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[Das Muster vom Kampf der Kulturen... ]

Started by Textaris(txt*bot), March 25, 2007, 08:19:49 PM

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Textaris(txt*bot)

#175
Quote[...] In einem Leserkommentar von tomasa heißt es: "Dass eingedeutschte Muslime zu Deutschland gehören ist selbstverständlich, dass der Islam zu Deutschland gehört ist Nonsens!" Eine Meinung, wie sie in vielen Kommentaren geäußert wird. Die Überschrift zum Kommentar von tomasa lautet: "Der Islam hat in Deutschland keine Tradition."

Das mag stimmen. Aber, wie Kommentator aussengeländer anmerkt: "Die Kartoffel hatte in Deutschland auch keine Tradition." Und auch das ist richtig. Irgendwie gehört die Kartoffel aber mit ziemlicher Selbstverständlichkeit zu Deutschland, ohne dass irgendjemand offiziell verkündet hätte, "Die Kartoffel gehört zu Deutschland". Allerdings radikalisieren sich Kartoffeln auch nicht, wie Kommentator xyz15 einwirft.

Eine Debatte darüber, wie sich definiert, was zu Deutschland gehört, geführt in Begleitung von Kartoffeln – für uns ein Debatten-Tagestipp, etwa ab Kommentar Nr. 15 im Thread zu "Die größtmögliche Provokation".

Quote
    BergFrank
    vor 2 Stunden 47 Minuten

2. Diese Sache ist nun einfach

Eine Kartoffel im Handel hat eine Kennzeichnung des Anbaulandes . Eine Kartoffel mit Herkunftsbezeichung Deutschland ist eine deutsche Kartoffel, wie eine "holländische" Tomate in den Niederlanden angebaut wurde. Das ist wichtig und auch relevant. Das beide Pflanzenarten ursprünglich aus Amerika stammen, spielt da keine Rolle. Alles andere ist Quatsch.


Quote
    aussengeländer
    vor 2 Stunden 30 Minuten

3. Nein, die Sache ist nicht einfach. Mir ging es nicht um die Kartoffel, mir ging es um die Aussage "Dieses und jenes hat in Deutschland keine Tradition". Eine Tradition hatte die Kartoffel in Deutschland auch nicht, sie wurde sogar zwangseingeführt.

Traditionen entstehen, verändern sich und manchmal verschwinden sie eben auch.


QuoteHorsters
    vor 1 Stunde 40 Minuten

4. Guter Kommentar xyz

Ich habe auch noch nie was von radikalen Kartoffeln gehört


Quote
    MICoud
    vor 1 Stunde 12 Minuten

5. Jetzt wird mir einiges klar

Früher, als ich noch "jung" war, habe ich des öfteren beobachtet wie Bürger andere Mitbürger als "deutsche Kartoffel" verspottet haben. Jetzt weiß ich, dass sie es offenbar einfach nicht besser wussten.


QuoteBraunbärchen
    vor 1 Stunde 7 Minuten

6. so langsam wird es lächerlich

die Kartoffel gab es in Europa schon lange bevor es Deutschland als Nation gab... soll das dann heißen Duethscland hat in Deutschland keine Tradition? ...


Quoteex_pyx
    vor 1 Stunde 3 Minuten

7. zu #4: Grottenfalsch! Die Kartoffel als solche...

... ist ein Wurzelteil (Knollenwurzel). Da der lateinische Begriff für "Wurzel" "Radix" lautet und das Adjektiv "radikal" eben daraus abgeleitet ist...

... ist per se jede Kartoffel grundsätzlich radikal !


Quote
    MICoud
    vor 56 Minuten

8. Deutschland hat in Deutschland keine Tradition

Den deutschen Nationalstaat gibt es in Deutschland, wie jeder weiß, tatsächlich erst seit knapp 150 Jahren. Hier von Tradition zu sprechen halte ich ebenfalls für falsch. Manche würde vielleicht sogar sagen, Deutschland gehöre nicht zu Deutschland. ...


Quote
    Hruogard
    vor 1 Stunde 55 Minuten

9. Netter Versuch, liebe ZEIT ONLINE

jedoch am Thema vorbei:
Sie wollen darauf hinweisen, dass die Kartoffel und die Moslems beide eingewandert sind, bzw eingeführt wurden? Stimmt, aber:
Kartoffeln haben nicht die Grütze verdrängt, nichtmal bedrängt.
Kartoffeln sind, wie schon gesagt, nicht radikal.
Kartoffeln streben auch nicht nach der Weltherrschaft.
Kartoffeln haben auch keinen eigenen Staat, in dem alles Gemüse, was nicht kartoffelig genug ist (selbst wenn es eine Kartoffel ist) sofort medienwirksam geköpft wird.
Kartoffeln haben auch keinen Zentralrat gebildet, der ständig mehr Kartoffeligkeit verlangt und Kartoffelsuppe verdammt.

Kurz: Menschen und Gemüse kann man nicht vergleichen, dann doch eher Äpfel und Birnen...


Quote
    Mio01
    vor 1 Stunde 15 Minuten

13. Nicht besonders netter Versuch, HRUOGARD

So, so im Gegensatz zu Kartoffeln zeichnen sich alle Angehörigen der muslimischen Relgion als dadurch aus, dass sie andere verdrängen, radikal sind, nach der Weltherrschaft streben und einen eigenen Staat gründen wollen. Das könnte man auch als Volksverhetzung betrachten...

Abgesehen davon, um beim Kartoffelbeispiel zu bleiben: Kartoffeln sollte man eben nicht mit dem was daraus hervorgeht gleichsetzen, sonst wären sie das gleiche wie Kartoffelchips. Das sind Kartoffeln aber nicht. Auch wenn sich viele besonders Jüngere von Kartoffelchips angezogen fühlen, tendieren diese - im Gegensatz zu Kartoffeln - tatsächlich dazu, etwa Studenfutter zu verdrängen und sind der Gesundheit eher nicht zuträglich. Man sollte also doch unterscheiden.

Letztlich gehört die Kartoffel aber mittlerweile genauso zu Deutschland, wie der Islam, ohne dessen mittelalterlichen Einfluss wir möglicherweise bis heute in Fragen der Naturwissenschaften oder der Philosophie hinterhängen würden.


...


Aus: "Gehört die Kartoffel zu Deutschland?" (14. Januar 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/community/2015-01/islam-deutschland-kartoffel

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Quote[...] Deutsche Behörden sollen gewaltbereite Islamisten künftig durch den Entzug des Personalausweises an der Ausreise in Kampfgebiete wie Syrien oder Irak hindern. Das Bundeskabinett brachte dazu eine Gesetzesänderung auf den Weg. Die Behörden sollen Verdächtigen demnach bis zu drei Jahre den Ausweis abnehmen können. Die Betroffenen sollen stattdessen einen Ersatzausweis bekommen, mit dem sie Deutschland nicht verlassen dürfen. Für die Ausstellung dieses Dokuments sollen sie selbst zahlen.  ...

QuoteDeserteur1.0
    vor 1 Stunde 14 Minuten

7. Sie schreiben:

"Auch solche, welche Gewalttaten und Bürgerkriege unterstützen, ideell und finanziell, Ausweis wegnehmen!"

Na da freut sich der Vorstand von KraussMaffei, Rheinmetall usw. wenn sie nicht mehr zu Ihrer Villa an den Gardasee fahren dürfen.


Quote
    TMaibaum
    vor 1 Stunde 48 Minuten

2. DDR 2.0?

,,Deutsche Behörden sollen gewaltbereite Islamisten künftig durch den Entzug des Personalausweises an der Ausreise in Kampfgebiete wie Syrien oder Irak hindern. [...] Die Behörden sollen Verdächtigen demnach bis zu drei Jahre den Ausweis abnehmen können. Die Betroffenen sollen stattdessen einen Ersatzausweis bekommen, mit dem sie Deutschland nicht verlassen dürfen."

Das ist schlicht eine Ungeheuerlichkeit. Nicht mal ein Richtervorbehalt ist vorgesehen. Wer entscheidet aufgrund welcher Kriterien, wer ,,gewaltbereiter Islamist" ist? Sollen bloße ,,Hinweise" ausreichen, um bislang unbescholtene Personen daran zu hindern, nicht nur die Schengen-Zone, sondern das Land zu verlassen (,,Republikflucht")? Über den Begriff ,,Unrechtsstaat" kann man endlos diskutieren, aber hier drängt er sich irgendwie auf.

"Achtung, Achtung!"
In einem Klima der Angst ist jeder verdächtig. Das merkte ein marokkanischer Student, der während des Oktoberfestes inhaftiert wurde - ohne Tatverdacht. Von Juli Zeh und Rainer Stadler (Erschienen im SZ-Magazin 51/2009)
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/31900/1/1



Aus: "Kabinett beschließt Gesetz über Ausweisentzug" (14. Januar 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/islamisten-bundeskabinett-personalausweis

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Quote[...] Der Bürgermeister von Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, hat sich mit einem wütenden Interview in die Herzen vieler empörter Europäer geredet. Der marokkanischstämmige Aboutaleb, der selber Muslim ist und zwei Pässe besitzt, äußerte sich unmissverständlich in Richtung aller unbelehrbaren Islamisten: "Haut doch ab!"

Am Abend des 7. Januar, nach dem Anschlag auf das Satireblatt "Charlie Hebdo" in Paris mit zwölf Toten, wurde ein sichtlich mitgenommener Aboutaleb in die niederländische Nachrichtensendung "Nieuwsuur" zugeschaltet. Die Geschehnisse hätten ihn tief in der Seele getroffen, sagte er. Hier säße nicht nur der Bürgermeister von Rotterdam, "sondern auch ein wütender Muslim."

Dann wandte sich Aboutaleb direkt an Extremisten in Europa. "Wenn ihr die Freiheit nicht wollt, packt um Himmels willen eure Koffer und geht", sagte er. "Vielleicht gibt es einen Ort, an dem ihr ihr selbst sein könnt. Seid dann auch ehrlich zu euch selbst und bringt keine unschuldigen Journalisten um. Das ist so rückständig, das ist unbegreiflich. Verschwindet, wenn ihr in den Niederlanden mit der Art, wie wir unsere Gesellschaft leben wollen, euren Platz nicht finden könnt ."

Er beendete seinen Aufruf mit den Worten: "Wenn es euch hier nicht gefällt, wenn euch Karikaturisten nicht passen, die eine Zeitung machen, dann lasst es mich so sagen: Haut doch ab!"

Das Interview machte sofort die Runde, nicht nur in den Niederlanden. Boris Johnson, der Bürgermeister von London, zitierte seinen niederländischen Kollegen in seiner Kolumne für den "Telegraph" und nannte ihn "meinen Helden". "Das ist die Stimme der Vernunft, die Stimme Voltaires", schrieb Johnson.

Der Sozialdemokrat Aboutaleb ist seit sechs Jahren Bürgermeister der Hafenstadt, die schwer mit ihren Gegensätzen kämpft. Einerseits ist Rotterdam eine internationale, multikulturelle Großstadt, die sich auch wirtschaftlich zunehmend erholt und mittlerweile wieder als schick gilt. Andererseits feiert "Leefbaar Rotterdam", eine islam- und einwanderungskritische Partei, hier seit Jahren Erfolge. Bei den Kommunalwahlen 2014 wurde sie größte Partei und bildet mittlerweile mit Konservativen und Liberalen die regierende Koalition der Stadt. Die Wahl des Bürgermeisters erfolgt unabhängig davon, so dass Aboutaleb, obwohl er der sozialdemokratischen Partei PvdA angehört, trotzdem noch im Amt ist.

Am Tag nach dem Anschlag von Paris gingen in Rotterdam 3000 Menschen auf die Straße, um der Toten zu gedenken und gegen den Terror zu demonstrieren. Bürgermeister Aboutaleb war dabei. In seiner Ansprache verurteilte er die "feige Tat" aufs Neue – und forderte seine Stadt zur Besonnenheit auf: "Das Schlechteste, das wir jetzt tun können, ist, die Erwartungen der Terroristen zu erfüllen und in unseren Herzen Rachegefühle zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zuzulassen."


Aus: ""Wenn es euch hier nicht gefällt, haut doch ab!""  Sarah Maria Brech (14. Jan. 2015)
Quelle: http://www.welt.de/politik/ausland/article136355172/Wenn-es-euch-hier-nicht-gefaellt-haut-doch-ab.html

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Quote[...] Der österreichische Bundeskanzler windet sich, sucht nach Ausflüchten und Füllwörtern. Dabei ist die Frage des ORF-Moderators Armin Wolf einfach mit einem Ja oder Nein zu beantworten: "Sagen Sie auch: 'Der Islam gehört zu Österreich?'", so wie es seine deutsche Kollegin Angela Merkel gerade nach den Anschlägen von Paris wieder getan hat? Werner Faymann holt Luft, dann spricht er vom wechselseitigen Respekt, vom positiven Verhältnis der Religionen zueinander und konstruiert kryptische, nichtssagende Schachtelsätze wie: "Diese enge Zusammenarbeit zeichnet sich also nicht aus, zu sagen, hier gibt es eine Religion und die anderen zählen nicht. Oder, hier gibt es überhaupt keine Religion und es zählt keine von ihnen. Sondern, dass hier ein gewisser Respekt, bei Anerkennung der unterschiedlichen Standpunkte, der unterschiedlichen historischen Entwicklungen, dass hier ein Respekt diese Zusammenarbeit trägt. Darauf bin ich als Bundeskanzler stolz."

Von Angela Merkel ist ein Bonmot über Werner Faymann überliefert, sie soll vor ein paar Jahren seine Willensbildung bei EU-Ratssitzungen spöttisch gesagt haben: "Er kommt mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus." Ob authentisch oder nicht: Der Sozialdemokrat, der sich beim Trauermarsch in Paris vertreten ließ, gilt als meinungsschwach, er hält sich gerne alle Optionen offen.  Auch in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen.

In der Frage nach der Rolle des Islam hat er sich von seiner deutschen Amtskollegin abgesetzt; und zwar wohlüberlegt. Dennoch oder gerade deswegen ist das ein sehr auffälliges Zeichen – auch für die Stimmung im Land.

Unbehagen vor dem Islam ist in Österreich weit verbreitet und wird von der rechtspopulistischen FPÖ gerne befeuert. "Daham statt Islam" plakatierte die Partei vor einigen Jahren in Wien. Das kam an, weil es auf ein offenbar weit verbreitetes Ressentiment traf. Mittlerweile stimmt jeder zweite Österreicher laut einer aktuellen Umfrage den Aussagen zu, der Islam sei eine Gefahr für die österreichische Kultur und strebe eine Veränderung der Gesellschaft an. 35 Prozent bejahen gar den Satz "Unter den Muslimen in Österreich befinden sich viele Gotteskrieger und Dschihadisten".

Für Farid Hafez ist es daher wenig überraschend, wenn Faymann sich dagegen sträubt, den Islam zu einem Teil Österreichs zu erklären. "Das beschreibt sehr gut den Zugang der SPÖ", sagt der Politikwissenschaftler von der Universität Salzburg und Herausgeber des Jahrbuchs für Islamophobieforschung. Es gebe in der Partei wenig Mut, sich zu einer offene Gesellschaft zu bekennen, aus ständiger Angst vor der FPÖ, die der Sozialdemokratie seit je viele Wähler abspenstig macht. "Jedes Thema wird vor dem Hintergrund gesehen, dass es die Rechtspopulisten gegen einen verwenden könnten", sagt Hafez. Um auf Nummer sicher zu gehen, werde daher implizit vermittelt: "Der Islam ist kein Teil von uns."  

Wie schwer sich Österreich mit seinen mehr als 500.000 Muslimen tut, zeigt sich auch bei der Debatte um ein neues Islamgesetz. Das alte stammt noch aus der Zeit der Habsburgermonarchie. Wie in diesem antiquierten Gesetzestext ist auch im aktuellen Entwurf zu lesen, dass staatliches Recht Vorrang vor religiösem Recht habe, obwohl das eine Selbstverständlichkeit ist und eine solche ausdrückliche Festlegung anderen Glaubensgemeinschaften nicht vorgeschrieben wird. Ebenso wird darin eine Auslandsfinanzierung muslimischer Einrichtungen ausdrücklich verboten. Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich blanker Hohn, wie sie in einer Mitteilung schreibt: "Die ausdrückliche Festlegung des Primats des österreichischen Rechts im Gesetzestext erschien vor dem Hintergrund, dass kein anderes Religionsgesetz dieses so formuliert, als eine Art des Verdachts mangelnder Loyalität der Muslime."

Nach der dritten Nachfrage, ob denn der Islam nun zu Österreich gehöre, war es Werner Faymann ein Anliegen, hinzuzufügen: "Mir ist es wichtig, dass sich der Respekt in der Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften dem Staat gegenüber ausdrückt. Dass aber die Rechtsstaatlichkeit, die Wertehaltung einer Demokratie völlig außer Frage steht." Offenbar fand der österreichische Bundeskanzler es nötig, dies in Richtung der Muslime zu betonen. Der Islam, er gehört für den Regierungschef wohl nicht zu Österreich. Und für viele Österreicher ebenso wenig.

Quote
   Masutoyama
   vor 3 Stunden 48 Minuten

47. Wirksamer

Das Konzept der Zuwanderung ist zumindest wirksamer, als darauf zu warten, bis die brave biodeutsche Hausfrau sich auch noch zur Gebärmaschine umfunktionieren lässt. Ist schon seltsam, dass so viele Islamophobe behaupten, die Stellung der Frau im Islam kritisch zu sehen, in Sache Küche und Kirche aber identische Konzepte vertreten, wie der Durchschnittsislamist.


Quote
   kainicholson
   vor 3 Stunden 47 Minuten

48. Nur in Europa

zerbricht man sich den Kopf ueber den Islam. Ich lebe in Indien, in einem Land in dem etwa 120 Millionen Muslime zu Hause sind. Dennoch gehoert der Islam nicht zu Indien, denn die Religion gehoert denen, die sie praktizieren, und hat mit dem Staat nichts zu tun. Der Staat ist laut Verfassung agnostisch. Damit ist die Sache erledigt.



Aus: "Für die Österreicher gehört der Islam eher nicht dazu" Florian Gasser (14. Januar 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/islam-oesterreich-werner-faymann


Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Yasemin Shooman: »... weil ihre Kultur so ist« Narrative des antimuslimischen Rassismus

... Sind antimuslimische Diskurse Ausdruck einer aktuellen Form des Rassismus?
Anhand von Fallbeispielen – darunter auflagenstarke Buchpublikationen, Zeitungsartikel, Webseiten und Zuschriften an muslimische Verbände – geht Yasemin Shooman den antimuslimischen Narrativen und ihren Funktionen nach.
Sie untersucht die artikulierten Selbst- und Fremdbilder ebenso wie die Rolle historischer Bezüge und arbeitet das Repertoire dominanter antimuslimischer Stereotype und Topoi heraus. Die empirische Analyse trägt auch zur Theoriebildung in dem relativ jungen Forschungsfeld bei und zeigt, dass eine Rassifizierung religiöser Zugehörigkeit zu beobachten ist, die auf dem Ineinandergreifen der Kategorien Kultur, Religion, Ethnizität, Geschlecht und Klasse basiert.

...


Aus: "»... weil ihre Kultur so ist«" (10/2014)
Quelle: http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2866-1/...-weil-ihre-kultur-so-ist

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Quote[...] Ein Satz wie "Nicht nur Frauen stehen auf Schuhe" suggeriert zunächst einmal, dass es vor allem Frauen sind die auf Schuhe stehen. Oder, dass es bei ihnen eher vorkommt, als bei Männern. Deswegen bedeuten Sätze wie "Nicht alle Muslime sind Terroristen", so sehr das sich für einige auch wie ein Kompliment anhören mag, dass eine wahrscheinlichere Verbindung zwischen Muslimen und Terrorismus herrscht, als zwischen anderen Menschen und Terrorismus. Dies liegt mitunter daran, wie Terrorismus – vor allem im globalen Kontext – über Jahrhunderte hinweg definiert und propagiert wurde. Daran, wie über Jahrhunderte hinweg gewisse Menschen rassifziert, generalisiert und kollektiviert wurden und andere nicht. Daran, dass Kolonisierte markiert wurden und Kolonialherrscher nicht.

Daran, dass Widerstände als >>Aufstände<< und >>Terrorismus<< definiert wurden. Von wem? Von jenen denen die Macht des Diskurses und der Produktion und Reproduktion von Geschichte und dem Wissen um Geschichte obliegt. Dieses System des White Supremacy, der Hegemonie, des Imperialismus, ist etwas so mächtiges, dass Kriege darüber legitimiert, Widerstände gebrochen, und Solidaritäten geteilt werden. Und auch mit all den negierenden Diskursen wurden in erster Linie wieder Muslime und der Islam mit einem Attentat in Verbindung gebracht.

... Was ich einfach nicht akzeptiere sind Menschen, die diese berechtigten Kritiken im Keim ersticken wollen, indem sie sagen, dass man mit jenen Diskursen den Tod von Menschen politisiere. Willkommen in der Realität. Das Ganze wurde in der ersten Sekunde zu einem politischen Diskurs, aber wir dürfen nicht auf die gefährlichen Dichotomien hinweisen, die hier wieder bedient werden? Smells like the silencing mask for me (seriously you need to read Kilombas "Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism".)

Nein, stattdessen sollen wir bitte weiterhin die Rolle spielen, die White Supremacy für uns angedacht hat. Distanzieren, entschuldigen, uns gegenseitig dämonisieren und uns mit Charlie identifizieren.

Ich stelle mir das Ganze wie ein Ballspiel vor. Ich bin mit den ganzen Spielregeln nicht einverstanden. Also warum soll ich den Ball der mir zugeworfen wird fangen und mich auf das Spiel einlassen? Soll der Ball mal schön an mir vorbeirollen.

Iman Attia schreibt in ihrer Arbeit >>Der Westen<< und sein anderes sehr schön darüber, wie Dichotomien zwischen >>dem Westen<< und >>dem Islam<< (Eine Geographie wird einer Religion gegenübergestellt, da beginnt die Absurdität) produziert und reproduziert werden. Von Anfang an wurden in jeglichen Diskursen diese Dichotomien immer wieder bedient. Wir kennen das ja schon auswendig. Wenn weiße Menschen morden, sind sie psychisch Krank. Wenn es PoC tun, steht es in irgendeiner Verbindung mit ihrer Hautfarbe, ihrer >>Kultur<< oder ihrer Religion.

Und wir fahren alle voll drauf ab. Einige distanzieren sich, andere verteidigen die Muslime, andere reden von >>unserer Freiheit<< ( diese >>Freiheit<< besteht in erster Linie darin, mit der hegemonialen Position der weißen Wissens- und Darstellungstradition marginalisierte Menschen weiterhin fremdbestimmen und repräsentieren zu dürfen), und alle spinnen sie weiter im Rädchen der absurden Dichotomien.

Aus diesem Teufelskreis werden wir nicht ausbrechen, ehe wir die Gründe und Mechanismen erkennen und anfangen zu dekonstruieren. Wieso sind bestimmte Darstellungsweisen gesellschaftliche Normen? Wer produziert Wissen über wen? Wessen Wissen wird als Wissen anerkannt? Woran liegt es, dass Schwarze, PoC, Muslime in ihren schlechten Taten kollektiviert, in ihren guten Taten aber zur Ausnahme emporgehoben werden?

Could we all please read some postcolonial literature?! Please?!

... Auf wessen Bedürfnisse und Fragen und Sorgen gehen wir eigentlich ein in all den Diskursen? ... Mir ist nur aufgefallen, dass sehr viele in erster Linie an die weiße Mehrheitsgesellschaft gewandt reden. Und das auf eine Art und Weise, die all die muslimische Arbeit in Deutschland für ein Islamverständnis, das unsere internen Probleme zu lösen vermag arbeiten, ausblendet. Es wird so getan, als gebe es diese Arbeit nicht, nur weil sie der weiße Mainstream Diskurs nicht sieht.

... Warum wird >>über<< die Muslime zu den nicht-Muslimen geredet, anstatt mal aufzuhören über >>die Muslime<< zu meckern und sich lokal dort einzubringen, wo man Lücken sieht?

Was für Signale senden wir eigentlich an die jüngere Generation der Muslime in Deutschland? Sind wir für sie, oder zeigen wir nur wie der Rest der Gesellschaft mit dem Finger auf sie? Bemühen wir uns darum, diese aufzufangen, oder prangern wir sie lieber an? Wessen Bedürfnisse überwiegen? Mit wem solidarisieren wir uns? Mit den Marginalisierten, die sich nicht selten in einem systematischen Teufelskreis von strukturellem Rassismus, fehlender Bildung und sozialer Ausgrenzung befinden, oder mit jenen, die immer wieder nur die Marginalisierten zum Diskurs machen, anstatt die weiße Beobachter*innenposition mal in Frage zu stellen?

Das Klima des gesellschaftlichen Miteinanders werde durch solche Attentaten vergiftet hieß es auch. Diese Aussage finde ich schwierig. Kommt natürlich darauf an, ob wir trotz struktureller und instituioneller Diskriminierungen von Menschen in Deutschland uns als Individuum eher bei jenen verorten, die es ein wenig besser, oder ein wenig schlechter haben. Ist das Klima erst vergiftet, wenn ein paar Leute ausrasten und weiße Leben bedroht sind? War es es nicht bereits vergiftet, als die Politik sich einen Scheiß um das Leben der Geflüchteten der Refugee-Schule in Berlin gekümmert hat? ...


Aus: "Von der Fetischisierung der Meinungsfreiheit& dem Wahnsinn der Selbstverteidigung"
Posted on 11. January 2015 by diasporareflektionen
Quelle: https://diasporareflektionen.wordpress.com/2015/01/11/von-der-fetischisierung-der-meinungsfreiheit-dem-wahnsinn-der-selbstverteidigung/

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Quote[...] PARIS ap | Die ersten 700.000 Exemplare der neuen Ausgabe von Charlie Hebdo sind in Frankreich innerhalb weniger Stunden verkauft worden. An den rund 27.000 Zeitungskiosken und anderen Verkaufsstellen im Land hieß es bereits am Vormittag ,,Nichts geht mehr", wie die Händlerorganisation UNDP berichtete.

Der Vertrieb teilte mit, statt der ursprünglich geplanten drei Millionen Exemplare nun fünf Millionen Exemplare drucken zu wollen. Bereits am Mittwochnachmittag sollte es neue Lieferungen geben. Die am Mittwoch erschienene Charlie-Hebdo-Ausgabe ist die erste seit dem mörderischen Terroranschlag auf die Redaktion.

Die Terrorgruppe al-Qaida im Jemen gab sich am Erscheinungstag als Drahtzieher des Angriffs der vergangenen Woche zu erkennen.

Ein ranghoher Kommandeur, Nasr al-Ansi, sagte in einem elfminütigen Internetvideo, das Massaker vom vergangenen Mittwoch sei ,,Vergeltung für den Propheten" gewesen. Al-Ansi sagte zudem, Frankreich gehöre zur ,,Partei des Satans". Er warnte vor weiteren ,,Tragödien und Terror". Der jemenitische Ableger von al-Qaida wählte nach seinen Worten ,,das Ziel, legte den Plan vor und finanzierte die Operation".

An einigen Pariser Kiosken gab es Handgreiflichkeiten, als klar wurde, dass nicht genug Charlie Hebdo-Exemplare für alle da waren. An einem Kiosk an der Champs-Élysées war das Magazin um 6.05 Uhr vergriffen – fünf Minuten nach der Anlieferung.

... In der Türkei ließ die Polizei die Auslieferung der säkularen Zeitung Cumhuriyet erst zu, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie die neue Mohammed-Karikatur der Charlie Hebdo nicht nachgedruckt hatte. Im Inneren des Blattes gab es vier Seiten mit Cartoons des französischen Satiremagazins, allerdings nicht mit solchen, die von Muslimen als blasphemisch aufgefasst werden könnten, erklärte Chefredakteur Utku Cariközer.


Aus: "Nach dem Anschlag auf ,,Charlie Hebdo": Bekennervideo von al-Qaida" (14. 01. 2015)
Quelle: http://ww.taz.de/Nach-dem-Anschlag-auf-Charlie-Hebdo/!152809/

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Bärgida: Ein aus Sachsen importierter Demonstrations-Franchise, welches Nazis, Hooligans und sonstige Patrioten unter einem, schwarz-rot-goldenem Banner gegen den Islam vereint? So ganz einfach ist es nicht. Die angebliche Islamisierung des ,,Abendlandes", ist nur einer von vielen Beweggründen der rechtspopulistischen Demonstranten, die in Berlin so wie auch in Dresden, Leipzig, Kassel und vielen weiteren Städten der Bundesrepublik. Fremden- und Religionsfeindlichkeit, gehen mit Existenzängsten und dem Empfinden einher, von Seiten der Politik nicht mehr wahrgenommen und repräsentiert zu werden.

Am 5. Januar setzten 6.000 BürgerInnen der Hauptstadt ein klares Zeichen gegen Religions- und Menschenfeindlichkeit, in dem sie sich den 400 Bärgida-Demonstranten entgegenstellten. Der Aufmarsch der ,,besorgeten Europäer" wurde blockiert, bis diese schließlich die Demo auflösten.

Hakan Demir, stellvertretender Vorsitzender der AG Migration der SPD Neukölln, beschreibt das Vorgehen der Pegida-/Bärgida-Organisatoren als Taktik. ,,Da wird etwas Schützenswertes, die Kulturgemeinschaft des europäischen Abendlandes, aufgebaut und eine Bedrohung konstruiert, um die Ängste der Bürger auf einen gemeinsamen Sündenbock zu kanalisieren." Doch was muss von wem verteidigt werden? Vieles wird vermischt. Die selbsternannten abendländischen Patrioten wollen ein ,,Flüchtlingsproblem" in einem Atemzug mit der muslimischen Gemeinde in der Nachbarschaft bekämpfen. Das hat weniger mit dem Islam zu tun, als mit der Angst vor ,,kultureller Überfremdung" und einer nicht nachvollziehbaren Migrations- und Flüchtlingspolitik.

,,Welches europäische Abendland wollen wir da eigentlich verteidigen?" Fragt sich Demir und fordert, dass wir ,,ein flexibles Wir brauchen, in dem ein Flüchtling aus Syrien genauso ein Teil der Gesellschaft ist wie ein deutscher Bürger der 12. Generation. Und kein stabiles Wir, welches sich aus einer konstruierten Form des Deutschseins begründet."

Würde man 50 Pegida-Demonstranten aus Dresden in einen Fernbus setzen und ließe sie am Hermannplatz aussteigen, kann man davon ausgehen, dass sie sich in all ihren schlimmsten Befürchtungen und Ängsten bestätigt sähen. Neukölln repräsentiert wohl all das, was immer mehr verängstigte ,,Patrioten" zu verhindern versuchen.

,,Wie lächerlich", entgegnet der angehende Rabbiner, Armin Langer. ,,Neukölln ist ein Bezirk in dem mehr englisch, als arabisch oder türkisch gesprochen wird. Wenn das Stadtbild des Bezirks durch eine Bevölkerungsgruppe dominiert wird, dann sind es die Hipster", beschreibt er augenzwinkernd. ,,Und selbst wenn Neukölln ,islamisiert wäre', was würde das bedeuten? Wäre das schlimm?"

Bestärkt und mit Horrorszenarien gefüttert, werden die selbsternannten Patrioten auch von Neuköllns Bürgermeister, Heinz Buschkowsky. Er weiß sich immer wieder mit reißerischen Verlautbarungen in Szene zu setzen. Beispielsweise sähe er aus seinem Bürofenster größten Teils Frauen mit langen schwarzen Mänteln und Kopfbedeckungen. ,,Das verbinde ich", so Buschkowsky, ,,nicht mit dem Begriff Europa." Parteigenosse Hakan Demir, kennt den Ausblick aus dem Büro des Neuköllner Bürgermeisters und weist darauf hin, dass man ,,direkt gegenüber eine urdeutsche Fleischerei, eingebettet in einem sehr gemischtes Stadtbild", zu Gesicht bekommt.

... Eine Frage muss sich jeder Einzelne stellen – egal ob in Neukölln, Berlin oder ganz Deutschland: In welcher Gesellschaft möchten wir leben? In einer Gesellschaft, in der man sein Potpourri an kleinbürgerlich-nationalistischen Ängsten, gepaart mit einer gehörigen Portion Unsicherheit, als Anlass nimmt, gegen den Islam und Ausländer zu hetzen? Oder in einer Gesellschaft, in der man die Unterschiede zwischen Menschen diskutiert und sie zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen aufgreift? Laut dem aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung, sieht mehr als die Hälfte aller Deutschen, im Islam eine Gefahr für Deutschland. Das sind alarmierende Zahlen. Der angehende Rabbiner Langer, kommentiert trocken: ,,Ein Drittel der deutschen Bevölkerung glaubt auch immer noch an die jüdische Weltverschwörung."

...


Aus: "Macht & Märchen: Welches "Wir"?" von Torben Lehning (12. Januar 2015)
Quelle: http://www.neukoellner.net/macht-marchen/welches-wir/


Textaris(txt*bot)

Boualem Sansal (* 15. Oktober 1949 in Theniet El Had, Algerien) ist ein frankophoner algerischer Schriftsteller. ... Sansal ist Muslim. Allerdings sieht er sich als säkular und hat wiederholt den Islamismus scharf kritisiert. Generell betrachtet er jede Form von Religion, besonders den Islam, kritisch: "Die Religion erscheint mir sehr gefährlich wegen ihrer brutalen, totalitären Seite. Der Islam ist ein furchteinflößendes Gesetz geworden, das nichts als Verbote ausspricht, den Zweifel verbannt und dessen Eiferer mehr und mehr gewalttätig sind. Er muss seine Spiritualität, seine wichtigste Kraft, wiederfinden. Man muss den Islam befreien, entkolonisieren, sozialisieren." ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Boualem_Sansal (14. Mai 2014)

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Quote[...] taz: Herr Sansal, war das Attentat auf Charlie Hebdo ein isolierter Gewaltakt, oder ist es der erste einer Serie von Anschlägen, gar der Beginn eines langen Krieges radikaler Islamisten gegen den Westen und seine Werte?

Boualem Sansal: Es handelt sich weder um eine Einzelaktion noch um ein völlig durchorganisiertes Verbrechen. Ich glaube, dass wir vor einem längeren Prozess stehen. Der Islamismus ist mittlerweile überall auf der Welt verankert. Er entwickelt sich mit seinen Höhen und Tiefen. Mal ist er ruhiger, mal ist er sehr virulent. Was derzeit in Europa passiert, lässt sich mit dem vergleichen, was wir in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren in Algerien erlebten. Es ist eine lange, stetige Entwicklung.

taz: Sie sehen also einen Zusammenhang zwischen der Terrorwelle der 1990er Jahre in Algerien und dem, was heute in Frankreich passiert?

Boualem Sansal: Egal ob es um Politik, Religion oder Kultur geht, alles was in Frankreich geschieht, hat sofort Auswirkungen auf Algerien und umgekehrt. Die Algerier stellen eine große Bevölkerungsgruppe in Frankreich. Es gibt ein ständiges Kommen und Gehen zwischen beiden Ländern. Es bestehen unzählige Verbindungen und Kontakte.

taz: Das heißt, die Anschläge von Paris sind gewissermaßen das Erbe des Kolonialismus oder Neokolonialismus?

Boualem Sansal: Nein, die Erinnerung an den Konflikt zwischen Frankreich und Algerien spielt nur eine untergeordnete Rolle. Auch wenn die Ressentiments sicher dazu beitragen, dass die meisten großen Anschläge und auch viele der kleineren in Frankreich von Attentätern mit algerischem Hintergrund ausgeführt werden. Das war auch jetzt bei Charlie Hebdo wieder so. Aber wenn wir heute von den Attentätern und den Islamisten reden, dann geht es um die vierte Generation. Die radikalen Islamisten haben ihren globalen Zusammenhang. Sie tauschen sich über das Internet aus. Die Nationalität spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Wir stehen vor einer regelrechten islamistischen Internationalen. Die Informationen, die Propaganda, alles zirkuliert sehr schnell.

taz: Wie erklären Sie sich die Gewalt dann? Ist sie das Ergebnis von sozialen Konflikten? Die Folge mangelnder Integration?

Boualem Sansal: Nein, nein. Die sozialen Probleme spielen auch nur eine Nebenrolle. Es gibt ein politisches Projekt im Islam, mit dem Namen Ennahda, dem Wiedererwachen. Der Islam ist nach jahrhundertelangem Schlaf wieder aktiv. Es gibt zwei Strömungen. Die einen wollen einen offenen, modernen Islam. Sie wollen aus dem traditionellen Islam ausbrechen. Die andere Strömung hat eben diesen traditionellen Islam und das Projekt der Eroberung erneut aufgenommen. So wie einst der Prophet immer neue Länder, immer neue Seelen eroberte. Es geht ihnen darum, die ganze Welt zu islamisieren.

taz: Sie reden vom Islamismus und nicht vom Islam als solchem?

Boualem Sansal: Nein, ich rede sehr wohl vom Islam als solchem. Nach mehreren Jahrhunderten der Ruhe und des Rückgangs ist der Islam wieder aktiv. Es geht darum, den Islam wieder zur großen Religion zu machen, zur großen Zivilisation, der er einst war.

taz: Aber wenn wir von Gewalt reden, vom Terror, dann geht es doch um den Islamismus und nicht um den Islam?

Boualem Sansal: Moment. Es gibt zwei Projekte: das der Modernisierung und das der Tradition. Diejenigen, die zur Tradition zurückwollen, sind Fundamentalisten, meist Salafisten. Der Islam, wie sie ihn verstehen, ist der des Propheten, der die Religion mit dem Schwert und nicht mit dem Wort verbreitete. Es geht ihnen darum, die Welt zu erobern, die Menschen zu islamisieren. Das hat zum radikalen Islamismus geführt.

taz: Welche der zwei Strömungen wird sich durchsetzen?

Boualem Sansal: Langfristig die Aufklärer, die Modernisierer. Aber wer auf die Intelligenz setzt, braucht viel Zeit. Es geht darum, viele, viele Generationen zu erziehen. Bis sich der moderne Islam durchsetzt, geht sicher ein weiteres Jahrhundert ins Land. Bis dahin werden die Islamisten das Sagen haben. Sie sind in Marokko, in Libyen, Iran, Irak, Syrien, Afghanistan hegemonial. Und selbst dort, wo sie nicht an der Macht sind, haben sie die Gesellschaft fest im Griff, wie zum Beispiel in Tunesien oder Algerien. Und jetzt haben sie den Westen zum Ziel auserkoren. In Ländern wie Frankreich, Deutschland, in Belgien, in Großbritannien – auch dort gewinnen sie an Einfluss.

taz: Wie schaffen sie es, Anhänger unter jungen Menschen zu finden, die im Westen aufgewachsen sind? Wie sehen die sozialen Mechanismen dieser Rekrutierung aus?

Boualem Sansal: Es gibt keinen sozialen Mechanismus. Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Islamisten seien alles arme Schlucker. Bei uns in Algerien waren viele der Islamisten Akademiker, hatten studiert. Waren Beamte, Ingenieure, Ärzte, Naturwissenschaftler. Fast die gesamte Führung der Islamischen Heilsfront (FIS) bestand aus Wissenschaftlern, Ärzten, Medizinern oder Juristen. Viele wurden in Frankreich oder den USA ausgebildet. Es ist eine Elite.

taz: Das gilt aber nicht für diejenigen, die aus westlichen Ländern jetzt in den Krieg nach Syrien oder Irak ziehen, um sich dort dem Islamischen Staat anzuschließen.

Boualem Sansal: Natürlich gibt es auch die einfachen Soldaten. Die machen dies oft nicht wegen der Religion, sondern weil der Islamische Staat sie gut bezahlt. Und es geht ums Abenteuer. Um Überfälle, Raubzüge, Vergewaltigungen. Das sind Psychopathen.

taz: Ist das nicht zu einfach? Gibt es nicht auch den Mythos vom guten Dschihadisten, so wie einst unter Linken den vom Guerillero à la Che Guevara?

Boualem Sansal: Natürlich gibt es auch diejenigen, die fest an eine islamische Revolution glauben und davon begeistert sind. Sie leben in ihrer eigenen Welt, mit eigener Literatur, Poetik und Filmen. Aber ein Großteil sind einfache, elende Gestalten. Kleine Kriminelle, Menschen mit Drogenproblemen und die oft einem völlig zerrütteten Milieu entstammen.

taz: Also doch diejenigen, die nicht integriert werden können?

Boualem Sansal: Wenn ich von elenden Gestalten rede, meine ich damit nicht automatisch die Vororte, die Hochburgen der Immigration. Es gibt unter ihnen auch Franzosen, die zum Islam konvertiert sind. Leute, die einen guten Posten als Beamter hatten, in der Armee gedient hatten. Diese haben das Elend eines verarmten Kopfes, nicht unbedingt aber ein elendes materielles Dasein.

taz: Aber was ist es, was diese Menschen anzieht? Wenn es nicht die soziale Frage ist, dann gibt es vielleicht so etwas wie einen psychologischen Mechanismus?

Boualem Sansal: Das ist ein großes Rätsel. Als der Islamismus in Algerien Fuß fasste, hat niemand so richtig verstanden, was da vor sich ging. Die Erklärung liegt in der modernen Welt an sich. Es gibt nichts mehr, von dem man träumen kann. Alles reduziert sich auf eine gute Arbeit, eine Wohnung, ein Auto. Es passiert nichts, was begeistern könnte. Vielen Menschen fehlt etwas. Vor allem junge Menschen brauchen Träume, wollen, dass etwas passiert. Das finden sie nirgends, absolut nirgends.

taz: Islamismus, um ein leeres Leben zu füllen?

Boualem Sansal: Die Religion, der Islam bietet tatsächlich so etwas wie einen Sinn in alldem. Träume, Freundschaft, Abenteuer. In der Moschee ist vom Leben die Rede, von Gott, vom Paradies, von den heldenhaften Schlachten des Propheten. Es geht um die große arabische Zivilisation, mit ihrer glorreichen Vergangenheit, den vielen großen Erfindungen. Das begeistert. Der radikale Islamismus ist damit vielmehr die Folge einer moralischen Krise als einer sozialen Krise. In Algerien waren es nicht die jungen Arbeitslosen. In Algerien zog es vielmehr Intellektuelle und gebildete Menschen in die Moschee. Produzieren, konsumieren, produzieren – vielen ist das nicht genug. Die Religion gibt ihnen scheinbar eine Antwort.

taz: Was kann der Westen tun, um den modernen Islam zu unterstützen und den traditionellen Islam und damit den Islamismus zu bekämpfen?

Boualem Sansal: Man kann den traditionellen Islam nicht einfach so ,,bekämpfen". Es geht um Ideen, Gedanken. Wir bekämpfen ja auch nicht die traditionellen, orthodoxen Christen. Sie haben ein Recht darauf, ihre Religion zu leben. Es geht darum, die Auswüchse zu bekämpfen.

taz: Und wie bekämpfen wir die Auswüchse, die Gewalt, den Terrorismus?

Boualem Sansal: Indem wir unsere humanistischen Ideen, Prinzipien verteidigen. Aber genau da liegt das Problem. Europa scheint keine Prinzipien, keine Ideen mehr zu haben. Für was und für wen sollen wir kämpfen? Für den Profit der Banken? Und wen verteidigen wir? Die alteingesessenen Franzosen oder alle, egal welcher Abstammung und welcher Glaubensrichtungen sie sind? Europa hat nach und nach viele Ideen des großen, aufgeklärten Europas vergessen. Das Europa der Zivilisation wird doch immer wieder aufgegeben.

Europa handelt keineswegs immer demokratisch. Europa unterstützt Diktaturen, damit es seine Waffen- oder Atomtechnik verkaufen kann. Vieles ist dem Kommerz untergeordnet. Ohne Ideale und Prinzipien ist es schwer zu kämpfen, unmöglich zu gewinnen. Denn die Gegner haben Prinzipien und eine Erzählung. Und sie haben den Mut, diese zu verteidigen. Das ist das Problem. Europa muss wieder die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in den Vordergrund rücken. Europa muss so nach vorne schauen und die Zukunft, die Jugend, für sich gewinnen.


Aus: "Autor Boualem Sansal über Terror: ,,Eine islamistische Internationale"" (25.01.2015)
Quelle: http://www.taz.de/Autor-Boualem-Sansal-ueber-Terror/!153412/

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Quote[...] Das Attentat auf den jüdischen Supermarkt in Paris, bei dem am 9. Jänner vier Geiseln starben, erfolgte nicht aus heiterem Himmel. Wie der Dachrat der jüdischen Organisationen (Crif) am Dienstag bekanntgab, wurden im vergangenen Jahr 851 antisemitische Taten registriert - doppelt so viele wie im Vorjahr (423). Noch stärker ist die Zunahme bei den körperlichen Attacken: Sie stiegen binnen Jahresfrist von 105 auf 241.

Crif-Präsident Roger Cukierman stellte einen Bezug zu den jüngsten Attentaten her: "Von der Beleidigung zur Gewalt, von der Gewalt zum Terrorismus." Er erinnerte daran, dass die antisemitischen Akte mehr als die Hälfte aller rassistischen Straftaten in Frankreich ausmachten; dabei stellen die knapp 600.000 Juden Frankreichs nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung.

Sie beklagen ein zunehmend bedrohliches Klima. Im Pariser Vorort Créteil war Ende 2014 ein junges Paar misshandelt und ausgeraubt worden, "weil Juden reich" seien. 2014 emigrierten etwa 5000 französische Juden nach Israel - ein Rekord.

Cukierman forderte von der französischen Regierung "starke Maßnahmen". Präsident François Hollande antwortete bei einem Auftritt im Pariser Holocaust-Memorial, bevor er an die Gedenkfeiern in Auschwitz reiste. Er kündigte für Ende Februar einen "globalen Plan" zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus an. Solche Motive sollen im Strafrecht in Zukunft als "straferschwerend" geahndet werden. Neben normalen sollen aber auch Strafen mit "pädagogischem" Charakter eingeführt werden.

Weitergehende Maßnahmen sind fast nicht mehr möglich: Der Schutz jüdischer Einrichtungen wie Synagogen und Schulen ist zuletzt mehrfach verstärkt worden; zudem hat Bildungsminister Najat Vallaud-Belkacem eine Serie schulischer Maßnahmen wie etwa die Einführung einer "Woche gegen Rassismus und Antisemitismus" angekündigt.

Diese beiden Begriffe benutzt die Regierung bewusst in einem Atemzug. Hollande wählte seine Worte am Dienstag ebenfalls mit viel Bedacht: Während Lehrer in Banlieue-Vierteln berichten, dass sie bei einzelnen Schülern auf heftigen Widerstand stoßen, wenn sie das Thema Holocaust anschneiden wollen, vermied es der Staatspräsident bewusst, die Taten einer bestimmten Bevölkerungskategorie zuzuweisen. Er meinte nur, der Antisemitismus habe "sein Gesicht gewandelt", auch wenn er auf den alten Komplott-Mechanismen beruhe. Das war eine Anspielung auf die in Vorstädten zirkulierenden Thesen, die Pariser Attentate seien vom französischen oder israelischen Geheimdienst inszeniert worden.

Nach den Anschlägen war es auch zu mehr als 50 Attacken auf muslimische Einrichtungen gekommen. Familien mit dem algerischen Namen Kouachi - so hießen zwei der Attentäter - berichten von Anfeindungen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 28.1.2015)


Aus: "Frankreich geht gegen grassierenden Antisemitismus vor" Stefan Brändle aus Paris (28.01.2015)
Quelle: http://derstandard.at/2000010950042/Paris-geht-gegen-grassierenden-Antisemitismus-im-Land-vor


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#180
Quote[...] Wegen einer "verschärften Bedrohungslage" sollen Reisende aus den USA "angemessene persönliche Sicherheitsmaßnahmen" prüfen, wenn sie nach Deutschland reisen. Das schreibt das US-Außenministerium auf seiner Webseite. Die Behörde verweist ausdrücklich auf die Pegida-Demonstrationen, aber auch auf die Gegendemos. Auch friedliche Demonstrationen könnten "konfrontativ" ausarten und in Gewalt umschlagen, heißt es weiter in der Erklärung, die am Montag veröffentlicht wurde.

In durchaus schrillem Ton warnt das Ministerium wegen der "aktuellen Ereignisse in Europa", womit auch die Terroranschläge von Paris gemeint sein dürften, zu strenger Wachsamkeit. Die USA sind dafür bekannt, eine eher niedrige Schwelle bei Reisewarnungen und Hinweisen zu Gefahrensituationen zu haben.

Als Städte, in denen US-Bürger besondere Vorsicht walten lassen sollen, werden unter anderem Berlin, Dresden, Leipzig, München, Düsseldorf und Köln genannt. Die in Dresden beheimatete und mehr schlecht als recht in andere deutsche Städte exportierte Pegida-Bewegung kämpft nach eigener Aussage "gegen die Islamisierung des Abendlandes". Die Demonstrationen in Dresden verliefen bislang weitgehend friedlich. Zu Zusammenstößen zwischen Islam-Kritikern auf der einen sowie Polizisten und Journalisten auf der anderen Seite war es jedoch zuletzt beispielsweise in Leipzig gekommen. In Berlin konnte der Ableger Bärgida höchstens einige Hundert Menschen auf die Straße bringen.

Quotevon Aldermann
    28.01.2015 12:43 Uhr

Haha das ist echt mal interessant. Angesichts der Schusswaffenverletzten in den USA ist es hier sicherer in einer engen Sporthalle zwischen je 100 Dortmund und Schalke Hooligans zu vermitteln. Gab es eigentlich eine Reisewarnung des AA, als es die Rassenunruhen in den USA gab?

Quotevon fritz, 28.01.2015 12:30 Uhr
Richtig ist: Es wird lediglich davor gewarnt, sich in der Nähe von Demos aufzuhalten.
Da ich zu faul bin, den sehr langen Text zu übersetzen, hier der Link:

https://www.osac.gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=16965


Quotevon robert56, 28.01.2015 11:37 Uhr
Warnung wegen Terrorgefahr
Diese Reisewarnungen wurden nicht wegen Pegida oder sonstigen friedlichen Demonstrationen ausgesprochen.
Die Warnungen haben was mit den Terroristischen Anschlagswarnungen der Pegida Gegner sowie der Islamisten in diesen Städten zu tun. Bitte bleibt bei den Fakten.


Quotevon jorhovetter00
    28.01.2015 11:18 Uhr

Also: Ich habe das mal im Original durchgelesen. Was gemeint ist: der amerikanische Durchschnittstourist soll sich bitte keine Lederhose anziehen, auf der Demo mitmaschieren und denken, es waere Karnevall und irgendwer wird schon mit Bonbons werfen. Da kein Mensch in Amerika weiss, was Pegida ist, koennte es zu solchen oder aehnlichen Missverstaendnissen durchaus kommen ...

yea, verily, yea


Quotevon Perry25
    28.01.2015 11:12 Uhr

Es schadet nicht, wenn die Dresdner weniger Touristen empfangen - Könnte ja sein, dass ein wohlhabender farbiger Amerikaner dort mit einem Asylbewerber verwechselt wird! Viele schauen ja dort offenbar nicht so genau hin!

Es ist wichtig, dass im migrantenarmen Osten die Menschen zu reflektieren beginnen! Ich bin denen auch nicht böse, immerhin hatten sie 56 Jahre Diktatur und das Gefühl, da ändert sich eh nix Und plötzlich werden sie in die Globalisierung gehauen! Eigentlich wollten viele doch nur mal richtig einkaufen gehen! Die Demokratie und die damit eingekaufte Verantwortung wollten viele eher nicht!


QuoteAntwort auf Perry25 vom 28.01.2015 11:12 Uhr
...
immerhin hatten sie 56 Jahre "Diktatur"

56 Jahre?? wie haben Sie das denn errechnet??

Quotentwort auf der_nun_wieder vom 28.01.2015 11:20 Uhr
56 Jahre
Diktatur von 1933 bis 1989 = 56 Jahre - noch Fragen?

Quotevon der_nun_wieder
    28.01.2015 12:01 Uhr

Antwort auf mescalero vom 28.01.2015 11:37 Uhr
...
Schon sehr abenteuerlich 1933-1945 mit 1949-1989 zu vergleichen ;-)





Aus: "USA warnen vor Reisen nach Berlin und Dresden" Nik Afanasjew (28.01.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/wegen-pegida-usa-warnen-vor-reisen-nach-berlin-und-dresden/11292124.html

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Quote[...] Im Zuge dieses 'cultural turn' sind aus den ehemaligen ,,Gastarbeitern" ,,Muslime" geworden, d.h. die Einwanderung wurde immer mehr in einen religiösen Kontext gestellt, indem die Einwanderer(innen) in erster Linie danach beurteilt wurden, welcher Religion sie mutmaßlich angehören zumindest wenn es um den Islam geht. Denn in dem Zusammenhang wurden die Gruppe der (vermeintlichen) Muslime als besonders problematisch dargestellt un zum Prototyp des Fremden gemacht. Insofern kann man auch von einer ,,Islamisierung" der Einwanderungsdebatte sprechen. ...


Aus: "Identitätspolitik in Deutschland zwischen Islamisierung und (Re-)Christianisierung" Birgit Rommelspacher (Datum ?)
Quelle: http://www.birgit-rommelspacher.de/pdfs/Osnabr__ck2_Identit__tspolitik_in_Deutschland_zwischen_Islamisierung_und.pdf

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Quote[...] Der israelische Soziologe Shmuel N. Eisenstadt und sein deutscher Kollege Bernhard Giesen unterscheiden die Bildung kultureller (Gruppen-) Identitäten durch vier Arten von Codes mit zunehmendem Reflexionsniveau:

   * In den ersten, den primordialen Codes, werde die Gruppenzugehörigkeit als naturgegeben betrachtet.
   * In der zweiten Gruppe von Codes werde die kulturelle Identität durch Traditionen und Ursprungsmythen begründet.
   * Die dritte Gruppe, die Delanty kulturelle Codes nennt, beziehe sich auf religiöse oder transzendentale Bezugsgrößen wie Gott, die Vernunft oder die Idee des Fortschritts.
   * In der vierten Gruppe würden die vorher genannten Codes kritisiert und gebrochen; statt Mythen, Traditionen oder metaphysischen Ideen würden soziale und kulturelle Inhalte des Alltagslebens wie Geschmack, materielle Werte oder Privilegien in den Vordergrund rücken.

Der britische Soziologe Gerard Delanty ergänzt eine fünfte und letzte Gruppe von identitätsbildenden Codes, die er Diskursivität nennt. Hier würden die starken Exklusionen, die mit den zuvor genannten Codes einhergegangen seien, im Sinne eines demokratischen Bewusstseins zurückgenommen, der Prozess der Identitätsschaffung werde transparent und reflektiert.

[...]

... Eine Person kann gänzlich widerspruchsfrei amerikanische Bürgerin, von karibischer Herkunft mit afrikanischen Vorfahren, Christin, Liberale, Frau, Vegetarierin, Langstreckenläuferin, Heterosexuelle, Tennisfan etc. sein.

Die Menschen seien eben ,,auf unterschiedliche Weise verschieden": Der Begriff der kulturellen Identität tauge daher nicht dazu, Prognosen über das Verhalten kulturell definierter Kollektive zu machen.


Aus: "Kulturelle Identität" (5. Dezember 2014)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelle_Identit%C3%A4t

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Quote[...] PEGIDA ist die Wiederkehr [....] [der] Dynamik aus dem Gruselkabinett des Menschenmöglichen. Nur dass deren Mythologie jetzt, nachdem es hier kaum noch Juden gibt, eine vermeintliche ,,Islamisierung" als Hauptursache aller Probleme des Abendlandes ausmerzen will. Hinter dieser Kausaltheorie verbirgt sich als Konsequenz die Entsolidarisierung mit einer leicht identifizierbaren Bevölkerungsgruppe, deren reale und gefühlte Probleme sich von denen der Marschierenden kaum unterscheiden, denen man aber vereint entgegenhält: ,,Wir sind nicht überflüssig – ihr seid es. Wir sind das Volk, nicht ihr."

...


Aus: "Nicht ohne unsere Muslime!" ChristianBerlin (26.01.2015)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/nicht-ohne-unsere-muslime | Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes >> https://de.wikipedia.org/wiki/Patriotische_Europ%C3%A4er_gegen_die_Islamisierung_des_Abendlandes

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Quote[...] «Wir werden jeden Muslim vor Gott anklagen, der einen Tropfen Kreuzfahrerblut vergießen kann, aber das nicht tut», erklärte Al-Adnani in der im Internet verbreiteten Botschaft. Dabei nahm er unter anderem Bezug auf die Terroranschläge in Frankreich, so die dpa. Amedy Coulibaly, einer der drei Attentäter von Paris, hatte in einem Internetvideo IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue geschworen. Er wird für die vier jüdischen Opfer in einem Supermarkt sowie für einen Anschlag im Süden von Paris verantwortlich gemacht, bei dem eine Polizistin erschossen worden war.

...


Aus: "Neue Terrorgefahr: IS-Terrormiliz ruft zu Anschlägen im Westen auf" Deutsch Türkische Nachrichten  (27.01.15)
Quelle: http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2015/01/508498/neue-terrorgefahr-is-terrormiliz-ruft-zu-anschlaegen-im-westen-auf/

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Quote[...] Die ersten religiös motivierten Demonstrationen fielen in die späten 1980er Jahre. Damals forderten arabischstämmige Migranten das Recht ein, in den Schulen eine ihrem Glauben entsprechende Kleidung zu tragen. Für das strikt laizistisch gesinnte Frankreich war das eine enorme Herausforderung. Das Zeitalter der Identitätspolitik hatte begonnen. Doch seinen Ursprung, schreibt der Politologe und Soziologe Jacques Donzelot in seinem Buch Quand la ville se défait (2006), hat es in der Weigerung vieler ethnischer Franzosen, die Araber, überwiegend Algerier, als vollständige Bürger anzuerkennen und ihnen entsprechende Chancen zu bieten. ,,Die jungen Migranten fühlten sich von der französischen Gesellschaft kaum aufgehoben. Integriert waren sie trotzdem – als Ausgeschlossene."

Der Wandel der migrantischen Protestkultur in Frankreich spiegelt in nuce die Mechanismen, unter denen Islamismus generell gedeiht, in Europa ebenso wie in der arabischen Welt. Auf frappierende Weise erinnert er an die ersten islamistischen Regungen in Ägypten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Das Land am Nil ist zu jener Zeit von den Briten besetzt. Zugleich macht es Bekanntschaft mit den frühen Regungen der Globalisierung und des Kapitalismus. 1869 wird der Suezkanal eröffnet. ,,Mein Land ist nicht länger ein Teil Afrikas. Ich habe es zu einem Teil Europas gemacht", jubelt der ägyptische Regierungschef Ismail Pascha anlässlich der Feierlichkeiten.

Was das bedeutet, zeigt sich zunächst in Port Said, der durch den Bau entstandenen Hafenstadt am nördlichen Ende des Kanals. Sie wird Ägyptens erste global city. ,,Man spricht schlechtes Italienisch mit den Arabern, noch schlechteres Griechisch mit den Franzosen und ein unmögliches Arabisch mit den Menschen aus Dalmatien", notierte ein Zeitzeuge. Cafés und Orchestersäle werden eröffnet, doch unterhalb der Einrichtungen der Hochkultur entsteht ein zweites Port Said: das der Spelunken, des Glücksspiels, der Prostitution, der Rauschmittel. Port Said, schreibt ein englischer Beobachter, ,,ist der Ort, an dem Laster aus Ost und West gemeinsames Asyl finden".

Auch in anderen ägyptischen und arabischen Städten hält die Moderne Einzug. Breite Straßen werden gebaut, dank der Elektrizität werden die Nächte heller. 1881 bringt der Publizist Abdallah Nadim eine neue Zeitschrift heraus, al-Arghul, Die Flöte. Dort schildert er das Elend der weniger Begüterten. ,,Nachdem er Alkohol getrunken, Haschisch geraucht und sein Bewusstsein verloren hat / nachdem er sich eine Nacht lang amüsiert und sein ganzes Geld verspielt hat / weiß der Trottel nun, was er getan hat", heißt es über einen Tagelöhner.

Und noch etwas ist beunruhigend. In einer Geschichte skizziert Nadim das aufgeblasene Gehabe eines jungen Mannes, der mehrere Jahre in Paris verbracht hat. Als er zurückkehrt, will ihn sein Vater umarmen. Doch der junge Mann stößt ihn fort. Immer noch hätten die Muslime – ,,habt ihr Muslime", sagt er – die abstoßende Angewohnheit, einander zu umarmen und zu küssen. Wie man sich denn sonst begrüßen sollte, fragt der verdutzte Vater. ,,Sagt einfach bonne arrivée, schüttelt euch die Hände, und das war's." Aber er sei ein ägyptischer Bauer und habe das nie verleugnet, erwidert der Vater. ,,Ob Bauer oder nicht, ihr Ägypter seid wie Vieh", entgegnet der Sohn.

Die Ägypter entfremden sich dem eigenen Land. Zudem stehen sie unter der Herrschaft der Engländer. Was tun? Der 1883 im Iran geborene Theologe Dschamal ad-Din al-Afghani, einer der führenden Intellektuellen seiner Zeit, empfiehlt die Besinnung auf den Koran. Er sei das einzige Element, das die Völker des Mittelmeers zum Aufstand gegen die Besatzer zusammenhalte.

,,Solange die Araber den Koran lesen, ist das religiöse Band stärker als das von Nationalität und Sprache", schreibt al-Afghani in der Zeitschrift Das stärkste Band. Bemerkenswert: Es ist bis heute umstritten, ob der Weitgereiste ein wirklich gläubiger Muslim war. ,,Die Engländer halten mich für einen Russen, die Muslime sehen einen Zoroastrier in mir. Die Sunniten meinen, ich bin Schiit, und die Schiiten halten mich für einen Feind Allahs ... Die Deisten halten mich für einen Materialisten, die Frommen für einen Sünder bar jeder Frömmigkeit. Die Gebildeten sehen in mir einen ahnungslosen Ignoranten, und für die Gläubigen bin ich ein ungläubiger Sünder."

Der Islamismus, zeigt sich bereits in einer seiner frühesten Regungen, kommt im Zweifel auch ohne den Glauben aus. Mehr vielleicht als alles andere ist er eine Protestbewegung, angepasst an eine bestimmte Kultur und später, in Zeiten der Migration, an ein bestimmtes Milieu. Er ist höchst flexibel und anpassungsfähig. Die 1960er Jahre, während derer er global an Fahrt aufnahm, verzeichnen die erstaunlichsten Konversionen: Nationalisten, Antikolonialisten, selbst Sozialisten: Vertreter aller nur denkbaren Ideologien werden zu Islamisten. Rachid al-Ghannouchi zum Beispiel, der Führer der heutigen tunesischen Ennahda-Bewegung: Zunächst in säkularen panarabischen Bewegungen aktiv, entschied er sich anlässlich des Machtantritts von Präsident Habib Bourguiba für den Islam als Widerstandskraft. Mit seinem radikal säkularen Programm, fand er, untergrabe Bourguiba die Identität des Landes. Sich ideologisch neu zu orientieren war alles andere als einfach, berichtet al-Ghannouchi in der Rückschau. ,,Man geht von einer Welt in eine andere über, von einer Ideologie, einem Wertesystem zum anderen. Es ist eine brutale Metamorphose."

Und noch etwas bewog und bewegt arabische Aktivisten zur Konversion. Sie sehen im Islamismus die stärkste Kraft, um gegen die absolutistischen Regime ihrer Zeit anzugehen. Denn die Diktatoren tragen meist ein säkulares Gewand. In Ägypten legte ein laizistisch gesinnter Gamal Abdel Nasser die Grundlagen jenes Sicherheitsapparats, der bis heute dazu dient, Oppositionelle in den Kerkern des Regimes verschwinden zu lassen. In Syrien ging der junge, sich ebenfalls säkular gebende Hafiz al-Assad mit Brutalität gegen alle jene vor, die seine Herrschaft auch nur zu kritisieren wagten. Das waren vor allen die syrischen Muslimbrüder, die sich in den 1950er Jahren erstmals zusammenfanden. Und im Irak ließ Saddam Hussein ab 1979 alle dezimieren, denen er nicht trauen zu können glaubte. Vor allem auf die Schiiten hatte sich der weltlich gebende Diktator es abgesehen – also die Gruppe, die mit rund 60 Prozent den größten Teil der Bevölkerung ausmacht. Zu Hunderttausenden ließ er sie ermorden, es könnten bis zu anderthalb Millionen Menschen gewesen sein, vielleicht sogar mehr, die Schätzungen gehen auseinander.

Die Politik Saddams zeitigte ebenjenes Prinzip, das in den vergangenen Jahren auch dazu beigetragen hat, den religiösen Extremismus in Syrien voranzutreiben: Wer nur aufgrund seiner konfessionellen Zugehörigkeit bedroht ist, besinnt sich auf seine Religion, sucht Schutz bei seinen Glaubensbrüdern, anderswo gibt es keinen Schutz. Ob gläubig oder nicht, er ist gezwungen, sich religiös zu definieren. Werden Menschen allein aufgrund ihrer konfessionellen Zugehörigkeit gejagt und getötet, schnappt die religiöse Falle zu.

Zieht man die Gewalt ab, ist in gewisser Weise strukturell Vergleichbares auch in Frankreich passiert. Natürlich: Die jungen Araber waren nie bedroht. Aber zumindest in Teilen wurden sie ausgegrenzt. Diese Menschen formulierten ihre Reaktion in religiöser Sprache, einer Sprache, die sich dann zur Ideologie auswuchs. Dass unter ihnen nicht wenige sind, die überhaupt keine Chancen haben, passt ins Bild. Wenn der Islamismus sogar Sozialisten und Nationalisten hat bekehren können, dürfte er mit den in den Pariser Vorstädten Gestrandeten noch weniger Probleme haben. Drogen, Spielhallen, die Tristesse der Banlieues ebenso wie deutscher Vorstädte: Der Islamismus gedeiht auch in diesem Milieu. Soziologisch könnte man sagen, es geht um Verteilungskämpfe. Zu befürchten steht aber, dass es inzwischen um mehr geht, um kulturelle Identitäten. Werden die religiös begründet, lassen sie sich kaum mehr lösen. Der französische Philosoph Alain Finkielkraut berichtet in seinem Buch L'identité malheureuse (2013) von muslimischen Schülern, die sich weigern, die Werke von Jean-Jacques Rousseau oder auch Gustave Flauberts Roman Madame Bovary zu lesen. Das vertrage sich nicht mit ihrer Religion.

Wie geht man um mit solchen Verweigerern, wie begegnet man Menschen, die sich der Republik – der ,,gemeinsamen Sache", wie der Begriff ja wortwörtlich zu übersetzen ist – verweigern? Hier zeigen sich die Spätfolgen ungelöster Anerkennungskämpfe: Sie haben sich auf die Religion verlegt. Glaubensfragen sind aber kaum verhandelbar. Mag also sein, dass der radikale Islam anfänglich nur eine Form war, in die bedrängte Muslime ihre Anliegen gossen. Was aber, wenn diese Form gehärtet ist?

QuotederKrieger 27.01.2015 | 10:51

... was die "Härtung" angeht: Die Islamisten sind Überlebende. In den 60er, 70er Jahren des vergangenen Jhs. gab es in den arabischen Diktaturen noch alle Arten moderner Opposition. Sie wurden unterdrückt und ausgemerzt, endeten in Folterkellern und namenlosen Gräbern. Opfer von Diktatoren, die "der Westen" installierte, hofierte, korrumpierte, um sich den günstigen Zugang zur Ausbeutung der dort heimischen Ressourcen zu erschließen. Nur die islamisten waren nicht auszumerzen. Und das zumindest lässt sich wohl kaum "ohne Glauben" erklären.


QuoteReferenzkommentar 27.01.2015 | 12:31

Einigen wir uns doch darauf, daß es sich beim Islamismus um eine Form irrationaler Wahnideologie handelt, in der die im Kapitalismus schlecht Weggekommenen ihren Protest artikulieren, Schuldzuschreibungen im Weltprozeß vornehmen und angstüberwindend handeln können. Islamisten und Faschisten sind im Kern dasgleiche, nur zu unterscheiden durch die umhüllende Folklore. Die Freund-Feind Unterscheidung verläuft entlang unterschiedlicher Kriterien, aber das Ziel ist immer das gleiche: ihr bloßes Dasein wird den beliebig definierbaren 'Anderen' als unverzeihliche Schuld ausgelegt, welche dann mit Maschinengewehren, Handgranaten und - in letzter Instanz - Gaskammern bestraft werden muß.

... Zielführender wäre hier eine Untersuchung des Religionsbegriffs im Zusammenhang mit dem Problem sozialer Anerkennung und Organisation. 'Religion' hat in einem weiteren Sinne noch nie etwas mit 'Glauben' bzw. 'Spiritualität' zu tun gehabt. Der Beweis ist die moderne Religionskritik (Feuerbach z.B., der das vermeintliche 'Wesen' des Christentums gegen dessen Institutionalisierung ausspielt) oder die Trennung von Religion als Institutionengefüge und Spiritualität (Stichwort 'New Age').



Aus: "Notfalls ohne Glauben" Kersten Knipp (27.01.2015)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/notfalls-ohne-glauben


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Alpha Centauri Bb, Miami (dpo) - Die Organisatoren der Miss-Universe-Wahl sehen sich schweren Anschuldigungen ausgesetzt. So kritisiert Eg#a9lsg%hlay Fne'f', die diesjährige Miss Alpha Centauri Bb, die Jury des Schönheitswettbewerbs in Miami in einem Interview als unfair und voreingenommen. Dass sowohl sämtliche Juroren als auch Gewinnerinnen der letzten 53 Jahre ausnahmslos vom Planeten Erde stammten, sei nicht weniger als ein Skandal, so das bildhübsche wabernde Gasgemisch.

... Mit ihrer Kritik steht Fne'f' nicht alleine da. Auch Wesen von anderen Planeten des Universums haben inzwischen ihrem Unmut über die Veranstaltung Luft bzw. Gas gemacht. "Das ist einfach nur der pure Rassismus", kommentiert etwa Bbbbb Ghhhhds, die amtierende Miss Gliese 433 b, die Tatsache, dass sich mit der Kolumbianerin Paulina Vega auch in diesem Jahr wieder eine Menschen-Frau vom Planeten Erde durchsetzte. "Selbst Frauen anderer Spezies werden von der durchweg menschlichen Jury schlicht ignoriert.

... Dem Organisationskomitee der Wahl zur Miss-Universe drohen nun rechtliche Konsequenzen: Offenbar wollen zahlreiche Schönheitsköniginnen verschiedenster Aggregatzustände aus aller Herren Welten eine Sammelklage wegen Diskriminierung und Wettbewerbsverzerrung vor dem Intergalaktischen Gerichtshof (IGH) in 4 Ursae Majoris b einreichen.

Quote
*ister *arry *aribaldi • vor einem Tag

Im Universum gibt es keine Frauen, sondern nur Penise.


Quoteknorf • vor einem Tag

In diesem Fall handelt es sich nicht um Rassismus, sondern um Speziesismus!


QuoteBumsbert v Geilfick-Postillöni • vor einem Tag

Timmy (9) ziemlich verärgert, weil er nicht zu Miss Universe gewählt wurde.


Quoteinsulting management El_Blindo • vor einem Tag

Da fand ich diesen Satz aus der Süddeutschen so brilliant formuliert, weil er einfach Ursache und Wirkung zusammen und beides auf den Punkt bringt:
Eine Bewegung, die massiv von rassistischen Ressentiments geprägt ist und sich selbst als "Volkes Wille" inszeniert, schafft ein Klima, das rassistische Gewalttäter motiviert, den vermeintlichen "Volkswillen" zu vollstrecken

http://www.sueddeutsche.de/politik/dresden-rechtsextreme-verpruegeln-asylbewerber-1.2322018

Wenn man solche Zustände bei uns nicht auch haben will, gibt es nur eine Reaktionsmöglichkeit:
bedingungsloses Bekenntnis zum laizistischen Rechtsstaat



Aus: "Weibliches Gas-Wesen von Alpha Centauri kritisiert "Miss-Universe"-Jury als rassistisch" (Montag, 26. Januar 2015)
Quelle: http://www.der-postillon.com/2015/01/weibliches-gas-wesen-von-alpha-centauri.html


Textaris(txt*bot)

#182
Quote[...] "Wir sollten eine Einwanderung von Menschen, die unserer kulturellen Tradition völlig fremd sind, nicht weiter fördern, ja wir sollten sie verhindern", sagte Alexander Gauland im Gespräch mit Tagesspiegel-Redakteuren wenige Tage vor dem AfD-Bundesparteitag am Wochenende in Bremen.

Auf die Frage, welchen Muslimen er den Zuzug nach Deutschland verweigern wolle, antwortete der rechtskonservative Politiker: "Es gibt kulturelle Traditionen, die es sehr schwer haben, sich hier zu integrieren. Von dieser kulturellen Tradition möchte ich keine weitere Zuwanderung. Diese kulturelle Tradition ist im Nahen Osten zu Hause." In Deutschland dürften sich keine weiteren Parallelgesellschaften entwickeln, "mit denen wir am Ende nicht fertig werden".

Gauland gilt als Wortführer des erstarkenden national-konservativen AfD-Flügels und steht in seiner Partei für den umstrittenen Schulterschluss mit der Anti-Islam-Bewegung Pegida. Bei seinem Besuch der Tagesspiegel-Redaktion am Montag lobte er Pegida als "Volksbewegung". Sie sei vergleichbar mit der frühen Anti-Atombewegung, aus der seinerzeit die Grünen ihre politische Kraft bezogen.

Dass die Pegida-Anhänger bei ihrem Protest von fremdenfeindlichen Motiven geleitet werden, bestritt Gauland. Bei der überwiegenden Mehrheit handele es sich nicht um Rassisten, sondern um "ganz normale Menschen". Diese hätten das Gespräch mit führenden Politikern verdient – "ob mit Herrn Gabriel oder der Kanzlerin". Der Union prophezeite Gauland schwere Auseinandersetzungen wegen der Erklärung von Kanzlerin Angela Merkel, der Islam gehöre zu Deutschland. "Der Satz der Kanzlerin ist tödlich für das normale CDU-Mitglied", sagte Gauland, dessen Partei auf Zulauf enttäuschter Unionswähler hofft.

Quotevon heliwa
    28.01.2015 12:52 Uhr

Herr Gauland hat nicht recht
Ich bin seit der Gründung der AFD-Mitglied und trete für eine multikulturelle Gesellschaft ein. Wir wissen aus der Meschheitsgeschichte, dass immer, wenn verschiedene Kulturen und Religionen friedlich an Plätzen aufeinander trafen, z.B. Cordoba, Granada, Alexandria, Isfahan etc. es immer zu einer Hochkultur der Wissenschaft kam.

Ich bin für Einwanderung aus allen Nationen und Kulturen und Religionen. Und ich bin AFD-Mitglied. Herr Gauland spricht nur für sich, aber nicht für die AFD im Ganzen. Das wird er spätestens am Wochenende auf dem Bundesparteitag merken.



Aus: "AfD-Vize will Zuzug aus Nahost stoppen" Stephan Haselberger (01/2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/alexander-gauland-zu-islam-und-pegida-afd-vize-will-zuzug-aus-nahost-stoppen/11289968.html

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Götz Eisenberg (* 1951 in Arolsen, Hessen) ist ein deutscher Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitet als Gefängnispsychologe in der JVA Butzbach.
https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6tz_Eisenberg

Quote[...] In puncto Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit und Minoritäten-Hass gleichen die Deutschen, wie Heribert Prantl einmal gesagt hat, ,,trockenen Alkoholikern", bei denen bereits beim ersten Glas der Rückfall droht und die deswegen zu vollkommener Abstinenz verurteilt sind. Der Umstand, dass die Deutschen die Nachkriegsdemokratie nicht im Aufstand gegen Hitler erkämpft haben, sondern sie aus den Händen ihrer ,,Besatzer" entgegennahmen, also von oben verabreicht bekamen, hat bis in die Gegenwart spürbare Folgen. Zumal auch die ökonomischen Verhältnisse, die den Faschismus hervorgebracht haben, unverändert blieben. Mit dem Wiederaufbau der Städte und Fabrikationsanlagen wurden auch die alten Produktions- und Eigentumsverhältnisse wieder hergestellt. Demokratische Verkehrsformen wurden von vielen nur notdürftig und oberflächlich Entnazifizierten als Teil jener alliierten ,,Umerziehungsmaßnahmen" wahrgenommen, die die Deutschen als Quittung des ,,Zusammenbruchs" und als Folge ihrer Niederlage über sich ergehen lassen mussten. Leidlich akzeptiert wurden sie erst, als das ,,Wirtschaftswunder" ein Arrangement mit ihnen erleichterte und versüßte. Wenn in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen die Prämien für angepasstes Verhalten ausbleiben oder spärlicher werden, liegen deswegen in Deutschland unter einer dünnen Schicht zivilisierter Verhaltensweisen alte Denk-, Gefühls- und Vorurteilsgewohnheiten immer bereit. Zeiten allgemeiner Verunsicherung lassen quasi reflexartig das Bedürfnis nach Sündenböcken ins Kraut schießen, die man für die eigene Misere verantwortlichen machen kann.

Wenn die Fragen nach nationaler Identität und ,,Vaterlandsliebe" um sich greifen und sich im Lebensgrundgefühl größerer Bevölkerungsgruppen einnisten, muss man Alarm schlagen.

Die Betonung der nationalen Identität geht stets mit einer strikten Abgrenzung vom Nicht-Identischen und Fremden einher. Lässt man den ersten Schritt in Richtung Ausgrenzung und Entmenschlichung gewisser Bevölkerungsgruppen und Minderheiten unwidersprochen geschehen, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass man auch den zweiten, dritten und vierten Schritt mit vollzieht. Wenn man schließlich zum Mitläufer oder gar zum Handlanger von direkt kriminellen Handlungen gemacht werden soll, kann es zum Widersprechen zu spät sein. Die Generation, die in den 60er Jahren politisch aufgestanden ist, war vom kategorischen Imperativ der Kritischen Theorie geleitet, dass wir unser ,,Denken und Handeln so einzurichten haben, dass Auschwitz nicht sich wiederholt". Gerade in einer Woche, in die der siebzigste Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee fällt, hätten wir uns an diese Maxime zu erinnern und auf alle Anzeichen, die auf ein Wiederaufleben nazistischer Denkstrukturen und Praktiken hindeuten, schroff und hart zu reagieren. Unerträglich und beschämend, dass siebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz noch immer im Namen der ,,westlichen Wertegemeinschaft" gefoltert wird. Dieser Tage erscheint Das Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Slahi, in dem er von Schlafentzug, Dauerlärm und permanente Todesdrohungen berichtet. Unerträglich und beschämend, dass 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz französische Juden zu Tausenden die Flucht ergreifen müssen.

Ich hatte, um das Bewusstsein zu charakterisieren, von dem die fremdenfeindlichen Demonstrationen und Aufmärsche getragen werden, in meinem Text Der Extremismus der Mitte einen jungen Mann aus Marzahn zitiert, der Deniz Yücel von der taz gegenüber gesagt hatte: ,,Ick bin rechts. Aber nich so extrem. Ick sach ma: Judenverfolgung, die muss nich sein." Ein Leser fragt nun: ,,Wenn jemand mit den einfachen Worten eines einfachen Mannes zu Protokoll gibt, ja, rechts sei er schon, aber Judenverfolgung, da sei er dagegen – ist er dann ein Nazi oder nicht?" Jemand, der sagt, er sei ,,rechts, aber Judenverfolgung müsse nicht sein", gibt schon durch die Formulierung zu erkennen, dass er die Judenverfolgung lediglich für eine Geschmacksverirrung oder eine Übertreibung hält. Das, was der junge Mann beschönigend ,,Judenverfolgung" nennt, (als wären sie lediglich ,,verfolgt" und nicht systematisch und fabrikmäßig ermordet worden) ist keine überschüssige Zutat zum Nationalsozialismus, sondern sein Kern. Das sind die gleichen Leute, die nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass ,,an Hitler nicht alles schlecht war", dass er ,,die Autobahnen gebaut und die Arbeitslosen von der Straße geholt hat". Darf man darüber verständnisvoll hinweggehen?

Es gibt in der Tat so etwas wie ein rechtsradikales Syndrom, zu dem verschiedene ,,Symptome" gehören, die ich in einer Passage meines Textes ,,Der Extremismus der Mitte" aneinandergereiht habe. Der Rechtsradikalismus kann wechselnde Züge annehmen, aber dennoch zeigt sich, dass bestimmte Einzelseiten in seiner Physiognomie regelmäßig im Verein mit anderen auftreten. So ist, wer gegen Ausländer wettert, in der Regel auch gegen Schwule und für die Prügelstrafe. Es existiert hier eine sozialpsychologische Komplementarität, wonach bestimmte gesellschaftliche Affekte sich mit anderen verbinden. Dass ich mit meiner Einschätzung der Anführer von Pegida so falsch nicht lag, zeigen die jetzt bekannt gewordenen Äußerungen des inzwischen vom Vorsitz zurückgetretenen Lutz Bachmann, der auf Fotos als Hitler-Double posierte und auf Facebook Flüchtlinge als ,,Viehzeug", ,,Dreckspack" und ,,Gelumpe" bezeichnet hat.

Das Verheerendste an der gegenwärtigen Pegida-Diskussion ist, dass sich im Schlagschatten von Pegida und weit über diese hinaus eine Codierung sozialer Zugehörigkeit herausbildet, die festlegt, wer ,,zu uns gehört" und wer nicht. Die im ,,Zugehen auf Pegida" und beim Versuch, ,,die Beweggründe der verängstigten Bürger zu verstehen", getroffene Unterscheidung zwischen ,,guten Flüchtlingen", die beruflich gut qualifiziert sind und unseren Fachkräftemangel beheben helfen, und ,,bösen Flüchtlingen", die nur kommen, ,,um Straftaten zu begehen, von unseren Sozialsystemen zu profitieren und uns auszunutzen", hat fatale Folgen. Diese Unterscheidung findet Anschluss an die uralte zwischen ,,ehrlichen" und ,,unehrlichen" Armen, die tief in der arbeitsgesellschaftlichen Moderne und im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Jenen kann staatliche und kirchliche Hilfe zuteil werden, diesen muss man ihre Faulheit mit purer Härte austreiben. Solche Codierungen legen fest, wen wir als ,,Unsereiner" begreifen und in wen man sich einfühlt und wem als ,,nicht zu uns gehörend" jedes Mitgefühl verweigert werden kann. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts lehrt, dass die Lage derer, die als nicht-zugehörig definiert werden, prekär ist. Sind bestimmte Gruppen von Immigranten erst einmal als unnütz, unerwünscht, nicht zur eigenen Gruppe gehörig markiert, ist es, wie Harald Welzer gezeigt hat, ,,nur noch eine graduelle, keine prinzipielle Frage mehr, wie mit den Nicht-Zugehörigen zu verfahren sei". Immer wenn sich solche Unterscheidungen gesellschaftlich etablieren, ist äußerste Wachsamkeit geboten, weil sich in ihrem Schatten rabiatere Umgangsformen anbahnen. Aus stigmatisierten Fremden werden schnell Gegenmenschen, Feinde, die ,,uns die Luft zum Atmen nehmen" und ,,unsere Kultur" bedrohen, und die im Namen der Wir-Gruppe beseitigt werden müssen. Diejenigen, die auf ,,die Ängste der Bürger" eingehen wollen, verhalten sich wie ein Psychotherapeut, der sich anschickt, eine Spinnenphobie durch Ausrottung der Spinnen zu behandeln. Bereits in den frühen 1990er Jahren hat man den damals grassierenden Hass auf Einwanderer und Flüchtlinge zum Anlass genommen, die Asylgesetzgebung zu verschärfen.

Im Kern von Pegida und anderen rechtspopulistischen Bewegungen stoßen wir auf die Idee der ,,Reinheit der Gesellschaft" und der ,,ethnischen Homogenität". Das rechte Lager verspricht, Eindeutigkeit und Übersichtlichkeit dadurch herzustellen, dass ,,Ausländer, linke Zecken, Juden, Verbrecher, Sozialschmarotzer und Behinderte" verschwinden. Die dahinter stehende Idee ist die von einer guten, homogenen Gemeinschaft, die sich ihrer negativen Teile entledigt, eine Wahnidee, wie sie antidemokratischer nicht sein kann. Demokratie ist, im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Missverständnis, keine dumpfe Gesinnungsgemeinschaft, sondern eine Gesellschaftsform, die die Entfaltung von Verschiedenheit und den friedlichen Austrag von Dissens ermöglicht. Demokratie will und soll eine Gesellschaftsform sein, in der, wie Adorno in seinem Buch Minima Moralia schrieb, nicht alle gleich sein müssen, sondern in der man ,,ohne Angst verschieden sein kann". Sie basiert, sozialpsychologisch betrachtet, auf reifen, dialektischen Ich-Funktionen, zu deren wichtigsten Ambivalenz- und Angsttoleranz gehören. Sie setzen ihre Träger instand, in Widersprüchen zu leben und zu denken, diese, wo sie sich nicht auflösen lassen, auszuhalten und prüfend in der Schwebe zu belassen.

Demokratie ist nur möglich mit demokratischen Bürgern, die auch in krisenhaften Zeiten erwachsen bleiben und nicht auf primitivere Mechanismen der psychischen Regulation zurückfallen, die angesichts von gesellschaftlichen Turbulenzen und neuartigen Situationen nicht in Panik verfallen. Die Fähigkeit, sich in andere einfühlen zu können, hat in Deutschland nie zu den öffentlich geförderten Tugenden gehört. Sie wäre aber das einzig wirksame Gegengift gegen einen Rückfall in Barbarei, Rassismus und Xenophobie.

Wenn es stimmt, dass unter einem dünnen Firnis von Demokratie und Zivilisation ältere Reaktionsmuster erhalten geblieben und in Krisenzeiten abrufbar sind, muss eine demokratische Gesellschaft praxisorientierte Modelle entwickeln, um solche Regressionen zu verhindern. Es reicht nicht, wenn man gelernt hat, freundlich und hilfsbereit zu sein, man muss auch wissen, wie man den Gehorsam verweigern kann. Menschen mit autoritärem Charakter, der die Massenbasis des Faschismus gebildet hat, empfanden Schuldgefühle, wenn sie ihre Pflicht nicht erfüllt oder Zeichen von Ungehorsam gezeigt hatten. Nach den geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gilt: Wenn schon Schuldgefühle, dann sollten jene Menschen sie empfinden, die das, was sie tun oder was ihnen befohlen wird zu tun, zuvor nicht an den Maßstäben von Vernunft und Menschenwürde kritisch geprüft haben. Genau an dieser Stelle hatte die antiautoritäre Bewegung der späten 1960er Jahre eine eminent wichtige Funktion. Sie hat das dumpfe Klima des Beschweigens der Nazi-Gräuel beendet, Ungehorsamsmodelle in die politische Kultur der Bundesrepublik eingeführt und gezeigt, dass man bestimmten Entwicklungen widersprechen kann und zeitig begegnen muss. Wer sein Nein gegenüber bestimmten Entwicklungen nicht rechtzeitig äußert, wird es irgendwann nicht einmal mehr denken. Außerdem unterzog die 68er Bewegung jene Erziehungspraktiken einer radikalen Kritik, die autoritäre, an Gehorsam fixierte Charaktere hervorbringen, die zu den subjektiven Bedingungen der Möglichkeit des Faschismus gehören. Demokratie ist – Oskar Negt wird nicht müde, darauf hinzuweisen – eine Gesellschaftsordnung, die gelernt und eingeübt werden muss, weil sie auf urteilsfähige Beteiligung der Menschen angewiesen ist. Demokratie ist eine Lebensform, zu deren Erhaltung es einer politischen Bildung bedarf, die verschiedene Bauelemente wie Orientieren, Wissen, Lernen, Erfahren und kritische Urteilskraft miteinander verknüpft.

Pegida ist in dem, was von den Bühnen verlautbart und in Parolen vom Publikum skandiert wird, von einem solchen Demokratie-Verständnis Lichtjahre entfernt. Man bedient diffuse Sehnsüchte nach ethnischer Homogenität, nach Übersichtlichkeit und einfachen Erklärungen für hochkomplexe Probleme. Die Kurzfassung des Programms lautet: Deutschland soll deutsch sein und deutsch bleiben.

Schließlich möchte ich noch einmal betonen, dass mein Hauptanliegen war und ist zu zeigen, dass der Nationalsozialismus kein Randgruppenphänomen gewesen ist, sondern aus der Mitte der Gesellschaft hervorgewachsen ist und dort seine Massenbasis hatte. Primo Levi, der als italienischer Jude eine Jahr in Auschwitz-Monowitz interniert und als Chemiker zur Sklavenarbeit in den Buna-Werken eingeteilt war, hat nach seinem Überleben geschrieben: ,,Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlicher ist, das sind die normalen Menschen." Im Zuge der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse hat man die Angeklagten von Psychologen untersuchen lassen. Erwartet hatte man, dass sich Abgründe von Psychopathie auftun würden, dass man eine allen Nazis eigentümliche krankhafte Persönlichkeitsstruktur entdecken würde. Das Resultat der gründlichen Exploration von Göring, Hess, Speer, Frank, Streicher und anderen war deshalb für viele erschreckend und verblüffend: Man fand keine krankhaften Besonderheiten, sondern stieß auf eine kompakte Normalität. Der Gerichtspsychologe Douglas Kelley resümierte: ,,Aus unseren Befunden müssen wir nicht nur schließen, dass solche Personen weder krank noch einzigartig sind, sondern auch, dass wir sie heute in jedem anderen Land der Erde antreffen würden." 1961 sagte ein Gutachter über Eichmann, dass er normal sei, ,,normaler jedenfalls, als ich es bin, nachdem ich ihn untersucht habe." Die etwa zeitgleich durchgeführten Milgram-Experimente haben diesen Befund bestätigt: Die Testpersonen waren unter bestimmten Bedingungen fast alle zu fast allem fähig. Arno Gruen hat folgerichtig vom ,,Wahnsinn der Normalität" und von ,,Normopathen" gesprochen. Halten wir fest: Bürgerliche Normalität schützt vor gar nichts, nicht einmal vor grauenvollsten Verbrechen.

Mit Verboten, wie immer begründet sie im Augenblick auch sein mögen, ist natürlich nichts gewonnen. Das wird eher trotzige Reaktionen begünstigen: ,,Das könnte euch so passen. Jetzt erst recht!" Verbote drücken etwas real Existierendes in den gesellschaftlichen Untergrund, wo es ein gänzlich unkontrollierbares Eigenleben annimmt und irgendwann giftige Blasen wirft. Außerdem wohnt solchen Verboten eine Tendenz zur Verallgemeinerung inne. Irgendwann treffen sie auch die Gegenkräfte, wie man am generellen Demonstrationsverbot in Dresden am vorletzten Montag bereits sehen konnte. An eine Lokomotive mit der Aufschrift islamistischer Terror werden gegenwärtig viele Güterwaggons angehängt, beladen mit allen möglichen neuen Paragraphen und sicherheitspolitischen Vorhaben, die überwiegend mit Terrorismusbekämpfung wenig oder gar nichts zu tun haben, sondern das schier grenzenlose Kontrollbedürfnis des Staates befriedigen. Die Bürger sollen nicht nur an den Anblick von Maschinengewehren im Alltag gewöhnt werden, sondern es auch widerstandslos hinnehmen, dass man diverse Notstandsübungen durchführt und im Namen der Sicherheit ihre Grundrechte einschränkt oder außer Kraft setzt.


Aus: "Ohne Angst verschieden sein können" Götz Eisenberg (27. Januar 2015)
Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=24762


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Quote[...] Muss man alles sagen, schreiben, zeichnen, was man sagen, schreiben, zeichnen darf? Dass diese Frage in Amerika anders als in Frankreich und wiederum anders als in Deutschland behandelt wird, verdankt sich nicht nur unterschiedlichen rechtlichen Regelungen, sondern hängt natürlich auch mit den kulturellen Standards der jeweiligen Länder zusammen. Auf ebendiese berufen sich amerikanische Zeitungen, um zu erklären, warum sie die Mohammed-Karikaturen von ,,Charlie Hebdo" nicht abdrucken oder – wie im Falle der ,,Washington Post" – sie zwar drucken, aber mit dem ausdrücklichen Hinweis: gegen unsere Gepflogenheiten. So erklärte Marty Baron, Chefredakteur der ,,Washington Post", dass es zur ,,Praxis" seines Blattes gehöre, ,,keine Inhalte zu publizieren, die religiöse Gruppen ostentativ, absichtlich oder unnötig kränken".

Die ,,New York Times" verzichtet mit ebendieser Begründung ganz auf den Abdruck der islamkritischen Titelbilder. Für diese Entscheidung reklamiert sie eine publizistische Üblichkeit, die unabhängig von aktuellen Bedrohungslagen gelte. Damit, so heißt es, gebe man die Pressefreiheit gerade nicht preis, sondern gestalte sie. Eine Nötigung zur Solidarisierung mit Terroropfern, die einen automatischen Abdruck von Karikaturen nach sich zöge, welche man ansonsten nicht abdrucken würde, wird abgelehnt. Publizieren will man nur, was ,,safe to print" ist, wie die ,,New York Times" in einer jüngsten, heftig debattierten Formulierung wissen ließ.

Im Blick auf diese Lesart von Pressefreiheit (Mathias Döpfner nannte sie gar ,,die offizielle Bankrotterklärung, die finale Unterwerfung der Pressefreiheit gegenüber der terroristischen Gewalt") ist es von Bedeutung, wie sich Dean Baquet, Chefredakteur der ,,New York Times", jetzt gegenüber dem ,,Spiegel" zu den Vorwürfen äußert. ,,Sosehr ich es liebe, Solidarität zu zeigen: Das ist erst meine zweite oder dritte Aufgabe als Chefredakteur", erklärt Baquet. ,,Meine erste Aufgabe ist es, den Lesern zu dienen – und ein großer Teil unserer Leser sind Menschen, die sich durch Satire über den Propheten Mohammed beleidigt fühlen würden. Dieser Leser, um den ich mich kümmere, ist kein IS-Anhänger, sondern lebt in Brooklyn, hat Familie und ist strenggläubig. Wenn wir diese Leser vergessen, machen wir einen großen Fehler. Entscheidend war für mich auch die Frage, ob wir ähnliche Cartoons über andere Religionen abdrucken würden. Das würden wir nicht. Warum also soll ich einen Cartoon über Mohammed abdrucken, wenn ich einen über Jesus nicht publizieren würde?"

Welche genannten oder ungenannten Gründe auch immer für einen Abdruckverzicht den Ausschlag geben mögen – Baquet nimmt sich die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie er die Pressefreiheit nutzen will. Wie es keinen Zwang geben darf, die Karikaturen nicht zu drucken, so darf es auch keinen geben, sie zu drucken.


Aus: "Mohammed-Karikaturen: Muslime aus Brooklyn lesen auch Zeitung" Christian Geyer (28.01.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/mohammed-karikaturen-muslime-aus-brooklyn-lesen-auch-zeitung-13393561.html

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#184
 
Quote[...] Und dass der Pegida-Erfinder Lutz Bachmann, der sich sofort mit ,,Charlie Hebdo" solidarisierte und in Strafsachen bestens bewandert ist (Körperverletzung, Einbruch, Diebstahl), dass dieser Demokrat gerade mitteilte, er wolle die ,,Titanic" wegen eines ihm in den Mund gelegten Kommentars verklagen (,,Mit Satire hat dies nix mehr zu tun!") – das alles ist doch absolut wunderbar! So etwas könnte sich ein Satiriker niemals ausdenken.


Aus: ",,Charlie" und die Folgen Warum ich kein Satiriker mehr bin" Oliver Maria (19.01.2015)
Oliver Maria Schmitt war von 1995 bis 2000 Chefredakteur des Satiremagazins ,,Titanic".
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/je-suis-charlie-und-die-folgen-warum-ich-kein-satiriker-mehr-bin-13377168-p2.html

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Quote[...]  Im Kölner Rosenmontagszug wird jetzt doch kein Wagen zum Charlie-Hebdo-Attentat mitfahren. Das Kölner Festkomitee hat den Bau gestoppt. Die Einzelheiten: Der Wagen sollte einen Clown zeigen, der die Waffe eines Terroristen zerstört - das hatten Teilnehmer einer Facebook-Abstimmung letzte Woche entschieden. Jetzt macht das Festkomitee einen Rückzieher - der Grund sollen Emails und Anrufe besorgter Menschen sein. Berichte, wonach sich auch Karnevalsgesellschaften beschwert hatten, wies das Komitee zurück. Der Präsident der Gesellschaft, die auf dem Wagen mitfahren sollte, hatte sich darauf gefreut - er sieht in dem Motiv ein Zeichen für Meinungsfreiheit und gegen Gewalt und glaubt, dass keine religiösen Gefühle verletzt werden. Das Festkomitte nimmt die besorgten Rückmeldungen aber ernst und argumentiert, dass niemand mit Angst Karneval feiern soll. Die Kölner Polizei sieht keine Gefahr für den Rosenmontagszug.


Aus: "9:00 Uhr Kölner Rosenmontagszug ohne Charlie Hebdo-Wagen" (29.01.2015)
Quelle: http://www1.wdr.de/radio/nachrichten/1live/radiohomepage224372.html

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Quote[...] Titanic gibt sich mutiger als das Kölner Karnevalskomitee - Während das Kölner Rosenmontagsumzugskomitee einen Wagen mit einer Anspielung auf das Charlie-Hebdo-Massaker ... nach Bedenkenäußerungen "besorgter Menschen" zurückzog, hat die Redaktion der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic ihr Februarheft ganz auf Dschihadisten und deren Trigger ausgerichtet. Schon auf dem Titel-Wimmelbild wird gefragt "Wo ist Mohammed?" - und in der Heftmitte findet sich der ersten Teil der "größten Mohammedkarikatur aller Zeiten", die vom Weltall aus sichtbar sein soll - aber erst dann, wenn 2181 der letzte Schnipsel des 2000-teiligen Starschnitts erschienen ist. ...


Aus: ""Kommen zwei Terroristen in eine Satire-Redaktion ..." Peter Mühlbauer (02.02.2015)
Quelle: http://www.heise.de/tp/artikel/44/44024/1.html

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Quote[...] Die 18-jährige Arzu Ö. aus Detmold gehörte zu einer aus der Ost-Türkei stammenden jesidischen Familie. Sie liebte einen Deutschen, der aber nicht jesidischen Glaubens war. Für die Familie eine verbotene Beziehung. Im November 2011 entführten und töteten fünf erwachsene Geschwister Arzu im Namen ihrer Ehre.

Der Mord an einer 19-Jährigen in Darmstadt in dieser Woche weckt Erinnerungen an diesen und ähnliche Fälle. Der Vater gab nach Angaben der Staatsanwaltschaft zu, seine Tochter erwürgt zu haben – weil sie einen Freund hatte, der den Eltern nicht passte.

Der muslimischen Glaubensgemeinschaft Ahmadiyya war der Streit nach Worten des Vorsitzenden Abdullah Uwe Wagishauser schon länger bekannt: «Wir haben versucht, zu vermitteln.» Ob die pakistanische Herkunft der Familie in dem Fall eine Rolle gespielt hat, will die Staatsanwaltschaft zunächst aber nicht mitteilen: «Das ist noch Spekulation», sagt Sprecherin Nina Reininger.

Generell könne es schon vorkommen, «dass familiäre und religiös-kulturelle Hintergründe zur Ablehnung führen», erklärt der Kriminalpsychologe Rudolf Egg. Der 66-Jährige war etliche Jahre Direktor der von Bund und Ländern getragenen Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. «Solche Täter können in ihrem übrigen Leben unauffällig sein», sagt Egg. Keine Diebstähle, keine Rauschgiftdelikte. «Hier geht es um innerfamiliäre Gewalt.»

Für die Rechtsanwältin Brigitta Biehl haben solche Fälle etwas zu tun mit einem «archaischen und patriarchalischen Bild». Es gehe um das, was der Vater und die Familie Ehre nennen. «Dem wird alles untergeordnet.» Die 59-Jährige ist zweite Vorsitzende von Peri, einem Verein für Menschenrechte und Integration in Weinheim (Baden-Württemberg).

Fast 100 Frauen suchten dort jährlich Hilfe, oft, weil es wegen einer geplanten Heirat Probleme mit den Eltern gebe, so die dpa. Männer kämen bei weitem nicht so häufig. «Die haben mehr Freiräume. Da wird zu Hause schon mal ein Auge zugedrückt. Der Mann gilt als toller Hecht.» Auf Töchter werde dagegen enormer Druck ausgeübt. «Die Frauen bekommen zu hören: «Ohne Familie bist Du nichts».»

Nach Eggs Erfahrungen «kommt es auch manchmal vor, dass Söhne anstelle des Vaters handeln». Wie im Fall von Arzu Ö. Ein Bruder gestand vor Gericht die tödlichen Schüsse und erhielt wegen Mordes lebenslange Haft. Der Vater wurde wegen Beihilfe verurteilt.

Zu einem solchen Ausbruch an Gewalt innerhalb einer Familie kommt es laut Biehl «nie aus heiterem Himmel. Da gab es oft vorher Misshandlungen. Wir haben es mit traumatisierten Frauen zu tun, die bei uns Hilfe suchen.» So sieht es auch Egg. «Einer solchen Tat gehen Drohungen voraus. Betroffene müssen so etwas ernst nehmen und sich bei der Polizei Hilfe holen.»

Das sei kein einfacher Schritt, sagt Biehl: «Die Frauen wagen es nicht, ihren Eltern Vorwürfe zu machen.» Sie seien in Unfreiheit großgeworden, «in einer Erziehung aus Druck und Strafe». Wer sein Elternhaus verlasse, für den gebe es kein Zurück mehr. Biehl: «Wenn die Frauen gehen, dann gehen sie für immer.»

...


Aus: "Ehrenmord in Darmstadt: Taten innerhalb der Familie geschehen nie aus heiterem Himmel"
Deutsch Türkische Nachrichten  (01.02.15)
Quelle: http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2015/02/508659/ehrenmord-in-darmstadt-taten-innerhalb-der-familie-geschehen-nie-aus-heiterem-himmel/

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Quote[...] Nilüfer Göle: ... Wir haben es in Europa und weltweit mit zwei Szenarien oder Konfigurationen zu tun. Entweder wir treten in die Falle des Kampfs der Kulturen, wie Huntington es beschrieb, oder wir vermeiden ihn und definieren Anstand und gesellschaftliches Zusammenleben neu. Und Europa wird zweifelsohne einer der Schauplätze sein, wo man diese Hypothesen oder Szenarien diskutieren wird.

Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit. Im Westen, ebenso wie die muslimische Welt, haben wir Schwierigkeiten, einander zu verstehen und neue Werte zu finden, die uns dabei helfen, neue Normen des Zusammenlebens zu finden. Die jüngsten Anschläge gegen die Karikaturisten von "Charlie Hebdo" und die Geiselnahme von Juden in einem koscheren Supermarkt in Paris stellen sehr schwierige Momente für die europäischen Gesellschaften und auch für die dort lebenden Muslime dar. Denn diese Terrorattacken erschweren den normalen Muslimen Europas, ihr tägliches Leben zu leben, ohne angegriffen oder verdächtigt zu werden, ein Terrorist zu sein oder andere Loyalitäten zu haben.

... Die 68er-Generation im Westen, besonders in Frankreich und Deutschland, dachte immer, dass sie auf der Seite der Unterdrückten, der Armen steht und eine emanzipatorische Macht des Diskurses hat. Aber sie bemerkte nicht, dass sie ihre Waffen auch gegen Menschen richtete, die in ihrer sozialen Position verletzlich sind. Ganz ähnlich war der Umgang der Feministinnen der 68er-Generation mit den jungen muslimischen Mädchen der zweiten und dritten Generation von Migranten, die mit Kopftüchern die Schule besuchen wollten. Die Feministinnen dachten, sie kämpfen gegen die Kirche. Es handelte sich um eine Überlagerung ihrer eigenen Agenda, die sie in den sechziger, siebziger und bis neunziger Jahre verfolgten, ohne dabei böse Absichten zu haben. Doch berücksichtigten dabei nicht die Muslime, die andere Empfindsamkeiten und eine andere Lebenssituation mit sich brachten.

...



Aus: "Interview mit der türkischen Soziologin Nilüfer Göle - "Wir brauchen neue Normen des Zusammenlebens"" (22.01.2015)
AutorIn: Ceyda Nurtsch, Interview: Ceyda Nurtsch
Quelle: http://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-der-tuerkischen-soziologin-niluefer-goele-wir-brauchen-neue-normen-des

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Aslan vermisst in Österreich einen innerislamischen Diskurs. In einem Interview mit der Presse sagte er: ,,Der Diskurs im Bagdad des 9. und 10. Jahrhunderts war vielfältiger und liberaler als in der Gegenwart in Wien." In seiner Einschätzung vertreten manche muslimische Verantwortliche intern einen traditionellen Islam, während sie nach außen hin einen für die Gegenwart aufgeschlossenen Islam präsentieren (sie geben also ein ,,Scheinbild" ab). ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Ednan_Aslan


Quote[...]     Die Karikaturisten der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" wurden von Attentätern im Namen des Islam ermordet. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) tötet Geiseln im Namen der Religion. Dutzende Gruppen, von den Taliban über das Netzwerk al-Qaida bis zu kleinen Einheiten von Dschihadisten in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten bis nach Ostasien, kämpfen für eine Verbreitung ihrer extremistischen Vorstellung vom Islam.

Die meisten Opfer von islamistischem Terror sind Muslime, die meisten Muslime sind schockiert von den Gewalttaten. Aber eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Terror findet nur in geringem Maß statt.

Vielmehr wischen viele Muslime die Probleme mit dem Hinweis beiseite, der Islam sei eine Religion des Friedens und die Terroristen seien keine Muslime - ein Fehler, wie Ednan Aslan findet. Lesen Sie hier das Interview mit dem Wiener Professor für islamische Religionspädagogik:

Ednan Aslan wurde 1959 in der Osttürkei geboren, studierte in Tübingen und Stuttgart und promovierte über religiöse Erziehung muslimischer Kinder in Deutschland und Österreich. Er lehrt an der Universität Wien und beklagt, dass die islamische Theologie bislang vor allem auf Gewalt fuße.


SPIEGEL ONLINE: Herr Aslan, Terroristen berufen sich auf den Islam. Muslime sagen, das habe mit dem Islam nichts zu tun. Ist Gewalt nun theologisch begründbar oder nicht?

Aslan: Kürzlich wurde ein jordanischer Kampfpilot von IS-Kämpfern bei lebendigem Leib verbrannt. Das ist ein schockierender Akt, der sich islamisch-rechtlich begründen lässt. Aber nur, wenn man alte, nicht zeitgemäße Rechtsgrundlagen wiederbelebt. Genau das tun diese Terroristen aber. Der Kalif Abu Bakr zum Beispiel, der erste Nachfolger des Propheten Mohammed, ließ der Überlieferung zufolge ganze Dörfer niederbrennen, weil sie abtrünnig geworden waren. Das waren im 7. Jahrhundert völlig andere Zeiten, und selbst damals gab es Kritik an diesem Handeln. Aber leider werden solche Rechtsauslegungen nun reanimiert und an theologischen Fakultäten gelehrt, in Saudi-Arabien, Pakistan, der Türkei.

SPIEGEL ONLINE: Warum behaupten andere Muslime dann, diese Gewalt habe mit dem Islam nichts zu tun?

Aslan: Viele Muslime sind sehr fortschrittlich und kennen sich mit dieser altertümlichen Auslegung islamischer Theologie nicht aus. Sie können sich nicht vorstellen, dass solch barbarische Gewalt mit dem Islam zu tun haben könnte. Die große Mehrheit der Muslime lehnt Terror ab. Aber die Grundlagen für Gewalt existieren leider noch im islamischen Recht. Manche glauben, dieses Recht sei heute nicht mehr anwendbar. Aber wir erleben, dass es im "Islamischen Staat" junge Menschen gibt, die diese alten Gesetze in die Tat umsetzen. Neu ist das keineswegs: In Iran gibt es immer wieder Steinigungen. Saudi-Arabien richtet fast wöchentlich Menschen mit dem Schwert hin. Das ist ein Teil der islamischen Realität.

SPIEGEL ONLINE: Während wir uns beim IS angewidert abwenden, machen wir mit Saudi-Arabien Geschäfte.

Aslan: Ja, das ist unsere Doppelmoral, die viele Menschen in islamischen Ländern schockiert. Einerseits verurteilen wir die IS-Verbrechen in Syrien und im Irak. Andererseits handeln wir mit Ländern, die regelmäßig und systematisch vergleichbare Taten verantworten. Mit dieser Doppelmoral schadet der Westen auch der Demokratie, denn viele Muslime sagen: Wenn das Demokratie ist, verstehen wir sie nicht. Darunter leidet das Image des Westens.

SPIEGEL ONLINE: Das Image des Islam leidet darunter, dass strenggläubige Muslime den Koran buchstabengetreu auslegen und es ablehnen, die Schrift zu interpretieren. Was, meinen Sie, muss sich ändern?

Aslan: Islam ist natürlich das, was wir daraus machen. Die Art, wie wir ihn ausüben und leben, entspricht dem Grad unserer geistigen Reife. Der Islam ist, wie die Muslime sind. Der Koran ist zwar ein abgeschlossenes Buch, aber unser Verständnis der heiligen Schrift ist ein ununterbrochener Prozess. Eine Religion ist deshalb nie fertig, weil die Menschen ständig an ihr arbeiten. Leider stelle ich fest, dass die geistige Reife vieler Muslime im zwölften Jahrhundert viel weiter entwickelt war als jetzt, im 21. Jahrhundert. Kritische Debatten, die vor 800 Jahren in Bagdad geführt wurden, sind heute undenkbar, weil viele Muslime sie als unislamisch betrachten. Gegenwärtig wird eine aufklärerische Perspektive nicht zugelassen, als könnten wir einen Islam mit europäischer Prägung nicht leben. Das macht mir Angst.

SPIEGEL ONLINE: Aber wie könnten solche Debatten wieder möglich werden, ohne dass man um sein Leben fürchten muss?

Aslan: Wir müssen die Rechtslehre im Islam reformieren und den Islam aus einer europäischen Aufklärungstradition heraus prägen. Außerdem müssten die theologischen Fakultäten in den islamischen Ländern erneuert werden. Sie müssten zukunftsorientiert lehren, nicht geschichtsorientiert, damit Menschen ohne Widersprüche zwischen moderner Gesellschaft und religiöser Lehre leben können. In der Türkei etwa besinnt man sich mehr und mehr auf das Osmanische Reich. Das halte ich für falsch. Das ist eine Rückwärtsentwicklung, manche Kollegen sprechen von einer Salafisierung der islamischen Theologie. Genau das tut auch der IS: Er belebt die Geschichte und schafft sich damit seine eigenen Grundlagen.

SPIEGEL ONLINE: Wer soll denn die Aussagen des Koran zeitgemäß deuten?

Aslan: Ich will nicht überheblich oder eurozentrisch sein, aber klar ist: In einem Land, in dem keine Freiheit herrscht, kann man keine Religion reformieren. Das wäre ein Spiel mit dem Feuer. Aus diesem Grund haben wir diese Chance nur im Westen, weil wir in Freiheit denken und forschen, trotz aller Schwierigkeiten. Diese Freiheit ist für uns Muslime eine Chance.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie also davon überzeugt, dass der Islam zu Deutschland gehört?

Aslan: Ja, aber viele Muslime tun sich heute noch sehr schwer mit dem Leben in Europa. Sie können sich mit den hiesigen Verhältnissen nicht identifizieren. Für viel wichtiger als die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, halte ich die Frage, ob die Muslime sich mit Deutschland identifizieren können.

SPIEGEL ONLINE: Es leben doch Millionen von Muslimen in Deutschland, die sich hier einfügen. Befeuern Sie mit solchen Aussagen nicht feindselige Ressentiments, wie sie bei Pegida zum Vorschein kamen?

Aslan: Der Islam wird in Deutschland von Einrichtungen repräsentiert, die gänzlich vom Ausland gesteuert werden. Dabei vertreten sie längst nicht alle Muslime. Wir müssten vielmehr einen europäischen Islam prägen und zeigen. Und der gehört natürlich zu Deutschland. Wenn Leute sagen, der Islam gehöre nicht hierher, muss man fragen, ob die integrierten Muslime damit überhaupt gemeint sind. Dass rechte Parteien oder Bewegungen wie Pegida ähnlich argumentieren, darf uns nicht dazu verleiten, bestimmte Fragen nicht mehr zu stellen. Der Islam ist mein Glaube, und ich denke, wir müssen auf die derzeitigen Probleme selbst reagieren.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie glauben, am Ende wird man auch über den Islam lachen dürfen?

Aslan: Man sollte lachen dürfen, natürlich. Was in einem Rechtsstaat möglich ist, sollte auch für den Islam gelten. Muslime lachen über das Christentum und über das Judentum, warum sollte es eine Ausnahme für den Islam geben? Es wird ja auch schon viel gelacht, es gibt Hunderte von Witzen in der Türkei über Imame.

SPIEGEL ONLINE: Und Mohammed-Karikaturen finden Sie in Ordnung?

Aslan: Man darf über den Propheten lachen, aber man sollte ihn nicht diffamieren. Ganz abgesehen davon dürfen wir nicht von jedermann erwarten, den Propheten so anzuerkennen und zu respektieren, wie Muslime es tun. Das unterscheidet ja Muslime von Nichtmuslimen. Die Erwartung, jeder müsse ihn so verehren wie wir, ist eine falsche Haltung. Wir sollten das korrigieren.


Aus: "Muslimischer Religionspädagoge: "Islam ist, was wir draus machen"" Hasnain Kazim, Istanbul (10.02.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ednan-aslan-islam-ist-das-was-wir-draus-machen-a-1017271.html


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#188
Quote[...] Christian Schüle, 44, hat in München und Wien Philosophie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der ZEIT und lebt als freier Essayist, Schriftsteller und Autor in Hamburg.

Dieser Konflikt ist kaum lösbar: Religiöse Normen ringen mit demokratischen Werten. Religiöse Normen sind immer absolute Normen, demokratische Werte immer relative Werte. Der Konflikt zwischen den Kulturen ist ein Konflikt zwischen absoluten Normen und relativen Wertvorstellungen, der den Dialog, die Versöhnung und das Zusammenleben zwischen dem islamischen und dem westlichen Kulturkreis in hohem Maße erschwert.

Der Konflikt ist deshalb kaum lösbar, weil es einer um das "Heilige" ist. Religiöse Gesellschaften haben eine klare Vorstellung von einem unverfügbar "Letzten". Sie leiten ihr Selbstverständnis aus dem Glauben an das und Gehorsam gegenüber dem Heiligen ab.

Die säkularisierten westlichen Gesellschaften hingegen haben keine Vorstellung mehr vom Heiligen. Ihr höchster, aus jahrhundertelangen Kämpfen gewonnener Wert ist die Unverfügbarkeit des irdischen Individuums. Der Mensch an sich genießt Autonomie und Würde, ohne Ansehen der Person und des Glaubens.

Das Heilige braucht weder Gründe noch Begründungen. In seinem Namen ist jedes Verhalten, ist jede Gewalt gegen das Individuum gerechtfertigt, kann alles angeblich Ungläubige mit dem Verdikt der "Gotteslästerung" bekämpft werden. Als politische Ideologie entzieht sich das Heilige jeder Empirie, da es in einer übersinnlichen Welt angesiedelt ist, wo es keinerlei Überprüfung standhalten muss und kann.

Überall dort, wo im Namen eines Gottes gemordet wird, braucht man eine Letztbegründung, deren häufigste der Begriff der "Wahrheit" ist. Überall dort, wo Demokratie herrscht, werden Letztbegründungen im Namen einer Wahrheit bewusst verweigert.

Die Unverfügbarkeit des Heiligen und die Unverfügbarkeit des Individuums sind so gegensätzliche Leitmotive, dass sie sich philosophisch, rechtlich und politisch kaum miteinander in Einklang bringen lassen. Die metaphysische Auffassung unterwirft die gesellschaftliche Ordnung einer Offenbarung, die postmetaphysische hingegen setzt auf eine Ordnung der Offenheit.

Demokratie ist die anspruchsvollste, aber auch verletzlichste aller bekannten Gesellschaftsformen, weil sie prinzipiell für jedermann offen und auf die aktive Teilnahme jedes ihrer Mitglieder angewiesen ist. Sie unterzieht sich permanenter Selbstüberprüfung durch das dauerhafte Selbstgespräch. Das setzt, wie Jürgen Habermas uns gelehrt hat, kommunikative Rationalität voraus, um Widersprüche vermitteln, Kompromisse finden und dem besseren Argument Geltung verschaffen zu können.

Die Normen einer säkularisierten Demokratie müssen in permanent sich wandelnden kulturellen und sozialen Kontexten hinterfragt und abgewogen werden; ihre Geltung ist abhängig von den Sozialverhältnissen in der Gesellschaft, somit sind sie relativ.

Deshalb ist eine offene Gesellschaft wehrlos gegen jede Form von Fanatismus, Fundamentalismus und Radikalismus, gegen eine geoffenbarte Religion, deren Lebensregeln aus dem Absoluten abgeleitet werden.

Die Aufgabe von Politik besteht darin, diesen theoretisch unlösbaren Konflikt praktisch zu entschärfen und zu moderieren. Unsere Freiheit, heißt es jetzt immer wieder, sei ein hohes Gut, das es gegen Angriffe und Anschläge zu verteidigen gelte. Ganz gewiss, aber Freiheit ist ohne Verantwortung nicht zu haben, und Freiheit in Verantwortung heißt immer auch, die Konsequenzen des eigenen Handelns oder Nichthandelns miteinzubeziehen.

Die Freiheit des Einen endet dort, wo sie die Freiheit des Anderen verletzt oder einschränkt. Das lehrt uns die Aufklärung. Und Aufklärung beginnt mit dem Verstehen des Anderen und mit dem Wissen um seine Normen, und sie endet bei der Widerlegung vom Stereotypen.

Tragen wir aufgeklärte Demokraten Sorge also dafür, dass uns der Andersdenkende, der Andersgläubige und der Andersfühlende nicht verlorengeht in diesem irrsinnigen Kampf der Kulturen, gerade weil uns das Individuum "heilig" ist.


Aus: "Demokratie versus Religion: Eine offene Gesellschaft ist wehrlos gegen Radikalismus" Christian Schüle (10.02.2015)
Quelle: http://www.deutschlandradiokultur.de/demokratie-versus-religion-eine-offene-gesellschaft-ist.1005.de.html?dram:article_id=311169


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Quote[...] Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte ist ein Spielfilm des österreichischen Regisseurs Michael Haneke aus dem Jahr 2009. Die Handlung des Schwarzweißfilms ist im Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Norddeutschland angesiedelt und schildert mysteriöse Vorfälle im fiktiven Dorf Eichwald. Der Film verdeutlicht das bedrückende, insbesondere für die Heranwachsenden traumatisierende soziale und zwischenmenschliche Klima der damaligen Zeit, das selbst im engen Familienkreis von Unterdrückung und Verachtung, Misshandlung und Missbrauch sowie Frustration und emotionaler Distanz geprägt ist. Er wirft einen kritischen Blick auf den sittenstrengen Protestantismus, der dem Einzelnen ständig Zwänge auferlegt, die Entfaltung der Persönlichkeit verbietet und so letztlich den gesellschaftlichen Übergang vom Wilhelminismus zum Nationalsozialismus begünstigt.

... eine ,,Atmosphäre aus düsterem Luthertum wie bei Bergman". Der Film zeige einen ländlichen Mikrokosmos, wo es ,,soziale und moralische Regeln von eiserner Unnachgiebigkeit" gebe, hinter denen jedoch ,,geheime Grausamkeiten brüten". Kinder würden dort ,,nach pädagogischen Prinzipien aufwachsen, die Züchtigungen, Erniedrigungen und sogar ans Bett gefesselte Hände vorsehen, um das Berühren des eigenen Körpers zu verhindern." ...


Aus: "as weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte" (17. Januar 2015)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_wei%C3%9Fe_Band_%E2%80%93_Eine_deutsche_Kindergeschichte

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Quote[...] Schwarze Pädagogik ist ein negativ wertender Sammelbegriff für Erziehungsmethoden, die Gewalt und Einschüchterung als Mittel enthalten. Der Begriff wurde 1977 von der Soziologin Katharina Rutschky mit der Veröffentlichung eines Buches unter gleichem Titel eingeführt. Die Begriffsprägung schloss an eine Kritik repressiver Pädagogik an, die spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts artikuliert wurde.

... Die früher sehr verbreiteten Vorstellungen von der ,,bösen Kindsnatur" oder der notwendigen ,,Abrichtung" zeugen von Aberglauben und dem Wunsch, Menschen auf ähnliche Weise formen zu können, wie man es damals als Dressur mit Tieren praktizierte.

    ,,Diese ersten Jahre haben unter anderem auch den Vorteil, dass man da Gewalt und Zwang brauchen kann. Die Kinder vergessen mit den Jahren alles, was ihnen in der ersten Kindheit begegnet ist. Kann man da den Kindern den Willen nehmen, so erinnern sie sich hiernach niemals mehr, dass sie einen Willen gehabt haben."

– Johann Georg Sulzer: Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder, 1748

... Heute immer bekannter wird die in vielen Ländern in Heimen – auch von kirchlichen Orden (Magdalenenheime in Irland oder Arme Dienstmägde Jesu Christi) – praktizierte Heimerziehung, die bis ins späte zwanzigste Jahrhundert hinein den Willen von Kindern und jungen Erwachsenen gebrochen hat. Obwohl einige Handlungen im Rahmen der Erziehung in diesen Institutionen schon lange strafbar waren, wird die Geschichte der Schwarzen Pädagogik in diesen Institutionen erst langsam aufgearbeitet oder erst bekannt. Gerade das katholische Ideal des Gehorsams begünstigte körperliche Strafen in Heimen. Folgende zusammenfassende Aussage über Peter Wensierskis Buch Schläge im Namen des Herrn zeigt, wie lebendig die Schwarze Pädagogik bis vor kurzem war: Dass ,,...das Netz der westdeutschen Kinder- und Jugendheime bis in die Siebziger hinein eher einem Kindergulag glich als einem Fürsorgesystem. 3000 und mehr Heime gab es in dieser Zeit, zu 80 Prozent waren sie in christlicher Hand, die katholischen Einrichtungen überwogen bei weitem, wobei evangelische nicht fehlten. Wensierski rechnet mit mehreren Hunderttausend Menschen, die durch diese Einrichtungen gegangen sind."

... Mit dem Werk Am Anfang war Erziehung (1980) von Alice Miller gilt die Möglichkeit schwerer Schäden bei Kindern durch jedwede Form körperlicher (wie auch psychischer) Gewalt als erwiesen:

    ,,Unter der ,Schwarzen Pädagogik' verstehe ich eine Erziehung, die darauf ausgerichtet ist, den Willen des Kindes zu brechen, es mit Hilfe der offenen oder verborgenen Machtausübung, Manipulation und Erpressung zum gehorsamen Untertan zu machen."

– A. Miller: Evas Erwachen, 2001



Aus: "Schwarze Pädagogik" (2. Februar 2015)
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze_P%C3%A4dagogik

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Quote[...] ROM/OBERWESEL. (hpd) Papst Franziskus hat erklärt, dass er es in Ordnung findet, wenn Eltern ihre Kinder schlagen. Während sich die Medien über die Aussage des angeblich ,,weltoffenen Papstes" wundern, fühlt sich gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon in seiner Einschätzung bestätigt, dass Franziskus alles daran setzen wird, den Katholizismus für die evangelikale Konkurrenz attraktiv zu machen.

,,Über die jüngsten Erziehungstipps des Papstes können nur diejenigen erstaunt sein, die nicht begriffen haben, dass Franziskus über weite Strecken reaktionärere Ansichten vertritt als sein Amtsvorgänger", erklärte Michael Schmidt-Salomon am Freitagnachmittag am gbs-Stiftungssitz in Oberwesel. ,,Was die Medien als Modernität des Papstes fehldeuten, ist tatsächlich nur Ausdruck einer zunehmenden Anpassung des Katholizismus an die weltweit immer stärker werdende evangelikale Konkurrenz. Das bedeutet zum einen weniger Kirchenpomp, zum anderen verschärfte Attacken gegen Homosexuelle, gegen Schwangerschaftsabbrüche, Sterbehilfe, Evolutionstheorie und die vermeintlichen Verfehlungen der antiautoritären Erziehung".

In evangelikalen Kreisen seien autoritäre Erziehungsmodelle weit verbreitet, erläuterte Schmidt-Salomon. Vor allem außerhalb Europas richteten sich die Gläubigen gerne nach der biblischen Maxime "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald" (Sprüche 13,24). Ein Zusammenhang von evangelikaler Religiosität und gewaltorientierter Erziehung sei auch in Deutschland feststellbar.

,,Schwarze Pädagogik" sei jedoch keineswegs nur im evangelikalen Spektrum beheimatet. Schmidt-Salomon erinnerte daran, dass ein moderner, liebevoller und liberaler Umgang mit Kindern erst gegen den massiven Widerstand sämtlicher Kirchen erkämpft werden musste: ,,Zuvor wurden Generationen von Christen zu bedingungslosem Gehorsam gegenüber der vermeintlich höchsten Autorität (Gott) und den jeweils herrschenden religiösen und weltlichen Stellvertreter erzogen. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts kamen Hunderttausende von Heimkindern, die das Pech hatten, in einem christlichen Erziehungsheim oder Internat zu landen, in den Genuss dieser Zucht-und-Ordnungs-Pädagogik. ,Schläge im Namen des Herrn' waren an der Tagesordnung. Viele Kinder wurden über Jahre hinweg systematisch ausgebeutet, gedemütigt, weggesperrt, seelisch wie körperlich missbraucht."

Dass die Kirchen auf pädagogischem Gebiet solch gravierende Menschenrechtsverletzungen begehen konnten, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, sei den Kirchenoberen offenbar zu Kopf gestiegen, meinte Schmidt-Salomon. ,,Andernfalls hätte es Franziskus wohl nicht gewagt, Erziehungsratschläge zu geben, die den Forderungen der UN-Kinderrechts-Charta so deutlich widersprechen."

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Simon H. am 7. Februar 2015 - 7:47
Ich sollte wieder in die Kirche eintreten, nur um noch einmal austreten zu können.


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s am 7. Februar 2015 - 9:08
Ich kann mir das bei "Franziskus" auch sehr gut vorstellen,das er darauf hinarbeitet,alle ultrakonservativen Christen in einem Boot zu holen.Viele "laue" Christen verlassen in Scha
ren die die Kirche.Da ist es jetzt an der Zeit eine ultrakonservative und den alten Werten verhafteten patriarchalen christliche Großgemeinde aufzubauen,ob katholisch oder nicht, hauptsache die uralten Werte werden ohne zu hinterfragen aufrecht erhalten.Dazu gehört wahrlich auch die "harte Hand" der Eltern, die Gehorsame Ehefrau,die nichts mit Selbstverwirklichung am Hut hat und die ihren Mann als ihr Haupt sieht.Die biblische Menschenverachtung soll gepflegt und für die Nachkommen konserviert werden.


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Ille am 7. Februar 2015 - 12:18
Bei einem Papst könnte man annehmen, dass solche Antworten ideologisch durchdacht sind. Ansonsten kann man auch meinen, dass es das Bauchgefühl eines alten Mannes ist.

Susanne Thiele am 7. Februar 2015 - 13:44
Bei "Franziskus" und den anderen "Vertretern Gottes" wird beides zutreffen,Ideologie und das anerzogene Selbstverständnis vieler Leute in seinem Alter,das "ein paar ordentliche Schläge" noch nie geschadet haben und dem "Wohle des Kindes dienen".


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Bernd Kammermeier am 7. Februar 2015 - 15:18
Erst darf man Kinder nicht anfassen, wo's Spaß macht und jetzt soll man sie nicht schlagen dürfen. Was kommt als nächstes? Dass man sie nicht mehr mit der absoluten Wahrheit indoktrinieren darf? - Euch Humanisten kann man's wirklich nie recht machen...


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Jürgen Seeger am 7. Februar 2015 - 23:29
Ach, das Rumhacken auf dem Papst ist doch reine Christophobie. Und überhaupt: Das hat doch mit dem Christentum nichts zu tun ;-)


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Aus: "Warum Franziskus das Schlagen von Kindern befürwortet" (6. Feb 2015)
Quelle: http://hpd.de/artikel/11168

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Quote[...]  Wenn auf einem bestimmten Gebiet moralischer Fortschritt erst einmal in Gang gekommen ist, springen die meisten Religionen mit auf den Zug – wie bei der Abschaffung der Sklaverei, den Rechten der Frau und den Rechten der Homosexuellen im 20. Jahrhundert – aber das geschieht meist nach einer beschämend langen Verzögerung. Weshalb?

... Religion erzeugt ihrer Definition nach eine scharf umrissene Identität von "uns" und "nicht wie wir", diesen Heiden, diesen Ungläubigen. Die meisten Religionen wurden zur modernen Aufgeklärtheit gezwungen und krallten sich dabei an der Vergangenheit fest. Wenn sie überhaupt erfolgen, sind Veränderungen in religiösem Glauben und religiösen Praktiken langsam und schwerfällig und praktisch immer eine Reaktion der Kirche auf politische oder kulturelle Kräfte von außen.

... Eine Begründung für diese beschränkte Sphäre kann in der Anordnung aus dem alten Testament "Liebe deinen Nächsten" gefunden werden, die zu jener Zeit die unmittelbar nächste Verwandtschaft und Mitmenschen waren, was allerdings eine der Zeit angemessene evolutionäre Strategie war.

Es wäre selbstmörderisch gewesen, deinen Nächsten wie dich selbst zu lieben, wenn dieser nichts lieber getan hätte, als dich zu vernichten, was für die bronzezeitlichen Menschen des alten Testaments häufig galt.

... Die Geschichte der Mormonen ist ein typisches Beispiel. In den 1830er Jahren erhielt der Gründer der Kirche, Joseph Smith, eine Offenbarung durch Gott, das was er euphemistisch "himmlische Ehe" nannte, exakter "Mehrehe" genannt – der Rest der Welt nennt es Polygamie – einzuführen, gerade zu dem Zeitpunkt, als er sich neu verliebt hatte, obwohl er mit einer anderen Frau verheiratet war.

Als Smith erst einmal das Salomonische Fieber hatte (König Salomon hatte 700 Frauen), konnte er sich selbst, oder seine Brüder, nicht davon abhalten, ihren Samen durch diese Praktik zu verbreiten, die 1852 in das Mormonische Gesetz durch seine heiligen "Doktrinen und Pakte" aufgenommen wurde. Bis 1890, als den Leute von Utah – begierig darauf dass ihr Staat der Union angeschlossen wurde – mitgeteilt wurde, dass Polygamie nicht toleriert werden würde. Günstiger Weise sandte Gott den Führern der Mormonen eine neue Offenbarung, in denen er ihnen befahl, das mehrere Frauen keine himmlische Segnung mehr wären, und statt dessen Monogamie jetzt der eine richtige Weg wäre.

Ebenso verbot die Politik der Mormonen Afroamerikanern, Priester in ihrer Kirche zu sein. Der Grund, weshalb Joseph Smith dies verordnete war, dass sie in Wahrheit nicht aus Afrika kämen, sondern von den bösen Lamanitern abstammen würden, die Gott verflucht hat, indem er ihre Haut schwarz färbte, nachdem sie den Krieg gegen die guten Nephiter verloren hatten, beides Stämme, die Nachfahren der verloren Stämme von Israel waren. Natürlich wurde die Ehe zwischen Rassen ebenfalls verboten, nachdem den Lamanitern Sex mit den guten Nephitern verboten wurde. Dieser rassistische Unsinn blieb eineinhalb Jahrhunderte bestehen, bis er mit dem "Civil Rights Movement" der 60er Jahre kollidierte. Letztlich verkündete der Führer der Kirche Spencer W. Kimball 1978, dass er eine Offenbarung von Gott erhalten hatte, die ihn anwies, die radikalen Restriktionen fallen zu lassen und ein inkluierenderes Gebaren anzunehmen.

... Es gibt drei Gründe für die sklerotische Natur von Religion:
(1) Die Grundlage für einen Glauben an eine absolute Moral ist der Glaube an eine absolute Religion, basierend auf dem "einen wahren Gott". Dies führt unausweichlich zu dem Schluss, dass jeder der etwas anderes glaubt, sich vom Glauben abgewandt hat und folglich ohne Schutz unserer moralischen Verbindlichkeiten ist.
(2) Im Gegensatz zur Wissenschaft hat Religion keinen systematischen Prozess und keine empirische Methode um die Wahrhaftigkeit ihrer Behauptungen aufzustellen oder zu bestimmen und kennt daher viel weniger klares "richtig und falsch".
(3) Die Moral heiliger Bücher – im Besonderen der Bibel – ist nicht die Moral, nach der irgendwer von uns zu leben wünscht und deshalb ist es nicht möglich, dass die religiösen Doktrinen, die aus heiligen Schriften stammen, Katalysator für Entwicklung sein können.

Viele Juden und Christen sagen, dass sie ihre Moral aus der Bibel beziehen, aber das kann nicht wahr sein, weil so wie heilige Schriften nun einmal sind, ist die Bibel der wohl am wenigsten hilfreiche Leitfaden, der je zur Unterscheidung von richtig und falsch geschrieben wurde. Sie ist randvoll mit bizarren Geschichten dysfunktionaler Familien, Anleitungen wie man seine Sklaven schlagen soll, wie man seine eigenwilligen Kinder töten soll, wie man seine jungfräulichen Töchter verkaufen soll und anderer offensichtlich überholter Praktiken, die die meisten Kulturen schon vor Jahrhunderten aufgegeben haben.

Um der Bibel Bedeutung zu verschaffen, müssen Gläubige biblische Passagen auswählen, die ihren Bedürfnissen entsprechen, deshalb verläuft das Spiel des Herauspickens aus der Bibel grundsätzlich zu Gunsten dessen, der es tut. Im alten Testament mag der Gläubige Anleitung im Buch Deuteronomium 5.17 finden, wo es ausdrücklich heißt, "Du sollst nicht töten", oder in Exodus 22:21, einem Vers der ein einfaches und unbestreitbares Verbot liefert: "Ihr sollt keinem Fremden schlechtes tun, oder ihn unterdrücken, da ihr selbst Fremde in Ägypten wart".

Diese Verse scheinen die moralische Latte höher zu legen, aber die Handvoll positiver moralischer Befehle im alten Testament sind flüchtig und über ein Meer gewalttätiger Geschichten von Mord, Vergewaltigung, Folter, Sklaverei und aller Art von Gewalt, einschließlich der Todesstrafe für eine Anzahl von Vergehen verstreut:

Blasphemie, oder Gotteslästerung: "Und der HERR sprach zu Mose: 24,14 Führe den Flucher nach draußen vor das Lager! Und alle, die es gehört haben, sollen ihre Hände auf seinen Kopf legen, und die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. 24,15 Und zu den Söhnen Israel sollst du reden: Wenn irgend jemand seinen Gott verflucht, dann soll er seine Sünde tragen. (3. Buch Mose [Levitikus] 24-:13–16) Einen anderen Gott anbeten: 22:19 Wer den Göttern opfert und nicht dem HERRN allein, der sei verbannt. (2. Buch Mose 22: 20; in der Lutherischen Bibel heißt es für verbannt 'utterly destroyed' Anm. d. Ü.)

Hexerei und Zauberei: Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen. (2. Buch Mose 22.18)

Der Verlust der Jungfräulichkeit: Wenn ein Mann eine Frau geheiratet und mit ihr Verkehr gehabt hat, sie aber später nicht mehr liebt ... Wenn der Vorwurf aber zutrifft, wenn sich keine Beweisstücke für die Unberührtheit des Mädchens beibringen lassen, soll man das Mädchen hinausführen und vor die Tür ihres Vaterhauses bringen. Dann sollen die Männer ihrer Stadt sie steinigen und sie soll sterben; denn sie hat eine Schandtat in Israel begangen, indem sie in ihrem Vaterhaus Unzucht trieb. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen. (5. Buch Mose 22: 13–21)

Homosexualität: Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen. (3. Buch Mose 20:13)

Arbeiten am Sabbat: Sechs Tage sollt ihr arbeiten; den siebenten Tag aber sollt ihr heilig halten als einen Sabbat der Ruhe des Herrn. Wer an dem arbeitet, soll sterben." (2. Mose 35:2)

Die meisten modernen Christen reagieren auf solche Argumente jedoch indem sie sagen, dass das alte Testament grausam ist und glücklicherweise überholte Gesetze nichts mit ihren moralischen Geboten von heute zu tun haben, oder damit wie sie ihr Leben leben. Sie behaupten der zornige und rachsüchtige Gott Jahwe des alten Testaments wurde durch den netteren, freundlichen Gott des neuen Testaments in der Gestalt Jesu ersetzt, der vor zwei Jahrtausenden einen neuen und weiterentwickelten moralischen Code eingeführt habe. Die andere Wange hinhalten, den Feind lieben, Sünden vergeben und den Armen geben sind ausgehend von den kapriziösen Geboten und den zahlreichen Todesstrafen die im alten Testament zu finden, ein großer Schritt vorwärts.

Das mag sein, aber nirgends im neuen Testament hebt Jesus die Todesstrafen, oder die haarsträubenden Gesetze Gottes auf.

Tatsächlich trifft eher das Gegenteil zu Matthäus 5:17–20: 17 "Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. ...

...


Aus: ""Christliche Moral" gibt es nicht" Michael Shermer (11. Feb 2015)
Quelle: http://hpd.de/artikel/11197


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#190
Quote[...] Der Tod von drei muslimischen Studenten in den USA hat weltweite Trauer und Empörung vor allem unter Muslimen hervorgerufen:. Trauer um die Opfer, Empörung über die fehlende Berichterstattung. Muslim Lives Matter – Muslimisches Leben zählt – unter diesem Hashtag wird seit Mittwochnachmittag weltweit auf Twitter an Deah Barakat (23), seine Frau Yusor Mohammad Abu-Salha (21) und ihre Schwester Razan Mohammad Abu-Salha (19) erinnert. Die drei jungen Muslime wurden am Dienstagabend in Chapel Hill im US-Bundesstaat North Carolina mit drei Kopfschüssen regelrecht hingerichtet. Der mutmaßliche Täter stellte sich später der Polizei. Die ging in einer ersten Stellungnahme davon aus, dass es sich um einen Streit wegen eines Parkplatzes in der Nachbarschaft handelte.

Der Vater der ermordeten Schwestern, die beide als Kopftuchträgerinnen unweigerlich als Musliminnen zu erkennen gewesen waren, widersprach dem vehement: ,,Das war eine Exekution. Eine Kugel in jeden Kopf", sagte Mohammad Abu-Salha US-amerikanischen Medien. ,,Es ging nicht um einen Parkplatz. Das war eine Tat aus Hass." Er berichtete, wie seine Tochter ihm von vorherigen Begegnungen mit ihrem Nachbarn und späteren Mörder erzählt hatte. ,,Er stand ihnen schon vorher mit seiner Waffe im Gürtel gegenüber, aber sie hätten nie gedacht, dass er so weit gehen würde", berichtete Abu Salha.

Der Täter hatte sich auf seiner Facebookseite als ,,Anti-Theist" bezeichnet und auf seinem immer noch öffentlich zugänglichen Profil gegen religiöse Menschen gehetzt. Am 21. Januar hatte er sogar ein Bild seiner neu erstandenen Waffe hochgeladen. Drei Wochen später sollte er sie benutzen.

Obwohl die Tat bereits am Dienstag 17 Uhr Ortszeit geschah, berichteten zunächst nur lokale US-Medien darüber, ehe auf Twitter und Facebook immer mehr Menschen auf den Fall aufmerksam wurden und fehlende Öffentlichkeit beklagten. Der Newsweek-Reporter Jack Moore schrieb angesichts der fehlenden Präsenz des Themas in den großen TV-Sendern Fox-News, ABC, USA-Today und NBC nur das Wort: ,,Schändlich." Am Mittwochabend interviewte CNN zwar die Schwester des Ermordeten, Suzanne Barakat, gab aber nur wenige Stunden später der Frau des mutmaßlichen Täters Sendezeit, um darzulegen, dass ihr Mann nicht aus Hass gehandelt habe.

Auch in Deutschland beklagen Muslime eine Doppelmoral vieler Medien. ,,Wir fragen uns alle, nicht nur Muslime, welche Reaktionen es wohl hervorgerufen hätte, wenn der Täter kein Atheist, sondern ein mutmaßlicher Muslim gewesen wäre?", fragt sich Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Er appellierte an die Medien, jedem Verdacht entgegenzutreten, ,,dass Muslime nur als Täter mediales Interesse finden". Dies heize die ohnehin schon vorhandene antimuslimische Stimmung in unserem Land nur noch unnötig weiter an.

Das sieht der Deutsche Islamische Vereinsverband Rhein-Main genauso und spricht von einem Terroranschlag: ,,Es gilt anzuerkennen, dass keine Religion oder Weltanschauung aus sich heraus Gewalt gegen Andersgläubige rechtfertigt und lediglich ein mediales Klima derartige Taten hervorbringt, das undifferenziert Muslime zu ,potenziellen Tätern' erklärt", heißt es in einer Stellungnahme. Der Verband fordert Politik und westliche Medien auf, ,,die gegen Muslime verbreitete Propaganda im Internet nicht weiter zu ignorieren und Muslime in gleichem Maße vor Terror und öffentlicher Beleidigung zu schützen wie Nichtmuslime bei Gewalt, die sich islamisch zu legitimieren sucht".

Der Religionswissenschaftler Michael Blume kritisierte in einem Blogeintrag auf ,,Scilogs", dass weder die Tagesschau noch die Tagesthemen über die Tat berichtet hätten. ,,Hätte ich nicht Twitter und Facebook genutzt, so hätten mich diese verstörenden Meldungen aus den USA überhaupt nicht erreicht", schreibt Blume.

In den USA hatten sich am Mittwochabend Tausende Menschen vor der University North Carolina versammelt, um der Toten zu gedenken. Dort war Deah Barakat Medizinstudent. Seine Mutter Leyla sagte zu Pressevertretern: ,,Man antwortet nicht mit Hass auf andere. Man antwortet mit Liebe, mit Frieden, mit Barmherzigkeit. Das war Deahs Weg."


Aus: "Mediales Schweigen erzürnt Muslime" Timur Tinç, Redaktion in Frankfurt a.M. (12. Februar 2015)
Quelle: http://www.fr-online.de/politik/muslim-lives-matter-mediales-schweigen-erzuernt-muslime,1472596,29838824.html

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Quote[...] Washington - Im US-Bundesstaat North Carolina hat ein Mann drei muslimische Studenten erschossen und sich anschließend der Polizei gestellt. Bei den Opfern der Tat, die sich am Dienstagabend in der Universitätsstadt Chapel Hill ereignete, handelte es sich nach Polizeiangaben um einen 23-Jährigen, dessen zwei Jahre jüngere Ehefrau sowie deren 19-jährige Schwester.

Die Tat ereignete sich vor dem Campus der North Carolina State University. Ersten Ermittlungen der Polizei zufolge schoss der Täter wegen eines Streits um einen Parkplatz. Ob es sich um ein aus Hass begangenes Verbrechen handelte, werde derzeit überprüft, teilte die Polizei mit. Der in Untersuchungshaft sitzende Schütze arbeite mit den zusammen. Der 46-Jährige bezeichnet sich auf einer ihm zugeschriebenen Facebook-Seite als Religionsgegner.

Der getötete 23-Jährige studierte im zweiten Jahr Zahnmedizin. Seine Frau wollte Medienberichten zufolge im Herbst ebenfalls mit dem Studium der Zahnmedizin beginnen. Auch ihre Schwester studierte an der North Carolina State University, alle drei lebten in Chapel Hill.

Der Täter nennt sich auf der offenbar von ihm erstellten Facebook-Seite einen Gegner von Christen, Muslimen, Juden und Mormonen. In einem Eintrag heißt es: "Angesichts der enormen von eurer Religion angerichteten Schäden würde ich sagen, ich habe nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sie zu beschimpfen." (APA, red, 11.2.2015)

QuoteKinderpfarrer Hermann

Die Bilanz von religiös motivierten Bluttaten ist millionenfach gravierender als einzelne womöglich pur atheistisch motivierte Bluttaten.
Alleine wegen den Grausamkeiten die im Namen von Religionen verübt wurden und werden sollte überlegt werden, Religion offensiv in den Privatbereich zurückzudrängen und jegliche Steuererleichterung von Religionsvereinen zu streichen. Und eventuell Initiationsriten aller Religionen vor einem gewissen Alter gesetzlich verbieten.


QuoteAlfredo di Stefano

es gab auch genug atheistische Massenmörder, hitler, Stalin, mao, Paul pot. Trotzdem möchte ich den Atheismus nicht verbieten.


QuoteLiberaler Atheist
Da ging es offenbar um einen persönlichen Hass zwischen den Leuten. Dass der Täter angeblich ein Atheist war, wird nur von der islamischen Community und willfährigen Medien für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob der Mord wegen eines Parkplatzes geschieht oder um damit Allah zu dienen.


Quotenichtbriefmarkensammler

Es wurden 3 Menschen getötet!
Das diese Menschen an ein überirdisches Wesen geglaubt haben mögen, ist in keinster Weise ein Grund mit Gewalt zu reagieren!
Meinungsfreiheit gilt auch für die größten Spinner!
Auch wenn man rhetorisch mit dem Tod bedroht wird!
Lasst uns doch die wenige Zeit die wir auf diesem schönen blauen Planeten haben, genießen!


QuoteNordrand Bewohner
12. Februar 2015, 09:06:13

Der Täter war ein Atheist.

Ich bin auch überzeugter Atheist.

Muss ich mich jetzt von Atheismus distanzieren und an einen imaginären, väterlichen Freund, andere sagen eine Massenpsychose dazu, glauben?

Bin ich jetzt als Atheist Islamophob? Gar ein Rassist oder schlimmer, ein Nazi?
Persönlich betrachtet hat ein Einzeltäter, drei religiöse Fanatiker ermordet. Mit dieser Gefahr müssen alle Fanatiker einer Sache leben (immerhin ist Atheismus in 17 Staaten der islamischen Welt mit der Todesstrafe bedacht!).
Was hier im Standard leider nicht steht, es waren wie es scheint drei Salafisten.

QuoteKinderpfarrer Hermann
Den ersten drei Absätzen stimme ich zu.
Und als ich >drei religiöse Fanatiker< las bewertete ich ihren Kommentar negativ.
Woher wollens das denn wissen, dass die Drei religiöse Fanatiker waren? Das ist posthume Verleumdung.


Quotedie elster
Sie müssen sich überhaupt nicht öffentlich von dem mord distanzieren, aber den opfern ins grab nachzuspucken ist schon schwer daneben.


Quotethe odor
Amüsant!

Sie verwenden hier die gleiche Verteidigungsstrategie, die Ihresgleichen sonst nach religiös motivierten Attentaten den (friedlichen) Anhängern der jeweiligen Glaubensrichtung zum Vorwurf machen.



Quotemuslimischer österreicher

die eigentliche Funktion der Religion ist ja, Spiritualität Ausdruck zu verleihen. Darum ist Religion auch Privatsache und vernünftig angewandt spaltet sie nicht. Politisierte Ideologien/Religionen allerdings spalten sehr wohl, da man sich auf nicht auf die Spiritualität fokussiert, sondern auf den politischen Aspekt. Sei es der militante Christ, der Abtreibungsärzte tötet, um im Namen seiner Religion leben zu schützen, der militante Atheist/Antitheist, der Religionen hasst, weil sie nur Gewalt auslösen und dann selber 3 Menschen hinrichtet, oder der militante Buddhist, der Muslime in Myanmar tötet, weil sie sich so schnell vermehren. Die IS gehört hier in die selbe Kategorie, die im Namen Allahs, dem Barmherzigen, Zivilisten töten...




Aus: "Drei muslimische Studenten in North Carolina erschossen" (11. Februar 2015)
Quelle: http://derstandard.at/2000011585619/Drei-muslimische-Studenten-in-North-Carolina-erschossen

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Quote[...] Doch selbst wenn - wie Spiegel-Online schreibt - der vermutliche Mörder, Craig Stephen Hicks, auf seiner Facebook-Seite schrieb: "dass er Religionen hasst", macht das die Tat keineswegs zu einem Hassverbrechen. Bislang spricht nichts dafür, dass die drei jungen Menschen deshalb sterben musste, weil Hicks Atheist und die Opfer Muslime waren.

Die Polizei verhört derzeit den Täter, der - nachdem er sich stellte - zugegeben haben soll, die Opfer aus nächster Nähe erschossen zu haben. Allerdings wird als Grund für diese Tat ein Streit mit "mit den Opfern über Parkplätze" angenommen. Doch das ist bislang weder bestätigt noch widerlegt. Denn Details über die wahren Motive von Hicks gibt es nach wie vor nicht. Chris Blue, Polizeichef in Chapel Hill, sagte laut TAZ in einer Stellungnahme: "Unsere Ermittlungen versuchen herauszufinden, was Mr. Hicks zu dieser sinnlosen und tragischen Tat bewegt haben könnte."

Die Polizei will dabei auch prüfen, ob bei den Morden auch die Religionszugehörigkeit der Opfer eine Rolle gespielt hat. Immerhin trugen die beiden getöteten Frauen Kopftücher.

Bei aller Abscheu gegen solch ein Verbrechen: Es bleibt jedoch ein schaler Nachgeschmack, wie schnell das "Council on American-Islamic Relations" Wert darauf legte, als Grund für den Mord allein die Religion der Opfer anzusehen. Als wäre es nicht eine bittere - und aus der muslimischen Community nur sehr selten beklagte - Wahrheit, dass die meisten Muslime, die Opfer von Terroranschlägen werden, von Muslimen getötet werden.

Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, wenn die drei Opfer von Chapel Hill jetzt dazu benutzt werden, um zum einen Atheisten als Mörder darzustellen und zum anderen mit der Aufregung über diesen Mord zu verdecken, dass islamistische Terroristen in Nigeria, Syrien, Pakistan und Afghanistan - um nur die bekanntesten Brennpunkte zu nennen - täglich im Namen ihres Glaubens Menschen töten. Muslime und Anders - oder Nichtgläubige.

Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, dass drei ermordete junge Menschen jetzt instrumentalisiert werden sollen und Reaktionen auf Terrorakte im Namen Allahs oft erst dann erfolgen, wenn dazu aufgefordert wird.


Aus: "Wenn der Streit um einen Parkplatz zum Religionskrieg wird" Frank Nicolai (11. Feb 2015)
Quelle: http://hpd.de/artikel/11204

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Quote[...] ,,Wir sind uns eindeutig sicher, dass unsere Töchter wegen ihrer Religion angegriffen wurden", sagte der Vater der beiden ermordeten Frauen, Mohammad Abu-Salha, inmitten weinender Angehöriger bei den Vorbereitungen der Beisetzung der Nachrichtenagentur AFP. ,,Dies war kein Parkplatzstreit - diese Kinder wurden mit Schüssen in den Hinterkopf hingerichtet." Bei der Tat handele es sich offenkundig um ein ,,Hass-Verbrechen" und er werde nicht einfach stillhalten, sagte der Vater.

Seinen Angaben zufolge hatte der Schütze seine Tochter Yusor früher schon bedrängt. Demnach war er mit einer Pistole am Gürtel vor ihrer Tür erschienen, um sich wegen des Parkplatzes zu beschweren. Die Polizei schloss kein Motiv aus, ging aber zunächst von einem Nachbarschaftsstreit aus. Die Staatsanwaltschaft sprach von einem ,,isolierten Fall" ohne weiterreichende Bedeutung. Nachbarn beschrieben den Schützen Medienberichten zufolge als streitlustig. Demnach war er oft mit seiner Waffe zu sehen.

Muslimische Einwohner von Chapel Hill äußerten die Sorge, dass sich durch das Verbrechen die Spannungen verschärfen. ,,Es schürt bereits die Angst. Ich habe dutzende Anrufe erhalten", sagte der Direktor des Rats für Amerikanisch-Islamische Beziehungen, Nihad Awad. Der Bruder des getöteten Studenten, Farris Barakat, rief zur Ruhe auf. ,,Bekämpft Feuer nicht mit Feuer", sagte Barakat. ,,Lasst Ignoranz nicht in Euer Leben vordringen, antwortet nicht mit Ignoranz auf Ignoranz."

Unter Muslimen wurde Kritik an der vorsichtigen Berichterstattung der Medien laut. Der Generalsekretär der internationalen Union der islamischen Gelehrten in Katar, Ali al-Karadaghi, kritisierte das Schweigen der ,,internationalen Medien" angesichts dieses ,,Terrorangriffs". ,,Werden sich die Staatsführer der ganzen Welt im Gedenken versammeln?", schrieb er auf Twitter in Anspielung auf den großen Trauermarsch für die Opfer der islamistischen Anschläge von Paris im Januar.

Auch Ibrahim Nehm, der Assistent von Ägyptens Großmufti, sprach von einem ,,Terrorangriff", der ,,das hässliche Gesicht der Islamophobie" enthülle. Im Internet wurde kritisiert, dass die amerikanischen Medien erst spät über ein mögliches rassistisches Motiv berichtet hätten, während bei Angriffen von Muslimen schnell über islamistische Motive spekulierten werde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte bei einem Besuch in Mexiko, dass weder Präsident Barack Obama noch andere Politiker sich bisher zu den Morden geäußert hätten.


Aus: "Tausende bei Beisetzung der drei erschossenen Muslimen" (13.02.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/tausende-bei-beisetzung-der-drei-erschossenen-muslimen-13426156.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nur ein Bruchteil der Demonstranten dürfte je eine Kirche von innen gesehen oder eine Ahnung vom Wesen des Islam haben. Denn der einzige Erfolg der DDR-Diktatur, die den Atheismus zur Staatsdoktrin gemacht hatte, bestand in der Entchristianisierung der Bevölkerung.

Während in anderen ehemals sozialistischen Ländern nach dem Ende des Kalten Krieges eine zum Teil intensive Rückwendung zum Glauben (katholisch oder orthodox) stattfand, blieben die einst mehrheitlich protestantischen Ostdeutschen kirchenfern und religionsavers. Die Angst vor einer Islamisierung ist daher auch eine Form der Autoaggression gegen die eigene spirituelle Ödnis. Nun muss man nicht gläubig sein, um Toleranz zu entwickeln und Islamfeindlichkeit zu bekämpfen. Es gibt ein humanitäres Ethos ohne Gott. Doch zu sehen, wie Kirchen in Deutschland mangels Nachfrage schließen, während Moscheen gebaut werden, erzeugt offenbar vor allem Neid bei denen, die nur ihren Nichtglauben haben.

...

Quotevon misty
    11.12.2014 16:39 Uhr

spirituelle Ödnis

Die Angst vor einer Islamisierung ist daher auch eine Form der Autoaggression gegen die eigene spirituelle Ödnis. Nun muss man nicht gläubig sein, um Toleranz zu entwickeln und Islamfeindlichkeit zu bekämpfen.


Sehr geehrter Herr Lemming, ich lebe ganz zufrieden in meiner "spirituellen Ödnis". Ich muss nämlich keine Furcht vor dem "Jüngsten Gericht", dem Fegefeuer und der Hölle haben.
Dass Gläubige - egal welcher Richtung - in Sachen Toleranz besonders befähigt wären, ist durch die Geschichte doch längst widerlegt und gilt auch heute noch wie man in den islamischen Ländern unschwer erkennen kann, aber auch in Deutschland angesichts der vielfältigen Proteste beim Bau von Moscheen. Religionen sind häufig Ursache von Konflikten - und selten die Lösung.


Quotevon Human123
    11.12.2014 15:59 Uhr

mir fehlen die Worte
ich bin Humanistin. Ich bin ein selbstbestimmter, kritischer Mensch, der sich im Laufe seines Lebens mit den Dingen auseinandergesetzt hat statt sie ungefragt hinzunehmen. Vielleicht ist das als Juristin auch eine berufliche "Schwäche". Hierzu gehört auch die Religion. Ich wollte diese nicht ungefragt hinnehmen, sondern habe sie auf ihre Richtigkeit und Wertigkeit überprüft, sehr intensiv und lange. Wie schön wäre es, wenn das in vielen muslimischen Ländern möglich wäre und die Menschen es täten. Für den Zweifel ist noch nie jemand in den Krieg gezogen, sag ich mal.Ich bin für mich zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Religion wahr ist und - ausser für den Einzelfall - im Kollektiv auch eher nicht wertvoll. Jeden Abend sehe ich mich in dieser Meinung bestätigt, wenn ich die Nachrichten schaue. Sie können das gerne für sich anders sehen, es ist ihr gutes Recht zu glauben, woran immer sie wollen. Aber hören Sie endlich mit dieser mir unerträglichen Arroganz aller Religionen auf, Allegmeingültigkeit zu beanspruchen. Meine Freiheit ohne religion zu sein, meine Meinung sagen zu dürfen, gleichberechtigt zu sein, verdanke ich der Religion i.ü.nicht.


Quotevon Raubritter
    10.12.2014 17:55 Uhr

Wenn Sie, Herr Lehming ...
... zur Sinnstiftung Ihres Lebens eine Religion oder einen Gott brauchen, freut mich für Sie, daß Sie einen gefunden haben.
Bitte setzen Sie sich doch mit Pegida sachlich auseinander. Dafür gibt es viele Gründe. Den "Neid der Nicht-Religiösen" benötigen Sie dafür nicht. Nicht-Religiöse sind übrigens deutlich mehr als 10.000, auch in Dresden. Tatsächlich stellen sie in Religionsfragen die größte Bevölkerungsgruppe dieses Landes dar.


Quotevon williamriker
    10.12.2014 13:24 Uhr

Religionsfreiheit

Religionsfreiheit bedeut auch, die Freiheit, keine Religion zu haben. Ein Blick ins Grundgesetz hätte diesen Artikel überflüssig gemacht.


Quotevon Elvenpath
    10.12.2014 09:46 Uhr

Autor möchte nur diffamieren
"erzeugt offenbar vor allem Neid bei denen, die nur ihren Nichtglauben haben. "

"bestand in der Entchristianisierung der Bevölkerung. Das rächt sich jetzt."

"Die Angst vor einer Islamisierung ist daher auch eine Form der Autoaggression gegen die eigene spirituelle Ödnis."

Das ist ganz großer Bullshit und zielt nur auf Diffamierung von Atheisten ab.
Das einzige wovor Atheisten beim Islam Angst haben, dass es wieder zu einer religiösen Gewaltherrschaft, wie im Christentum, kommt.
Das, und nicht diese böswilligen, haltlosen und sinnlosen Spekulationen von Herrn Lehmig sind der Grund.

Das ist ganz nahe am Hasspredigen, was Herr Lehmig da macht.


...


Aus: "Gottloser Kreuzzug" Malte Lehming (09.12.2014)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/anti-islam-protest-der-pegida-gottloser-kreuzzug/11096540.html

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Quote[...] Als ich Ihren Kommentar über die Pegida-Proteste gelesen habe, habe ich laut gelacht und zugleich heftig den Kopf geschüttelt. Eine Kombination zweier emotional ausgelöster motorischer Vorgänge, die, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen werden, nicht im Entferntesten bewusst gesteuert werden kann und ob ihrer Komplexität auch nur selten vorkommt.

Ihre These, der in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern leider sehr weit verbreitete Hass gegen Muslime sei primär von Konfessionsfreien und Atheisten getragen, wäre ja eine Überlegung wert, hätte sie nur irgendeinen Bezug zu dem, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet. Und hätten Sie sich die Mühe gemacht, abseits halborigineller Unterstellungen auch nur so etwas wie ein Argument vorzubringen. ...

... Wer rechte Szenen im Blick hat, wird die einschlägigen Slogans und Argumentationsmuster seit Jahren kennen. Und wissen, dass sie sich vorwiegend aus dem rechtskatholischen (wohl auch rechtsprotestantischen) und dem "klassisch" neurechten Spektrum langsam in die Mitte der Gesellschaft vorgefressen haben.

Auch letzteres übrigens kein atheistisches oder per se religionsfernes Milieu, wenn es auch keine engere konfessionelle Bindung hat und Religion dort häufig (auch) auf eher diffuse Art als primär kulturelles Element interpretiert wird. Aber auch das nahezu das glatte Gegenteil dessen, was man sich etwa im Osten Deutschlands unter Religion vorstellt.

Sehr irritierend ist, wie Sie die Re-Christianisierung der Länder des ehemaligen Ostblocks idyllisieren. Nun ist die zum einen bei weitem nicht so flächendeckend, wie Sie suggerieren. Slowenien und Tschechien zeigen sich sehr resistent. Zum anderen sollte man der Fairness halber nicht unerwähnt lassen, wie viel Intoleranz, offenen Hass und Hetze mit der Re-Christianisierung an die Oberfläche schwappten.

So sei hier erwähnt, dass in Sarajevo, Belgrad oder Moskau die Parade zum Christopher Street Day entweder direkt verboten ist oder von der Polizei aus "Sicherheitsgründen" kurzfristig verboten wird. Auch die re-christianisierten Bevölkerungen der Slowakei oder Ungarns sollten eher kein Maßstab für Liberalität und Toleranz sein. Die Hauptfeindbilder dort mögen anders strukturiert sein. Dass dort Hass gegen Muslime nicht auf fruchtbaren Boden fällt, würde ich mich nun wirklich nicht zu sagen trauen, würde mir auch nur ein klein wenig an meinem Ruf liegen. Am Rande sollte man der Ehrlichkeit halber auch darauf hinweisen, dass im allerkatholischsten Polen der Antisemitismus fröhliche Urständ' feiert.

... Deutschland den Deutschen heißt heute eben "Christliches Abendland". Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist vor allem, wie rationalisiert dieser Hass ist. Die etwas milderen Ausdrucksformen findet man übrigens in Deutschland vor allem bei CDU und CSU. Auch nicht gerade Horte des grassierenden Atheismus.

Bleibt mir noch, der aufrichtigen Hoffnung Ausdruck zu verleihen, ihr Blick auf den Straßenverkehr sei nicht so verzerrt wie der auf gesellschaftliche und politische Realitäten.

Quote

Thomas Reutner am 13. Dezember 2014 - 23:16
"Deutschland den Deutschen heißt heute eben "Christliches Abendland"."
Besser kann man es wohl nicht auf den Punkt bringen.



Aus: "Kreuzzug gegen die Gottlosen" Christoph Baumgarten (12. Dez 2014)
Quelle: http://hpd.de/artikel/10757

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Quote[...] Islamistischer Terror, Pegida-Demos und latenter bis offener Antisemitismus haben eine heftige Diskussion über die Frage ausgelöst, was man im Bereich kultureller und ethischer Bildung tun kann, um sich besser gegen diese in die Mitte der Gesellschaft drängenden Randerscheinungen zu wappnen. Dabei taucht immer wieder die These auf, dass religiöse Ungebundenheit zum Verfall ethischer Werte, zu Intoleranz und Vorurteilen führe. Andersherum hieße das, dass eine fundierte religiöse Bildung und Erziehung eine gute Grundlage für Toleranz und Respekt seien. Dies ist eine steile These, in der zudem eine gehörige Portion Überheblichkeit gegenüber Konfessionsfreien steckt.

Stellen wir sie dennoch einmal auf die Probe. Ein Großteil der Intellektuellen in den USA, der Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler ist eindeutig säkular beziehungsweise humanistisch orientiert. Ähnliches gilt auch für England oder Frankreich. Aber niemand käme auf die Idee, religiös unmusikalischen Menschen wie Philip Roth oder Jonathan Franzen, Audrey Tautou und John Cleese, Stephen Hawkins oder Jürgen Habermas mangelnde ethische Wertefestigkeit oder fehlende Toleranz oder Liberalität vorzuwerfen.

Gleichzeitig ist in den USA die religiöse Rechte für ihre extrem antiliberalen Thesen bekannt. Die besonders religiöse Tea Party-Bewegung hetzt in Amerikas Bible Belt gegen Minderheiten aller Art, gegen Feminismus und Wissenschaft. Mehr noch: Heerscharen evangelikaler Missionare aus den USA sind in Teilen Afrikas mitverantwortlich für die dort gefährlich zunehmende Homophobie.

Aber zurück nach Berlin: Hier sind bekanntlich über zwei Drittel der Menschen konfessionsfrei. Eine große Mehrheit der Menschen in Berlin bekennt sich zu Toleranz, Selbstbestimmung und Verantwortung, die ethischen Werte des Humanismus. Kurzum: Weder gilt der Schluss, dass Religiosität automatisch vor Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz schützt, noch gilt umgekehrt, dass eine fehlende religiöse Musikalität automatisch zu Werteverlust und gesellschaftlicher Gleichgültigkeit führt.

Die Problematik ist komplexer. Neben sozialer Stabilität und wirtschaftlicher Perspektive dürften vor allem auch eine umfangreiche Bildung sowie das persönliche Kennenlernen verschiedenster Religionen, Weltanschauungen und Kulturen zentrale Voraussetzungen für Toleranz und Liberalität sein. Das belegen jedenfalls fast alle einschlägigen Studien. Genau deshalb hat das Land Berlin 2006 das Berliner Modell eingeführt: Zusätzlich zum bereits existierenden freiwilligen Unterricht in Religion und Humanistischer Lebenskunde wurde erstmals in Deutschland ein verbindliches Schulfach Ethik eingeführt. Nur so haben die Jugendlichen überhaupt die Chance, die ethischen, weltanschaulichen und religiösen Grundfragen, die sie einzeln mit sich tragen und pflegen, auch gemeinsam zu reflektieren. Das Lernen und Sprechen miteinander ist tausendmal sinnvoller als das Reden übereinander. Nur wer lernt, sich im Dialog mit anderen friedlich auseinanderzusetzen, der kann auch Toleranz und Respekt einüben.

Und nicht zuletzt: Eines der zentralen Anliegen dieses Ethikunterrichtes ist es, dass Kinder und Jugendliche überhaupt ein umfangreiches Grundwissen über die verschiedenen Religionen, Weltanschauungen und Kulturen dieser Welt erhalten. Er trägt also zur religiös-weltanschaulichen Mündigkeit bei. Mehr noch, dieser gemeinsame Unterricht vermittelt das respektvolle Miteinander, die Fähigkeit zuzuhören und ermöglicht den Perspektivwechsel. Miteinander statt übereinander reden, das stärkt die tolerante und friedliebende Gesellschaft. Religiöse und weltanschauliche Eitelkeiten gilt es hinter dieses Ziel zurückzustellen. Für ein tolerantes und respektvolles Miteinander ist nicht der persönliche Glaube oder Unglaube entscheidend, sondern das wohlwollende und ideologiefreie Interesse am Anderen.

Der Autor ist Pädagoge und Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) in Berlin und Brandenburg.

Quotevon DirkGently
08.02.2015 03:07 Uhr

Um es mal mit "Volker Pispers" zu sagen:
Religion ist etwas für Menschen, die den Alkohol nicht vertragen.

Quotevon yoda
    08.02.2015 11:18 Uhr

Antwort auf DirkGently vom 08.02.2015 03:07 Uhr
Recht hat der Pispers
Und je besoffener einer ist, desto toleranter ist er auch.

Sich selbst gegenüber.





Aus: "Religiöse Menschen sind nicht automatisch toleranter" Bruno Osuch (07.02.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/gastbeitrag-religioese-menschen-sind-nicht-automatisch-toleranter/11340424.html


Textaris(txt*bot)

#192
Am 14. und 15. Februar 2015 kam es zu zwei Anschlägen in Kopenhagen, Dänemark. Am Nachmittag nahm ein Täter das Kulturzentrum Krudttønden im Stadtteil Østerbro unter Beschuss. Dabei wurden ein Mann getötet und drei Polizeibeamte verletzt. Ziel des Anschlages war eine Diskussionsveranstaltungur Thematik Kunst, Blasphemie und Meinungsfreiheit. ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Anschl%C3%A4ge_in_Kopenhagen_2015

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"Islamischer Staat"Beginnend mit Worten, endend mit Blut" Georg Seeßlen (15. Februar 2015)
Extremisten konkurrieren um die Jugend des Westens. Warum wird gerade der IS zur neuen Heimat der Enttäuschten? 15 Anmerkungen zu europäischen Dschihadisten...
http://www.zeit.de/kultur/2015-02/islamischer-staat-dschihadisten-aus-europa-essay

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Quote[...] Journalisten und Zeichner sind immer wieder Ziele islamistischer Anschläge. Die Polizei geht auch in Kopenhagen von einem Terrorakt aus. Ein Überblick.

Januar 2015: Die Brüder Chérif und Saïd Kouachi stürmen in Paris die Redaktionsräume des religionskritischen Satiremagazins Charlie Hebdo. Sie erschießen zwölf Menschen, darunter neun Journalisten. Zu den Toten zählt auch der unter dem Künstlernamen Charb bekannte Zeichner und Chef des Magazins, Stéphane Charbonnier. Die Polizei erschießt die Brüder zwei Tage nach dem Anschlag.

Februar 2013: Der 70 Jahre alte dänische Journalist Lars Hedegaard übersteht in Kopenhagen ein Attentat unverletzt. Den unbekannten Täter kann er selbst in die Flucht schlagen. Zuvor hatte eine Pistolenkugel den Kopf des Islamkritikers knapp verfehlt. Hedegaard war Ende der 1980er Jahre Chefredakteur der linksliberalen Tageszeitung Dagbladet Information und stellte sich hinter die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten.

November 2011: Unbekannte verüben einen Brandanschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Am selben Tag war ein Sonderheft zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien erschienen. Das Magazin hatte sich deshalb in Scharia Hebdo umbenannt, als Chefredakteur war der Prophet Mohammed benannt worden.

Mai 2011: Ein Kopenhagener Gericht verurteilt den Tschetschenen Lors Dukajew für einen versuchten Anschlag auf die Zeitung Jyllands-Posten zu zwölf Jahren Haft. Der 25-Jährige hatte sich 2010 in Kopenhagen bei der Explosion seines Sprengstoffes verletzt. Er wollte eine Briefbombe an die Redaktion der Zeitung schicken.

Mai 2010: Zwei Männer werfen Benzinflaschen durch ein Fenster in das Haus des schwedischen Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks. Auf den Zeichner wurde bereits 2007 im Internet von einem Al-Kaida-Ableger im Irak ein Kopfgeld von 150.000 Dollar ausgesetzt.

Januar 2010: Der dänische Zeichner Kurt Westergaard, von dem die Mohammed-Karikaturen in Jyllands-Posten stammen, entkommt nur knapp einem Attentat. Bereits 2008 hatten die dänischen Behörden Mordpläne gegen ihn aufgedeckt. Mehrere Verdächtige wurden festgenommen.

November 2004: Der niederländische Islamkritiker Theo van Gogh wird in Amsterdam von einem muslimischen Extremisten ermordet. Er hatte einen Film über die Unterdrückung der Frauen im Islam gedreht. Auf der Leiche hinterließ der Täter einen Brief mit Morddrohungen gegen weitere Niederländer.

Quotezettpunkt
   vor 2 Stunden 1 Minute

2. Bei der Nabelschau sollten die jüdischen Opfer ...

... in Paris und Kopenhagen, Brüssel, Toulouse etc. nicht vergessen werden.

Journalisten und Karikaturisten wird die Provokation unterstellt, die den islamistischen Terror nach sich zieht. Der Begriff der "Schere im Kopf" wird dann angeführt, wenn Journalisten, Karikaturisten und Künstler kritische Auseinandersetzungen mit dem Islam unterlassen.

Diese Möglichkeit haben jüdische Mitbürger nicht.
Sie bleiben Zielscheibe des antisemitischen Terrors.


QuoteVeräntergung
   vor 1 Stunde 56 Minuten

4. Der Stürmer

Diese Karikaturen und gerade Hebdo erinnern mich sehr an den Stürmern. Die Mulsime und der Islam darin werden in einer Weise dargestellt, die einem an diese andere Hetzschrift erinnert.



Quote
   Demokläs
   vor 1 Stunde 49 Minuten

6. das hatten wir schon mal

"Diese Karikaturen und gerade Hebdo erinnern mich sehr an den Stürmern"

Und ihre Vergleich ist genau so *Glücklich* wie von Göbbels mit Gorbatschov!


Quotezettpunkt
   vor 1 Stunde 41 Minuten

7. Mich erinnern die antijüdischen Karikaturen in arabischen Medien an den Stürmer.

http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37971/medien-in-nahost?p=all

http://www.deutschlandradiokultur.de/nazi-propaganda-auf-arabisch.1079.de.html?dram:article_id=176254

http://www.spiegel.de/politik/ausland/nahost-medien-quotenjagd-mit-antisemitismus-a-400708.html


Quote
   Begleiterscheinung
   vor 1 Stunde 49 Minuten

10. Wie Sarah Wagenknecht richtig bemerkte ...

...müssen die Aktionen in Paris und Kopenhagen mit den brutalen und hinterhältigen Dronenmorden der Amerikaner in Relation gesetzt werden.


Quote
   Standpunkt
   vor 1 Stunde 44 Minuten

14. Nein...

müssen, ja DÜRFEN sie nicht.

Die Ermordung der CH-Redakteure erfolgte nicht wegen der "Drohnen-Angriffe", sondern wegen der "Beleidigung des Propheten". Sie erinnern sich noch an das Gegröle der Mörder - von Amateurvideos aufgenommen?
"Wir haben den Propheten gerächt!"

Ihre Einlassung ist daher barer Unsinn und eine Relativierung dieses Verbrechens.


Quote
   Danaeer
   vor 1 Stunde 48 Minuten

11. zu 4: über Politik, Religion und öffentliche Meinung muss sich

lustig gemacht werden dürfen, gerade über solche Vorschriftengeber und deren theoretische Quellen, die angeblich wissen und beinhalten, was gut und richtig für die Menschen ist. Für mich ist das unverzichtbarer Bestandteil der Meinungsfreiheit: und wenn Religionsfanatiker meinen, andere dafür, also unziemliche Meinung umbringen zu dürfen/müssen, darf sich jeder Attackierte mittels aller Möglichkeiten erwehren.

Wie oft waren schon Paepste und katholische Kirche Objekte satirischer Begierden? Der Papst Benedikt auf dem Titanic-Cover?

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich! İhre Gleichsetzung empfinde ich als ausgesprochen unpassend!


Quote
   Demetrios I. Poliorketes
   vor 1 Stunde 41 Minuten

15. bei insgesamt 18000 Opfern von Terroranschlägen weltweit. .

...und jährlich erzeugt diese kleine Aufzählung aus Europa mit berufsspezifischer Ausrichtung eher eine Relativierung gruppenbezogener rassistischer Gewalt durch Heraustellen von Einzeltätern, denn ein umfassendes Bild


Quoterepugna
   vor 1 Stunde 37 Minuten

19. Der Westen versteckt sich gerne unter Schlagwörtern wie Meinungsfreiheit und Demokratie, meint aber immer "eure Kultur ist unseren unterlegen und deshlab können wir uns das Recht nehmen es zu karikieren." Vor Meinungsfreiheit steht aber immer noch Respekt. Respekt vor der Religion anderer, vor der Kultur anderer, vor den Resourcen und Gütern anderer etc. Wer das Ander nicht respektiert, kann auch kein Respekt erwarten und die Konsequenzen sind bekannt. Muslime haben Frankreich oder Dänemark versucht zu kolonisieren und die eigene Lebensart aufzuzwingen. Das waren immer nur die Europär und jetzt versuchen sie unter dem Vorwand den Islamismus zu bekämpfen wieder zu kolonisieren oder zu mindestens ihre Pfründe zu sichern. Oder warum befinden sich französische Armeeeinheiten in Mali. Etwa Dremokratie oder Meinungsfreiheit zu eatblieren? Nein, einzig dem Zweck das Yellow Cake für ihre Kernkraftwerke zu sichern und sonst nichts. Hätten sie Demokratie im Sinn gehabt als sie die nahöstlichen Staaten okkupierten, dann hätte man vielleicht schön länst demokratische Verhältnisse hier.


Quote
   ah-ha
   vor 1 Stunde 23 Minuten

24. Die Welt wäre eine bessere

ohne den Islam.

Man sollte diese Religion verbieten und die Anhänger derselben ausweisen.


Quote

   Arlequin
   vor 46 Minuten

Seit wann zeigt sich denn dieses Problem des radikalen (d.h. mörderischen/faschistoiden) Islamismus?

Meines Wissens erst seit ca. 30 Jahren. Vielleicht sollte hier kritisch und selbstkritisch Ursachenforschung erfolgen, anstatt wahllos jedem Gemüsehändler Ausbürgerung anzudrohen.



Aus: "Terrorismus: Von "Charlie Hebdo" bis Theo van Gogh" (15. Februar 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/terrorismus-kopenhagen-charlie-hebdo-theo-van-gogh-ueberblick


Textaris(txt*bot)

Quote[...] An diesem Mittwoch muss der Komiker Dieudonné wegen ,,Verherrlichung des Terrorismus" vor Gericht. Seit den Pariser Attentaten ahndet die französische Justiz diese Delikte streng. Auf welcher Rechtsgrundlage?

Frankreich ist nicht antisemitisch. Der harte Kern der extremen Rechten ist es sehr stark, ein Teil der Ultralinken, die Islamisten und ein Teil der Jugendlichen in den Banlieues sind es" – diese Einschätzung formulierte Arno Klarsfeld vor einem Jahr im Fernsehen. Gestern musste er sich deswegen vor Gericht rechtfertigen. Noch steht nicht fest, ob es zu einer Anklage kommen wird.

Der Sohn von Serge, dem Nazi-Jäger, und von Beate Klarsfeld, die mit ihrer Ohrfeige für Kanzler Kiesinger berühmt wurde, hat sich als Anwalt von jüdischen Opfern einen Namen gemacht. Arno Klarsfeld ist eine emblematische Figur des französischen Judentums. Angestrengt hat das Verfahren gegen ihn der Staatsanwalt. Der Vorwurf: Klarsfelds Worte seien eine ,,Ehrverletzung" der Jugendlichen in den Banlieues. Die Einschätzung der Lage ist indes kaum bestreitbar – nach den Reaktionen auf die Attentate erst recht nicht.

Die Anklage bekräftigt den Eindruck, dass die französische Justiz unter dem Druck der Politik und der Aktualität steht. Seit den Attentaten schwappt eine Welle schneller Prozesse wegen ,,Verherrlichung des Terrorismus" über das Land. Nicht nur von der islamischen Öffentlichkeit werden diese Verfahren mit exemplarisch hohen Strafen als Verteidigung von ,,Charlie Hebdo" empfunden – während für den als antisemitisch verrufenen Komiker Dieudonné, der vor kurzem vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen wurde und sich an diesem Mittwoch wegen ,,Verherrlichung des Terrorismus" vor Gericht verantworten muss, nicht die gleiche Meinungsfreiheit gelte. Darf man den Propheten und seine Gläubigen ungestraft beleidigen, während jede Kritik an Israel und den Juden mit der ,,Antisemitismus-Keule" geahndet wird? Diese Frage ist in Frankreich tausendfach zu hören. Das Verfahren gegen Arno Klarsfeld wirkt daher wie eine Alibi-Übung mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der Justiz zu demonstrieren.

Die Gesetzgebung zur ,,Volksverhetzung" und zur ,,Verherrlichung von Terrorismus" ist für den einfachen Staatsbürger indes nur schwer zu überschauen. Seit dreißig Jahren lastet auf der französischen Justiz der Fluch der Vergangenheit, deren Aufarbeitung umstrittene Paragraphen hervorgebracht hat. So wurde beispielsweise im Juli 1990 der Artikel 24, der seit 1881 die Meinungs- und Pressefreiheit regelt, mit einer nach einem kommunistischen Abgeordneten benannten ,,Loi Gayssot" ergänzt. Das Gesetz sollte helfen, ,,rassistische, antisemitische oder fremdenfeindliche Akte" strenger bestrafen zu können. Dabei führte die ,,Loi Gayssot" im Geiste der Vichy-Aufarbeitung ein neues Delikt ein: das Leugnen von Genoziden und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch ohne die ,,Loi Gayssot" war es zuvor möglich gewesen, notorische Auschwitz-Lügner wie Paul Rassinier und Robert Faurisson, dessen Meinungsfreiheit Noam Chomsky verteidigt hatte, ins Gefängnis zu bringen. Historiker und Juristen haben die ,,Loi Gayssot" deswegen von Beginn an kritisiert. Das Unbehagen an ihr ist über die Jahre immer größer geworden.

... Nie hat ,,Charlie Hebdo" die Geschichte manipuliert, zu Hass und Gewalt aufgerufen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit instrumentalisiert oder sie in Frage gestellt, sich über die Bomben auf die muslimischen Länder gefreut oder die Leiden der Zivilbevölkerung verhöhnt. ,,Charlie Hebdo" provoziert und karikiert, auch den Papst und die Rabbiner, zelebriert den schlechten Geschmack. Die Zeitschrift hat viele Prozesse gewonnen und manche verloren, ihre wenig zimperlichen Kritiker aber nie wegen Ehrverletzung angeklagt. ,,Charlie Hebdo", dessen Lektüre freiwillig ist, war auch nie ein Fall für die ,,Loi Gayssot" oder die Paragraphen zur ,,Verherrlichung des Terrorismus".

Die Blasphemie, die in früheren Jahrhunderten mit der Todesstrafe geahndet werden konnte, ist in Frankreich seit dem Ende der Monarchie kein Delikt mehr. Nur im Elsass und in Lothringen hat sie, als Relikt der Zugehörigkeit zu Deutschland, überlebt – ohne geahndet zu werden. Ausgerechnet am Tag vor dem Attentat trafen sich Katholiken, Muslime, Juden und Protestanten, um ihre Abschaffung in die Wege zu leiten.

Gegenwärtig ist jede ,,Verherrlichung des Terrorismus" wohl zuallerletzt eine Kundgebung jener, die wirklich Attentate im Schilde führen. Anwälte fürchten eher, dass die Verurteilten im Gefängnis indoktriniert werden könnten. Beängstigend ist die sich verstärkende Stimmung des Verständnisses für die Gefühlslage der Muslime, deren religiöse Empfindungen unnötigerweise provoziert worden seien. Die Versuchung, ob aus Angst vor neuen Attentaten oder aus Rücksicht, Zensur und Selbstzensur zu üben, erscheint im Moment als größere Bedrohung für die freiheitliche Gesellschaft als die ,,Verherrlichung des Terrorismus".

Dass prominente Intellektuelle noch vor kurzem dem italienischen Rotbrigadisten Cesare Battisti, dem mehrere Morde vorgeworfen werden, logistische Hilfe beim Untertauchen leisteten und die Legitimität der italienischen Justiz verneinten, wird vergessen und verdrängt, genauso wie die unverhohlene Solidarität mit der RAF. Deutschland wurde damals schnell als Polizeistaat bezeichnet. Jean Genet veröffentlichte in ,,Le Monde" eine Hymne auf die Baader-Meinhof-Bande, die ihn nach der heutigen Rechtsprechung ins Gefängnis bringen würde. Sartre besuchte Baader in Stammheim, der Schriftsteller Egon Holthusen schrieb darauf einen Essay ,,Vom Text zur Tat". Als Fritz Teufel und Rainer Langhans wegen der Flugblätter, in denen zur Brandstiftung in deutschen Kaufhäusern aufgerufen wurde, angeklagt waren, beriefen sie sich auf viele französische Beispiele der literarischen Gewaltverherrlichung, von den Surrealisten bis zu den Situationisten. Diese große Tradition der Subversion darf Frankreich nicht preisgeben.

Rubin Sfadj, der in New York und Aix-en-Provence als Anwalt und Rechtsprofessor gewirkt hat, kritisiert den ,,ultralegalistischen", rein juristischen Umgang mit der Meinungsfreiheit. Als ,,Prinzip" sei sie fest etabliert: ,,Aber es gibt inzwischen vierhundert Gesetze, die sie einschränken."

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QuoteWestliche Meinungsfreiheit bei unangenehmen Themen strafbar?
Jim Truether  2  (DerHesse) - 04.02.2015 13:30
Folgen  Irgendwie seltsam. Da sind plötzlich alle Charlie und wollen sich für die westliche Meinungsfreiheit einsetzen und "Satire darf alles" und nur Stunden nach dem Bekenntnis kommt ein ungenehmer Künstler unter die Räder. Collateral Damage? oder "Manche Tiere sind gleicher."

QuoteTheo Schley  (Oeth) - 04.02.2015 16:34
Es gibt einen eindeutigen Unterschied zwischen Satire und der Verbreitung von Hass. Dieudonné hetzt gegen Juden als angebliche Weltverschwörer, Wucherer ... das hat mit Satire, die auf Wahrheit beruht und Dinge entlarvt nichts zu tun, sondern ist einfach nur gefährlich. Ich darf Sie daran erinnern, dass es in Frankreich 2013 und 14 extrem viele und sehr brutale Angriffe auf Juden, neulich in Créteil erst in ihrer Privatwohnung (!!!) gegeben hat. Das sind die Früchte des Hasses, den Dieudonné verbreitet - auf großer Bühne vor tausenden Zuschauern! Sein Text wird doch nicht zur rechtlich geschützten Satire, nur weil er auf einer Bühne aufgesagt wird.




Aus: "Meinungsfreiheit in Frankreich: Ein Grundrecht und vierhundert Gesetze" Jürg Altwegg (04.02.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/frankreich-diskussion-ueber-grundlagen-der-meinungsfreiheit-13406827.html

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Als hate crimes (deutsch: ,,Verbrechen aus Hass", ,,Hasskriminalität") werden Straftaten bezeichnet, bei denen das Opfer des Delikts vom Täter vorsätzlich nach dem Kriterium der wirklichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe gewählt wird und sich das Verbrechen dadurch gegen die gewählte Gruppe als Ganze richtet. So können beispielsweise antisemitisch, rassistisch oder ausländerfeindlich motivierte Straftaten unter den Begriff fallen, ebenso Straftaten gegen Mitglieder anderer gesellschaftlicher Gruppen wie Obdachlose, Behinderte, Schwule, Lesben und Transgender. Das Konzept stammt aus den USA und hat in verschiedenen Ländern der Welt eigenständige strafrechtliche Relevanz (z. B. in Großbritannien). In der US-amerikanischen Fachdebatte wird aufgrund der terminologischen Unklarheit das Phänomen als bias crime (vorurteilsgeleitete Straftat, Vorurteilskriminalität) bezeichnet, da gerade das Vorurteil (und nicht der Hass) leitendes Motiv der Handlungen darstellt. Allerdings hat sich der Begriff hate crime in den Medien, der Politik und Bevölkerung so durchgesetzt, dass eine Umbenennung kaum möglich erscheint. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Hate_crime

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Quote[...] Der Fotograf Stanley Forman erhielt 1977 den Pulitzer-Preis für ein Bild, das am 6. April 1976 auf der Titelseite des ,,Boston Herald American" gedruckt worden war. Es zeigt eine Szene, die sich am Tag zuvor auf dem Vorplatz des Rathauses von Boston abgespielt hatte. Ein weißer Jugendlicher mit wehendem Haar hält eine amerikanische Flagge waagerecht wie einen Speer. Die Spitze zeigt auf den Bauch eines schwarzen Anzugträgers, der im Fallen begriffen scheint. Der Schwarze versucht, einen weißen Angreifer abzuschütteln, der sich von hinten auf ihn gestürzt hat. Das Opfer war ein Rechtsanwalt, der im Rathaus an einer Beratung über Arbeitsfördermaßnahmen zugunsten von Minderheiten teilnehmen wollte. Die weißen Jugendlichen waren Schüler, die gegen ein von einem Bundesrichter verordnetes Programm für die öffentlichen Schulen von Boston protestierten.

Das Programm sah vor, dass Schüler aus Stadtvierteln mit schwarzer Bevölkerungsmehrheit mit Bussen zu Schulen gebracht werden, an denen die Weißen vorher unter sich gewesen waren. Wenn die Leute schon in getrennten Vierteln wohnten, sollten ihre Kinder wenigstens gemeinsam zur Schule gehen. Die weißen Eltern und Schüler reagierten darauf mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams. Während des Kampfes um den öffentlichen Raum kam es zu Gewalttaten beider Seiten. Am Tag nach dem Angriff auf den Rechtsanwalt brachten schwarze Jugendliche durch Steinwürfe ein Auto zum Halten, an dessen Steuer ein weißer Mann saß. Sie zerrten den Fahrer aus dem Wagen und schlugen ihm mit Pflastersteinen den Schädel ein. Als die Polizei eintraf, brüllte eine hundertköpfige Menge: ,,Lasst ihn sterben!" 1988 gab die Bundesgerichtsbarkeit die Aufsicht über das Schulwesen von Boston wieder ab. Ein Berufungsgericht stellte fest, dass die Stadt die Auflagen erfüllt hatte. Es gab keine mehrheitlich weißen Schulen mehr. Der Preis des Integrationserfolgs: die Flucht der weißen Familien in die Vorstädte.

Im August 1986 brachte der Staat Massachusetts drei weiße Jugendliche aus dem Viertel Savin Hill vor Gericht, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit Steinen nach einer Gruppe schwarzer Schüler geworfen hatten. Die Täter, zwei Fünfzehnjährige und ein Dreizehnjähriger, hatten ihren Opfern zugerufen: ,,Wir mögen keine schwarzen Nigger hier in der Gegend." Savin Hill, wegen solcher Vorfälle damals auch ,,Savage Hill" - ,,wilder Hügel" - genannt, ist ein Stadtviertel, in dem früher hauptsächlich Arbeiterfamilien irischer Herkunft wohnten. Einer der Täter wurde zwei Jahre später verurteilt, weil er gegen die von ihm und seiner Mutter unterzeichnete Verpflichtung verstoßen hatte, nie wieder eine Person wegen ihrer ,,Rasse, Hautfarbe oder nationalen Herkunft" zu ,,verletzen, zu bedrohen, einzuschüchtern oder zu belästigen".

Mark Wahlberg, heute ein gefeierter Filmstar, überfiel als Sechzehnjähriger am Abend des 8. April 1988 einen Einwanderer aus Vietnam auf der Straße. Er beschimpfte den Mann, der vom Einkaufen nach Hause kam, als ,,vietnamesischen Scheißdreck" und schlug ihm mit einem Holzknüppel über den Kopf. Der Knüppel brach entzwei. Auf der Flucht vor der Polizei stürzte Wahlberg sich auf einen zweiten Vietnamesen. Er schlug ihm mit der Faust aufs linke Auge und verhöhnte seine Opfer nach der Festnahme als ,,Schlitzaugen". Wahlberg wurde nach Erwachsenenstrafrecht wegen Mordversuchs angeklagt. Er bekannte sich der Körperverletzung schuldig und wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er 45 Tage verbüßte.

Heute ist Mark Wahlberg ein Filmstar. Bekannt wurde er zunächst als Rap-Sänger, dann als Unterwäsche-Modell. Den Durchbruch als Schauspieler brachte 1997 der Film ,,Boogie Nights", Paul Thomas Andersons Melodrama über die Pornobranche. Zuletzt spielte er die Hauptrolle im vierten Teil der Science-Fiction-Saga ,,Transformers". 26 Jahre nach seiner Verurteilung hat Wahlberg am 26. November 2014 ein Gnadengesuch an den Gouverneur von Massachusetts gerichtet. Er will nach all den Jahren wieder als unbescholtener Bürger gelten.

Nun hat Judith Beals, die Staatsanwältin, die 1986 den fünfzehnjährigen Steinewerfer anklagte, gegen Gnade für Wahlberg plädiert. In einem Gastkommentar der Tageszeitung ,,The Boston Globe" verweist sie auf die besondere Natur der Taten, für die Wahlberg gebüßt hat: Es handelt sich um ,,hate crimes". Während der Gerichtsverhandlungen 1986 und 1988 ist dieser Ausdruck vermutlich noch nicht gefallen. Er zog erst just zu dieser Zeit in die politische Sprache der Vereinigten Staaten ein. Die Wortfindung war der wirkungsvollste Kunstgriff einer langfristigen, überaus erfolgreichen Kampagne von Bürgerrechtsorganisationen. Sie hat in den allermeisten Bundesstaaten wie im Bund gesetzgeberische Aktivitäten und eine dauerhafte kriminalpolitische Wachsamkeit ausgelöst. Federführend war die jüdische Anti-Defamation League.

Der Begriff des ,,Hassverbrechens" erklärt sich nicht von selbst. Er bezeichnet nicht etwa einen Typus von Handlungen, die früher nicht unter Strafe gestanden hätten. Insbesondere lässt es die Verfassung der Vereinigten Staaten nicht zu, böse Worte, das gängigste Erzeugnis des Hasses, als Verbrechen zu klassifizieren. Es ist undenkbar, dass der amerikanische Präsident, wie es die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer jüngsten Regierungserklärung tat, ,,Hasspredigern" den gesetzlichen Krieg erklärt. Nach dem robusten, tendenziell absoluten amerikanischen Verständnis von Redefreiheit sind auch hasserfüllte Schmähungen ganzer Völker, Religionen und Rassen so lange geschützt, wie sie nicht als unmittelbarer Auslöser von Gewalttaten dienen. Und selbst solche ,,fighting words", Worte, die eigentlich Waffen sind, darf der Staat gemäß einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1992 nur dann verbieten, wenn er alle Aufwiegler gleichzeitig entwaffnet und keine Opfergruppe bevorzugt.

Wer wegen eines Hassverbrechens verurteilt werden soll, darf demnach nicht allein wegen seiner schlechten Meinung über Schwarze oder Weiße, Homo- oder Heterosexuelle bestraft werden. Der Mustergesetzentwurf der Anti-Defamation League erfasst deshalb nur Taten, die ohnehin verboten sind: Sie sollen härter bestraft werden, wenn sie aus Hass begangen wurden. Gerade diese Selbstbeschränkung des Konzepts der ,,hate crimes" bietet freilich der rechtsstaatlichen Kritik einen Ansatzpunkt. Die Erweiterung der Deliktstypen erlaubt nicht etwa den Zugriff auf Täter, die sonst davongekommen wären. Das Tatmotiv des Hasses ist ein weiterer Strafverschärfungsgrund, das heißt in der Praxis des Strafprozesses: ein weiteres Druckmittel für den Staatsanwalt, der es darauf anlegt, ein Schuldeingeständnis zu erzwingen.

Einstimmig hat der Oberste Gerichtshof 1993 entschieden, dass nach der Verfassung nichts dagegen spricht, einen Täter härter zu bestrafen, der sich vom Hass auf die Gruppe hat leiten lassen, der er sein Opfer zuordnete. Im zugrundeliegenden Fall ging es um den Hass von Schwarzen auf Weiße. Nach einem Besuch des Films ,,Mississippi Burning" hatte ein Mann seine Freunde aufgefordert, sich für ihren Zorn ein weißes Opfer zu suchen. Wie der konservative Gerichtsvorsitzende William Rehnquist darlegte, ist die Berücksichtigung von Motiven bei der Strafzumessung normal. So sei die Habgier eines Mörders in vielen Bundesstaaten ein Argument für die Todesstrafe. Mit einem Zitat von William Blackstone, dem Autor des klassischen Lehrbuchs des englischen Rechts aus dem achtzehnten Jahrhundert, verwies Rehnquist auf den Strafzweck der Abschreckung: ,,Es ist nur vernünftig, dass unter Verbrechen unterschiedlicher Art diejenigen am strengsten bestraft werden, die der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt den größten Schaden zufügen."

Wird ein Vietnamese zusammengeschlagen, nur weil er ein Vietnamese ist, müssen sich alle bedroht fühlen, die ebenso gut Opfer hätten werden können. Die Streuung der Folgen begründet für Rehnquist die zusätzliche Strafwürdigkeit: Solche Taten stifteten Unruhe und provozierten Vergeltungsmaßnahmen. Die Auseinandersetzungen um die Busverschickung der Schulkinder in Boston liefern Belege für diese Analyse, insbesondere für die Spirale der Nachahmungstaten. Den Gesetzen gegen Verbrechen aus Voreingenommenheit, ,,bias crimes", die Jahrzehnte später in ,,hate crimes" umbenannt wurden, liegt die historische Erfahrung mit der Fortwirkung der Sklaverei zugrunde. Scheinbar willkürliche Gewaltakte gegen Einzelpersonen sind geeignet, eine ganze Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern und im Status der Ohnmacht zu halten.

Der Zweck der Gesetze war ein politischer: Das einschlägige Bundesgesetz von 1969 verlangte den Nachweis, dass die Täter die Opfer am Gebrauch verbriefter Rechte der Bundesbürger hindern wollten. Wichtigstes Beispiel: das Wahlrecht. Dieselbe gesetzgeberische Absicht erklärt, dass die Maßregelung der steinewerfenden Halbwüchsigen 1986 ein Fall für das Justizministerium von Massachusetts war: Es ging um das Recht auf Schulbesuch. 2009 unterzeichnete Präsident Obama ein nationales Gesetz gegen Hassverbrechen, das 2007 gescheitert war, weil Obamas Vorgänger Bush mit seinem Veto drohte. Das Gesetz nahm eine dramatische Universalisierung des Tatbestands vor: Es erweiterte nicht nur die Liste der vor Hass zu schützenden Gruppen um die Homosexuellen, sondern strich gleichzeitig die Beschränkung der Strafverfolgung auf Fälle des versuchten Entzugs von Bürgerrechten.

Die spektakulärste Probe auf das neue Gesetz ist die Anklage einer Gruppe von Amischen, die auf Anweisung ihres Bischofs abtrünnigen Gemeindemitgliedern Bärte und Haare abgeschnitten hatten. Da die Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft die Teilnahme am politischen Leben der Vereinigten Staaten ablehnen, wäre diese Anklage unter dem alten Gesetz nicht möglich gewesen. Es hätte dann nur die einfache Körperverletzung verfolgt werden können, kein Hassverbrechen. Ein Berufungsgericht hat im August vergangenen Jahres die Verurteilungen aufgehoben, weil es Zweifel daran hat, ob Hass auf Andersgläubige wirklich der Beweggrund der Taten war. Dabei machen sich die Richter nicht das in der öffentlichen Diskussion geäußerte Bedenken zu eigen, dass es hier um einen Streit innerhalb einer Religionsgemeinschaft geht. Ein solcher Fall kann wohl vom Gesetz mit gemeint sein, schließlich begann auch das Christentum als Abspaltung vom Judentum. Die Richter breiten vielmehr die vielfältigen alternativen Tatmotive aus, die sich aus den Familienverhältnissen der betroffenen Amisch-Sekte ergeben. Bei einem Hassverbrechen im Sinne des Gesetzes hätte der Hass, hier: die Verachtung für die Gruppe der Abtrünnigen, den Ausschlag geben müssen.

Judith Beals hält den dreiundvierzigjährigen Mark Wahlberg, der in seinem Gesuch sein vielseitiges karitatives Engagement belegt und nach dem Zeugnis seines Beichtvaters täglich die Messe besucht, schon deshalb für unwürdig, begnadigt zu werden, weil er den rassistischen Charakter seiner Taten leugne. Tatsächlich stellt er die Taten des 8. April 1988 so dar, dass man eine durch Alkohol- und Drogenkonsum herbeigeführte Hemmungslosigkeit für den wesentlichen Faktor halten soll. Den ersten Vietnamesen will er überfallen haben, um ihm zwei Bierkästen zu rauben. Auf der Flucht mag er sich auf das nächstbeste zweite Opfer geworfen haben, das zufällig (freilich im Lichte der demographischen Veränderung der Nachbarschaft nicht zufällig) wieder ein Vietnamese war. Die Annahme gemischter Motive für den Gewaltexzess passt zur Argumentation des Berufungsgerichts im Fall der Amischen.

Durch Gesetz ist die amerikanische Regierung verpflichtet, eine nationale Statistik der Hassverbrechen zu führen. Im Dezember 2014 hat die Bundespolizei FBI die Zahlen für 2013 veröffentlicht. Knapp die Hälfte der gemeldeten Vorfälle war demnach rassisch motiviert, etwa ein Fünftel betraf die sexuelle Orientierung, der Anteil von Fällen religiöser Diskriminierung lag bei gut 17 Prozent. Rassenhass richtete sich in zwei Dritteln der Fälle gegen Schwarze, der Hass auf Andersgläubige war in drei von fünf Fällen antisemitisch. Eigentumsdelikte machen ein Viertel der Fälle aus, Körperverletzungen ein Drittel. Von 14.196 Morden wurden fünf als Hassverbrechen eingestuft. Insgesamt wurden 7242 Opfer gezählt, das sind 91 mehr als 2012. Allerdings haben im vergangenen Jahr mehr Polizeibehörden als zuvor ihre Daten nach Washington übermittelt. Mittelfristig ist der Trend stark rückläufig. Den Höchststand markiert das Jahr 2001 mit 12.020 Opfern, von den Bush- zu den Obama-Jahren gab es noch einmal einen deutlichen Rückgang von durchschnittlich 9500 Opfern von Hassverbrechen auf weniger als 8000. In den Pressemitteilungen der gegen den Hass verschworenen Bürgerrechtsorganisationen werden diese guten Nachrichten nicht herausgestellt.

Stanley Forman gab seinem preisgekrönten Schnappschuss den pathetischen Titel: ,,The Soiling of Old Glory". Die Besudelung der Nationalflagge, des ruhmreichen Banners jener Republik, deren zweihundertster Geburtstag im Jahr der Aufnahme gefeiert wurde: das ist ein allegorisches Sujet wie aus der Historienmalerei des neunzehnten Jahrhunderts. So lässt die Haltung der Figuren, insbesondere der zackige, weit ins Horizontale vordringende Schritt des Flaggenwerfers an Gemälde wie ,,Washington überquert den Delaware" von Emanuel Leutze denken. Forman hat den Typus der Tat erfasst, die Gesetze gegen Hassverbrechen ursprünglich ahnden wollten: Eine Eruption der Brutalität überwältigt den andersfarbigen Mitbürger, der friedlich seinen Geschäften nachgeht. Diese Imitation von revolutionären Gewaltakten wie der Boston Tea Party ist für jeden wahren Patrioten eine Schändung der Nationalsymbole.

Nicht alles war tatsächlich so, wie es auf Formans Foto erscheint. Der junge Mann mit der Flagge ist wohl nicht auf den Rechtsanwalt zugestürzt. Das ändert nichts daran, dass Forman den historischen Moment, die Motivlage der angreifenden Partei, richtig getroffen hat. Doch was hat man von der vielfach vermittelten Kopie dieser in Aggression umschlagenden Schülerprotestaktion vor dem Rathaus zu halten, die man darin erkennen mag, dass zehn Jahre später verwahrloste junge weiße Herumtreiber mit Steinen und Sprüchen nach schwarzen Schülern werfen? Die heutige Gesetzgebung basiert auf dem Gedanken, dass Hassverbrechen etwas Alltägliches sind und überall vorkommen können. Je alltäglicher eine Handlung, desto gemischter die Motive. Das können die Verfechter der Gesetze allerdings nicht zugeben. Den Taten, die ins Raster gepresst werden, geht der Charakter des Fanals häufig ab. Von allen anderen Gewalttaten gegen Personen und Sachen soll sich das Hassverbrechen durch die Reinheit der ideologischen Motivation unterscheiden.

Diesen Sonderstatus möchte die pensionierte Staatsanwältin Judith Beals auch im Begnadigungsverfahren erhalten sehen. Der überführte Rassist soll sein Leben lang gebrandmarkt bleiben. Im Namen der Bekämpfung des Hasses wird der Strafzweck der Resozialisierung gestrichen. Für Judith Beals wirft Mark Wahlbergs Gesuch eine kriminalpolitische Frage auf: ,,Welche Typen von Verbrechen wollen wir kollektiv vergessen und aus den Akten streichen?" Zur Erklärung sei hinzugefügt, dass Wahlberg nur im formalen Sinne eine Bereinigung seines Vorstrafenregisters begehrt. Durch das Gnadengesuch hat er erst recht Aufmerksamkeit auf seine Taten gelenkt. Er möchte jungen Straftätern zeigen, wie sie auf den richtigen Weg zurückfinden, aber für eine solche ehrenamtliche Rolle im Strafvollzug ist Voraussetzung, dass der Helfer nicht als Verbrecher geführt wird.

Judith Beals schreibt: ,,Die Geschichte sagt uns wieder und wieder, dass bei Hassverbrechen das Vergessen nicht der richtige Weg ist." In dieser Lektion kommt der Glaube der Amerikaner zum Ausdruck, eine andere Bestimmung zu haben als der Rest der Welt. Die Geschichte der anderen Weltregionen sagt uns, dass in Ländern, wo sogar die Kinder in den Bürgerkrieg geschickt wurden, der Frieden den Willen voraussetzt, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu unterscheiden. Am Ende ihres Artikels spricht Judith Beals offen aus, ,,freimütig", wie sie selber sagt, dass Verbrecher aus Hass nie Gnade finden sollen. Die Begnadigung von Mark Wahlberg wäre das falsche Signal in einer Zeit, ,,in der die ungesühnten Tötungen schwarzer Männer durch unverantwortliche weiße Männer für anhaltende Spannungen sorgen". Wahlbergs Strafe darf nicht getilgt werden, weil andere Täter der Bestrafung entgangen sind: Der Hasser hat ein für allemal den Anspruch verwirkt, als Person behandelt zu werden.


Aus: "Hass verdient keine Gnade " Patrick Bahners, New York (15.02.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/mark-wahlberg-befeuert-diskussion-um-hate-crimes-13416024.html

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#195
Quote[...]  "Heute bin ich Samba" ist die neue Komödie der "Ziemlich beste Freunde"-Macher und spielt dort, wo Frankreichs großes Problem liegt: unter Migranten. Ein Interview mit Regisseur Eric Toledano.  ...

Die Welt: Wenn man Ihren Film richtig versteht, braucht Frankreichs Wirtschaft das illegale Arbeitsbataillon dringend, schert sich aber andererseits einen Dreck darum, unter welchen Bedingungen diese Menschen leben.

Toledano: Ja, wir brauchen diese Fremdarbeiter, aber wir wollen sie nicht sehen. Das ist schizophren. Für diese 300.000 oder 400.000 – genaue Zahlen gibt es nicht – gelten keine Regeln, keine Rechte. Für einen Job, wie ihn Samba macht – zwölf Stunden in einer Restaurantküche –, werden Sie keinen Franzosen finden. Zu unserer Entschuldigung sagen wir uns: "Diese Menschen sind keine Franzosen, sie sind nicht wirklich wie wir." Das ist Rassismus. Für Olivier und mich kann ich sagen: Wir sind nicht mehr dieselben, seit wir diesen Film gemacht haben. Das Problem hat uns sehr berührt, aber ich weiß nicht, was wir tun könnten. Das ist Aufgabe der Politik. Wir können nur Fragen aufwerfen und Empathie wecken.

Die Welt: Was würden Sie sagen: Gibt es eine Verbindung zwischen Ihrem Film und dem Attentat auf "Charlie Hebdo" vom 7. Januar?

Toledano: Ich weiß, was Sie meinen. Jeder zieht eine Verbindung zwischen Immigration und Islamismus, aber der eigentliche Unterschied liegt zwischen dem Laizismus auf der einen Seite und dem Obskurantismus und Fundamentalismus auf der anderen. Die Trennungslinie verläuft zwischen Leuten, die eine offene Gesellschaft wollen, in der sich jeder ausdrücken kann, wie er will, und denen, die ihre Kultur importieren und uns zwingen wollen, das zu glauben, woran sie glauben. Aber die Trennungslinie ist nicht ganz klar. Den Verrückten, die da geschossen haben, war es egal, wen sie umgebracht haben. Der Polizist war Muslim. Die Polizistin war schwarz. Da haben Schwarze eine Schwarze erschossen! Der größte Schock für die Franzosen war, dass die Terroristen Franzosen waren. Dass sie akzentfreies Französisch sprachen.

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Aus: ""Houellebecq gilt uns als Prophet"" Barbara Möller (02/2015)
Quelle: http://www.welt.de/kultur/kino/article137791086/Houellebecq-gilt-uns-als-Prophet.html

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Quote[...] In einem bemerkenswert klar formulierten Manifest haben vier renommierte muslimische Intellektuelle an alle politischen und religiösen Autoritäten in den islamisch geprägten Ländern und in Europa appelliert, sich unmissverständlich für einen demokratischen Islam einzusetzen. Zu dieser Eindeutigkeit gehört auch, dass sie konkrete Schritte vorschlagen: Eine Konferenz in Frankreich Anfang 2016, bei der muslimische Persönlichkeiten "die Umrisse eines fortschrittlichen Islam skizzieren", der "fest im 21. Jahrhundert verankert" sein soll.

Die vier Männer hinter dem Manifest sind Tariq Ramadan, Professor für Zeitgenössische Islamwissenschaft an der Universität Oxford, Malaysias Oppositionsführer Anwar Ibrahim, der auch dem Weltforum muslimischer Demokraten (World Forum for Muslim Democrats) vorsteht, sowie Ghaleb Bencheikh, Vorsitzender der Weltkonferenz der Religionen für Frieden (World Conference for Religions for Peace), und Felix Marquardt, Gründer der Abd al-Raḥman al-Kawakibi-Stiftung. Sie gehen mit ihren Glaubensbrüdern hart ins Gericht und stellen unbequeme Fragen. Sie fordern, die gegenwärtige Misere des Islam als Religion vorbehaltlos zu diagnostizieren und daraus eine fundamentale Kritik der islamischen Kultur und Religion zu entwickeln.

Die Verfasser fragen beispielsweise zu Recht: Warum sind alle Rufe nach einer Erneuerung des islamischen Kulturerbes unbeantwortet geblieben? Warum konnten die traditionskritischen, vernunftbasierten Reformbewegungen, die es schon im 19. Jahrhundert in der islamischen Welt gegeben hatte, keinen nachhaltigen islamischen Weg in die Moderne weisen? Und warum stehen innovative Reformdenker, die eine Verbindung zwischen Errungenschaften der Moderne und islamischen Normen und Werten suchen, häufig am Rande ihrer Gesellschaften oder gar auf verlorenem Posten?

Angesichts der aktuellen Gewaltwellen im Namen des Islams wird es von zentraler Bedeutung sein, dass moderate Muslime die Deutungshoheit über die Inhalte ihres Glaubens schnellstmöglich zurückgewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es unabdingbar, sich die Gretchenfrage zu stellen: Wer kann und darf definieren, was als "islamisch" verbindlich gilt? Schließlich kennt der Islam keine hierarchischen Strukturen und vor allem keine oberste Lehrinstanz wie die katholische Kirche.

Das Fehlen solch einer zentralen Lehrinstanz mag auf viele Intellektuelle im Westen und anderswo basisdemokratisch und daher faszinierend wirken. Doch es ist hochproblematisch, weil es Laientheologen und bornierten Hasspredigern aller Couleur erlaubt, terroristische und barbarische Akte als "islamisch legitimiert" zu erklären - und dadurch tatsächlich elementare islamische Normen ad absurdum zu führen.

Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen islamischen Ländern kulturell engstirnige Phänomene wie der herrschende Wahhabismus im heutigen Saudi-Arabien als religiöses Dogma missverstanden werden, obwohl sie mit der Religion des Islam wenig zu tun haben.

Vier Jahre nach dem Arabischen Frühling sind die Hoffnungen auf eine Demokratisierungswelle im arabischen Raum weitgehend enttäuscht worden. Auch ein innerislamischer Dialog oder eine Reformdebatte über Wege und Konzepte zur Lösung akuter Probleme finden so gut wie nirgendwo statt. Faktisch existiert die "Islamische Welt" als politische Formation nicht. Sie hat auch nie als einheitliches Gebilde existiert. Sie ist zersplittert und die Mehrheit der islamischen Staaten ist mit internen Legitimationskonflikten und zahlreichen Stellvertreterkriegen beschäftigt - und nicht mit Reformdiskursen.

Aber gerade weil keine substanziellen Reformimpulse aus der islamischen Welt zu erwarten sind, könnte der Aufruf an alle "muslimischen Demokraten" eine zivilisatorische, ja epochemachende Bedeutung entfalten. Ja, alle muslimischen Autoritäten, reformorientierten Theologen und Entscheidungsträger sollten der Einladung zu einer gemeinsamen Konferenz folgen!

Dies ist eine vielleicht historische Möglichkeit, dass muslimische Demokraten aus aller Welt eine neuartige, innovative Formel für einen islamischen Weg in die Moderne entwickeln. Wir brauchen dringend eine islamisch tragfähige Konsensformel, die den komplexen Realitäten pluralistischer, multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften Rechnung trägt - auch der der Einwanderungsgesellschaften. Europa sollte das aus eigenem Interesse stark fördern. Nicht nur als Gegenentwurf zum Dschihadismus, sondern auch, weil Europa sich als eine demokratische Wertegemeinschaft versteht.

Loay Mudhoon


Aus: "Manifest muslimischer Intellektueller: Für Islam und Demokratie" Loay Mudhoon (23.02.2015)
Quelle: http://de.qantara.de/inhalt/manifest-muslimischer-intellektueller-fuer-islam-und-demokratie

"Muslimische Demokraten der Welt, vereint Euch!" (09.02.15)
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article137284910/Muslimische-Demokraten-der-Welt-vereint-Euch.html



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Quote[...] Deschners Arbeit hat einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung hin zu unserer weitgehend toleranten, liberalen und aufgeklärten Gesellschaft geleistet. Denn der Germanist und Privatgelehrte hat den größten Teil seines Lebens einem fast einsamen Kampf gegen einen mächtigen Gegner gewidmet. Ein Gegner, der diese Entwicklung zu bremsen versucht hat, wo es geht. Ein Gegner, der darüber hinaus den Anspruch hat, die wichtigste moralische Instanz der Welt zu sein.

Gemeint sind die Kirchen - die katholische Kirche genauso wie die evangelische und alle anderen christlichen Kirchen überhaupt. Und was Deschner getan hat, war, genau diesen moralischen Anspruch nicht nur in Frage zu stellen, sondern weitgehend ad absurdum zu führen. Die Kritik, die die Kirche durch Deschner erfahren hat, hat seit den frühen sechziger Jahren die moralische Autorität, mit der Päpste, Kardinäle, Bischöfe und Priester auftreten konnten, untergraben - und zwar schlimmer, als es jeder Missbrauchsskandal konnte. Denn die Verbrechen von Priestern gegen Kinder konnte die Kirche immer auf die Schwäche einzelner Vertreter ihres Glaubens schieben. Deschner aber legte die Axt an die Wurzeln der Kirche.

Anders als die meisten Autoren, die in Deutschland nach dem Krieg Bücher über die Kirche veröffentlichten, konzentrierte sich der Ex-Katholik Deschner auf Fragen wie die, wer das "Buch der Bücher" eigentlich tatsächlich verfasst und wer bei wem abgeschrieben hat. Wer in der jungen, ursprünglich jüdischen Sekte welche Rolle gespielt und die Weichen gestellt hat - und warum. Welche Aspekte der christlichen Religion aus anderen Glaubensvorstellungen der Antike übernommen wurden.

Und er ging der Frage nach, wie es den Kirchenvätern und -führern gelungen war, über die Jahrhunderte den Eindruck eines über alle Zweifel erhabenen, einheitlichen Gebildes zu vermitteln - trotz aller Konflikte zwischen den Strömungen innerhalb der Kirche, trotz aller Widersprüche im Glauben und bei der Interpretation der Heiligen Schriften bei den Gläubigen und trotz der Spaltungen und Abspaltungen von Konfessionen. Und so stellte er den Anspruch der Kirche infrage, ihre Legitimation und Lehren direkt auf einen Gott zurückzuführen.

Mit diesem Ziel tat Deschner nicht mehr und nicht weniger, als mit ungeheurem Fleiß Informationen über die Entstehung der Bibel und die Geschichte der Christenheit zu sammeln und in populärwissenschaftlichen Büchern lesbar zusammenzufassen - Informationen, die von etlichen Theologen und Historikern aus den vergangenen Jahrhunderten stammen.

1962 veröffentlichte Deschner sein erstes kirchenkritisches Werk "Und abermals krähte der Hahn". "25.000 Arbeitsstunden in fünf Jahren" hatte er seinem späteren Lektor bei Rowohlt, Hermann Gieselbusch, zufolge für das 700-Seiten-Buch investiert. Der Verlag Paul List, bei dem Deschner unter Vertrag stand, kündigte denselben aus Angst um den Absatz seiner Schulbücher in Bayern. Das Buch erschien dann in einem anderen Verlag, gefolgt von weiteren kritischen Werken.

Die Kirchen und die meisten großen Medien wie die Zeit oder die Süddeutsche Zeitung ignorierten das Werk anfänglich. Andere wie Welt und Spiegel brachten Verrisse. Besonders häufig wurde Deschner einseitiges und unwissenschaftliches Arbeiten vorgeworfen. So hieß es 1963 im Spiegel, Deschner hätte "auch obskure Quellen zitiert, solange sie nur ausreichend antiklerikal klingen".

1971 musste Deschner wegen Kirchenbeschimpfung in Nürnberg vor Gericht - es kam zum Vergleich, das Verfahren wurde eingestellt. Deschner wurde nicht verurteilt - und auch nicht demotiviert. Vielmehr beschloss er, ein Buch allein über die Verbrechen, die von Kirchenvertretern oder im Namen der Kirche verübt wurden, zu schreiben.

"Ich möchte das Werk zu einer der größten Anklagen machen, die je ein Mensch gegen die Geschichte des Menschen erhoben hat", beschrieb er im Exposé für Rowohlt seinen Anspruch. Es wurden anstelle des einen, eher kurzen Buches, das ursprünglich geplant war, insgesamt fast 5900 Seiten und etwa 100.000 Quellenangaben, verteilt auf zehn Bände, von denen der erste 1986 veröffentlicht wurde: Die "Kriminalgeschichte des Christentums".

Im Frühjahr 2013 ist der zehnte Band erschienen, er gilt offiziell als Abschluss des "längsten Krimis der Welt", wie Hermann Gieselbusch es formulierte. Und schon lange sind Deschners Kritiker nur noch leise zu hören. Denn seine Quellen - auch wenn es sich häufig "nur" um Sekundärquellen handelt und manches durchaus auch angezweifelt werden darf, sind zum großen Teil doch zu solide, die Belege zu zahlreich und meist zu gut, um ihn nicht ernst nehmen zu müssen.

Auch etliche Theologen und Historiker waren und sind beeindruckt von Deschners Akribie. Und warum eigentlich, fragte unlängst der katholische Theologe Bernhard Lang in der FAZ, gilt es in akademischen Kreisen als unfein, Deschners Namen zu nennen? Deschner wende sich schließlich nicht "an Historiker, sondern an Leser, denen die Geschichte des Christentums als eine von Unrat freie Heilsgeschichte vermittelt worden ist".

Selbst wenn also der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit nicht ganz unberechtigt sein mag: Deschner richtete ein Flutlicht in die finstersten Abgründe der Geschichte der Christenheit - in jene Abgründe, um die die Gläubigen und Religionsführer lieber einen großen Bogen schlagen.

Genau deshalb geht auch der Vorwurf der Einseitigkeit ins Leere. Deschner hat Verbrechen und Lügen, die im Namen der christlichen Religion verübt wurden, zusammengetragen, über die sonst weitgehend geschwiegen wurde. "Wer andere Seiten sehen will, lese andere Bücher", prochristliche Literatur gebe es wie Sand am Meer, schrieb Deschner selbst bereits in der Einleitung zur "Kriminalgeschichte".

Und so sammelt er, was es zu finden gab, nicht nur über Bekanntes wie die Aufrufe zu den Kreuzzügen, die Inquisition und Hexenverbrennungen oder die Rolle der Kirche beim Massenmord an den indigenen Völkern Süd- und Mittelamerikas. Man erfährt auch vieles, was der Allgemeinheit zuvor kaum bekannt oder bewusst war. Deschner erinnerte an die Ermordung angeblicher Ketzer, an die Pogrome an den Juden in Europa und an die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen zwei oder sogar drei (Gegen-)Päpsten im 14. und 15. Jahrhundert.

Er erinnerte an die Angriffe der christlichen Deutschordensritter auf die eigentlich schon christianisierten Slawen in Mittel- und Osteuropa und an die Weigerung des Vatikans, den Westfälischen Frieden anzuerkennen, der den Dreißigjährigen Krieg beendete. An die blutige Verfolgungen derjenigen ohne den rechten Glauben, die etwa unter Prinz Eugen von Savoyen - dem "Bewahrer der Christenheit" - stattfanden. Oder an die Seite Martin Luthers, an die Protestanten nicht so gern denken: Seine Aufrufe zum Niederbrennen von jüdischen Synagogen und zum Kampf gegen die aufständischen Bauern.

Doch mit dem zehnten Band der Reihe konnte Deschner die Kriminalgeschichte nicht wirklich abschließen. Das Buch handelt vom 18. Jahrhundert und liefert einen "Ausblick auf die Folgezeit". Mehr Bücher zur Kirche wird es von Deschner nicht geben. Der 89-Jährige kann sich die weitere anstrengende Arbeit nicht mehr zumuten, genau wie sein zeitweilig größter Gegner, Kardinal Josef Ratzinger, der als Papst Benedikt XVI. zurückgetreten ist. Es gibt also eine große Lücke zwischen dem zehnten Band der "Kriminalgeschichte" und der Gegenwart.

Aber: Diese Lücke lässt sich mit einem Buch schließen, das ebenfalls von Deschner stammt: "Die Politik der Päpste".

Ursprünglich war das Werk bereits 1982/83 in zwei Bänden erschienen als: "Ein Jahrhundert Heilsgeschichte. Die Politik der Päpste im Zeitalter der Weltkriege".

Nun steht es in einer aktualisierten Fassung zur Verfügung. Es ist gewissermaßen der inoffizielle elfte Band der "Kriminalgeschichte des Christentums". Hier stellt Deschner ausführlich die Versuche der Päpste Pius XI. und Pius XII. dar, so mit dem Faschismus in Europa umzugehen, dass die katholische Kirche möglichst wenig Schäden davontrug.

So wurden die Diktatoren Hitler, Mussolini und Franco lange Zeit wo nicht gar hofiert, so doch immer wieder mit Wohlwollen bedacht und kaum kritisiert. Immerhin wurde der Faschismus vom Vatikan als Bollwerk gegen den atheistischen Kommunismus betrachtet und von vielen Kirchenvertretern ganz klar begrüßt - obwohl in Deutschland schließlich etliche Priester Opfer der Nazis wurden.

Bis zu Johannes Paul II. hat Deschner seine Kritik noch zusammengetragen. Dann aber war Schluss. Zum neuen Papst Franziskus immerhin konnte er noch einen Kommentar abgeben: "Gewiss wird jeder Papst seine Rolle etwas anders spielen, aber jeder Papst spielt dieselbe Rolle - und einstweilen spielt die Welt auch noch mit."

Beachtenswert ist das Buch nicht nur, weil es Deschners Lebenswerk abschließt. Da Deschner nicht mehr in der Lage war, selbst noch die Politik der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. abschließend darzustellen, hat er Michael Schmidt-Salomon gebeten, dies zu tun. ...

[...] Bei aller Kritik, die sich an Deschner üben lässt: Seine Bücher sind für alle, die sich für die Kirche interessieren, für Gläubige genauso wie für Atheisten, ein wichtiges Hilfsmittel, um sich ein Bild zu machen. Man muss Deschner und Schmidt-Salomon nicht in allem folgen, man kann ihnen sogar einmal mehr Einseitigkeit vorwerfen. Aber wo die Fakten für sich sprechen, sollten sie zur Kenntnis genommen werden.

Karlheinz Deschner: Die Politik der Päpste - Vom Niedergang kurialer Macht im 19. Jahrhundert bis zu ihrem Wiedererstarken im Zeitalter der Weltkriege. Alibri Verlag. Mit einem Nachwort von Michael Schmidt-Salomon. 1231 Seiten. Gebunden, ISBN 978-3-86569-116-3. 59 Euro

Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums. Band 10. Rowohlt. 320 Seiten. Hardcover. ISBN 978-3-498-01331-8. 22, 95 Euro


Aus: "Flutlicht in die Abgründe der Kirchengeschichte" Markus C. Schulte von Drach (12. November 2013)
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wissen/das-lebenswerk-des-karlheinz-deschner-flutlicht-in-die-abgruende-der-kirchengeschichte-1.1810809

https://de.wikipedia.org/wiki/Kriminalgeschichte_des_Christentums




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Quote[...] Aber hat nicht jeder Mensch ein Recht auf die Pflege, Erhaltung seiner Identität?

Natürlich kann man ganz allgemein davon sprechen, dass Menschen sich als Individuen über ihre Kompetenzen, Eigenheiten und Gewohnheiten, ihre Werte, Interessen und Überzeugungen definieren. Wenn man nicht meint, diese Identität wäre eine exklusive Eigenschaft, die einem qua Zugehörigkeit zu einem Staatsgebiet zukomme und einen unauslöschlich von Anderen, sogenannten ,,Fremden" unterscheide, ist erst mal nichts dagegen einzuwenden. Aber: Identität entsteht im Sozialisationsprozess innerhalb einer sozialen Umgebung, in die man zufällig hineingeboren wird und deren Charakteristika man dadurch erwirbt. In modernen Zeiten könnte man wissen, dass Identitäten damit einen fließenden, wandelbaren, da im Prinzip zufälligen und zugleich erworbenen Charakter aufweisen: Man kann aus einer katholischen Familie stammen und nach Prüfung der Argumente für den Glauben dennoch Agnostiker werden; man kann als Abkömmling einer reichen Industriellen-Familie wie Wittgenstein ein spartanisch lebender, an jedem materiellen Reichtum desinteressierter Philosoph werden – oder auch Sozialist: Nicht wenige der sogenannten ,,68er" kamen aus ,,gutem Hause", wie man so schön sagt.
Identitäten werden in modernen, aufgeklärten Gesellschaften als wandelbare Merkmale erkennbar, hängen von Erfahrungen ab und sind durch Argumente überprüfbar. Zudem existieren immer mehrere, manchmal auch widersprüchliche Identitäten nebeneinander: Der als ,,Muslim" einsortierte Mitbürger ist vielleicht auch Mitglied eines Fußballvereins, Familienvater, SPD-Mitglied oder was auch immer. Wie er seine Religion interpretiert und lebt, hängt auch von seinen anderen Identitäten, seinen politischen Ansichten, seiner beruflichen Situation, dem Grad seiner sozialen Integration in die sogenannte ,,Mehrheitsgesellschaft" und vielem mehr ab. Den Muslim schlechthin gibt es nicht, sowenig wie den Deutschen: Moderne republikanische Staaten sind das Resultat von Staatsgründungsprozessen, die sich nie einfach nach angeblich natürlichen Gruppenzugehörigkeiten gerichtet haben. Seit ewigen Zeiten ziehen gerade in Europa die Menschen hierhin und dorthin, so dass z.B. in Spanien Keltiberer, Phönizier, Griechen, Römer, aber auch Vandalen und Goten das Land geprägt haben – von fast 800 Jahren maurisch-muslimischen Einflusses ganz zu schweigen. Welche völkische Identität soll man denn da hochhalten?! Das ist sachlich einfach lächerlich.
Wenn man das weiß, blickt man auf die eigene wie fremde Identität nicht mehr mit der abgrenzenden Absolutheit, die religiösen und nationalistischen Fanatikern eigen ist. Da kommt ein rationalerer, gesprächsbereiter, weltoffener Standpunkt heraus, der das ,,Eigene" wie ,,Fremde" zu diskutieren und vor der Folie seiner Überzeugungen und Argumente zu beurteilen, abzuwägen vermag. Gerade die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen nationalen Kollektiven ist eine von der politischen Herrschaft, den Staaten selbst vorgenommene Etikettierung, die man sich nicht ausgesucht hat und die noch wenig über die wirklichen Gemeinsamkeiten mit anderen aussagt, die ebenfalls zufällig dort geboren sind. Nichts an der emphatisch hochgehaltenen religiösen, kulturellen oder sozialen Identität ist einfach gott- oder naturgegeben. Darum geht es.


Aus: "Rainer Schreiber gibt Antworten zu Pegida & Co." Publiziert am 23. Februar 2015 von alibri   
Quelle: http://www.alibri-blog.de/?p=787


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Quote[...]  Die jüngsten Meldungen aus Irans Kulturszene sind denkbar widersprüchlich. So ruft das Teheraner Kulturinstitut Sarcheshmeh gemeinsam mit dem dortigen ,,Haus der Karikatur" zum zweiten sogenannten Karikaturen-Wettbewerb über den Holocaust auf, als Reaktion auf Mohammed-Karikaturen im Westen und im französischen Satiremagazin ,,Charlie Hebdo", dessen zweite Ausgabe seit den Pariser Anschlägen vom Januar am gestrigen Mittwoch erschienen ist. Die Karikaturen für den Teheraner Wettbewerb können bis zum 1. April eingereicht werden, dem Sieger winkt ein Preisgeld von umgerechnet rund 20.000 Euro.

... Bereits 2006, nach dem Mordanschlag auf den dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard, hatte es im Iran einen Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb gegeben, mit über 1200 Einreichungen aus aller Welt. ...

Quotevon changnoi
    26.02.2015 04:58 Uhr
nichtmal ignorieren, denn ignorieren waere schon zuviel beachtung!


QuoteAusgelobt wurde der Wettbewerb bereits Ende Januar. Die Bundesregierung reagierte am gestrigen Mittwoch entsetzt: Man nehme die Aktion ,,mit allergrößtem Unverständnis" zur Kenntnis. ,,Wir sind zutiefst betroffen von den Versuchen, den Mord an sechs Millionen Juden zum Gegenstand von Spott und Lächerlichkeit zu machen", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Auch zahlreiche Bundestags-Abgeordnete protestierten. Der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, Volker Beck (Grüne), sprach laut ,,Handelsblatt" von einem ,,Aufruf zum Judenhass und zu ihrer Vernichtung". Jan Korte (Linke) nannte den Wettbewerb "widerlich" und "abstoßend". Auch der Direktor des Europabüros des American Jewish Committee in Brüssel, Stephan Kramer, forderte eine klare Positionierung gegen die Aktion. Das sei "die beste Antwort auf das Propaganda-Spektakel", sagte er dem "Handelsblatt". Israel hatte bereits vor einigen Tagen an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon appelliert, den Wettbewerb zu verurteilen. Er legitimiere das Leugnen des Holocaust, so der israelische UN-Botschafter Ron Prosor in seinem Schreiben.

     von smukster
    26.02.2015 02:05 Uhr

Grenzenlose Freiheit?
Plötzlich gibt es wieder Grenzen der Satire. Warum ändert sich das ständig? Hängt es etwa davon ab, wen diese angreift?

Ich bin klar gegen die Beleidigung von Menschengruppen oder die Verspottung von Opfern unter dem Deckmantel der "künstlerischen Freiheit" - das bedeutet jedoch nicht, dass Satire zu diesen Themen grundsätzlich tabu sein sollte. Es kommt ganz darauf an, wie sie gemacht ist.



Aus: "Iranisches Kulturinstitut lobt Wettbewerb für Holocaust-Karikaturen aus" Christiane Peitz (25.02.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/kultur/reaktion-auf-mohammed-karikaturen-iranisches-kulturinstitut-lobt-wettbewerb-fuer-holocaust-karikaturen-aus/11425578.html


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Bangladesch
https://de.wikipedia.org/wiki/Bangladesch

Quote[...] Abhijit Roy war einer der bekanntesten Blogger Bangladeschs. Unter anderem engagierte er sich gegen religiösen Fundamentalismus. Das wurde ihm möglicherweise zum Verhängnis. ... Der Blogger Abhijit Roy und seine Frau Rafida Ahmed Banna wurden auf dem Campus der Universität in Dhaka von Unbekannten mit Macheten angegriffen, wie die bangladeschischen Nachrichtenseiten bdnews24.com und "Dhaka Tribune" berichteten. Roy wurde demnach bei der Attacke zunächst schwer verletzt und starb später während einer Notoperation im Krankenhaus. Seine Frau erlitt Hiebverletzungen und verlor einen Finger. Die Polizei fand zwei Macheten am Tatort. Ein Korrespondent der Deutschen Welle in Dhaka bestätigte die Meldungen.

Abhijit Roy, der als Ingenieur in den USA arbeitete, war bekennender Atheist und kritisierte in seinen Büchern und auf seinem Blog "Mukto-Mona" religiösen Fundamentalismus. Deshalb hatte es Morddrohungen von islamischen Fundamentalisten gegen ihn gegeben. Nach Angaben eines Kollegen war er bereits früher von fundamentalistischen Gruppen attackiert worden. Wegen einer Buchvorstellung war er mit seiner Frau nach Bangladesch gereist.

Auf "Mukto-Mona" gab er anderen Bloggern aus Bangladesch die Möglichkeit - trotz Zensur in ihrem Heimatland - ihre Meinung zu veröffentlichen. Unter anderem war sein Blog eine Plattform für den Kampf um die Rechte von Schwulen und Lesben, einem Tabuthema in dem mehrheitlich muslimischen Bangladesch.

Abhijit Roy wurde im vergangenen Jahr für den Bobs Award nominiert. Die internationale Auszeichnung für Blogger, Aktivisten und Journalisten, die sich im Internet für freie Meinungsäußerung und Menschenrechte einsetzen, wird von der Deutschen Welle ausgerichtet.

...  Es ist nicht der erste Angriff dieser Art in Bangladesch, einem mehrheitlich muslimischen Land mit rund 160 Millionen Einwohnern. Im Jahr 2013 war in Dhaka der Blogger Ahmed Rajib Haider, der ebenfalls religiösen Extremismus kritisierte, auf ähnliche Weise ermordet worden.

cr/kle (bdnews24.com, Dhaka Tribune, DW, dpa, epd)


Aus: "Religionskritischer Blogger in Bangladesch ermordet" (26.02.2015 )
Quelle: http://www.dw.de/religionskritischer-blogger-in-bangladesch-ermordet/a-18283810

http://www.fr-online.de/politik/bangladesch-blogger-brutal-ermordet-,1472596,29993342.html

"Bangladesch Islamist nach Mord an Blogger verhaftet" (02.03.2015)
In Bangladesch ist der mutmaßliche Mörder des atheistischen Bloggers Abhijit Roy gefasst worden. Die Polizei nahm einen 28 Jahre alten Islamisten fest. ...
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/islamist-in-bangladesch-nach-mord-an-blogger-verhaftet-13458913.html


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Quote[...] "Wir wollen der Bevölkerung mitteilen, dass sie keine Angst vor uns haben muss", sagt Mohammad Omar Habibzada, der Vorsitzende des Islamischen Kulturzentrums in Bremen (IKZ). Die zertrümmerten Türen lehnen ganz vorn an der Wand, stumme Zeugen für den Vorfall des vergangenen Wochenendes - ein Vorfall, der die Mitglieder des Vereins empört.

Sie haben Journalisten in ihre Moschee eingeladen, wollen ihre Version einer Geschichte erzählen, die Bremer Sicherheitskräfte in Atem hielt. Denn im Grunde geht es genau darum: Angst. Oder zumindest die Sorge vor islamistischem Terror in Deutschland und den Umgang damit.

Das IKZ steht im Mittelpunkt der jüngsten Terrorwarnungen in der Hansestadt. Auf der Suche nach Waffen durchsuchten Ermittler am Sonnabend die Räume des Moscheevereins in Bahnhofsnähe. Die Aktion erfolgte in Zusammenhang mit Ermittlungen gegen zwei libanesische Brüder aus dem IKZ-Umfeld. Sie sollen mit Kriegswaffen handeln.

Die Ermittler befürchteten offenbar, dass Gewehre und Pistolen bereitlagen und ein Terrorakt unmittelbar bevorstand. Eine "konkrete Anschlagsgefahr" habe man nicht ausschließen können, sagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) - und ließ ein Sicherheitsnetz über die Stadt spannen. Polizisten mit Maschinenpistolen patrouillierten auf dem Marktplatz. Waffen allerdings wurden weder bei der Razzia im IKZ noch bei den Libanesen gefunden. ...

Mit Rammböcken hätten die Polizisten die Türen aufgestoßen, seien in Stiefeln in die Räume eingedrungen, wo sonst jeder ohne Schuhe läuft. Männer seien mit Kabelbindern gefesselt worden - länger als eine Stunde. "Kinder haben geschrien", sagt ein Muslim, den der Vorsitzende aus einer Schar von etwa 40 anwesenden Glaubensbrüdern nach vorn bittet. "Sie haben uns gedemütigt", sagt ein anderer. Über einen Anwalt legte das IKZ beim Amtsgericht Beschwerde gegen die Razzia ein.

...


Aus: "Bremer Islamverein nach Polizeiaktion: "Sie haben uns gedemütigt"" Ansgar Siemens, Bremen (04.03.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/islamisches-kulturzentrum-in-bremen-beschwerde-gegen-razzia-a-1021571.html

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Quote[...] Bremen –  SEK-Beamte sind selten zimperlich. Wenn sie eine Razzia machen, kommen sie gerne mit Rammböcken und Maschinenpistolen. Oft hinterlassen sie Schäden nicht nur am Mobiliar, sondern auch in den Köpfen von Unschuldigen, zum Beispiel von zufällig anwesenden Kindern. Am vergangenen Samstag traf ein solcher Einsatz den Moscheeverein ,,Islamisches Kulturzentrum Bremen" (IKZ) - wegen Terrorverdachts. Die im IKZ vermuteten Kriegswaffen fanden sich zwar nicht, aber nach allem, was mittlerweile bekannt wurde, hatten die Ermittler nachvollziehbare Gründe für die Durchsuchung. Umstritten sind jedoch die Umstände des Einsatzes.

Eigentlich richtete sich die Razzia wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz nicht gegen den Verein an sich, sondern vor allem gegen ein Mitglied. Der 39-jährige Libanese soll sich im Herbst 60 MPs und zusätzlich Automatikpistolen beschafft haben. Angeblich verteilte er sie dann bis Mitte Dezember an Personen aus dem IKZ-Umfeld.

Diesen Verdacht kannten die Ermittler schon lange. Bereits am 10. Januar erwirkten sie einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Libanesen. Doch aus bisher unbekannten Gründen - vielleicht wollten sie noch weiter ermitteln? - warteten sie mit dem Zugriff bis vergangenen Samstag und durchkämmten dann auch gleich das IKZ, weil sie dort einen Teil der angeblichen Kriegswaffen vermuteten. Warum gerade am Samstag? Weil am Freitagabend ein neuer Hinweis eingegangen war: Vier Bewaffnete aus dem Ausland, vermutlich Franzosen, seien nach Bremen gereist und würden sich womöglich im IKZ mit zwei Waffenhändlern treffen.

Da klingelten bei den Behörden die Terror-Alarmglocken. Am Samstagmorgen stellte die Polizei die City deshalb unter Polizeischutz. Doch erst abends begannen die Durchsuchungen im IKZ und bei dem Libanesen. Gefunden wurde nichts - aber warum? Weil es gar keine Waffen gibt und die Ermittler vielleicht auf einen windigen V-Mann hereingefallen sind? Oder weil die Verdächtigen durch das Polizeiaufgebot gewarnt wurden, wie die CDU-Opposition vermutet?

Eine weitere kritische Frage: Warum befürchtete die Innenbehörde einen Anschlag ausgerechnet in der Hansestadt? Im Durchsuchungsbeschluss gegen den Libanesen wurde nur der Verdacht erwähnt, dass sich Bremer bewaffnen wollten, um ihren ,,Brüdern" in Kobane beizustehen, also vermutlich den syrischen IS-Kämpfern. Es wären nicht die ersten, denn in den vergangenen Monaten waren bereits Anhänger eines anderen Bremer Moscheevereins in den Krieg gezogen. Dieser ,,Kultur- und Familienverein", dem das IKZ wohl nicht radikal genug war und der sich deshalb 2007 von ihm abspaltete, ist mittlerweile von Innensenator Ulrich Mäurer verboten worden.

Die Fragen, die der jüngste Polizeieinsatz auslöste, dürften für SPD-Senator Mäurer etwas unangenehm sein, denn am 10. Mai wird in Bremen gewählt. Am Mittwoch tagten seine Leute stundenlang, um Antworten geben zu können. Am späten Nachmittag gaben Polizei und Staatsanwaltschaft dann eine gemeinsame Erklärung heraus. Demnach wollten die Ermittler am Freitagabend zunächst verdeckt nach den vier Angereisten fahnden und nicht sofort zuschlagen. Der Polizei war aber wichtig, parallel dazu am Samstag die City zu schützen. Der Aufschub der Razzia bis zum Samstagabend hing auch damit zusammen, dass nach Einschätzung der Behörden erst ein Durchsuchungsbeschluss nötig war. Denn im Laufe des Samstags habe sich die Gefahrenlage nicht weiter zugespitzt; daher wäre ein Zugriff wegen ,,Gefahr im Verzuge" ohne Durchsuchungsbefehl nicht zulässig gewesen. Bis der Beschluss beantragt und bewilligt wurde, sei das IKZ aber ständig bewacht worden, so dass niemand unerkannt habe ein- oder ausgehen können, versichern die Behörden.

Durch die Razzia sieht sich der Verein zum wiederholten Mal an den Pranger gestellt. Seit seiner Gründung 2001 seien die Gemeinderäume schon viermal durchsucht worden, sagte der Vorsitzende Mohammad Omar Habibzada (37), als er in dem nüchternen IKZ-Gebäude am Rande einer Hochstraße eine Pressekonferenz abhielt. ,,Jedesmal wird etwas konstruiert, aber am Ende werden die Verfahren immer eingestellt." Der Diplom-Betriebswirt mit langem Vollbart hat inzwischen mit dem beschuldigten Libanesen gesprochen. Der will demnach nichts mit Waffen zu tun haben und wirft den Beamten vor, sie hätten seine Wohnung verwüstet, sogar Tapeten abgerissen und seine Kinder über ihn befragt, nachdem sie ihn abgeführt hätten.

Auch Habibzada klagt über das Vorgehen der SEK-Beamten: Sie seien kurz nach dem Abendgebet in die Räume gestürmt. Mit ihren Stiefeln und Spürhunden hätten sie die Moschee geschändet und entweiht. Die meisten Anwesenden - laut Polizei insgesamt 28 Männer sowie fünf Kinder und Jugendliche -  hätten mit gefesselten Händen und mit dem Kopf nach unten auf dem Boden liegen müssen, sogar über 70-Jährige.

Mehr als zwei Stunden soll es gedauert haben, bis der Letzte nach seiner Personalienfeststellung freigelassen wurde. Habibzada widersprach damit der Behördendarstellung, dass die Identifizierung nur eine Stunde gedauert habe. Einig sind sich beide Seiten darin, dass erst die später dazugestoßenen Zivilbeamten Überschuhe trugen, als sie mit der genaueren Durchsuchung des Objekts begannen.

Bei der Pressekonferenz im IKZ standen drei Türen wie Mahnmale an der Wand des Männergebetsraums - zwei von ihnen völlig zertrümmert, eine stark beschädigt. Laut Habibzada waren es insgesamt sieben Innentüren, die demoliert wurden. Dabei hätte der Hausmeister sie gerne aufgeschlossen - ,,aber der lag gefesselt auf dem Boden". Habibzada: ,,Die Polizisten hatten Rammböcke dabei gehabt und wollten sie auch einsetzen." Außerdem hätten sie Schränke ausgeräumt und Kissen aufgeschlitzt. ,,Hier sah es chaotisch aus." Wegen der Durchsuchung seien die Gläubigen zudem am späteren Nachtgebet gehindert worden.

Ein bartloser Algerier in Trainingsjacke erzählte den Journalisten, das Spezialkommando sei ,,wie ein Wirbelsturm gekommen". Seine Einschätzung: Wer ein Attentat verüben wolle, treffe sich bestimmt nicht zum Gebet in einer Moschee. ,,Wir haben nichts zu tun mit Terrorismus", versicherte er.

Ein Vater mit Kind auf dem Schoß erzählte, der Dreijährige habe während des Einsatzes ,,die ganze Zeit geschrieen"; er selber habe zunächst nicht zu ihm gehen dürfen.

Gegen die Razzia hat der Verein inzwischen Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt. Die Durchsuchung basiere auf vagen Geheimdienstangaben, verletze die Religionsfreiheit und sei völlig unverhältnismäßig, argumentiert Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, bekannt geworden als einer der Verteidiger des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan.

Allen Vorwürfen zum Trotz findet Innensenator Mäurer, dass seine Polizei angesichts der Terrorgefahr ,,so rücksichtsvoll wie möglich" vorgegangen sei.

Was den Moscheeverein auch ärgert, ist seine Einstufung als salafistisch. Der Verfassungsschutz, der das IKZ seit Jahren beobachtet, habe den ,,Kampfbegriff Salafismus konstruiert und uns in diese Schublade gesteckt", meint Habibzada. In Wirklichkeit träfen sich hier verschiedene religiöse Richtungen aus 21 Nationen zum gemeinsamen Gebet. Inzwischen ,,fühlen wir uns sozusagen als Unberührbare".

Doch die Innenbehörde bekräftigt ihren Salafismus-Vorwurf: Das IKZ werde ,,finanziell und ideologisch stark aus Saudi Arabien unterstützt, um die dortige als extrem fundamentalistisch einzustufende wahabistisch-salafistisch ausgerichtete Staatsreligion nach Deutschland zu importieren". Habibzada nennt das ,,eine ungeheuerliche Unterstellung" und versichert den Bremern: ,,Sie brauchen vor uns keine Angst zu haben. Es geht keine Gefahr von uns aus, wir sind ganz normale Bürger."


Aus: "Terror-Razzia in Bremen Mit dem Rammbock in die Moschee"  Eckhard Stengel (05. März 2015)
Quelle: http://www.fr-online.de/politik/terror-razzia-in-bremen-mit-dem-rammbock-in-die-moschee,1472596,30039260.html

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Quote[...] Welche Erklärung haben Sie für den rasanten Aufstieg der ganzen Organisation des IS?

Nicolas Hénin: Der Islamische Staat ist das legitime Kind der Invasion im Irak 2003 und des Nichteingreifens in Syrien 2011. Die irakische Gesellschaft wurde zerstört, Syrien wurde im Stich gelassen, als dort die Revolution ausbrach. Die Beschaffenheit des IS zeigt auch, dass al-Qaida im Grunde eine bürgerliche Organisation war: angeführt von einem millionenschweren Erben, der viel in westliche Staaten gereist war. Die führenden Köpfe stammten aus den Mittelschichten der Golfstaaten. Der IS ist dagegen in den hässlichsten, verdrecktesten Städten groß geworden. Ihm gehören hauptsächlich Kinder von der Straße an. Die Videos, die sie verbreiten, sind inspiriert von unseren Videospielen, von unseren Actionfilmen. Ihre Art, zu kommunizieren, via Youtube oder Twitter, ihre kulturellen Referenzen ähneln denen der westlichen Gesellschaften. So schaffen sie es, enormes Entsetzen hervorzurufen. ... die Dschihadisten wie die Gegner des Islams – vertreten die Ansicht, unsere westlichen Gesellschaften seien mit dem Islam nicht vereinbar. Das entspricht der muslimischen Lehre von der Hidschra: Ein Muslim ist demnach verpflichtet, ein von Nichtmuslimen bewohntes Gebiet zu verlassen. Pegida und andere wollen bewirken, dass wir nicht mehr an ein Zusammenleben mit Muslimen glauben. Sie bestätigen für manchen Muslim nur noch das Gefühl, die islamische Identität sei in Gefahr und müsse verteidigt werden. Wir müssen uns um das Gegenteil bemühen: darum, das Zusammenleben mit den Muslimen zu verbessern. So entziehen wir den Islamisten eines der wichtigsten Argumente, mit denen sie junge Leute für den Dschihad gewinnen.

...


Aus: "Milde Vernunft: Interview Nicolas Hénin" Romy Straßenburg (10.03.2015)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/milde-vernunft


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#202
"Religionssymbole an Schulen: Das Kopftuch ist frei" (13. 03. 2015)
Zwei Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen hatten geklagt, beide sind Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund. Eine arbeitete als Lehrerin für muttersprachlichen Unterricht an verschiedenen Schulen. Nachdem 2005 in Nordrhein-Westfalen ein faktisches Kopftuchverbot eingeführt wurde, wurde sie gekündigt. Die zweite Frau arbeitete als Sozialpädagogin an einer Gesamtschule. Sie ersetzte damals das Kopftuch durch eine rosafarbene Baskenmütze, wurde aber dennoch abgemahnt, da sie die Mütze erkennbar als Ersatz für ein Kopftuch getragen habe. In den Vorinstanzen waren die Frauen noch gescheitert. Karlsruhe gab ihnen nun recht. ...
http://www.taz.de/!156420/
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Quote[...] Die Senatsschulverwaltung wollte das Karlsruher Urteil am Freitag nicht kommentieren. ,,Wir sehen uns die Begründung genau an und klären, ob es für den Bereich Schule Änderungsbedarf gibt", teilte eine Sprecherin knapp mit. Dafür äußerte sich der frühere Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD): ,,Unmittelbar gilt die Karlsruher Entscheidung nur für einen Fall in Nordrhein- Westfalen. Aber im Ergebnis schafft der Gerichtsbeschluss für alle Bundesländer eine neue Rechtslage. Die Berliner Juristen werden das Neutralitätsgesetz im Lichte dieser Entscheidung neu auslegen müssen."
Körting hatte 2005 maßgeblich das Berliner Neutralitätsgesetz mitgeschrieben. Es besagt, dass sich Lehrer und andere Beschäftigte des Landes Berlin während ihres Dienstes ,,in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten" müssen. Lehrkräfte dürfen ,,keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole (...) und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen".
Man habe das Neutralitätsgesetz 2005 geschaffen, ,,um Schülerinnen zu schützen", sagte Körting. Lehrerinnen seien Vorbilder. ,,Wir wollten vermeiden, dass Lehrerinnen mit Kopftuch Druck auf die Kinder ausüben könnten, es ihnen mit dem Kopftuch nach zu tun, so subtil der Druck auch sein mag."
In Berlin wie in allen anderen Bundesländern werde es künftig nur noch dann möglich sein, einer Lehrerin das Kopftuch zu verwehren, wenn durch das Kopftuch besondere Konflikte in der Schule auftreten, sagte Körting. Wenn einer Lehrerin das Tragen des Kopftuchs verwehrt werde, bevor der Konflikt auftritt, könne sie gegen das jeweilige Bildungsministerium klagen. ,,Sie hätte große Chancen, den Prozess zu gewinnen", schätzt der frühere Innensenator. ...
... Positive Reaktionen kommen von den Grünen und der Piratenpartei. Martin Delius von den Piraten sprach von einer ,,Stärkung der Grundrechte von Lehrerinnen, die man nur begrüßen kann." Stefanie Remlinger von den Grünen hofft, dass der Beschluss eine gesellschaftliche Debatte anstößt. Sie wünscht sich eine ,,Entdramatisierung" der Kopftuchfrage: ,,Wir sollten uns fragen, ob wir wirklich so viel Angst haben müssen oder ob wir nicht auch in den Schulen mehr religiöse und kulturelle Vielfalt haben wollen." Einerseits würden dringend Lehrer mit Migrationshintergrund gesucht, andererseits würden durch das Kopftuchverbot viele junge Frauen vom Studium abgehalten, weil sie sich keine Chancen im Beruf ausrechnen: ,,Wir tragen dieses Verbot ein Stück weit auf den Köpfen der Frauen aus und behindern damit ihre Integration."
Das sieht der frühere Innensenator Körting ähnlich. Er frage sich heute, ob das Neutralitätsgesetz nicht das Gegenteil von dem bewirkt habe, was sich der Senat 2005 erhoffte: ,,Mir haben viele Frauen aus konservativen muslimischen Elternhäusern erzählt, dass der Lehrerberuf für sie eine der wenigen Möglichkeiten ist, sich von zuhause zu emanzipieren. Aber gerade diesen Weg haben wir ihnen mit dem bisherigen Kopftuchverbot erschwert."

Quotevon kreuzberger007
   15.03.2015 11:42 Uhr

... Ich halte das BVG Urteil für eine Katastrophe. Zu meiner Schulzeit in den 70zigern wurde einer Lehrerin von mir das Tragen der roten Bhagwankleidung im Unterricht untersagt. Selbst das Tragen der Holzperlenkette mit dem Bildniss von dem Guru war ihr verboten.
Damals protestierten die meisten Schüler und Schülerinnen gegen dieses Verbot, da von dieser Lehrerin keine Manipulation ausging, und sie einen sehr guten Unterricht machte.
Heute sehe ich das anders. Ich finde, dass die Schulen einem Neuttralitätsanpruch genügen müssen, und religiöse Symbole nichts in Schulen zu suchen haben.
Ich würde mir wünschen, wenn wir hier in Deutschland den Laizismus wie in Frankreich übernehmen würden.



Aus: "Diskussion um Kopftuch-Urteil Wie neutral müssen Lehrer sein?" (14.03.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/schule/diskussion-um-kopftuch-urteil-wie-neutral-muessen-lehrer-sein/11503070.html
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Quote[...] Gabriele Boos-Niazy - Die Autorin ist Sozialwissenschafterlin und im Vorstand des Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen hatte die Möglichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht eine umfangreiche Stellungnahme zu den anhänigen Verfahren abzugeben; sie wird in Kürze veröffentlicht.

Der Gesetzgeber fordert zu Recht von allen Lehrern und Lehrerinnen, dass sie in der Lage sind, unabhängig von ihren privaten Ansichten fachlich ausgewogen zu unterrichten und die Schulbehörde verfügt seit jeher über Mittel und Wege (Allgemeine Dienstordnungen), diejenigen, die die das nicht tun, aus dem Schuldienst zu entfernen.

Nur einer bestimmten Gruppe, zum Beispiel aufgrund ihres politischen Engagements, diese Fähigkeit prinzipiell abzusprechen, gehört in die Mottenkiste der 70iger Jahre. Auch von einer Lehrkraft mit Ökosandalen muss bis zum Beweis des Gegenteils angenommen werden, dass sie das Thema Gentechnik sachlich korrekt vermitteln kann. An nichts anderes hat das Bundesverfassungsgericht uns jetzt erinnert.

Ich habe zusammen mit vielen anderen Frauen in den letzten 10 Jahren erlebt, was gesetzliche Kopftuchverbote und vor allem die dahinter nur schlecht verborgenen Vorurteile und Verdächtigungen verursachen. Die Tatsache, dass Menschen, die strukturelle Machtpositionen innehaben, Etiketten verteilen können, ohne jemals mit denen, über deren Leben sie entscheiden, zu sprechen, führt zu Gefühlen der Machtlosigkeit und einem Vertrauensverlust insbesondere in die Politik. Diese Verbote waren die in Gesetzestexte gegossene Ablehnung der Integrationsleistung einer Gruppe, die sprichwörtlich aus der Rolle gefallen war. Solange Frauen mit Kopftuch Schulen putzten, war das in Ordnung, als sie vermehrt hinter dem Pult auftauchten, wurden sie zur Gefahr stilisiert. So titelte der Focus im August 1997 unter der Rubrik "Grundrechte" anlässlich des Referendariats von Fereshta Ludin: "Angst vor dem Kopftuch. Muslimische Lehrerinnen beharren auf der Islamtracht"(1). Auch wenn der Artikel selbst durchaus differenziert war, beherrschte der Tenor der vermeintlichen Gefahr doch seitdem weite Teile der Politik und der Medienberichterstattung. Dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, ist nichts Neues. Welche Zerstörung sie verursacht, wenn sie instrumentalisiert wird, zeigte sich in den Jahren danach.

Sowohl große Teile der politischen als auch der medialen Diskussion waren von außerordentlicher Ignoranz den betroffenen Frauen gegenüber geprägt. Frauen, die sich einem Berufsverbot gegenüber sahen, die feststellen mussten, dass ihre gesamte Lebensplanung über den Haufen geworfen wurde, die sich von einem Tag auf den anderen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sahen, deren Lebensleistung und Definition ihres Kopftuches niemanden interessierte. Besonders bitter war es, dass dies alles im Namen der Freiheit und insbesondere der Gleichberechtigung der Geschlechter geschah.

Die betroffenen Lehrerinnen waren Frauen, die in einem Land aufgewachsen waren, dessen Botschaft sie so verstanden hatten: "Streng dich an, dann kannst Du alles erreichen." Und genau das hatten sie getan. Viele von ihnen waren seit Jahren im Schuldienst, ohne dass jemals ihre Integrität und Neutralität angezweifelt worden war. Die Vorstellung, dass eine Zeit kommen könnte, in der ein Gesetz mehrheitsfähig ist, das – völlig losgelöst von ihnen als Person und ihrem fachlichen Verhalten – ihrem Berufsleben ein jähes Ende setzt, war für sie und auch viele ihrer nicht-muslimischen Kollegen und Kolleginnen völlig undenkbar.

Doch Frau Schavan, 1997 Bildungsministerin in Baden-Württemberg, selbst bekennende und praktizierende Katholikin, brachte den Stein ins Rollen, indem sie einer Kopftuch tragenden Muslima die Einstellung in den Schuldienst verwehrte – ihr fehle die dazu notwendige Eignung, weil sie das Kopftuch aus religiösen Gründen nicht ablegen wolle. Die Lehrerin ging vor Gericht und erwirkte 2003 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (24.09.2003, 2 BvR 1436/02), das jedem Landesgesetzgeber ausdrücklich die Wahl ließ, ob er die Schule als einen Bereich definiert, in dem Schüler auf das bunte Leben in einer globalisierten Gesellschaft vorbereitet werden und tagtäglich Toleranz in einem Umfeld üben sollen, in dem die Lehrerschaft genauso vielfältig ist wie die Schülerschaft oder ob er es vorzieht, ein Umfeld zu schaffen, in dem durch künstliche Uniformität versucht wird, mögliche Konflikte gering zu halten und damit die Möglichkeit zu verschenken, die Schüler umfassend auf eine pluralistische Gesellschaft vorzubereiten.

Es lässt sich nicht verleugnen, dass die Parlamente in den Ländern, die die letztere Option begeistert aufnahmen und die erste nicht einmal diskutierten, mehrheitlich einer politischen Richtung zuzurechnen sind, die bis heute allenfalls mit säuerlicher Miene zugibt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Einige dieser Bundesländer gingen gar so weit, die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich genannte Bedingung der Gleichbehandlung der Religionen zu ignorieren und schrieben eine dezidierte Privilegierung christlicher und jüdischer Zeichen im Gesetz fest. Dass diese Privilegierung schon sehr rasch vor Gericht keinen Bestand hatte und damit alle Zeichen verboten wurden, störte niemanden.

In NRW stellte die CDU/FDP im Falle eines Wahlsieges ein Kopftuchverbot innerhalb von 100 Tagen in Aussicht und dieses Wahlversprechen wurde prompt eingehalten. Viele der betroffenen Lehrerinnen hatten befristete Verträge, die einfach nicht mehr verlängert wurden, andere wurden nach dem Referendariat nicht übernommen. Es blieb nur eine kleine Gruppe derer übrig, die überhaupt die Möglichkeit hatten, gegen das Verbot zu klagen. Doch es stellte sich schnell heraus, dass einige von ihnen sich nicht in der Lage sahen, die nervlichen Belastungen eines jahrelangen Rechtsweges durchzustehen, andere konnten es sich schlicht nicht leisten, ihren Arbeitsplatz zu riskieren, weil sie alleinerziehend oder die Familienernährerinnen waren – also nebenbei bemerkt keineswegs dem Bild entsprachen, das bestimmte politische Kreise zur Illustration der Notwendigkeit eines Kopftuchverbotes von ihnen gezeichnet hatten. Zudem liefen die Verfahren unterschiedlich schnell ab. Letztlich gingen die beiden jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreichen Klägerinnen stellvertretend für alle anderen Kopftuch tragenden Frauen den steinigen und langen Weg durch die Instanzen.

Wir sind ihnen überaus dankbar, dass sie das auf sich genommen und durchgehalten haben. Der Weg dauerte fast 9 Jahre und in diesen 9 Jahren habe ich viele Betroffene kennengelernt, die von zuvor selbstbewussten, integrierten und ökonomisch unabhängigen Frauen zu solchen wurden, die verunsichert waren, sich zurückzogen, ausgegrenzt wurden und wirtschaftlich in völlige Abhängigkeit gerieten. Frauen, die ein nicht-traditionelles Rollenbild gelebt hatten, waren durch das Verbot zu einem solchen gezwungen und Schülerinnen war mehr als klar geworden: Kopftuch und Karriere – das funktioniert in dieser Gesellschaft, die sich selbst als tolerant darstellt, nicht. Im Namen der Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde ein Gesetz geschaffen, das ausschließlich Frauen traf und die Durchsetzung von Gleichberechtigung vorhersehbar nicht nur im Schuldienst bis zur Unmöglichkeit erschwerte. Nicht, dass es nicht zahlreiche warnende Stimmen von Gutachtern, Fachleuten und auch Politikern (meist in der Opposition) gegeben hätte; sie wurden nicht gehört, weil man sie nicht hören wollte; sie standen dem politischen Ziel, der Entfernung Kopftuch tragender Frauen aus dem Schul- bzw. dem ganzen öffentlichen Dienst, im Wege.

Alle befürchteten negativen Folgen der Kopftuchverbote wurden im Laufe der letzten Jahre durch zahlreiche Studien belegt, doch auch das führte nicht dazu, dass auch nur eines der Länder mit Kopftuchverbot Konsequenzen gezogen hätte. Selbst als Gegner des Verbots in NRW, Baden-Württemberg und Niedersachsen in Regierungsverantwortung kamen, änderte sich daran nichts. Letztlich führte diese zögerliche Haltung aber dazu, dass der Rechtsweg bis zum Bundesverfassungsgericht durchlaufen werden konnte und wir jetzt eine Entscheidung haben, das von allen Bundesländern mit Kopftuchverbot eine Gesetzesänderung verlangt.

Das Bundesverfassungsgericht hat damit der Politik und auch den Medien, die maßgeblich dazu beigetragen haben, das Kopftuch als potenziell verfassungsfeindliches Symbol zu diskreditieren, explizit ein zweite Chance gegeben, die Gleichbehandlung der Religionen und Geschlechtergerechtigkeit durch gleichen Zugang zu allen Ämtern zu verwirklichen. Ob alle Bundesländer sie nutzen werden, steht in den Sternen. Schon grummelt es aus der bayrischen CSU, man werde die Privilegierung der christlichen und jüdischen Werte beibehalten und Wolfgang Bosbach, der sich beim Thema Islam unvermeidlich zu Wort melden muss, definiert das Kopftuch frei von jeder Fachkenntnis einmal mehr als "bewusstes Zeichen der Abgrenzung". Klar, möchte man erwidern, deshalb ergreifen Kopftuchträgerinnen vermutlich einen akademischen Beruf, dessen Ausübung sie einklagen müssen: um sich von denen abzugrenzen, die der Meinung sind, Frauen sollten lieber bei Kindern, Küche und Kirche bzw. Moschee bleiben.

Der Präsident des bayrischen Lehrerverbands BLLV, Klaus Wenzel schlägt gar vor, es jeder Schule selbst zu überlassen, "ob sie das Kopftuch tolerieren" und missversteht damit offensichtlich – absichtlich oder unabsichtlich – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das subjektive Bewertungsmaßstäbe ausdrücklich nicht zulässt. Wir wissen aus unserer Beratungserfahrung, dass es ansonsten zu systematischen Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kommt: In Hamburg haben einige Schulleiter bewusst verfassungswidrig, d.h. ohne jegliche gesetzliche Grundlage, beschlossen, an "ihren" Schulen keine Kopftuchträgerinnen einzustellen. Eine Tatsache, die dem dortigen Senat seit Jahren bekannt ist, ohne, dass das bisher Konsequenzen gehabt hätte. Ähnliche Fälle sind uns aus Rheinland-Pfalz und Hessen bekannt. Die Mahnung, sich an die deutsche Rechtsordnung zu halten und nicht die eigene Weltanschauung oder Meinung über selbige zu stellen, gilt offensichtlich oft nur für Menschen "mit Migrationshintergrund" und in der Kategorie bleibt man als Muslim in weiten Teilen der Republik vermutlich bis zum St. Nimmerleinstag.

Es ist zu hoffen, dass einige Bundesländer die zweite Chance nutzen, die diese Entscheidung bietet. In NRW stehen die Chancen dafür gut, wenn man die Worte der Schulministerin Löhrmann und der SPD-Bildungsexpertin Renate Hendricks, hört und der Botschaft Glauben schenkt. Störfeuer, wie das von Lale Akgün, die durch ihre Aussage, "Eine Lehrerin mit Kopftuch ist für mich nicht mehr religionsneutral" (6) einmal mehr dokumentiert, dass sie einer türkisch-laizistischen Gedankenwelt verhaftet und in einer säkularen Gesellschaft noch immer nicht angekommen ist, dürfen angesichts ihres offensichtlichen Mangel an Sachkenntnis einfach ignoriert werden. Das Bundesverfassungsgericht kann schließlich nicht jede Woche erklären, dass die staatliche Neutralität als eine "alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde" zu verstehen ist und nicht als eine, die bestimmte Bekenntnisse ausgrenzt. Neutralität in diesem Sinne bedeutet eben gerade nicht, dass das Gegenüber sich wie ein unbeschriebenes Blatt verhalten muss, sondern, dass die gesamte Bandbreite der Gesellschaft das Recht hat, in der Öffentlichkeit vertreten zu sein – auch der Verzicht auf ein Bekenntnis oder das Bekenntnis zum Atheismus ist nicht neutral, sondern ein Bekenntnis.

Am schnellen Handeln der politisch Verantwortlichen auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und an einer sachlichen Medienberichterstattung wird sich entscheiden, ob mit dem 13. März 2015 ein Jahrzehnt des kollektiven Alptraums Kopftuch tragender Frauen ein Ende findet oder ob man sich wieder über Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzt und damit eine Zeit der individuellen Alpträume anbricht, in der jeder Schulleiter oder jede Schulleiterin nach Gutsherrenart darüber entscheidet, ob das Kopftuch "toleriert" wird oder nicht. (epd/mig)


Aus: "Nach dem Kopftuchbeschluss: Die zweite Chance für eine offene Gesellschaft 2.0" Gabriele Boos-Niazy (15.03.2015)
Quelle: http://www.migazin.de/2015/03/15/die-zweite-chance/

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Quote[...] Autorin: Regina Mönch, Jahrgang 1953, Feuilletonkorrespondentin in Berlin

Vor elf Jahren, das Bundesverfassungsgericht hatte gerade über die aus Afghanistan stammende Lehrerin Fereshta Ludin entschieden, schrieb der Publizist Namo Aziz in der ,,Zeit", er würde sein Kind nicht von einer Kopftuchträgerin unterrichten lassen. Aziz stammt aus dem Irak, und er begründete sein Urteil, so wie es jetzt wieder nicht nur viele liberale, aufgeklärte Muslime begründen: Das Kopftuch ist ein Symbol des politischen Islam. Es transportiere ein Frauenbild, das ,,keinem zivilisierten Mitteleuropäer gefallen" könne. Er hat sich geirrt, zum Teil jedenfalls.

Das Kopftuch gefällt inzwischen vielen Mitteleuropäern, und das Bundesverfassungsgericht legt uns allen nahe, es auch so zu sehen. Man muss dem nicht folgen, nicht einmal dann, wenn noch mehr Politiker ins Schwärmen geraten, mit der jüngsten Entscheidung des Gerichtes sei Deutschland in der ,,Wirklichkeit" angekommen. Welche Wirklichkeit eigentlich? Die, wonach es gut ist, die kulturelle Differenz, die polarisiert, das Anderssein, bedrohte Keuschheit und Unterwerfung unter Gott und seine Männer möglichst demonstrativ und öffentlich zu betonen? Was immer die beiden beschwerdeführenden Frauen anführen mögen, warum ihnen das Schamtuch, der Schleier, der vor frivolen Blicken schützen soll, so unverzichtbar ist – wichtig ist vor allem das Signal, das sie damit aussenden. Es zielt auf unser Grundvertrauen in die Gleichheit der Geschlechter, unser emanzipiertes Selbstverständnis.

Immerhin, man darf darauf bestehen, dass ein liberaler Islam ohne Kopftuch auskäme, dass mit dem Kopftuch ein sexualisiertes Frauenbild demonstriert wird. Man muss nur aushalten können, dafür von Kulturrelativisten und Islamfunktionären rabiat angegriffen zu werden; die Denunziationen reichen von Islamophobie bis zu ,,Hassprediger" für Kritiker. Halten Kinder das aus? Denn sie sollen wieder einmal die ,,Lokomotiven der Integration" sein. Eine Anmaßung, eine Überforderung zudem, die vor allem dort noch mehr sozialen Druck erzeugen wird, wo Mädchen ohne Kopftuch – egal, ob religiös oder atheistisch erzogen – heute schon ausgegrenzt und drangsaliert werden.

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht den gesellschaftlichen Konflikt, welcher Islam zu Deutschland gehört – worüber noch lange zu streiten wäre –, ausgerechnet in jenen Teil des öffentlichen Raumes verlegt, in dem gerade nicht offen und fair und folgenlos darüber gestritten werden kann: in die Schulen. Weil Schüler und Lehrer in einem anderen Verhältnis zueinander stehen als Erwachsene, die sich mit, nur zum Beispiel, muslimischen Verbandsfunktionären oder eifernden salafistischen Müttern oder den irritierenden Wünschen der türkischen Religionsbehörde Diyanet auseinandersetzen müssen. Religionsneutral? Das war dann gestern, denn eine Lehrerin mit Kopftuch will das ja gerade nicht sein. Und es handelt sich nicht um Religionsunterricht, über dessen Lehrpersonal hier gestritten wurde, auch nicht um konfessionelle Schulen, an denen Nonnen ihre Berufsbekleidung oder jüdische Lehrer ihre Kippa tragen.

Natürlich diskutieren, heute wie beim Ludin-Urteil, Eltern darüber, was sie tun könnten, um ihre Kinder vor einer Auseinandersetzung zu bewahren, die sie kaum bestehen können. Es wird nicht nur im Internet heftig debattiert, ob und wie man die staatliche Garantie der weltanschaulich neutralen Schule einfordern könnte. Doch vielleicht gibt es die gar nicht mehr? Im Karlsruher Beschluss ist es nachzulesen: ,,Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich hieraus nicht herleiten." Gemeint ist Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes.

,,Privatschulen – wir kommen!", twitterte am Samstag ein Vater. Wer diese Wahl aber nicht hat? Wer zum Beispiel seine alevitischen, barhäuptigen Töchter in eine Schule schicken muss, in der selbsternannte muslimische Sittenwächter, Jungen wie Mädchen, sie mobben, weil sie angeblich religiöse Regeln verletzen? Was tun, wenn Patriarchenväter in Schulen mit einem hohem Anteil muslimischer Schüler den kopftuchlosen Lehrerinnen nicht mehr nur den Handschlag und die Klassenfahrtzusage für die Töchter verweigern, sondern auf einer sichtbar frommen Lehrerin bestehen? Das könnte man vielleicht als Störung des Schulfriedens ansehen. Doch was unter diesem schwammigen Begriff zu verstehen ist, bleibt auch nach dieser Entscheidung der jeweiligen Perspektive überlassen.

Die Geschichte jener Berliner Schule, die sich lange weigerte, einem radikalislamischen Schüler das öffentliche Gebet auf dem Schulflur zu gestatten, und ihm schließlich einen (dann selten benutzten) Gebetsraum zuwies, ist heute fast vergessen. Bevor jedoch das Urteil damals gefällt wurde, bevor es überhaupt vor Gericht ging, war ein mühsam errungener Schulfriede empfindlich gestört. Eine egalitäre, tolerante Schulgemeinschaft, dafür geschätzt gerade von säkularen Muslimen und Familien mit Dutzenden anderen Weltanschauungen, drohte am religiösen Eifer einiger weniger zu zerbrechen, und es hat empörend lange gedauert, bis sie Gehör fand.

Lebensfremd sei das, was da in Karlsruhe beschlossen wurde, sagt eine Schulleiterin, die anonym bleiben will, weil ihr eine radikale Moscheegemeinde in der Nähe ohnehin schon schwer zusetzt. Aber lebensfremd ist das leider nicht, sondern nur Alltag, den viele irgendwie ertragen, aber nicht schätzen. Dieser Beschluss wird unser Leben verändern, er polarisiert und entsolidarisiert. Vor allem da, wo religiöse Gebote des Islam schon heute über allen Vereinbarungen einer säkularen Gesellschaft stehen. Eltern, die ihren Kindern die Freiheit der Wahl lassen wollen, mit oder ohne Kopftuch zu leben, geraten noch mehr unter Anpassungsdruck. Lehrer können davon ein trauriges Lied singen. Es ist ein sozialer Druck, der vor allem auf den Mädchen und Frauen in vielen muslimisch geprägten Vierteln lastet. Wer sich entziehen kann, wird das tun und weggehen. Wer bleiben muss, kann nur auf Solidarität hoffen, die aber hierzulande noch nie groß war. Und die Segregation wird noch einmal zunehmen – in die eine und die andere Gesellschaft.

Sie wünsche sich, dass die Freiheit, selbstbestimmt zu leben, irgendwann einmal kein harterkämpftes Privileg mehr sei, schrieb die Schauspielerin Sibel Kekilli vor einer Woche in der F.A.Z.. Sie sprach für die Frauen, die die Zwangsgemeinschaft der strengen muslimischen Regeln gern verlassen würden, es aber nicht schaffen, weil der Preis so hoch ist, weil sie fürchten, verstoßen zu werden. Wer den Kopftuchbeschluss für einen Meilenstein der Integration und ein Bekenntnis zur offenen Gesellschaft hält, wird das nie verstehen.

QuoteHochinteressant zu sehen, wie die liberale Gesellschaft...
Alexander Vering  (Carcasson) - 16.03.2015 11:31
Folgen  an Ihrem eigenen Anspruch zerbricht.Es ist schon echt ein kleiner Hammer mit welchen Vorstellungen unsere "säkularisierten" Spassmenschen auf Gruppen versuchen einzuwirken die schlicht und ergreifend ein anderes Menschenbild vertreten als Sie selbst.All diese ganzen Fragen nach Gleichstellung, "Würde", Individualismus, interessieren doch überhaupt nicht im Angesicht der Verheißung eines vermeintlich ewigen Lebens im Paradies. Nicht falsch verstehen, ich bin kein Freund von Multikulti und da mache ich auch keinen Hehl draus. ABER! Wenn, dann richtig. Ich glaube, es mangelt den Menschen die sich mit der Angelegenheit beschäftigen grundsätzlich an Einblick in die Vorstellungs-und Gefühlswelt religiöser Menschen.Jenseits der üblichen Plattitüden von Beschränktheit, Unvernunft und Schulweisheit. Diesem Einblick sollten Sie sich nicht entziehen, damit SIe auch ganz genau wissen wen Sie sich ins Land holen.


QuoteKopftuchverbot ???
Moussa El  (moussa_el) - 16.03.2015 11:18
Folgen  Ein Kopftuchverbot wäre meiner Meinung nach genau so extrem und fundamentalistisch, wie jemanden gegen seinen Willen zu zwingen eins zu tragen!!! Sich die Frage zu stellen, wie wirkt sich das Tragen eines Kopftuches auf den Schüler , wäre die Gleiche wie sich zu fragen wie die Freizügigkeit(z.B. Dekoltee) einer Frau auf den Mann auswirke. Beides muss man hinnehmen. Ich finde es nur eigenartig das viele hier im Forum für Freiheit und Gleichberechtigung stehen, wenn aber diese für den Islam angewendet wird, verlangt man Einschränkungen.

QuoteKeine Frau wird dazu gezwungen
Folgen  Klaus Beckmann  (klaus76337) - 16.03.2015 11:49
ihr Dekolleté zu zeigen oder zu verbergen. Das Kopftuch hingegen ist ein Symbol der Unterdrückung der Frau. Sicherlich tragen manche Frauen das Kopftuch freiwillig. Die meisten hingegen sicher nicht. ...



QuoteBeim Getreidedrusch und beim Kirchgang
Helmut Andres  (helmutandres) - 16.03.2015 11:14
Folgen  trug meine fränkische Großmutter auch ein Kopftuch. Diese ganze aufgeregte Gesellschaft macht doch das Kopftuch erst zu dem politschen Symbol, das es bei weniger Erregtheit wäre: nur eine Kopfbedeckung.



Aus: "Kopftuch-Urteil: Eine Gefahr für die offene Gesellschaft" Regina Mönch (16.03.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kopftuch-urteil-eine-gefahr-fuer-die-offene-gesellschaft-13484485.html

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Quote[...] Sorgen kann man sich um vieles. Aber wo kämen wir hin, wenn jede Sorge zu einem vorsorglichen Verbot des mutmaßlichen Sorgenanlasses führen würde? Der öffentliche Raum ist kein klinischer Bezirk, der nach der Metapher der Keimvermeidung zu denken wäre. Auch für die bekenntnisoffene Gemeinschaftsschule gilt, dass sie Spiegel der religiös-pluralistischen Gesellschaft ist, heißt es in dem Beschluss, den der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Freitag veröffentlichte. Die Entscheidung präzisiert eine vieldiskutierte frühere Karlsruher Kopftuch-Einlassung und hat für den entzündlichen Bereich der Integration Signalwirkung, gerade weil hier hochdifferenziert das Spannungsverhältnis zwischen freier Glaubensausübung und staatlicher Neutralitätspflicht, näherhin: zwischen religiöser Betätigung und öffentlichem Dienst ausgelotet wird. Gröber kann man es auch so ausdrücken: Im Kontext der jüngsten Debatten um eine Islamisierung des Abendlandes werden aus Sicht der Verfassung die Proportionen zurechtgerückt.

Zunächst: Nur weil das Kopftuch für ein religiös aggressives Patriarchat auch ein Unterdrückungssymbol ist, kann es nicht all jenen Frauen verwehrt werden, die es als Ausdruck ihrer persönlichen Glaubensfreiheit tragen wollen. Für Ernst-Wolfgang Böckenförde, den früheren Verfassungsrichter und entschiedenen Verfechter der Kopftuchfreiheit, verkörpert eine Lehrerin, die sich mit Kopftuch vor ihre Klasse stellt, schon als Person eine Selbständigkeit, der gegenüber sich Zweifel verbieten. Auch der Erste Senat erklärt nun, ,,ohne Hinzutreten weiterer Umstände" könne man das Tragen eines Kopftuchs nicht in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit rücken. Wenn vereinzelt geltend gemacht werde, ,,im Tragen eines islamischen Kopftuchs sei vom objektiven Betrachterhorizont her ein Zeichen für die Befürwortung einer umfassenden, auch rechtlichen Ungleichbehandlung von Mann und Frau zu sehen und deshalb stelle es auch die Eignung der Trägerin für pädagogische Berufe in Frage", dann sei dies, so der Senat, ein Pauschalverdacht und für die Einschränkung der Glaubensfreiheit nicht hinreichend.

Demnach meint das ,,offen" von ,,bekenntnisoffen" gerade keine Bekenntnisvermeidung nach dem laizistischen Modell, sondern – in genau bestimmbaren Grenzen – eine gewollte ,,Konfrontation" mit den verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen. ,,In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität", schreiben die Richter. Die staatliche Neutralitätspflicht definiert sich aus Karlsruher Sicht als Absage an jede Privilegierung bestimmter Bekenntnisse, nicht aber als deren Verdrängung aus der Öffentlichkeit. Selbstverständlich gelte dies ,,auch für das Tragen von Bekleidung, die mit Religionen in Verbindung gebracht wird, wie neben dem Kopftuch etwa der jüdischen Kippa oder dem Nonnen-Habit oder auch für Symbole wie das Kreuz, das sichtbar getragen wird."

Aber kann man wirklich sagen, der Staat werde seiner Neutralitätspflicht gerecht, wenn er seinen muslimischen Lehrerinnen das religiöse Symbol des Kopftuchs erlaubt, jedenfalls nicht pauschal verbietet? Ja, sagt Karlsruhe, der Staat bleibt in diesem Fall auch deshalb neutral, weil mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen – anders, als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist – keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden sei. So viel Unterscheidungsvermögen wird man Schülern und Eltern in der ,,unausweichlichen Situation" des Unterrichts zumuten dürfen: ,,Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen." Erst recht weist er sie in diesem Gestus des Hinnehmens nicht als ,,vorbildhaft" aus.

Was wiederum nicht heißt, dass die Glaubensfreiheit absolut gilt: Zwar lasse sich, so der Senat, der Begriff des öffentlichen Amtes nicht so verstehen, als habe die Glaubensfreiheit seiner Träger von vornherein zurückzustehen – dies ja gerade nicht. Aber das ändere natürlich nichts an der Säkularität unseres Gemeinwesens und schließt ,,Dienstpflichten nicht aus, die in der Glaubensfreiheit von Amtsinhabern und Bewerbern um öffentliche Ämter eingreifen und damit für glaubensgebundene Bewerber den Zugang zum öffentlichen Dienst erschweren oder gar ausschließen". Natürlich müsse so etwas im Einzelfall streng begründet werden. Aber Religion ist vor dem Schulamt auch künftig kein Entschuldigungsgrund, die Dienstpflichten zu verletzen. Der Karlsruher Maßstab für die offene Gesellschaft und ihre Gläubigen: An ihm wird man sich noch lange abarbeiten.


Aus: "Karlsruher Beschluss: Kopftuch – na und?" Christian Geyer (13.03.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/karlsruher-beschluss-kopftuch-na-und-13481717.html

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"Verfassungsgericht urteilt: Das Kopftuch gehört zu Deutschland" Jost Müller-Neuhof (13.03.2015)
Das Bundesverfassungsgericht hat das pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen gekippt. Gut so, meint Jost Müller-Neuhof. Denn das Stück Stoff steht nicht für Unterdrückung und Fundamentalismus - sondern nur für ein religiöses Bekenntnis. Ein Kommentar.
http://www.tagesspiegel.de/politik/verfassungsgericht-urteilt-das-kopftuch-gehoert-zu-deutschland/11500348.html

Interview / Beitrag vom 14.03.2015
Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün kritisiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum pauschalen Kopftuchverbot. ...
http://www.deutschlandfunk.de/kopftuch-urteil-ich-verstehe-auch-die-ganzen-jubelschreie.694.de.html?dram:article_id=314210

"Junge Islam Konferenz: Jugendliche haben kein Problem mit dem Kopftuch" Bettina Marx (16.03.2015)
Die Karlsruher Richter hätten mit ihrer Entscheidung nur etwas nachvollzogen, was in der Gesellschaft längst nicht mehr in Frage stehe: mehr Offenheit und Toleranz gegenüber der muslimischen Minderheit. ... Diese Einschätzung wird auch von einer aktuellen Studie gedeckt, die das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) vorgelegt hat. Mehr als 8.000 Personen, darunter mehr als 1.100 Jugendliche und junge Erwachsene, wurden befragt. Ergebnis: Junge Menschen in Deutschland gehen weitaus aufgeschlossener mit der muslimischen Minderheit um als Erwachsene. So sind 71 Prozent der 18-bis 25-Jährigen der Meinung, dass muslimische Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen. (Unter den Erwachsenen sind 55 Prozent für ein Kopftuchverbot.) Das zeige, dass die Kopftuchdiskussion in den letzten Jahren eigentlich über die Köpfe derjenigen geführt worden sei, um die es gehe, so Kücük. ...
http://de.qantara.de/inhalt/junge-islam-konferenz-jugendliche-haben-kein-problem-mit-dem-kopftuch

"Kommentar zum Kopftuch-Urteil: Leider nur halbherzig" Petra Wettlaufer-Pohl (14.03.2015)
In der Praxis wird die Einschränkung bei der Aufhebung des Kopftuchverbotes also nicht weiterhelfen. Das Urteil ist deshalb leider halbherzig. Karlsruhe hätte das Verbot komplett kippen sollen. Denn es geht doch nicht darum, was Frauen auf dem Kopf tragen, sondern darum, was und wie sie lehren und ob sie ein Vorbild sein können. Das sehen junge Menschen, wie die Studie der Humboldt-Universität zeigt, glücklicherweise offensichtlich längst so. ...
http://www.hna.de/politik/kommentar-kopftuch-urteil-leider-halbherzig-4817963.html

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"Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Zeit für ein Toleranzedikt" (16.03.2015)
Das Bundesverfassungsgericht verfügt über die höchste juristische Autorität in Deutschland, aber nicht über die Mittel, ein Kopftuch unsichtbar zu machen. Deshalb war von vornherein klar, dass der Streit über das Kopftuch weitergehen wird - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Ein Kommentar von Heribert Prantl
http://de.qantara.de/inhalt/kopftuch-urteil-des-bundesverfassungsgerichts-zeit-fuer-ein-toleranzedikt

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"Nach Kopftuch-Urteil Bosbach fordert Prüfung eines Burkaverbots" (14.03.2015)
Trotz des Kopftuch-Urteils setzt sich der CDU-Innenpolitiker Bosbach für ein Burkaverbot in staatlichen Räumen ein. Die Burka sei eine ,,kulturelle Abgrenzung" zur Tradition unseres Landes. ... Über das Kopftuch-Urteil aus Karlsruhe sagte der CDU-Innenpolitiker: ,,Das Tragen eines Kopftuches ist nicht nur Ausdruck einer privaten religiösen Überzeugung, sondern der bewussten kulturellen Abgrenzung zur christlich-jüdischen Tradition unseres Landes. Eine islamische Tradition haben wir nicht." Durch das Urteil entstehe hohe Rechtsunsicherheit an den Schulen, so Bosbach weiter. ,,Nach welchen Kriterien soll eine Schule genau feststellen, ob der Schulfrieden gestört ist oder nicht? Reicht es bereits aus, wenn sich einige Schüler oder Eltern dagegen wehren, dass eine Lehrerin mit Kopftuch unterrichten will, oder muss es schon massiven Widerstand geben?" Das sei nach dem Urteil ,,völlig offen". ...
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bosbach-fordert-pruefung-eines-burkaverbots-13482788.html

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"Urteil in der Kritik: Keine Gefahr durch das Kopftuch" Christiane Habermalz (13.03.2015)
Das Kopftuch ist nur ein kleines Stück Stoff, und doch hat es die Gemüter in Deutschland mehr erregt als jedes andere Kleidungsstück zuvor. Warum eigentlich? Vielleicht ist es das Houellebecqsche Schreckensszenario, dass durch unsere Köpfe geistert: In seinem jüngsten Buch hat der französische Bestsellerautor die Vision entwickelt, dass unsere westliche, durch Multikulti-Idealismus gelähmte Gesellschaft peu a peu durch den Islam übernommen wird, weil der Islam der zunehmenden inneren Leere der Konsumgesellschaft ein schlüssiges Wertesystem entgegenzusetzen vermag. Darüber mag man nachdenken; es ist mehr als ein faszinierendes Gedankenspiel.
Vom Kopftuch im Schuldienst aber droht sicher keine ernste Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und auch nicht für das christliche Abendland. Es ist daher gut und richtig, dass das Bundesverfassungsgericht sich jetzt selbst korrigiert und ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt hat ... .

http://www.deutschlandradiokultur.de/urteil-in-der-kritik-keine-gefahr-durch-das-kopftuch.996.de.html?dram:article_id=314185
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Quote[...] "Ich finde, es ist leider ein bisschen kurzgedacht", sagte die Frauenrechtlerin Seyran Ates im Deutschlandradio Kultur über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass das pauschale Kopftuchverbot am Freitag gekippt hatte. Global betrachtet werde die Frau mit Kopftuch als "gottgefälligere" und "anständigere" Frau angesehen und damit positiv, sagte Ates. Die andere Frau ohne Kopftuch lebe moderner und freizügiger, werde aber negativer wahrgenommen. "Und wir haben noch so viele Frauen auf dieser Welt, die gezwungen werden das Kopftuch zu tragen"; sagte die deutsche Autorin türkisch-kurdischer Herkunft. Deshalb habe das Kopftuch nach wie vor eine "politische Bedeutung".

Sie stehe auf der Seite von Frauen, wenn sie freiwillig ein Kopftuch trügen und für die Demokratie einträten, sagte Ates. "Wie wollen wir das überprüfen", sagte sie. Es dürfe nicht vergessen werden, dass es feindliche Fronten gebe, nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland. Gerade in der Kopftuchfrage dürfe man heute in der globalisierten Welt nicht so beschränkt denken, sagte die Frauenrechtlerin. 

"In meiner Einstellung zum Kopftuch bin ich auch in einem Wandel", räumte aber auch die Frauenrechtlerin ein. Sie sei nicht mehr so grundsätzlich gegen das Kopftuchtragen wie in der Vergangenheit, sondern sehe inzwischen auch, dass es eloquente Frauen und integre Menschen gebe, die das Kopftuch trügen. "Denn wir wissen, auch Frauen ohne Kopftuch  werden unterdrückt", sagte sie. Es sei jetzt eine Herausforderung herauszufinden, wen man da tatsächlich vor sich habe.

...


Aus: "Skepsis nach dem Kopftuch-Urteil: Seyran Ates im Gespräch mit Frank Meyer und Katja Schlesinger"
Quelle: http://www.deutschlandradiokultur.de/bundesverfassungsgericht-skepsis-nach-dem-kopftuch-urteil.1008.de.html?dram:article_id=314148

usw. ...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Der konservative Islam kennt den Begriff ,,avret". Damit werden die Körperteile bezeichnet, die nicht öffentlich gezeigt werden dürfen. Während sich für die meisten konservativen Muslime diese Zone bei den Männern auf die Region zwischen Bauchnabel und Knie beschränkt, ist es bei Frauen so, dass nur das Gesicht bis zur Kinnspitze und die Hände gezeigt werden dürfen. Nicht wenige Konservative bezeichnen die Frau als ,,avret", das heißt der gesamte Körper der Frau wird zu einer Tabuzone erklärt. Unzählige Veröffentlichungen beschäftigen sich mit den Bekleidungsvorschriften der Frau, die Haarspalterei geht zum Teil ins Absurde. Fazit ist, dass der Körper der Frau als Sexualobjekt definiert wird, den sie vor den Männern aktiv schützen muss. Vor ihren Blicken genauso wie vor ihren Begierden.

Dieses frauenfeindliche Denken wird als ,,farz" – als Gottes Befehl definiert – und immer wieder mit Koransuren und Hadithen untermauert. Die so hergestellte Verbindung von Moral, Religiosität und Sexualität wird schon den jüngsten beigebracht. Und somit auch die Aufteilung der Frauen in ,,Madonnen" und ,,Huren". Die  ,,Madonnen" sind die gehorsamen Frauen, diejenigen, die bereit sind, die Normen des Patriarchats anzuerkennen. Alle anderen sind ,,Huren". Und woran erkennt man die ,,Madonnen"? Richtig! Natürlich am Kopftuch.

Während ich das schreibe, höre ich schon die Proteste der deutschen Kopftuchadvokaten, es müsse doch den Frauen erlaubt sein, sich so zu kleiden, wie sie wollen, man müsse doch den Frauen die Möglichkeiten geben, sich als Musliminnen zu erkennen zu geben und viele weitere inhaltsleere Argumente. Natürlich kann sich jede Frau so kleiden, wie sie möchte. Hier geht es nicht um die Frau auf der Straße, es geht um Lehrerinnen – Beamtinnen im Staatsdienst und Vorbilder für die nächste Generation – die mit Kopftuch vor der Klasse stehen werden. Welche Botschaft wird von dieser kopftuchtragenden Lehrerin ausgehen? An die Kinder? An die Eltern? Und nicht zuletzt an die anderen muslimischen Lehrerinnen, die kein Kopftuch tragen. Damit ist das Kopftuch nicht mehr ein Thema von gestern, sondern ein Next-Generation-Thema.

Aber diese Fragen beschäftigen die gutmeinenden Anhänger des Folklore-Islam aus der Mehrheitsgesellschaft nicht im Geringsten. Für sie ist das Kopftuch das sichtbare Zeichen der interkulturellen Bereicherung.

Und diesen Bereicherungstheoretikern möchte ich einige Fragen stellen:

Warum habe ich eigentlich immerzu das Gefühl, dass es Euch nicht um Inhalte geht, sondern um das gute Gefühl der Selbstvergewisserung? – Das schöne Gefühl des ,,wir haben nichts gegen Fremde?"

Dieses Gefühl ist Euch so wichtig, dass Ihr, aufgeklärte und liberale Menschen, den Islam mit der Brille der erzkonservativen Islamverbände betrachtet! Ihr wollt doch nicht ernsthaft behaupten, dass Ihr deren Menschen- und Frauenbild gutheißt?

Natürlich wisst Ihr auch, dass die Frauen unter den Bedingungen des konservativen Islams nicht selbstbestimmt leben können. Aber – egal. Die Frauen und Mädchen, die unter der Knute des Patriarchats stehen, werden als Kollateralschaden Eurer selbstverliebten Liberalität hingenommen.

Macht Ihr Euch mal Gedanken darüber, wie es wohl aufgeklärten Musliminnen und Muslimen in diesem Land geht, Frauen und Männern, die keine Kopftücher (tragen) wollen? Für die die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper wichtig sind? Was denken die wohl über Eure Parteinahme für den konservativen Islam? Denkt Ihr heimlich, was die konservativen laut aussprechen? Dass DIE keine richtigen Muslime mehr sind? Denn Euer Bild von den richtigen Muslimen steht ja fest, geprägt vom konservativen Islam!

Dass Ihr auch noch den unsäglichen Rassisten von Pegida in die Hände spielt, wird von Euch hingenommen. Gegen diese Gruppierung kann man ja dann noch extra demonstrieren. Das steigert die multikulturelle Selbstvergewisserung noch einmal.

Hinzufügen möchte ich, dass an Eurer Fürsprache ein bestimmter Hochmut nicht zu übersehen ist. Euer Verständnis für die ,,lieben Muslime" beinhaltet eine gewisse Verachtung, die deutlich machen soll, dass sie nicht mit Euch auf der gleichen Stufe stehen. Paternalistisch eben. Aber das kapieren die konservativen Muslime nicht. Sie haben jetzt einen Kopftuch-Sieg errungen und tanzen vor Freude auf den Tischen, während Ihr sie von unten mit dem mildem Lächeln der Überlegenen verfolgt. Es tut so gut, den Muslimen eine Freude zu machen, nicht wahr?

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Vater Theresa | 16.03.2015 | 11:35 Uhr

Das ist doch weitgehend Mumpitz. Grundsätzlich bin ich auch der Meinung, dass die Stellung der Religionen in unserem Bildungssystem zu stark ist. Ich könnte mich auch mit einem Schulsystem arrangieren, in dem jedwede religiöse Äußerung der Lehrer zu unterbleiben hat.

Das in NRW verabschiedete Gesetz privilegiert aber die Christliche Religion, indem sie diese gegenüber nicht christlichen Religionen bevorzugt. Wer das Gesetz liest und nicht dessen offensichtliche Verfassungswidrigkeit hinsichtlich dieser Ungleichbehandlung sieht, hat nach meiner Meinung eigentlich nichts in der Politik zu suchen. Dass die Damen bis zum Bundesverfassungsgericht gehen mussten, um in der deutschen Justiz jemanden zu finden, der das Grundgesetz und dessen Wertungen ernst nimmt, hat mich doch sehr erschreckt.

Und wenn man sich die konkret verhandelten Fälle anschaut, wird es noch grotesker. Wer einer Pädagogin verbietet, eine Baskenmütze zu tragen, weil diese ein Ausdruck ihrer rückwärts gewandten Religion sei, sollte einmal in sich gehen und sich fragen, wie weit das noch gehen soll. Interessanterweise trifft es wieder einmal nur die Frauen. Oder hat die SPD vor, demnächst auch wieder Locken und Bärte abschneiden zu lassen?


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Christiane | 16.03.2015 | 11:54 Uhr

Man darf sich nicht wundern, wenn es unter Rot-Grün in NRW angesichts solcher Argumente nicht weiter gegangen ist. Dieses Schwarz-Weiß-Denken entspricht doch nicht der Realität vieler Frauen. Ich kenne sehr viele Musliminnen, die freiwillig Kopftuch tragen, aber sich keineswegs unter der Knute des Patriarchats wähnen.

Dieses Frauenbild, das hier im Artikel präsentiert wird, kenne ich aus eigener Erfahrung nicht. Die Frauen haben bewusst sich für eine bestimmte Bekleidung entschieden, sie sind gebildet und sie wollen einen Beruf ihrer Wahl ergreifen. Ihre freiwillige, erwachsene Entscheidung ihre Religion so zu leben, sollte nicht durch ein doch eher mutwillig begründetes Berufsverbot bestraft werden, das ja selbst eine massive Bevormundung darstellt.

Man darf auch nicht die Wirkung solche Vorschriften auf den Arbeitsmarkt insgesamt verkennen – das hat Signalwirkung und die Bereitwilligkeit, Musliminnen mit Kopftuch einzustellen ist seit 2004 überall nachweisbar geringer. Insofern ist es überfällig, diese Regeln zu korrigieren. Ansonsten würde das von Agkün beschworene konservative Frauenbild ja tatsächlich in Deutschland Realität, da diese Frauen schlicht keine Arbeit finden und entsprechend keine eigenen Mittel verdienen können – und damit erst in Abhängigkeiten geraten.

Ich finde jeden einzelnen Satz in diesem Urteil unterstreichenswert – in einer multireligiösen Gesellschaft (und das sind wir in Deutschland viel eher als etwa in Frankreich, das sich bewusst säkular versteht) sollte man auch seine Bekleidung religiös gestalten dürfen. Die bislang geltende Anmutung einer abstrakten Gefahr war eine ideologische Konstruktion.


QuoteDonda | 16.03.2015 | 16:04 Uhr

Es hat den Anschein als hätten der politische Islam und der Feminismus zumindest eins gemeinsam: beide kämpfen um die Kontrolle über den Körper der Frau. Wo kämen wir auch hin, wenn eine Frau selbst bestimmen könnte, ob sie ein Kopftuch trägt?! Und da wir grade dabei sind, warum verbieten wir nicht auch noch Miniröcke – die stärken ja auch bloss das Patriarchat. Wenn hier irgendwas hochmütig ist, dann Frau Akgün's Anspruch, Frauen vor der Gefahr retten zu müssen, ihre Kleidung selbst auszusuchen. ...


QuoteKai | 16.03.2015 | 16:12 Uhr

Ich tendiere dazu, dass Urteil in Teilen ebenfalls falsch zu finden. Allerdings nicht aus den von Lale Akgün genannten Gründen.

Als "nicht religiös veranlagter" Mensch, kann ich die inneren Befindlichkeiten einer Gruppe Religiöser nicht ausreichend bewerten. So lese ich immer wieder von Muslima, die ihr Kopftuch gern und ohne jedwede Konotation tragen und dann wieder das komplette Gegenteil.

Mitgehen kann ich mit dem Urteil insofern, dass keine Religion bevorteilt werden sollte. Meine Schlussfolgerung wäre aber eine andere gewesen: Die Verbannung jeglicher religiöser Symbole aus dem Hort der Wissenschaft und Aufklärung sowie grundsätzlich in staatlichen Institutionen.


QuoteUKetchupf | 17.03.2015 | 00:04 Uhr

... Der Geschichtslehrer meiner Tochter trägt eine Krawatte, ist das vielleicht auch ein Symbol von gestern und ein Zeichen für die Ungleichbehandlung der Geschlechter? Darf man den jetzt kündigen? ...


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die kalte Sophie | 17.03.2015 | 09:53 Uhr

Der Körper der Frau wird als Sexobjekt definiert.
Also, gelegentlich.
Und zwar von ihr selbst.
Als Subjekt der Begierde.
Des Anderen.

Frau Akgün hätte besser Lacan gelesen, dann hätten wir weniger Mühe, uns einen Reim auf so viel Meinung zu machen.


...


Aus: "Kopftuchurteil: Dem politischen Islam auf den Leim gegangen!" Lale Akgün (16.03.2015)
Quelle: http://www.carta.info/77587/kopftuchurteil-dem-politischen-islam-auf-den-leim-gegangen/


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Quote[...]  Unsere öffentliche Debatte ist von riskanten Sprachbildern geprägt. Radikal-islamistischer Terrorismus wird von uns über Begriffe wie ,,Islamischer Staat", ,,Gotteskrieger" und ,,Gottesstaat" sprachlich zum Protoyp des Islam erhoben, während eine anti-muslimische Geisteshaltung zugleich über die Bezeichnung ,,Islamophobie" als Angststörung bagatellisiert wird.

Das ist ganz und gar nicht ,,nur" ein sprachliches Problem, es ist ein kognitives Problem. Denn Worte aktivieren und propagieren Frames in unseren Köpfen. Dieses Konzept der Kognitionswissenschaften lässt sich mit ,,Deutungsrahmen" übersetzen.Wann immer wir ein Wort hören oder lesen, aktiviert unser Gehirn automatisch einen Frame, der es innerhalb unseres abgespeicherten Weltwissens einordnet, um ihm eine Bedeutung zu geben. Frames umfassen immer sowohl semantische Rollen als auch Schlussfolgerungen über deren Natur und Beziehung zueinander. Das Wort ,,Kind" beispielsweise aktiviert einen Frame, der auch die semantischen Rollen Mutter und Vater birgt, und diese in der Beziehung zum Kind als Elternschaft definiert. Schnell wird deutlich: Wann immer wir ein Wort nutzen, aktivieren wir eine Fülle von Ideen und Schlussfolgerungen, die weit über das eigentliche Wort hinausgehen.

Sprache aktiviert aber nicht nur Frames, sie stärkt diese auch in unserem Gehirn. Der Prozess heißt Hebbian Learning: Je öfter Ideen als zusammenhängend kommuniziert werden, umso stärker wird ihre synaptische Verbindung.

Dabei ist es für unser Gehirn völlig egal, ob wir eine Idee kritisieren, negieren oder uns anderweitig rhetorisch von ihr distanzieren. Sobald wir sie benennen, wird der entsprechende Frame aktiviert und gefestigt. Unser Gehirn kann nämlich nicht isoliert ,,nicht" denken. Wenn ich schreibe: ,,Denken Sie nicht an den Kopf einer schwarzen Taube" denken Sie natürlich sofort an den Kopf einer schwarzen Taube. Und vielleicht auch an Michel Houellebecqs jüngst erschienenen Roman, sollten Sie das Buchcover bereits mehrfach gesehen haben.

Wir müssen Dinge, die es zu verneinen gilt, zuallererst einmal begreifen. Dem kognitiven Apparat ist es gleich, wie wir über ,,Islamophobie" sprechen, ob wir sagen, der ,,Islamische Staat" benenne sich zu unrecht als solcher, uns in Diskussionen über ,,Gotteskrieger" von dem Konzept mittels ,,sogenannte" oder ,,selbsternannte" distanzieren oder Begriffe direkt in Anführungszeichen setzen. Solche Maßnahmen sorgen zwar für politische Korrektheit im Diskurs. Doch kognitionslinguistisch gesehen landen sie irgendwo zwischen vergebener Liebesmüh und grober sprachlicher Fahrlässigkeit.

Diese Sprachbilder sind riskant, weil wir heute wissen, dass Frames der Dreh- und Angelpunkt politischer Meinungsbildung und politischen Handelns sind, und zwar ohne dass wir dies merkten, denn nur geschätzte zwei Prozent unseres Denkens sind uns überhaupt bewusst.

Wenn es um Frames geht, die den Zielen anti-muslimischer Strömungen wie Pegida und vom Radikal-Islamismus besessener Terroristen dienen, so haben beide Gruppen in Deutschland einflussreiche Freunde: von links nach rechts und durch alle Medien spielt unsere Debatte ihnen sprachlich und kognitiv direkt in die Hände.

Zum Beispiel mit dem Begriff ,,Islamophobie", der spätestens zum Jahr 2015 in unserem öffentlichem Bewusstsein vollends seinen Platz gefunden hat. Das Wort wurde in den Neunzigern in England in Anlehnung an die ,,Xenophobie", die Fremdenfeindlichkeit, geprägt und ist heute ein gern gesehener Gast in deutschen Debatten. Welcher Frame wird aktiviert, wenn wir den Islam metaphorisch in das Phobie-Konzept einbetten?

Der Phobie-Frame impliziert zunächst einmal im Kern panische Angst. Wir nutzen das Konzept häufig im nicht-medizinischen Sinne. Viele von uns leiden fernab jeder Diagnose an Spinnenphobie, Klaustrophobie oder Sozialphobie, was automatisch zu der kollektiven Wahrnehmung führt, eine Phobie nachvollziehen zu können. Spinnen sind schon irgendwie Angst einflößend, enge Räume und soziale Anlässe auch. Und der Islam? Durch den Phobie-Frame wird eine anti-muslimische Haltung bagatellisiert und zugleich partiell als ,,der Natur des Auslösers" geschuldet legitimiert.

Die Frame-Semantik führt zu erstaunlichen Resultaten: Phobie-Patienten leiden an einer Angststörung, sie sind die Opfer der Situation, sie reagieren mit Rückzugsverhalten. Indem man den Islam metaphorisch als Angsttrigger in diesen Frame einbettet, werden anti-muslimische Agitatoren zum Opfer eines Leidens, die sich verängstigt zurückziehen, während Muslime unbehelligt bleiben. Der Frame einer Phobie impliziert Angst, nicht Feindseligkeit oder Hass, und profiliert Muslime als geeignete Angstauslöser. Und nicht zuletzt spricht er den metaphorischen Phobie-Patienten die volle Verantwortung für ihr Handeln ab, denn wer an einer Phobie leidet, reagiert panisch und ist dabei nicht immer voll zurechnungsfähig.

Deutsche Debatten nutzen den Phobie-Frame nur für zwei Typen sozialer Aggression, Islamophobie und Homophobie. Man muss sich wohl glücklich schätzen, dass er nicht auch andernorts linguistisch en vogue wurde. Frauenphobie statt Frauenfeindlichkeit? Judenphobie statt Judenfeindlichkeit? Arbeiterphobische statt arbeiterfeindliche Gesetze?

Der Begriff ,,Islamophobie" ist mehr als nur prekär, ich halte ihn für gefährlich. Anti-muslimisches Denken ist eine Geisteshaltung, keine Angststörung. Und Agitation gegen Muslime geschieht nicht im Affekt.

... Kognitive Pluralität lässt sich nur über sprachliche Pluralität sichern, und sprachliche Pluralität verlangt unbedingte Authentizität: Realitäten müssen gemäß der eigenen Geisteshaltung benannt werden und es gilt, sich Sprachkonformismus zu entziehen, wo immer er der eigenen Weltsicht widerspricht.


Aus: "Warum Medien und Politik umgehend Islamischen Staat und Islamophobie abschaffen sollten" Elisabeth Wehling (24.03.2015)
Quelle: http://www.carta.info/77815/warum-medien-und-politik-umgehend-islamischen-staat-und-islamophobie-abschaffen-sollten/

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Quote[...] Wie sehen die Ukrainer den russischen Staat? Auf dieses Bild will die Regierung in Kiew massiv Einfluss nehmen und hat deshalb jetzt mit einem kulturpolitisch umstrittenen Gesetz alle Filme mit positiver Darstellung russischer und sowjetischer Staatsorgane verboten. Betroffen sind unabhängig vom Herkunftsland alle Streifen, die nach dem 1. August 1991 produziert wurden, heißt es in dem von Präsident Petro Poroschenko unterzeichneten Dokument. Das vom Parlament in Kiew veröffentlichte Gesetz ist eine Reaktion auf den Krieg in der Ostukraine.

Angedroht werden demnach Geldstrafen für alle, die ein "positives Bild von Angestellten des Aggressorstaates" zeichnen. Bisher prägen russische Filme und Serien ukrainische TV-Programme. Kritiker werfen der von der EU und den USA unterstützten Regierung in Kiew "Zensur" vor.

Die Führung in Moskau warnte vor einem zunehmenden "Russenhass" in dem Nachbarland. Zuvor hatte die prowestliche Führung dort auch russisches Fernsehen verboten. Zudem sind mehr als ein Dutzend russischer Künstler mit Einreiseverboten belegt. Das Kulturministerium in Kiew arbeitet an einem System, nach dem künftig auch Bücher in russischer Sprache lizenziert werden sollen für den ukrainischen Markt.

anr/dpa


Aus: "Neues Gesetz: Ukraine verbietet Filme mit positivem Russlandbild" (02.04.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-verbietet-filme-mit-positivem-russlandbild-a-1026924.html


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Quote[...] Kurz vor 22 Uhr gingen Mittwochabend alle Kanäle des Fernsehunternehmens TV5Monde in Frankreich offline. Die Website sowie die Präsenz auf Facebook verbreiteten kurzfristig islamistische Drohungen. Unter anderem sollen dort Lebensläufe und Ausweisdokumente von Angehörigen französischer Soldaten veröffentlicht worden sein. Die Islamisten drohen diesen Zivilisten, weil die Soldaten militärisch gegen islamistische Verbrecher vorgehen.

Außerdem posteten die Hacker Propagandavideos. In einem Text griffen sie den französischen Staatspräsidenten an. Sie kreideten ihm an, französische Streitkräfte in den Kampf gegen den Islamischen Staat geschickt zu haben. Darüber hinaus wurden etwa die Scharia verherrlicht und TV5Monde geschmäht. Verschiedene Mitteilungen erschienen in französischer, arabischer und englischer Sprache.

Die IT-Chefin des betroffenen Medienunternehmens, Hélène Zemmour, gab francetvinfo noch in der Nacht ein kurzes Interview. Sie berichtete, dass die Angreifer gleichzeitig die internen IT-Systeme und die Sendeanlagen von TV5Monde unbrauchbar gemacht sowie die Kontrolle über die Webseite erlangt hätten.

Parallel übernahmen sie auch über die TV5-Konten bei Twitter und Facebook die Kontrolle. Diese konnte TV5Monde bald wieder zurückgewinnen. In der Folge wurde auf YouTube und Facebook ein Video mit einer kurzen Stellungnahme des TV5-Generaldirektors Yves Bigot veröffentlicht. Die Mobil-Version der Webseite dürfte unbeschadet geblieben sein, die herkömmliche Website ist derzeit offline.

Francetvinfo fragte Zemmour in dem kurzen Interview auch nach dem Motiv der Angreifer. "Wir sind überhaupt nicht sicher, aber wir haben heute den TV-Sender TV5 Monde Style in Beisein des (französischen) Außenministers Laurent Fabius gestartet." Dieses Programm wird im Nahen Osten, in Asien und der Pazifikregion in französischer Sprache ausgestrahlt.

Mit Untertiteln in Arabisch, Englisch und Mandarin versehen, soll es französische Unternehmen und die französische Lebensart positiv darstellen. Das "liegt den Dschihadisten nicht wirklich am Herzen", sagte die Managerin, "Wir wissen noch nicht, ob der Umstand, dass diese Attacke heute stattgefunden hat, ein Zufall ist oder nicht." (ds)


Aus: "Islamisten hacken TV5" (09.04.2015)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Islamisten-hacken-TV5-2597578.html


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Quote[...] BERLIN. (hpd) Am Freitag diskutierten in Berlin die Politikerin Lale Akgün, die Autorin Emel Zeyneabidin und der Religionswissenschafter Ralph Ghadban über den Umgang der Mehrheitsgesellschaft und der Politik mit "dem Islam" in Deutschland. Die Diskussion wurde vom hpd-Autoren Walter Otte geleitet. Eingeladen zu dieser Podiumsdiskussion hatten die Säkularen Grünen.

Die Berliner Landeschefin der Grünen, Bettina Jarasch, betonte in ihrem Grußwort, dass die Ausübung von Religion ein Menschenrecht sei. Die Mehrheitsgesellschaft, so Jarasch, "muss ertragen, dass manches seltsam anmutet", was Riten und die Ausübung betrifft. Die bekennende Christin betonte, dass in einer pluralistischen Gesellschaft alle Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften die gleichen Rechte haben müssen.

Lale Akgün stimmte dem generell zu, wies aber darauf hin, dass "Deutschland Politik mit dem Islam macht". Doch dabei stärke die Politik durch die Zusammenarbeit mit den Islamverbänden vor allem den politischen Islam und somit nur eine Spielart dieser Religion. Für sie ist die theologische Debatte über den Islam eine politische Debatte. Deshalb, so Akgün, führe an der theologischen Diskussion über und um den Islam kein Weg vorbei.

Frau Akgün gehört dem Liberal-Islamischen Bund (LIB) an und verwies darauf, dass der Islam neu ausgelegt werden muss, denn "die Position von vor 1.300 Jahren ist nicht zeitgemäß." Die meist strenggläubigen Islamverbände können deshalb dem Staat kein Partner sein. Denn "es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen dem, was die Islamverbände öffentlich zur Schau stellen, (sie bezeichnete das als "Folklore-Islam"), und dem, was in den Moscheen den Kindern eingebläut wird." Den Kindern werde eine islamische Identität vermittelt, etwas, das dem demokratischen Gedanken der Gesellschaft widerspricht.

"Als ich nach Deutschland kam, war der Islam exotisch. Heute ist er politisch." Mit diesen Worten begann Emel Zeyneabidin ihre Einführung. Ihr Schwerpunkt lag an diesem Abend auf der Ausrichtung des islamischen Religionsunterrichts. Sie kritisierte, dass dort gelehrt wird, dass der "Koran die Wahrheit" sei, "dann bleibt kein Raum zum Selberdenken" für die Kinder.

Anders als Lale Akgün vertritt sie die Position, dass es nicht der Islam sei, der reformiert werden muss, "sondern die Muslime". Das wiederum kann nur erfolgreich sein, wenn im islamischen Religionsunterricht das vergleichende Denken gelehrt wird und die Anmaßung deutlich wird, die darin läge, "dass der Mensch glaubt, Gott verstanden zu haben."

Ralph Ghadban stellte gleich zu Beginn seiner Rede klar, dass er sich als Atheist sieht. Als Religionswissenschaftler lieferte er eine Einschätzung der aktuellen innerislamischen Entwicklung und sagte, dass "die Situation des Islam der des Christentums während des Dreißigjährigen Krieges" ähnelt. "Es wird derzeit ausgekämpft, welche Lehrmeinung 'Recht' habe."

Ghadban kritisiert bereits seit längerem die Idee des Multikulturismus: "Multikulti löst keine Probleme, die Politik macht einen Purzelbaum und das hat mit der Realität wenig zu tun." Die Politik beachtet wissenschaftliche Erkenntnisse nicht, sondern tut so, als wären alle religiösen Strömungen des Islam gleich, "um alle gleich zu behandeln." Das jedoch verkennt die Strukturen dieser Religion, die so anders sei als das Christentum.

Insbesondere die Zusammenarbeit der Politik mit den vier großen Islamverbänden griff er scharf an und erklärte, wer sich hinter den 4 Islamverbänden verbirgt bzw. wer diese finanziert.

In der später sich anschließenden Diskussion sprach sich Ghadban dann jedoch auch für einen islamischen Religionsunterricht an Schulen aus - was bei der vorher ausgesprochenen Kritik an den Verbänden (die den Islamunterricht theoretisch vorbereiten) inkonsequent zu sein scheint. Frau Akgün machte an einem Beispiel deutlich, dass nicht nur die Politiker, sondern auch ein Großteil der Bevölkerung viel zu wenig über die Religion "Islam" wissen. Ein Religionsunterricht, der nicht bekenntnisorientiert ist, sondern die Religionen vorstellt und auch in ihrem historischen Kontext beschreibt, könnte dem Unwissen abhelfen.

Auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht angesprochen, sagte Frau Zeyneabidin "Das Kopftuch spaltet die Frauen in zwei Klassen - es ist das Zeichen der 'besseren' Muslimin." Denn es wird innerhalb der islamischen Community als Gradmesser des Glaubens wahrgenommen. Deshalb hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts den liberalen Muslimen einen Bärendienst erwiesen.

In den zweieinhalb Stunden der Veranstaltung konnten selbstverständlich nicht alle Fragen besprochen und geklärt werden. Doch kann das Fazit gezogen werden, dass es überaus wichtig ist, auch und insbesondere mit liberalen Muslimen ins Gespräch zu kommen. Denn diese werden von der Gesellschaft und der Politik viel zu selten wahrgenommen. Dabei sind sie es, die den Islam reformieren können.



Aus: "Perspektiven Grüner Religionspolitik in einer Gesellschaft der Vielfalt: Multi-Kulti am Ende?" Frank Nicolai (27. Apr 2015)
Quelle: http://hpd.de/artikel/11633


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#208
Quote[...] Im US-Bundesstaat Texas haben zwei Männer auf ein Gemeindezentrum geschossen, in dem Mohammed-Karikaturen ausgestellt werden. Laut Polizei wurde bei dem Angriff in der Ortschaft Garland, einem Vorort von Dallas, ein Polizist verletzt, der am Bein getroffen wurde. Die Sicherheitskräfte erwiderten das Feuer und töteten die beiden Attentäter.

Die Angreifer seien mit einem Auto vorgefahren und hätten dann sofort mit automatischen Gewehren geschossen, teilte die Polizei in Garland mit. Einige Augenzeugen zählten zwei oder drei Schüsse, andere wollten bis zu 20 Schüsse gehört haben.

Die islamfeindliche American Freedom Defense Initiative hatte einen Mohammed-Karikaturenwettbewerb in dem Gebäude veranstaltet. Dafür sollen etwa 350 Zeichnungen aus aller Welt eingereicht worden sein. Die Präsidentin der American Freedom Defense Initiative, Pamela Geller, ist eine der bekanntesten Islam-Gegnerinnen in den USA.

Unter den Gästen befand sich auch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders. Die Polizei evakuierte das Gebäude und brachte die etwa 200 Anwesenden in Sicherheit. Auch umliegende Supermärkte wurden geräumt. Beamte durchsuchten Autos vor dem Zentrum nach Sprengstoff. Der angeschossene Polizist konnte das Krankenhaus inzwischen verlassen.

Die Veranstaltung fand unter starken Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Organisatoren hatten 10.000 US-Dollar für den Schutz der Ausstellung ausgegeben, 40 Wachleute sicherten das Gemeindezentrum. Polizeisprecher Joe Harn sagte: "Wir waren auf so etwas vorbereitet."

Der Vorfall weckt Erinnerungen an den Anschlag auf "Charlie Hebdo". Das Satiremagazin hatte mehrfach Mohammed-Karikaturen abgedruckt, im Januar stürmten islamistische Terroristen die Redaktion in Paris und töteten elf Personen.

syd/AP/Reuters


Aus: "Anschlag in Texas: Tote bei Angriff auf Ausstellung mit Mohammed-Karikaturen" (04.05.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/texas-anschlag-auf-ausstellung-mit-mohammed-karikaturen-a-1031890.html

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Quote[...] UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat den Angriff verurteilt. Derartige Taten "haben nicht mit Religion oder Glauben zu tun", sagte Bans Sprecher Stéphane Dujarric am Montag. "Man muss Vorstellungen durch demokratischen Dialog und Debatte verteidigen, Gewalt ist niemals gerechtfertigt", ließ Ban weiter erklären. US-Heimatschutzminister Jeh Johnson rief die Öffentlichkeit derweil auf, ihre Wut und ihre Verdächtigen nicht gegen irgendjemand nur wegen seines Glaubens zu richten". Zum Stand der Ermittlungen äußerte er sich nicht.

Die liberale dänische Tageszeitung ,,Politiken" (Kopenhagen) schreibt am Dienstag: ,,Kann dieser ewige Streit um die Zeichnungen eines gewissen Propheten nicht bald einmal aufhören? Nein, das kann er nicht. Es gibt immer noch Menschen, die wegen einer Zeichnung töten würden. Sollen die von uns, die zeichnen können, also aufhören, den Propheten zu zeichnen? Wir kennen die Argumente bis zum Erbrechen. Und das tun die Täter auch. (...) Ein Wettbewerb, Mohammed zu zeichnen - das kann zweifellos wie Mobbing wirken. Wenn viele Menschen es provozierend finden, ihren Propheten gezeichnet zu sehen - wieso weitermachen? Aber selbst, wenn es Mobbing ist, gibt es ihnen keinen Freifahrtsschein dafür, zu schießen oder zu töten."

Die niederländische Zeitung ,,De Telegraaf" schreibt: ,,Möglicherweise war (der Rechtspopulist) Geert Wilders die Zielscheibe. Der Vorsitzende der Partei für die Freiheit (PVV) steht auf einer Al-Kaida-Todesliste, die als Vergeltung für die ,,Beleidigung des Propheten" konsequent vollstreckt zu werden scheint.

Wilders reagierte schockiert. Das sei ,,ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Inakzeptabel", schrieb er am Montag in einer SMS an das niederländische Fernsehen. ...


Aus: "Nach Anschlag bei Ausstellung in Texas: Attentäter von Garland seit Jahren im Visier der Behörden" (05.05.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/nach-anschlag-bei-ausstellung-in-texas-attentaeter-von-garland-seit-jahren-im-visier-der-behoerden/11729496.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wir kommen aus zutiefst rassistischen Kulturen. Es ist ein Fehler, das zu vergessen. Die westliche Kult ist in Abgrenzung zum Wilden und Barbarischen entstanden. Wir glaubten, so viel weiter entwickelt zu sein, dass wir uns erlaubten, Menschen aus Afrika und anderen Ländern wie Hunde besitzen zu dürfen. ...

... Menschen denken mit Hilfe von Schubladen. Diese ordnen unsere Wahrnehmung. Und das ist auch sinnvoll. Allerdings besitzt der "gesunde Menschenverstand" viele Schubladen, die eine falsche Wahrnehmung erzeugen. Beispielsweise das Gegensatzpaar "Deutsch-Ausländer". Wenn ein Türkischstämmiger in Neukölln einer blonden Frau hinterherpfeift, halten viele das für eine Kennzeichen der "türkischen" Kultur. Wenn ein deutschstämmiger das selbe tut, ist er eben ein "Proll".

Dabei halten die meisten Türkischstämmigen das Nachpfeifen ebenfalls für respektlos, während viele Deutschstämmige es für harmlos bis witzig halten. Selbstverständlich lassen sich in "der" arabischen und türkischen Kultur frauenfeindliche Strömungen finden, aber wo nicht? Und auch in "der türkischen Kultur" wird (zu Recht) über so etwas gestritten, so wie hier gerade um den Rassismus in "der deutschen Kultur" gestritten wird. Große Teile der Gezi-Bewegung gehören zu einer Kultur, die so Sexismus benennt und angreift.

Das Wort "Kultur" hat heutzutage in Bezug auf Nationalitäten den Beigeschmack von Rasse, weil sie fälschlicherweise als einheitlich und homogen vorgestellt wird. "Die Kultur" Istanbuler Bildungsbürger ist der von Berliner Akademikern aber ähnlicher als der von türkischen Bauarbeitern.

...


Aus: "Von Louis CK Antirassismus lernen" Houssam Hamade (31.05.2015)
Quelle: http://www.heise.de/tp/artikel/45/45013/1.html