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[Der fabelhafte Supermarkt am Karlstal (Kiel Gaarden)... ]

Started by lemonhorse, February 27, 2007, 10:22:23 PM

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lemonhorse

Der Fabelhafte Supermarkt am Karlstal

Ich laufe um die Hausecke - die Linie 31 ist schon weg. Ich frage ich mich, ob ich einem guten Freund von dem Fabelhaften Supermarkt am Karlstal erzählen würde? - Ich glaube schon. Dort ist vieles anders als in  den anderen Kieler Supermärkten. Am Eingang stehen wilde verwegene Gestalten, Hunde, ältere Damen mit Stützstrümpfen - es ist fast immer was los. Kümmel studiert seit Jahren Pharmazie - er muss haufenweise Wissen für Prüfungen in sein Gehirn zwängen, um es nach der Prüfung nicht unbedingt mehr zu brauchen - manchmal treffen wir uns zufällig auf dem Wochenmarkt wenn ich Käse einkaufe - sein Fenster liegt direkt gegenüber des besagten Supermarktes. Als wir eines abends zufällig seinen selbstgemachten Chilliwodka köstigen, sagt Kümmel: aus dem Fenster gucken ist eigentlich wie Kino.

Ich erinnere mich: es hat dort sogar mal eine junge Frau mit einem eisernen Dauerlächeln Akkordion gespielt. Es war kalt und schon dunkel - der stechende Uringeruch war ihr egal.  Astrid sagte: "Die spielt in der Pissecke, unglaublich wunderbar!"

-.-

"Jetzt komm endlich!" so höre ich die heisere Stimme und mein Blick fällt auf den dazugehörigen Hals mit der Stacheldraht-Tätowierung. Eine weibliche Begleitperson läuft auf der Grenze zur Apathie ca. 3,8 Meter hinter ihm her.
Sein Blick fällt nun in die Gefriertruhe, er nimmt etwas in die Hand und sagt: "Hä? - gefrorene Bananen, oder was?!"

Mich als zufälligen Zeugen packt die Neugierde: ich laufe zu der Gefriertruhe - und tatsächlich: 3 grüne Bananen liegen steinhart in Folie eingeschweißt im Eisfach. Wurden die Bananen absichtlich oder aus Versehen in die Gefriertruhe gesteckt? - Dieses Geheimnis wird dieser SKY-Supermarkt wohl auf ewig für sich behalten.

-.-


In Kiel Gaarden ist der strahlend blaue Himmel und die existenzielle Höllennacht nah bei einander. Ich gehe zu Fuß - das letzte Klapperrad hatte ich vor ein paar Jahren - es wurde mir in der Elisabethstrasse geklaut, nachdem ich es an eine Hauswand gelehnt hatte um mal kurz Lenny zu besuchen. Eine halbe Stunde reicht und in der Elisabethstrasse findet ein Klapperrad einen neuen Benutzer. Im Grunde ist es befreiend, wenn einem das Rad abhanden kommt. Toke höre ich in Erinnerung dazu sagen: "Früher hat man Pferdediebe gehängt".

In der Elisabethstraße treffe ich Astrid. Ich nehme sie in der dunklen Seitenstrasse in den Arm und gebe ihr einen höflichen aber auch überschwänglichen Kuss auf die Wange. Astrid wirkt ein wenig wie eine Gräfin inkognito.
Astrid: Ich muss Dir den Dialog aus dem Bäckerei erzählen - du weißt schon, hier vorne bei SKY.

Astrid sagt: "Da sagt die Frau im Rollstuhl in einem ich-muss-ja-irgendetwas-sagen-Tonfall: "Ist ja bald Ostern" " ...Die Antwort der kräftigen Backwahrenfachverkäuferin hinter dem gläsernen Verkaufstresen (in einem Piss-mich-nicht-an-Tonfall) lässt nicht lange auf sich warten: "ja und?!" - So entspringt meinen Gehirnwindungen, dass eben dieses Verkaufsgespräch für mich das Verkaufsgespräch der Woche ist - da es ohne die obligatorische Nettigkeitsheuchelei auskommt.






lemonhorse

#1
[Dialog Anfang]

Astrid zur Backwahrenverkäuferin: "Haben Sie Franzbrötchen?"
Backwahrenverkäuferin: "Früher aufstehen."

[Dialog Ende]

lemonhorse

#2
Die Backwahrenverkäuferin gibt mir nicht direkt auf meine Frage hin das ein Euro-Ersatzstück (für den Einkaufswagen),  sondern fragt: "Wie heisst das Zauberwort?!" - "Das Zauberwort heisst *bitte*" antworte ich freudestrahlend, während der kleine Theo, der garade erst laufen kann, mit seiner Nase an die Glastheke drückt und von der Backwahrenverkäuferin ein Brötchen geschenkt bekommt - weil er eben so klein ist.

lemonhorse

#3
Auf dem SKY Supermarkt Förderband an der Kasse rollt der flache Karton mit kleinen Pflanzen. Der kleine Junge fragt den Käufer: "wie viel kosten die Kaktusse?". Der Mann in der zerissenen Lederjacke: "Weiß' nicht, aber das sind Kakteen".


lemonhorse

#4
Letztes mal hat er sich mit einer Frau gestritten, wer den Einkauf zu bezahlen habe. Die Frau fluchte: "jetzt soll ich alles bezahlen oder was!?!". Er kontert: "Jetzt hör' aber mal auf mit dem Scheiß!". Auch Punks werden alt.

Heute hat er den Rucksack schräg über die Schulter gehängt. Aus dem Rucksack stechen die zwei Angeln im Eingangsbereich des SKY Supermarktes optisch hervor. Die mollige Dame mit blondem Strubbelhaar und Kaffeebecher sitzt in einem voll elektrisierten Rollstuhl vor der Bäckerrei-Theke. Sie schüttelt verständnislos den Kopf, da der Angler-Punk seinem Freund draussen vor der automatischen Glas-Schiebetür lauthals zuruft: "Nee, gefangen habe ich nichts!"

lemonhorse

#5
Es steht nun jemand von einem Sicherheitsdienst mit einer dunkelblauen Jacke im Eingangsbereich, auf der deutlich irgendetwas mit Sicherheit zu lesen ist, an der Eingangstür und überwacht die Urinvermeidung in der näheren Umgebung der automatischen Schiebetür. Auch der Überwachungsbildschirm über den Einkaufswagen wurde modernisiert - die eigenen Überwachungsbilder darf die aufmerksame Kundschaft nun auf einem modernen Flachbildschirm in Farbe genießen. Ich vermisse jedoch den kleinen schmierigen schwarzweiß Fernseher. Er war für mich der Inbegriff für klassische Supermarkt Überwachungsästhetik.


lemonhorse

Hochachtung den Damen und Herren hinter den Kassenautomaten!
Wenn die Kunden stinken, pöbeln und selbstvergessen im Subuniversum der Wahrenwelt verweilen.
Bleiben jene die noch immer nonchalant die Produkte über den Laserscanner ziehen - oft genug
als Prellbock der Realität verkannt.

lemonhorse

#7
Es hat gebrannt. Selbst die rastlose Schiebetür bleibt nun bis zum 21.07.2008 geschlossen.

Textaris(txt*bot)

#8
Quote[...] Polizeipresse: Polizeidirektion Kiel:

[...] Am Montag gegen 20 Uhr erschien ein Mann an der Kasse des Aldi-Lebensmittelmarktes in der Augustenstraße und wollte einen Joghurt bezahlen. Nachdem die Kassiererin die Kasse geöffnet hatte, griff der unbekannte Täter in die Kasse, schubste die 45-Jährige beiseite und floh mit seiner Beute in unbekannte Richtung. Aufgrund der Gewaltausübung ist diese Tat als Raub einzustufen.

    Am Donnerstagabend kam es zu zwei weiteren Straftaten ähnlicher Vorgehensweise. Gegen 17.30 Uhr entwendete der Täter im Penny-Markt am Tilsiter Platz das Geld aus der Kasse und gegen 19.50 Uhr in der Elisabethstraße im dortigen Sky-Markt. In beiden Fällen war das Vorgehen gewaltlos, so dass dem Mann Diebstähle vorzuwerfen sind.

    Aufgrund der identischen Vorgehensweise und der durch die Kassiererinnen geäußerten ähnlichen Beschreibungen des Beschuldigten geht die Kriminalpolizei Kiel von einem Täter aus.

    Bei dem Mann handelt es sich um einen Deutschen im Alter von 20-25 Jahren, der etwa 175-180 cm groß ist, von schlanker Statur und dunkle Haare hat. Zu den Tatzeiten trug er eine olivgrüne Jacke und ein Basecap, in einem Fall war er mit einem Fahrrad unterwegs.

...


Aus: "POL-KI: 081121.4 Kiel: Zeugenaufruf nach Raub und zwei Gelddiebstählen!" (21.11.2008 | 15:36 Uhr)
Quelle: http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/14626/1306563/polizeidirektion_kiel

-.-

08.12.2008 | 14:49 Uhr
POL-KI: 081208.3 Kiel: Serie von Straftaten geklärt, Täter in Haft! (Folgemeldung 2 zur Pressemitteilung 081121.4)
http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/14626/1316535/polizeidirektion_kiel



lemonhorse

#9
Die Luft ist selbst im Supermarkt warm und feucht - wie kurz vor einem Gewitter. An der Kühltruhe steht eine dicke Mammi im gelben übergroßen schlabber T-Shirt und sagt: "Ich bin echt fettich, ich weiß nicht was ich einkaufen soll, gib mir mal den Alten..." und verdreht dabei genervt die Augen Richtung Deckenbeleuchtung. Dazu Piepst der Fandflaschen Automat unablässig seinen monotonen "Ich bin verstopft und kann nicht mehr komme bitte mal jemand"-Alarmton.
Die neue automatische Jugendschutz Unterstützung des Tabak Verkaufs hingegen ist da schon viel präziser. Jedes mal, wenn jemand die Klapptür des durchsichtigen Plexiglas Tabak Verkaufschrankes öffnet, ertönt eine freundlich ermahnende Computerstimme direkt neben der Kasse: "Tabakwaren bitte erst für Personen ab 18 Jahren" (oder so ähnlich) und wenn jemand die Tür nicht wieder verschlossen hat, so bittet die Computerstimme doch bitte wieder wieder die Klappe zu schlissen. Zur Not unentwegt. Computer haben keine Nerven. Sie werden auch nicht heiser. In Stoßzeiten wir die Klappe oftmals jede 2. Minute direkt neben der Kasse geöffnet. "Tabakwahren bitte erst für Personen ab 18 Jahren". Ich vermute so manche Kassiererin hört nach all den Wiederholungen des einen Satzes der Tabaktürstimme auch nach Ladenschluss noch das "Tabakwahren bitte erst für Personen ab 18 Jahren" Gebot im Halbschlaf. 

lemonhorse

#10
Wie schnell sich die Lage ändert: schon sind die Computerstimmen der Plexiglasbehälter aus dem Einzugsbereich der Supermarktkassen verschwunden - es wird mir zugetragen, das trotz der Tabakschrank-Computerstimmen zu viel der Tabakwaren durch die Kunden abhanden gekommen sei - und so die Kassiererinnen wieder das Rauchwerk persönlich freischalten bzw. den Kunden ausgeben. So schnell habe ich den Exitus der Tabaktürstimmen nicht erwartet.

lemonhorse

#11
Seit ein paar Wochen besorge ich mir jeden Morgen - bevor ich in die Linie 34 Steige und zur Arbeit fahre - einen Becher Joghurt.

Heute morgen fragte mich die freundliche Frau an der Kasse: "Na, heute kein Schnaps? - Kleiner Scherz."

Textaris(txt*bot)


Heaven - Wie im Himmel.
Ein Animationsfilm mit Knetfiguren,
inspiriert vom hiesigen Supermarkt an der Ecke.

Das Material der Kulisse ist vom Sperrmüll gesammelt.
Die Produkte sind Werbeanzeigen aus dem Treppenhaus-Zeitschriften entnommen.

Heaven (2012, Kiel Gaarden)
Medium: Super 8 (Ektacrome 100 D), Kamera: Nizo 801
Von Thomasio & Kerstin (via USB-Stick Handpost)

LINK >> http://www.subf.net/gaardistan/?p=638


Textaris(txt*bot)

#13
Nach der Renovierung des Supermarktes sagte die sehr aufmerksame und freundliche Kassieren zu mir: "Wir haben Jahre darauf gewartet. Alles ein bisschen schicker jetzt."
Aber das ist jetzt auch schon wieder lange her.

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Heute war es anders. Ich brauchte noch Käse und Schinken. Kein böses Wort, weil man mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig fährt. Der zweifache zärtliche Kurzhaar-Barfußblick vor dem Sky Supermarkt traf mich wie ein gebündelter Sonnenstrahl, der durch Birkenblätter gefiltert, auf eine Butter trifft, die gerade erst aus dem Kühlschrank geholt wurde. Fast alle Menschen im Supermarkt wirken heute wie keine Zombies. Eine Mutter küsst an der Kasse liebevoll ihren 8 Jährigen Sohn, der verlegen grinst, da er weiß, dass er geliebt wird. Was ist hier passiert - ich gehe durch die Freunde um mich herum seelisch geschmolzen zu Boden und jauchze leise in mich hinein. Eine Frau mit kurz rasierten Seitenhaaren, es waren schon ein paar graue dazwischen, obwohl sie sonst wie 19 wirkte, etwas angespannt, aber mit starkem Willen, liebt eine Frau in Gedanken, ich erhasche ihr Gefühl durch Mitfühlen. Junge Männer mit Dreadlocks rasen von Regal zu Regal und kichern in lachend heller Weltverbundenheit. Es ist unglaublich. Samstag 18:15

Lemonhorse, 2016

Textaris(txt*bot)

[Beobachtung | Supermarkt am Karlstal | Kulturtechnik des betreuten Ferneinkaufs]: Vor einem großen beleuchteten Eisschrank steht eine Frau und schiebt das Smartphone mit angeschalteter Kamera in den Kühlbereich zu den Produkten.