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[Vernunft (als unterstellte Fähigkeit)... ]

Started by Textaris(txt*bot), January 08, 2016, 02:05:48 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Der Mensch, so Ernst Jünger, sei nun einmal ein Bildertier. Er hungert nicht, wie die Linke glaubt, nach Gerechtigkeit. Er hungert nach mythischem Stoff.


Aus: "Donald Trump: Der Geist des Kapitalismus" Thomas Assheuer (10. November 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-11/donald-trump-kapitalismus-max-weber-georg-simmel/komplettansicht


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Quote[...] Max Horkheimer war ohne jede Frage ein Organisationstalent, heute würde man wohl sagen, jemand, der sich auf gutes Wissenschaftsmanagement verstand. Als Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main hat er in den 1930er Jahren einige der innovativsten und, wie sich später erweisen würde, einflussreichsten Denker seiner Zeit in ein interdisziplinäres Forschungsprojekt eingebunden. Dazu zählen Geistesgrößen wie Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Erich Fromm und Herbert Marcuse. Das Ziel, das diesen illustren Kreis von Forschern verband: die bestehende Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren, um herauszufinden, wieso sie nicht so vernünftig eingerichtet ist, wie sie es sein könnte.

... Sowohl in der "Dialektik der Aufklärung" als auch in seiner Arbeit "Zur Kritik der instrumentellen Vernunft" finden sich wegweisende Ressourcen, um Missstände im Mensch-Natur-Verhältnis zu untersuchen. Die Unvernunft oder Hybris, die Natur vollständig kalkulierbar, kontrollierbar und letztlich kommodifizierbar machen zu wollen, wird dort in sich widersprüchlich, wo Menschen sich in Zwangslagen verstricken, wo, frankfurterisch gesprochen, Naturbeherrschung in Naturherrschaft umschlägt. Man denke dabei an schwerwiegende Krisen im Mensch-Natur-Verhältnis wie den anthropogenen Klimawandel, der die überforderten Gesellschaften der Moderne schon heute zu Reaktionen zwingt. Dem "Einfluss der gesellschaftlichen Entwicklung auf die Struktur der Theorie", von dem es in Horkheimers Gründungsaufsatz "Traditionelle und kritische Theorie" heißt, dass er zum "Lehrbestand" der Kritischen Theorie gehört, muss in dieser Hinsicht von Neuem Geltung verschafft werden.

Die Kritische Theorie ist eine engagierte, auf Emanzipation gepolte Wissenschaft, die sich immer wider herrschende Formen von Unvernunft zur Wehr setzt. Diese Stoßrichtung wurde ihr von Horkheimer, ihrem Begründer, eingeschrieben und charakterisiert sie seither. Entsprechend muss, wo sich die Phänomene verschieben, die als widervernünftig zu bewerten sind, auch die Theorie selbst sich wandeln, um diese richtig aufspießen zu können.

...


Aus: "Immer wider die Unvernunft" Felix Kämper  (07.07.2023)
Quelle: https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/immer-wider-die-unvernunft-5724


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QuoteWachsblumenstrauß #4.1

Zeugt es nicht schon von übertriebener Angst, das man 70 Jahre nach Ende des NS-Spuk dieses Buch nur in kommentierter Ausgabe anbieten darf? In diesem Land traut man der Bevölkerung seitens der Oberen immer noch nicht über den Weg. Wie ein Kleinkind darf er das Buch nur mit Lesehilfe in die Hand nehmen.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5851532#cid-5851532

QuoteJulius090 #2 

Jahr 2016. Suchmaschine. Mein Kampf eingeben. Drucker anwerfen. Done.
Was soll dieses "TotenTanz" um dieses Buch ? ...


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850252#cid-5850252

Quote-aki-
#3.1

Ich habe das Buch vor einem halben Jahr in die Hände bekommen. Die ganzen Jahre hatte ich immer im Kopf dass es wirklich so sei - man schlägt es auf, und es zieht einen in seinen Bann, ob man will oder nicht. Nach ungefähr fünf oder sechs stichprobenartig aufgeschlagenen Seiten war klar: Das ist das dämlichste, dümmste, und primitivste was ich je gelesen hatte. Ich konnte es gar nicht glauben.

Ob es "schwache Seelen" immer noch verführen könnte? Selbstverständlich.

Deswegen wäre es ja auch wichtig, schwache Seelen stark zu machen, und hierfür braucht es mehr als die kritische Auseinandersetzung mit einem einzelnen Büchlein:

- Drei mal so viele Lehrer einstellen
- Klassengrößen auf 15 Schüler begrenzen
- Alle Lehrer und Erzieher machen eine Therapie-Ausbildung mit Eigentherapie

Das würde noch viel viel mehr Probleme lösen.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850620#cid-5850620

Quote
Frank-Werner #3.2

Das Problem ist: genannte "schwache Seelen" müssen sich auch "stark" machen lassen wollen. Und hieran hapert es bisweilen, da nutzen auch noch so viele Lehrer nichts.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850740#cid-5850740

Quotescg #3.3

Therapie-Ausbildung mit Eigentherapie? Und wozu soll das gut sein?

Im Übrigen wurde oben schon angemerkt: Das Buch kann man sich heute schon ohne Problem aus dem Internet ziehen, und wenn man in England oder in den USA in ein größeres Buchgeschäft geht, sieht man es dort auch freiverkäuflich im Regal stehen. Und "Erbstücke" stehen bestimmt auch noch in genug Haushalten, es ist daher nicht so, als würde es das erste Mal seit der Nazizeit einsehbar sein. Daher verstehe ich die Aufregung nicht so ganz...


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5851069#cid-5851069

Quote-aki- #3.5

"genannte "schwache Seelen" müssen sich auch "stark" machen lassen wollen. Und hieran hapert es bisweilen, da nutzen auch noch so viele Lehrer nichts."

Wenn die Lehrer so leistungsorientiert sind wie jetzt, und wenn das vermittelte Wissen so weit entfernt von der eigenen Existenz ist wie jetzt - dann sicher nicht. Wenn ich den ganzen Tag Dinge lernen muss die mich nicht interessieren, während es im Inneren gährt - dann sicher nicht.

Ich hatte einen vierten Punkt nicht erwähnt: Die geführte Erfahrung und das Wissen um die eigenen Emotionen sollte in Schulen an erster Stelle stehen. Heute ist es so dass man über alles etwas lernt, außer über sich selbst - absurder geht es nicht.

Wenn die eigenen Emotionen nicht mehr unter den Tisch gekehrt, sondern gewürdigt werden, dann ist die Motivation da, sich stark machen zu lassen. Wir müssen uns komplett von der Idee verabschieden dass die Schulen nur zur Wissensvermittlung, aber nicht zur Erziehung da sind. Das klappt niemals, denn die Eltern sind dazu einfach nicht in der Lage - weil sie es selber ja nie gelernt haben.

Idealerweise würde man als fünften Punkt noch eine Elternschule einführen, von deren Besuch der Bezug von Kindergeld abhängig ist. Auch Eltern zu sein wird in der Schule ja niemandem beigebracht.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5851447#cid-5851447

Quote-aki- #3.6

"Therapie-Ausbildung mit Eigentherapie? Und wozu soll das gut sein?"

Das soll dazu gut sein, den Teufelskreis der kollektiv von Generation zu Generation weitergetragenen Neurosen zu durchbrechen.

Wer angesichts der täglichen negativen Nachrichtenlage auf allen Ebenen anzweifelt dass unsere Gesellschaft das nötig hat, dem kann ich halt auch nichts mehr sagen.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5851467#cid-5851467

QuoteAntx #10

Habe mal reingelesen. Das biographische Geschwafel zu Beginn liest sich wie der Blog eines narzisstischen Teenagers. Haarsträubend, dass so ein Ungeist jemals vom Volk der Dichter und Denker zu ihrem Führenden erkoren wurde.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850297#cid-5850297

QuoteKnaake #9

Warum machen eigentlich alle immer noch so, als wäre Hitler irgendeine Art böser Magier gewesen, der durch irgendwelche magischen Worte das arme, arglose, deutsche Volk in Monster verwandelt hat? Bestimmt gibt es auch hier und heute Mitbürger die über ähnliche Fähigkeiten verfügen und ganz sicher gibt es welche die ähnliches verkünden. Nur läuft ihnen zur Zeit kaum jemand hinterher.
Hören wir doch endlich damit auf A. Hitler als eine Art Superschurke zu erhöhen: Der Mann war dumm, seine Weltsicht beschränkt und er wäre ohne seine Unterstützer und Anhänger ein armes Würstchen gewesen: Hitler war kein Schwarzmagier, und "mein Kampf" ist kein teuflisches Buch mit dem man zaubern kann.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850291#cid-5850291

Quotepro bono #14

Entgegen allgemeiner Ansicht ist die Dämonisierung Hitlers und seiner Reden, Schriften etc. eine der Hauptursachen dafür, dass der Gröfaz von einigen immer noch als "Faszinosum" wahrgenommen wird. Papst Ratzinger sagte, wer den Teulel leugne, leugne Gott. Die im katholischen Teufelsglauben wurzelnde Gruselliteratur hat einige der schönsten Gothic Novels hervorgebracht, und ebenso sind der Nationalsozialismus und die Person Hitlers immer noch eine wichtige Inspirationsquelle für Hollywood und die einzige Chance für deutschsprachige Filmschaffende einen Oscar zu erhaschen.
Der großartige Bruno Ganz wurde dafür kritisiert, dass er Hitler zu menschlich dargestellt habe. Völlig falscher Ansatz. Erst wenn wir erkennen, dass auch der Gröfaz eine - wenn auch grenzwertige - Ausdrucksform menschlicher Existenz war und eben kein überirdischer Dämon, erst dann erübrigt es sich, ihn zu verharmlosen oder gar zu glorifizieren.
Die Unmenschlichkeit existiert weiter.Der Versuch, sie in einer historischen Figur zu kondensieren und so quasi den Geist in der Flasche zu halten, greift zu kurz.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850327#cid-5850327

QuoteChrisDOHC #15

Ich sehe schon, die wenigsten haben das NS Thema durchschaut...
Nach 12 Jahren liegt die halbe Welt in Trümmer, 70 Millionen Tote- aber es waren ja alles nur Dumme armselige Trottel am Werk...
Nicht schlecht, so einfach kann man sich`s natürlich auch machen.
Wer Hitler als "dumm" bezeichnet, der sollte so langsam mal in sich gehen...


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850341#cid-5850341

QuoteProwinz #22

Ich habe ein neusprachliches Gymnasium besucht. Unser Deutschlehrer hat uns in der Unterprima (12. Klasse) bei einer Klassenarbeit einen Text aus "Mein Kampf" zur Analyse und Interpretation gegeben, in dem es um das Erlernen einer Fremdsprache ging; allerdings als Verfasser "Thilo Arfeld" angegeben. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt mindestens 3 Fremdsprachen gelernt und von 24 Schülern haben 23 das im Text vorgeschlagene Verfahren, nur ein "Grundgerüst" zu lernen, für unbrauchbar befunden.
Den wirklichen Verfasser hat man uns erst nach der Rückgabe verraten.

Ich ziehe noch heute den Hut vor dem Mut meines damaligen Lehrers. Wenn man das Buch lesen würde ohne den Verfasser zu kennen, wäre man nach einigen Seiten durch das inkompetente Geschwurbel ermüdet oder angewidert.


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850463#cid-5850463

Quoteenhardir #41

Ich bin überzeugt, würden die Medien nicht ständig über dieses Buch berichten, niemand würde sich dafür interessieren. Ausser ein paar Historiker vielleicht.
Für die, die es tatsächlich lesen wollten, die war der Text schon immer im Internet zugänglich.

Also was soll dieser Hype? Sollen hier etwa Verkaufszahlen gepusht werden?


http://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-01/hitler-mein-kampf-kommentar?cid=5850834#cid-5850834

...

Textaris(txt*bot)

#1
Quote... Die unterstellte Fähigkeit aller BürgerInnen zur Vernunft war der Schlüssel für aufklärerische Ideen wie persönliche Handlungsfreiheit, Bürgerrechte, Demokratie und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948. Seit bereits 250 Jahren gilt das Individuum grundsätzlich als vernunftbegabt. Deshalb ist es rückwärts gewandt, die Menschen da draußen (man selbst gehört glücklicherweise nie dazu) vor allem als im Zweifel dumpfe Masse zu betrachten. ...

Aus: "Kleinvieh macht Mist" Matthias Kraus (5. September 2018)
Quelle: https://www.ruhrbarone.de/kleinvieh-macht-mist/158198

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Quote[...] Der Begriff Vernunft bezeichnet in seiner modernen Verwendung die Fähigkeit des menschlichen Denkens, aus den im Verstand durch Beobachtung und Erfahrung erfassten Sachverhalten universelle Zusammenhänge der Wirklichkeit durch Schlussfolgerung herzustellen, deren Bedeutung zu erkennen, Regeln und Prinzipien aufzustellen und danach zu handeln. Soweit sich die Vernunft auf Prinzipien des Erkennens und der Wissenschaften richtet, spricht man von theoretischer Vernunft. Ist die Vernunft auf das Handeln oder die Lebenshaltung ausgerichtet, folgt sie den Prinzipien praktischer Vernunft, die sich in moralischen Fragen an Werten oder zur Erreichung von Effizienz am ökonomischen Prinzip orientieren kann.

Der genauere Inhalt des Begriffs der Vernunft wird in der Literatur unterschiedlich bestimmt. Er hat in der Kombination mit dem Begriff des Verstandes im Verlaufe der Geschichte von der griechischen Philosophie (Nous und Logos gegenüber dianoia) über das Mittelalter (intellectus versus ratio) bis in die Neuzeit einen Wandel erfahren.

... Das europäische Zeitalter der Aufklärung ist von dem Gedanken getragen, dass die Vernunft imstande ist, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Vernunftreligion soll die dogmatische Unterdrückung und den Autoritätsglauben der christlichen Religion überwinden und Freiheit und Wohlstand für alle bringen.

... Mit Kant kam endgültig der Vernunft ihre Bedeutung als dem gegenüber dem Verstand höheren Erkenntnisprinzip zu. Er definierte den Verstand als das an Sinneseindrücke gebundene, aposteriorisch arbeitende Erkenntnisvermögen. Bei der Vernunft unterschied er zwischen der (,,reinen") theoretischen und der praktischen Vernunft. Die theoretische Vernunft ist nach Kant die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, sich selbst zu prüfen und unabhängig von der Erfahrung zu den apriorischen Vernunftsideen (Seele, Gott, Welt) zu gelangen. In seinem Werk Kritik der reinen Vernunft versucht Kant vor allem, die Grenzen und die Bedingtheit der menschlichen Vernunft aufzuzeigen. Dadurch könne der Vernunftsbegriff von metaphysischen Spekulationen befreit und der Weg für eine wissenschaftliche Metaphysik geebnet werden. Kant trug damit wesentlich zu den heute praktizierten wichtigsten Methoden in der Wissenschaft bei, in der Theorienentwicklung und das empirische Experiment wechselseitig betrieben werden.

... In den Neurowissenschaften wird Verstand als fluide Intelligenz, d. h. die Fähigkeit zum logischen Denken und Problemlösen, aufgefasst. Die dafür zuständigen neuronalen Strukturen befinden sich im dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC). Wird dieser Hirnteil verletzt, verhalten sich die betroffenen Patienten ,,unintelligent" (bleiben z. B. stur bei einem Verhalten, obwohl sich die Situation stark geändert hat). Unter Vernunft werden die für ,,vernünftiges Verhalten" notwendigen Fähigkeiten verstanden, u. a. das Abschätzen von sachlichen und sozialen Handlungsfolgen, das erfahrungsgeleitete Aufstellen von Handlungszielen und die Kontrolle egoistischer Verhaltensimpulse. Die entsprechenden Strukturen sind vor allem im orbitofrontalen Cortex (OFC) lokalisiert. Personen mit Verletzungen in diesen Bereichen zeigen verstärkt ,,unvernünftiges" Verhalten (gehen z. B. große Risiken wider besseres Wissen ein).

...


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Vernunft (04.05.2016)


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nun bliebt abzuwarten, was für die Weilheimer im Falle eines Bürgerentscheids schwerer wiegt: die Vernunft und die nachvollziehbaren finanziellen und praktischen Argumente von Verwaltung und Gemeinderat oder Emotionen, Nostalgie und die Ablehnung einer Halle im Stadtkern. ...


Aus: "Vernunft versus Nostalgie" 
BIANCA LÜTZ-HOLOCH (23.04.2016)
Quelle: http://www.teckbote.de/nachrichten/weilheim-und-umgebung_artikel,-Vernunft-versus-Nostalgie-_arid,93307.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ich bin als Kind der Aufklärung aufgewachsen und hatte sogar das Glück, in einem Haus voller Bücher zu leben. Das hat meine Fantasie befeuert, wenn auch manchmal ganz anders als erwartet.

Ein Beispiel: Wie alle Vierzehnjährigen fand ich das Leben überwältigend und unerklärlich – also griff ich in den Bücherschrank und fand Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Ich hatte gehört, dies sei ein großes Buch, und ich hoffte, die Philosophie würde mir mein Leben erklären, in klaren Sätzen und Regeln.

Das Ganze war irgendwie erhaben und klang alles sehr beeindruckend, aber es machte mich ratlos. Mein Leben stand kopf, und das ganze System des großen Kant hatte nichts dazu zu sagen. Wie viele hoffnungsvolle Leser vor und nach mir legte ich das Buch enttäuscht zur Seite.

Und trotzdem war da diese Idee, in die ich mich – ich war schließlich im richtigen Alter – unsterblich verliebte: die Behauptung, dass ich einen Pfad durch diese chaotische Welt finden könne und dass die dafür nötige Landkarte nicht in einer heiligen Schrift zu finden sei, nicht in einer Bibliothek oder einem Mythos – sondern in mir, in meiner Vernunft. Einer Fähigkeit zu denken, die allen Menschen eigen ist, die so natürlich ist wie das Atmen.

Aus der ersten intellektuellen Liebe ist eine lebenslange, nicht immer reibungslose Beziehung mit dem methodischen Denken geworden, eine seltsame Fernbeziehung mit den leuchtenden Ideen von Leuten, die längst nicht mehr am Leben sind.

Die für mich wichtigste Begegnung dieser Art war die mit dem unwiderstehlich sinnenfreudigen und scharfsinnigen Denis Diderot im vorrevolutionären Frankreich, der als Herausgeber der großen Encyclopédie bekannt wurde, der aber in seinen Briefen, literarischen Texten und Essays ein radikal humanistisches Weltbild erschrieb und erdachte.

Diderot und die anderen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts lebten zu einer Zeit, in der die hellsten Köpfe gerade begannen, die ersten Atemzüge der Moderne zu spüren.

Bei ihnen lernte ich, dass weder die Aufklärung noch die Philosophie überhaupt aus einem Katalog von Lehrsätzen und dicken Büchern bestehe, sondern aus einer Landschaft von Debatten, Provokationen, Entwürfen und Experimenten. Philosophie ist, wie es die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch formuliert, "riskantes Denken".

In einer Welt, in der die Macht von Thron und Altar absolut war, wagten es diese Denker, alles um sich herum und in sich selbst infrage zu stellen und neu zu begreifen. Sie ließen sich durch Zensur und Geheimpolizei nicht einschüchtern, und sie riskierten sogar, durch ihre skandalösen Gedanken über Religion und über Menschenwürde zu Fremden im eigenen Land und in der eigenen Familie zu werden.

Trotz dieser oft sehr realen Gefahren erwies sich das klare Denken als unwiderstehlich und hat dadurch unsere Gegenwart geprägt: Menschenrechte, Liberté, Egalité, Fraternité , Life, Liberty and the pursuit of Happiness, Demokratie, Naturwissenschaft, die Befreiung der Sklaven, das Ende der Kirchenherrschaft und die Emanzipation der Frauen wären ohne sie buchstäblich undenkbar.

... Es hat in westlichen Ländern seit dem Ende des Totalitarismus keinen so weitreichenden und mächtigen Angriff auf die Aufklärung gegeben wie heute.

Die Aufklärung ist der Versuch, das kritische Denken und den Respekt vor Fakten höher zu achten als Meinungen, Vorurteile, Gefühle, Traditionen oder Dogmen. Dieses Prinzip ist plötzlich in die Defensive geraten:

In den Zeiten von Fake-News, in denen Faktenwissen von Filterblasen abgewehrt wird, ein amerikanischer Präsident sich selbst als Lügner täglich überbietet und in denen auch hierzulande "stichhaltige Gerüchte" bemüht werden, um die alte Mär von der jüdischen Weltverschwörung wieder wach zu kitzeln, muss man diesen Punkt nicht weiter ausführen.

Auch die universellen Menschenrechte sind längst zu einer rhetorischen Beschwichtigung zusammengeschnurrt. Denn selbstverständlich gilt global ein Zwei-Klassen-Menschenrecht. Wer im reichen Westen geboren ist, hat einfach mehr Rechte, mehr Freiheiten, mehr Chancen – und das auch auf Kosten anderer.

Christoph Ransmayr, kürzlich aus Ruanda zurückgekehrt, formuliert diesen Zusammenhang so: "Ohne die hier geschürften Erze und Seltenen Erden, ohne die Gold- und Silber- und Diamantenminen und unzähligen anderen Bodenschätze, ohne die hier eingebrachten Ernten, ohne die Arbeitskraft von Abermillionen Sklaven und Billigstlohnarbeitern wäre Europa wohl bis zum heutigen Tag noch längst nicht jenes Paradies, als das es in jenen Flüchtlingsströmen ersehnt und bewundert wird ..."

Dieses Paradies ist, wie alle Paradiese, bedroht. Das universelle Denken und die universellen Menschenrechte sind abgelöst worden vom Rückzug auf das Eigene, auf die Nation, die Grenze. Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind offensichtlich nur dann attraktiv oder durchsetzbar, wenn sie von hohen Mauern und Stacheldraht geschützt werden. Sie sind eben unsere Freiheit und unsere Gleichheit.

Aber was ist diese Freiheit wert, wenn sie darin besteht, nichts wissen zu müssen, nicht informiert sein zu müssen, sondern es sich wiederkäuend bequem zu machen? Und was ist die angemessene Reaktion auf Bürgerinnen und Bürger, denen offensichtlich ihre Mündigkeit lästig, Freiheit zu anstrengend und Gleichheit suspekt geworden ist und die eine gefühlte Wahrheit einer durchdachten vorziehen? ...

... Wir bewegen uns zwischen den Kulissen der Aufklärung wie Schauspieler mit dem falschen Text im Bühnenbild eines längst abgespielten Stücks.

Aber warum passiert all das gerade jetzt, zu einer Zeit, in der weniger Menschen hungern denn je, weniger Menschen gewaltsam sterben und in der in unseren Ländern mehr Wohlstand und mehr Sicherheit herrschen als je zuvor?

Weil es immer mehr Menschen mit der Angst zu tun bekommen.

Immer mehr Menschen fürchten den Verlust von Besitz und Status, den Verlust einer vertrauten Welt, den Verlust der Hoffnung. Immer mehr Menschen sehen eine wachsende Kluft zwischen der offiziellen, liberal geprägten Wirklichkeit und dem, was sie selbst erleben.

Die globale Wirtschaftsordnung ist zu einer bitteren Parodie der aufgeklärten Gedanken mutiert, auf die sie sich beruft. Sie ersetzt die Rationalität durch die Rationalisierung, den Universalismus durch den globalen Markt, die Freiheit des Menschen durch die Wahl der Konsumenten zwischen Produkten und die Gleichheit durch statistische Normierung. Bürgerrechte werden zu Garantieleistungen, denn in dieser Welt braucht man keinen Pass, sondern eine Kreditkarte.

Im globalen Maßstab hat diese Parodie der Aufklärung alte soziale Strukturen zertrümmert und hat, um mit dem polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman zu sprechen, eine "flüssige Moderne" geschaffen, in der Gesellschaften, Märkte, Ökosysteme und Identitäten in dauerndem Aufruhr sind.

Diese Parodie erklärt einen Teil der Angst, die in unsere Gesellschaften sickert.

Zur Veränderung kommt die Verlogenheit. Politiker und Ökonominnen sprechen von Wirtschaftswachstum, von Innovation und Produktivität, von Vollbeschäftigung und Wohlstand, aber gleichzeitig verdienen immer weniger Menschen immer mehr, während immer mehr Menschen begreifen, dass es für sie keine bessere Zukunft gibt, dass sie zwar für das System funktionieren müssen, das System aber nicht für sie.

Immer mehr Menschen spüren, dass die künstliche politische Idylle der Nachkriegszeit vorbei ist, dass die Geschichte zurückgekehrt ist nach Europa, mit all ihren längst überwunden geglaubten Schattenseiten, und mit ihr auch ihr Lebensabschnittsgefährte, der alles beherrschende Markt.

So wird die Zukunft nicht mehr als Verheißung, sondern als Bedrohung erlebt. Wir werden nicht noch reicher werden, noch sicherer und noch privilegierter. Die schönste Hoffnung unserer Gesellschaften ist es deswegen geworden, Zukunft überhaupt zu vermeiden und in einer nie endenden Gegenwart zu leben.

Diese Zukunft aber kommt längst zu uns: in Form warmer Winter und cleverer Algorithmen, aber auch zu Fuß oder in Booten, in Gestalt von Menschen. Reiche Gesellschaften können sich Zeit kaufen, um große Veränderungen hinauszuschieben, aber sie kaufen sie auf Kredit von ihren Kindern.

... Erwachsenwerden heißt immer, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Angesichts der Politik von Angst und Hass, die sich auch in Europa immer weiter ausbreitet, ist es an der Zeit, zu begreifen, dass neben der Erderwärmung heute noch ein weiterer Klimawandel stattfindet, ein Wandel derjenigen zivilisierten und oft ungeschriebenen Regeln und Haltungen, durch die Demokratie erst möglich wird.

Eine liberale Demokratie ist eine sehr junge und fragile Regierungsform, ein historisches Experiment mit offenem Ausgang. Demokratie in unserem Sinn gibt es auch in vielen Ländern Europas überhaupt erstmals seit wenigen Jahrzehnten, und in manchen wird sie längst aktiv ausgehöhlt. Sie ist kein Naturzustand, sondern läuft immer Gefahr, selbst zur Kulisse zu verkommen, zum Legitimisierungstheater für Autokraten.

Aufklärung ist riskantes Denken. Wir, die Erben, wollen dieses Risiko nicht mehr eingehen. Wir wollen eigentlich keine Zukunft, wir wollen nur, dass unsere privilegierte Gegenwart nie aufhört, obwohl sie zusehends um uns herum bröckelt und gespalten wird.

Um das, was kommt, nicht zu erleiden, sondern zu gestalten, bedarf es nicht nur neuer Technologien und Effizienzsteigerungen, keiner hohen Mauern und keiner Abschreckung, sondern einer Transformation des westlichen Lebensmodells, denn erst wenn Menschen wieder einen realistischen Grund zur Hoffnung haben, wird die Angst verschwinden.

Dafür brauchen wir den Mut, wieder etwas zu riskieren beim Nachdenken über die Welt und über die eigene Position in ihr. Die Aufklärung ist nötiger denn je, aber nicht in ihrer rationalistischen Verengung oder ihrer ökonomischen Parodie.

Für meinen besonderen Freund, den Enzyklopädisten Denis Diderot, war die Erfüllung des Lebens schon Mitte des 18. Jahrhunderts nicht die Rationalität, sondern die volupté, die Sinnlichkeit, die Lust.

Wir leben nicht aus Vernunft allein; wir verdanken unser Leben buchstäblich dem Begehren, dem Eros, der uns täglich antreibt weiterzumachen, der uns den Mut gibt, Rückschläge zu überwinden, neue Möglichkeiten zu suchen, mit anderen zu kommunizieren.

... Ich bin Mensch, weil ich begehre, weil ich mit anderen Menschen mitempfinde; und ich kann nur dann gut leben, wenn auch andere es tun. Und plötzlich entsteht aus dem Begehren eine Ethik. Das aufgeklärte Denken beginnt, zu unserer Leidenschaftlichkeit zu sprechen – und sogar zu unserer Angst.

...


Aus: "Sind wir noch die Kinder der Aufklärung?" Philipp Blom (1. August 2018)
Quelle: https://www.zeit.de/2018/32/philipp-blom-salzburger-festspiele-aufklaerung-rede-warnung/komplettansicht

QuoteBlues Man #32

Aus dem Blickwinkel eines privilegierten Bourgeois lässt sich gut Reden schwingen.
Wenngleich mir der Text eigentlich gut gefallen hat, aber ich kenne auch die andere Seite, das proletarische Sein und, ohne pathetisch wirken zu wollen, den Kampf ums tägliche Brot.
Und aus dem Blickwinkel stellt sich die Welt ganz anders dar.
Aber das wird der Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele und das elitäre Publikum niemals nachvollziehen können.


Quotekannnichtsein #32.1

das proletarische sein kenn ich auch, der text ist auch aus diesem blickwinkel richtig.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die unterstellte Fähigkeit aller BürgerInnen zur Vernunft war der Schlüssel für aufklärerische Ideen wie persönliche Handlungsfreiheit, Bürgerrechte, Demokratie und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948. Seit bereits 250 Jahren gilt das Individuum grundsätzlich als vernunftbegabt. Deshalb ist es rückwärts gewandt, die Menschen da draußen (man selbst gehört glücklicherweise nie dazu) vor allem als im Zweifel dumpfe Masse zu betrachten. ...

... Die weitschweifige Annahme einer diffusen Masse führt zu nichts Gutem. In meinem Job erzeugt sie platte (und übrigens auch sexistische) Werbung ... . In der Politik führt sie, zusätzlich geboostet von postmoderner Gruppendenke, zu abgehobener Ahnungslosigkeit auf der einen Seite und zu Radikalisierung auf der anderen. Die gute alte Aufklärung jedenfalls geht anders: Anerkennen des Individuums. Austausch von Argumenten. Alternativen sehen. Sich Mühe geben. Mehr verdammte Demokratie wagen.

...


Aus: "Kleinvieh macht Mist" Matthias Kraus (5. September 2018)
Quelle: https://www.ruhrbarone.de/kleinvieh-macht-mist/158198

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wir werden reizbar und sehr fokussiert, wenn wir hungrig sind. Wir schalten die Vernunft ab, wenn wir sexuell erregt sind. ...


Aus: "Mit Vernunft durch den Lockdown" (27.01.2021)
Quelle: https://www.die-wirtschaft.at/die-wirtschaft/mit-vernunft-durch-den-lockdown-204529

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Quote[...] Gerade jetzt, zur Hauptsaison des Wintersports, sind die Einschränkungen für viele besonders hart. Sportler und Erholungssuchende lockt es als Alternative hinaus in den Wald. Für heimische Wildarten wie das Reh kann dies unter Umständen drastische Folgen haben. Die Tiere sind ständig auf der Flucht vor Wanderern und verbrauchen schnell ihre Energiereserven. Das kann zur tödlichen Gefahr werden. Die Jägerschaft im Landkreis Cham appelliert deshalb an Spaziergänger und Wintersportler, Rücksicht auch auf die Tiere in Wald und Feld zu nehmen, indem sie Verbote respektieren. Zwingend erforderlich ist, sich nicht abseits von öffentlichen Wegen zu bewegen und so die Wildtiere in der kalten Jahreszeit zu schützen. ...


Aus: "Wildtiere in Not: Jäger appellieren an die Vernunft der Wanderer" (28. Januar 2021)
Quelle: https://www.mittelbayerische.de/region/cham-nachrichten/wildtiere-in-not-jaeger-appellieren-an-die-vernunft-der-wanderer-20909-art1975771.html

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Quote[...] Das Ordnungsamt der Stadt war laut Schröder mit mehreren Teams in der Silvesternacht im Stadtgebiet unterwegs. Auch hier fällt Schröders Fazit mehr als positiv aus. ,,Vereinzelt gab es Hinweise, denen wir nachgegangen sind", berichtet Schröder, der in der Silvesternacht selbst eine der blauen Jacken des Ordnungsamtes angezogen habe und die Kolleginnen und Kollegen im Einsatz unterstützte. ,,Beispielsweise haben wir eine Gruppe Jugendlicher in Lendringsen kontrolliert. Alle haben sich einsichtig gezeigt. Ohne jede Aggression", freut sich Schröder. ...


Aus: "Menden: Bürgermeister dankt für Vernunft an Silvester" (04.01.2021)
Quelle: https://www.wp.de/staedte/menden/menden-buergermeister-dankt-fuer-vernunft-an-silvester-id231264102.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Der Erste Weltkrieg war gerade elf Jahre lang vorbei, als die Stabilität der ,,Goldenen Zwanziger" ein schnelles Ende nahm. 1929 crashte in New York die Börse und stürzte die Welt in eine Wirtschaftskrise. Schon ein Jahr später waren in der Weimarer Republik mehr als drei Millionen Menschen arbeitslos und ihre Zahl stieg immer weiter.

Die Unzufriedenheit mit der Regierung wuchs, das spiegelte sich in den Wahlergebnissen der Reichstagswahlen wider: 1928 stimmten noch 2,6 Prozent der Wählenden für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), im September 1930 waren es schon 18,3 Prozent. Damit war die NSDAP die zweitstärkste Kraft im Reichstag, weniger als drei Jahre später wurde Hitler Reichskanzler. Die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik war ihren Gegnern nicht mehr lange gewachsen.

Im Oktober 1930 sollte der Schriftsteller Thomas Mann in Berlin eigentlich ein Kapitel seines neuen Romans vortragen, entschied sich aber dagegen. Es waren moralische Gründe, die ihn dazu brachten, stattdessen am 17. Oktober 1930, heute vor 97 Jahren, in der ,,Deutschen Ansprache - Ein Appell an die Vernunft" gegen den aufkommenden politischen Extremismus zu plädieren. Nach einer politischen Analyse fragte er, ob der Fanatismus und damit die ,,Verleugnung der Vernunft" wirklich ,,deutsch" seien und sprach sich für die Sozialdemokratie aus. Seine Worte lösten Tumulte durch anwesende SA-Männer aus. Es war schon die zweite politische Äußerung des Schriftstellers, und es sollte nicht die letzte sein.

Mann verließ seine Heimat 1933, kurz vor Hitlers Machtübernahme. Aus dem Exil in den USA hielt er ab 1940 monatliche Ansprachen im Radiosender der BBC unter dem Titel ,,Deutsche Hörer!": In insgesamt 60 Reden kommentierte er den Kriegsverlauf und die Verbrechen des NS-Regimes, sprach die Deutschen direkt darauf an und fragte: ,,Wisst ihr das? Und wie findet ihr es?" So appellierte er bis 1945 weiter an die Vernunft seiner Hörer:innen.


Aus: "Heute vor 93 Jahren: Ein Plädoyer für die Vernunft" Eine Kolumne von Lili Wolf (17.10.2023)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wissen/heute-vor-93-jahren-ein-pladoyer-fur-die-vernunft-10630666.html

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Deutsche Hörer! ist der Titel einer Reihe von 55 Radioansprachen Thomas Manns, die das deutsche Programm der BBC zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 meist regelmäßig einmal monatlich ausstrahlte. Hinzu kamen einzelne Sondersendungen sowie eine letzte Ansprache zu Neujahr 1946.
Es handelte sich um fünf- bis achtminütige, pointiert formulierte Reden, in denen der Autor sich mit der politischen Lage Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus befasste, das Kriegsgeschehen kommentierte und mahnende Worte an seine Landsleute richtete. Eine erste Sammlung mit 25 Sendungen wurde 1942 als Buch veröffentlicht, ein zweites Buch umfasste 1955 55 Texte.
Nachdem Thomas Mann in unterschiedlichen Publikationen gegen den Nationalsozialismus warnend Stellung genommen hatte, so in seinem Appell an die Vernunft von 1930, setzte er diese Form von Mahnungen mit den Ansprachen fort.
Seine Reden gehen von der Differenz zwischen den Deutschen (bzw. ihrer Kultur) und dem Nationalsozialismus aus, eine Grundüberzeugung, die sein politisches Denken während des Exils bestimmt hat. Tendenziell zielen sie darauf, den deutschen Hörern diese Differenz bewusst zu machen und sie dadurch zum Widerstand gegen Adolf Hitler zu bewegen. ... Die Fanatisierung vieler Deutscher durch die Propagandareden Joseph Goebbels' und die scheinbare Identifizierung mit dem Nationalsozialismus schienen den Glauben Thomas Manns an die Widerständigkeit der deutschen Kultur bisweilen Lügen zu strafen; in einigen seiner Reden lassen sich mitunter Spuren von Resignation feststellen. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_H%C3%B6rer!

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... Eine Naturreligiosität, Elemente des Ausschweifend-Orgiastischen, die romantische Barbarei, wie später in der großen Deutschland-Rede ausgeführt, der Zusammenhang von romantisierender Philosophie und Nationalismus – all diese Motive seien unverkennbar. Und doch frage er sich, ob es wirklich deutsch sei, Politik zum ,,Massenopiat des Dritten Reiches" zu machen, ,,Budengeläut, Halleluja, derwischmäßige(s) Wiederholen monotoner Stichworte." Der Fanatismus und die orgiastische Leugnung der Vernunft seien in der tieferen Wesensschicht des Deutschtums wohl nicht zu Hause.  ... Er habe sie [die Rede] Appell an die Vernunft genannt, als er, seine Natur überwindend, in die politische Arena gestiegen sei, obwohl sie lediglich ein ,,Appell an alles bessere Deutschtum" gewesen sei, wie er im November 1941 in einer der Radioansprachen Deutsche Hörer! betonte. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Ansprache

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