in der Schweiz zunehmend als "Ausländer" und die, welche den Bio-Schweizern die Arbeitsplätze wegnehmen, unter anderem, nun ja, weil viele Deutsche in die Schweiz zogen, um leere Arbeitsplätze zu besetzen, oder? Es nimmt mitunter absurde Züge an, etwa, wenn Deutsche in der Schweiz arbeiten und in Grenznähe auf deutscher Seite wohnen. Was ich da schon alles an Geschichten gehört habe. Wohlgemerkt, viele besser bezahlte und gut ausgebildete Leute mit "Traumgehältern".
...


QuoteZweit-Nörgler #1.2

Deutsche SIND in der Schweiz Ausländer, viele Deutsche - und das ist die große Ursache - tun so, als ob die Schweiz eine deutsche Provinz oder Kolonie wäre (in der man wie in "Deutsch-Südwest" mit der Kavallerie der Urbevölkerung mal zeigt, "wo es lang geht"), viele Deutsche wirken (und sind) einfach überheblich, kapieren nicht und nie, dass es einfach kulturelle Unterschiede gibt, die gibt es auch innerhalb Deutschlands. Viele kapieren einfach nicht, dass ein Auftreten, eine Wortwahl die in Norddeutschland normal und höflich ist, im Süden unhöflich, distanzlos, aufdringlich oder anders abschreckend wirken kann, umgekehrt gilt dies natürlich genauso.
Und das mit "Ausländern" ist doch ein schönes Beispiel. Deutsche SIND in der Schweiz (und in Österreich) Ausländer, sie kapieren es aber nicht, sie akzeptieren es nicht. Und genau schon diese "typisch deutsche" Ignoranz vergrößert "dieses Problem" noch zusätzlich.


QuotePurple Overkill #5

Nun, so fühlt sich das Leben als Wirtschaftsmigrant nunmal an. Die Leistung, die man erbringt ist willkommen, man selbst ist es nicht, hinzu noch wenn man schlecht integriert ist, was uns Deutschen leider in den deutschsprachigen Nachbarländern recht häufig geschieht.


Quotedenkbar123 #6

Zuwanderer, die Einheimischen die Löhne versauen, und Wohnraum verteuern sind überall nicht sonderlich beliebt - ähnlich wie bei Streikbrechern.


QuoteSonneAmFenster #16

Viele Deutsche haben eine naive Vorstellung von der Schweiz und meinen, man würde sie dort mit offenen Armen empfangen. Die Schweizer sind sehr eigen und stehen den Deutschen reserviert gegenüber. Viel reservierter als beispielsweise die Österreicher. Das muss endlich in den Köpfen der Menschen hierzulande einsickern. Sonst kommt irgendwann das böse Erwachen, wie im Artikel beschrieben.


QuoteSuebe333 #16.1

Es macht ja jeder so seine eigenen Erfahrungen. Deutsche sind auch in vielen Dingen sehr eigen. Ich zb. bin viel in der Welt herumgekommen. Und es gab oft Situationen, die waren für mich völlig normal. Aber für mein Gegenüber nicht. Auch in geselligen Runden mit Menschen aus allen möglichen Ländern fiel das auf. Als Deutscher fällst du immer irgendwie aus dem Rahmen. Oft ohne es zu bemerken.

Ich kenne auch die Schweiz ganz gut. Bei denen waren früher die "Jugos" das Objekt der Ablehnung. Noch vor den Duitschen. Seit einigen Jahren aber richtet sich deren Fremdenh...argwohn sehr stark vor allem gegen Deutsche. Egal wie gut die sich versuchen anzupassen. Ein Freund von mir musste in den vier Jahren dort 3 mal umziehen, weil es von den Nachbarn im Haus massives Mobbing gegen die "deutsche Familie" (wie man sie verächtlich nannte) gab. Die einzigen Freunde die man hatte, waren die dem gemeinsamen Hobby wegen.
Ich mag die Schweizer eigentlich und bewundere auch deren Gelassenheit. Aber der offen ausgetragene Fremdenh..argwohn, der erinnert stark an einen bestimmten Landstrich in Deutschland


Quotenigromontanus #17

Ist doch das gute Recht der Schweizer, sich kritisch mit den Menschen auseinanderzusetzen, die in ihr Land kommen. Unsensible Menschen, die nicht bemerken, daß man ein Bier auch mit ruhiger Stimme bestellen kann, sind nirgends wirklich gerne gesehen.


Quote
Nichtkonform #20

Meine Erfahrungen mit Schweizern sind eigentlich eher positiv. Sicher, viele sind stolz und etwas eigen in ihrer Art aber wenn man sie etwas besser kennt, richtig nette Leute. Wir hatten viel Spaß zusammen.

Ich hab für mich festgestellt, dass viele Leute einen erst mal ablehnen oder kritisch gegenüberstehen, egal ob Schweizer, Amerikaner, Pole oder sonst was aber ich würde mich deswegen nie verbiegen und versuchen es allen recht zu machen. Man ist wer man ist und das sollte man nicht verleugnen. Ich überzeug dann lieber auf Augenhöhe.

Und mal ganz ehrlich, Ablehnung erfährt man in jeden Land. Das erfahren auch viele hier. Ich hab mal einen Franzosen kennengelernt, der hat überhaupt nichts von Deutschen bzw. von mir gehalten, ein altes nationalistisches Raubein eben. :p Am Ende war er aber echt in Ordnung und wir hatten viel gemeinsam. Er hat es mir auch nicht übel genommen, dass ich den blöden Kuss abgeblockt habe, weil ich das nicht leiden kann, er hat nur gelacht.

Für ein paar Amerikaner bin ich immer noch der Kraut und für einige Polen der Nazi und trotzdem verstehen wir uns richtig gut.

Ich will damit nur sagen, man wird sehr oft nicht gleich überfreundlich begrüßt oder ist willkommen und trotzdem kann man sich seinen Platz verdienen, wenn man genug Courage hat.

Meine Meinung :)


...


Aus: "Migration: Und Tschüss!" Aline Wanner und Sarah Jäggi  (21. November 2016)
Quelle: http://www.zeit.de/2016/48/migration-schweiz-deutschland-job-heimat-fremdsein/komplettansicht

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Quote Gehad Mazarweh (75) ist Palästinenser aus Israel. Er arbeitet als Psychoanalytiker, Dozent, Supervisor und Lehrananlytiker in Freiburg. Dort betreibt er seit vielen Jahren auch eine psychoanalytische Ambulanz für Migrantinnen und Migranten. ... Gehad Mazarweh ist einer der wenigen Psychoanalytiker aus dem arabischen Raum. Über die Macht der Familie und den politischen Auftrag seiner Wissenschaft

STANDARD: Weltweit gibt es nur eine Handvoll arabischer Psychoanalytiker. Sie sind einer davon. Warum wird die Psychoanalyse dort nicht gepflegt?

Mazarweh: Psychoanalyse ist eine europäische Wissenschaft, zu der die Menschen in den arabischen Ländern keine Beziehung haben. Das ist nicht wie Physik oder Medizin, die es auch in der arabischen Welt gab, Wissenschaften, von denen die Menschen eine Vorstellung haben. Es existiert auch keine psychoanalytische Ausbildung vor Ort. Daher gibt es kaum Psychoanalytiker aus der Region, die meisten leben im Ausland. Die wenigen, die in ihren Ländern praktizieren, kämpfen um ihre Existenz. Sie können in Ägypten, Syrien oder dem Libanon nicht davon leben. Die Leute in Afrika und im arabischen Raum gehen nicht zur Psychoanalyse.

STANDARD: Warum ist das so?

Mazarweh: Psychoanalyse beschäftigt sich mit den intimsten Bereichen des Lebens. Die meisten Muslime haben nicht gelernt, diese Intimität preiszugeben. Deswegen kommt eine Wissenschaft, bei der darüber gesprochen wird, in diesen Ländern kaum infrage. In der Psychoanalyse dreht sich viel um Sexualität. Je mehr die mit Scham besetzt ist, desto schwieriger wird das Gespräch darüber.

STANDARD: Viele psychische Leiden haben ihren Ursprung in der Familie. Wird die kritische Beschäftigung mit ihr als Verrat empfunden?

Mazarweh: Wir Araber sind Stämme, Stämme bestehen aus Sippen, Sippen aus Familien. Die Mitglieder dürfen nichts über ihren Stamm verraten oder erzählen, was diesen beschädigen oder diskriminieren könnte. Was immer die Familie gefährdet, bekämpfen wir und schließen wir aus. Zwischen den Mitgliedern arabischer Familien gilt: Ich gebe dir alles, will aber alles dafür haben. Die Familie verlangt eine Ordnung, nach der sich alle richten. Sie will, dass man nichts tut, was ihr schadet, sie nicht belügt und verrät. Vor allem will sie bedingungslosen Respekt vor Vater und Mutter. Vieles davon schränkt die Menschen ein. Aber sie bekommen soviel zurück, dass sie das in Kauf nehmen.

STANDARD: Gibt es auch einen "offiziellen" Widerstand in arabischen Ländern gegen die Aufklärung durch die Psychoanalyse?

Mazarweh: In rigiden gesellschaftlichen Systemen, wie sie in allen arabischen Ländern bestehen, ertragen die Führer keine Aufklärung, die sie als falsche Patriarchen infrage stellt. Gesellschaften, für die Tradition maßgebend ist, weil sie Sicherheit gibt, betrachten Aufklärung als Gefahr. Wenn sie als "Orientale" europäisch aufgeklärt werden, empfinden sie das als fremd. Das Problem heutiger Aufklärung sehe ich darin, dass sie von Leuten betrieben wird, die glauben, etwas Besseres zu sein. Unsere orientalische Erfahrung mit Kolonialismus, Erniedrigung, Entwertung und Verachtung lässt uns Aufklärung so verstehen, dass wir uns entweder unterordnen müssen – oder rebellieren.

STANDARD: Sie sagten einmal, dass viele Araber emotional Beduinen geblieben sind. Was bedeutet das für ihre Integration in Europa?

Mazarweh: Es ist entscheidend, zu akzeptieren, dass sie Beduinen sind. Die meisten Araber lebten geografisch in Stämmen in der Wüste. Jeder Stamm hat dafür gesorgt, dass seine Grenze gewahrt blieb, weil sonst ein Schaf das Wasser vom Brunnen des anderen getrunken hat. Da gab es Mord und Totschlag. Es musste eine gut funktionierende interne Struktur hergestellt und verteidigt werden. Die männlichen Mitglieder bezogen ihre Identität und ihren Selbstwert aus dem Stamm und sorgten dafür, dass sein Ruf gut blieb. Das hält das patriarchale System am Leben. Diese Identifikation, dieses Wir-Gefühl im Stamm gibt Macht und Kraft gegenüber anderen. Solche Strukturen wurden über hunderte Jahre aufrechterhalten, wir haben sie verinnerlicht. Sie haben für unsere Psyche eine große Bedeutung.

STANDARD: Sie beschreiben als Psychoanalytiker auch den Zusammenhang zwischen Selbsthass und dem Hass auf andere Menschen.

Mazarweh: Ein Mensch, der in einem gewaltvollen Milieu großgeworden ist, hat nichts anderes gelernt, als Konflikte gewaltsam zu lösen. Wer einmal Opfer von Gewalt war, wird gewalttätig. Umgekehrt haben Liebenswürdigkeit und Interesse gegenüber den Mitmenschen mit Liebe und Interesse an uns selber zu tun. Wer positive Gefühle sich selbst gegenüber hat, empfindet sie auch anderen gegenüber. Verachtung ist Selbstverachtung, Hass ist Selbsthass.

STANDARD: Welche Funktion haben Feindbilder in diesem Gefüge?

Mazarweh: Menschen, die an einem Unwertgefühl leiden und ihre Ängste nicht wahrhaben wollen, brauchen Feindbilder. Denn auf sie kann man alles projizieren, was schlimm und gesellschaftlich verwerflich ist. Wir brauchen jemanden, auf den wir unsere negativen Seiten projizieren können, ohne dass sie uns gefährlich werden. Wir denken, dass uns alles, was wir nach außen zeigen, von anderen weggenommen werden kann. Das macht uns Angst. Doch was projizieren wir damit eigentlich auf unsere Mitmenschen? Dass wir im Grunde selbst wollen, was sie haben. Dazu kommt, dass das Wir-Gefühl, das Menschen suchen, in der Wettbewerbsgesellschaft nicht entstehen kann, weil jeder gegen jeden konkurriert, jeder jedem Feind ist. Also braucht man ein gemeinsames Außen. Die Zugehörigkeit zu einem Stamm, zu einer Klasse, ist sehr wichtig für unsere Identität und Identifikation, für das Wir-Gefühl. Wird es durch Fremde, durch "Eindringlinge", bedroht, dann rebellieren wir. Wir wollen diese Gefahren nicht nur fernhalten, sondern ausrotten. So entsteht Angst und Hass gegen Menschen, die wir noch nie gesehen haben.

STANDARD: Sie arbeiten mit Folteropfern und traumatisierten Patienten. Was bringt es denen, sie an den Ursprung des Traumas zu führen?

Mazarweh: Das Leben beginnt mit dem Geburtstrauma. Es beeinflusst uns, bis wir sterben – auch wenn wir es nicht merken. Auf diese Erfahrung baut die psychoanalytische Arbeit auf, sie hat deshalb bei Traumatisierung einiges zu sagen. Wir versuchen in der Analyse, den Spuren des Traumas nachzugehen. Oft landen wir in der frühen Kindheit oder Jugend, wo die traumatischen Ereignisse stattfanden. Der Patient hat panische Angst davor, dass sich dieses Ereignis wiederholt, er die Kontrolle über seine Gefühle verliert und verrückt wird.
Wenn wir zurückgehen an den Ursprung, muss der Patient sicher sein, dass ich ihn nicht alleine lasse. Er erkennt dann, dass er nicht mehr auf die gleiche Weise traumatisiert werden kann, weil er nicht mehr die kleine schwache Person von damals ist. Das setzt aber voraus, dass der Analytiker keine Angst hat. Für die Behandlung von Traumapatienten braucht man Hingabe, man muss eine Art "tropische Atmosphäre" erzeugen, in der sich Analytiker und Analysand sehr nahe kommen können.

STANDARD: Vor dieser Nähe warnen manche Analytiker. Wie viel Neutralität braucht die Psychoanalyse?

Mazarweh: Ich bin überzeugt, dass Psychoanalyse und Neutralität nicht vereinbar sind. Ich hatte einmal eine Patientin, die Opfer grausamster sexueller Folter war. Nach einiger Zeit vertraute sie mir an, dass ihr Mann entführt wurde, sie wusste nicht, von wem und wohin. Und während sie ihr Kind in den Kindergarten brachte, explodierte eine Bombe. Als sie zu sich kam, hatte sie nur mehr die Hand des Kindes in ihrer Hand. Wenn hier ein Analytiker der Patientin nicht zumindest das Gefühl vermittelt, dass er sie umarmen möchte, kann ich ihm nur empfehlen, sich einen anderen Beruf zu suchen.

STANDARD: Hat die Psychoanalyse also einen politischen Auftrag?

Mazarweh: Wir haben die Psychoanalyse verraten – und ich stehe zu jedem Buchstaben. Wir leben in einer krankmachenden Gesellschaft, die Menschen unterdrückt, verfolgt, zerstört. Diese Gesellschaft macht ihre Mitglieder kaputt, und die machen ihre Kinder kaputt. Es geht nicht darum, Patienten zu trösten wie eine verwitwete Frau. Es geht darum, dass wir mit den Leuten mitgehen auf die Straße, um Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Frauenentwertung zu verurteilen und dagegen zu kämpfen. Psychoanalyse hat einen politischen Auftrag. Sie ist ein Stück Revolution, das nur Revolutionäre machen können. Nicht Leute, die sich an Elend und Routine gewöhnt haben. Der Methodenstreit ist ein Streit um des Kaisers Bart. Damit versteckt man sich vor den wichtigen Fragen, vor dem, was wir wagen sollten: Die Gesellschaft, die aus Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Diktatur besteht, zu konfrontieren. Die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen die Grundlage unserer Arbeit sein, nicht nur der Triebwunsch und all das.

STANDARD: Krankenkassen weigern sich aber zunehmend, die oft Jahre dauernden Analysen zu fördern.

Mazarweh: Der Grund, warum die Kassen nicht zahlen, ist doch der: Weil sie Angst vor unserer Arbeit haben, entwerten sie uns. Die deutsche Kasse bezahlt 300 Stunden. Manche Psychotherapeuten halten jede Analyse, die mehr als 25 Stunden dauert, für Blödsinn. Ich brauche mindestens 25 Stunden, um zu verstehen, was für eine Person da vor mir sitzt und warum sie jetzt da sitzt. Wenn Psychoanalyse nicht mehr gefördert wird, wäre das ihr Ende. Wer kann das privat bezahlen? Das ist Klassenmedizin in der reinsten Form.

(Lisa Mayr, 11.12.2016)


Aus: "Arabischer Psychoanalytiker: "Wir-Gefühl gibt Macht"" Interview: Lisa Mayr (11. Dezember 2016)
Quelle: http://derstandard.at/2000048953420/Arabischer-Psychoanalytiker-Wir-Gefuehl-gibt-Macht-und-Kraft

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Quotesaurewurst, 11. Dezember 2016

für mich ist psychoanalyse aufklärung und religion zugleich.
gutes interview - danke


QuoteReaktion1, 11. Dezember 2016

"Dazu kommt, dass das Wir-Gefühl, das Menschen suchen, in der Wettbewerbsgesellschaft nicht entstehen kann,...."

bedauerlich, aber wahr! Aldous Huxley schrieb in seinem Roman "Brave New World", dass der moderne Mensch gut genährt, gut gekleidet und sexuell befriedigt ist, jedoch ohne Selbst.


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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Schulen dürfen von Schülerinnen verlangen, dass sie am Schwimmunterricht teilnehmen, auch wenn ihre Eltern darin einen Verstoß gegen religiöse Vorschriften sehen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag im Fall zweier Mädchen aus der Schweiz entschieden. Bußgeld drohte Die Eltern der Mädchen, fromme Muslime aus Basel, sahen sich in ihrem Recht auf freie Religionsausübung verletzt, weil die Schule der Mädchen den beiden Schülerinnen keine Ausnahme von der Teilnahmepflicht am Schwimmunterricht gewähren wollte. Die Eltern, türkische Staatsangehörige, sollten Bußgeld zahlen, wehrten sich aber dagegen, indem sie juristische Mittel ergriffen. Da sie in der Schweiz damit scheiterten, gingen sie zum Straßburger Gericht – und verloren abermals. In einer einstimmigen Entscheidung stellte der Gerichtshof fest, dass der Eingriff in die Rechte der Eltern einem legitimen Zweck diene – und zwar dem Schutz der Mädchen vor sozialer Exklusion. Im Schwimmunterricht, so das Gericht, gehe es nicht nur ums Erlernen der Schwimmtechnik, sondern auch um eine gemeinsame Aktivität mit den anderen Kindern. (sterk, 10.1.2017)


Aus: "Gericht: Keine Schwimmbefreiung für muslimische Mädchen" (10. Jänner 2017)
Quelle: http://derstandard.at/2000050477039/Gericht-Keine-Schwimmbefreiung-fuer-muslimische-Maedchen

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Quote[...] Saleem Haddad: Guapa. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Diesel. Albino Verlag. Berlin. 392 S.

Saleem Haddad wurde 1983 in Kuwait-Stadt geboren und lebt heute in London. ... Mit dem Prinzip des ,,eib" und der Ablehnung von Homosexuellen in der arabischen Welt kennt Saleem Haddad sich aus. Der heute in London lebende und auf Englisch schreibende schwule Autor kam 1983 als Sohn einer irakisch-deutschen Mutter und eines libanesisch-palästinensischen Vaters in Kuwait-Stadt zur Welt, wuchs in Zypern und Jordanien auf. Zum Studieren ging er – kurz vor den Anschlägen des 11. Septembers 2001– nach Kanada. Seine damaligen Erfahrungen haben Spuren im mittleren ,,Guapa"-Kapitel hinterlassen, das von Rasas Studienjahren in Amerika handelt. Er hofft, dort endlich seine Homosexualität erkunden zu können, doch nach den Terroranschlägen wird sein Arabischsein zum alles dominierenden Aspekt seiner Identität. Rasa, der die westliche Popkultur verehrt, über dessen Bett ein Poster von George Michael hängt, wird vom einen Tag auf den anderen als verdächtiger Fremder behandelt. ,,Ich wollte mir die Haut abschaben, meinen Namen, meinen Akzent, alles, nur um diese argwöhnischen Blicke abzuwenden."

Wie sich Rasa in dieser ihm aufgezwungenen Beschäftigung mit seinen kulturellen Prägungen zwischen Selbsthass zu wachsender Selbstbehauptung bewegt, gehört zu den stärksten Passagen von Saleem Haddads Buch. Die Projektionen, die der Protagonist auslöst, spiegeln sich besonders eindrucksvoll in einer längeren Episode mit seinem Kommilitonen Sufyan, einem Amerikaner aus einer arabischen Familie. Rasa verknallt sich in den schönen langhaarigen Mann mit dem Lippen-Piercing. Die beiden freunden sich an, doch irgendwann wirft Sufyan ihm vor, verwestlicht zu sein, weil er Autoren wie Gramsci und Marx liest, Jeans und T-Shirt trägt. ,,Du wurdest quasi kolonisiert, Mann", sagt er. Seine eigenen Widersprüche sucht Sufyan später als Mitglied eines muslimischen Vereins aufzulösen.

Der radikale Islam und sein Versprechen ideologischer Eindeutigkeit gewinnen schließlich auch in Rasas Heimat an Einfluss. Geschickt kondensiert Saleem Haddad verschiedene jüngere Entwicklungen im Nahen Osten zu einem prototypischen Setting: Schon seit Langem von einem Diktator regiert, kommt es in dem namenlosen Land während des Arabischen Frühlings zu Demonstrationen, auf die das Regime mit Härte reagiert. Bald dominieren Islamisten die Opposition und die gemäßigteren Protestierer ziehen sich zurück. Zu ihnen gehört auch Rasa, der völlig desillusioniert in einem Übersetzerbüro arbeitet und ausländischen Journalistinnen hilft.

Die Perspektiven, die Haddad für Rasas Land und seine Liebe zeichnet, sind wenig optimistisch. Etwas Hoffnung bringt ausgerechnet die fragilste Figur des nach einem queeren Untergrundclub benannt Romans: der feminine Schwule Maj, ein Freund Rasas aus Schulzeiten. Schon damals konnte er sein Anderssein nicht verbergen, steckte Schläge und Gelächter weg. Das war offenbar eine gute Vorbereitung auf die post-revolutionäre Gegenwart, in der sich Maj als einer der wenigen Nicht-Islamisten weiterhin traut, zu demonstrieren und Unrecht zu dokumentieren. Der Mut der Marginalisierten – Haddad idealisiert ihn nicht. Aber immerhin gibt er Maj das letzte Wort seines Romans. Dass Maj am Ende nicht tot in einer Gefängniszelle liegt, sondern als selbstbewusster queerer Araber spricht, ist ein starkes, ermutigendes Zeichen.


Aus: "Mein heimlicher Geliebter" Nadine Lange (27.03.2017)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/queerspiegel/neuer-roman-mein-heimlicher-geliebter/19572468.html


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Quote[...] Eine lesbische Erzieherin verliert ihren Job in einem Kinderhort, weil sie ihre Freundin heiratet. Einer anderen wird gekündigt, weil sie in ihrer Freizeit Pornos dreht. Zu recht, wie am Dienstag das Landesarbeitsgericht in München im Fall ,,Julia Pink" urteilte.

Zwei aktuelle Fälle, in denen Angestellte kirchlicher Sozialwerke – der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie – aufgrund ihres Privatlebens ihren Arbeitsplatz los sind. Beide Frauen stolperten über das kirchliche Arbeitsrecht.

Im ersten Fall geht es um eine homosexuelle Hortleiterin, die ihren Arbeitsplatz beim katholischen Sozialverband Caritas verliert, weil sie im Sommer mit ihrer Freundin eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen will. ,,Caritas und Hortleiterin werden das Dienstverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen beenden", erklärte am Dienstag die Sprecherin des Caritasverbandes im Erzbistum München-Freising, Adelheid Utters-Adam.

Die Chefin des Hortes in Holzkirchen (Landkreis Miesbach) hatte die Eltern in einem Brief von ihrem Schritt unterrichtet. ,,Ich werde im Juli meine Freundin heiraten", schreibt sie. Dies sei aber mit der Grundordnung des kirchlichen Dienstes nicht vereinbar. Sie müsse daher die Leitung des Hortes aufgeben.

... Aus ganz anderen, allerdings ebenfalls privaten Gründen ist ,,Julia Pink" ihren Job beim evangelischen Sozialverband, der Diakonie Neuendettelsau, los. Auch in diesem Fall geht es um kirchliches Arbeitsrecht, mehr noch: ethische Fragen. Denn ,,Julia Pink" dreht Pornos. Das macht sie in ihrer Freizeit – und stellt die Filme unter diesem Pseudonym ins Internet. Aber nicht nur: Über 15 Jahre lang war sie zudem als Erzieherin bei der Diakonie Neuendettelsau beschäftigt. Ohne Beanstandungen. Bis ihr Arbeitgeber Wind von der Sache mit den Pornos bekam.

Daraufhin kündigte die Diakonie der 38-Jährigen Anfang vorigen Jahres fristlos. Zu recht, wie am Dienstag das Landesarbeitsgericht München urteilte: Die Richter sahen in dem privaten Verhalten der Klägerin eine ,,schwerwiegende sittliche Verfehlung", die den Wertvorstellungen der evangelischen Kirche und der Diakonie ,,im Rahmen ihrer Sozialethik widerspricht".

Die Diakonie sei zur ordentlichen Kündigung berechtigt gewesen, sagte der Vorsitzende Richter Reinhold Künzl. Eine Berufung wurde vom Gericht nicht zugelassen.

... Die 38-Jährige selbst zeigte sich nach dem Urteil enttäuscht. Sie verstehe ,,noch immer nicht, was genau ich eigentlich verbrochen habe".


Aus: "Erzieherinnen wegen ihres Privatlebens gekündigt" (21.04.2015)
Quelle: https://www.welt.de/regionales/bayern/article139876549/Erzieherinnen-wegen-ihres-Privatlebens-gekuendigt.html

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Quote[...] Die Geschichte mit dem Wurm war natürlich spannend. Der Wurm lag auf der Rutsche des Kita-Spielplatzes, Christian Berger* nahm ihn vorsichtig weg, und die Kinder beobachteten jede Bewegung. So richtig einordnen konnten sie dieses Tier ja nicht. ,,Ist das eine Raupe?", fragte ein Vierjähriger. ,,Nein", antwortete Berger, der Erzieher, ,,das ist ein Regenwurm." Dann legte er ihn in die Wiese.

Der 36-Jährige* hatte an diesem Tag den Morgenkreis geleitet, er stand mit den Kindern an Rutsche und Sandkasten, er machte seinen Job, mehr nicht. Und er machte ihn offenbar gut. ,,Die Kinder streiten sich, wer mit mir an der Hand gehen darf."

An der Hand gehen? Körperkontakt? Heikles Thema. Die Kinder wissen ja nicht, dass Eltern wegen Christian Berger massiv protestierten. ,,Sie gingen auf die Barrikaden", sagt die Geschäftsführerin der Kita in Reinickendorf. Sie protestierten gegen Bergers Anstellung, sie drohten mit einer Unterschriftenaktion, sie fürchteten um ihre Kinder. Es waren muslimische Eltern. ,,Die kommen aus einer anderen Welt", sagt die Geschäftsführerin. In dieser Gedankenwelt ist jemand wie Christian Berger eine latente Gefahr. Denn Christian Berger ist homosexuell.

Die Geschichte des Erziehers Berger ist die Geschichte über das Aufeinanderprallen von zwei Welten. Sie steht immer noch für alltägliche Erfahrungen, sie steht für viele Geschichten, die ähnlich ablaufen. ,,Wir sind doch in Berlin, wir sind doch im 21. Jahrhundert, da geht doch so etwas nicht", sagt die Geschäftsführerin, die nicht genannt werden möchte, und die vier Kitas leitet. Die Kita, in der Berger nun arbeitet, hat mit einer Ausnahme nur Kinder von muslimischen Eltern. Die Eltern kommen aus dem arabischen Bereich, aus Russland, der Türkei, aus Rumänien. ,,Für einige von ihnen ist ein Homosexueller automatisch ein Kinderschänder", sagt Berger.

Die Eltern, die ihn massiv ablehnten, haben die Kita inzwischen verlassen. Sie gingen auch auf Druck der Geschäftsführerin. Die hatte Berger angestellt, weil das Erzieherteam ihn wollte, weil er bei seiner Hospitanz einen guten Eindruck machte, weil die Geschäftsführerin sagt: ,,Die sexuelle Orientierung eines Menschen hat niemanden zu interessieren. Für mich zählt seine Arbeit." Abgesehen davon verstieße eine Ablehnung aus solchen Gründen gegen das Gesetz.

Aber hier geht es nicht erster Linie um Paragrafen, hier geht es um Emotionen. ,,Als Homosexueller bewegt man sich auf einem schmalen Grat", sagt Berger. Er hatte es in seiner früheren Kita erlebt. Da sagte ihm eine Mutter: ,,Sexualität ist natürlich ein Thema bei Eltern. Die haben Angst." Eine Mutter beobachtete ihn damals sehr genau. Berger versteht das sogar. ,,Sie wurde vergewaltigt, sie hatte Angst, dass ihrem Kind so etwas auch passiert. Die ist traumatisiert." Es sind ja auch sensible Punkte, zweifellos. ,,Du fasst die Kinder an, du wickelst sie, du siehst sie nackt", sagt Berger. Andererseits ist das der normale Job eines Erziehers.

In der Reinickendorfer Kita von Berger schaukelte sich das Problem hoch. Dass er homosexuell ist, sagte er eher beiläufig in einem lockeren Gespräch mit der Leiterin der Kita, bei der er sich beworben hatte. Im Einstellungsgespräch spielte dieser Punkt natürlich keine Rolle. Bei diesem offiziellen Gespräch war nicht bloß die Kita-Leiterin, sondern auch die Geschäftsführerin. Berger hatte schon eine Hospitanz hinter sich, er machte auf die Leiterin einen guten Eindruck. Und sie gab Berger dann telefonisch eine Zusage. ,,Das war falsch", sagt die Geschäftsführerin, ,,sie sollte lediglich nach seinen Gehaltsvorstellungen fragen."

Die Eltern kannten Berger bis dahin nicht. Bei einem Elternabend verkündete die Kita-Leiterin, dass ein Mann neu als Erzieher komme. Damit schon begannen die Probleme. ,,Ein paar Eltern fühlten sich überrumpelt", sagt die Geschäftsführerin. Widerstand formierte sich. ,,Wir wollen nicht, dass ein Mann unsere Kinder wickelt oder zur Toilette begleitet", sagten einige empört. Zudem erfuhren die Eltern – nach Aussage der Geschäftsführerin von der Kita-Leiterin –, dass Berger schwul ist. Die Kita-Leiterin lehnte ein Gespräch mit dem Tagesspiegel ab.

Rund ein Dutzend Mütter und Väter saßen bei dieser Versammlung, ein Teil von ihnen schwieg, ein anderer empörte sich. ,,Sie sagten, sie würden nicht mehr kommen, wenn man einen Homosexuellen einstelle", sagt die Geschäftsführerin, die verspätet zu dem Elternabend kam. ,,Sie würden Unterschriften gegen seine Einstellung sammeln." Die anwesenden Erzieher waren ihrerseits empört, Berger allerdings fehlte. Er war nicht eingeladen.

Kurz darauf trennte sich die Geschäftsführerin von den aufgebrachten Eltern. Deren Kinder besuchen nun eine andere Kita. Und sie sagte Berger, er habe den Job. Doch der lehnte erst mal ab, empört wegen der Proteste. Seit Kurzem arbeitet er doch in der Kita. ,,Ich bin nicht nachtragend. Und man hatte mir gesagt, dass alles geklärt ist. Viele Eltern waren schockiert, als sie von den Protesten gehört hatten. Sie stehen zu mir, die Erzieher auch." Druck und Misstrauen spürt er trotzdem, jetzt erst mal als Mann. ,,Eltern schauen ständig: Fasst der mein Kind richtig an? Tut er ihm auch nichts." Berger ist fast schon genervt. ,,Wir werden ständig überwacht. Wir können uns ja schon gar nicht mehr normal um die Kinder kümmern. Wir nehmen denen die Chance, sich normal zu entwickeln." Aber dann stellt er sich auch die Frage, wer da eigentlich hilfsbedürftig ist. ,,Ich brauche ja auch einen Schutzraum."

Übertrieben? Gerade hat Berger in der U-Bahn zufällig den Dialog zwischen zwei Männern verfolgt. Einer sagte: ,,Wenn mein Kind einen schwulen Erzieher hätte, fände ich das widerlich."

Quoteuschidoelle 27.03.2017, 19:03 Uhr
"Für einige von ihnen ist ein Homosexueller automatisch ein Kinderschänder"

Kraaas guter Beitrag für eine verfehlte Integration.

Merke, nicht jeder Russe ist Mafia, nicht jeder Türke ist automatisch ein grauer Wolf, nicht alle Rumänen sind Antänzer und nicht jeder ARABer *in gehört zu einem Familienclan ...


QuoteRandalf@X 27.03.2017, 17:21 Uhr
Toleranz und strenger relgiöser Glaube gingen selten harmonisch einher...


Quotewerthberlin 27.03.2017, 15:05 Uhr
Die Empörung darüber, dass ,,diese Ausländer" sich so verhalten, ist so widerwärtig bigott. Seht euch mal die Diskussionen über ein mögliches Adoptionsrecht von homosexuellen Paaren an. Da stehen einem die Haare zu Berge, wenn man die Kommentare liest. Es gibt auch genügend Deutsche ohne Migrations- aber mit fundamentalistisch-religiösem Hintergrund und/oder mit fundamental mangelhafter Bildung, die Homosexualität und Pädophilie gleichsetzen und jedem Schwulen sofort Missbrauchsfantasien unterstellen. (Was nicht nur eine Frechheit ist, sondern ggf. als Beleidigung strafbar sein kann.)

QuoteHenrik1970 27.03.2017, 15:50 Uhr
Antwort auf den Beitrag von werthberlin 27.03.2017, 15:05 Uhr
Ich glaube katholischen Priestern und Alt68ziger werden Vorurteile der Pädophilie viel eher gemacht. Auch das ist schlimm.


Quotemalvorbeigeschaut 27.03.2017, 16:41 Uhr
Antwort auf den Beitrag von werthberlin 27.03.2017, 15:05 Uhr
Oder der CDU einfach mal zuschauen, wie Sie die "Homoehe" verhindern wollen. Bigotterie aller Orten.


Quotelutz.wehmeyer 27.03.2017, 16:52 Uhr
Antwort auf den Beitrag von werthberlin 27.03.2017, 15:05 Uhr
Allerdings. Eine seltsame Querfront von Rechts für Schwulenrechte findet man hier in den Kommentaren. Man würde sich wünschen, dass diese Leute sicher immer so für Minderheitenrechte einsetzen würden und nicht nur, wenn es gegen Ausländer geht.



QuoteSonnenblumenfeld 27.03.2017, 14:55 Uhr
Zur "Entlastung" der muslimischen Eltern wird man sagen müssen, dass der Erzieher vor 50 Jahren mit "biodeutschen" Eltern das gleiche Problem gehabt hätte. Ich wurde als Kind in den 1970er Jahren jedenfalls noch vor "Homos" gewarnt, weil die sich angeblich bevorzugt an Kinder heranmachen würden.


Quotedon.bolko 27.03.2017, 19:05 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Kommentat0r 27.03.2017, 18:24 Uhr
@Kommentatür & der Prozess der Aufkärung

    Es geht um HEUTE. Was soll dieser Vergleich?

@Sonnenblumenfeld hat Recht.

Warum sollte der Prozess der Aufklärung bei ausländischen Zuwanderern so viel schneller laufen, als dieses bei uns Deutschen gelaufen ist?


Quotedon.bolko 27.03.2017, 19:09 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Loppe14 27.03.2017, 16:17 Uhr
@Loppe14 & Fünfziger

  weder in die Fünfziger noch ins Mittelalter!

Wieso Fünfziger? Noch in den Sechzigern, Siebzigern, Achtzigern geschahen ungeheuerliche Dinge im Zusammenhang mit der Diskriminierung von Homosexuellen durch Deutsche in Deutschland.


QuoteGesichtshobel 27.03.2017, 19:55 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Sonnenblumenfeld 27.03.2017, 14:55 Uhr

    Ich wurde als Kind in den 1970er Jahren jedenfalls noch vor "Homos" gewarnt,

echt jetzt? Ich nicht


QuoteYvonneD 27.03.2017, 20:46 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Gesichtshobel 27.03.2017, 19:55 Uhr
Ich wurde auch gewarnt. Man hat mir das eingeimpft, dass "die" eklig sind und pervers. Und es war ziemlich schwierig, sich davon zu lösen. Und meine Familie war ihrem Selbstverständnis nach alles andere als "rechtsextrem": Man dachte damals, also in den 70ern und 80ern, noch, dass es "normal" sei, Homosexuelle pervers zu finden. AIDS hieß damals auch noch "Schwulenseuche".

Und es tut schon weh (auch wenn ich nicht betroffen bin), dass nun hier so getan wird, als seien wir in Deutschland schon immer wahnsinnig offen gewesen, was Vielfalt betrifft. Das ist einfach unwahr! Wir haben ja noch nicht mal die Ehe für alle; wir können uns erst mal Länder wie das UK o.ä. zum Vorbild nehmen, was das betrifft.


QuoteAndreas_Rau 27.03.2017, 12:59 Uhr
JA, diese Kita besuchen muslimische Kinder. Und russische... und viele andere - Es handelt sich also letztlich um eine religiös übergreifende Geschichte und hier mal um Eltern, zum Teil muslimischen Glaubens. Warum also der Artikel so darauf abzielt, dass in der Kita muslimische Kinder betreut werden.

Geschichten passieren uns oft. Ebenso in Kitas mit "deutscher" oder christlicher Prägung. Ich weiß nicht, warum diese wieder als Sündenbock herhalten müssen.

Fakt ist aber, dass mir das als Berufsanfänger, durch den Träger zu verantworten, passiert ist, als ich im Heim gearbeitet habe, dass es aktuell zwei Freunden von mir in einer evangelischen Einrichtung passiert. Das ist keine Angelegenheit des "Glaubens", sondern eine allgemein konsensfähige Haltung engstirniger Idioten. Ob die sich nun darauf berufen, Muslime zu sein oder im Namen Christi oder dem Namen der AfD/Pegioten, wie die besorgten Eltern, die uns als AIDS-Hilfe weit mehr zu schaffen machen, als Eltern muslimischer Prägung.
Das Problem ist eher, dass es immer wieder unqualifizierte Träger gibt, die es überhaupt zulassen, dass Eltern sich hier aufspielen können. Und einen Staat, der uns anhand vieler konkreter Beispiele per Gesetz und per Propaganda immer noch
gegenüber der Bevölkerung als defizitär beschreibt. Der Sexualität und sexuelle Identität aus der Entwicklung von Kindern ausklammert und soziosexuelle Themen als Bedrohung einer "Alle-meine-Entchen-Pädagogik" sieht.
Nehmen wir die CDU und Hedwig von Befervoerde oder Birgit Kelle. Nehmen wir Beatrix von Storch. Nehmen wir die
evangelikalen Homoheiler oder oder oder.
Und nehmen wir städtische Einrichtungen, die in vorauseilenden Gehorsam Dinge anweisen, bei denen du die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würdest.


Quotecrossoverhill 27.03.2017, 12:44 Uhr
Neben dem konkreten Problem in Reinickendorf gibt noch ein anderes zu denken: Wie viele lesbische Frauen unterwerfen sich einem Mann, um nicht (im Sinne des Koran) "sündig" zu leben? Wie viele schwule Muslime leben mit einer Frau als "Scheinheteros"? Wie viel Frust und Lebensfeindlichkeit entsteht dabei? Ich möchte da nicht falsch verstanden werden: Vor Jahren und vielleicht noch heute trieben/treiben auch fundamental-christliche Glaubenskongregationen Menschen in solche Nöte!


Quotederbrenner 27.03.2017, 12:24 Uhr
Tragisches, aber sehr anschauliches Beispiel dafür, was für eine tiefe Kluft zwischen der geforderten und tatsächlich im Alltag gelebten Toleranz besteht. Da beisst sich die Schlange leider einfach in den Schwanz. Der in westlichen Demokratien mühsam errungene Grundsatz, daß niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung benachteiligt oder diskriminiert werden darf, trifft hier auf Jahrtausendealte, rigoros Patriarchalische Familienmodelle und Gesellschaftsbegriffe, die jegliche Toleranz gegenüber sexuell Andersorientierten kategorisch ablehnen. Mein Respekt gilt der Kitaleitung, die für unsere aufgeklärten, westlichen Werte einsteht und sich von den, diese Werte mit Füßen tretenden Eltern getrennt hat, anstatt, was ja wesentlich einfacher gewesen wäre, den Erzieher aus der Kita zu entfernen. Auch vor dem Erzieher, der sich in diesem Konflikt behauptet, ziehe ich meinen Hut.     


QuoteGesichtshobel 27.03.2017, 12:24 Uhr
die nörgelnden Eltern sollten sich mal die Frage stellen, ob sie hier noch auf der richtigen Party sind? Wir leben hier nicht mehr im 15. Jahrhundert sondern 2017.


QuoteMcSchreck 27.03.2017, 12:07 Uhr
Der Artikel behandelt auf einer ersten Ebene einen Kulturkonflikt, bei dem auch Muslime eine Rolle spielen (aber auch Osteuropäer).

Ich finde es aber kaum weniger empörend, dass der Erzieher "als Mann" mit massivem Misstrauen konfrontiert ist, was keineswegs eine große Ausnahme ist. Als wäre man als Mann automatisch Kinderschänder (der wickelt aber unser Kind nicht...).


QuoteGlueckspiratin 27.03.2017, 11:49 Uhr
Solche Zustände kommen leider nicht von ungefähr. Und es ist auch kein Zufall, dass es sich hierbei gerade um muslimische Eltern handelt. Wir Homosexuellen können leider ein (trauriges) Lied davon singen.

So hetzt z.B. das "Islamische Zentrum München", ein offizieller Mitgliedsverband des als gemäßigt (!) geltenden sog. "Zentralrats der Muslime", auf seiner Homepage offen gegen Homosexuelle. Auf die (selbst gestellte) Frage, was die "islamische Meinung" zu Homosexualität sei, lautet die unverhohlene Antwort des muslimischen Zentralrats-Verbandes:

"Der Islam lehnt das Ausleben von homosexuellen Neigungen kategorisch ab und betrachtet sie als Sünde (Koran 7:80ff; 26:165ff)."

Diese eigentlich pauschalisierend wirkende Aussage ("Der Islam" lehnt Homosexualität "kategorisch ab" - heißt es nicht sonst immer von genau derselben , "den" Islam gebe es gar nicht?) wird leider von der jüngsten weltweiten Muslim-Studie von PEW Research klar bestätigt. In jedem der untersuchten muslimischen Länder lehnt eine geradezu erdrückende, übergroße Mehrheit (z.T. bis zu 99 Prozent) der Muslime Homosexualität ausdrücklich ab. In keinem einzigen der untersuchten Länder gibt es mehr als maximal 12 Prozent Muslime, die Homosexualität für "akzeptabel" halten.

Dieser frappierende Befund wiederum deckt sich mit einer aktuellen Muslim-Studie aus Großbritannien; derzufolge sind nur gerade einmal 18 Prozent der britischen Muslime der Meinung, dass Homosexualität "legal" sein sollte.

Was bislang nur trockene, nüchterne Zahlen aus Studien und repräsentativen Meinungsumfragen waren, kommt nun langsam in unserem Alltag an: Auf öffentlichen Straßen und Plätzen. Oder sogar in der Kita.

...


QuoteCharly-Berlin 27.03.2017, 11:23 Uhr
Vielleicht sollte Manuela Schwesig mal über eine Männerquote bei Erziehern nachdenken, das könnte helfen Vorurteile abzubauen.


Quotelutz.wehmeyer 27.03.2017, 10:39 Uhr
Sind die (biodeutschen, rechtskonservativen) Eltern in Zehlendorf toleranter?

Quoteomamoni 27.03.2017, 11:05 Uhr
Antwort auf den Beitrag von lutz.wehmeyer 27.03.2017, 10:39 Uhr

    (biodeutschen, rechtskonservativen) Eltern in Zehlendorf

Vorurteile? Nein, wir doch nicht!


QuoteGesichtshobel 27.03.2017, 11:07 Uhr
Antwort auf den Beitrag von lutz.wehmeyer 27.03.2017, 10:39 Uhr
was ist biodeutsch? Gibts das bei Demeter?


Quotean-1 27.03.2017, 11:20 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Gesichtshobel 27.03.2017, 11:07 Uhr
nee, bei Alnatura


Quotezenker_bln 27.03.2017, 11:32 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Gesichtshobel 27.03.2017, 11:07 Uhr
Biodeutsch -> alle diejenigen, die der Meinung sind, das ihr Blut sie zu etwas besonderem macht, das sie über andere Menschen stellt und ihnen sozusagen die Weisungsgewalt über die anderen Menschen zukommen lässt.



QuoteBenny1608 27.03.2017, 10:15 Uhr
Toleranz ist nur richtig, wenn es den Betroffenen gefällt !
Hier spiegelt sich deutlich wieder, dass mantraartige Predigten der Regierenden, der Multikultibefürwordeter und die Realität auseinanderdriften. ...


QuoteStolzwieBolle 27.03.2017, 09:54 Uhr
Schön, daß die Leiterin die Eltern zum Teufel geschickt hat!

Wie blöd kann man denn sein? Ist keinem dieser Ewiggestrigen der Gedanke gekommen, daß es Kinderschänder in allen Lagern gibt, sich ein heterosexueller Erzieher also an ihren Töchtern vergehen könnte? Und fühlten sie sich wirklich wohler bei dem Gedanken, eine heterosexuelle Erzieherin ginge ihren Jungs an den Piephahn?

Ich verstehe natürlich, daß Eltern immer der Gedanke umtreibt, Fremde könnten sich an ihren Kindern vergreifen. Aber dieses Risiko besteht immer - und unabhängig von der Sexualität der Personen.


QuoteUta211 27.03.2017, 09:21 Uhr
Ich bedauere die Vorkommnisse für Herrn Berger sehr. Der Artikel erschüttert mich. Überall wird qualifiziertes Personal im Erzieherbereich gesucht und die Eltern sollten froh sein, wenn sich jemand gut ausgebildet um die Kleinen kümmert. Als Mutter eine einjähigen Sohnes (seit dem 10. Lebensmonat besucht er eine Kita) kann ich nur hinzufügen, dass männliche Erzieher als Bezugspersonenn neben den weiblichen Personal sehr wichtig sind. Die sexuelle Orientierung der Erzieher spielt keine Rolle! Wir leben im 21. Jahrhundert und wer an anderer Stelle Toleranz einfordert, sollte dies bitte auch selbst leben. Alles Gute für Herrn Berger. Die Kinder finden ihn sicher toll, da er sich mit Ihnen beschäftigt (was nicht alle Eltern tun...).


QuotePincorrect 27.03.2017, 09:06 Uhr

     ,,Wir wollen nicht, dass ein Mann unsere Kinder wickelt oder zur Toilette begleitet", sagten einige empört.

Welch krudes Weltbild. Als Elternteil wäre mir (war mir damals) viel wichtiger, dass Kinder lernen: es gibt "Frauenberufe", in denen Männer sehr gute Arbeit leisten können. Und umgekehrt Frauen in "Männerberufen".


QuoteAnnikas 27.03.2017, 08:43 Uhr
solche eltern machen mich wütend. ich hatte ein ähnliches gespräch neulich mit einer deutschen mutter, auch die hatte vorbehalte gegen einen neuen erzieher aufgrund dessen homosexualität. ...


...


Aus: "Eltern protestieren gegen schwulen Erzieher" Frank Bachner (27.03.2017)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/queerspiegel/kampf-um-toleranz-in-berliner-kita-eltern-protestieren-gegen-schwulen-erzieher/19572356.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nach Oscar Lewis ist die Lebensweise der Mitglieder der Kultur der Armut von Denk- und Handlungsmustern geprägt, die von Generation zu Generation innerhalb der kulturellen Einheit weiter vererbt würden. Diese Kultur sei zwar einerseits eine funktionale Reaktion auf die Lebensbedingungen in der Armut, aber andererseits schade sie den Armen auch. Kennzeichnend seien zerbrochene Familien. Das Sexualleben beginne früh und man heirate aufgrund mündlicher Übereinkunft. Die Frauen würden oft von ihren Männern geschlagen und zahlreiche auch verlassen. Den Mittelpunkt der Familie bilde die (oft alleinerziehende) Mutter mit ihren Kindern. Diese Kultur der Armut zeichne sich dadurch aus, dass die Armen nach sofortiger Befriedigung ihrer Bedürfnisse strebten. Sie seien nicht in der Lage, ein Bedürfnis zurückzustellen, um später davon zu profitieren. So investierten die Armen zum Beispiel nicht in ihre Ausbildung und auch nicht in die Ausbildung ihrer Kinder. Das führe dazu, dass auch die nächste Generation arm sein werde. Um diese im Sozialisationsprozess verwurzelte Kultur aufzubrechen reiche materielle Unterstützung nicht aus: ,,The elimination of physical poverty per se may not eliminate the culture of poverty which is a whole way of life". Die einzige Möglichkeit, die Armut zu beenden, ist laut Lewis eine von außen kommende Intervention, etwa durch kompensatorische Erziehung, Sozialarbeit oder psychotherapeutische Betreuung.

Daniel Patrick Moynihan sah den Zerfall der Familie als Grund für Armut. Er beklagte die hohe Anzahl alleinerziehender Mütter unter Afroamerikanerinnen, welche deviante Werte an ihre Kinder weitergeben würden. So käme es dazu, dass ihre Kinder (welche ansonsten zu Mitgliedern der Mittelschicht werden könnten) zu Mitgliedern der Armutsschicht würden. ... Strukturfunktionalisten wie Herbert Gans sind der Meinung, dass Armut eine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Aus diesem Grund trachtet jede Gesellschaft danach, ihre Armen zu haben. Laut Gans dienen die Armen als abschreckendes Beispiel und als Sündenböcke. So helfen sie, die dominante Kultur und Ideologie einer Gesellschaft zu erhalten.

...


Aus: "Armut" (31. März 2017)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Armut

Textaris(txt*bot)

QuoteErstmals untersucht eine Studie der Vereinten Nationen das Selbstbild arabischer Männer. Die Ergebnisse sind ernüchternd, vor allem mit Blick auf die Rechte der Frauen. Doch ziehen die Autoren auch optimistische Schlüsse. ... Die Studie ,,Masculinities in the Arab world", die nun in Beirut vorgestellt wurde, ist allerdings tatsächlich die erste, die (zumindest in weiten Teilen) repräsentative Antworten auf die Frage nach dem Selbstbild von Männern aus mehreren arabischen Ländern gibt. Diese Antworten sind, um es gleich zu sagen, ernüchternd. Fast zehntausend Männer und Frauen aus Ägypten, Libanon, Marokko und Palästina haben an der Befragung teilgenommen, die von zwei NGOs und den Vereinten Nationen organisiert worden ist. Etwa die Hälfte von ihnen, und zwar sowohl der Männer als auch der Frauen, vertrat die Ansicht, dass Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nicht zu ihrer Tradition und Kultur gehöre. Bei den Männern manifestiert sich diese Überzeugung in einem klassischen Rollenverständnis: Unter den Palästinensern beispielsweise sahen es achtzig Prozent als wichtigste Aufgabe der Frauen an, sich um den Haushalt zu kümmern. Ebenso viele in allen vier Ländern meinten, dass der Zugang zu Jobs zuerst den Männern vorbehalten sein sollte. Und auch dass Männer in ihren Familien den Ton angeben, also etwa entscheiden, welche Freiheiten ihre Ehefrauen genießen, was sie tragen und wohin sie gehen dürfen, wurde von mehr als zwei Dritteln aller männlichen Befragten unterstützt.

Nichtsdestotrotz zogen die Autoren der Studie, deren Präsentation im Beiruter ,,Monroe Hotel" für ein hübsches Gedränge aus mehr Frauen als Männern sorgte, die sich zur eingangs aus scheppernden Lautsprechern abgespielten Nationalhymne von ihren Sitzen erhoben, erstaunlich optimistische Schlussfolgerungen aus ihren Ergebnissen.

Man müsse eben berücksichtigen, sagte etwa Shereen El Feki, die sich in ihrem Buch ,,Sex und die Zitadelle" bereits mit dem Liebesleben in der arabischen Welt befasst hatte, in welchen Umständen sich besonders die Männer befinden. In Marokko und Ägypten herrscht hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen. Von den palästinensischen und syrischen Flüchtlingen, die vor allem im Libanon mit in die Befragung einbezogen wurden, leiden viele Männer unter Repressalien. In allen vier Ländern fürchten folglich mehr als zwei Drittel von ihnen, ihre Familien nicht beschützen und nicht ausreichend versorgen zu können. Eine Sorge, die umso mehr auf ihnen lastet, als die patriarchalischen Traditionen eben dies als ureigene Aufgabe den Männern übertragen.

Dennoch könnten, so lautet die verwegen anmutende Hoffnung, insbesondere von den Erfahrungen der Flüchtlinge positive Impulse für eine künftig etwas größere Gleichberechtigung ausgehen. Warum? Beispielsweise, weil viele syrische Frauen in diesen Zeiten des Krieges auf sich gestellt seien. In den Flüchtlingslagern, die sich als kleine Zeltstädte über die gesamte Bekaa-Ebene im Libanon verstreuen, leben tatsächlich häufig mehr Frauen als Männer, weil letztere entweder in Syrien kämpfen, gefangen genommen wurden, verschollen oder verstorben sind. Auch von denen, die mit auf die Flucht gingen, finden nur wenige im Libanon Arbeit. Den Frauen fallen somit Aufgaben zu, die sich über Hausarbeit und Kinderversorgung hinaus erstrecken und mittelfristig für eine Art von Selbstermächtigung sorgen könnten, auf die auch Gary Barker von ,,Promundo", einer NGO, die sich beim Engagement für Gleichberechtigung vor allem auf die Arbeit mit Männern konzentriert, seine Zuversicht gründet. Aus anderer Konfliktforschung wisse man zwar, sagte er, dass nach dem Ende einer Krise oft die alten Muster wieder griffen. Aber eben nicht immer. Zuweilen sorgten die erzwungenen neuen Lebensweisen auch später für größeren Pragmatismus, für eine ,,Neuverhandlung" tradierter Beziehungsmuster.

Von einer zart aufkeimenden Graswurzelbewegung mochte Gary Barker trotzdem noch nicht sprechen. Vorerst müsse es darum gehen, den Männern zu verdeutlichen, welches Leid sie verursachen, welchen Nutzen sie selbst aus gleichen Rechten für Frauen ziehen und sich an jene zu wenden, die für solche Ideen offen scheinen.

Denn wer sucht, der findet auch positiv stimmende Zahlen in der Studie: Immerhin gab ein knappes Drittel der Männer länderübergreifend an, einzelne Aspekte der Gleichberechtigung – etwa Frauen außerhalb des Hauses arbeiten zu lassen und ihnen im Haus zu helfen, vor allem bei der Kinderversorgung – zu unterstützen. Zumindest in der Theorie.


Aus: "Ernüchternde Antworten So sieht sich der arabische Mann" Lena Bopp, Beirut  (04.05.2017)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/befragung-wie-sieht-sich-der-arabische-mann-14998492.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] In einer heute vorgestellten Umfrage der Tui-Stiftung unter 16- bis 26-Jährigen in sieben europäischen Staaten gaben 76 Prozent der Befragten an, die Union sei für sie in ihrem Kern ein Wirtschaftsbündnis. ... Nur 30 Prozent der 6.000 vom Meinungsforschungsinstitut YouGov befragten Teilnehmer in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien, Polen und Griechenland sahen in der EU auch ein Bündnis mit gemeinsamen kulturellen Werten. ... Der von der Stiftung hinzugezogene Experte Marcus Spittler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung warnte davor, die Ergebnisse der Studie für eine ,,generelle Jugendschelte" zu nutzen. Prinzipiell unterstützten junge Erwachsene die ,,europäische Idee", sie hinterfragten aber ,,spezifische Politiken und institutionelle Arrangements". ,,Ihre Zufriedenheit mit der EU ist begrenzt, sie basiert auf keinem gemeinsamen Wertegerüst", erklärte der Wissenschaftler. Entsprechend ,,fragil" sei ihre Zustimmung. ...


Aus: "Drei von vier jungen Europäern sehen in EU vor allem Wirtschaftsbündnis – deshalb: Diskussion über ,,gemeinsame Werte Europas" gefordert" (4.5.2017)
Quelle: http://www.epochtimes.de/politik/europa/drei-von-vier-jungen-europaeern-sehen-in-eu-vor-allem-wirtschaftsbuendnis-deshalb-diskussion-ueber-gemeinsame-werte-europas-gefordert-a2110766.html

Textaris(txt*bot)

#268
Quote[...] Der Begriff Universalismus (von lat. universalis = allgemein) bezeichnet eine Anschauung, die den Anspruch erhebt, die Vielfalt aller Wirklichkeit des Ganzen auf ein einzelnes Prinzip, Ordnungsgesetz oder Ähnliches zurückführen zu können. Daraus folgt auch, dass Ideen, Ideale, Rechte und Pflichten grundsätzlich für alle Menschen gelten müssen. Dem entgegen stehen Partikularismus oder Pluralismus. Aus der Philosophiegeschichte lassen sich unter anderem Platon, Aristoteles und Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Vertreter im weitesten Sinne universalistischer Standpunkte anführen, aus jüngerer Zeit beispielsweise Othmar Spann, Alfred North Whitehead und Niklas Luhmann.

In der Moralphilosophie wird eine Auffassung als Universalismus bezeichnet, die ihren Anspruch auf Geltung nicht auf bestimmte Personen oder traditionell gewachsene Kulturen beschränkt, sondern zeitunabhängig und allgemein für alle betroffenen Personen erhebt. Sie ist somit einem Kulturrelativismus entgegengestellt. Beispiele für Ethiken mit universellem Geltungsanspruch sind etwa der Utilitarismus, die kantische Moralphilosophie oder die Diskursethik.


Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Universalismus_(Philosophie)

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Quote[...]  Von Trump bis Putin gratulierten dieselben Politiker, die vor einer Islamisierung des Westens warnen, Erdoğan zu seinem Sieg, weil offenbar für die Türkei ein autoritäres Regime in Ordnung ist (nur halt nicht für uns). Eine Variante der österreichischen Karikatur könnte die Zeitungsleser sagen lassen: "Hier kann man mal wieder sehen, wie eine völlig gerechtfertigte Islamophobie für eine billige Kritik an der Türkei missbraucht wird!"

Die verschrobene Logik ist eine Antwort, aber natürlich eine falsche Antwort auf die große soziale Krankheit unserer Zeit, die Huntington-Krankheit. Der Veitstanz, wie man früher sagte, kann zunächst noch wie eine allgemeine Unruhe wirken, mit kleinen, unbeabsichtigten Bewegungen und mangelnder Koordination. Stellt sich das Aufkommen an brutalem Populismus nicht anfangs ähnlich dar? Es beginnt mit scheinbar willkürlichen gewaltsamen Übergriffen gegen Immigranten, unkoordinierten Ausbrüchen, die nur eine allgemeine Besorgnis und Unruhe angesichts der "fremden Eindringlinge" zum Ausdruck bringen, dann aber allmählich zu einer gut koordinierten und ideologisch begründeten Bewegung heranwachsen, ja explodieren – und zu etwas führen, das ein anderer Huntington als "Kampf der Kulturen" bezeichnete. Ein verräterischer Zufall: Was üblicherweise unter dieser Wendung verstanden wird, ist ein Veitstanz des heutigen globalen Kapitalismus.

Samuel Huntington zufolge wurde nach dem Ende des Kalten Kriegs der "eiserne Vorhang der Ideologie" durch den "samtenen Vorhang der Kultur" ersetzt. Huntingtons düstere Vision vom Kampf der Kulturen mag wie das genaue Gegenteil von Francis Fukuyamas rosigen Aussichten auf das Ende der Geschichte in Form einer weltweiten liberalen Demokratie wirken. Was schließlich unterschiede sich stärker von Fukuyamas Idee, dass die endgültige Formel für die bestmögliche Gesellschaftsordnung in einer kapitalistischen Demokratie gefunden wurde, als ein Kampf der Kulturen, der zur zentralen politischen Auseinandersetzung im 21. Jahrhundert heranwächst?

Aber heute lässt sich sagen: Der Kampf der Kulturen ist just die Politik am "Ende der Geschichte". Die ethnisch-religiösen Konflikte sind die Form des Kampfes, die dem globalen Kapitalismus entspricht: Im Zeitalter der "Postpolitik", die Politik durch Sozialverwaltung ersetzt, bestehen die einzigen verbliebenen legitimen Konfliktquellen in kulturellen (ethnischen, religiösen) Spannungen. Die Zunahme "irrationaler" Gewalt entspricht der Entpolitisierung, das heißt dem Verschwinden des genuin Politischen zugunsten des Sozialwesens. Wenn wir diese These zum Kampf der Kulturen akzeptieren, dann bleibt als einzige Alternative zu ihm die friedliche Koexistenz der Kulturen (oder der "Lebensweisen", wie man heute lieber sagt): Zwangsheiraten und Schwulenhass sind in Ordnung, solange sie sich auf ein anderes Land beschränken, das ansonsten vollständig in den Weltmarkt eingebunden ist.

Die neue Weltordnung wäre dann nicht mehr die einer globalen liberalen Demokratie à la Fukuyama, sondern eine der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher politisch-theologischer Lebensweisen – einer Koexistenz vor dem Hintergrund eines funktionierenden Kapitalismus. Die Obszönität dieses Prozesses besteht darin, dass er sich als Fortschritt im antikolonialen Kampf ausgeben kann: Es wird nicht mehr zugelassen, dass der liberale Westen anderen seine Standards aufzwingt, alle Lebensweisen werden gleich behandelt. Kein Wunder, dass Robert Mugabe Sympathien für Trumps Slogan "America first" bekundete – "America first" für dich, "Simbabwe first" für mich, "India first" oder "North Korea first" für andere. So funktionierte bereits das britische Empire, das erste globale kapitalistische Reich: Jede ethnisch-religiöse Gemeinschaft durfte ihrer Lebensweise nachgehen, die Hindus in Indien konnten gefahrlos Witwen verbrennen. Die örtlichen "Bräuche" wurden vielleicht kritisiert, aber toleriert, denn das, was zählte, war die ökonomische Integration.

In dieser neuen Weltordnung wird Universalität immer mehr auf Toleranz reduziert, das Tolerieren unterschiedlicher Lebensweisen. Gemäß der Formel des zionistischen Antisemitismus wird es kein Widerspruch sein, wenn wir in unseren Ländern einen politisch korrekten Feminismus durchsetzen und gleichzeitig Kritik an den dunklen Seiten des Islams als neokoloniale Arroganz zurückweisen. Es wird immer weniger Platz für Figuren wie Julian Assange geben, der trotz seiner problematischen Attitüden immer noch das stärkste Symbol für den "öffentlichen Vernunftgebrauch" (Kant) darstellt, wie es ihn ohne einen Raum für das Wissen und die Debatten der Öffentlichkeit außerhalb staatlicher Kontrollen nicht geben kann. Die erneuerten amerikanischen Anstrengungen, Julian Assange verhaften zu lassen, lassen nur zu gut ahnen, was bevorsteht: WikiLeaks wird zu einer Terrororganisation erklärt werden, und statt Verfechtern des öffentlichen Raums wie Assange werden Figuren den Ton angeben, die für die Privatisierung der Gemeingüter stehen: Elon Musk, Bill Gates, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg – die Milliardäre mit "sozialem Gewissen". Sie verkörpern das globale Kapital in seiner verführerischsten und "fortschrittlichsten", kurz: in seiner gefährlichsten Form. Musk warnt gerne vor den Bedrohungen der neuen Technologien für die menschliche Würde und Freiheit – was ihn nicht davon abhält, in ein Unternehmen namens Neuralink zu investieren, das eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickeln will, damit Menschen mit den Fortschritten der künstlichen Intelligenz mithalten können.

Der heutige globale Kapitalismus hat keine positive Vision einer emanzipierten Menschheit mehr zu bieten, noch nicht einmal als ideologischen Traum. Der liberal-demokratische Universalismus à la Fukuyama ist an seinen eigenen Beschränkungen und Widersprüchen gescheitert, und der Populismus ist das Symptom dieses Scheiterns, seine Huntington-Krankheit. Die Lösung besteht aber nicht in populistischem Nationalismus, weder dem rechten noch dem linken. Die einzige Lösung ist ein neuer Universalismus. In Peter Sloterdijks Buch Was geschah im 20. Jahrhundert? gibt es dafür zwei Stichworte: das "Anthropozän" und "Von der Domestikation des Menschen zur Zivilisierung der Kulturen".

Das Anthropozän bezeichnet eine neue Epoche, in der wir Menschen uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die Erde als Endlagerstätte für die Ergebnisse unserer Produktionstätigkeit bereitsteht: Die Kollateralschäden unserer Produktivität lassen sich nicht ignorieren. Die Erde erweist sich vielmehr als ein (weiteres) endliches Objekt, das wir zerstören oder so verändern können, dass es unbewohnbar wird. Genau in dem Moment, heißt das, in dem wir mächtig genug werden, um unsere grundlegendsten Lebensbedingungen zu beeinflussen, müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir nur eine weitere tierische Spezies auf einem kleinen Planeten sind. Sobald wir dies begriffen haben, brauchen wir ein neues Verhältnis zu unserer Umgebung: nicht mehr das eines heroischen Arbeiters, der sein kreatives Potenzial zum Ausdruck bringt und sich aus den unerschöpflichen Ressourcen seiner Umgebung bedient, sondern das eines sehr viel bescheideneren Akteurs, der mit seiner Umgebung kooperiert, um unentwegt ein erträgliches Niveau an Sicherheit und Stabilität auszuhandeln.

Um dieses neue Verhältnis zu unserer Umwelt zu entwickeln, ist ein radikaler politisch-ökonomischer Wandel erforderlich. Sloterdijk beschreibt ihn als "Domestikation des wilden Tiers Kultur". Bislang disziplinierte und erzog jede Kultur ihre eigenen Angehörigen und garantierte den inneren Frieden zwischen ihnen durch staatliche Macht. Das Verhältnis zwischen verschiedenen Kulturen und Staaten aber stand permanent unter dem Vorzeichen eines Krieges, und jeder Frieden war nicht mehr als ein vorübergehender Waffenstillstand. Wie Hegel sie begriff, kulminiert die Ethik des Staates in der Bereitschaft des Bürgers, sein eigenes Leben für den Staat zu opfern, was bedeutet, dass die Feindschaft zwischen den Staaten als Grundlage für das ethische Leben innerhalb eines Staates dient. Ist Nordkorea mit seinen Raketen nicht das perfekte Beispiel für diese Logik der rücksichtslosen nationalstaatlichen Souveränität?

In dem Moment jedoch, in dem wir akzeptieren, dass wir auf einer bedrohten Erde leben, drängt sich uns die gegenteilige Aufgabe auf, die Kulturen zu zivilisieren, universelle Solidarität und Zusammenarbeit durchzusetzen; eine Aufgabe, die durch den Aufstieg der "heroischen Gewalt" religiöser und ethnischer Sektierer nicht leichter wird. Die Maßnahmen, die Sloterdijk vorschlägt – die Überwindung des kapitalistischen Expansionsdrangs, eine internationale Zusammenarbeit mit dem Potenzial zu einer Exekutivgewalt, die bereit ist, staatliche Souveränität zu verletzen –, sind dies nicht allesamt Maßnahmen, die darauf abzielen, unsere natürlichen und kulturellen Gemeingüter zu bewahren? Wenn sie nicht in die Richtung eines neu erfundenen Kommunismus weisen, wenn sie nicht einen kommunistischen Horizont implizieren, dann weiß ich nicht, was mit dem Begriff Kommunismus gemeint gewesen sein soll.

...

QuoteAntigone dreht am Rad #8

Ich stimme Zizek bedingt zu, es ist ein Graus mitanzusehen, wie der Universalismus und die Vernunft auf die Hinterbänke gerückt sind, während nationale und ideologische Kräfte die Agenda prägen. ...


QuoteTularch #9 

Solche Träume von globaler Großsteuerung führen in ihrem Endergebnis zu riesigen, totalitaeren Bürokratien, die jede Freiheit und Entwicklung auf diesem Planeten ersticken werden. Der kommunistische Traum gebiert immer aufs neue solche Ungeheuer.
Vielleicht ist der Konflikt zwischen Globalisten und Regionalisten doch der Entscheidende unserer Zeit und erschreckender Weise ist keine von beiden Seiten liberal (im Sinne bürgerlicher Freiheiten). Aber in einer in kleine selbstständige Einheiten aufgeteilten Welt, gibt es wenigstens aufgrund der Konkurrenz der politischen Einheiten und ihrer größeren Bürgernahe noch Raum und Hoffnung für die Freiheit des Einzelnen.



Aus: "Kapitalismus: Hinter dem samtenen Vorhang" Slavoj Žižek - Aus dem Englischen von Michael Adrian (23. Mai 2017)
Quelle: http://www.zeit.de/2017/22/kapitalismus-globalisierung-populismus-ideologien-weltordnung/komplettansicht

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Quote[...] Wien. Übervoll der Wiener Arbeiterkammersaal, Übertragung ins Theater Akzent nebenan. Der weltreisende slowenische Philosophiekomet Slavoj Žižek landete bei den Festwochen in Wien. ... Dem Charismatiker im Unterschichtenlook ist schwer zu folgen, obwohl er einfaches Englisch spricht. Er beginnt mit dem Unterschied von Bürgerrecht und Menschenrecht: Flüchtlingen wird das eine zugestanden, das andere nicht, sie seien, mit Berufung auf den Linguisten Jean-Claude Milner, degradiert zu "sprechenden Körpern". Vom "Öffnen unserer Herzen für Flüchtlinge" hält er nichts. "Wir brauchen präzise politische Maßnahmen." Er will sie nicht als "unser neues Proletariat" idealisiert wissen. ... Eine von ihren Helfern angestrebte übergeordnete homogene Lebensweise gibt es nicht. Universalismus bleibt eine Bruderschaft verschiedener Lebensweisen. Flüchtlinge sollen ihren Way of Life behalten – ihre sexuellen Bräuche, den Genuss, wie man lacht und liebt, ihre hierarchische Ordnung, auch die arrangierten Zigeunerhochzeiten. Israel ahnde aus Klugheit keine Ehrenmorde in den besetzten Palästinensergebieten; so wie auch die britischen Kolonialherrn Indiens Kastenwesen nicht anrührten. ...

QuotePaul Landman, 21.05.2017 17:35 Uhr

... Ein riesiger philosophischer Fleckerlteppich aus allen Schlagworten der versinkenden Postmoderne wurde ausgebreitet und der Meister aus Slowenien versuchte einen ermutigenden und kraftvollen Walkürenritt.

An sich habe ich Slavoj Zizek früher gerne gemocht, aber die Zeiten sind vorbei, wo man seinen Hegelianismus noch bewundern darf. Heute ist er der Meister einer aufstrebenden, narkotisierenden Geschwätzigkeit. Dass Israel angeblich aus Klugheit keine Ehrenmorde im Westjordanland ahndet, ist eine seltsame Botschaft. Und weiteren Nonsens nach DIN Norm-Zeitgeist vernimmt man. Heute ist Zizek nur noch ein Festredner in intellektuellen Bierzelten, der alle Denk- und Kotzbrocken zu einem Einheitsbrei am Bocksberg der Gedankenlosigkeit zusammenköchelt, vor dem mir graut. Ein dämonischer Koch! Und natürlich sitzt die Hautvolee der österreichischen Intellektualität, Eminenz um Eminenz, im Foyer, um mit Zizek "The Courage of Hopelessness" zu zelebrieren. Ein jämmerliches Spektakel!



Aus: "Slavoj Zizek: Mutig in die Hoffnungslosigkeit" Hans Haider (21.05.2017)
Quelle: http://www.wienerzeitung.at/dossiers/wiener_festwochen/893369_Mutig-in-die-Hoffnungslosigkeit.html

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Quote... Der bärtige Mann schwitzt, schnieft und fuchtelt sich in Großaufnahme durch seine Assoziationsketten, die körperliche Präsenz unterstreicht das Gesagte. Zizek hält auch die inoffiziellen Intellektuellen-Rekorde im erstens Sich-an-die-Nase-Fassen und zweitens im Wuchtel-Drucken [Eine Wuchtel drucken: einen (billigen) Scherz machen «-WUchteldrucker, der -s, – Scherzbold ]. Dank seines nach allen Seiten ausschlagenden Humors ist seine Botschaft gut annehmbar und die Stimmung heiter - vielleicht hat Zizek ja mittlerweile so etwas wie die Rolle eines Antidepressivums für die radikale Linke übernommen. ... Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Linken, die sich von den universalistischen Werten der Aufklärung verabschiedet und sich im Gewirr von Multikulti und Identitätspolitik verheddert haben, hält Zizek an ihrem Kern fest. Die westliche Linke solle aufhören, sich ständig als Teil des imperialistischen Kapitalismus selbst zu kasteien und jede Barbarei als ,,unterschiedlichen Lebensstil" zu tolerieren, und stattdessen an einem neuen Projekt arbeiten. Das Wort ,,Kommunismus" nimmt Zizek in der Wiener Arbeiterkammer zwar nicht in den Mund, aber seine positive Bezugnahme darauf ist bekannt. ...

http://science.orf.at/stories/2844622/, (Lukas Wieselberg, 21.05.2017)

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Erste Kammer des niederländischen Parlaments hat ein Gesetz angenommen, wonach Asylbewerber und Migranten sich künftig schriftlich den niederländischen Werten und Normen verpflichten müssen. Die sogenannte Partizipationserklärung ist Voraussetzung für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Wer sie nicht unterschreibt, muss ein Bußgeld von bis zu 340 Euro bezahlen. Die Strafzahlung soll auch mehrmals verhängt werden können.

Ziel der Erklärung sei es, die Einwanderer so schnell wie möglich mit den Werten und Regeln der niederländischen Gesellschaft vertraut zu machen, heißt es in der Regierungserklärung. Die Partizipationserklärung sei ein obligatorischer Bestandteil der Integration. Unter anderem geht es darin um den Respekt vor Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung. Auch das Diskriminierungsverbot ist darin festgehalten. Laut Sozialminister Lodewijk Asscher gehe es um "nicht verhandelbare und für uns selbstverständliche Spielregeln".

...


Aus: "Niederlande: Strafzahlung bei Integrationsverweigerung" (20. Juni 2017)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-06/niederlande-migranten-partizipationserklaerung-werte-normen

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wenige Jahrzehnte danach reichte das Römische Reich von Schottland bis zum Sudan, vom Kaukasus bis zur Iberischen Halbinsel – ein Territorium, das mit riesigem Einsatz von Geld, Material und Menschen verteidigt werden musste.

Rund 2.000 Jahre später fand ein US-amerikanischer Wissenschaftler einen Begriff für die Selbstüberforderung einer Großmacht, die zu viel auf einmal will und sich beim Einsatz ihrer Ressourcen verzettelt: ,,imperial overstretch". Das Phänomen gilt als Vorstufe für den Verfall von Großreichen. In einem anderen Imperium, nämlich in den USA, diskutieren liberale Meinungsführer seit der Präsidentenwahl, ob ihre eigene Selbstgerechtigkeit und ihre Blindheit für die Nöte der Trump- Wähler dessen Erfolg erst möglich gemacht haben. Wer die Debatte verfolgt, könnte auf die Idee kommen, dass eine Art moralischer ,,imperial overstretch" vorlag

... Das ausgebreitete emanzipative Programm der Liberalen und Linken wurde zumindest in den USA von der ,,White working class" als Instrument des Klassenkampfes empfunden – und es spricht manches dafür, dass Ähnliches auch in Deutschland passiert. Alle Attacken Hillary Clintons oder der etablierten Medien auf die Unkorrektheiten des Immobilienmilliardärs Donald Trump im Wahlkampf bewiesen in den Augen seiner Anhänger nur, dass er auf dem richtigen Weg war, es jenen Kräften zu zeigen, von denen sie sich verraten fühlen.

Wer als Scheinselbstständiger zwölf Stunden am Tag Amazon-Pakete ausfährt, wer das Geld für die Klassenfahrten seiner Kinder nicht aufbringen kann, auch wer ein gutes Einkommen hat, aber von Abstiegsängsten geplagt wird, empfindet die Emanzipationsideale der gut ausgebildeten, linksliberalen Eliten schnell als Kriegserklärung von oben. Das fühlten die Trump-Anhänger in den USA schon lange, bevor Hillary Clinton sie als ,,basket of deplorables" (,,ein Korb voller Bedauernswerter") verhöhnte.

Mit anderen Worten: Wer statt existenzielle soziale Fragen zu beantworten, damit das Tempo des Kulturkampfes steigert, muss sich über ein Ergebnis wie das bei den US-Präsidentschaftswahlen nicht wundern. Es gibt auch in Deutschland viele Millionen Menschen, die nie in einem Uni-Seminar über Gender-Politik debattiert haben und statt Aufsätze von Judith Butler zu lesen lieber ,,Dschungelcamp", ,,Frauentausch" oder ,,The Biggest Loser" schauen. Womöglich stehen wir vor einer Wahl: Entweder die existierende liberale Gesellschaft gegen ihre Verächter zu halten oder aber deren Gegnern durch einen fortgesetzten moralischen ,,imperial overstretch" zu stärken.

Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, Bastian Hermisson, hat es auf dem Grünen-Parteitag kürzlich auf den Punkt gebracht. ,,Wir sollten uns an die eigene Nase fassen. Was moralisch richtig ist, wissen wir sowieso, und wir blicken mitleidig auf die anderen, die noch nicht soweit sind", erklärte er in einer fulminanten Rede und warnte, das werde nicht reichen. Sein Rat war nicht Abgrenzung, sondern Öffnung: ,,Wir müssen mit Andersgesinnten Kontakt suchen. Ansonsten sind wir selbst Teil des Problems und nicht Teil der Lösung."

QuoteLesegenuss 14:28 Uhr
Der Artikel ist vermutlich deshalb so beliebt, weil der Autor vortäuscht, von seinem moralischen Sockel herunterzukommen, die Prämisse der Einteilung der Welt in gut und böse allerdings nie wirklich aufgibt, sondern sogar noch festigt. Dies wird bereits im Titel deutlich. Auf diese Weise können sich die entsprechenden Anhänger der mit Pseudokritik beworfenen ideologischen Strömung, welche sich ausschließlich damit zufrieden gibt, deren Methoden in Frage zu stellen, weiterhin im Lichte der moralischen Überlegenheit sonnen, ohne jemals hinterfragen zu müssen, ob die pauschale Aburteilung entgegengesetzter politischer Ansichten als unmoralisch und böse in grundsätzlicher Hinsicht gerechtfertigt ist. Ein moralischer "Safe-Space" sozusagen.


QuoteDr.CharlesBronson 13:49 Uhr
Der Artikel wirkt auf den allerersten Blick recht vernünftig, rational. Letztlich hat er aber auch die Einteilung in die Guten, Vernünftigen und die Dummen, Bösen vorgenommen.
Die Skeptiker oder teilweise Konservativen wissen einfach noch nicht, was gut für sie und das Land ist. Die Dummen brauchen einfach nur ein bisschen mehr Zeit als die Guten. Sorry, das ist echt zu simpel. Erschreckend simpel und eigentlich auch an den wirklichen Problemen vorbei  ...


Quotealephbeth 15.12.2016, 13:40 Uhr
Was steckt in der Überschrift für eine bemerkenswerte Feststellung: Die "Vernünftigen" (damit sind wohl die "Gutmenschen" gemeint) sind also hochmütig. Der Autor scheint in seinem Leben noch nicht viele Konflikte ausgestanden zu haben, wenn er die Gesellschaft durch die Idee eines Veggie-Day derart kompromittiert sieht. Im Presseclub wird das Aufkommen der AfD mit dem Erscheinen der Grünen in den 80ern verglichen. Die Ratlosigkeit greift bei den Essayisten und Journalisten um sich. Wer keinen Bock mehr auf politische Korrektheit hat, wirft alles in einen Topf. Was soll daraus folgen? Dass wir jemanden, der gratis vegane Umarmungen anbietet, auch noch verantwortlich dafür machen, dass rechtspopulistische Parteien Zulauf bekommen? Eines noch: Auf den Bürgerversammlungen, die ich erlebt habe, waren die "Gutmenschen" nicht hochmütig, sondern demütig, weil sie nämlich niedergeschrieen wurden von Verschwörungstheoretikern und Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft, deren durchaus verständliche Angst als Generalrechtfertigung für ihre hemmungslosen Ausfälle und Aggressionen gelten darf. Wollen wir das?


Quoteeinliberaler 13.12.2016, 17:27 Uhr
Für alle, die hier auf dem Verfasser rumhacken, eine kurze und klare Zusammenfassung:
Über dem - durchaus edlen - Streben nach Beseitigung von Ungleichheit/ Ungerechtigkeit für jede noch so kleine Minderheit geht völlig unter, dass es weit existenziellere Probleme für eine deutlich größere Mehrheit zu lösen gilt.
Die Relationen sind mittlerweile leider völlig verzerrt.

Wenn ich sowas: " ... Berlins Partnerstädte sollen kritisiert werden, wenn das wegen deren Verstößen gegen ,,LSBTTIQ*"-Normen nötig scheint. Übrigens: Sexistische Werbung will die Koalition sogar auf privaten Werbeflächen durch die Bildung eines ,,Expert*innengremiums" verhindern."
lese, geht mir der Hut hoch.


Quotesopla 12.12.2016, 14:40 Uhr
Gegen Monaths Hypothesen ist Folgendes einzuwenden:
1.     Es ist eine gefährliche Idee, Minderheitsinteressen, die menschenrechtlich garantiert sind zur Disposition zu stellen, um mehrheitsfähig zu werden,
2.     Demokratisierung bedeutet die Aufhebung von Ausschlüssen, die sukzessive Inklusion von Minderheiten als Rechtsgleiche in die Gesellschaft und nicht ihr Ausschluss,
3.     Rechte von Minderheiten sind kein ,,Gedöns",
4.     Frauen sind keine Minderheit,
5.     Man bekämpf die reaktionäre Rechte nicht dadurch, dass man ihre Argumente übernimmt, sondern ihnen unsere freiheilich-pluralen Werte, wie sie im Grundgesetzt verankert sind entgegen hält,
6.     ,,Amerikas Intellektuelle sind nicht schuld an Donald Trump, denn einen öffentlichen Diskurs hat es dort nie gegeben. Vielmehr steckt die Demokratie selbst in einer Krise."
(http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/amerikas-intellektuelle-sind-nicht-schuld-an-donald-trump-14567156.html
7.     Trumps Sieg ist nicht allein Ausdruck der ,,Unbeschützten" und ,,Abgehängten", sondern verdankt sich zugleich einer großen Anzahl von weißen und wohlhabenden Wählern
– ähnlich wie auch die AfD 33,9 % ihrer Sympathisanten aus dem reichsten Fünftel der Bevölkerung rekrutiert (Quelle: IW Köln, Stand: Frühjahr 2016). Ganz zu schweigen von jenen US-Bürgern, deren politische DNA schon immer republikanisch war.
8.     Nicht die liberale Linke hat den Westen gespalten, sondern die Unfähigkeit, der fehlende Wille und die fehlende Weitsicht aller Hauptverantwortlichen in Ökonomie, Politik und Kultur, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, statt auf das eigene nationale und private Wohlergehen zu schauen.
9.     Die Gesellschaften des Westens sind gespalten nicht aufgrund des kulturellen Liberalismus, sondern
aufgrund des Scheitern des ökonomischen Liberalismus.
10.     Political Correctness ist kein ,,Tugendterror". Hinter p.c.  steht die Einsicht, dass Gesetze nicht ausreichen, um Respekt für alle durchzusetzen.

Quotejan 13.12.2016, 12:34 Uhr
Antwort auf den Beitrag von sopla 13.12.2016, 11:11 Uhr
Nur ist Ethik ein höchst persönliches System und bei Moral muß sinnvollerweise zwischen Privat,- Gruppen- und Staatsmoral unterschieden werden, die sich durchaus widersprechen können (ein Einzelner kann es moralisch gerechtfertigt finden, eine ihm besonders wichtige Sache ohne Rücksicht auf die Rück- und Nebenwirkungen für ihn bis hin zum Selbstmord voranzutreiben, beim Staatsmann kann solches für den Staat nicht tun ohne als Schwerverbrecher zu gelten), während PC allgemeine Geltung beansprucht.

Wenn die PC-Befürworter sich selbst PC-gemäß äußern und verhalten und dabei alle anderen so reden und schreiben lassen würden, wie denen der Schnabel gewachsen ist, gäbe es doch kein Problem.


Quotesopla 15.12.2016, 18:30 Uhr
Antwort auf den Beitrag von jan 13.12.2016, 12:34 Uhr
Wenn Ethik ein ,,höchst persönliches System ist", handelt jeder wie es im gefällt. Für bestimmte Bereiche des Lebens ist das harmlos, z.B. sich gesund ernähren, sich bilden oder Sport treiben. Wenn es aber um die Mitmenschen geht, wird es problematisch. Kaufe ich bei H&M die ,,billig Klamotten", Fliege ich mit dem Flugzeug, lüge ich? Zu Ende gedacht, zerstört diese Art von privater Ethik das menschliche Zusammenleben in einer Gesellschaft´. Die Ethik als Disziplin der Philosophie befasst sich mit der Frage, was ist moralisch ,,gutes" oder ,,richtiges" Handeln? Hier geht es um Allgemeingültigkeit, um Regeln, die für alle Menschen gelten sollen. Das ist sicher kein einfaches Unterfangen! Aufgabe ethischen Nachdenkens es ist, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln aufzustellen. Kant´s kategorischer Imperativ ist so ein Versuch: ,,Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde." Mit ,,Allgemeinen Gesetz" ist nicht das Gesetzt im Sinne des Rechts, sondern das moralische Gesetzt gemeint. Der KI gebietet allen vernunftbegabten Menschen, ihre Handlungen darauf zu prüfen, ob sie einer für alle, jederzeit und ohne Ausnahme geltenden Maxime folgen sollen und ob dabei das Recht aller betroffenen Menschen berücksichtigt wird. (Wiki) Das ist alles andere als eine subjektive Privatethik und sehr anspruchsvoll. Kant lehnt konsequenterweise Selbstmord als mit dem KI unvereinbar ab oder andere selbstschädigende Verhaltensweisen wie Drogen. Arnold Gehlen, plädiert für eine pluralistische Ethik. Damit widersprecht er der Ethik etwa Voltaires oder Kants. J. Habermas reagierte auf die pluralistische Ethik mit seiner universalistischen Diskursethik. PC beansprucht wie die Ethik oder die Menschenrechte allgemeine Geltung. Nur gibt es für diese den EGMR und das BVerfG., aber für Bereiche wie Technik, Medizin, Medien oder Politik brauchen wir allgemeine ethische Maßstäbe d.h. das beste Argument soll sich durchsetzen.



QuoteMcSchreck 15.12.2016, 19:46 Uhr
Antwort auf den Beitrag von sopla 15.12.2016, 18:30 Uhr
alles richtig und man merkt, dass Sie sich bemühen, dies zu befolgen, weil sie für eine(n) "Gutmenschen" extrem sachlich argumentieren (und damit kein Gutmensch im eigentlichen Sinne sind).

Da viele Menschen sich aber nicht an solche Standards halten und dafür auch immer irgendeinen Grund finden (was leicht ist), würde ich das ganze abstufen.

Es gibt als "unverzichtbar" einzuhaltende Regeln die, die Strafgesetze beschreiben, das sind sozusagen die Mindeststandards. Dann kommen sonstige Gesetze und dann kommt die allgemeine Moral, manchmal divergiert auch beides.

Das Wichtigste bei der Moral ist für mich aber, dass "pwyp" gilt, also "practice, what you preach". Das ist sozusagen die umgekehrte Formel von Kant. Verlange von anderen nicht mehr, als Du selbst zu leisten bereit bist.

Wenn man damit anfangen würde, wäre schon viel gewonnen. Ich versuche das zum Beispiel. Ich verlange daher nicht übermenschlich viel von anderen, aber was ich erwarte, erwarte ich erst Recht von mir. Damit bin ich in meinem Bekanntenkreis schon ziemlich weit "vorn", während ich viele Leute kenne, die ganz große Weltverbesserer sind, wenn es darum geht, was "man"/"die da oben"/"die Politik" alles leisten müssten, aber selbst gar nichts tun, solange die Welt eben so ist.

Schließlich noch der Hinweis, dass man sich moralisch auch "fesseln" kann, dazu hatte ich ja gestern abend einen Link geschickt. Wenn Diskussionen nur noch so ablaufen, dass sich auch der Empfindlichste nie zurückgesetzt fühlt, dann kann man gar nicht mehr diskutieren.


QuoteHanebutt 12.12.2016, 14:05 Uhr
Es fehlt ein entscheidender Punkt: Die Rückbesinnung auf die eigenen Handlungen.
Diese Selbstschau wird tunlichst unterlassen, Sie wäre aber einer der Kernpunkte zu begreifen, warum die alten Medien einen solchen Rückgang erleiden, warum ihre Art der Berichterstattung immer weniger gelitten wird.
Das, was der Autor als Elite sieht, ist keine mehr, sondern nur noch einer der im Schützengrabenkampf verwickelten Gesellschaftsgruppen. Ohne Mut und Kraft zur Selbstreflexion. Aber mit dem Pathos der scheinbar wissenden.



QuoteAntonym 12.12.2016, 13:08 Uhr
Das Schlimmste an dieser Debatte ist, wie tief sich beide Seiten in ihren geistigen Schützengräben eingegraben haben. Die einen schalten auf "Hit or Run", sobald irgendetwas "linksgrünversifftes", also PC, kommt, die anderen, sobald etwas "rassistisches", also Kritik an permissiver Migrationspolitik und Multikulti, geäußert wird. Demokratie kann jedoch nur als Diskurs und nicht als Diskursverweigerung funktionieren.  ...


Quotebeobachter73 11.12.2016, 17:51 Uhr
... Auch ich habe das Gefühl, dass Trump, AFD u.a. die Reaktion der meist schweigenden Mitte auf massive Übertreibungen der linksökolgischen gesellschaftlichen Kräfte darstellen. Ich habe es schon häufiger geschrieben, die meisten Menschen können mit Gender Mainstreaming, Offene Grenzen für alle, Veggie Day definitiv nichts anfangen. Es geht völlig an ihrem Leben und an ihren Bedürfnissen vorbei. Solange es die eigenen Belange nicht tendiert, ist diese schweigende Mitte ruhig und schüttelt den Kopf. Mit der Flüchtlingskrise wurden erstmals die Belange dieser Mitte, allseits spürbar und sichtbar, berührt. Man sieht die vielen jungen Männer auf der Straße, die aus aller Welt gekommen sind. Das erklärt zwar nur zum Teil, warum plötzlich so viele Leute AFD wählen, aber es ist wie ein Ventil, dass sich im Überdruck geöffnet hat. Jetzt kommt auch noch all der Druck hervor, der sich schon vorher aufgestaut hat.  ...


Quoteplumpe 11.12.2016, 17:45 Uhr
Im Horizont der ansonsten publizierten Artikel zum Thema sticht dieser Beitrag durch Nachdenklichkeit hervor. Er krankt allerdings weiterhin an einem Grundfehler der überwiegenden Kommentierung der Lage. Offenbar ist es schwer zu akzeptieren, dass es in Deutschland (und Europa) zahllose Bürgerinnen und Bürger gibt, die weder "sozial abgehängt" noch von "Ängsten" geplagt sind, sondern schlicht und einfach eine andere Vorstellung von ihrem Land haben. Sie möchten Ihre Lebensweise nicht unter Dauerkritik gestellt sehen, sondern als gute und lebenswerte Tradition fortführen. Sie möchten in einem christlich geprägten Land leben, herkömmliche Sitten respektiert sehen und sind nicht geneigt, massenhafte unkontrollierte Einwanderung und wachsende Einflußnahmen des Islam als "Fortschritte" zu verstehen. Sie glauben noch, dass jeder Bürger die selbstverständliche Sicherheit in Anspruch nehmen kann, nachts unbehelligt über die Straße zu gehen. Kurz: bei diesen Menschen handelt es sich weder um verirrte Schafe, noch um Nazis oder Angstphobiker, sondern nur um Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, die in einem anderen Land leben möchten als es ihnen von der links-grünen Medienmacht tagtäglich als vorbildlich ausgemalt wird. Es geht daher um einen durchaus rationalen kulturellen Konflikt, der im Rahmen der Verfassung demokratisch zu entscheiden ist.


QuoteMoserhansi 11.12.2016, 10:16 Uhr
PC ist inkorrekt und provoziert?
Das ist ja wohl der größte Schwachsinn den ich die letzten Monate gelesen habe.
Nur weil 25% der Menschen offenbar geistige Defizite durch freie Meinungsäußerung begründet in die Welt implementieren wollen soll ich als Gutmensch dafür mitverantwortlich sein.
Gutsein erzeugt also böse Gesinnungen?
Welch ein Kompost.
Ich musste das Lesen des Artikels ab dem Ende der ersten Seite einstellen.
Wenn zig Millionen Menschen zu faschistoiden Meinungen tendieren und die erkämpften Freiheiten durch ein mittelalterliches Zerrbild ersetzen wollen und in ihrer Degeneration noch meinen: ``Das wird mensch ja mal sagen dürfen``, dann ist wohl eher die humanistische Bildungspolitik gescheitert, nicht der Humanismus.
Wenn diese Menschen den plumpen Pseudo-Vorgaben der Trumps, Orbans, Wiilders, LePens folgen, welche vom kapitalistischen Syystem installiert wurden um bei einem Versagen der Märkte Mithilfe dieser faschistoiden Bewegungen das Ruder in der Hand zu halten, dann ist nicht mit den Gutmenschen etwas nicht in Ordnung, sondern mit dem System selbst.
Das mensch mit sachlicher Argumentation für z.B. Obergrenzen bei Flüchtlingskontingenten argumentieren kann hat Sahra Wagenknecht ja gezeigt. Unabhängig davon dass auch mit dieser Argumentation rechtliche Probleme auftreten würden weil Gesetze verletzt würden,
ist zumindest die Möglichkeit vorhanden Kritik zu äußern und zu diskutieren.
Nicht mit hetzerischem Denken sondern mit sozial-humanen Einstellungen werden wir die Welt zum Positiven hin verändern können.
Und ein krasses Ding zum Schluss: Wir als Gutmenschen haben uns viel zu lange den  ganzen Nazi-Müll, die CDU/CSU-Hetze(``Das Boot ist voll``), das ganze kriegs-treiberische Gelaber der Wirtschaftseliten  angeschaut. Jetzt wird uns von Hrn. Monath genau dies noch vorgehalten, traurig.

Quoteomamoni 11.12.2016, 14:22 Uhr
Antwort auf den Beitrag von Moserhansi 11.12.2016, 10:16 Uhr

    Nur weil 25% der Menschen offenbar geistige Defizite durch freie Meinungsäußerung begründet in die Welt implementieren wollen soll ich
    als Gutmensch dafür mitverantwortlich sein.


Sie haben die Aussage des Artikels (leider) nicht verstanden - schade.


...



Aus: "Political Correctness Der Hochmut der Vernünftigen" Hans Monath (22.06.2017)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/political-correctness-die-masslosigkeit-der-fortschrittlichen-und-der-basket-of-deplorables/14961874-2.html


Textaris(txt*bot)

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist eine britisch-US-amerikanische schwarze Komödie von Martin McDonagh, die am 4. September 2017 im Rahmen der Filmfestspiele in Venedig ihre Premiere feierte. Am 10. November 2017 kam der Film in die US-amerikanischen und am 25. Januar 2018 in die deutschen Kinos. ... Die Jury der Evangelischen Filmarbeit empfiehlt den Film; in epd Film heißt es, er biete ,,gelungene und nachdenklich machende Unterhaltung".
https://de.wikipedia.org/wiki/Three_Billboards_Outside_Ebbing,_Missouri

-

Quote[...] Beinahe alles, was in den ersten zwei Dritteln von Three Billboards Outside Ebbing, Missouri geschieht, geschieht mit einer manischen Entschlossenheit. Auf die Spitze wird diese getrieben, wenn der für seine rassistischen Gewaltübergriffe bekannte Polizist Dixon einmal den Agenten, der die Werbetafeln vermietet und den er für den Tod Willoughbys verantwortlich macht, verdrischt und aus dem Fenster schmeißt – in einer völlig überhitzten, blutrauschigen Plansequenz, als würde sich der Film selbst für einen Moment nicht mehr im Zaum halten können und cholerisch in Wut ausbrechen.

Three Billboards ist ein seltsamer Film. Anders lässt sich das erst einmal nicht sagen. In erster Linie wohl deshalb, weil er über keine innere Kontrolle verfügt – oder wenn doch, dann im Sinne der kontrollierten Sprengung seiner einzelnen Momente. Dass das aber so leicht gar nicht zu entscheiden ist, ist wiederum der springende Punkt seiner Seltsamkeit.

So gibt es etwa keinen auf den Punkt zu bringenden Tonfall, den dieser Film durchhalten würde. Besonders augenfällig wird das beispielsweise, als Mildreds Ex-Mann Charlie (John Hawkes) der Kragen platzt, er sie würgend an den Türrahmen presst, voller Zorn über die ungewöhnliche PR-Aktion, die die Tochter ja auch nicht zurückbringt, während seine neue und mit allen Mitteln der Inszenierungskunst als Dummheit in Person dargestellte Freundin den Raum betritt und nach der Toilette fragt. Hier stolpert die Sitcom ins Drama um häusliche Gewalt. Hier springt der Tonfall aus der Fassung – zum denkbar weitestentfernten Register. Eine im wahrsten Sinne seltsame Szene.

Über den Backlash, der im Moment – und das heißt: mitten in der Oscar-Saison – auf Three Billboards einhagelt, darf sich Regisseur Martin McDonagh angesichts solcher Szenen nicht wundern. Vermutlich wundert er sich auch gar nicht und der Backlash war Teil der Rechnung. Der Sexismus dieser Szene – die Art, wie das Dummerchen mit der schwachen Blase hier die Szene crasht – liegt so deutlich auf der Hand, dass er einen auch in weniger hellhörigen Zeiten als den jetzigen vor den Kopf gestoßen hätte.

Ein anderer großer, weit verbreiteter Kritikpunkt ist der fahrige Umgang des Films mit institutionellem Rassismus. Dixons vergangene Foltervergehen an Menschen of color werden zwar permanent in den Raum gestellt, bleiben ansonsten aber völlig unthematisiert. Stattdessen gönnt McDonagh, der auch das Drehbuch schrieb, dem hassenden Schlägercop am Ende eine moralische, ja, gottgegebene Läuterung.

Ohne Frage ist Three Billboards angesichts etwa dieser Entwicklung ein perverser Film; die Frage müsste aber sein, wie er sich zu einer kolossalen Perversität verhält, die ihm schließlich nicht einfach so rausrutscht. Und der Konjunktiv ist unumgänglich. Denn perverser noch als die Art und Weise, wie Three Billboards Frauen, Rassisten und Schwarze inszeniert, ist die Art und Weise, wie er die Frage an sein Selbstverständnis im Konjunktiv gefangen hält.

Denn hier kommt die Grundbewegung des Films wieder ins Spiel: die Bewegung vom Festentschlossenen hin zur allumfassenden Unsicherheit, mit der uns McDonagh in den Abspann schickt. Am Ende hat der Zweifel gewonnen. Das Personal des Films weiß nicht mehr, was es da eigentlich tut, und wir wissen nicht mehr, wie uns geschieht. Entzogen wird der Boden, auf dem sich moralisch urteilen lässt. Anders gesagt: Was Three Billboards uns, den Zuschauern, wegnimmt, ist die liberale Position, die wir aus dem Kino eigentlich gewohnt sind.

Selbstverständlich blicken wir, wenn wir diesen Film sehen, mitten hinein ins Trump-Amerika. Wir blicken in die Kleinstadt im Mittleren Westen, hinein in die Strukturen des örtlichen Lebens. Was wir sehen, sind Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Hass, Unversöhnlichkeit. Darüber hinaus – und das ist noch beängstigender – sehen wir aber auch einen Film, der keinen Tonfall durchhält, der die Kontrolle über sich selbst verliert, der um sich drischt, der antritt, um in der Folge alles, was gerade als moralisch sicher galt, zu zerhauen, und der stellenweise sogar in die Sitcom abdriftet – oder, das könnte man genauso gut sagen: ins Reality-TV.

Wäre dieser Film also ein Gehirn, man könnte sich vorstellen, nach welchem Modell es geschaffen wäre. Three Billboards ist der vielleicht abgründigste Film über den Trumpismus bisher. Gerade weil er keine liberale Gegenrede parat hat. Entweder ist dieser Film also ein zynisches Pamphlet, das noch viel gravierendere Vorwürfe auf sich ziehen müsste als die, die ihm bisher gemacht wurden. Oder er ist tatsächlich eine blitzintelligente Offenlegung über den prekären Status der Moral im Hier und Jetzt. ...

Quote
Richard Zietz | Community

Die Besprechung liest sich und der Trailer sieht sich an wie American Gothic as his Best – also das, was die Amis (in den Momenten, in denen sie wollen) fulminant drauf haben: Geschichten erzählen, und den darin enthaltenen Plot rückhaltlos bis zum Ende durchziehen – so, wie es die großen sozialrealistischen Autoren Steinbeck, Sinclair, Dos Passos und Roth vorgemacht haben. ...


Quote
harsdorfer | Community

Habe den Film vorgestern Abend gesehen und kann die obige Rezension nicht so recht nachvollziehen.

Es ist halt ein Coen-inspirierter Film, das haben Regisseur und Hauptdarstellerin ja auch zugegeben. Eine schwarzhumorige, aber irgendwie auch tragische Komödie, bei der spätestens ab der Mitte des Films (Molotow-Cocktails) keiner moralisch sauber rauskommt. Naja, vielleicht noch der Nachfolger von Willoughby (Clarke Peters aus The Wire) und James (Peter Dinklage, der seit Game of Thrones omnipräsent zu sein scheint).

Für mich der beste Hollywood-Film seit "No Country for old Man" und (der Serie) "True Detective".



Aus: "Being Trump" Lukas Stern (Ausgabe 04/2018)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/being-trump

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Quote[...] Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, USA/GB 2017 - Regie und Buch: Martin McDonagh. Kamera: Ben Davis. Schnitt: John Gregory. Musik: Carter Burwell. Mit Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell, Peter Dinklage. Verleih: Fox, 116 Minuten.

... "Three Billboards" liest man am besten als einen Metafilm. Als einen cleveren Essay über die Tendenz unserer Zeit, schnelle Urteile zu fällen, harte Lager zu bilden und sich gleich vollkommen sicher zu sein, wie absolut verkommen die Gegenseite ist. Solche Sicherheiten will McDonagh brillant erschüttern, dafür nimmt er sogar eine gewisse Herzlosigkeit in Kauf. Es geht ihm nicht wirklich um Mordopfer und die Gefühle ihrer Eltern, es geht ihm nicht wirklich um Polizeigewalt und Rassismus, und es geht ihm erst recht nicht um reale Kleinstädte im Süden der USA.

Worum es ihm geht, ist die Wut seiner Zuschauer, ihre Gefühle, die er immer wieder verwirrt, erschütternden Umkehrungen unterwirft und mit riesigen Fragezeichen entlässt. Dass deshalb nun eine Debatte läuft, die ihn aus allen Oscar-Empfehlungen möglichst ausschließen will, beweist nur die Klarsicht seines Films - und die Richtigkeit seiner Analyse.

...


Aus: "Ein Film, der allen trotzt" Tobias Kniebe (29. Januar 2018)
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/three-billboards-outside-ebbing-missouri-im-kino-ein-film-der-allen-trotzt-1.3837138

Textaris(txt*bot)

#272
Quote[...] Ellen Kositza will ein ganz, ganz anderes Deutschland; darin ist sie sich mit Kubitschek einig. Hauptthema und prägendes Lebensgefühl in Schnellroda: der vermeintlich drohende Untergang des deutschen Volkes durch Massenmigration und angebliche Selbstverleugnung. Dass die Zuwanderung aus dem arabischen Raum für die Freiheit von Frauen eine echte Gefahr darstelle, ist im Moment Kositzas Haupteinsatzgebiet. ... Ellen Kositza sieht Schnellroda, wo sie und ihr Mann mit sieben Kindern und einer Handvoll Tieren wohnen, als Modell des Gegenlebens, als Widerstandsnest. In den Osten seien sie gezogen, weil der ihnen "weniger gehirngewaschen" erschienen sei, der Westen dagegen als satt und politisch korrumpiert. Das Lebensmotto des Hauses, oft im Gespräch, in Aufsätzen wiederholt: "Etiam si omnes, ego non" – frei übersetzt: Auch wenn alle mitmachen – ich nicht. Es war das Motto, mit dem die bürgerliche Opposition gegen den Nationalsozialismus ihre Haltung zusammenfasste. Kositza nennt als eines ihrer Idole die Widerstandskämpferin Sophie Scholl.

... Tatsächlich: Niemand in Schnellroda, überhaupt bei der Neuen Rechten, sieht eine Anmaßung darin, die eigene Gegnerschaft zur Regierung Merkel oder den Verzicht auf Handys und RTL2 zum Widerstand auf Flughöhe der Weißen Rose zu adeln. Es stimmt: Bücher von Antaios wurden von Amazon aus dem Sortiment genommen (nicht direkt Merkels Schuld). Die Deutsche Bank, sagt Kositza, habe ihre Konten gekündigt. Als Kubitschek und Kositza in Erfurt einmal aus dem Kino kamen, wartete ein Trupp der Antifa auf sie. Alles nicht schön, sicher. Aber an einen Nachmittag bei der Gestapo reicht das in Summe doch wohl nicht so ganz heran.

... Nicht ohne Stolz erzählt sie, dass schon ihre Mitschüler sie als "anstrengende Einzelgängerin" beschrieben hätten, "deren dauernde Provokationen nerven. Nebenbei: knallrechts." Ein Papakind sei sie gewesen, stets die Erste auf dem Bolzplatz mit den Jungs, "besonders hart im Nehmen". Tja: "freiheitsliebend bis zur Aufmüpfigkeit" – man könnte fragen: Wer ist das nicht? Aber diese Selbstbeschreibung als Rebell gehört bei der Neuen Rechten bis zur AfD zum guten Ton. "Die Angepassten, das sind heute die Linken. Rechts ist richtig, und Linke lügen" – so sagt es Ellen Kositza in einer Onlinebotschaft.

Bei Kositza ist die Vertriebenenerfahrung beider Eltern prägendes Motiv. Die Familie der Mutter stammt aus Oberschlesien. Als die Russen anrückten, habe sich Kositzas Großvater, ein Bahnangestellter, unbewaffnet, mit Kollegen im Wald versteckt. Die Rotarmisten hätten ihn gefunden, auf den Hof der Familie gebracht, erschossen und seine Leiche vor Frau und Kindern mit dem Panzer überfahren.

... In vielen Texten der Neuen Rechten wird geraunt und gejüngert. Kositzas Ton ist leicht, direkt, spöttisch, manchmal selbstironisch. Ihr Hauptthema sind Männer und Frauen, "Geschlechterhändel und Gefühlsmoden", wie sie sagt. Sie ist seit Jahrzehnten Abonnentin der Emma, ohne da inhaltlich auf einer Linie zu sein. Der Kerngedanke ist nicht kompliziert: Frauen und Männer sind nicht gleich; es bedeutet etwas, dass Frauen Kinder kriegen können; das Aggressive, Kriegerische gehört zum Mannsein, hat nicht domestiziert zu werden.

... Der Anblick eines Männerdutts kann Kositza in Rage bringen: "Ich habe geschwiegen, als das Drogerieregal für Herrenkosmetik breiter als zwei Meter wurde. Ich habe geschwiegen, als rosa Herrenhemden Mode wurden. Ich habe sogar Männer mit Tragetuch verteidigt", schreibt sie in einer Kolumne. "Aber zu den derzeitigen Heerscharen von Männern mit Dutt kann ich nicht schweigen. Es muss raus: Ihr Modeopfer, ihr Lackäffchen, ihr Stutzer, ihr Schwimmärmelträger, ihr Stromlinienförmigen, ihr Grazien! Ihr seht vollkommen beknackt aus." Kositzas Lieblingsautorin – für deren jüngstes Buch Antaios sich die Rechte besorgt hat – ist die amerikanische Kulturhistorikerin Camille Paglia. Paglia ist – ganz nach Kositzas Geschmack – der Meinung, die westliche, feministisch geprägte Kultur versuche, der Sexualität und den Kräften der Natur alles Brutale, Dunkle und Aggressive auszutreiben. Eine Frau, die im Minirock nachts in eine Kaserne gehe, brauche sich über nichts zu wundern.

Kositza erzählt, sie habe in ihrer Zeit in Offenbach und Frankfurt viel sexuelle Übergriffigkeit, Bedrängung bis zu einem Vergewaltigungsversuch erlebt – "von immer denselben Horden fremdländischer Männer". Sie habe einen von Lesben angebotenen Selbstverteidigungskurs gemacht. Die Kombination des Frauenthemas mit dem Migrationsthema lag aus ihrer Sicht auf der Hand. Die Übergriffe der Kölner Silvesternacht inspirierten Kositza zu ihrem Buch Die Einzelfalle. Warum der Feminismus immer die Straßenseite wechselt.  Der Feminismus wie der Rest der Linken weigere sich, die kulturellen Zusammenhänge der Übergriffe mit dem Frauenbild muslimischer Länder zu sehen. Kositza kann Daten und Orte herunterbeten, in denen, wie sie sagt, "Ingenieure und Bereicherer" Frauen angegriffen oder vergewaltigt hätten. Gegen Ausländer habe sie allerdings nichts, wie man darauf komme? Hier tritt einem das Unterkomplexe in Kositzas Texten entgegen: Es gibt keine Ambivalenz. Rechts ist gut, links ist verlogen. Einwanderung, Massenflucht ist nur Untergang; was damit sonst verbunden ist, geht sie nichts an. Wieder und wieder wird einem versichert, gegen integrierte Ausländer habe man nichts – aber wer das entscheidet, ob einer deutsch genug ist, das fällt dann wieder nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. In Schnellroda wohnen Partisanen, keine Politiker.

Kositza kann leicht akzeptieren, dass man nicht links sein muss, um nicht mit ihrer Haltung übereinzustimmen – was vielen bei der Neuen Rechten schwerfällt. Nur ist das am Ende nicht wichtig. Auch die AfD ist für Kositza nicht wirklich wichtig. Die Stimmung in Schnellroda, das Lebensgefühl ist dramatischer. Man sieht sich als das eine Prozent der Bevölkerung, das nicht schläft, das die Gefahr erkannt hat und zum Handeln bereit ist – was immer das heißen soll.

Quotezauberkiste #31

Die Überraschung des heutigen Tages. Die Zeit hat sich durchgerungen, über einen "rechten Lebensstil" (einigermaßen) neutral und sachlich zu berichten ! Und über Mitbürger, die "rechts" richtig finden.

Meine Hochachtung! Das hätte ich nicht erwartet. Es wird aber auch höchste Zeit, die "rechtsdenkenden" Menschen, hier in diesem Land, in dem wir gut und gerne leben, nicht pauschal zu diskreditieren. Die Vernunft gebietet es, in einen gesellschaftlichen Diskurs einzutreten. Der Anfang ist gemacht.


Quoteloge1881 #3

+ Für Kubitschek und Kositza gibt es keine Ambivalenz. Rechts ist gut, und links lügt. Basta. Dabei ist Ambivalenz ein Kernzustand der Demokratie. +
Von Ambivalenz in diesem Sinne ist aber auch in den Medien nicht mehr viel vorhanden ... was sagt das über den Zustand der Demokratie?


QuoteNiveauPeak #3.3

Volksverräter Merkel, Einheitsparteien, Volksverräter im Bundestag, Umvolkungspolitik der Altparteien....
Haben Sie die letzten Jahrw geschlafen?


QuoteSchnorg-der-Grosse #3.15

Die Frage ist ja überhaupt, ob Frau Kositza tatsächlich "rechts" ist, auch wenn sie das von sich behauptet. Sie erscheint mir eher recht wertekonservativ und wie eine störrische alte Dame aus vergangener Zeit. Was man ihr zugute halten kann ist, dass sie tatsächlich lebt was sie predigt. Das wiederum trifft auf die sogenannten Linken nur selten zu.


QuoteNorfield #3.17

Ich find's ja irre komisch, dass sie genau das Männlichkeitsbild propagiert, dass sie an den Männerhorden kritisiert. ... Da musste ich mir echt an den Kopf langen...


QuoteLangley #5

Freiheitsliebend und für Formstrenge, Hierarchie, Tradition. Aber das sich das gegenseitig ausschließt überschreitet ihren Horizont anscheinend.


QuoteW.Sherman #5.2

"Freiheit ist Dienst an der Gemeinschaft in eigener Verantwortung" - so formuliert die rechtsextreme (ja, trifft in dem Fall wirklich zu) Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn ihren Freiheitsbegriff auf iher Homepage. Warum ich das an der Stelle zitiere?
Wer ein bisschen auf Sezession.de herumstöbert (sollte man ruhig mal machen, dann merkt man auch schnell, wie intellektuell dürftig das letztlich alles ist), dem wird auffallen, dass genau das der Freiheitsbegriff ist, von dem auch dort ausgegangen wird. Wenn Rechtsradikale "Freiheit" sagen, dann meinen sie niemals individuelle Freiheit. Bezeichnenderweise ist der Hauptfeind der Neuen Rechten um Kubitschek nicht die Linke, sondern der Liberalismus.


QuoteKöllefornia111 #5.1

... sie macht sich ihre Welt, wie sie ihr gefällt....
Hey Pippi..... usw.


QuoteAllesKeinProblem #7

Rechts sein, bitte schön. Aber sich selbst in der Tradition der Weißen Rose zu sehen ist so krass und massiv frech, da bleibt mir die Spucke weg.
Passt aber super zur sonstigen Strategie der Verwirrung und Provokation ...


QuoteMaraska53 #3.18

"Volksverräter Merkel, Einheitsparteien, Volksverräter im Bundestag, Umvolkungspolitik der Altparteien...."
Und das sind für sie Lügen? Was halten sie dann von der "sozialen Gerechtigkeits-Show" der SPD?
Ist für sie o.k.?


Quoteparrot0815 #7.7

Die "rechte Weltanschauung" stolpert nicht, weil es im Prinzip gar nicht darum geht, Ausländisches grundsätzlich abzulehnen. Es geht nur darum, das abzulehnen, was einem selbst nicht nützt. Das Phänomen "Rechts sein" scheint mir ein extremer Egoismus gepaart mit einem gewaltigen Minderwertigkeitskomplex zu sein.


Quote
Marzipan #7.8

> Das Phänomen "Rechts sein" scheint mir ein extremer Egoismus gepaart mit einem gewaltigen Minderwertigkeitskomplex zu sein. <

Wo beginnt nach dieser Definition dann "rechts", parteipolitisch betrachtet?Ordnen Sie die CSU rechts ein?
Und welcher politischen Richtung ordnen Sie das Phänomen "Egoismus ohne Minderwertigkeitskomplex" zu?


Quote
Paul Ericsson #11

"Dressurreiten, echt, ich gerate heute noch ins Schwärmen. Dieser Einklang von Befehl und Gehorsam, in vollkommener Harmonie!"
Das geht ab!


QuoteWuselnator #16

So so, der feinen Dame ist es also nicht mehr herrschaftlich genug auf dem Gestüt. Sind das diese anti-Elitären mit dem Draht zum einfachen ,,Volk" von denen immer die Rede ist? :)


QuoteAllesKeinProblem #16.1

Die Dame erfüllt den Wunsch des einfachen Volkes nach ein bisschen völkischer Reinheit und Sicherheit gepaart mit adeligem Glamour.
Hätten die Rechten sowas wie die Bunte, sie wäre dort vermutlich Dauerthema.


QuoteBeim Rettungsring daneben gefasst #18

Ich habe jetzt nicht verstanden warum sie "Knallrechts" ist. Weil die Verwirrten der Antfa ihr zu Hause auflauern? Oder weil Sie Merkel nicht gut findet? Weil sie keine Handys kauft? Oder einfach weil Sie im Osten lebt?


QuoteGalapagos 12 #18.1

Eher wohl weil sie ein Lebensmodell pflegt das so gar nicht mehr in den "Zeitgeist" passt und dann noch sieben Kinder, mein Gott, früher hätte die Frau doch glatt das Mutterkreuz gekriegt . ...


QuoteBeim Rettungsring daneben gefasst #18.6

Und wenn ich mich selbst als den größten lebenden Zeitgeist bezeichne, dann bin ich das? Weil Sie sich moralin überlegen geben, macht Sie das zu einem "Knalllinken"? ...


QuoteSchneeregen #26

Wo bleibt der Aufschrei der bei Genderdebatten sonst so regen Kommentatorenschar, wenn die Dame Männer derart beschimpft, weil diese die Kosmetika verwenden und bestimmte Frisuren tragen? Warum soll es unmännlich sein, wenn Männer das tun und sich so anziehen wollen, wie es ihnen gefällt?
Genau hier, bei diesem erzkonservativen Geschlechterbild, offenbart sich doch, wer wirklich die Männer verachtet.


QuoteM.Aurelius #39

Vielen Dank für dieses wortreiche Sittengemälde, fast schon im Stile von Hofberichterstattung. Wenn man den Aufmacher liest - "Frontfrau der Neuen Rechten" und "nationalistischer Feminismus" - und das Portrait einer politischen Frau erwartet, wird man vollständig enttäuscht. Die meisten Aussagen liegen unter der Banalitätsgrenze und mögen für die "Yellow Press" ausreichen, aber die Belanglosigkeit in einem Artikel über die "neue Rechte" erschreckt. Was ist mit den politischen Positionen der Rittergut-Bewohnerin? Hat Sie außer zu Pferden und Kinder nichts zu sagen?


Quotei wanna know #42

Ich stimme der Dame zu, dass Männer mit Dutt nicht besonders attraktiv sind .... in allem anderen bin ich anderer Meinung.

Wenn jemand als 10jähriges Mädchen bereits "Zucht und Ordnung" toll findet - für das Lebewesen dressiert, wahrscheinlich sogar gequält werden (wenn man Berichten über professionellen Pferdesport trauen darf), halte ich das für merkwürdig.

Freiheit ist schwer: man muss tagtäglich selbst Entscheidungen treffen und deren Konsequenzen tragen. Niemand ist da, der einem sagt, was man tun soll, was gut und was schlecht ist. Es gibt kein Schwarz-Weiß, sondern eine Menge Grautöne und dazu auch noch Farben. Man muss selbst denken, sich informieren, eine Meinung bilden. Offensichtlich gibt es eine Menge Leute, denen all das zu schwer, zu anstrengend ist. Schade, sie wissen gar nicht, was sie verpassen.


Quote
eve online #45

"Pure Herrlichkeit!", erinnert sich Kositza. "Dressurreiten, echt, ich gerate heute noch ins Schwärmen. Dieser Einklang von Befehl und Gehorsam, in vollkommener Harmonie!"

PRUUUUUUUUST


QuoteZeitleserwissenmehr #45.3

Sie könnte ja Berufssoldatin werden wenn sie drauf steht.


Quote
Tokei.Ihto #54

Ich habe nicht viel gemein mit Frau Kositza, aber es ist gut zu sehen, wie der Wiederstand gegen Merkel durch alle Schichten und Altersgruppen geht.


QuoteLouiDerLustigeLeguan #54.1

"Wiederstand" ...


Quotezutzev #55

kommt sehr sympathisch rüber, die Dame.
Der Artikel ist - vergleichsweise - neutral gehalten, vielleicht wirds ja noch was.

Folgenden satz möchte ich ergänzen:
"Rechts ist gut, und links lügt. Basta. Dabei ist Ambivalenz ein Kernzustand der Demokratie."

Die Gegenseite behauptet:
"Links ist gut und Rechts lügt. Basta."
Dabei sei doch Ambivalenz ein Kernzustand der Demokratie.


Quote
CarlitoJ #56

Ein hermetisch geschlossenes, esoterisch-faschistisches Weltbild. Da ist leider kaum etwas zu machen, keine Hoffnung auf Einsichten. Die zentrale Metapher: Dressur. Die Kinder können einem leid tun.


Quotedandyesker nichtstuer #57

irgendwie hat sie recht: die Deutschen sind das chaotischste Volk der Welt. Deswegen das umfangreichste Gesetzbuch, die höchste Anzahl von Verkehrsschildern. Diese Ordnungssysteme werden von ihr durch eine rigide Ritualisierung des Alltagsleben ergänzt.


Quote
Zeitleserwissenmehr #59

Ich hörte mal eine langee Radioreportage, in dem eine Busreise nach Schlesien begleitet wurde. Die Passagiere: heutige erwachsene Deutsche, die ihr Leben lang von den Grosseltern melancholische Geschichten über den verlorenen Familienstammsitz in Ostpreussen gehört hatten. Spannend fand ich dass offenbar das ganze Leben der Grosseltern um die Trauer um verlorene Schlösser und Landgüter kreiste. Die jüngeren Leute sind mit einer Vorstellung eines feudalen Ritterguts aufgewachsen, in dem nun Polen leben.

Durch die Reportage hindurch, Gutsbesuch für Gutsbesuch, machte sich eine Art erleichterte Ernüchterung bei den Reisenden Luft. Die besuchten "Güter" waren einfache Bauernhöfe aus Ziegelstein, manchmal mit Wirtschaftsgebäuden, meist jedoch gewöhnliche Höfe. Mir schien, dass die meisten der Reisenden damit Frieden machten mit dem überhöhten Verlust, den ihre Grosseltern empfanden. Am Ende war es dann in ordnung, eine westdeutsche Karriere als Ingenieur statt Mist schaufeln in einem preussischen Bauernhof gehabt zu haben.
Ich frage mich, ob diese Sehnsucht nach Rittergut, Tradition und Disziplin nicht ein Konglomerat von romantisierten Idealvorstellungen ist, die so nie existierten.

In Polen, Slowakien und der Westukraine entsteht gerade eine Galizien-Nostalgie, die ähnliche "früher-war-alles-besser"-Nostalgi in gleich drei Ländern zu erzeugen scheint.
Vermutlich träumen wir alle von einem Leben mit weniger Komplexität durch feste Regeln und Traditionen. So oder so.


QuoteMichael Hassemer #61

Hofberichterstattung im schönsten Doppelsinne des Wortes.


QuoteBluelion #68

Erstaunlich, was jetzt alles so unter " links" verstanden wird...
Früher war man links, wenn man das Privateigentum an Produktionsmitteln , vorallem das der großen Konzerne, verstaatlichen wollte.
Was heute als "links" bezeichnet wird, hat mit dem ursprünglichen Begriff nichts mehr zu tun, selbst H. Clinton ist für manche eine Linke.


Quote
Karl Lauer
#69  —  vor 5 Stunden 10

"Ich habe geschwiegen, als das Drogerieregal für Herrenkosmetik breiter als zwei Meter wurde. Ich habe geschwiegen, als rosa Herrenhemden Mode wurden. Ich habe sogar Männer mit Tragetuch verteidigt", schreibt sie in einer Kolumne.

Nice –, immer für einen Niemöller gut, ...

Als Sie die Herrenkosmetikprodukte einführten, habe ich geschwiegen; ich kaufte ja nicht im Drogeriemarkt. Als Sie die ...


QuoteFuchs im Winkel #73

Und was hätte wohl Marion Gräfin Dönhoff mit ihrem Trakehner Alarich dazu gesagt?


QuoteMarybeth #110

Unter umgekehrten Vorzeichen galt Links jahrzehntelang als Avantgarde und Zeichen von Intellektualität. Man musste die Stichworte eigentlich nur nachplappern um sich
schon als besserer Mensch vorzukommen. Die 68er waren nötig, weil eine damals vorherrschende Denke und unkritische Lebensform an überholten Normen und Hierarchien orientiert, repressiv und autoritär dringend einer Reform bedurfte. Heute bedarf die Reform wieder einer Reform und nach soviel Joga, Selbstverwirklichung und Selbstfindung, negativen Schwingungen und erlebtem Weltschmerz, passiven Untergangsängsten und sich gegenseitig betütelnder Selbstverliebtheit sind plötzlich wieder Standpunkte und ihre Begründungen gefragt.


Quotealice_42 #146

>>" ... Es muss raus: Ihr Modeopfer, ihr Lackäffchen, ihr Stutzer, ihr Schwimmärmelträger, ihr Stromlinienförmigen, ihr Grazien! Ihr seht vollkommen beknackt aus." <<

Das ist natürlich eine hochwichtige Thematik und sollte doch wie gerufen kommen für eine, die sich für "freiheitsliebend bis zur Aufmüpfigkeit" hält: da kann sie ihre Freiheit ausleben und öffentlich sagen, dass irgendwer in ihren Augen vollkommen beknackt aussieht. Und gleichzeitig für die Freiheit der anderen, die u.a. darin besteht, Kuschelrock zu hören oder vollkommen beknackt auszusehen, eintreten.

Aber so weit reicht die aufmüpfige Freiheitsliebe dann wohl doch nicht. Albern.


Quoterumbati #148

"Familienkosmos"

Erfischend, da gehts ja zu, wie in so manchem Grünen-Haushalt.


Quotemvogelsteller #158

Ironischerweise pflegen die meisten Flüchtlinge genau jenen Lebensstil, den diese Frau in Deutschland so vermisst (kinderreiche Familie, Frau am Herd).


QuoteSuryo #173

"Sie habe alle Kinder zu Hause bekommen, manche auf allen vieren hockend,"

Meine Güte. Das klingt schon eher nach brauner Esoterik. Mich würde es nicht wundern, wenn Kositza und Kubitschek ihre Kinder nicht impfen. Nach dem Motto "Masern machen hart".


Quote
Caro Maißhardt #173.1

Meine Mutter wurde auch im Haus meiner Oma geboren. Aber dabei hat sie gelegen. Ist das nun braun?


Quote
Sol Invictus #173.2

In Berlin-Friedrichshain wohnen die meisten Impfgegner Berlins. Alles Grün-alternative.


Quotewaloo #173.3

Wo und in welcher Stellung bringt man denn als anständige Rotgrünin sein Kind auf die Welt?


QuoteSuryo #173.5

Es geht hier nicht um Hausgeburten, es geht um die Hockstellung. diese wird bei bestimmten Naturvölkern immer noch praktiziert und mag ja per se auch gar nicht schlecht sein, aber es hat halt seinen Grund, warum Kositza das so herausstreicht: sie will das Naturhafte, Urtümliche, "Primitive" der Mutterschaft herausstreichen. Außerdem soll natürlich signalisiert werden: "Seht her, wie hart im nehmen ich bin. Andere Frauen brauchen ja vielleicht ein Bett oder gar Epiduralanästhesie bei der Geburt, aber ich gebäre noch, wie die Natur es der Frau gebietet!"


Quote
Caro Maißhardt #173.9

Wenn Kositza ihre Kinder zuhause rauspresst, ist das ja allein ihre Sache. Wenn sie das natürlich und besser findet, bitte. Ich denke, die meisten Frauen lassen sich davon wenig beeindrucken und gehen ins Krankenhaus.
Ich finde, man sollte nicht einfach in jedem bisschen bei dieser Frau nach irgendwas mit Nazi fischen.
Was Natürlichkeit und Familienverbundenheit angeht so hat sie da doch eine recht antiautoritäre Einstellung.


QuoteOberstudienrad #176

Alles was nur einen Millimeter von Mainstream abweicht wird in diesem
bunten und tolrantem Land niedergebrüllt.


QuoteAllesKeinProblem #176.1

Mimimimimi...


...


Aus: "Ellen Kositza: "Nebenbei: knallrechts"" Mariam Lau (30. Januar 2018)
Quelle: http://www.zeit.de/2018/05/ellen-kositza-neue-rechte-feminismus-rechte-frauenbewegung/komplettansicht

Textaris(txt*bot)

#273
Quote[...] Deutschland ist ein bürgerliches Land. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land lebt und denkt bürgerlich. Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland. Das hat nicht zuletzt die Bundestagswahl 2017 wieder ganz klar gezeigt.

Und doch dominiert in vielen Debatten eine linke Meinungsvorherrschaft eine dieses Schauspiel ertragende bürgerliche Mehrheit. Der Ursprung dafür liegt vor genau 50 Jahren, im Jahr 1968. Damals haben linke Aktivisten und Denker den Marsch durch die Institutionen ausgerufen und sich schon bald Schlüsselpositionen gesichert in Kunst, Kultur, Medien und Politik. Sie wurden zu Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit. Die 68er waren dabei immer eine Elitenbewegung, eine Bürger- Arbeiter- oder Volksbewegung waren sie nie. Sie kamen aus den Hörsälen und Redaktionsräumen, aber nicht aus den Reihenhäusern und Fabriken. Deswegen waren die 68er zwar nahe an der Macht, aber sie blieben weit weg von den Menschen. Der Kampf um das bessere Argument wurde schnell ersetzt durch den unverrückbaren Glauben an die eigene moralische Überlegenheit. Aus dem Aufbruch der Studenten wurde ein ideologischer Feldzug gegen das Bürgertum, mit dem Ziel der Umerziehung der bürgerlichen Mitte.

Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg, aber der Prenzlauer Berg bestimmt die öffentliche Debatte. Deshalb haben immer mehr Menschen den Eindruck, dass sie in den Debatten mit ihren Positionen, ihren Meinungen und ihrem Alltag nicht mehr stattfinden. Dass der politische Kampf um Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Toleranz allen gilt, nur nicht ihnen. Dass diejenigen, die viel über Vielfalt reden, in Wahrheit nur eine Meinung akzeptieren – ihre eigene. Das wollen wir ändern und wieder alle Menschen in unserem Land mitnehmen.

Die CSU war von ihrem Beginn an ein kraftvolles Bindeglied aller gesellschaftlichen Gruppen, Arbeitern und Angestellten, Landbevölkerung und Städtern, Katholiken, Protestanten und Konfessionslosen, Liberalen und Konservativen, Kosmopoliten und Nationalen. Damit waren wir die erste Volkspartei der jungen Bundesrepublik – und damit sind wir heute die erkennbare Volkspartei Deutschlands. Wir waren und wir sind die Vertreter des demokratischen Spektrums Mitte-Rechts.

Fünfzig Jahre nach 1968 wird es Zeit für eine bürgerlich konservative Wende in Deutschland. Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus hatten ihre Zeit. Der neue Islamismus attackiert Europas Freiheitsidee und Selbstverständnis und darf seine Zeit gar nicht erst bekommen. Darum formiert sich in Deutschland eine neue Bürgerlichkeit. Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik. ...


Aus: "Mehr Bürgerlichkeit wagen - Plädoyer für eine bürgerlich-konservative Wende"
Alexander Dobrindt MdB, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag (04.01.2018)
Quelle: https://www.csu-landesgruppe.de/themen/innen-und-recht-verbraucherschutz-und-kommunalpolitik/mehr-buergerlichkeit-wagen-plaedoyer-fuer-eine-buergerlich-konservative-wende

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Quote[...] Deutschland im Jahr 2018: Nach einer 1968 begonnenen linken Revolution beherrscht der Staat das wirtschaftliche und soziale Leben, die Mehrheit der Menschen kommt nicht zu Wort, linke Eliten drangsalieren sie mit Verboten und versuchen seit Jahrzehnten, das Volk umzuerziehen. Die Bürger ertragen dieses Schicksal. Doch zum Glück gibt es Alexander Dobrindt. Der CSU-Landesgruppenchef ruft eine konservative Revolution aus und rettet die Nation - und, noch viel wichtiger, die absolute Mehrheit seiner Partei in Bayern.

... Wie bitteschön kommt Dobrindt denn auf die Idee, dass es in Deutschland seit Jahrzehnten eine Dominanz der Linken gibt? Hat der CSU-Mann vielleicht übersehen, dass wir seit einer gefühlten Ewigkeit von der Union regiert werden? In den 50 Jahren, die seit 1968 vergangen sind, waren CDU und CSU 29 Jahre an der Macht, 28 davon in den letzten 35 Jahren. Und die CSU hat in Bayern seit 1968 genau 50 Jahre lang das politische Geschehen bestimmt, 38 davon mit absoluter Mehrheit.

... Aber vermutlich sind es ja auch gar nicht die 68er, die Dobrindt ins Visier nimmt, sondern vielmehr die Wähler der AfD, die im Herbst ihr Kreuz bei den Christsozialen machen sollen. Der Ton seines Essays erinnert jedenfalls stark an die Rhetorik der Populismus-Konkurrenten der CSU, deren Parteichef Jörg Meuthen schon 2016 wetterte, man müsse "weg vom links-rot-grün verseuchten 68er- Deutschland". Und ebenso wie die 13-Prozent-Partei AfD vorgibt, sie spräche für das ganze Volk, behauptet Dobrindt, seine unterdrückten Bürgerlichen seien die Mehrheit im Lande. Belege dafür liefert er nicht.

...


Aus: "Alexander Dobrindt bricht in Panik aus" (05. Januar 2018)
Quelle: https://www.stern.de/politik/alexander-dobrindt-bricht-in-panik-aus---ein-kommentar-7810520.html

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Quote[...] Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, fordert in einem Zeitungsbeitrag eine "konservative Revolution". Damit verwendet er einen Begriff, der für intellektuelle Rechtsextreme so prägend ist wie kaum ein anderer. In einem Gastbeitrag in der Welt (04.01.2018) hat Alexander Dobrindt sieben Thesen zu Deutschland veröffentlicht. Es geht um "Christlichen Glauben", "Der Einzelne und die Familie", "Heimat und Vaterland", "Europa und Abendland", "Freiheit", "Sicherheit" und "Wohlstandsaufbruch". Aus seinem Hauptkredo, in Deutschland herrsche eine linke Hegemonie, leitet Dobrindt ab, dass es nun einer ,,bürgerlich-konservativen Wende" bedürfe.
Trotz jahrzehntelanger Regierungsbeteiligung der CSU behauptet Dobrindt, ,,linke Aktivisten" seien seit 1968 zu ,,Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit" geworden. Daher ruft er nun zur "konservativen Revolution" auf:

,,Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik."

Der Begriff, den Dobrindt zu setzen versucht, ist der der Konservativen Revolution. Dieser Begriff ist allerdings nicht neu. Besonders beliebt war er in den 1920-1930er  Jahren. Da nutzen Intellektuelle den Begriff der "Konservativen Revolution" für ihre Ideen, auf denen schließlich der Nationalsozialismus fusste. Seit den 1960er Jahren ist der Begriff der "Konservativen Revolution" deshalb ein Schlüsselbegriff der rechtsextremen Strömung, die sich die "Neue Rechte" nennt und sich auf die Weimarer Konservative Revolution bezieht .

Die Konservativen Revolutionäre formierten sich nach dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches 1918/1919: Zum einen in Abgrenzung zu der als reaktionär verachteten Monarchie, zum anderen in Ablehnung der als anti-deutsch verhassten Demokratie. Den Versprechen der Französischen Revolution ,,Liberté, Egalité, Fraternité" wurden die Hoffnungen auf alte-neue Werte entgegengestellt.

Die konservativ-revolutionären Intellektuellen (Carl Schmitt, Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Othmar Spann, Edgar Julius Jung, Hans Freyer, Ernst Niekisch, Martin Heidegger etc.) begriffen sich als geistige Avantgarde. Einige von ihnen gelten als Wegbereiter der Nationalsozialisten und profitierten später von der Zusammenarbeit mit ihnen.

Sie bekämpften die Grundprinzipien der Weimarer Verfassung, vor allem das demokratische, parlamentarische System, den politisch-gesellschaftlichen Pluralismus und Liberalismus sowie das Gleichheitsprinzip. Die Ideologie der konservativen Revolutionäre verband traditionell konservative mit klassisch-rechtsextremen Elementen. So unterschiedlich die rechten Vordenker auch waren, gemeinsam war der Wunsch nach einer militärisch formierten, hierarchisch strukturierten und autokratisch regierten Gesellschaft. Der angestrebte autoritäre oder diktatorische Staat sollte von einer ,,neuen Aristokratie", von einer kleinen Elite oder einem Führer geleitet werden. Wie das geendet ist, können wir heute in unseren Geschichtsbüchern nachlesen.

In jüngerer Zeit galt einigen sich intellektuell gebenden Rechtsextremen die nationalistische ,,Alte Rechte" im Nachkriegseuropa ebenso wie der Nationalsozialismus als überholt. Als Gegenmodell zur linken Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre entwickelten sie eine neue Bewegung, die "Neue Rechte".

Ihre rechtsextremen Akteur_innen greifen auf die autoritären und elitären Denkschulen der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik zurück. Als wichtiger Akteur ist hier Armin Mohler zu nennen. Für das ganze Milieu der "Neuen Rechten" kann Mohler als geistiger Vater gesehen werden. Seine Mission war die Reorganisation des rechten Lagers nach der deutschen Kriegsniederlage. Zur Rettung der extremen Rechten konstruierte er eine eigene Strömung, die er in einen scharfen Gegensatz zum Nationalsozialismus rückte: die "Konservative Revolution". Der neurechte Tonangeber Götz Kubitschek zählt zu Mohlers letzten Schülern und hielt 2003 auch die Grabrede.

Ziel der "Konservativen Revolution" ist die Deutungshoheit in Sprache und Kultur, um eine Rückkehr zu vermeintlich konservativen Werten herbeizuführen.

An einer Stelle seines Gastbeitrags schreibt Dobrindt, Linke hätten sich "Schlüsselpositionen" in Kunst, Kultur, Medien und Politik gesichert. Dieser Sprachgebrauch erinnert stark an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Mit der Förderung einer völkischen Ideologie und der Propagierung von Hass gegen alles Liberale und Fremde hat sich die Führung um Orbán laut ihren Kritikern längst schon in die Nähe der internationalen "Neuen Rechten" und von deren extremeren Auswüchsen gerückt. Dieser autoritär regierende europäische Staatschef ist am Freitag Gast bei der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Kloster Seeon.

Eine weitere Möglichkeit, mit ungarischen Politiker_innen und Akteur_innen der "Neuen Rechten" über die "Konservative Revolution" zu sprechen und zu planen, bekäme Dobrindt vom 23. bis zum 25. Januar 2018. Dann nämlich lädt die ungarische ,,Öffentliche Stiftung für mittel- und osteuropäische Geschichts- und Gesellschaftsstudien" in Budapest zu ,,Die Konferenz Europas" ein. Die Führung der Stiftung ist von der Regierung eingesetzt, von der sie auch die Mittel erhält.

Einer der Redner wird neben dem ehemaligen "Breitbart"-Redakteur Milo Yiannopoulos der neurechte Rechtsextreme Götz Kubitschek, sein. Auf seinem Hauseigenen Blog ,,Sezession" hat er unter anderem einen Text veröffentlicht mit dem Titel ,,Die Stahlkraft der Konservativen Revolution". Dort heißt es:

,,Die sogenannte Konservative Revolution von 1918 bis 1932 hat bis heute ihre Strahlkraft auch deshalb nicht verloren, weil sie in ihren Hauptvertretern radikal und kompromißlos war, so ganz und gar bereit für etwas Neues, einen Dritten Weg, einen Umsturz, eine Reconquista, einen revolutionären, deutschen Gang in die Moderne."

Angesicht der anstehenden bayerischen Landtagswahl im Herbst diesen Jahres und der Angst der CSU vor Stimmenverlusten an die AfD  hat  Dobrindt womöglich den Eindruck, zündeln mit Rechtsaußen-Begriffen könne der CSU hilfreich sein. ...


Aus: "Konservative Revolution: Übernimmt Dobrindt einen Begriff der "Neuen Rechten"?" Kira Ayyadi (5. Januar 2018)
Quelle: http://www.belltower.news/artikel/konservative-revolution-dobrindt-%C3%BCbernimmt-begriffe-der-neuen-rechten-13125

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Quote[...] Der Historiker Volker Weiß hat das vielfältige Spektrum der neuen rechten Bewegungen untersucht. Im Interview mit dem hpd erklärt er unter anderem, was es mit dieser Neuen Rechten auf sich hat und welche Rolle die Aufklärung und Menschenrechte für sie spielen.

hpd: In Ihrem aktuellen Buch "Die autoritäre Revolte" haben Sie sich mit der sogenannten "Neuen Rechten" auseinandergesetzt. Was ist das Neue an der Neuen Rechten?

Volker Weiß: Die Neue Rechte ist erstmal nicht sehr neu. Sie ist schon mehrere Jahrzehnte alt und bezieht sich auf Quellen, die teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Sie unterscheidet sich aber von der sogenannten alten Rechten durch eine stärkere theoretische Ausrichtung und ein intellektuelleres Profil, durch eine bessere internationale Vernetzung und durch eine Orientierung an einem historischen Kanon der 1920er Jahre.

hpd: Gegen was konkret richtet sich die Neue Rechte?

Volker Weiß: Die Neue Rechte strebt letztlich einen Umbau der demokratischen Gesellschaften an, zurück in ein klar strukturiertes, hierarchisches Gesellschaftsmodell mit einer autoritären Führung, einem starken Staat und einem stark ausgeprägten nationalistischen Denken. Sie alle richten sich gegen die sogenannte Kulturrevolution von 1968, beziehungsweise gegen die Liberalisierung insbesondere von westlichen Gesellschaften in der Nachkriegszeit. Und sie richtet sich auch wesentlich weiter gefasst gegen den demokratischen Umbau nach 1945 in Europa. Das klingt sehr abstrakt, hat aber mittlerweile in einigen Ländern sehr konkrete Formen angenommen, etwa in Viktor Orbáns Konzept eines "illiberalen Staates" oder in der neuen österreichischen ÖVP-FPÖ-Koalition. Die Attraktivität dieser Vorstellungen reicht mittlerweile wieder bis in den bürgerlichen Konservatismus hinein, wie jüngst Alexander Dobrindts Rhetorik von einer "Konservativen Revolution" zeigte. In dieser Wirkung der Neuen Rechten sehe ich die größte Gefahr. 


hpd: Welche Rolle spielt dabei die historische Epoche der Aufklärung?

Volker Weiß: Die Aufklärung war immer verbunden mit dem Freiheitsgedanken und einer Emanzipation von Zwängen. Sie war deswegen seit jeher ein Gegenmodell. Man bezieht sich in der Neuen Rechten zudem auf gegenrevolutionäre Denker des frühen 19. Jahrhunderts. Es waren Denker, die sich sehr stark gegen die Aufklärung und gegen die Französische Revolution gestellt haben. Das ist der ewige Kampf, der geführt wird gegen das Denken nicht nur von 1789, sondern gegen das gesamte Projekt der Aufklärung, weil man letztlich in eine voraufgeklärte Welt zurück möchte.

hpd: Welchen Stellenwert nehmen Menschenrechte bei der Neuen Rechten ein?

Volker Weiß: Menschenrechte werden abgelehnt, weil sie universelle Freiheitsrechte sind. Die Neue Rechte geht davon aus, dass jede Nation und jedes Volk in seinem Gebiet seine Rechte bestimmen soll und dass es keine universellen Rechte gibt, die weltweit gelten.

hpd: Auch innerhalb der Linken gibt es kulturrelativistische Strömungen, die die weltweite Geltung der Menschenrechte infrage stellen...

Volker Weiß: Ja, durchaus. Die Linke müsste sich eigentlich auf ihre religionskritischen Wurzeln zurückbesinnen und sich der Herausforderung des Islamismus offensiv stellen.  Man könnte auch sagen, dass ein Denker wie Oswald Spengler in den 20er Jahren vergleichsweise wenig eurozentristisch war, da er die europäische Aufklärung auch in Europa abgelehnt hat und in seinem Denken beispielsweise für asiatische Kulturen große Aufmerksamkeit hatte. Und da gibt es heute einen Teil eines alternativen Milieus, das ganz ähnlich funktioniert, weil es die Schattenseiten der europäischen Geschichte mit der Notwendigkeit von Aufklärung verwechselt.

hpd: Sie beziehen sich in Ihrem Buch auch auf den politischen Islam und weisen auf ideologische Parallelen zu rechten Bewegungen hin. Worin bestehen diese?

Volker Weiß: Ja, ich sehe nicht nur in Deutschland und Europa eine autoritäre Revolte, sondern international. Dieses Phänomen ist eine Reaktion auf die Verunsicherung, die die Moderne immer wieder mit sich bringt und die in den letzten Jahren immer stärker wurde. Und da kann ich letztlich auch den politischen Islam mit einsortieren. Beide richten sich sehr stark gegen eine Befreiung des Subjekts, gegen eine Emanzipation der Frau, gegen eine Emanzipation von Minderheiten, gegen eine Gleichstellung auch von Homosexuellen. Und beide wollen vorgeblich ewige Werte, Tradition und alte Normen wieder in ihr angebliches Recht setzen.

hpd: Wie sollte man mit diesen unterschiedlichen Ausprägungen der autoritären Revolte umgehen?


Volker Weiß: Es ist wichtig einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von den Parolen irre machen zu lassen, sondern konsequent für die positiven Werte der Aufklärung zu fechten. Dann hat man automatisch den politischen Islam und die Neue Rechte als Gegner. Über diese Leute gilt es aufzuklären, dass sie keine Konservative sind, sondern eine wesentlich aggressivere Strömung repräsentieren, die teilweise auf den historischen Faschismus zurückgreift.

Quote

Werder Lantern am 29. Januar 2018 - 10:46

Irgendwie scheint sich alles in historischer Sicht zu wiederholen. Jedenfalls ist die These des objektiven Fortschrittsverlaufs der Geschichte total widerlegt. Materiell-technische Kompetenz und ethisch-intellektuelle Intelligenz driften immer weiter, und leider auch immer rasanter auseinander. - Faszinierend, mit welch wenigen Worten Weiß hier auskommt, um eine treffende wie betroffenmachende Zeitdiagnose zu stellen.


...



Aus: "Eine autoritäre Revolte gegen die Aufklärung" Florian Chefai (19. Jan 2018)
Quelle: https://hpd.de/artikel/autoritaere-revolte-gegen-aufklaerung-15189

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Quote[...] Seine Forderung nach einer "konservativen Revolution" irritiert nicht nur den möglichen nächsten Koalitionspartner SPD, sondern auch Kollegen aus den eigenen Reihen. Der Begriff ist nicht ohne Brisanz, stammt er doch aus dem Repertoire der Neuen Rechten. Den Historiker Volker Weiß, Autor des Buches "Die autoritäre Revolte - die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes", lässt das aufhorchen. Er erkennt in den Äußerungen des Christsozialen "eine Rhetorik, die wir aktuell eher von einem Donald Trump gewohnt sind", sagt er in einem Interview mit "heute.de".

Ein hartes Urteil, ist der US-Präsident im ersten Jahr seiner Amtszeit doch vor allem durch eine stets widersprüchliche Argumentation voller Unwissen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten aufgefallen. Das erkennt Weiß auch in der Forderung von Dobrindt. Er argumentiere widersprüchlich, stelle Begriffe einfach in den Raum, ohne sie korrekt einzuordnen. Einige "Denkfiguren", so Weiß, hätten mit der Realität wenig zu tun. "Das ist zum Beispiel die Behauptung, Deutschland sei ein linkes Land. Das stimmt nicht und ist nie der Fall gewesen", sagt Weiß in dem Interview. Man müsse sich ja nur anschauen, wer seit 1968 regiert habe - nämlich zumeist die CDU.

Das Abarbeiten an der 68er-Bewegung - genau 50 Jahre danach - bediene lediglich eine Legende, "die in der gesamten Rechten, aber auch im bürgerlichen Konservatismus fest verankert ist." Nämlich, dass der einfache Arbeiter nie von der kulturellen Liberalisierung profitiert hätte; dabei habe die bürgerliche Kultur im Zuge von '68 proletarische Elemente übernommen. Dobrindts so gezeigter Anti-Intellektualismus sei bedenklich, so Weiß. Die linke Revolution, zu denen die 68er-Bewegung von Konservativen gerne erklärt werde, sei diese nie gewesen. "Das ist Unsinn", stellt Weiß fest. Sie sei vielmehr eine notwendig gewordene Modernisierungs- und Liberalisierungsbewegung gewesen.

Dass Dobrindt das Zerrbild einer linken Meinungsherrschaft seit 1968 aufruft, zeigt nach Ansicht des Historikers, dass der CSU-Politiker "keine politischen Begriffe" mehr habe. Er verwechsle dabei links und liberal.  ...

Dass aus den Äußerungen des CSU-Landesgruppenchefs mangelnde Sachkenntnis à la Trump spricht, glaubt aber auch Weiß nicht. "Das ist klar kalkuliert", unterstellt der Historiker dem Christsozialen. Wenn dieser den Begriff der "konservativen Revolution" bemühe tue er dies in dem Wissen, dass er aus der Vorgeschichte des Faschismus stamme. Dobrindt zielt damit klar auf Wählerkreise der AfD. Er spiele mit dem Feuer und wolle in einem Milieu punkten, das die Union zuletzt verloren hat. Angesichts schwacher Umfragewerte für die im Herbst anstehende Wahl in Bayern fühlt sich die CSU unter Druck.

Ob Dobrindt, der zuletzt als Verkehrsminister selbst Teil der Regierung war, unter zur AfD abgewanderten Wählern glaubwürdig sein kann, scheint eher ungewiss. Dass sich ein etablierter Politiker zur Erreichung seiner Ziele bedenkenlos rechter Rhetorik bediene, hält der Historiker aber für gefährlich. "Es ist sicher ein Zeichen einer sehr bedenklichen Rechtsströmung im Moment. Und es signalisiert auch die Bereitschaft, Politik im Stile eines Donald Trump, Viktor Orban oder Wladimir Putin zu führen. Das sind heutzutage nämlich die Träger der sogenannten "konservativen Revolution", so Weiß auf "heute.de".


Aus: "Historiker Volker Weiß: Alexander Dobrindt wie Donald Trump: "Primitiv, populistisch, albern"" (06. Januar 2018)
Quelle: https://www.stern.de/politik/deutschland/alexander-dobrindt-wie-donald-trump--primitiv--populistisch--albern---so-historiker-volker-weiss-7811702.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Er sei nun Muslim und wolle in der AfD bleiben. Unbedingt. Das sagt der Brandenburger AfD-Politiker Arthur Wagner, der jüngst zum Islam konvertiert ist. Der 48-jährige Russlanddeutsche, der mit seiner Familie in Falkensee (Havelland) lebt, hat sich bislang nicht öffentlich über seinen Religionswechsel äußern wollen. Aber nun spricht der Konvertit über den Übertritt, über den selbst die BBC berichtet hatte.

Warum verlässt er die Rechtsaußenpartei nicht, die den Islam bekämpft? ,,Ich bleibe nationalkonservativ, bis ich sterbe", sagt Wagner dem Tagesspiegel. ,,Ich stehe dazu, ich kann nicht anders: Es gibt einen deutschen Geist, eine deutsche Seele. Fast jeder AfDler hat das." Und: ,,Wenn wir diese deutsche Seele, das Deutschtum nicht beschützen in den kommenden Jahren, dann ist das Ding weg, dann ist Deutschland weg."

Und dabei hat er seine Mission gefunden, die er auf einer Pressekonferenz am frühen Abend in Potsdam erläutert. Er hatte ins Restaurant ,,Fliegender Holländer" geladen, der Medienandrang war gewaltig. Nach seinem ,,Salamaleikum" folgte ein einstündiger Auftritt mit skurrilen Zügen.

Er sei zwar noch ein ,,kleines Kind in der großen Islam-Welt", sagte Wagner da, den man jetzt auch Ahmad nennen darf. Doch wolle er den jungen deutschen Islam mit den Nationalkonservativen versöhnen, Brücken bauen. ,,Wir müssen reden, wie Männer, wie Menschen." Und er spricht viel von ,,Liebe", ,,Frieden", seinen spirituellen Erfahrungen. Ja, er habe einen deutschen und einen russischen Pass, sagt Wagner irgendwann. Angela Merkel sei seine Kanzlerin, und Wladimir Putin sein Präsident. Zwar wolle er den russischen Pass abgeben, aber das sei ja kompliziert.

Er hat von den Gerüchten in der AfD gehört, dass er von Geheimdiensten geschickt worden sei. Polizei und Geheimdienste finde er auch gut, sagt er. ,,Ich habe damit nichts zu tun. Wenn die Fragen haben, können die sich gern an mich wenden!" Es sind sonderbare Szenen, die sich zutragen

Ehe er zum Islam konvertierte, habe er mit der evangelischen Kirche gebrochen.. Er sei in der früheren Sowjetunion aufgewachsen und ,,immer auf der Suche nach Wahrheit", sagt Wagner. ,,Ich war Atheist, ich habe als treues Parteimitglied gegen Kirchen gekämpft, bis 1989, bis ich 20 war."

Evangelischer Christ sei er im August 1989 geworden. Bei einem Besuch in Dresden habe er sich mit seiner Familie taufen lassen, ,,das war eine große spirituelle Erfahrung". Danach habe er ein halbes Jahr in Riga Theologie studiert, auch die orthodoxe und die neuapostolische Kirche kennengelernt.

Ausschlaggebend für seine Abkehr von der evangelischen Kirche fast drei Jahrzehnte später sei – neben deren Haltung zur AfD – vor allem der Christopher Street Day vorigen Sommer gewesen, bei dem auch Pfarrer teilgenommen hätten, sagt Wagner. ,,Das hat mich wahnsinnig gemacht. Da waren auch Kinder dabei. Für Kinder ist es nicht richtig, dass sie das hören und sehen."

Es sind Sätze wie aus einem anderen Jahrhundert, voller Ernst formuliert. Danach sei er mit der evangelischen Kirche fertig gewesen, wenngleich er den ,,bürokratischen" Austritt erst jetzt erkläre.
Zum Islam übergetreten sei er im Herbst 2017 beim Besuch einer Moschee im russischen Ufa, nachdem diese Idee schon einige Jahre in ihm gereift sei: ,,Ich habe mir erlaubt, es in mir wachsen zu lassen." Erklären könne er das alles nicht. Er habe auch plötzlich aufgehört, Schweinefleisch zu essen und zu rauchen. ,,Das lief von allein. Meine Familie ist glücklich. Alles schön", sagt Wagner.

Alles schön? Nicht für die AfD. Wagner, seit 2013 Parteimitglied, seit 2015 im Landesvorstand in Brandenburg, zog sich jetzt zwar aus der Parteispitze und auch als Vize-Kreischef im Havelland zurück. Doch in der Partei reicht das vielen nicht. ,,Viele Mitglieder erwarten nun auch Wagners Parteiaustritt", wird AfD-Kreischef Kai Berger auf der Partei-Homepage zitiert. ,,Wir werde keinen Druck auf ihn ausüben", heißt es dort. Doch der Druck folgt im nächsten Satz: ,,Die AfD bleibt selbstverständlich weiterhin die politische Kraft gegen die Islamisierung, die überall in der Gesellschaft Platz greift und vor der sie nun selbst nicht verschont geblieben ist."

Obwohl Wagner damit quasi zur Unperson erklärt wird, bemüht er sich, gelassen zu bleiben. Berger sei ,,ein direkter Typ" und es sei verständlich, dass in der AfD viele seinen Schritt nicht nachvollziehen könnten. Auf Landesparteichef Andreas Kalbitz, der den Religionswechsel zur Privatsache erklärte, lässt Arthur Wagner nichts kommen. Doch mit dem Anti-Islam-Kurs der AfD hadert er. Es gebe ,,im Islam gute und schlechte Leute".

QuotePat7, 31.01.2018, 22:23 Uhr

Man, hätte sich das ein Drehbuchautor ausgedacht, hätte ich gesagt was für ein saudoofer Plot. ... Der Herr konvertierte zum Islam weil die evangelische Kirche zu liberal und weltoffen ist. Er hat sich den Islam also genau deshalb ausgesucht weil er in ihm Werte erkennt die die AfD teilt.  ... Auf extra 3 gab es einen bösen Sketsch bezüglich der Gemeinsamkeiten von Islamisten und der AfD Einstellung. Manchmal imitiert die Wirklichkeit die Kunst.


Quoteder_schoeneberger 31.01.2018, 21:54 Uhr

    Ich war Atheist, ich habe als treues Parteimitglied gegen Kirchen gekämpft, bis 1989

...und dann die bisherige, da halt gerade kollabierende, Autorität gegen eine neue eingetauscht - die ja dann auch fast 30 Jahre lang getragen hat.
Bis dann auch die neue Autorität kollabiert ist (bzw. "verschwulte", vulgo als Autorität ausschied) - also die nächste...

Empfohlen seien Adornos Studien zum "autoritären Charakter" - da findet man nicht nur eine Erklärung für die Irrungen und Wirrungen des Herrn W. aus F., sondern auch für die der meisten anderen AFD-Jünger.


Quoteherjeh 31.01.2018, 20:11 Uhr
Herr Wagner ist wg. Pfarrer auf dem CSD zum Islam konvertiert . Lachhaft ! Herr Wagner, ja , es gibt auch schwule Priester ! Es gibt auch schwule Lehrer, schwule Künstler, schwule Väter, schwule Wissenschaftler, schwule Politiker ( oder lesbische -in der AfD-) und auch schwule Muslime. etc. Und Kinder dürfen und sollten wissen wie vielfältig die Welt ist. ...


QuotePressekritiker2 31.01.2018, 19:48 Uhr
... Es bleibt nun noch meine obligatorische Anmerkung, dass es natürlich auch sein kann, dass Wagner in Wahrheit ein Alter Ego Jan Böhmermanns ist, der die AfD von innen heraus und hinein islamisieren will, um sie im Anschluss kontrolliert explodieren zu lassen. Wer weiß. ^^


QuoteUndine 31.01.2018, 19:16 Uhr
Russlanddeutscher - Atheist - Wahrheitssucher - völkischer Nationalist - evangelisch - homophob - muslimisch - AfD-Mitglied. Na, wenn das mal keine "Patchwork-Identität" ist. ...


QuotePat7 31.01.2018, 22:32 Uhr

Antwort auf den Beitrag von Undine 31.01.2018, 19:16 Uhr

Ich kenne einen glühenden AfD Anhänger, der ist in puncto gesundes Essen grüner als die Grünen, bei sozialer Gerechtigkeit roter als die Roten und an völkischer Gesinnung braun wie die Brauen, das ganze garniert mit Verschwörungstheorien a la Querfront.

Den neoliberalen Touch der AfD über sieht er völlig. Er pickt sich nur raus was passt. Alles andere ist nur böswillige Propaganda der bösen Feinde. ...


Quotetzui 31.01.2018, 17:59 Uhr
Mich wundert die Verwunderung. Im tiefsten Inneren wissen auch die AfDler, dass konservative Muslime und nationalkonservative Christen deutlich mehr gemeinsam haben als sie trennt. ...


QuoteWolf-G 31.01.2018, 17:26 Uhr
Wagner scheint momentan ein Wertkonservativer auf Wanderschaft zu sein, mal evangelisch geworden, mal in die AfD eingetreten, nun einige Jahre als Moslem.....
Er sucht, und er wird noch eine Weile suchen und früher oder später an seinen Widersprüchen ergebnislos scheitern.
Vielleicht probiert er es später noch als veganer Buddist? Darf er, wir sind eine tolerante Gesellschaft. ...


...


Aus: "Arthur Wagner Warum ein AfD-Politiker zum Islam konvertierte" Thorsten Metzner (31.01.2018)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/arthur-wagner-warum-ein-afd-politiker-zum-islam-konvertierte/20912342.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] ZEIT Campus: Herr Sigusch, Sie sprechen seit vielen Jahren mit Paaren über ihr Sexleben. Sind die Deutschen schlecht im Bett?

Volkmar Sigusch: Ja, ohne Frage. Nach allem, was wir wissen, auch aus empirischen Studien, handelt es sich bei Paaren, die länger zusammen sind, um eine Praxis, die ich "Karnickelsex" nenne. Mit anderen Worten: rein, raus, gute Nacht. Das große Problem, das auch bei Jüngeren dahintersteht, ist, dass wir keine Ars erotica entfaltet haben.

ZEIT Campus: Was meinen Sie damit?

Sigusch: Wir haben keine Liebes-, Erregungs- und Sexualkultur, die den Namen verdient. Das liegt an der Entwicklung in den letzten tausend Jahren in Europa. Wir entschieden uns, Vernunft, Arbeit und Besitz zu unseren Helden zu machen. Sie sind die Kontrahenten erotischer Sinnlichkeit und sexueller Triebhaftigkeit. Das ist bis heute so. Selbst die Liebe soll bei uns vernünftig und fleißig sein.

ZEIT Campus: Wir sind zu vernünftig, deswegen haben wir schlechten Sex?

Sigusch: Ganz kurz gesagt: Ja.

ZEIT Campus: Dann wird es vermutlich schwierig, aus der Nummer rauszukommen.

Sigusch: Eigentlich bräuchten wir eine andere Kultur, die es uns erlaubte, beim erotischen Umgang miteinander alles Rationale zu vergessen, um angstfrei mit einem geliebten Menschen zu verschmelzen.

...

ZEIT Campus: Was ist für Sie das Wunderbare und Einzigartige an der Liebe?

Sigusch: Sie springt uns immer wieder aus der Reihe und lässt sich nicht wie Sex zu einem Geschäftsbereich erklären. Sie kann nicht produziert und nicht gekauft werden. Sie ist gewissermaßen das Negativ der Ware.

ZEIT Campus: Sie klingen jetzt etwas schwärmerisch. Ist nicht auch die Partnersuche im Internet wie ein Geschäft organisiert? Es gibt Angebot und Nachfrage, man präsentiert sich und seine Eigenschaften wie eine Ware.

Sigusch: Das würde ich nicht so kritisch einordnen. Die Suche im Internet ist heute für viele die beste oder sogar die einzige Möglichkeit, auf recht anständige Weise eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Ich möchte also um Gottes willen nicht alles vernichtend kritisieren, was uns heute sexuell möglich ist. Für viele Menschen ist das Internet eine zentrale Quelle ihres Sexuallebens. Sie schauen sich erregende Bilder und Filme an oder verabreden sich dort mit anderen Menschen.

ZEIT Campus: Haben Sie dafür ein Beispiel?

Sigusch: Einmal erlebte ich, dass ein Patient mit einer extrem seltenen sexuellen Perversion nach jahrelanger Suche im Internet endlich einen Gleichartigen in Australien fand und glücklich war. Sehr positiv aufgefallen ist mir auch immer wieder, dass Partner weniger analog fremdgehen, weil sie sich ja jederzeit virtuell vergnügen können. Das Internet kann also sogar Beziehungen retten.

...

ZEIT Campus: Viele Menschen wollen sich nicht mehr in das Mann-Frau-Schema pressen lassen und brechen mit klassischen Geschlechterrollen. Wie bewerten Sie das?

Sigusch: Ich denke, das gehört zur neosexuellen Revolution, also zu den Veränderungen der Sexualität seit den späten sechziger Jahren. Es gibt heute immer mehr Agender und Menschen, die zwischen den beiden großen Geschlechtern hin- und herschwanken. Für diese Menschen musste ich erst ein neues Wort erfinden: Liquid Gender.

ZEIT Campus: Sie haben auch den Begriff "Cis-Gender" geprägt, der in den Gender-Studies heute zum Standardvokabular gehört.

Sigusch: Diesen Begriff habe ich eingeführt, um die Transsexuellen endlich auch sprachlich anzuerkennen und einzuordnen. Ich kam darauf, weil es die Wendungen "transalpin" und "cisalpin" gibt, die "jenseits der Alpen" und "diesseits der Alpen" bedeuten. Jetzt also auch: jenseits und diesseits der Genitalien. Mit anderen Worten: Wenn es Cissexuelle gibt, dann muss es auch Transsexuelle geben. Das heißt, die sind ganz normal.

ZEIT Campus: Im amerikanischen Facebook kann man nicht nur zwischen "Mann" und "Frau", sondern zwischen fast 60 verschiedenen sexuellen Identitäten wählen. Wie viele unterschiedliche Geschlechter kennen Sie?

Sigusch: Unsere sprachlichen Einteilungen in Mann, Frau, Agender, Intergeschlechtliche, Transgender, Liquid Gender und so weiter ist immer noch grob. Ich sage: Es gibt so viele Geschlechter, wie es Menschen gibt.

ZEIT Campus: Wie meinen Sie das?

Sigusch: Keine Geschlechtlichkeit eines Menschen ist mit der eines anderen Menschen identisch. Das ist einzigartig wie ein genetischer Fingerabdruck. Wir sind auch grundsätzlich alle in der Lage, alle Formen des Sexuellen zu praktizieren, hetero-, homo-, bisexuell und so weiter. Wir sind alle polysexuell.

ZEIT Campus: Wohin wird sich die Sexualität in den kommenden Jahren noch entwickeln?

Sigusch: Das weiß kein Wissenschaftler.

ZEIT Campus: Gibt es Entwicklungen unseres Sexualverhaltens, die zunehmen werden?

Sigusch: Ich sage: Die Polyamorie wird kommen. Seit Jahren wird sie in den westlichen Ländern behutsam erprobt, oft abgelegen in einem Dorf. Da wir immer älter werden und alles, was möglich ist, auch besitzen möchten, wird sich die Polyamorie ausbreiten. Zum Beispiel werden sich alte Paare junge Liebhaber und Liebhaberinnen in ihr Haus holen und das Liebes- und Sexualleben dadurch wieder beleben. Noch aber sind das recht seltene Ereignisse. Manchmal ist das auch sehr überraschend. So erfuhr ich im Juni, dass in Kolumbien drei Männer geheiratet haben. Ein älteres Männerpaar holte sich einen jungen Mann in die gleichgeschlechtliche Ehe. So wird es auch bei uns demnächst sein, sagen wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren.

ZEIT Campus: Ist die neosexuelle Revolution mit der Ausbreitung der Polyamorie an ihrem Ziel angekommen?

Sigusch: Nein. Denken Sie nur an den Internet- oder Robotersex. Da stehen wir ja noch fast am Anfang.

ZEIT Campus: Robotersex?

Sigusch: Unsere Personal Computer werden sicher bald durch Personal Robots ergänzt werden, im Haushalt, in der Pflege und so weiter. Erste Sexroboter sind bereits auf dem Markt. Sie kosten etwa 10.000 Euro und werden alte Liebes- und Sexpuppen ablösen. Als neue Sonderbarkeit, früher Perversion genannt, wird sich eine Robotophilie etablieren. Schließlich wird immer mehr Menschen das Zusammenleben mit einem Roboter sehr viel angenehmer sein als mit einem komplizierten, eigenwilligen und bösartigen Menschen.

QuotePolykanos #4

"Nie waren wir sexuell so frei wie heute. "

Wenn ich das richtig sehe, sind wir gerade dabei unter heftigster Mitwirkung von Fundamentalisten /-innen der diversesten Fachrichtungen diese sexuelle Freiheit wieder abzuschaffen. Viktorianische Moralvorstellungen sind überall wieder auf dem Vormarsch.


Quoteunabhängiger beobachter #5

Die Strategie hinter der Zerschlagung traditioneller Familienstrukturen sollten JEDEN halbwegs gebildeten Menschen klar sein. Keine weiteren Fragen, auch nicht zu Aluhüten!



Quotevincentvision #5.1

@Unabhängiger Beobachter

Wer zerschlägt denn hier bewusst und strategisch die Familienstrukturen?

Linksgrünversiffte?
Alle pädophil, wie man weiß...
Oder Migranten und Flüchtlinge?
Nein halt, die sind ja ganz besonders traditionell, angeblich so sehr, dass es manchen auch wieder nicht passt...

Bitte um Aufklärung ...

Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist die Generation des 21.Jahrhunderts ständig oversexed - aber in der Realität eben auch underfucked!


Quoteunabhängiger beobachter #5.3

Was, bitte schön, sind denn "Linksgrünversiffte"??


QuoteKlappeDie27ste #8

"ZEIT Campus: Wir sind zu vernünftig, deswegen haben wir schlechten Sex?

Sigusch: Ganz kurz gesagt: Ja."

Das weiß der Volksmund schon lange und hat dafür die Verkürzung "dumm f*ckt gut" erfunden. Wenn ich das hier mal so unumwunden sagen darf.




QuoteMarktradikale Nachtigall #20

Ihr könnt ja alle polydingsda sein - aber sprecht doch bitte nicht in meinem Namen. Ich bin ganz Normalo. Punkt. Und niemand wird mir etwas anderes einreden.



QuoteDartsFan #20.1

Achtung, Sie haben sich gerade mitten in der "Gender-Debatte" als "normal" bezeichnet.
Der Shitstorm wird folgen.


Quotebetreb #20.2

Wie verrückt muss man heutzutage sein, sich als normal zu bezeichnen?



QuoteDefault #23

Nie waren wir sexuell so frei wie heute. Man könnte auch sagen: Nie waren wir psychisch so gestört wie heute. Und wo führt das hin? Der Mensch wird zum Robo-Bumser. Aber ist ja alles normal. Ganz normal. Ja. Oder?


Quotesophisticate #24

Was auch immer sich unter den Geschlechtern wie entwickeln wird: es braucht Begabungen! Als ältere Frau mit im Laufe der Jahre mehreren jüngeren Liebhabern stelle ich fest, dass die meisten einschlägig talentlos sind. Für mich heißt das, dass es an Empathie/Einfühlsamkeit fehlt und vor allem an Hingabe. Ohne weiter aus dem Nähkästchen plaudern zu wollen: Es sind nicht die mechanischen oder körperlichen Mätzchen, die zu einer "echten" Erfüllung führen, sondern die Zuwendung gepaart mit erotischer Begabung.....


QuoteSchartinMulz #24.2

Ach wissen Sie, ein älterer Mann, der viele junge Freundinnen hat und dann im Internet über deren fehlende Qaualitäten im Bett herzieht, ist ein Arsch.

Wie das umgekehrt ist, weiß ich nicht, Arschin gibt es ja nicht.


QuoteInana77 #26

Jetzt kommt schon wieder so ein Artikel, dass wir alle "sonst-was-sexuell" wären. Inzwischen finde ich das wirklich etwas merkwürdig, liebe Zeit. So wichtig ist das Thema nun auch nicht.


...


Aus: "Sexualität: "Es gibt so viele Geschlechter, wie es Menschen gibt"" Silke Weber (1. Februar 2018)
Quelle: http://www.zeit.de/campus/2018/01/sexualitaet-sexualmedizin-volkmar-sigusch-interview

Textaris(txt*bot)

#276
Quote[...]

Frantz ist ein Spielfilm von François Ozon aus dem Jahr 2016. Die französisch-deutsche Koproduktion basiert in der ersten Hälfte auf dem Ernst-Lubitsch-Film Der Mann, den sein Gewissen trieb (1932).
https://de.wikipedia.org/wiki/Frantz_(Film)

---

[...] Wellinski: Sowohl Theaterstück als auch die Lubitsch-Vorlage sind ja nach dem Ersten Weltkrieg ungefähr entstanden, die waren noch sehr von einem starken Pazifismus getragen.

War das für Sie eigentlich eine Erleichterung, dass Sie jetzt 50 Jahre und auch nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Film jetzt nicht mehr mit derartig starken pazifistischen Untertönen versehen mussten, sondern dass Sie sich eben auf die Figurenkonstellation stärker konzentrieren konnten?

Ozon: Natürlich ist mein Standpunkt ein ganz anderer, weil ich ja nun auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg miteinbeziehen kann. Und bei Lubitsch und auch bei Rostand, da ging es wirklich darum zu zeigen, dass diese beiden Völker, Deutschland und Frankreich, doch eigentlich im Grunde Brudervölker sind. Und dieser pazifistische Grundton war da schon sehr wichtig und sie haben beide eigentlich ein sehr politisches Stück und auch einen sehr politischen Film gemacht. Und in beiden Fällen hat es mit einem Happy End geendet.

Und wir kennen natürlich nun die Folgegeschichte und was natürlich noch wichtig ist, gerade bei Lubitsch, er ist ja aus Deutschland emigriert und hat eigentlich in Deutschland schon noch irgendwie mitbekommen, dass der Nationalsozialismus immer wichtiger wurde in diesem Land, und trotzdem macht er diesen optimistischen Film und setzt noch auf eine deutsch-französische Verbrüderung.

Und natürlich habe ich jetzt einen ganz anderen Standpunkt und habe natürlich versucht, diese Idee des Pazifismus durchaus noch ein bisschen zu bewahren. Aber mir ging es eher um den Humanismus. Und ich war eher der Meinung, dass diese Verbindung zwischen Deutschen und Franzosen eher von diesen beiden Völkern eher über die Kultur stattfindet. Deswegen ist die Musik so wichtig, wenn Geige gespielt wird, wenn es um Chopin geht oder das Gemälde von Manet oder die Poesie von Rilke und von Verlaine.

Also, das war mir sehr wichtig zu zeigen, dass über Bildung und über Kultur doch eine Verbindung stattfinden kann zwischen beiden Völkern. Und dadurch ist mein Film nicht mehr so politisch, auch wenn vielleicht kleine politische Dinge noch drin sind, wie es die Vorgängerstücke oder der Vorgängerfilm dann von Lubitsch waren.

... Aber wenn es jetzt um den reinen Nationalismus geht ... Nationalismus, egal, ob er in Frankreich oder in Deutschland existiert, der ist eigentlich immer gleich und funktioniert nach gleichen Mechanismen.

...

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.



Aus: ""Frantz" von Francois Ozon - Ein Drama über Liebe und Vergebung" Francois Ozon im Gespräch mit Patrick Wellinski (Beitrag vom 01.10.2016)
Quelle: http://www.deutschlandfunkkultur.de/frantz-von-francois-ozon-ein-drama-ueber-liebe-und-vergebung.2168.de.html?dram:article_id=367410

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Quote[...] "In Frankreich waren alle erstaunt, dass ich in Deutschland gedreht habe und dass ich die deutsche Sicht auf den Ersten Weltkrieg so stark in den Mittelpunkt rücke. In Frankreich hat man immer das Gefühl, dass in Deutschland vor allem der Zweite Weltkrieg präsent ist, während der Erste, der ja auf französischem Territorium stattfand, hier sogar in der Landschaft noch stark präsent ist." Das Thema des Perspektivenwechsels zieht sich wie ein Ariadnefaden durch Frantz. Für ein deutschsprachiges Publikum besteht die primäre Umstellung wohl aktuell vor allem darin, nach dem intensiven Interesse für 1914, das sich in dem Bestsellererfolg des Buchs Die Schlafwandler von Christopher Clark manifestierte, auf 1918/19 umzustellen, also auf die Zeit, in der im Keim schon der Nationalsozialismus grundgelegt wurde. Ozon zeigt in so mancher Szene und mit markanten Figuren das Klima des Revanchismus. Aber darum geht es nicht primär: "Ich wollte immer schon einmal einen Film über Lüge und Geheimnis machen, denn wir leben in einer Welt, die von Transparenz besessen ist."
...  "Es gibt ja heute keine brauchbaren Originalnegative in Schwarzweiß mehr, wir haben also in Farbe gedreht, und beim Blick durch die Kamera habe ich auch immer alles in Farbe gesehen. Das hat dann schnell einmal ein bisschen nach Walt Disney ausgesehen in diesen alten, pittoresken Kulissen. Nur auf dem Monitor war Schwarzweiß eingestellt. Und siehe da, beim Blick auf dieses Bild tauchten sofort Murnau, Dreyer oder Ophüls auf. Wenn man Schwarzweiß sieht, erinnert man sich an das Kino."


Aus: ""Frantz": Eine Begegnung zwischen den Linien" Bert Rebhandl (21.10.2016)
Quelle: https://derstandard.at/2000046236423/Frantz-Eine-Begegnung-zwischen-den-Linien

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Quote[...] François Ozon ist ein Spezialist des posttraumatischen Zustands. Viele seiner Filme erzählen vom Weiterleben nach dem Verlust eines geliebten Menschen. Hier aber nähert er sich zum ersten Mal der kollektiven Trauer in den so unterschiedlich verwundeten beiden Nationen Deutschland und Frankreich.

... Dabei arbeitet er symmetrisch – man könnte sagen bilateral, mit großer Neugier auf die deutsche Geschichte und Kultur – auch hier unverkennbar Schüler von Rohmer. Zweimal singen in ,,Frantz" Männer die Hymnen von Krieg, Ehre und Ruhm. ,,Die Wacht am Rhein", in einem deutschen Wirtshaus, und die ,,Marseillaise" in einem Pariser Bistro.

,,Unreines Blut tränke unsere Furchen", heißt es dort, ,,Der Rhein bleibt deutsch wie meine Brust", hier. Kriegslieder, ein brutaler Kontrast zur Welt, in der sich Anna, Frantz und Adrien bewegt haben, in der Lyrik von Rilke und Verlaine, in der Musik von Claude Debussy. An diesen ganz realen Resonanzraum erinnert ,,Frantz" und betrauert damit auch seine Zerstörung. Ein Nachruf von bestechender Schönheit.

...



Aus: "Kinofilm ,,Frantz" von François Ozon Wenn Lügen die Liebe schützen" Christina Bylow (26.09.2016)
Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/24808020

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Quote[...] Diese Grat­wan­de­rung Ozons zwischen persön­li­chen und gesell­schaft­li­chen Lügen, ein inhalt­li­ches wie formelles, verschwie­genes und undurch­dring­li­ches Schlin­gern, bleibt auch im zweiten, »hinzu­ge­fügten«, von Ozon neuge­schrie­benen Teil, im Zentrum des Plots. Anna begibt sich nach Frank­reich und stößt dabei – ohne es Recht zu wollen – nicht nur auf  »Frantz« ambi­va­lentes Leben im Paris der Vorkriegs­zeit.

Ozon wechselt damit jedoch nicht nur von der deutschen Provinz nach Paris und dann die fran­zö­si­sche Provinz, changiert nicht nur zwischen Mikro- und Makro­per­spek­tive, sondern auch zwischen Farb- und Schwarz­weiß­film. Diese Übergänge, die aus der Not eines knappen Budgets geboren wurden, erzielen jedoch viel­leicht noch mehr als aufwen­dige Rekon­struk­tionen histo­ri­schen Materials, genau das, was Ozon will: Eine fast unheim­liche Histo­ri­sie­rung, die allein durch unser schwarz­weißes Erinnern dieser entfernten Vergan­gen­heit funk­tio­niert. Also nichts anderes, als eine weitere, wohl­tu­ende ,,Lüge".

Ozon macht damit nicht nur unauf­dring­lich deutlich, wie ambi­va­lent Lügen benutzt werden können, wie sehr Lebens­li­nien und nationale Befind­lich­keiten glei­cher­maßen mani­pu­liert werden. Denn der eigent­liche Subtext dieses wunderbar dichten, präzisen und dann wieder fast traum­wand­le­ri­schen Films, ist bei aller Ambi­guität etwas völlig Eindeu­tiges – und ein kaum zu über­tref­fender Kommentar zu den gegen­wär­tigen rechts­po­pu­lis­ti­schen Angriffen auf die Idee eines vereinten Europas: das von Ozon gezeich­nete Europa der Zwischen­kriegs­zeit ist so sehr unheim­li­cher Zerr­spiegel unserer Gegenwart, das Frantz einem poeti­sches Manifest gleicht, einem Manifest, dass nur allzu deutlich daran erinnert, wie destruktiv die Struk­turen waren, die Europa über­wunden hat und das, was wir statt­dessen geschaffen haben schätzen sollten statt im Zuge banalsten histo­ri­schen Verges­sens plötzlich wieder Ideen zu hofieren, die unwei­ger­lich in einen erneuten Zyklus der Zers­tö­rung führen würden.


Aus: "Frantz" Axel Timo Purr (2016)
Quelle: http://www.artechock.de/film/text/kritik/f/frantz.htm


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ziblatt: In den vergangenen Jahrzehnten hat es eine Art Gegenreaktion zur vollständigen Demokratisierung der USA gegeben. Erst 1965 mit dem Voting Rights Act und dem Civil Rights Act durften Afroamerikaner wählen und wurden der weißen Bevölkerung rechtlich weitestgehend gleich gestellt. Gemeinsam mit der Einwanderungsreform Mitte der Sechziger hat das einen positiven Wandel ausgelöst. Der hat aber gleichzeitig das politische System stark verändert.

ZEIT ONLINE: Inwiefern?

Ziblatt: Die Demokraten im Süden sind zur Republikanischen Partei gewechselt, Afroamerikaner gingen fast geschlossen in die Demokratische Partei. Außerdem haben sich die Evangelikalen in den Siebzigern und Achtzigern zunehmend als Republikaner identifiziert. Die Folge: Heute haben Sie eine Republikanische Partei, die fast ausschließlich weiß und christlich ist, und eine Demokratische Partei, die alle anderen unter sich versammelt, die Partei der Minderheiten, der Nichtgläubigen und der Städter. Es stehen sich zwei Bevölkerungsgruppen gegenüber, die sich gegenseitig als existenzielle Gefahr betrachten, vor allem aus Sicht der Republikaner.

...

QuoteSchartinMulz #34

Das Interview macht einen ziemlich fassungslos. Da wird das System der demokratischen Partei gelobt, das den populären Kandidaten Sanders verhindert hat. Großartig.

Und dann: "Drei Viertel der Republikaner glauben, dass es Wahlbetrug im großen Stil gegeben hat, auch wenn es keinen Beweis dafür gibt."

Und wieviel Prozent der Demokraten glauben, dass Trump nur durch Wahlmanipulationen der Russen gewonnen hat?
"Genauso glauben drei Viertel der Republikaner, dass die Medien Geschichten über Trump erfinden. Sie zweifeln damit die Grundpfeiler der Demokratie an."

Also, wenn man nicht alles glaubt, was die Medien schreiben, zweifelt man die Grundpfeiler der Demokratie an? Die Demokraten zweifeln auch an, was in Trump-nahen Medien steht.

Der Professor macht es sich hier sehr einfach.



Quoteburgunderbauer #82

Mir scheint, dass der Artikel einen Mangel hat: Es geht in USA nicht nur um Demokratie versus Autokratie, sondern auch um Arm gegen Reich. In dieser Polarität sind die Republikaner die Partei der Reichen. Und ihr Problem ist: Wie verklickern wir der großen Menge der kleinen Leute, dass "Reformen", die vorwiegend den Reichen nützen (Abschaffung von Obamacare, Steuersenkungen), in ihrem Interesse sind?

Für dieses Problem ist Politshowstar Trump eine Lösung.


...



Aus: "Demokratie in den USA: "Wir haben Glück, dass Trump so inkompetent ist"" Interview: Thorsten Schröder, New York (22. Februar 2018)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-02/demokratie-usa-donald-trump-daniel-ziblatt-harvard-professor

Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Ivana Sajko ist eine kroatische Prosa- und Theaterautorin, die in Berlin lebt. In deutscher Übersetzung sind bisher erschienen: "Rio bar" (2008), "Archetyp: Medea. Bombenfrau. Europa: Trilogie" (2008), "Trilogie des Ungehorsams" (2012), "Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution) Eine Lektre" (2014) und "Liebesroman" (2017). ...

Im Frühjahr 2016 stand ich mit einem Megafon in der Hand auf dem Hauptplatz in Zagreb und trug den 1995 erschienenen Essay Urfaschismus von Umberto Eco vor. Zur selben Zeit lasen an 40 Orten in Kroatien Kulturschaffende und Künstler öffentlich denselben Text. "Daher wird Kultur verdächtig, sobald sie mit kritischen Einstellungen identifiziert wird", schrieb Eco darin. Ich war mit einem Grüppchen Gleichgesinnter dort, und wir wechselten uns beim Tragen des schweren Megafons ab. Zwischen den gelesenen Sätzen blickte ich zu den Passanten. Die Mehrheit beachtete uns überhaupt nicht, während einige wenige kurz stehenblieben, zuhörten und das Gesicht verzogen. Ich erinnere mich besonders deutlich an einen Mann mit einem Kind an der Hand, der in meine Richtung spuckte. Diese Passanten waren mein Publikum, und die Spucke dieses Publikums war die schmerzhafte Niederlage für jeden, der an diesem Tag die Bühne der Straße betrat und sich einbildete – so wie auch ich damals –, im Namen der schweigenden Mehrheit zu sprechen, jener 50 Prozent der Wähler, die die Wahlen boykottiert und somit den Staat der Tüchtigkeit der Rechten überlassen hatten.

Ich hielt beim Lesen inne. Jemand sagte: "Das sind die, die kein Geld abbekommen haben, und jetzt beschweren sie sich." Ein anderer warf wütend ein: "Geht doch arbeiten." Ein paar andere stimmten ihm zu. Jede Antwort wäre zwecklos gewesen. Es war völlig sinnlos zu fragen, seit wann die Kultur denn so überflüssig und so teuer geworden sei (in Kroatien wird für Kultur 0,49 Prozent des staatlichen Budgets aufgebracht), und wann wir zu Feinden geworden waren?

Die Eskalation des Antagonismus begann in jenem Jahr, als Zlatko Hasanbegović, ein Historiker mit ultrarechten revisionistischen Positionen, zum Minister für Kultur berufen wurde. Er war es, der Kulturschaffenden den Krieg erklärte und sie Jugonostalgiker, Pseudolinke und Parasiten nannte und die Kultur in das Schlachtfeld eines konstruierten Ideologie- und Klassenkonflikts verwandelte, der sich zwischen der vermeintlichen linken kulturellen Elite und der verarmten Volksmasse abspielte, die nur darauf wartete, dass irgendjemand den Verantwortlichen für ihren traurigen Zustand benennt. Damals wurden innerhalb eines knappen Jahres alle Plattformen zur Finanzierung unabhängiger Medien und der Vereine zur Entwicklung der Zivilgesellschaft zerschlagen. Die Arbeit des Audiovisuellen Zentrums, das sich große Verdienste um den Aufschwung des kroatischen Films erworben hatte, wurde eingestellt, zahlreiche Journalistinnen und Journalisten, die beim öffentlichen Radio und Fernsehen gearbeitet hatten, wurden entlassen oder ihre Sendungen aus dem Programm genommen. Die Mailboxen jedes Einzelnen, der es wagte, die Anführer der konservativen rechten Revolution in Kroatien zu kritisieren, füllten sich mit Drohungen und Beleidigungen. Nachdem der Schriftsteller Ante Tomić auf der Straße angegriffen worden war und das Ministerium für Kultur sich daraufhin mit der Warnung zu Worte meldete, dass "jeder selbst die Verantwortung für das gesprochene oder geschriebene Wort trägt", griff in der Gesellschaft die Angst vor diesem gesprochenen und geschriebenen Wort um sich.

Der politische Essayist Marko Kostanić schreibt, dass in Kroatien heute eine dezentralisierte Zensur wirkt, die durch die Vereinigungen der Kriegsveteranen und der katholischen Kirche im Namen der Regierung umgesetzt wird. Dabei wird denkbar einfach vorgegangen: Nachdem ein Film, eine Theatervorstellung oder ein Buch zum Zeugnis der Beleidigung nationaler oder religiöser Gefühle erklärt wird, beginnt der Angriff, und zwar nicht nur auf die konkrete Quelle dieser angeblichen Provokation, sondern auch auf die Kulturinstitution, die sie produziert hat. Daraufhin folgen personelle Veränderungen, die in der Vergangenheit etwa dazu geführt haben, dass heute in den Theaterausschüssen, die über das Repertoire und die Finanzierung der Theater entscheiden, politische Akteure mit extremen Haltungen sitzen, die Kultur ausschließlich als politische Plattform benutzen.

Der schon erwähnte ehemalige Minister Hasanbegović hat vor Kurzem einen Posten im Ausschuss des Kroatischen Nationaltheaters übernommen, im "Zentralkommando des pseudolinken, paratheatralischen Aktivismus", wie er dieses Gremium nennt. Als Vorbereitung seiner Benennung hatte er eine Namensänderung des Platzes, an dem das Theater liegt, erzwungen, denn der trug den Namen des Anführers des antifaschistischen Widerstands im ehemaligen Jugoslawien, Josip Broz Tito. Durch diesen auf den ersten Blick kleinen Vorfall wurde eine weitere Spur des emanzipatorischen Teils der kroatischen Geschichte ausgelöscht. Der Schauspieldirektor des Kroatischen Nationaltheaters kommentierte den Vorgang mit den Worten: "Ein Volk ohne Erinnerungen hat keine Zukunft."

Das Ende der kroatischen Zukunft wurde durch die Ernennung von Jakov Sedlar zum Mitglied des Ausschusses des Zagreber Theaters & TD fortgesetzt – eines Filmregisseurs, der sich in seinem Dokumentarfilm über das Konzentrationslager Jasenovac "Halbwahrheiten, Lügen und Fälschungen" bediente, wie es der Publizist Slavko Goldstein formulierte. Diese Theaterbühne, die für ihre gesellschaftskritische Haltung bekannt ist, wurde so um den Posten eines Aufpassers bereichert, der angekündigt hat, dass er sich in seiner neuen Position von drei Kriterien leiten lassen wird: wer ein Stück produziert, um welchen Inhalt es sich dabei handelt, und ob es dafür Publikum gibt.

Seit dem Wechsel der Regierung im Jahr 2016 paradieren vor den Eingängen der Theater in Kroatien immer öfter Kriegsveteranen und verlangen, dass irgendwelche Stücke verboten werden, während die katholische Kirche immer häufiger zum Boykott bestimmter Künstler aufruft. Die Werte einer säkularen und demokratischen Gesellschaft werden nur noch von einzelnen Kulturschaffenden verteidigt, beziehungsweise von den wenigen übriggebliebenen Aktiven der Zivilgesellschaft, die von den linken Parteien im Stich gelassen wurden. Um einige lukrative Sphären der staatlichen Macht für sich zu erhalten, haben die linken Parteien Kunst und Kultur der Willkür und der Barbarei der politischen Halbwelt überlassen.

Die Symptome, die Eco in seinem Essay über den Urfaschismus benennt, wurden zur Normalität in der kroatischen Gesellschaft: Traditionskult, Irrationalismus, Angst vor den Anderen, Vorwurf des Verrats und Besessenheit für die Vorstellung moralischer Perversionen ihrer vermeintlichen Gegner, individuelle und soziale Frustration, Verachtung gegenüber dem Denken, stattdessen Populismus, Heroismus-Kult und Machismus. In Kroatien versucht man heute, die Geschichte zu fälschen und fiktive Feinde zu finden, die man in den Reihen der nationalen und sexuellen Minderheiten sucht oder eben unter den Künstlern. In einem derart ideologisch gespaltenen Raum fällt es nicht schwer, neue Konflikte zu provozieren und die Bürger mit dem Junkfood der Nation und der Religion zu füttern – den beiden konstitutiven Elementen einer kollektiven Identität, die wahrer demokratischer Werte beraubt ist.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

QuoteJoseph Rose #13

Als Kroate muss ich hier einige Dinge klären, denn in diesem Artikel wird fast schon so getan, als sei Kroatien ein faschistischer Staat. Diese sogenannten Kulturschaffenden regen sich über die konservative Regierung Kroatiens auf, weil man ihnen massenhaft Subventionen gestrichen hatte. Meiner Meinung noch nicht genug, aber das nur am Rande. Nun lästern diese sogenannten Kulturschaffenden in ganz Europa herum und regen sich über den bösen Nazi Hasanbegovic auf, der mit der Streichung der Subventionen begonnen hatte.

Kroatien ist ein Land welches nur knapp 4 Millionen Einwohner hat und einer Fläche, die etwas grösser als Niedersachsen ist. Dennoch gab es in Kroatien Zeitweise über 100 Radiosender, die von der Regierung subventioniert wurden. Auch wenn man als Radiosender nur Pieptöne in die Welt gesendet hat, kriegte man Geld dafür, weshalb viele Glücksritter sich den Beruf des "Kulturschaffenden" für sich fanden und eigene Zeitschriften und Radiosender schufen. Daraufhin kassierten sie vom kroatischen Staat fürs Nichtstun Subventionen. Ist doch toll.

Leider ist dieser Staat ohnehin schon stark verschuldet und der ehemalige Kulturminister Hasanbegovic, der übrigens zur muslimischen Minderheit in Kroatien gehört, hat dann diese Subventionen zurecht gestrichen. Und unter diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen, dass er solche Leute als Parasiten beschimpfte. Klar geht der Ausdruck zu weit, ich hätte es auch anders formuliert, aber im Kern stimme ich ihm zu...


QuoteRunkelstoss
#13.1  —  vor 9 Stunden 3

Diese sogenannten Kulturschaffenden regen sich über die konservative Regierung Kroatiens auf, weil man ihnen massenhaft Subventionen gestrichen hatte.

Ich zitiere: in Kroatien wird für Kultur 0,49 Prozent des staatlichen Budgets aufgebracht


QuoteTheraphosis #13.3

"Als Kroate muss ich hier einige Dinge klären, denn in diesem Artikel wird fast schon so getan, als sei Kroatien ein faschistischer Staat."

Nun, selbst bei wohlwollender Betrachtung, sonderlich weit weg davon ist Kroatien nicht. Es ist schwierig, die lange Tradition und Erziehung in diese Richtung abzuschütteln.


QuoteRalf Höfle #24

Wenn ihr ein Problem mit den Kroaten oder Kroatien habt fahrt doch einfach nicht hin.


QuoteAllesKeinProblem #24.1

Ein sehr erwachsener Kommentar. Wie alt sind Sie?

... Niemand, der diese Zerstörung der Kultur kritisiert, hat ein Problem mit dem Land Kroatien. Oder sind wir schon wieder bei Einheit von Land, Führer und Volk?


QuoteAllesKeinProblem #28

Es gibt einen Grund warum "Kultur" in extremistischen Gesellschaften so aussieht wie sie aussieht, egal ob nun rechts oder kommunistisch. In der Unterdrückung, der Gleichschaltung und der eigenen intellektuellen Armut sind sich beide Seiten absolut gleich und das Ergebnis sieht man dann auf den Bühnen und in den Kinos.

Und "das Volk" lässt sich vom Versagen der Politik nur zu gern ablenken durch einen Sündenbock. Kann der Kulturschaffende was dafür, wenn eine politische Elite sich bereichert und für die Arbeitenden nichts übrig bleibt? Nein, aber es ist so schrecklich einfach gegenüber simplen Menschen den Künstler auf der Bühne als elitär darzustellen, selbst wenn der im gleichen, runtergekommenen Haus wohnt wie man selbst.

Man muss nur was von Nation und Stolz und Vaterland faseln. Das macht nicht satt oder warm und bietet auch keine Zukunft, aber es ist eine schöne Illusion mit dem Versprechen nicht denken zu müssen.


...



Aus: "Kroatien: Die Kultur als Volksfeind" Ivana Sajko (28. Februar 2018)
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/2018-02/kroatien-kulturpolitik-kritik-zensur-kuerzungen-gelder-10nach8

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Lebensreform ist der Oberbegriff für verschiedene Reform­bewegungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts insbesondere von Deutschland und der Schweiz ausgingen. Gemeinsame Merkmale waren die Kritik an Industrialisierung beziehungsweise Materialismus und Urbanisierung und ein Streben nach dem Naturzustand. Als bedeutender Vorkämpfer der Lebensreform-Ideen gilt der Maler und Sozialreformer Karl Wilhelm Diefenbach. Eine übergreifende Organisation besaßen die verschiedenen Bewegungen nicht, dagegen bestanden zahlreiche Vereine. Ob die Reformbewegungen der Lebensreform eher als modern oder als anti-modern und reaktionär einzuordnen sind, ist in der Literatur umstritten; beide Thesen werden vertreten. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensreform (30. Januar 2018)

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Quote[...] Bereits in der Antike machen sich Unbehagen an der Kultur –  vielleicht wäre die Vokabel ,,Zivilisation" treffender – und der Wunsch bemerkbar, ein Leben zu führen, das für natürlicher gehalten wird als das, welches die Menschen in einer städtischen Umgebung zu führen gezwungen sind. In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wird dieser Wunsch wieder manifest und begleitet seitdem die abendländische Mentalitätsgeschichte. Besonders wahrnehmbar artikuliert er sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der sogenannten Lebensreform. Deren Einfluss auf Kunst und Literatur in Deutschland kann schwerlich überschätzt werden, vor allem jedoch zeitigt sie in der Lebenspraxis Veränderungen, die bis heute nachwirken.

Darüber ist man seit längerem gut informiert. Zu empfehlen ist der anlässlich einer Ausstellung auf der Darmstädter Mathildenhöhe 2001 erschienene üppig ausgestattete zweibändige Katalog Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900.
Auf insgesamt 1231 Seiten bietet er eine schier unübersehbare Menge von Abbildungen und daneben 147 Textbeiträge, die gelehrter und umfangreicher sind, als von einem Ausstellungskatalog gemeinhin zu erwarten ist (vgl. die Rezension in literaturkritik.de, August 2002).

... Peter Sprengel bringt mit der Frage ,,Konversion eines Apostaten?" Hauptmanns zeitlebens zwiespältiges Verhältnis zur Lebensreform auf eine griffige und fruchtbare Formel. Erich Unglaub verfolgt anhand von Liebesgedichten Rilkes dessen changierende Liebeskonzepte, die den Bereich des Autobiographischen verlassen und zukunftsorientierte poetische Botschaften werden. Kathrin Geist konzentriert sich auf Hesses biographisch inspirierte Erzählung In den Felsen, welche die Botschaft vermittelt, dass eine Lebensreform, die der Physis den Vorrang einräumt vor der Psyche und dem Geist, unbefriedigt lässt. ...

Thorsten Carstensen / Marcel Schmid (Hg.): Die Literatur der Lebensreform. Kulturkritik und Aufbruchstimmung um 1900.
Transcript Verlag, Bielefeld 2016. 346 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-13: 9783837633344



Aus: "Kühne Thesen - Ein Sammelband zu den Beziehungen zwischen Lebensreform und deutscher Literatur um 1900" Alexandra Pontzen (08.03.2017)
Quelle: http://literaturkritik.de/carstensen-schmid-die-literatur-der-lebensreform-kuehne-thesen,23105.html