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[Der biografische Blick ... ]

Started by Textaris(txt*bot), March 10, 2021, 03:53:56 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote"Jeder bleibt ein Kind seiner Zeit."

(Voigt im Interview mit Jana Hensel zu 'STIERBLUTJAHRE' - Jutta Voigts lesenswerter Rückblick auf die Boheme des Ostens, 2016)

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Quote" ... Wer auf dem Globus zu jener Milliarde Menschen gehört, die akut Hunger leidet, sieht die Weltwirtschafts-"Ordnung" eben mit anderen Augen als der durchschnittliche Europäer. Wer als Geringverdiener für die SPD Plakate klebt, wird die Verhältnisse hierzulande anders beurteilen als jene Genossen der Schröder-Ära, deren Parteikarriere vor allem mit einer privaten Finanz-Lebensplanung verknüpft ist. Ein sozialdemokratischer Gewerkschafter mit hochdotiertem Aufsichtsratsposten hat natürlich einen anderen ökonomischen Standpunkt als ein "Hartz-IV-Empfänger" oder ein prekärer Freiberufler. ...  Auch das gehört zu den Erkenntnisgewinnen der Aufklärung: Es kommt ... ganz entscheidend auch darauf [an], WER jeweils mit welchen Augen die Weltgeschichte betrachtet. ..."
Aus: "Und die Sozialdemokratie danach?" Peter Bürger (27.06.2012)
Quelle: http://www.heise.de/tp/blogs/8/152275

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Quote[...]  Andrea Schwyzer: Frau Naumann, wir Menschen wollen Bilder erschaffen. Warum? Welche Wirkmacht haben sie auf uns?

Henrike Naumann: Es ist spannend, dass Sie das fragen, weil ich selber, obwohl ich Künstlerin bin, gar nicht gerne Bilder erschaffe, sondern eher versuche sie einzuordnen. Das hängt auch damit zusammen, wie ich groß geworden bin: Ich bin in der DDR geboren und habe die Wende als Kind erlebt. In den 90er-Jahren kamen ganz viele neue Bilder und Ästhetiken aus dem Westen, die mit den Bildern, die ich aus der DDR kannte, geclasht sind. Daraus entstanden Reibungsflächen. ...


Aus: ""Die Macht der Bilder": Zwischen Radikalisierung und Ästhetik" (08.03.2021)
Quelle: https://www.ndr.de/kultur/Die-Macht-der-Bilder-Zwischen-Radikalisierung-und-Aesthetik,naumann244.html

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Quote[...] Als Joseph Roth 1939 im Pariser Exil starb, hatte er einen weiten Weg hinter sich: Geboren 1894 im ostgalizischen Städtchen Brody, am äußersten Rand des Habsburgerreichs gelegen, brach er früh nach Westen auf, nach Wien, Berlin und Frankfurt. Als Starjournalist reiste er durch ganz Europa und schrieb stilistisch brillante Reportagen mit pointierten Analysen.
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Aus: "Eine Lange Nacht über Joseph Roth: ,,Böse, besoffen, aber gescheit"" Eva Pfister (04.07.2015)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/eine-lange-nacht-ueber-joseph-roth-boese-besoffen-aber.704.de.html?dram:article_id=321824

Quote[...] Am 27. Mai 1939 starb Joseph Roth, noch nicht 45 Jahre alt, in einem Pariser Armenhospital. An seinem Grab standen Juden, Katholiken, Kommunisten, Monarchisten. Alle hielten sie ihn für einen der Ihren. ...


Aus: "Der Schriftsteller Joseph Roth: Vom Untergang der alten Welt" Beatrix Novy (02.09.2019)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/der-schriftsteller-joseph-roth-vom-untergang-der-alten-welt.871.de.html?dram:article_id=457767

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Quote[...] Als ich zuletzt meine Mutter bat, ihre Erinnerungen zu notieren, entgegnete sie: "Ach was. Das lohnt sich nicht." Dabei ist ihr Leben Stoff für drei Romane. ...


Aus: "Schreiben ist Selbstermächtigung" Daniela Dröscher (26. Juni 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-06/biografie-autor-herkunft-gesellschaft-ansehen-schreiben-autobiografie/komplettansicht

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QuoteB. Till Raether@TillRaether

Wie fändet ihr euch als Romanfigur?

9:42 vorm. · 10. März 2021

https://twitter.com/TillRaether/status/1369569355932000264

Textaris(txt*bot)

#1
Quote[...] Wolfgang Thierse hat Recht, wenn er sagt: Wir müssen uns Mühe geben, an einem gesamtgesellschaftlichen ,,Wir" zu arbeiten, wenn wir nicht riskieren wollen, dass unsere Gesellschaft in viele Splittergruppen zerbricht, die sich nicht verstehen oder gar gegenseitig bekämpfen. Was Thierse nicht sagt: Momentan gibt es in Deutschland vor allem eine dominierende Gruppe, die das ,,Wir" gepachtet hat ... Die deutsche Gesellschaft ist aber viel pluraler und vielfältiger als dieses ,,Traditions-Wir" es sich vorstellen kann. Unsere Aufgabe ist es nun, die Mauern aus Privilegien, die nur diese eine Gruppe hat, aufzubrechen und neue Perspektiven, neue Gedanken zuzulassen. ...


Aus: "Erwiderung auf Wolfgang Thierse: Privilegien und Machtpositionen als solche erkennen" Ein Kommentar von Anna Seibt (25.02.2021)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/erwiderung-auf-wolfgang-thierse-privilegien-und.720.de.html?dram:article_id=493179

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Quote[...] In der Debatte um Gesine Schwan und Wolfgang Thierse scheint mein Geist zu einer unzeitgemäßen Leistung fähig: Ich verstehe alle Beteiligten. Die Älteren und, man muss es in Teilen auch als Generationenkonflikt lesen, die Jüngeren. Vielleicht lasse ich mir das patentieren.

[Ein Hagel von Vorwürfen - In der SPD ist unversehens ein scharfer Streit über Identitätspolitik ausgebrochen ... Zoff zwischen Wolfgang Thierse, 77, früher Bundestagspräsident, und der Parteispitze, Saskia Esken und Kevin Kühnert. https://taz.de/Ein-Hagel-von-Vorwuerfen/!5751303/]

Was ich nicht tue: Eine Unterteilung in Identitätspolitik und etwas anderes vorzunehmen. Was sollte dieses andere sein? Wer hat keine politische Identität? Thierses politisches Denken ist geprägt von seiner Biografie und der Teilung Deutschlands. Das heißt nicht, dass man beim Biografischen stehen bleibt. Nur – weshalb ist bei den einen ,,Biografie" in Ordnung und bei den anderen nur Mittel zum Zweck?

Thierse wird seine ostdeutschen Lebenserfahrungen und die daraus gezogenen intellektuellen Schlüsse immer in seine Werturteile einbeziehen. Doch bei Minderheiten wird die Biografie plötzlich zum Vorwurf. Sie trübe den Blick. Das Trübende liegt wohl eher daran, dass der migrantische Blick nicht deutsch ist, wie man deutsch gewohnt ist. Man möchte ,,diesen anderen biografischen Blick" nicht im gesamtdeutschen Kontext gleichwertig diskutieren müssen, so wie man die ost- und westdeutschen Biografien diskutiert.

Minderheiten hatten jahrzehntelang kein öffentlich zur Kenntnis genommenes Geistesleben in diesem Land. Das ist auch ein Versagen meiner Generation. Wir, die kurz vor den Millennials Geborenen, wachten nach dem 11. September in einer neuen Welt auf. Dann kam die Finanzkrise. Wir sicherten uns irgendwie ab, gerade wenn wir Kinder von Einwanderern waren. Wir mischten uns kaum hörbar ein.

[Gesine Schwan (SPD) über Identitätspolitik,,Welt und Sprache kann man nicht nach dem Reißbrett machen" Die Gesellschaft ist nach Ansicht von SPD-Politikerin Gesine Schwan immer bunter und ungleicher geworden. Das habe sehr viele Verletzungen geschaffen, sagte sie im Dlf. Darauf müsse man positive Antworten finden, aber auch pragmatisch sein – etwa beim Thema Sprache und Gendern. Gesine Schwan im Gespräch mit Tobias Armbrüster] https://www.deutschlandfunk.de/gesine-schwan-spd-ueber-identitaetspolitik-welt-und-sprache.694.de.html?dram%3Aarticle_id=493607 (05.03.2021)

Ich verstehe Thierse. Und Schwan. Sie verdienen Respekt. Doch warum provozieren sie die Jüngeren nur, statt auf Augenhöhe zu reden? Thierse selbst eröffnete die Debatte, erklärte die Positionen der Jüngeren, die sich derzeit medial Gehör verschaffen, für zersetzend. Teile seiner Partei positionierten sich gegen ihn, was in einer pluralistischen Demokratie, die er sich ja in seinem Artikel wünscht, normal sein sollte.

Er reagierte so, wie es aus seiner Sicht die Jüngeren tun: verletzt. Er bot den Parteiaustritt an und sicherte sich so breite Solidarität. Die Debatte, die er führen wollte, beendet er dadurch. Denn natürlich will niemand Thierse ausschließen. Doch wer in einem Diskurs Positionen angreift, muss damit rechnen, auch Ablehnung zu erfahren.

Die Generation Thierse und Schwan ist es gewohnt, mit Einwandererkindern meiner Generation zu tun zu haben. Wir haben jahrelang freundlich dankbar genickt, wenn Deutsche sagten: ,,Ja, auch Ausländer sind Mitbürger." Wir haben nicht gefragt: ,,Kriegen wir dann auch den Job im Ministerium?" Oder: ,,Wenn unsere Eltern Mitbürger sind, warum kämpft ihr dann nicht für die doppelte Staatsbürgerschaft? Wann dürfen sie wählen?"

Meine Generation waren die Kinder der Geduldeten, oft Gastarbeiter ohne Bürgerrechte. Wir wurden selbst erst spät deutsche Staatsbürger. An der Unis waren wir noch Ende der Neunziger unter einem Prozent. Mit uns hatten linke Deutsche leichtes Spiel. Gute linke Deutsche, das waren jene, die Humanität predigten, aber was Teilhabe angeht, nie Konsequenzen zogen.

Aus dem Zusammenspiel der Generation Thierse, der Alt-68er und meiner Generation erwuchs der Missstand, den wir heute sehen. Ein Viertel der Deutschen haben Migrationshintergrund, doch in Regierungen, Ministerien, Verwaltungen findet man uns kaum. [https://www.tagesspiegel.de/politik/die-elite-ist-weiss-und-kommt-aus-dem-westen-ostdeutsche-und-nachfahren-von-migranten-in-spitzenjobs-unterrepraesentiert/26309102.html]

Ja, die Jüngeren sind wütend. Auch mir ist das manchmal zu popkulturell, zu laut und zu sehr USA. Doch es ist trotzdem möglich, sie zu verstehen, ihren Argumenten etwas entgegenzusetzen, statt ihnen nur zu unterstellen, sie wollten die Gemeinsamkeit zersetzen. Es ist möglich, ihnen recht zu geben, wo die Fakten auf ihrer Seite sind.

Es wundert mich sehr, dass ein Politiker wie Thierse, der selbst viel Widerstand geleistet hat, nicht sagen kann: Meine Positionen sind mit 77 Jahren vielleicht aus eurer Sicht alt. Wo steht ihr und warum? Thierse und Schwan wollen hingegen stur recht behalten und suchen den Applaus der Mehrheit. Wie einfach, wo doch die Jugend politisch gegen die Boomer-Generation ohnehin schwach dasteht.

Im Kern haben die Konfliktparteien einiges gemeinsam. Sie kämpfen um Bürgerrechte. Um Pluralismus. Wo ist die Gelassenheit des Alters, auf die Jugend zuzugehen und zu fragen: Was geschieht bei euch, was ich offensichtlich nicht kenne? Das wäre Dialog.

Doch Thierse fordert in seinem Artikel, Diversitätsbeauftragte sollten zugleich Gemeinsamkeitsbeauftragte sein. Das zeigt, wie wenig Kenntnis er von der Materie hat. Natürlich haben Diversitätsbeauftragte den Auftrag, Pluralität zu einem Gemeinsamen hin zu gestalten. Dafür muss man Pluralität aber zulassen.

Vieles ist schwierig an den neuen Diskursen von links: etwa unsaubere Vergleiche mit den USA statt eigener, deutscher Konzepte. Das Schaffen von ,,Safe Spaces", die öffentlich finanziert werden sollen – eine demokratische Öffentlichkeit funktioniert aber nicht wie eine Selbsthilfegruppe.

Die unbearbeitete Wut auf die Mehrheit. Toni Morrison erzählte, ihr Vater sei so wütend gewesen über den Rassismus der Weißen, dass er ,,defensive ­racism" praktizierte. Seine Wut tat ihr weh. Es gibt immer eine Wut der Minderheiten auf die Mehrheitsgesellschaft, weil das, was man als ,,Normalität" bezeichnet, immer auf die Mehrheit zugeschnitten ist. Was den Minderheiten abgeschnitten wird, bemerken nur die Minderheiten.

Die Wut der Jugend ist eine tickende Zeitbombe. Die Wütendsten sind nicht auf Twitter. Die Wütendsten sind jene, die denken: ,,Hanau, das hätte meine Schwester, mein Bruder sein können." Ihnen reicht es mit dekorativem Antirassismus.

Thierse und Schwan könnten doch einmal erklären, warum die Teilhabe aller nicht jahrzehntelang oberste Priorität hatte? Warum musste man auf die Wut derer warten, die heute nicht mehr nur reden, sondern endlich auch Wandel sehen wollen?


Aus: "Debatte um Minderheiten: Redet doch miteinander!" Kolumne von Jagoda Marinić (10. 3. 2021)
Quelle: https://taz.de/Debatte-um-Minderheiten/!5752570/

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wir sind wirklich hoffnungsvoll gestartet. Wir – damit meine ich die Kinder der Achtziger, geboren irgendwann zwischen Ende der Sechziger und Mitte der Siebziger in der BRD. Dieses Wir ist natürlich ein hypothetisches, konstruiert aus ganz persönlichen Erfahrungen und einem naturgemäß völlig unvollständigen Datenabgleich.

Die erste Generation ohne direkte Auswirkungen eines Krieges, von den alten Nazis in der Familie, der Nachbarschaft und dem Schuldienst mal abgesehen. Es ging ums Wohlstandsichern, Häuschen abbezahlen, sich was leisten können. Offiziell herrschte Frieden, aber wir changierten in einem merkwürdigen Zustand aus Bequemlichkeit und Bedrohung. Der uns allerdings nicht zu irgendwelchen Aktivitäten veranlasste, wir hockten stattdessen drinnen vor dem Fernseher und zogen uns die Welt vom Sofa aus rein. Die RAF bombte sich noch unter letzten Zuckungen durch die Republik, Kriegstreiber Reagan stationierte Pershings in Deutschland und wir hockten in unserer bundesdeutschen Innerlichkeit und heulten bei ,,E. T. – Der Außerirdische".

Wir sind noch zwischen Blöcken aufgewachsen, in einer binären Welt – da fiel die Orientierung deutlich leichter. Anfang der Achtziger, zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses und den Protesten gegen Brok- und Wackersdorf, haben wir als Kinder noch blind alles inhaliert, heiß gewünscht und toll gefunden, was aus den USA kam: Musik, Süßkram mit klebriger Erdnussbutter, Jeans, die einen nicht gar so birnenförmig erscheinen ließen.

Natürlich gab es unter uns auch die, die dann später Anwälte geworden sind – weniger aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern damit der Konsum nie wieder aufhören muss. Die, die nur auf Kohle aus waren, gab's halt immer.

Keine Ideale zu haben ist viel leichter zu erfüllen. Wer kein blinder Konsument sein wollte, der war halt irgendwie links. Dafür reichte es schon, dass man die Amis nicht ganz so toll und die Sowjetunion nicht ganz so scheiße fand. Man musste sich einfach nur bequem irgendwo einfädeln, denn die Wege der echten Rebellion waren bereits kindersicher für uns vorplaniert: Die 68er waren jetzt Lehrer und bei den frisch gegründeten Grünen, die Friedensbewegung war genauso erfunden wie die Proteste gegen Atomkraft. Und der Punk war längst schon wieder tot.

Es war nicht mehr ungewöhnlich, dass beide Eltern arbeiteten, wir bekamen also den Haustürschlüssel mit Paketkordel um den Hals gehängt und durften fortan zu Bürozeiten unbeobachtet jung sein, nach Schulschluss die klebrigen Liköre aus Papas Hausbar austrinken und keine größere Not haben als die der eigenen Hormone, des nächsten Konsums und der dringende Wunsch, jemanden zu finden, mit dem man zu Tracey Chapman knutschen kann.

Moden und Gesinnungen gab es zuhauf im Angebot, man musste sich nur eine aussuchen und sich dementsprechend uniformieren. Mufflige Wildlederjacke vom Flohmarkt als Ausweis dafür, dass wir zu den Guten gehören, Poloshirts mit hochgestelltem Kragen und dem kleinen Krokodil auf Brusthöhe für die anderen. Zum Bund oder Zivi, Lehre oder Studium, Interrail oder Lloret de Mar – das waren erst mal die dringendsten Fragen.

Wir demonstrierten hin und wieder gegen eine damals glücklicherweise noch überschaubare Anzahl von Nazis – bis die Wende kam. Ihr im Osten hattet zwar keine richtigen Jeans und auch keinen richtigen Sozialismus, aber dafür eine richtige Revolution. Ihr habt euch 1989, ganz im Gegensatz zu uns, wirklich was getraut, und wir standen da mit unserer risikoarmen Westarroganz und machten ein dummes Gesicht. Wir knutschten und vögelten den aus dem anderen Deutschland mal einen Sommer lang als gegenseitige Trophäenjagd, aber so richtig warm wurden wir trotzdem nicht miteinander.

Wir kreisten mit dem Walkman auf den Ohren, abgekoppelt auf der eigenen Umlaufbahn, während ein paar gleichaltrige Nerds – die Ersten, die lieber mit Pacman auf dem heimischen Fernseher statt mit echten Menschen interagierten – auf der anderen Seite des Atlantiks beschlossen, einen Golem namens Google zu erschaffen, um sich bald sämtliche Informationen der Welt untertan zu machen. Aber das wussten wir damals noch nicht. Auch Tschernobyl konnte uns nicht aus unserer Bräsigkeit reißen. Ich erinnere mich noch, als ich vom Uni-Asta frisch politisiert und die Gesinnung zwischen Infoladen und Bauwagenplatz zum Sixpack gestählt, in einem Anti-AKW-Camp herumhing und ankettungswillig an den Bahngleisen den Castortransport herbeisehnte, der dann nicht kam.

Stattdessen lauschten wir abends andächtig den Vorträgen verhärmter RAF-Veteranen, die selbstgedrehte Kippen zwischen ihren gelben Fingern hielten und ex cathedra von der Isolationshaft referierten, dem bewaffneten Kampf und dem Bullenstaat.

Jetzt sind wir alle um die fünfzig, und ich kann mich nicht erinnern, dass unsere Generation irgendwas Bleibendes gerissen hätte – weder musikalisch noch literarisch noch gesellschaftlich. Wir haben nichts erfunden, nichts gegründet, die Welt wirklich nicht vorangebracht.

Auch das erbärmlich-hilflose X als Bezeichnung ist mehr Krücke als Ausdruck eines Lebensgefühls. Höchstens: Ein Satz mit X – war wohl nix. Natürlich gibt es viele ehrenwerte Menschen, die Ärzte oder Lehrer geworden sind, ein paar Journalisten oder Schauspieler sind auch dabei – aber sonst?

Wir haben halt ein bisschen rumprobiert, dabei aber vor allem uns selbst im Blick. Die meisten verkrochen sich mit Eintritt ins Steuerzahleralter zurück in die dröge Innerlichkeit ihrer Jugend, diesmal im geerbten Haus mit selbst gefliester Terrasse.

Viele haben inzwischen Jobs mit aufgeblasenen, englischen Bezeichnungen, verkaufen irgendwas und gucken auf ihren Firmenfotos im Anzug willensstark in die Kamera.

Muss ja. Immer war irgendwer schneller als wir, und jetzt werden wir auch noch mit Karacho von hinten überholt: Die Klimakids, LGBTQ, Gendergerechtigkeit, MeToo und endlich mal ein ernstzunehmendes Aufbegehren gegen Rassismus in den Institutionen. Kam alles nicht von uns.

Anstatt zum ersten Mal so etwas wie Größe zu zeigen, dass jemand das tut, was wir uns immer als Privileg eingefordert hatten, nämlich, es besser zu können, werden wir stattdessen auch noch knurrig. Natürlich fanden wir Fridays for Future am Anfang toll. Es ist großartig, junge Menschen für eine gute Sache demonstrieren zu sehen, wenn man sich selbst auch noch heimlich dazu zählt. Bösen Konzernen irgendwas wegzunehmen – da sind wir natürlich dabei. Theoretisch.

Aber wir als Kreateure und Kreaturen des perfekten Konsums sollen uns selbst auch noch immer grenzenloser verfügbare Freuden verkneifen? Ach komm, hört doch uff, man kann's auch übertreiben! Gemeinschaft und Solidarität haben wir verwöhnten Solisten einfach nicht wirklich gut drauf. Diese Kids mit ihrer heiligen Ernsthaftigkeit im Verzicht machen uns auch ein bisschen Angst: Veganismus, selbst wenn keiner hinguckt, Lastenrad statt Sitzheizung im lausigen November und nicht mal ein sexistischer Witz, wo wir doch alle wissen, dass es gar nicht so gemeint ist? Richtig ernsthaft können wir nämlich gar nicht so gut, Zynismus beherrschen wir besser – den kalten, abgefuckten Sound der Achtziger.

Natürlich sind wir für Gleichberechtigung. Ich war schon Feministin, als sie noch Emanzen hießen. Gendern ist völlig o. k. Aber mit Augenmaß, Kinder – überall diese Gendersternchen, das sieht ja aus wie Einschusslöcher, so kann man doch kein Buch mehr lesen! Macht uns doch unsere heimelige, duale Welt nicht gleich kaputt. Wahrscheinlich kommen wir auch deshalb auf ,,nicht binär" nicht gut klar. Muss jetzt jeder persönlichen Spielart mit größtmöglichem politischem Tamtam Rechnung getragen werden?

Das denken wir heimlich, wenn keiner hinguckt, und schämen uns, weil wir auf den nicht mehr vorplanierten Wegen alles andere als trittfest sind. Wenn wir ehrlich sind, sind wir schon längst die alten weißen Männer. Irrlichtern wie Catweazle durch eine unübersichtlich-diverse Welt, der wir uns immer noch halsstarrig verweigern, weil wir sie nicht selbst gestaltet haben. Unsere Kernkompetenz ist der Trotz. Natürlich wollen wir zu den Guten gehören, aber trotzdem auch mal ganz sorglos grillen. Das haben wir uns verdient – wir sind schließlich schon länger da.

Die Hälfte unseres Lebens haben wir jetzt schon hinter uns. Also immer noch genügend Zeit, um endlich mal Größe zu zeigen und neidlos die nächste Generation vorzulassen. Die es einfach besser draufhat. Oder um vielleicht selbst doch noch etwas zu reißen.


Aus: "Trotz der Generation X: Als die Zukunft noch egal war" Tania Kibermanis (1. 6. 2021)
Quelle: https://taz.de/Trotz-der-Generation-X/!5771625/

Quotekditd gestern, 23:22

Die Babyboomer waren doch eigentlich die in den 50ern und 60ern, also nach dem Krieg und vor dem sogenannten Pillenknick, Geborenen.

Die Kritik an der politisch sehr unauffälligen Generation X (um 1970 geboren) soll davon unberührt bleiben. Soweit ich mich erinnere, waren wir um 1990 in einem hedonistischen Augenblickstraum befangen, trotz Tschernobyl, daß alles irgendwie besser werden würde. Auch sicher "Popper" gegen "Zecken", im Westen jedenfalls. Dann kam Nu-Metal und 9/11 und seitdem hört der Irrsinn nicht mehr auf. Ich glaube, diese Stille aus der Ecke der Generation X ist zum Teil einfach ein Weltschock - von den Ereignissen überrollt. Das kann doch alles gar nicht so Kacke sein, bin ich irgendwo falsch abgebogen?

Kleine faule Ausrede: In Deutschland ist das mit dem was Reißen nicht ganz so einfach, noch nie gewesen. Die Strukturen, die wir nicht geschaffen haben, sondern die 68er, inklusive der Versteinerung und Verkrustung von derer ganzen Ich-will-Alles-Mentalität, die irgendwann sich im SUV-Kaufen äußerte, hat es uns sicher nicht leichter gemacht, was zu reißen. Vielleicht sind wir zu sehr damit beschäftigt, mit Hartz 4 und alleinerziehend irgendwie nicht unterzugehen, als daß wir zur Großrevolte inspiriert wären.  ... Dann fiel die Mauer und damit die sichere Weltordnung und Rot-Grün kam an die Macht, baute aber nur Scheiße. Wogegen sollten wir noch protestieren?

Wir sind irgendwie dazwischen, das ist richtig. Das ist alles nicht so richtig unseres, weder das vorherige noch das Nachkommende. Ein permanenter, irgendwie mit Gaffatape zusammengehaltener, manchmal ganz schöner, oft fassungsloser Schwebezustand des Lebens. Eine innere Isolation, ein Schutzkokon gegen den verstörenden Weltwandel. So ist das wohl.

(Trotzdem: Macht weiter, FFF, wir sind im Stillen bei euch. Ihr seid Spitze.)


...

Textaris(txt*bot)

#3
Generation X dient seit den frühen 1950er-Jahren als schlagwortartige Bezeichnung für eine Reihe unterschiedlicher Generationen bzw. Bevölkerungskohorten, denen von den jeweiligen Autoren jeweils unterschiedliche Charakterisierungen zugeschrieben werden.
Die Bezeichnung Generation X, auch als Gen X abgekürzt, bezieht sich konkret auf die den Baby-Boomern folgende Generation. Sie wird vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum für eine Generation benutzt, die von den mittleren 1960er bis in die frühen 1980er Jahre geboren wurden. Die gängigste Definition umfasst die Jahrgänge 1965 bis 1980, es gibt aber auch abweichende Positionen (so umfasst die Gen X etwa nach den US-amerikanischen Autoren William Strauss und Neil Howe die Jahrgänge 1961 bis 1981). Popularisiert wurde der Ausdruck speziell durch den 1991 erschienenen Roman Generation X von Douglas Coupland. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Generation_X_(Soziologie)

Nach Couplands Einschätzung ist für diese Generation charakteristisch, dass sie sich erstmals ohne Kriegseinwirkung mit weniger Wohlstand und ökonomischer Sicherheit begnügen muss als die Elterngenerationen, aber andererseits für deren ökonomische und ökologische Sünden büßt. Der Roman erzählt ,,Geschichten von der Katerstimmung im Amerika nach der auf Pump veranstalteten letzten großen Sause unter Reagan und Bush" (Deutschlandfunk) über eine Generation mit ,,zu vielen Fernsehern und zu wenig Arbeit" (Newsweek). Coupland kritisiert mit seinem Schlüsselroman die Wohlstandsgesellschaft der Vorgänger-Generation, die ,,mit 30 stirbt, um mit 70 begraben zu werden". Ursprünglich sollte der Begriff Generation X andeuten, dass sich diese Generation bislang erfolgreich der Benennungswut von Werbeindustrie und journalistischem Gewerbe entzogen hat. Couplands Buch erreichte die Bestsellerlisten und der Titel wurde zum Schlagwort für die bis dahin unbenannte Generation. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Generation_X_(Roman)

GENERATION X: SELBST- UND FREMDBESCHREIBUNGEN EINER GENERATION. EINE LITERATURWISSENSCHAFTLICHE STUDIE Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.)  durch die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vorgelegt von Guido Jablonski aus Sevelen (2002)
https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2629/629.pdf



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Quote[...] Der Romantitel ,,Allegro Pastell" geht auf die Allegro-Grundschule in Berlin-Tiergarten zurück, in der das Training der Badminton-Abteilung des TSV GutsMuths Berlin stattfindet. Sowohl die weibliche Hauptfigur Tanja Arnheim als auch Randt selbst trainieren dort. Das Wort ,,Pastell" bezieht sich unter anderem auf die Pastelltöne der Website, die Jerome Daimler seiner Freundin zum Geburtstag schenken möchte. Jeromes Vater Jürgen Casper Daimler lernt im Roman seine neue Lebensgefährtin Beate über ein Online-Datingportal kennen. ...


https://de.wikipedia.org/wiki/Leif_Randt (31. Januar 2021)

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Quote[...] Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 07.03.2020: Doris Akrap liest Leif Randts neuen Roman als genaue Abbildung der Lebensverhältnisse derer, die diesen Roman lesen. Das hippe, aufgeklärte Paar im Text, das ständig auf der Suche nach Wohlfühlmomenten ist, begegnet Akrap in der U-Bahn und im Club, am Flughafen oder im Spar – also dauernd. Wie Randt dieses sehr gewöhnliche Dasein der deutschen Mittelschicht sprachlich fasst, findet Akrap stark. Mehr als eine treffende Milieustudie, meint sie, ein Sittengemälde der Berliner Republik im freien Fall. ...

https://www.perlentaucher.de/buch/leif-randt/allegro-pastell.html

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Quote[...] Eva und Thomas trennen sich auf Seite 236. Eva nimmt ihre Tasche und geht. Thomas tut wieder nichts so richtig. Acht Jahre waren sie ein Paar. Dann fällt Eva das kleine Alustück der weggeworfenen Kondomverpackung im Badezimmermülleimer auf. Und das frisch bezogene Bett. Daraufhin ist Schluss.

Fortan gehen die beiden getrennte Wege, versuchen jeweils auf ihre Art zu verkraften, dass der erste große Lebensentwurf gescheitert ist, bevor er richtig begonnen hat. Thomas stürzt sich in eine Beziehung mit seiner Kollegin Rose. Eva leidet und arbeitet viel.

Die Rollenverteilung in Anna Brüggemanns Debüt ,,Trennungsroman" steckt voller Klischees: die entschlossene Frau, der zögernde Mann. Eva ist die überengagierte Freundin, Thomas das übergroße Kind. Ein Riesenbaby, das nicht so richtig erwachsen werden will. Stets reagierend, nie initiierend. Ohne Antennen dafür, wie sehr Eva unter seiner Lethargie leidet.

Anna Brüggemann seziert eine Paarbeziehung, deren Bruch und die Zeit danach. Aus der Mikroperspektive beschreibt sie jedes noch so kleine Gefühl. Kein Gedanke bleibt ausgespart oder den Leser:innen selbst überlassen. Anders als beispielsweise in Leif Randts Roman ,,Allegro Pastell", der im weitesten Sinne auch ein Trennungsroman ist und Anfang-30-Jährige bei ihrer ersten ernst zunehmenden Sinnkrise begleitet, stehen Handlungen und Statussymbole bei Brüggemann selten für etwas Größeres.

Wenn Randts männliche Hauptfigur Jerome mit dem Tesla fährt und so mindestens eine gewisse Überheblichkeit gepaart mit ironisch angehauchtem Klimabewusstsein ausstrahlt, nimmt Thomas das Rennrad – ohne Subtext. Bei Eva ist es ähnlich: Obwohl sie Kulturanthropologin ist, hat sie keinen kurzen Pony, sondern ,,mittellange, mittelblonde" Haare. Gegenwartsphänomene bei Brüggemann: Fehlanzeige. Es sei denn, man hält dieses bürgerliche Biedermeier für ein solches.

Bisher ist Anna Brüggemann vor allem als Schauspielerin hervorgetreten. Sie ist nicht die Erste in ihrem Metier, die sich nun an einem Buch, einem Roman versucht. Schreibende Schauspieler:innen haben gerade Konjunktur, von Franka Potente über Andrea Sawatzki oder Matthias Brandt bis hin zu Edgar Selge, der in diesem Herbst einen Kindheitsroman veröffentlicht. Mit ihrem Bruder Dietrich, der zuletzt als Mit-Initiator der #allesdichtmachen-Aktion in der Kritik stand, hatte Anna Brüggemann allerdings schon früher Drehbücher verfasst.

Darunter das zu der Komödie ,,3 Zimmer/Küche/Bad" aus dem Jahr 2012. Diese handelt von einem dem ,,Trennungsroman" ähnlichen Freundeskreis . Es wird in diesem Film viel umgezogen, gestritten und betrogen. Wobei die darauffolgenden Trennungen nicht ganz so schwermütig wirken wie die von Eva und Thomas.

Dafür scheint seit ,,3 Zimmer/Küche/Bad" die Zeit stehen geblieben zu sein. Zwar wird im ,,Trennungsroman" ab und zu mal eine SMS geschrieben, aber die Handlung ist erstaunlich analog. Das Paar und seine Freunde rümpfen beim Gedanken an Dating-Apps noch die Nase. Thomas lernt seine Affäre nicht bei Tinder kennen, sondern bei seiner Arbeit im Krankenhaus, und Eva findet nach dem Ende der Beziehung schnell eine Dachgeschosswohnung am Rand des Tempelhofer Felds.

Und weiter im bildungsbürgerlichen Biedermeier: Eva liest gerne ,,eine dicke Wochenendzeitung", die sie jeden Donnerstag vom Kiosk holt, ihre Mutter ist eine bekannte Journalistin. Beide haben Uniabschlüsse, sichere Jobs, keine Geldsorgen. Außerdem will Thomas Vater eine 4-Zimmer-Eigentumswohnung in Schmargendorf spendieren.

Ihre Konflikte dagegen sind bodenständig oder belanglos. Der Sex ist abgedroschen, Thomas hat vergessen einzukaufen, und bei einem Badeausflug an den Plötzensee ist es eigentlich viel zu kalt, um sich romantisch zu fühlen.

Brüggemann selbst ist 40 Jahre alt. Sie hat die Lebensphase hinter sich, in der alles vor einer Abzweigung zu stehen scheint: Kinder, Ehe etc. – oder gibt es doch noch jemanden, mit dem man mehr Spaß haben könnte, der einen unkonventionelleren Alltag verspricht? Und warum unbedingt im Doppelpack? Ist man allein nicht viel freier? Weniger allein?

Eva könnte stereotypisch für eine Generation junger Frauen herhalten, die schon mit Anfang 20 wissen, dass Karriere und Kinder schwer zu vereinbaren sind, die ahnen, dass am Ende noch die Küche lauert und sie es sein werden, die den Großteil der Carearbeit erledigen müssen – trotz aufmunternder Ankündigungen von ihren vermeintlich woken Lebenspartnern. Das aber thematisiert sie nicht.

Stattdessen bewegt Eva sich geradewegs auf die Frühverspießerung zu. Auf dem Weg zum vermeintlichen Ziel, dem ersten Kind und ultimativen Familienglück mit Thomas, wird sie immer angespannter, verhärmter, nervöser. Thomas hinkt stets zwei Schritte hinterher. Auch auf ihm lastet die Erwartung, als Arzt im Krankenhaus zu performen, seine Eltern zufriedenzustellen. Eine ,,biologische Uhr" hat er aber nicht – und keine gleichgeschlechtlichen Vorbilder.

Der Konflikt, den Brüggemann beschreibt, hat durchaus eine politische Dimension. Doch die bleibt weitgehend unkommentiert. Stattdessen kreist die Handlung stetig um die eigene Achse, zeichnet die profanen, allzu bekannten Unannehmlichkeiten des Alltags nach – und verharrt darin.


Aus: ",,Trennungsroman" von Anna Brüggemann Paar ohne Eigenschaften" Joana Nietfeld (22.06.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/trennungsroman-von-anna-brueggemann-paar-ohne-eigenschaften/27303396.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] "Und natürlich danke ich meinen Ex-Freunden: Ihr habt mir Stoff für Jahre im Voraus geliefert." So lautet Mary Millers Danksagung auf der letzten Seite ihres Kurzgeschichtenbandes "Always Happy Hour". Damit schlägt sie schon außerhalb der Geschichten den Ton an, der ihre Literatur ausmacht: gutgelaunter Fatalismus.

... "Erste Klasse" heißt sie und erzählt von zwei Freundinnen, die - wie eigentlich alle Figuren dieses Bandes - spüren, dass sie an den falschen Dingen, Menschen, Routinen festhalten. Miller schreibt von dieser Einsicht und lässt uns gleichzeitig an den Momenten teilhaben, die ein Festhalten verständlich machen: Denn natürlich ist im falschen Leben nicht alles falsch. Auch in verkorksten Konstellationen stellen sich Momente der Schönheit, Sinnlichkeit und Fröhlichkeit ein. Nur können solche Momente Millers vielleicht allzu gern lamentierende, aber doch kluge Figuren nicht täuschen:

Das hier ist nicht mein Leben oder zumindest nicht das Leben, das ich führen sollte, deshalb kann ich so tun, als wäre es meins. Was ich dabei ignoriere, ist die Tatsache, dass dieses Leben mit jedem Tag mehr und mehr zu meinem wird, zu meinem echten Leben, während das, das ich eigentlich führen sollte, in immer weitere Ferne rückt und eines Tages unerreichbar sein wird.

... In diesem Clash zwischen Wunsch und Wirklichkeit findet Mary Miller [ ] ihren Ausgangspunkt, um so vieles zu erkunden, was das Leben ausmacht: Selbsterkenntnis und Selbstironie, die faule Hoffnung, irgendwann werde sich schon von allein alles ändern, aber eben auch die Nähe, die sich - ganz plötzlich und ohne guten Grund - zwischen zwei Menschen einstellen und sich ziemlich famos anfühlen kann.

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Aus: ""Always Happy Hour": Gutgelaunter Fatalismus von Mary Miller" Marie Schoeß (07.06.2021)
Quelle: https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Always-Happy-Hour-Gutgelaunter-Fatalismus-von-Mary-Miller,miller220.html

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Quote[...] Mary Miller: ,,Always Happy Hour"
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Hanser Berlin, Berlin 2021
192 Seiten


Die Autorin Mary Miller erzählt in ihrem zweiten Kurzgeschichtenband ,,Always Happy Hour" von weißen Mittelstandsfrauen Anfang dreißig in den USA. Ihr Leben besteht aus Sex, Bier, flapsigen Kommentaren und jeder Menge Selbstzweifel.

Was tun, wenn man keine existenziellen Probleme hat, zugleich aber auch die nicht sehr glamouröse Aussicht, dass alles immer so weiter geht? Die jungen Frauen in Mary Millers zweitem Erzählband ,,Always Happy Hour" beantworten diese Frage mit Biertrinken, Rauchen, Kiffen und Pillen schlucken. Dazu kommen Affären, Kontakte mit Menschen, die ihnen gleichgültig sind – und Minderwertigkeitsgefühle.

So lebt die namenlose Schriftstellerin in der Erzählung ,,Eins nach dem Anderen" als Writer-in-Residence eine Zeit lang in einem Herrenhaus der Universität, an der sie auch unterrichtet. Ihre Tage und Nächte verbringt sie damit zu zählen, wie viele Monate sie noch ein festes Gehalt bekommt. Nachts steigt sie betrunken aufs Dach oder schleppt Männer ab.

... Für viele wäre das Dasein dieser Protagonistin wohl ein erfolgreiches: eine Autorin Anfang 30, die von ihrem Schreiben leben kann und sich nimmt, was ihr gefällt. Nun ist ökonomischer Erfolg keine Garantie für Zufriedenheit. Aber woraus ihre existenzielle Leere besteht, bleibt unklar.

In den elf Kurzgeschichten, die ,,Always Happy Hour" vereint, erzählt die Autorin Mary Miller von Frauen aus der Mittelschicht, die um sich selbst kreisen und kaum Interesse haben an Veränderungen. Themen wie Emanzipation oder Feminismus liegen nah, aber darum geht es in diesen Geschichten nicht. Die Probleme der Frauen und auch ihre Ursachen sind allerdings schwer greifbar.

Über ein paar selbstreflexive Kommentare zu ihrem Leben kommen die Protagonistinnen nicht hinaus: ,,Ich denke an all das, was es bei mir zu Hause sonst noch gibt – große Flachbildschirme (...) und drei verschiedene Sorten Blue-Bell-Eiscreme – und dass mir das alles nichts bedeutet", heißt es in ,,Big Bad Love".

Die Erzählerin arbeitet in einem Heim für misshandelte Kinder und langweilt sich in ihrer Ehe. In der Einrichtung hat sie Zugang zu dem stimulierenden Medikament Adderall, das zur Behandlung von ADHS eingesetzt wird. Sie nimmt es regelmäßig. Warum? Um die Zeit totzuschlagen.

Es sind die Konventionen des vermeintlich richtigen Lebens, an dem sich die Figuren unhinterfragt orientieren: in einer Beziehung sein, einen Seelenverwandten finden oder mit der guten Freundin einen Kurztrip nach Miami machen. Dass der Mann sie nicht mehr liebt oder sie ihn nicht mehr, die Seelenverwandtschaft eine online angebahnte Sex-Sache ist und sie die Freundin eigentlich nicht ausstehen können, nehmen sie dafür in Kauf.

... Mary Miller schreibt amüsant und in einem so flapsigen Ton über diese desinteressierten Frauen, dass eine einzelne Erzählung durchaus ein Lesevergnügen sein kann – auch wegen des einen oder anderen zynischen Kommentars. Als Sammlung erscheinen die Texte hingegen zum Teil oberflächlich und redundant.

Weder unterscheiden sich die Erzählstimmen noch die Themen und Horizonte der Protagonistinnen. Am Ende des Buches bedankt sich die Autorin bei all ihren Ex-Freunden, die ihr Stoff für Jahre im Voraus geliefert hätten. Und mehr steckt dann wohl auch nicht dahinter.


Aus: "Mary Miller: ,,Always Happy Hour: "Gepflegte Langeweile" (19.08.2021)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/mary-miller-always-happy-hour-gepflegte-langeweile.950.de.html?dram:article_id=501832

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Quote[...] These: Vielleicht ist Mary Miller, Texanerin, Anfang 40, so etwas wie die frühere Judith Hermann der USA. Sie hat ein feines Gespür für die diskursiven Schwingungen, die sie im banalen Alltag einfacher Amerikanerinnen (und Amerikaner) ausmachen kann; sie hat es mit einem Roman probiert, ist aber merklich auf der Kurzstrecke zu Hause und dort nahezu unschlagbar; sie ist die Repräsentantin einer Generation, die – hier beginnen die feinen Unterschiede – unterhalb der Mitte steht, also eher ,,White Trash" ist als akademisches Prekariat, und von der alten New Yorker Intelligenzija ist Miller so weit entfernt wie, sagen wir, Judith Hermann vom Nobelpreis für Literatur.

Obwohl, man weiß ja nie. ,,Always Happy Hour" heißt etwas platt Millers neues Buch. Es heißt allerdings schon im Original so (die Übersetzung von Stefanie Jacobs ist wie gewohnt nahezu fehlerfrei) und ist bereits 2017 erschienen.

Die Geschichten ähneln in der Grundstruktur denen, die Miller schon in ihrem ersten Band ,,Big World" gesammelt hatte: Geschichten aus dem einfachen Leben junger Frauen aus der amerikanischen Provinz – und ihrer Probleme mit sich selbst samt den dazugehörigen Männern. ,,Always Happy Hour" verfolgt dabei ein Konzept: Es sind Beziehungsgeschichten, Geschichten über Freunde und Ex-Freunde, und als solches ist das Buch auch explizit den Ex-Freunden der Autorin gewidmet.

Wobei man annehmen darf, dass die enthaltenen elf Geschichten eher Fallbeispiele sind als eins zu eins aus dem Leben der Autorin gegriffen. Einzig ,,Eins nach dem Anderen" ist eine autofiktionale Geschichte und vielleicht auch deswegen die stärkste. Hier erzählt Miller von ihrer Stipendiatinnenstelle an irgendeiner südstaatlichen Provinz­uni; sie erzählt, wie sie in Gedanken ihre Studenten verführt, während ihr ,,Freund" weit weg ist, und sie erzählt, wie sie mit der Langstrecke, also dem Roman hadert.

,,Das Haus liegt hinter einem großen Tor, auf vierzig hügeligen Hektar Land. Meine Freundin Leslie sagt, das Grundstück sei früher mal ein Cherokee-Friedhof gewesen; ein Mann, der mit mir ins Bett will, behauptet, hier im Wald würde der Geist von Geeshie Wiley herumspuken."

In anderen Geschichten geht es oft um Kinder, um die Kinder der anderen, meist der Männer, mit denen die Erzählerinnen zusammen sind. Und immer geht es um Frauen, die nicht unbedingt zur Mittelschicht gehören, und Miller beweist bis in die popkulturellen Zeichen und Produkte hinein durchgehend Klassenbewusstsein. Ohne allerdings in die Analyse zu gehen – oder irgendwelche Exit-Optionen zu fantasieren.

Insofern ist ,,Always Happy Hour" sehr amerikanisch: Es ist gut erzählt. Es hält sich dicht an die Rea­li­tät. Es hat ein Sensorium für Gefühle. Es ist kurz gehalten und verzichtet auf Überbau, Ausblick, Experiment. Manchmal ist das schade.

Auch dass Miller bei aller Entwicklung hier und da zu Wiederholungen neigt – oder dass man, wenn man ,,Big World" gelesen hat, erst einmal aufstöhnt, wenn wieder von Männern aus kleinkriminellen Milieus erzählt wird oder noch einmal ein Trailer in einem Trailerpark der Ausgangspunkt einer Geschichte ist.

,,Ich habe ihr erzählt, dass meine Brüder früher immer Waschbären gejagt, aber nicht gegessen, sondern an Schwarze verschenkt haben. Sie meinte, das wäre rassistisch, dabei ist es doch bloß die Wahrheit, das haben sie wirklich gemacht, und ich weiß echt nicht, was daran rassistisch sein soll. Vielleicht hätte ich einfach den Mund halten und nichts davon erzählen sollen."

Auch die weibliche Enttäuschung, die in den Protagonistinnen lauert, durch sie durchscheint, wird hier und da fragwürdig: Ja, glauben sie denn wirklich alle noch an die große Liebe? Scheint hinter der großen Illusion gar nichts auf, zum Beispiel eine Alternative zu bisherigen Liebeskonzepten? Auch die Kinder der anderen lassen sich auf die Kinderlosigkeit der Erzählerinnen beziehen: Ja und?, ist man manchmal geneigt zu fragen.

Das sind die Probleme, die auf so tolle Autorinnen wie Nicole Flattery, Elizabeth Ellen oder eben Mary Miller warten (Sally Rooney ist ein etwas anderer Fall): Sie müssen raus aus ihren Zonen, um neues Material zu gewinnen. Sie müssen nach oben. Oder noch tiefer. Aber tiefer geht kaum, das gilt zumindest für Mary Miller.


Aus: "Erzählungen von Mary Miller: Das Gefühlsding" René Hamann (14. 8. 2021)
Quelle: https://taz.de/Erzaehlungen-von-Mary-Miller/!5790992/

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Quote[...]  Rezensionsnotiz zu Die Welt, 07.08.2021

Rezensentin Marie-Luise Goldmann sieht in Mary Millers Erzählband eine aktualisierte Version von Flauberts Madame Bovary. Wie diese seien auch die Frauen in Millers Geschichten in einer alltäglichen Verzweiflung gefangen: Eine kranke Frau lässt sich auf einer Yacht von ihrem Mann "ficken", zwei Freundinnen fahren jedes Jahr zusammen in den Urlaub, ohne sich überhaupt zu mögen, eine Hundeliebhaberin traut sich nicht, einen eigenen Hund zu kaufen. Dennoch kommen die Erzählungen, wie Goldmann betont, weniger tragisch und düster als "grell" daher, mit pinken Luftmatratzen und einer "gelassenen Abgeklärtheit", auch in sprachlicher Hinsicht - und drängen gerade darin "wundersam zur Wahrheit", staunt die Kritikerin. ...


Quelle: https://www.perlentaucher.de/buch/mary-miller/always-happy-hour.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Als ich in der Grundschule war, zog bei uns gegenüber eine neue Familie ein. Das Mädchen, nennen wir sie Bianca, war ungefähr so alt wie ich – klare Sache, dass wir uns sofort anfreundeten. Biancas Mutter hatte sie mit siebzehn bekommen, arbeitete bei Aldi an der Kasse und war sowohl mit Argusaugen als auch mit gelegentlichen Ohrfeigen hinterher, dass Bianca auch bloß in der Schule mitkam.

Auf den ersten Blick hatten wir exakt die gleichen Chancen, eine hoffnungsvolle Karriere (was immer das sein mag) hinzulegen oder krachend zu scheitern. Ich war weder schlauer als Bianca noch verfügte ich über eine stabilere Persönlichkeit. Mein Elternhaus hatte sich nicht in einer intellektuellen Poleposition befunden, von der aus direkt die akademische Laufbahn beginnt. Meine Eltern stammten aus dem gleichen Arbeitermilieu. Eins hinter die Ohren war auch bei uns zu Hause oft erzieherisches Mittel.

Der einzige Unterschied zwischen uns war, dass Bianca das Lebensgefühl ,,wir sind arm" bereits im Grundschulalter inhaliert hatte. Und, dass sie verhaltensauffällig war. Sie log, klaute, prügelte sich – bei mir hatte es sich so ergeben, dass ich, weil ich schüchtern war, mich mit Büchern vor der Welt verkroch und so nicht weiter dumm auffiel.

Verhaltensoriginelle Kinder – ob hochbegabt, traumatisiert oder solche, die mit größtmöglichem Tamtam ein bisschen Aufmerksamkeit möchten, werden heute als Störer des sozialen Friedens betrachtet. Ein*e Päd­ago­g*in ist aufgrund einer Klassengröße von bis zu 23 Kindern zur totalen Aufmerksamkeitsökonomie gezwungen – es muss also Ruhe herrschen, um Unterrichtsstoff vermitteln zu können. Dass da sehr viel zu kurz kommt, liegt auf der Hand.

Es gibt in Deutschland bisher keinen verpflichtenden Kitabesuch, doch zumindest seit 2014 eine ,,vorschulische Sprachstandsfeststellung" zwei Jahre vor Grundschuleintritt. Wenn dabei Förderbedarf festgestellt wird, werden die Eltern vom Schulamt dazu verdonnert, dem auch nachzukommen. Die kinderärztlichen U-Untersuchungen (Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten oder Entwicklungsstörungen, Anm. d. Red.) von Kleinkindern sind bisher allerdings nur in wenigen Bundesländern wirklich verpflichtend.

Das bedeutet, dass Kinder, die vernachlässigt werden, sich mit Chips und Cola vollstopfen und eine Zahnbürste oder Vitamine vielleicht höchstens mal von Weitem gesehen haben, denen niemand vorliest und stattdessen rund um die Uhr die Glotze läuft, die vielleicht Gewalt erfahren oder Desinteresse – oft übersehen werden.

Selbst wenn es jemand bemerkt, gibt es dafür so gut wie keinen zuverlässigen Hebel, um in fatale Verläufe früh hineinzugrätschen und in eine andere Bahn zu lenken, was ansonsten mit hoher Wahrscheinlichkeit im Graben landet.

Das Bildungssystem kann also erst mit dem schulpflichtigen Alter auf diese Kinder Einfluss nehmen. Mit sechs ist die frühkindliche Prägung allerdings weitestgehend abgeschlossen, und leider kommt es viel zu oft vor, dass Päd­ago­g*in­nen trotz aller Bemühungen nur noch der Job des Insolvenz­verwalters zukommt. Das meine ich keineswegs zynisch.

Es sind nicht nur Bücher und pränatale Englischkurse, die ein Kind für die eigene Zukunft ausstatten. Es sind auch die Ernährung, Hygiene und ein Mindestmaß an Ansprache – von der Vermittlung von Werten mal ganz zu schweigen. Liebe und Bildung sind der Schlüssel zu einem einigermaßen unfallfreien Leben.

Eigentlich braucht es also nicht viel. Manche Eltern sind natürlich verdammte, egoistische Idioten, aber die meisten haben ihr Bestes gegeben und es einfach nicht besser gekonnt. Gleichzeitig nimmt die spätere berufliche Laufbahn schon im zarten Alter von neun oder zehn Jahren Fahrt auf. Selten genug gibt es noch eine gemeinsame Förderstufe als zweijährige Verlängerung der Grundschule.

Und ja, es existieren immer noch genügend Kreise, die bisher erfolgreich abzuwenden wussten, dass Mohammed und Mandy gemeinsam mit Sophie und Maximilian später um die raren Studienplätze konkurrieren. In Hamburg gab es sogar einen Volksentscheid, der genau diese gemeinsame Förderstufe bislang vehement verhindert hat. In diesem Alter entscheidet sich bereits für ein Kind, wohin die Reise mal gehen wird. Das ist fatal.

Inzwischen arbeite ich in einem Jugendknast, und die Jungs, die ich betreue, haben die unterschiedlichsten Straftaten begangen: meistens Drogendealereien und Körperverletzung der verschiedensten Schweregrade. Ich kenne ihre Biografien, ohne jemals ihre Akte gelesen zu haben: Oft nicht existente Väter, überforderte Mütter, Hartz IV. Womit ich keineswegs meine, dass man als ALG-II-Empfänger automatisch kriminell werden muss – aber es ist der stabilste Sargnagel bei der Beerdigung einer wie auch immer gearteten bürgerlichen Existenz.

Wenn Menschen mit ständigem Mangel aufwachsen, dass dieses oder jenes, was für andere Kinder selbst­verständlich zu sein scheint, nicht drin ist – von den geilen Turnschuhen über den Besuch einer Pizzeria bis zum Erlernen eines Instruments – und dann noch Scham über die eigene Armut und Angst vor Schikanen dazukommen, entsteht schnell der Eindruck:
Der bundesdeutschen, legalen Welt ist nur bedingt zu trauen. Und sie ist kein guter Ort. Man kommt überhaupt nur einigermaßen über die Runden, wenn man hier ein bisschen trickst, da mal was verschweigt – und bescheißen nicht eigentlich alle?

Wenn man nicht an der Steuer vorbei irgendwo putzen geht oder beim Onkel im Kiosk aushilft, dann ist die dringend nötige Winterjacke für die Kids genauso wenig drin wie einmal mit der Familie ganz sorglos auf dem Rummel Achterbahn zu fahren.

Das macht krank und auf Dauer schrecklich müde, und wenn meine Jungs etwas von Herzen wollten, was sie sich sowieso nicht hätten leisten können, dann haben sie es eben geklaut. In der Schule mangelte es an Konzentration, und zu Hause hat es oft nicht interessiert, ob sie vielleicht die ganze Nacht am Handy daddeln statt zu schlafen.

Und weil man sich das Versagergefühl, das einen sowieso schon so lange begleitet, nicht auch noch in der Schule abholen will, weil man in der Klasse gepennt hat, gar nicht versteht, was die hier eigentlich von einem wollen und sowieso ganz andere Sorgen hat, dann geht man irgendwann einfach gar nicht mehr hin. Wenn man ohne Schulabschluss schon kein großer Forscher oder kein abgezockter Manager wird, dann wenigstens ein großer Gangster.

Einer, vor dem sich alle wegducken, statt ihn zu schikanieren. Das eint eigentlich alle meine Jungs, so unterschiedlich ihre Straftaten gewesen sein mögen. Sie haben eine soziale Hornhaut gebildet, eine coole Benutzeroberfläche, um die eigenen Verwundungen nicht ständig zur Schau tragen zu müssen.

Ich kenne diese Geschichten auch aus meiner eigenen Familie: Mein Vater ist bei einer Pflegemutter aufgewachsen, hat seine Lehre hingeschmissen und saß wegen Einbruchs im Knast. Wir besaßen trotzdem immer neue Geräte, die irgendwo ,,vom Laster gefallen" waren, wie mein Vater so schön sagte. Tricksen, bescheißen, nicht ganz legal über die Runden kommen – all das kenne ich von frühester Kindheit an.

Manchmal denke ich: Wenn ich ohne Schulabschluss und Aussicht auf eine Lehrstelle die Wahl hätte, irgendwo als Aushilfe zu malochen oder als Kleindealer an der Ecke zu stehen und damit endlich mal die Kohle zu verdienen, mit der ich tatsächlich einen minimalen Lebensstandard bestreiten könnte, ich bin nicht sicher, wie ich mich entscheiden würde. Bianca ist jetzt übrigens alleinerziehende Mutter und lebt von Hartz IV. Ich kann bis heute nicht sagen, warum es uns auf so unterschiedliche Wege verschlagen hat.

Vielleicht war es meine große Leidenschaft für Bücher und meine verbissene Renitenz, die mich gerettet hat. Wahrscheinlich habe ich einfach nur Glück gehabt. Es ist immer noch so, dass ich mich manchmal dabei erwische, mir beim Arbeiten im Knast wie eine Hochstaplerin vorzukommen. Eigentlich fühlt sich die andere Seite der Gitterstäbe mitsamt ihrer Insassen viel vertrauter an.


Aus: "Wenn die Zukunft verbaut wird" Maria Ozols (18. 8. 2021)
Quelle: https://taz.de/Armut-und-Bildungschancen/!5789756/

Quotemowgli
gestern, 12:11

Zitat: ,,Wahrscheinlich habe ich einfach nur Glück gehabt. Es ist immer noch so, dass ich mich manchmal dabei erwische, mir [...] wie eine Hochstaplerin vorzukommen. Eigentlich fühlt sich die andere Seite der Gitterstäbe mitsamt ihrer Insassen viel vertrauter an."

Glück auch für die anderen.

Das geschilderte Gefühl haben sicher viele Menschen. Mich selber schließe ich da jedenfalls nicht aus. Allerdings sind wir nicht alle so reflektiert wie die Verfasserin dieses Textes. Die meisten Leute dürften sich erfolgreich drücken vor der Frage, was das für eine seltsames Grummeln ist da in der Magengegend, das sie manchmal beschleicht, wenn sie es nicht rechtzeitig betäuben.

Genau deswegen funktioniert die ganze Sache ja: Wer gar nicht wissen will, was in seinem/ihrem Inneren vorgeht, braucht sich zwar nicht auseinandersetzen damit, macht es aber grade deshalb anderen viel zu leicht, ihn/sie zu lenken im Sinne fremder Privat-Ziele und -Interessen.

Es ist nicht so, dass es Menschen wie Bianka gar nicht stört, von anderen missbraucht zu werden (einer muss ja schließlich das abschreckende Beispiel geben). Es ist nur so, dass sie sehr früh aufgeben, sich dagegen aufzulehnen. Sie haben schlich nicht genug Kraft. Sie sterben einfach eher, wenn sie nicht mehr aushalten, was ihnen zugemutet wird.

Dass das den Arschlöchern nur recht sein kann, kann ihnen dann halbwegs egal sein. Sie müssen ihre Kinder und Enkel ja nicht leiden sehen/hören, wenn sie tot sind. Schon gar nicht, wenn die es wider Erwarten doch aus dem Sumpf raus schaffen. Weil sie das große und weitgehend unverdiente Glück hatten, zur richtigen Zeit an die richtigen Leute geraten zu sein, nicht an die falschen.

Das Leben ist zweifellos ungerecht. Dass auch der Mensch (kulturbedingt) Willkür walten lassen muss, ist allerdings nicht einzusehen. Die Regeln des Zusammenlebens werden nicht von Gott gemacht, sondern von Menschen, die sie auch wieder ändern können - wenn sie sich selbst verstehen lernen


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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Generation der heute 70-Jährigen ist komplett anders politisch beeinflusst worden als die der Adenauer-Ära, nämlich durch Janis Joplin, Rudi Dutschke, die Apo, Willy Brandt, den Vietnamkrieg. In der Wahlforschung spricht man vom ,,Kohorteneffekt". Er besagt, dass Menschen, die in einer bestimmten Zeit geboren, aufgewachsen und politisch geprägt wurden, Parteipräferenzen bilden, die bis ins hohe Alter halten.

... ,,Obwohl die Bevölkerung immer älter wird", sagt er, ,,war das Alter noch nie so unwichtig für die Frage, wie wir wählen." Für die Konservatismusthese, der zufolge Menschen mit zunehmendem Alter immer konservativer werden, gäbe es keine Belege. Sie sei ein Mythos.

... Neben dem Kohorteneffekt, der sich auf die politische Biographie bezieht, gibt es den Lebenszykluseffekt. Demnach ist die Phase, in der sich ein Wähler befindet, mitentscheidend dafür, welche Themen für ihn persönlich relevant sind. Wer als 50-Jähriger Kinder hat, die zur Schule gehen oder in der Ausbildung sind, interessiert sich für Bildungsfragen. Lebenszyklusthemen sind variabel, sie ändern sich mit den jeweiligen Lebensphasen.

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Aus: "Alt gleich konservativ? Das gilt nicht mehr" Malte Lehming (25.08.2021)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/senioren-bei-der-bundestagswahl-alt-gleich-konservativ-das-gilt-nicht-mehr/27545626.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] ,,Als wär's ein Stück von mir". Für seine berühmten Memoiren borgte sich der Schriftsteller Carl Zuckmayer 1968 eine Verszeile des Lyrikers Ludwig Uhland aus. Er wollte ausdrücken, wie sehr die Begleiter seines Lebens auch seine Identität prägten.

Ein ähnliches Motiv darf man Christopher Isherwood für seinen Roman ,,Nur zu Besuch" unterstellen. Sonst hätte er ihn nicht in vier Kapitel unterteilt, die den Namen unterschiedlicher Männer tragen. Das 1961 erschienene Werk ist nun erstmals auf Deutsch zu lesen.

Das Buch variiert das literarische Motiv der Lebensreise. Es beginnt im Jahr 1928 und endet 1953. Heute fiele es unter das Label autofiktional. Denn der Protagonist trägt den Namen seines Autors.
Und von Großbritannien bis Kalifornien wechselt es zu Schauplätzen, an denen auch der reale Christopher Isherwood lebte. 1986 verstarb der 1904 geborene Offizierssohn in Santa Barbara.

Liebhaber von Isherwoods legendärem, 1939 erschienenem Roman ,,Leb wohl, Berlin" werden bei dem Buch nicht auf ihre Kosten kommen. Auch in ihm wimmelt es nur so von seltsamen Gestalten und abstrusen Geschichten. Doch dem Buch fehlt das Prickelnde und Exaltierte des Bestsellers, der dem Musical und dem Film ,,Cabaret" als Vorlage diente.

Von den vier leitsternartigen Figuren überzeugen Waldemar, ein junger Deutscher, den er in Berlin kennenlernt und der suizidgeneigte Paul, die ,,teuerste männliche Hure der Welt", mit dem er in Los Angeles in einer Wohngemeinschaft zusammenlebt. Sie verkörpern das Fluide, Unstete und tendenziell Prinzipienlose.

Weniger überzeugen der schwule Lebemann Ambrose, auf dessen griechische Insel er flieht, als die Nazis an die Macht kommen und in Deutschland ,,Mord von Amts wegen" normal wird. Oder der reaktionäre Londoner Reeder zu Beginn, der ein geheimes Faible für Poesie hat und sich schließlich erschießt.

Was alle diese Extremcharaktere eint, ist, dass sie einen ,,Way Out" aus den Zumutungen ihrer labilen Existenz suchen.

Trotz der mitunter dürren Prosa und manch zäher Episoden macht den Reiz des Buches aus, dass Isherwood das intime Leben seines Protagonisten vor der Geschichte der Zwischenkriegszeit entfaltet.

Während Hitler und Chamberlain im September 1938 um das Sudetenland ringen, trifft Christopher in London einen alten Liebhaber. ,,Wir tranken Whisky und liebten uns vor dem Spiegel" notiert er lakonisch.

Nicht, dass dieser Mann unpolitisch wäre. Doch seine Abneigung gegen die Nazis, die das Buch wie ein roter Faden durchzieht, ist mehr dem Instinkt gegen deren rohe Barbarei als einer Weltanschauung geschuldet.

Als Schlüsselsatz eines Mannes, der als Real- wie Fiktivperson immer beobachtet, aber selten eingreift, ist der Satz zu lesen, mit dem Christopher das Münchener Abkommen kommentiert: ,,Ich bin fest davon überzeugt, dass nichts, aber auch gar nichts einen Krieg wert ist."

Anschlussfähig heute ist der Roman, weil er den Prototyp einer nomadischen Existenz konturiert, immer auf der Durchreise – zu Besuch eben.

Isherwood zeichnet das (Selbst-)bild eines ,,sentimentalen Bohemiens", dem Sex und der Literatur verpflichtet, dessen Leben wie beim Billard durch das unerwartete Auftauchen einer Kugel ihren Lauf ändert.


Christopher Isherwood: ,,Nur zu Besuch"
Aus dem Englischen von Michael Kellner und Volker Oldenburg
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2021
448 Seiten



Aus: "Christopher Isherwood: ,,Nur zu Besuch"Nichts ist einen Krieg wert" Ingo Arend (29.09.2021)
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/christopher-isherwood-nur-zu-besuch-nichts-ist-einen-krieg.1270.de.html?dram:article_id=503560

https://de.wikipedia.org/wiki/Christopher_Isherwood

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Das Wort ,,Nostalgie" stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Worten nóstos für Rückkehr und álgos für Schmerz zusammen. Eine schmerzhafte gedankliche Rückkehr, so definierten die alten Griechen das bittersüße Gefühl des Zurückträumens an vergangene Zeiten. Bis ins 20. Jahrhundert galt Nostalgie als psychische Krankheit, die vor allem Soldaten befiel und Ängste und Depressionen auslöste. Heute bescheinigen Forscher wie Richard Cheston oder Constantine Sedikides der Nostalgie positive Wirkungen auf unsere Psyche, sie hilft uns, eine kontinuierliche Identität zu erhalten und das Zurückdenken an positive Ereignisse löst nachweislich Glücksgefühle aus. Das besondere an Nostalgie ist, dass man sie erst nach einer gewissen Lebenszeit empfindet und sie gefühlt mit dem Alter immer mehr zunimmt. Mit Mitte 30 beobachte ich mich jedenfalls sehr oft dabei, wie ich an die gute alte Zeit zurückdenke.

Als Millennial ist man ein Grenzgänger, wir sind in das Zeitalter vor dem Internet hineingeboren worden und haben in unseren formative years erlebt, wie die Welt von einer analogen zu einer digitalen wurde. Unsere Jugend durften wir noch unbeschwert von den Krisen der Welt verbringen. Nachrichten gab es nur in der Tagesschau, statt 24 Stunden auf dem Handy und bis 9/11 haben wir uns kaum für sie interessiert. Bis zu unserer Teenie-Zeit gab es nur die reale Welt, Gummitwist, Kindergeburtstage, Baggerweiher, durch den Wald stromern, Eisdiele, Italienurlaub, Samstagmorgencartoons auf RTL II (aber nicht zu lange vor der Kiste sitzen!), Free Willy und König der Löwen im Kino sehen und schrecklich weinen. Dann kamen Internet und Handy. Wir sind die Generation, deren Lebenswelt von fünf Quadratkilometern über nacht praktisch unendlich wurde. Kein Wunder dass wir uns ein bisschen verlaufen haben. Klar, unsere Eltern haben den Anfang des Internets auch miterlebt, aber sie waren zu dem Zeitpunkt schon in ihrer Lebensplanung gefestigt, hatten sich schon so gut in der analogen Welt eingerichtet, dass die digitale bis heute für sie eher eine Nebenrolle spielt. Unser Handy haben wir damals tatsächlich noch zum telefonieren benutzt (stundenlang!). Manchmal denke ich verträumt an diese Zeit zurück, wenn mein jetziges Smartphone mich mal wieder im 24-Stunden-Strom aus Nachrichten und Entertainment zu ertränken droht.

Und egal wie groß das Angebot von Netflix und Co ist, es wird nie das unfassbare Glücksgefühl ersetzen, dass man gespürt hat, wenn man seine Lieblingsserie einschalten konnte, nachdem man eine Woche lang darauf hingefiebert hatte (Bonuspunkte, wenn man es geschafft hat, die Folge auf VHS aufzunehmen, ohne Anfang oder Schluss zu verpassen). Wir hatten weniger Angebot und waren damit so viel glücklicher. Internet war für uns damals ein besonderer Ort, an den man sich aktiv begeben musste [Modemeinwählgeräusch], statt uns komplett zu umgeben und einzunehmen. Wir konnten uns plötzlich Wissen aneignen, ohne Bücher zu lesen, magisch und tragisch zugleich. Und apropos Wissen: wir dachten damals doch wirklich, wenn wir uns durch ein halbwegs gutes Abi quälen und dann Studium oder Ausbildung durchziehen, könnten wir alles werden, was wir wollen. Wie zuversichtlich wir da noch waren. Wie groß und spannend die Welt damals noch aussah. Wie sehr wir uns darauf gefreut haben, erwachsen und unabhängig zu sein. Mitte 30 ist man dann in der Realität angekommen, arbeitet meist in einem komplett anderen Job als man damals dachte oder wofür man mal studiert hat und stellt fest, dass Erwachsensein hauptsächlich aus Arbeit, Rechnungen zahlen und Abwasch besteht, während man im Stundentakt Katastrophenmeldungen aufs Handy bekommt.

Ich glaube, Nostalgie ist das prägendste Gefühl meiner Generation, keine Alterskohorte fetischisiert die Vergangenheit so gern und viel wie wir, wir lieben die Serien, Klamotten, Games, Spielsachen, Süßigkeiten unserer Jugend so sehr, dass daraus ein ganzer Markt geworden ist. Und so stellen wir uns unsere kleine Mietwohnung lieber mit diversen Popkultur-Paraphernalien voll, die uns an unsere Kindheit und Jugend erinnern, statt in einen Satz ordentliches Porzellan zu investieren. Vielleicht sind wir auch empfänglicher als andere Generationen dafür, zurückzuschauen, weil das Nachvorneschauen für uns nicht mehr so einfach ist. Unsere Lebensentwürfe gehen nicht mehr auf klare Ziele zu, sondern schwimmen irgendwie von Etappe zu Etappe, Job zu Job, Stadt zu Stadt, Beziehung zu Beziehung, wir fahren permanent auf Sicht und kommen nie so richtig an. Da ist es nicht verwunderlich, dass wir uns in die wohlige Nostalgiedecke kuscheln, die uns ein Gefühl von Stabilität gibt. Egal wie chaotisch die Realität gerade ist, in Orange County scheint immer die Sonne, Buffy rettet immer die Welt und Super Mario läuft immer in die richtige Richtung.

Und uns ist schon klar dass die 90er und frühen 2000er keine Jahrzehnte der Glückseligkeit waren, in dem es nur Gilmore Girls, Blink-182, Trollfiguren, Zuckerarmbänder und VIVA gab. Aber für uns war es die Zeit, in der die Welt noch halbwegs in Ordnung schien, Zukunft noch ein brauchbares Konzept war. Durch die Pandemie hat sich diese kollektive Rückbesinnung gefühlt sogar noch verstärkt, denn wenn die globale Krise eins gezeigt hat, dann dass unsere Zukunft jederzeit komplett kippen kann. Und so hängen wir zwischen einem übermächtigen gestern und einem ungewissen morgen und fragen uns: was machen wir denn jetzt?


Aus: "#takeusback" sensibel (23.10.2021)
Quelle: https://blogs.taz.de/sensibel/takeusback/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Eine Zeit lang dachte die ,,westliche Welt", die großen existenziellen Fragen seien gelöst. Dann kamen die Krisen. Die Pandemie dominierte mehr als zwei Jahre politisches Handeln. Der Krieg in der Ukraine – ein Schock. In ihrem Buch Die Geschmeidigen entwirft Nora Bossong ein Bild ihrer Generation und urteilt: Sie habe sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt. ,,Unsere Werte" müssten nun ,,anders" verteidigt werden. ... Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, studierte in Berlin, Leipzig und Rom Philosophie und Komparatistik. ... Ihr neues Buch 'Die Geschmeidigen' (240 S.) ist vor Kurzem bei Ullstein erschienen
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Maxi Leinkauf: Frau Bossong, Sie porträtieren in Ihrem Buch die um die Vierzigjährigen, Ihre Generation, für die Krieg immer weit weg war: Uns kann ja nichts passieren. Und jetzt ist er da. Wie erleben Sie diese Zeit gerade?

Nora Bossong: Ich kann mich an keinen Schock erinnern, der mich mehr getroffen hat. Vielleicht kommt 9/11 dem noch am ehesten nahe. Aber dass es wirklich einen Angriffskrieg einer Atommacht gibt, in Europa, dass wollten viele von uns, viele meiner Altersgenoss:innen nicht wahrhaben. Bei mir kommen alte Bilder hoch.

Maxi Leinkauf: Welche Bilder?

Nora Bossong: Ich denke an die Erzählungen meines Opas. Meine Großeltern mütterlicherseits waren leider klassische Mitläufer, wobei mein Großvater genau das Kanonenfutter war, das 1945 noch geschickt wurde, um zu sterben. Er hat irgendwie überlebt. Als ich klein war, hat er mir von diesen Häuserkämpfen erzählt. Ich wollte dann immer Krieg spielen. Erst später, mit sieben, acht, als meine Großmutter mitbekam, dass ich Kämpfe mit dem Playmobil nachstellte, sagte sie: ,,Schluss!"


Maxi Leinkauf: Sie sind dann, wie wir alle, in dem Glauben aufgewachsen, der ewige Frieden sei angebrochen. Oder wie Omid Nouripour in Ihrem Buch es nennt: ,,Wir waren auf unserem Ponyhof." Und nun hat uns der ,,Ernst des Lebens" erreicht.

Nora Bossong: Und das bewahrheitet sich auf die schlimmste Art, die man sich denken kann. Wir haben uns zu sehr in der Selbstverständlichkeit von Freiheit und Demokratie gewähnt. Wir waren vielleicht ein bisschen naiv. Für diese Generation trifft es besonders zu, aber es geht natürlich auch über sie hinaus. Wenn wir sehen, wie viele Menschen nicht glauben wollten, dass Putin wirklich einen Angriffskrieg startet.


Maxi Leinkauf: Sie haben 25 Menschen getroffen, die zwischen 1975 und 1985 geboren sind, vor allem Politiker:innen – Katja Kipping, Lars Klingbeil, Omid Nouripour, Christian Lindner. Teilen siealle wirklich diese Erfahrungen einer allzu bequemen Zeit?

Nora Bossong: Natürlich gibt es Ausnahmen: Omid Nouripour hat als Kind im Iran erlebt, was Krieg bedeuten kann. Und Katja Kipping ist ein Wendekind.

Maxi Leinkauf: Kann man dann trotzdem von ,,Wir" sprechen?

Nora Bossong: Das ,,Wir" ist literarisch eine schwierige Konstruktion, die man jenseits von Generationenporträts meistens vermeidet, weil man meist falschliegt. Selbst wenn man nur das Zweier-Wir des Liebespaares nimmt.

Maxi Leinkauf: Der andere hat etwas ganz anders erlebt.

Nora Bossong: Und der Mauerfall war ein großer Bruch, der von den Protagonistinnen im Buch ganz unterschiedlich wahrgenommen wurde. Linda Teuteberg und Katja Kipping zum Beispiel, sie haben verschiedene Schlüsse daraus gezogen. Eine ist in der FDP, eine bei der Linken. Viele meiner Freundinnen und Freunde sind in Ostberlin, in der DDR, sozialisiert worden. Dennoch hatte ich immer das Gefühl, dass sie und ich uns heute viel mehr als eine Generation definieren, als es zum Beispiel in der Generation unserer Eltern noch der Fall war. Als eine gesamtdeutsche und europäische Generation, die mehr gemeinsam hat, als sie trennt.


Maxi Leinkauf: Sie waren mit Christian Lindner, einem jener Politiker, die nun am Ruder sind, 2021 im Wahlkampf unterwegs, Sie fuhren mit ihm in der Limousine, samt Minibar.

Nora Bossong: Ja, den Preis der Minibar habe ich nachher recherchiert, das hat er mir nicht gesagt. Und ich habe mich dann in den Katalogen der Autoindustrie kundig gemacht.


Maxi Leinkauf: Der Inhalt der Minibar?

Nora Bossong: San Pellegrino und ich glaube Coca-Cola, es gab keinen Champagner. So bleibt die Cola-Zero-Figur.


Maxi Leinkauf: Was beeindruckt Sie an Lindner?

Nora Bossong: Er ist jemand, der intellektuell sehr wach ist. Und ich erlebe immer wieder, dass er heftige Reaktionen auslöst, häufig keine positiven. Jenseits der Bühne ist er sehr zugewandt, aufmerksam und hat dann nicht diese Härte, die er auf der Bühne zur Schau stellt. Er ist neugierig, fragt nach. Wir kennen uns seit zehn Jahren und haben Kontakt gehalten. Katja Kipping finde ich auch sehr sympathisch und reflektiert. Sie liegen beide politisch recht weit auseinander, aber ich habe sie ähnlich interessiert erlebt.

Maxi Leinkauf: Seine Generation sei besser ausgebildet, global vernetzt und habe einen höheren moralischen Anspruch an sich selbst und an andere, sagt Lindner. Gleichzeitig sei sie feige, habe nicht den Mut, unpopuläre Positionen zu vertreten. Ein Manko in der aktuellen Weltlage?

Nora Bossong: Der Angriffskrieg ist, jenseits der globalen Zäsur, die wir gerade erlebt haben, auch eine Zäsur für diese Generation in der Politik. Annalena Baerbock musste eine für die grüne Partei durchaus unpopuläre Entscheidung durchbringen. Waffenlieferungen an die Ukraine.


Maxi Leinkauf: So unpopulär ist sie nicht, auch Grüne und Linksliberale sagen: Die Waffen kamen zu spät.

Nora Bossong: Ja. Das habe ich selbst erlebt, als ich bei einer Solidaritätslesung im Maxim-Gorki-Theater war. Dieses Gefühl, es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet die Deutschen jetzt ausbremsen. Aufgrund der Geschichte ist es für Deutsche natürlich vernünftig, ein vorsichtiges Verhältnis zu Rüstung und Militär zu haben. Aber es ist eine Situation, die wir so in der Nachkriegsordnung nicht hatten. Auf solch ein Bedrohungspotenzial muss man reagieren.


Maxi Leinkauf: Mit Annalena Baerbock kam eine Politikergeneration an die Macht, die bisher nicht dadurch aufgefallen ist, dass sie großes Profil hat. Deren Habitus zeigt Willen zur Macht und Lust aufs Establishment, gleichzeitig sind sie alle nicht richtig fassbar.

Nora Bossong: Kevin Kühnert ist eine Ausnahme, er ist auch ein bisschen jünger. Und Habeck ist ein bisschen älter. Er ist der, der unangepasst redet. Der seinen Zweifel zeigt.


Maxi Leinkauf: Ja, nicht so selbstgewiss. Er wirkt dadurch glaubwürdiger.

Nora Bossong: Baerbock beruft sich immer auf die großen, hehren Ziele: historische Verantwortung, wertebasierte Außenpolitik. Wir dürfen diese Werte nicht aufgeben. Aber wenn ein Kriegsaggressor ein gesamtes Land beschießt und mit der Atombombe droht, muss man diese Werte anders verteidigen.


Maxi Leinkauf: Ein trügerisches Weltbild einer ganzen Generation? Waren wir nicht demütig genug, zu sehr mit uns selbst beschäftigt?

Nora Bossong: Ja, aber mit Einschränkungen. Wenn es beispielsweise Alice Weidel schafft, den Angriffskrieg, den sie verurteilt hat, zu nutzen, um auf das ,,Gender-Gaga" abzuzielen, um das wir uns zu viel gekümmert hätten, ist dieser Zusammenhang natürlich absurd. Dass man Rechte sexueller Minderheiten verteidigen muss, das zeigt Putin ja gerade deutlich. Trotzdem: Wir haben uns zu viel in unserem eigenen Saft wohlgefühlt, zu selten über den Tellerrand geschaut. Und wir haben zu sehr in nationalen Grenzen gedacht. Häufig schien es mir so, als würden sich auch Kulturschaffende eher um Anliegen kümmern, die ihnen sehr nahe sind: Identitätsdebatten oder Mietendeckel.



Maxi Leinkauf: Keine unwichtigen Dinge.

Nora Bossong: Natürlich ist die explosionsartige Preisentwicklung der Mieten ein Thema. Aber wenn für Kulturschaffende und Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, das Reflexionsvermögen da aufhört, wo es sie nicht mehr betrifft, ist das zu wenig. Wir müssen auch andere Themen in den Blick nehmen. Das hat mir gefehlt. Es war einfach die Notwendigkeit nicht da. Bis jetzt.



Maxi Leinkauf: Sie waren in Burundi, Ruanda, haben über die UNO geschrieben, waren bei den Gelbwesten. Immer als Beobachterin.

Nora Bossong: Ja, Beobachterin ist wahrscheinlich die passende Beschreibung. Ich war auch in China, im Iran. Daran denke ich jetzt. Ich kann berichten, wie es ist, für eine gewisse Zeit in einer Diktatur zu sein, und wie die Menschen dort sind. China und Iran sind extrem unterschiedlich.



Maxi Leinkauf: Warum waren Sie im Iran?

Nora Bossong: Ich war auf Einladung von Navid Kermani dort. Wir sind durchs Land gereist, haben Kulturschaffende getroffen, Lesungen gehalten, die natürlich alle unter Auflagen waren. Ich habe den Iran auch als ein sehr offenes Land kennengelernt, sobald die Tür zu ist. Hinter den Mauern.



Maxi Leinkauf: Zurück zum Buch: Lars Klingbeil nennt die 1990er ,,unpolitische Jahre", von Leere geprägt. Es ging nur ums eigene Fortkommen.

Nora Bossong: Den Wunsch, Karriere zu machen, gab es schon unter Helmut Kohl. Aber dieses Glatte, dieses Auf-sich-Gucken: Dafür ist ein etwas aufgehübschter Lebenslauf beispielhaft.



Maxi Leinkauf: Wir machen es jetzt mal anders, mal größer und besser, war der Anspruch der neuen Regierung.

Nora Bossong: Wichtig ist, vielleicht mehr noch für die Zivilgesellschaft, dass man es nicht mit großen Schritten anders macht, wenn das politische Engagement am eigenen Vorgarten aufhört. Oder die Haltung dominiert: Ich rette die Welt durch meine Konsumentscheidungen. Nichts dagegen, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man konsumiert. Und vielleicht guckt, was für Klamotten man kauft oder ob man zum Secondhand-Laden geht. Aber damit rettet man nicht die Welt, sondern überschätzt sich grandios.



Maxi Leinkauf: Es gibt die andere, die prekäre Seite dieser Generation, davon kann Christian Baron erzählen, den Sie auch getroffen haben. Kind der Arbeiterklasse, heute Schriftsteller. Er ärgert sich über linke Identitätspolitik, die als emanzipatorisch antrat, aber die Zerstückelung der Gesellschaft eher noch verstärkt hat. Finden Sie das auch?

Nora Bossong: Es gab zunehmend Gruppen, die ihre spezifischen Interessen formuliert haben. Das ist völlig richtig, wenn es um Diskriminierung oder um Benachteiligung geht. Aber man hat es nicht geschafft, daraus zu einer gemeinsamen Solidarität zu kommen. Es führte eher zu Abgrenzung. Darin liegt etwas Tragisches.


Maxi Leinkauf: Auch den Grünen wirft man vor, Politik für die gehobene Mittelschicht zu machen.

Nora Bossong: Klar, für diejenigen, die 4,99 Euro für den veganen Joghurt ausgeben können. Da muss ich wieder an die Gelbwesten denken, die riefen: Wir wissen einfach nicht mehr, wie wir es uns leisten sollen. Wir müssen pendeln, weil wir weitab vom Schuss wohnen, überall anders konnten wir keine Miete zahlen.


Maxi Leinkauf: Urbanisierungsfragen als eine neue Form des Klassenkampfs. Und Linke haben keine Antwort.

Nora Bossong: Ich muss öfter an Gramsci denken, der sinngemäß gesagt hat: Man muss die Köpfe der Menschen gewinnen, dann gewinnt man auch die Macht. Linke Politik muss sich fragen: Warum erreichen wir diese Menschen nicht mehr? Da warte ich noch auf eine überzeugende Analyse. Die SPD muss gute Antworten finden: Was ist Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert?


Maxi Leinkauf: Bei Ihren Eltern standen die Marx-Bände im Regal.

Nora Bossong: Ja, sie standen relativ weit unten. Da kam ich als Kind schon ran. Meine Eltern waren Spontis, so sagte man damals. Später war mein Vater in der SPD. Er war ein kluger Kopf, wir haben debattiert, gestritten. Manchmal schickte er mir Texte von Rosa Luxemburg oder Walter Benjamin: ,,Solltest Du gelesen haben." Er wollte, dass ich Zusammenhänge verstehe.


Maxi Leinkauf: Sie sind Anfang 1990 von Bremen in einen Hamburger Elbvorort gezogen. Wie war das?

Nora Bossong: Da habe ich gemerkt, was Klassenunterschiede bedeuten. Ich war eine von denen, die in der Schule völlig gemobbt wurden, weil unsere Eltern nicht zum Großbürgertum gehörten. Ich habe gelernt, dass Kinder nicht unschuldig sind, dass sie mit neun Jahren schon sehr bösartig sein können und genau wissen, wo sie im Leben stehen werden, ganz egal, wie sie sich verhalten. Dass sie ihr Ticket schon haben.


Maxi Leinkauf: Soziale Fragen müssten viel mehr vorkommen in dieser neuen ,,Fortschrittskoalition", oder?

Nora Bossong: Ich fürchte, dass sich solche Themen vor der Kulisse dieser großen Weltkatastrophen jetzt eher verlieren. Erst kam Corona, nun Klima und Krieg.

Maxi Leinkauf: ,,Freiheit" vom Impfen, Freedom Day, jetzt Ukraine und der ,,Preis der Freiheit". Ein inflationärer Begriff. Nur noch ein Schlagwort?

Nora Bossong: Ja, es steht mittlerweile für das eine wie für das genaue Gegenteil. Also hat sich der Begriff selbst aufgelöst. Wenn Freiheit für die These wie für die Antithese steht, macht es fast keinen Sinn mehr, dieses Wort zu verwenden.

Maxi Leinkauf: Worin besteht Freiheit für Sie?

Nora Bossong: Wir sollten uns – angesichts der katastrophalen Wendung – noch mal genau darauf besinnen, was eigentlich Freiheit heißt. Diese Freiheit, die wir leben dürfen. Uns bewusst machen, was für ein extrem großes Gut es ist, sich frei äußern zu können, freie Medien zu haben, auch wenn man sich mal über diese oder jene Berichterstattung ärgert.


Aus: ",,So rettet man nicht die Welt, sondern überschätzt sich grandios"" (Maxi Leinkauf | Ausgabe 11/2022)
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/maxi-leinkauf/nora-bossong-im-interview-ueber-ihr-buch-die-geschmeidigen

Quote
mymind | Community

Die hier benannten Generationsvertreter stellen vor allem eine Generationsgruppe mit kollektivem Erinnerungsverlust dar. Bei ihr wird das an folgenden Sätzen deutlich:

||´´ Aber dass es wirklich einen Angriffskrieg einer Atommacht gibt, in Europa, dass wollten viele von uns, viele meiner Altersgenoss:innen nicht wahrhaben... Aber es ist eine Situation, die wir so in der Nachkriegsordnung nicht hatten. ´´||

1999 haben gleich 3 Atommächte einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa unternommen. Da war Frau Bossong immerhin 17 Jahre jung aber alt genug, um sich daran zu erinnern.

|| ´´ Der Angriffskrieg ist, jenseits der globalen Zäsur, die wir gerade erlebt haben, auch eine Zäsur für diese Generation in der Politik. Annalena Baerbock musste eine für die grüne Partei durchaus unpopuläre Entscheidung durchbringen. Waffenlieferungen an die Ukraine...Aufgrund der Geschichte ist es für Deutsche natürlich vernünftig, ein vorsichtiges Verhältnis zu Rüstung und Militär zu haben.´´||

Als wenn es vorher keine Waffenlieferung seitens der deutschen Regierungen an Kriegsparteien gegeben hätte _ sogar in Europa. In den 90er-Jahren wurde in den Jugoslawienkriegen insbesondere die kroatische Armee beliefert _ vorzugsweise mit Beständen der NVA.

Aufgrund der Geschichte wäre es für Deutsche vernünftig gewesen, ein ausgewogenes Verhältnis mit der RF anzustreben & sich von der Kriegstreiberei der USA | NATO sowie Teilen der EU-Staaten abzugrenzen.

||´´ Uns bewusst machen, was für ein extrem großes Gut es ist, sich frei äußern zu können, freie Medien zu haben, auch wenn man sich mal über diese oder jene Berichterstattung ärgert.´´||

Frau Bossong weiß offenbar gar nicht wovon sie spricht. Zu freien Medien & Meinungsäußerungen gehört nicht nur die eigene Meinung. Jüngst wurde die Medienfreiheit stringent beschnitten. Vielleicht ist es zu schwierig für ihre Generation, über andere Meinungen & Darstellungen nachzudenken, den Mainstream in Frage zu stellen. Das spricht nicht für Geschmeidigkeit sondern für Erstarrung in der eigenen privilegierten Welt.


...

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Quote[...] Die Schriftstellerin Nora Bossong über die Generation der 40-Jährigen und ihren gehetzten Versuch, alles nebeneinander hinzukriegen. ...
im Interview: Nora Bossong

Die Frau: Schriftstellerin und Essayistin, Mitgründerin des PEN Berlin. Ihr jüngster Roman, ,,Schutzzone" (2019), ist ein Kritikerliebling und war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Geboren 1982 in Bremen, lebt in Berlin.

Das Buch: ,,Die Geschmeidigen. Meine Generation und der neue Ernst des Lebens" (Ullstein 2022) ist eine Betrachtung der Jahrgänge 1975 bis 1985, die jetzt die Chefsessel der Bundesrepublik übernehmen. ,,Geschmeidig könnte der Schlüsselbegriff für unsere Generation sein", schreibt Bossong. Und zwar im positiven (kompromissfähig) und negativen (angepasst) Sinne.


Peter Unfried: Sie haben früher an linke Utopien geglaubt, heute nicht mehr. Was hat Sie umdenken lassen, Frau Bossong?

Nora Bossong:  Ich stand mal einem aktivistischen Künstler nah, der für seine Utopien gefeiert wird. Diese Zeit hat mich extrem ernüchtert. Natürlich ist es schwierig, von einem narzisstischen Utopievermarkter auf Utopien als solche zu schließen. Aber ich habe selten so viel Zynismus und Ausnutzung anderer erlebt wie in dieser Zeit, als ich da hinter die Kulissen blickte.

Peter Unfried: In unseren linksliberalen Milieus galt das realitätsferne Feiern von Utopien bis eben noch als ein Zeichen von moralischer Exzellenz. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ist ein Bruch unserer Zeit. Welche Utopien sollten gerade die 40-Jährigen schleunigst vergessen, über die Sie ein Buch geschrieben haben?

Nora Bossong: Grundsätzlich glaube ich eher, dass man sehr früh verzagt ist, was die Umsetzung von Wandel angeht. Dass man zu schnell klein beigegeben hat, zu angepasst war, also nicht genügend rebelliert hat gegen die Älteren oder die, die am ,,Weiter so" interessiert waren.

Peter Unfried: Wie kommt das?

Nora Bossong: Es hat vor allem auch an einem Mangel an Fantasie gelegen. Das ist mir gestern durch den Kopf gegangen, als ich mal wieder ,,Die Enden der Parabel" von Thomas Pynchon las, bei dem die Fantasie wirklich überbordend ist. Das Buch hat eine unfassbare Vorstellungskraft. Ein einziger LSD-Rausch! Die Literatur von heute hat im Vergleich dazu den Fantasie-Überschuss eingehegt. Wenn man das auf die Politik überträgt, dann ist man vielleicht auch hier versucht, eine glatte Oberfläche zu schaffen.

Peter Unfried: In Ihrem Buch ,,Die Geschmeidigen" analysieren Sie, dass jene 40-Jährigen, die jetzt in der ersten Reihe stehen oder dahin drängen, einerseits kompromissbereiter und fantasieloser daherkommen als klassische 68er- und Boomer-Politiker, sich andererseits aber für die Größten halten. Ich denke da sofort an Christian Lindner, Jahrgang 1979, und Annalena Baerbock, Jahrgang 1980.

Nora Bossong: Also, was diese Jüngeren in der Regierung auf jeden Fall nicht auszeichnet, ist ein Übermaß an Demut. Sie sind nicht mehr superjung, aber für eine politische Spitzenposition schon sehr jung, und sie glauben, dass sie die Dinge viel besser können als die Leute, die noch vor ihnen und altersmäßig über ihnen stehen. Das ist natürlich eine gewisse Anmaßung, aber im Auftritt viel sanfter, als es die 68er waren. Die haben sich überhaupt nicht angepasst, sondern den offenen Zwist mit der Nazigeneration vor sich eröffnet. Die Klimajugend hat jetzt wieder ähnliche Narrative, auch von der Wortwahl her. Ich saß neulich auf diesem Podium mit Olaf Scholz, bei dem Luisa Neubauer einen Nazivergleich des Kanzlers herauszuhören meinte. Das scheint mir viel über Neubauer zu sagen, weil sie gar keine andere Zeit als Vergleichsmöglichkeit in Erwägung zu ziehen scheint.

Peter Unfried: Mit welcher Zeit hat Scholz denn Ihrer Deutung nach die schwarzgekleideten Aktivisten verglichen?

Nora Bossong: Ich glaube, er hat die 70er gemeint, also die Linksradikalen, die dann ja auch zur Zersplitterung der Linken geführt haben. Jedenfalls agieren die in den 80ern Geborenen anders als die Klimajugend. Natürlich sind sie alle unterschiedlich, aber es eint sie ein gewisser Pragmatismus und dass sie auf eine leisere und scheinbar angepasste Art und Weise das Zepter zu übernehmen versuchen. Da wird keine Palastrevolte angezettelt; es ist eher so ein Wegnicken der Älteren.

Peter Unfried: Teile dieser Alterskohorte sind international ausgebildet, haben liberale und solvente Eltern, die sie gefördert haben, und bekamen den Eindruck vermittelt, dass die ganze Welt ihnen offensteht.

Nora Bossong: Ja, aber sie haben auch ein gehetztes Leben, weil sie in einer Spirale der Übererfüllung von unterschiedlichen Anforderungen sind. Da ist ja Anne Spiegel ...

Peter Unfried: ... die kurzzeitige Familienministerin der Grünen, Jahrgang 1980 ...

Nora Bossong: ... ein, in Anführungszeichen, gutes Beispiel. Eine Politikerin, die versucht hat, familiär wie beruflich Dinge überzuerfüllen, Großfamilie und diverse Spitzenpositionen in der Politik, in einer Phase ihres Lebens, in der alles so auf Kante genäht ist, dass es nur funktionieren kann, wenn nicht irgendein Schicksalsschlag dazwischenkommt.

Peter Unfried: Dann kam der Schlaganfall ihres Mannes.

Nora Bossong: Es hätte auch irgendwas anderes sein können. Vielleicht ist es ja das, was man als die Utopie der 40-Jährigen bezeichnen könnte: Die Übererfüllung von allen Möglichkeiten, die uns das Leben bietet. Das Problem ist, dass man in diesem Modus der Übererfüllung nicht mehr sagen kann: Ich schaffe das alles jetzt nicht mehr. Denn dann müsste man sich das Scheitern dieser Utopie eingestehen.

Peter Unfried: Man muss als um 1980 geborene neue Mittelschicht verstehen, dass man alle Möglichkeiten hat, aber nicht alle gleichzeitig haben kann?

Nora Bossong: Ich glaube nicht, dass man alle Möglichkeiten hat. Man sollte vielleicht besser verstehen, dass eine Möglichkeit sich nur realisieren lässt zuungunsten anderer Möglichkeiten. Die 40-Jährigen sind eine Generation, die politisch sehr kompromissfähig ist, aber überhaupt nicht, was die eigene Selbstverwirklichung angeht.

Peter Unfried: Da gilt der Verzicht appellativ und das Gerede von ,,Weniger ist mehr" gerade bei den Grünen überhaupt nicht.

Nora Bossong: Es soll immer alles gehen, und das Mittel ist Optimierung. Genau dadurch macht die Generation sich aber das Leben auch extrem schwer.

Peter Unfried: Also entweder Spitzenpolitiker oder Spitzeneltern?

Nora Bossong: Nach dem Rücktritt von Anne Spiegel flammte kurz in den sozialen Medien eine Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf. Ich finde es gut und wichtig, darüber zu reden. Nur weiß ich nicht, ob man das unbedingt anhand von politischem Spitzenpersonal diskutieren sollte oder vielleicht besser anhand der Pflegerin mit zwei Nebenjobs? Als Annalena Baerbock im Wahlkampf sinngemäß sagte, wenn sie Kanzlerin sei, werde es Momente geben, in denen sie bei ihren Kindern sein werde und nicht im Kanzleramt; das hat nicht dazu geführt, dass ich unbedingt gewillt war, sie zu wählen.

Peter Unfried: Nein? Einigen Leuten ging das Herz auf.

Nora Bossong: Ich dachte, es ist natürlich total schön, dass sie bei ihren Kindern sein will, aber wenn es hart auf hart kommt, hätte ich gern die Kanzlerin im Amt. Letztlich sagt der Satz vor allem etwas darüber, wie leicht Frauen in Deutschland als Rabenmütter abgestempelt werden. Dem wollte sie, glaube ich, zuvorkommen.

Peter Unfried: Sie gehören zu den wenigen linksliberalen Frauen, die die Außenministerin nicht als Rollenmodell einer emanzipatorischen Politikerin feiern. Im Tagesspiegel haben Sie ihr eine ,,reaktionäre" identitätspolitische Zuspitzung auf das eigene Erleben als Frau und Mutter attestiert, weil sie eine Aufforderung zum ,,Härtetest" mit täglichem Wodkatrinken von Russlands Außenminister mit den Worten ablehnte: ,,Ich habe zwei Kinder geboren."

Nora Bossong: Die Argumentation ist, als ob ich sagen würde: Ich habe Geburtswehen überstanden, deswegen bin ich eine gute Schriftstellerin. Oder deswegen bin ich top in Sicherheitspolitik.

Peter Unfried: Wenn Kinderkriegen ein Kriterium politischer Qualifikation sei, sagten Sie, ,,dann wäre ja Magda Goebbels eine ganz starke Politikerin gewesen". Was Annalena Baerbocks Verteidiger sehr empörte, weil sie mit dem Satz irrelevante Männlichkeitsgesten entlarvt habe. Wie sehen Sie das inzwischen?

Nora Bossong: Sie hat unpassende Männlichkeitsgesten ja nur durch ebenso unpassende Weiblichkeitsgesten ersetzt. Das Biologische kommt da in einem Maße wieder in einen politischen Kontext rein, in dem es wirklich nichts zu suchen hat. Es freut mich für Frau Baerbock, dass sie zwei Kinder hat. Punkt. Aber das ist keine Qualifikation für ihr Amt als Außenministerin, genauso wenig wie es eine Disqualifikation von Angela Merkel war, dass sie keine Kinder hat, wie das anfangs aus reaktionären Kreisen gegen sie angeführt wurde. Was Frau Baerbock hier wieder aufwärmt, ist genau das Gleiche. Sie tut nur so, als wäre es progressiv, weil sie von links zu kommen scheint. Aber es ist sehr, sehr konservativ.

Peter Unfried: Wen fanden Sie denn bei Ihren Treffen mit den Spitzenpolitikern dieser Generation am interessantesten, sei es nun positiv oder negativ?

Nora Bossong: Sehr gut klar kam ich mit Katja Kipping, die Spitzenpolitikerin war, aber eben nicht mehr an der Spitze der Linkspartei steht. Bei ihr hat mir die Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung sehr imponiert, ihre nicht aufgesetzte Normalität und intellektuelle Neugier. Kipping war auch die einzige Politikerin, die mir Fragen gestellt hat, anstatt nur meine Fragen zu beantworten.

Peter Unfried: Was ist mit unserem Finanzminister? Er könnte doch ein Role Model sein für 40-Jährige, die auf verdrucksten Sozialdemokratismus und grünes Gouvernantentum allergisch reagieren – und erst Recht auf Lindner-Hass?

Nora Bossong: Christian Lindner kenne ich, seit er FDP-Generalsekretär war. Also, ich hasse ihn nicht. Aber mir fällt schon auf, dass er sehr viel Hass auf sich zieht, stärker als andere Politiker in gleichrangigen Positionen. Was ihn wiederum eint, beispielsweise auch mit Baerbock, ist eine bestimmte Art der Performance, die sich etwa auf dem Viererselfie mit Wissing und Habeck kurz nach der Wahl zeigt. Selbstvermarktung, Selbstbewusstsein, und, wie die FAZ schrieb: Strategie hat Ideologie abgelöst – und die Kellner den Koch.

Peter Unfried: Emmanuel Macron, Jahrgang 1977, gefällt Ihnen besser als Lindner?

Nora Bossong: Literarische Bildung hat für Macron einen Stellenwert. Ich glaube, das wird in der deutschen Politik von fast allen unterschätzt. Und dann sind sie überrascht, wie toll Habeck reden kann.

Peter Unfried: Sie zitieren in Ihrem Buch einen pompösen Satz von Christian Lindner. Er sagt über seine Generation: ,,Was manchen möglicherweise fehlt, das ist die charakterliche Härte, wie sie die Generation der Kriegsteilnehmer besaß."

Nora Bossong: Der Satz wurde bei der Autorisierung noch ein bisschen zugespitzt. Gerhart Baum ...

Peter Unfried: ... sozialliberaler FDP-Grande und Lindners Nemesis ...

Nora Bossong: ... war ja bei meiner Buchpremiere. Danach sagte er: ,,Na ja, die Härte, die hat er ja, der Lindner. Und den Krieg jetzt auch."

Peter Unfried: Die ,,ausgestellte Authentizität meiner Generation", schreiben Sie, ,,verhindert wirkliche Tiefe". Was meinen Sie damit?

Nora Bossong: Wenn Andreas Scheuer oder Dorothee Bär oder wegen mir auch Christian Lindner uns über soziale Medien mitnehmen, um ihnen am Sonntagnachmittag zuzugucken, wie sie Fahrrad fahren oder angeln, dann tun sie so, als ließen sie uns ganz nah ran. Aber es ist natürlich eine vollkommen kontrollierte Oberflächendarstellung.

Peter Unfried: Ist das denn bei Vizekanzler Robert Habeck anders?

Nora Bossong: Ja, ist es. Wir schauen nicht nur zu, wie er Fahrrad fährt, sondern wie er Zweifel und Selbstkritik sehr transparent offenlegt, wir schauen in die Dynamik eines politischen Abwägungsprozesses hinein. Ob das nun ein Trick ist oder nicht, jedenfalls schafft er das Gefühl von nichttrivialer Teilhabe.

Peter Unfried: Habeck spricht anders als alle anderen Politiker. Wie beurteilen Sie als Schriftstellerin seine Sprache?

Nora Bossong: Die langjährige Beschäftigung mit Literatur verschafft einem schon ein Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten, das man vielleicht nicht erlernt, wenn man vom Politikwissenschaftsstudium direkt ins Parlament und dann auf die Regierungsbank poltert. Im Vergleich mit Spiegel und Baerbock hat er sich mehr Zeit gelassen für Dinge jenseits der Politik.

Peter Unfried: Er war sechs Jahre Landesminister.

Nora Bossong: Aber trotzdem hat er im Vergleich zu Baerbock und Spiegel länger gebraucht. Diese zehn, elf Jahre unterscheiden ihn auch insofern, als er eben nicht direkt vom ersten Praktikum an einen schnurgeraden Weg gegangen ist, sondern ein bisschen Leben angesammelt hat.


Peter Unfried: Die Frage ist, ob man als Teil der Erasmus-Generation überhaupt noch diese Lebensbrüche haben kann?

Nora Bossong: Als ich an der Uni war, gab es Demonstrationen gegen die Umstellung von Magister auf Bachelor und Master. Viele, die es betraf, waren überzeugt gegen diese Umstellung, haben aber bei den Demos nicht teilgenommen, weil sie Angst vor den Konsequenzen hatten, wenn sie im Seminar fehlten. Das bringt es auf den Punkt.


Peter Unfried: Wie war das bei Ihnen?

Nora Bossong: In der Schule wurde uns nahegelegt, uns ehrenamtlich zu engagieren. Da ging es aber nicht in erster Linie darum, dass es einen glücklich macht oder anderen hilft; das war meist auf den Lebenslauf, das Stipendium, die Berufschancen hin orientiert. Was ja okay ist, aber trotzdem die Verschiebung auf den Lebenslauf hin zeigt. Das markiert auch den Unterschied zwischen Baerbock und ihrem Grünen-Vorgänger: Joschka Fischer warf in seiner Jugend Pflastersteine gegen den Staat; sie dagegen stolpert bei ihrer Kanzlerkandidatur als Erstes über falsche Angaben in einem aufgebauschten Lebenslauf. Der eine hat gewaltsam aufbegehrt gegen eine bestimmte Ordnung und die andere stolpert, weil sie die Ordnung eigentlich noch toppen will.


Peter Unfried: Wieso toppen?

Nora Bossong: Sie will sich so gut einfügen in die Erwartung, die man an sie haben kann, dass sie gar nicht mehr hinterherkommt und Spenden zu ehrenamtlichem Engagement anwachsen müssen oder ein einjähriger Studienaufenthalt in London wie ein vollständiges Jurastudium wirken soll.


Peter Unfried: Die 40-Jährigen sind aufgewachsen in den 90er-Jahren. Liberale Demokratie hatte nach unserer Deutung gesiegt, nun schien es nur noch um mehr Wohlstand, Freiheit, Emanzipation, Weltbürgertum zu gehen. Zitat: ,,Große Herausforderungen schien es für uns nicht mehr zu geben. Wir meinten, uns nur um das Kleingedruckte kümmern zu müssen." Ist das ein zentraler Satz?

Nora Bossong: Es ist ein zentraler Satz, aber zunächst einer, den man auch abschwächen muss, weil das nicht alle einschließt. Die 90er Jahre als besonders heil und sorglos empfunden zu haben, gilt sicher nicht für viele Jugendliche, die in Ostdeutschland aufgewachsen oder aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen sind. Das meint eher eine bundesrepublikanische Gesamtnarration, die über das problematische Zusammenwachsen der beiden deutschen Teile gedeckt wurde, um ein schöneres Bild zu malen, als das, was wirklich war.

https://taz.de/Romane-ueber-Jugend-in-Ostdeutschland/!5833587/

https://taz.de/Herkunft-von-Saa-Staniic/!5575589/

Peter Unfried: Aber?

Nora Bossong: Als in Westdeutschland Aufgewachsene nehme ich es ernst, wenn mir Ostdeutsche sagen: Die 90er Jahre waren ziemlich schlimm. Aber wie schön wären sie denn gewesen, wenn die DDR noch bestanden hätte? Im Vergleich zur Bedrohung des Kalten Krieges ist da insgesamt ein Aufatmen und ein Abfall von Druck und Stress.


Peter Unfried: Wenn wir das als Rahmen und Einschränkung nehmen, so würde ich doch sagen: Die heute 40-Jährigen sind in einer liberalen, emanzipatorisch bemühten wohlhabenden Gesellschaft aufgewachsen, wie es keine zuvor gab. Kein Wunder, wenn sie sich für die Krone der Schöpfung halten.

Nora Bossong: Ich will ja nicht ständig Frau Baerbock als Beispiel nehmen, aber hier passt das. Sie verwendet ja die Floskel von der historischen Verantwortung so oft, dass man schon denkt, dass es bei ihr ein sprachliches Füllsel ist wie ,,aber" oder ,,äh".


Peter Unfried: Sie spürt sie vielleicht einfach?

Nora Bossong: Während Robert Habeck im letzten Sommer Defensivwaffen forderte, hat sie noch im Januar die historische Verantwortung als Grund gesehen, warum man der Ukraine keine Waffen liefern darf. Sechs Wochen später sieht sie die historische Verantwortung als Grund, warum man der Ukraine Waffen liefern darf und auch muss.

Peter Unfried: Ich sehe dieses spezielle Umdenken bei den Grünen als Fortschritt auf dem Weg in die unangenehme Realität.

Nora Bossong: Ja, gut, das ist Ihre Hoffnung. Dann hoffen wir mal, dass es nicht doch beliebig ist und genauso wieder zurückschwenken kann. Jedenfalls überhöht sich eine Sprecherinstanz natürlich ständig selbst mit dieser Verantwortungsfloskel. Sie bringt die gesamte Schwere der deutschen Geschichte ins Spiel und stellt sich drauf, um besser gesehen zu werden.


Peter Unfried: Und ist das jetzt repräsentativ oder speziell Baerbock?

Nora Bossong: Sie ist insofern singulär, als sie die sichtbarste Position hat. Aber die Rolle ist auch repräsentativ für unsere Generation. Wir sind die, die ,,wirklich" aus der Geschichte gelernt haben. Wir sind nicht mehr wie unsere 68er-Eltern, die Steine schmissen und am Ende womöglich noch mit der RAF sympathisierten. Wir sind geläutert, wir haben den nötigen Abstand. Wir sind diejenigen, die jetzt wirklich die historische Verantwortung Deutschlands wie einen leuchtenden Kelch vor uns hertragen.


Aus: "Schriftstellerin Nora Bossong: ,,Es soll immer alles gehen"" Interview: Peter Unfried (18.7.2022)
Quelle: https://taz.de/Schriftstellerin-Nora-Bossong/!5867593/


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Quote[...] Drei Mitglieder der Klimaschutz-Bewegung haben im Februar in München eine Straße blockiert, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Nun hat ein Gericht die Studenten für schuldig befunden.

Aktivisten der Klimaschutz-Bewegung ,,Letzte Generation" sind vom Amtsgericht München wegen einer Festklebeaktion der Nötigung für schuldig gesprochen worden. Die drei Angeklagten, die bei Begehung der Tat auf einer Straße in der Münchner Innenstadt Heranwachsende waren, wurden nach Jugendstrafrecht verwarnt. Die Staatsanwaltschaft hatte jeweils 25 Arbeitsstunden gefordert, die Verteidigung Freisprüche.

Zuvor hatten die Angeklagten ihre Beteiligung an einer Straßenblockade gestanden. Ein Student, der sich bei der Aktion im Februar mit Sekundenkleber auf der Straße festgeklebt hatte, sprach am Freitag von Wut, Trauer und einem ,,irreversiblen Verlust" von Tier- und Pflanzenarten. Er empfinde ,,einfach nur Verzweiflung". ,,Unsere Blockaden sind als Feuermelder notwendig", sagte er. ,,Ich werde das in Zukunft wieder machen."

Mit ähnlichen Aktionen hatte die ,,Letzte Generation" in jüngster Zeit immer wieder Schlagzeilen gemacht. Aktivisten klebten sich etwa wiederholt an Kunstwerken fest oder versuchten, sich beim Bundesligaspiel des FC Bayern gegen Borussia Mönchengladbach an einem Torpfosten festzumachen.

Die beiden ebenfalls angeklagten jungen Frauen, die – mit weiteren anderen – an der Aktion beteiligt waren, äußerten sich am Freitag vor Gericht ähnlich. Eine der Studentinnen sagte, sie sehe es angesichts der dramatischen Folgen des Klimawandels als ihre ,,Pflicht, dagegen anzukämpfen". ,,Ja, ich habe mich auf diese Straße gestellt, um Alarm zu schlagen", gestand sie. Ihr wäre es auch lieber, sie müsste das nicht tun und deswegen vor Gericht stehen, sie habe aber das Vertrauen in die Politik verloren. ,,Wer, wenn nicht wir?", fragte sie. ,,Es macht sonst keiner."

Die Richterin sagte zur Begründung ihres Urteils: ,,Mein Job ist nicht, Politik zu machen, und auch nicht, Politik zu korrigieren. Mein Job ist eine Rechtsanwendung." In Berlin war zuletzt ein 20 Jahre alter Klimaaktivist für seine Teilnahme an einer Straßenblockade zu 60 Stunden Freizeitarbeit verurteilt worden.

Der bayerische Verfassungsschutz wertet die ,,Letzte Generation" nicht als ex­tremistisch. Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner sagte der F.A.Z., die ,,Letzte Generation" sei zwar ,,radikal", auch ,,radikaler geworden", sie ziele aber ,,nicht auf die Aufhebung bestimmter Verfassungsgrundsätze". Deswegen werde sie auch nicht beobachtet.

...


Aus: "Urteil nach Festklebeaktion : Aktivisten der ,,Letzten Generation" wegen Nötigung verwarnt" Timo Frasch, München (16.09.2022)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/letzte-generation-klimaschutz-aktivisten-verwarnt-18322149.html


Textaris(txt*bot)

#12
QuoteJackpot!

... Als Kind bin ich gestorben für Knight Rider.
Kitt und "Super Pursuit Mode" waren alles für mich.

Dann im Erwachsenenalter nochmal probiert, keine gute Idee...
Ich mein, allein "Foundation für Recht und Verfassung" - Entschuldigung, was ist das für ein gottverd*mmter Sche*ßdreck?!


https://www.derstandard.at/story/2000140538351/schlecht-gealterte-filme-welcher-hat-sie-schon-irritiert

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"September 1982: Ein Mann und sein Auto gegen das Unrecht: 40 Jahre "Knight Rider"" (22. September 2022)
Die US-Serie machte David Hasselhoff in den 1980ern zum Weltstar. Zum runden Seriengeburtstag gibt es ein kleines Wiedersehen mit K.I.T.T. ... Los Angeles / Berlin – "Er kommt. Knight Rider. Ein Auto, ein Computer, ein Mann. Ein Mann und sein Auto kämpfen gegen das Unrecht." Mit diesen Sätzen ist eine ganze Generation aufgewachsen. ...
https://www.derstandard.at/story/2000139296307/ein-mann-und-sein-auto-gegen-das-unrecht-40-jahre

QuoteErgo ist

Es gibt eigentlich nur eine Frage: Bonnie oder April?


QuoteKeoma

Das Auto intelligenter als sein Fahrer.
Legendär.


Quotemödern pösting

Ich habe als Kind oft Michael Knight mit Toni Polster verwechselt wegen der Haarpracht und ähnlicher Statur.


QuoteDollys Bustlerstunde

Für mich war eindeutig das Auto der Star. Hab mir damals aus einem Schuhkarton und einem roten Heftumschlag, mit meiner Kinderschere Kitts Frontpartie einen Helm geschnipselt, aufgesetzt und bin monatelang, inkl. den obligatorischen Motoren-, Brems und Computergeräusche durch die Gegend gefetzt, ganz zur Freude meiner Erziehungsberechtigten. TURBOBOOST!


QuoteBozo78

Es heisst "SUPER-Pursuit-Mode"....soviel Zeit muss sein!


QuoteHasdrubal von Blunznwichs

Irgendwann in den Ende der 80er war KITT im Technischen Museum in Wien ausgestellt
Ich als kleiner Stöpsel bin erwartungsvoll hin und sprach: "KITT, bist du's?"
KEINE ANTWORT.
An dieser Enttäuschung nage ich heute noch, zumal meine Mutter damit recht hatte, dass er nicht antworten würde und ich mir keine falschen Hoffnungen machen sollte.



Knight Rider ist wieder da! Nach Jahren des bangen Wartens zeigt RTL endlich wieder den jungen David Hasselhoff, der mit seinem "Wunderauto" auf große Verbrecherjagd geht. Knight Rider war Kult, Knight Rider ist Kult, und Knight Rider mit Bier ist Oberkult! Angeklebte Armaturen, deren Knöpfe beinahe beliebig in Farbe, Beschriftung und Anordnung variieren, während der Fahrt wechselnde Lenkräder, Stuntfahrer mit krasskranken Clownsfrisuren sowie viele, viele, WIRKLICH viele Logik-, Dreh-, oder sonstwie geartete Fehler laden zur spaßig alkoholgetränkten Analyse ein. Die dümmsten Drehpannen, die peinlichsten Hasselhoff-Anmachen, die unauffälligsten Tarnsack-Autofahrer. ...
https://www.regelt.org/knightrider/sprittforfun/knightrider.html

...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die kapitalistische Konterrevolution aus Privatisierung, Deregulierung und Monetarisierung, die seit 1973 durch State Building, Pinochet und Thatcher initiiert worden war, krachte gerade mit Verspätung auf viele Staaten, auch in Westeuropa, aber noch viel stärker in Form der Systemtransformation der postsozialistischen Staaten, derartige wirtschaftliche Schocktherapien von neoliberalen Musterschülern wie Leszek Balcerowicz über sich ergehen lassen mussten, dass ihr Meister Friedrich Hayek nur davon träumen konnte. Wir hatten es aber auch nicht anders verdient und die Globalisierung und Allverfügbarkeit um die Ecke. Angst und Unsicherheit waren besser als Langeweile. Privatsender, Prekarisierung und mediale Ausgrenzung einer durch Werbung und Mitmachspiele gehetzten Konsumgesellschaft und die Alltäglichkeit der Überschuldung durch winkende Kredite, die die Leere kurzfristig füllen oder wenigstens zu kompensieren versprechen, gab es gratis dazu.

[...] 1994 habe ich zum Völkermord in Ruanda an den Tutsi noch nichts mitbekommen, nichts nichts von der Verschärfung der Asylgesetze 1992/93. 1999 war Kosovo-Krieg, diese Region kannte ich aus den früheren medialen Kriegsdiskursen, das spielte am Rande von Europa, der mir bekannten Welt. Es spielte und war doch da, nur betraf es mich nicht, nur ein paar Leute, die geflohen waren und jetzt am Rand meiner Stadt wohnten, wo, wusste ich nicht genau. Es gab die Brandanschläge auf Asylbewerberheime Anfang der 90er, rassistische Pogrome in Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und weiteren Städten in Ost und West, da durfte ich noch kein Fernsehen gucken, es gab die Treuhand mit aufgeteiltem Boden, überwucherten und getilgten Mauerreden. Telekom-Aktien später, Verkauf von Handylizenzen, mein Vater, in 700 Kilometer Entfernung, steigt ein aber für den dot-com-Boom reicht's und die Hoffnung auf Mittelstands-Aufstiegsgeschichten, Imitationen, Unabhängigkeiten (wofür auch sonst migrieren). Aber ich wusste von den Erzählungen, die MTV seit `97 und Viva seit `94 erzählten. Sie retteten mir die Nachmittage, indem sie sagen: du bist dabei, du kannst einer von uns werden!

[...] Die Konkurrenz hat mich zu jemand andrem gemacht. Zu einem Teil der angepasstesten, unpolitischsten Generation seit Jahrzehnten und auch jetzt: eine einzige Entschuldigung, wenn ich mich auf die Suche mache nach den Gründen, von denen ich mich so langsam löse. Meine Familie ist ein gutes Beispiel für ein Produkt der 90er.

[...] Die späten Achtziger aus Sicht der Neunziger, Neuanfänge, Skateboards, Tetris, He-Man. Wie die Sounds der 90er mir aus Videospielen, aus Werbefetzen bekannt sind. Technische Voraussetzungen schufen einfacheres Cut-Up. Collagieren prägt das Klangbild, die Soundkulisse, in der ihr aufgewachsen seid.

...


Bruchstücke aus: "90s Blues (Level 1 + 2)" Johann Wiede (3. September 2022)
gepäckträger - Form für Gegenwartsstudien, Grenzschwimmen und Antrieb
Quelle: https://gepaecktraeger.wordpress.com/2022/09/03/90s-blues-level-1/


Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Zu:  Miriam Gebhardt  - Unsere Nachkriegseltern: Wie die Erfahrungen unserer Väter und Mütter uns bis heute prägen (2022)

... Sie haben ihre Kindheit oder Jugend im Zweiten Weltkrieg erlebt, sind nach dem Krieg herangereift, wurden erwachsen und bekamen Kinder. Diese Nachkriegseltern hinterlassen bei den nachfolgenden Generationen Spuren, die oft von einem unstillbaren emotionalen Hunger künden.

Im Keller der Eltern von Beate K. stapeln sich die Kisten, sodass fast kein Durchkommen ist. Auch Wohn- und Schlafzimmer in dem Haus in einer westdeutschen Mittelstadt sind dicht möbliert. Gerade haben sich die Eltern eine neue Küche gekauft. Wenn die Mutter dreier Kinder hier zu Besuch kommt, schläft sie meist anderswo. Und ihr wird bange vor dem Tag, wenn ihre Mutter oder ihr Vater sterben oder vielleicht in ein Pflegeheim umziehen müssen.

K.s Vater und Mutter sind Jahrgang 1940 und 43, im Zweiten Weltkrieg geboren, in den Nachkriegsjahren erwachsen geworden. Sie gehören zu jenen "Nachkriegseltern", denen die Historikerin Miriam Gebhardt gerade ein eigenes Buch gewidmet hat. Für die Autorin war die Generation auch ihrer eigenen Eltern ein Leben lang auf der Suche nach der Erfüllung von Bedürfnissen. "Die Kinder merken oft, dass die Schränke überquellen mit aufgehobenen Kleidern, Plastiktüten, Schuhen und allen möglichen mehr oder weniger nützlichen Dingen", erzählt Gebhardt ntv.de. "Dahinter steckt meines Erachtens ihre Ausrichtung auf materielle Sicherheit und Wohlstand." Als ließe sich die menschliche Seele für den Kriegs- und Nachkriegsmangel entschädigen.

Gebhardt, die bereits über die Erziehung im 20. Jahrhundert, die deutsche Frauenbewegung, die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" und die Vergewaltigungen deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs geschrieben hat, bezeichnet "Unsere Nachkriegseltern" als ihr persönlichstes Buch. Es beginnt mit dem Tod ihres Vaters, der einen Herzstillstand erlitt, bevor er, wie bereits geplant, in ein Altersheim umziehen konnte. "Seither denke ich mehr über mein Leben und das meiner Eltern nach", schreibt die 60-Jährige und taucht dann tief in die Themen des privaten Lebens der zwischen 1930 und 1945 Geborenen ein.

Es geht ums "Lieben, Kinder bekommen, Sexualität, das Gefühl der Verankerung im Leben, das Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit", erzählt die Autorin. Ihre thematische Auswahl sieht sie als offen an, "um weiterzuforschen und zu überlegen". Für sie selbst war das Gefühl einer inneren und äußeren Unbehaustheit das entscheidende Thema. "Ich habe mich gefragt, warum in Gottes Namen bin ich allein in München in jungen Jahren zwölf Mal umgezogen?" Gebhardt ist nicht die Einzige in ihrem Freundeskreis, die immerzu auf gepackten Koffern und Kisten sitzt. Und nicht nur sie verbindet das mit dem Schicksal der Eltern im Krieg, "mit den Traumata, Verlusten und emotionalen Defiziten, die sie erlitten haben und die ihre Kinder reparieren sollten". Bei den Söhnen und Töchter der Nachkriegseltern blieb oft das Gefühl, dass es nie um sie selbst geht, sondern immer nur um die anderen.

Für die Tochter von zwei Psychologen ist es von diesem Gedanken nicht weit bis zum psychologischen Begriff der Parentifizierung. Er beschreibt, wenn die Rollen zwischen Eltern und Kindern umgedreht werden und Kinder verantwortlich für die Fürsorge der Eltern gemacht werden. Manche Eltern erwarten, dass man sich immerzu um ihre Krankheiten kümmert, andere haben ständig Aufgaben für die Kinder oder erwarten regelmäßige Besuche oder Anrufe. "Das hat es den Boomern schwerer gemacht, ihre eigenen Leben zu gestalten", meint Gebhardt.

"Die Berufswahl, die Wahl des Lebensmodells, eben die grundsätzlichen Lebensentscheidungen sind ein Ergebnis der Sozialisation", schätzt die Autorin ein. Da habe eine doppelte Last auf dieser Generation gelegen. "Einerseits hat sich die Wirtschaft dynamisiert und es wurde eine ständige Weiterentwicklung und Verfügbarkeit erwartet. Andererseits gibt es dieses familiäre Erbe, das seine Ursache in den Kriegsbrüchen der Biografien der Eltern, aber auch in der Nachkriegszeit hatte

Die Nachkommen hatten immer die Mütter und Väter vor Augen, die die Ärmel hochkrempelten und bis zur Erschöpfung versuchten, "sich durch Häuserbau und die Anschaffung aller möglicher Wohlstandsgüter eine neue Verankerung im Leben zu schaffen". Gebhardt wertet das auch als Folge der NS-Erziehungsideologie. "Die Eltern wurden ja noch in dieser Zeit erzogen und haben diese Erziehungsstile in den Knochen gehabt und teilweise auch noch fortgeführt."

Hinzu komme die historische Erfahrung, wie wichtig es ist, dass man leistungsfähig ist. In Kriegszeiten könne nur überleben, wer anpacken kann und auch von körperlichen Bedürfnissen unabhängig ist, "der die Zähne zusammenbeißen kann". Ihr Vater habe immer erzählt, dass er zur Not auch mal mit einer halben Zitrone im Gepäck eine Bergwanderung absolvieren konnte. "Es war ein wichtiges Thema, die körperlichen Grenzen überschreiten zu können." Die nächste Generation schwankte dann häufig zwischen Verweigerung und ebenso extremer Leistungsbereitschaft.

Viele Eltern seien einfach mit ihren eigenen uneingestandenen Bedürfnissen so beschäftigt gewesen, dass sie kaum noch Ressourcen hatten, sich um die Bedürfnisse ihrer Kinder zu kümmern. "Deshalb war es gern gesehen, wenn wir Dinge möglichst klaglos allein geschafft haben." Wochenlang wurden Kinder ins Ferienlager geschickt. "Und obwohl es da fürchterlich war, haben wir nicht gesagt, das mache ich nicht wieder." Selbst wenn es zwischendurch in einer Übergangszeit zwischen zwei Jobs oder während des Studiums schwierig war, versuchten die meisten Boomer, es irgendwie allein hinzukriegen und können sich das bis heute nur schwer abgewöhnen.

Gebhardt hat für ihr Buch nicht nur die eigenen Erfahrungen und Forschungen genutzt, sondern auch Aufzeichnungen aus dem Deutschen Tagebucharchiv. So habe sie "die Verzerrung durch Erinnerung, Beschönigung oder Rechtfertigung" begrenzen wollen. "Ich bin da ohne vorher festgelegte Fragen herangegangen und habe einfach Tagebücher der entsprechenden Geburtsjahrgänge bestellt." Eingang in das Buch fanden schließlich unter anderem ein Sexualstraftäter aus Niederbayern, der in Sicherungsverwahrung sitzt und immer wieder rechtfertigt, warum er sich als Exhibitionist betätigt. Oder eine bürgerliche Ehefrau, die sich in einen anderen Mann verliebt, das aber nicht zulassen kann, weil in ihrer Vorstellung Liebe, Sexualität und Ehe eins sind.

Die Reaktion der Kinder von Nachkriegseltern war oft ein besonderes Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit sich selbst. Das unterscheide sie wesentlich von der Vorgängergeneration, so Gebhardt. "Der Psychoboom der 70er Jahre fiel in eine ganz wesentlich prägende Lebensphase der Pubertät und des jungen Erwachsenseins. Das kam uns zugute, deshalb haben viele nicht einfach wiederholt, was ihre Eltern ihnen als Aufträge mitgegeben haben. Stattdessen gab es die Möglichkeit, das zu reflektieren und auch zu revidieren."

Inzwischen sind die Boomerkinder von damals selbst schon fast Senioren, viele nähern sich der 60 oder sind es schon. "Ich glaube aus eigener Erfahrung, dass das so ein Moment ist, wo eine Bestandsaufnahme fällig ist", sagt die Historikerin. Für sie gehe es aber auch um den Ausblick auf das, was man mit den verbleibenden Lebensjahren noch anfangen kann. Die Fragen werden dringender: "Kann ich nie erfüllte Wünsche und Bedürfnisse noch erfüllen? Kann ich mich von bestimmten vorgespurten Wegen verabschieden?" Ihren Ausdruck findet diese Suche nach Gebhardts Ansicht in den vielen Memoiren, autobiografischen oder Familienromanen. Die intensive Sicht auf die alternden oder schon gestorbenen Eltern ermögliche oft sogar eine Befreiung. "Das ist einerseits so ein Moment des Erschreckens und andererseits ein Moment der Lösung von emotionalen Blockaden, vielleicht auch von Verständnis oder sogar Aussöhnung."


Aus: "Transgenerationale Prägungen: Die Kinder der Nachkriegseltern und ihre Kämpfe" Solveig Bach (07.10.2022)
Quelle: https://www.n-tv.de/leben/Die-Kinder-der-Nachkriegseltern-und-ihre-Kaempfe-article23632630.html


Textaris(txt*bot)

#15
Quote[...] Ksenia ist Russin, sie ist Deutsche, sie ist Jüdin, sie ist unter Zeugen Jehovas aufgewachsen, sie ist eine junge Frau, Mutter, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin – das alles ist sie und gleichzeitig ist sie nichts davon. Bei der Erforschung des eigenen Identitätspluralismus sammelt sie Ebay-Anzeigen, die das Wort »russisch« enthalten, notiert Gespräche von Arbeitskolleg:innen, korrigiert Stellenaushänge, beobachtet russische Mütter in der Stadt und israelische Verwandte auf Facebook, besucht arabische Läden, diskutiert mit einem Logopäden, dolmetscht in einer Psychotherapie für Flüchtlinge, erinnert sich immer wieder an einen traumatischen kindlichen Zustand von Orientierungslosigkeit und Fremdbestimmung, betastet misstrauisch ihren Körper und fragt sich nach einer Definition und dem Wert des eigenen Daseins. ...

Autorin Slata Roschal
Seiten 176
Erscheinungsdatum 24. Februar 2022
Ausgabe Hardcover
ISBN 978-3-946120-94-0



Aus: "Slata Roschal: 153 Formen des Nichtseins" (2022)
Quelle: https://homunculus-verlag.de/produkt/slata-roschal-153-formen-des-nichtseins/

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QuoteRezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.03.2022

Rezensent Moritz Baßler staunt über den Sog von Slata Roschals autofiktionaler Prosa aus den Dialogen, Briefen, Listen, Zetteln und Social-Media-Einträgen einer jungen jüdischen Russlanddeutschen. Wie die Autorin die gesamte Facettenvielfalt der Figur in deren Sprache packt, scheint Baßler bemerkenswert. Die zugängliche Vielstimmigkeit dieser Prosa erinnert Baßler an Dostojewski, nur dass Roschal damit die "relevanten Diskurse" unserer Zeit angeht und das komplexe "weibliche postmigrantische Subjekt" sprechen lässt, wie er erkennt.

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Aus: "153 Formen des Nichtseins" (2022)
Quelle: https://www.perlentaucher.de/buch/slata-roschal/153-formen-des-nichtseins.html

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Quote[...]  "Wenn ich von Russen rede", so schreibt sie im Roman, "dann gehe ich von etwa dreihundert Russen aus, die ich seit meiner Kindheit bis jetzt kennengelernt habe. Ich kenne sie zu wenig, um sichere Aussagen über ihre Essgewohnheiten, ihre familiären Sitten, ihr Humorgefühl, die Häufigkeit und Menge ihres Alkoholkonsums, ihre Haustiere, ihre Kleidung und Kosmetik, sexuelle Vorlieben, Bildung und Arbeit treffen zu können." Was sie allerdings feststellt: "Manchmal ist das Russisch der hier lebenden Russen so grauenhaft, dass ich sie am liebsten aus der Russen-Kartei streichen und in die Deutschen-Kartei überführen möchte, eine Umsiedlung, die nur in meinem Kopf passiert".

In diesem Kopf muss sich Ksenia immer wieder mit Klischees und Vorurteilen auseinandersetzen. Im Gymnasium verteidigte die Aussiedlerin ihre "angebliche Heimat, an die ich mich kaum erinnern konnte, und balancierte zwischen zwei Formen des Nichtseins, des Russischseins und des Deutschseins". Sie erlebt das Drama des einsamen Kindes, das auch Schriftstellerinnen wie Lena Gorelik in ihren Werken beschreiben, mit aller Traurigkeit, auch Scham.

Doch bei Slata Roschal kommt noch eine weitere Dimension hinzu. Denn die Familie der Ich-Erzählerin konnte zwar nur deshalb nach Deutschland ausreisen, weil der jüdische Großvater sie nachholen durfte - doch eigentlich sind die Eltern Zeugen Jehovas, und das bedeutet eine zusätzliche Bürde für die Kinder. Ksenia muss scheußliche lange Röcke tragen und sich auf stundenlangen Versammlungen indoktrinieren lassen. Die Erziehung ist streng - Prügel gehören dazu -, die Sexualmoral rigide. Kein Wunder, dass es in diesem Roman auch um eine Auseinandersetzung mit Körperbildern geht, um Vorstellungen von Weiblichkeit, auch um die Rolle als junge Mutter übrigens.

Gleich einer der Anfangstexte beschreibt die erste heimliche Liebesaffäre der Achtzehnjährigen mit einem doppelt so alten Mann: Georgij oder Georg ist zur Hälfte Russe, zur Hälfte Armenier, "ein richtiger Mann, stark, potent, mit allen dazugehörigen Attributen, einem großen Mercedes und einer behaarten tätowierten Brust", und er hat genaue Vorstellungen davon, wie Frauen sind - entweder Mutter und Ehefrau oder Nutte. Und die junge Frau, die sich in ihn verliebt hat, versucht ihm zwar zu widersprechen - doch "schwankend auf hohen Absätzen" eben auch zu gefallen.

Wie löst man sich von seinen Prägungen? Dieses Buch ist das beeindruckende Zeugnis einer Bewusstwerdung, einer mühsamen Selbstermächtigung und gibt Einblick in die Reflexionen und widersprüchlichen Gefühle, die zu einem solchen Prozess dazugehören. Die Ich-Erzählerin träumt nicht zufällig davon, einen "Roman zu schreiben über die Angst vorm Nichtsein", träumt davon, "dann die Ganzheit im Text, durch einen Text zurückzugewinnen". Der Weg vom Nichtsein zum Sein, er führt über das Schreiben.

...


Aus: "Von Ängsten und Aufbruch" Antje Weber, München (11. März 2022)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/slata-roschal-153-formen-des-nichtseins-autorin-muenchen-russland-russland-deutsche-roman-1.5545588

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ob man Teil einer Generation war, entscheidet sich immer erst hinterher, nämlich dann, wenn bestimmte Epochenereignisse oder kulturelle Entwicklungen an eine Generation geknüpft worden sind. Die »lost generation« war die der jungen Erwachsenen nach dem Ersten Weltkrieg, die 68er waren die, die in den meisten westlichen Ländern eine Phase der kulturellen Liberalisierung einleiteten. Das war für die Entwicklung der Bundesrepublik ein erfolgreiches Generationenprojekt, natürlich schon vor 1968 eingeleitet und in den späten 1970ern durch die Ökobewegung ausklingend.

Wenn ein Generationenprojekt erfolgreich war, möchten im Nachhinein auch diejenigen dazugehört haben, die in der Echtzeit der Geschehnisse kein bisschen damit zu tun hatten. Die erzählen dann von Demos, obwohl sie nur in der Mensaschlange gestanden hatten. Und sogar Biedermännchen wie Friedrich Merz re-imaginieren sich als wilde Burschen, wenn deutlich wird, dass am molliwerfenden Ex-Sponti Joschka Fischer dann am Ende doch ein Geruch von Freiheit und Abenteuer hängengeblieben ist und die seinerzeitigen revolutionären Umtriebe im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik eher positiv erinnert werden. Kurz: In der ablaufenden Zeit eines gesellschaftlichen Prozesses ist außer für die beliebten Trendforscher, die ohne Unterlass neue Generationen für ihre Kunden erfinden, völlig unklar, ob sich historische Verdichtungen zu Epochenereignissen formen, die dann eine Erlebnisgeneration gebildet haben werden. Oft passiert ja über lange Strecken nicht allzu viel, dann gibt's auch keine Generation im kulturellen Gedächtnis.

Wenn man Klaus Hurrelmanns Gegenwartsanalyse zur Lage der gegenwärtig jungen Generation in diesem Heft folgt, sieht es nicht so aus, als würde die Pandemie eine »Generation Corona« als Nenner einer Kollektiverfahrung formen – im Gegenteil geht er davon aus, dass zwei Drittel der Alterskohorte, die prägende Entwicklungsjahre in der Pandemie durchlebt, nicht sehr stark unter den Nachwirkungen der Krise leiden wird. Aber ein Drittel, und darunter überwiegend junge Männer, ist kumulativ von schlechterer Schulbildung, prekärem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und den lebensweltlichen Beschränkungen in der Pandemie betroffen, und diese Gruppe wird – so die Aussichten – möglicherweise der Gesellschaft verloren gehen, also empfänglich für populistische und ausgrenzende Botschaften sein. Also hat man es, dem Jugendforscher zufolge, nicht mit einer lost generation im Ganzen zu tun, sondern mit einer Generation, in der ein erheblicher und viel zu großer Anteil mit großer Wahrscheinlichkeit lost gehen wird.

Dieser Befund ist genauso erstaunlich wie die Beobachtung, dass sich die Alterskohorte der heute 14- bis 25-Jährigen in der Krise überwiegend als ausgesprochen diszipliniert und solidarisch gegenüber den durch das Virus zunächst besonders gefährdeten Älteren gezeigt hat. Zum Dank dafür sind die Jungen dann als verantwortungslose Party-People medial gebasht worden – etwa vom notorischen Christian Lindner (in der FAS vom 18. April: »Meinen Eltern den Spaziergang zu untersagen hält die Studierenden in Kreuzberg nicht davon ab, eine illegale Wohnungsparty zu feiern.«) Und zum weiteren Dank werden sie – wenn die älteren Geimpften von den Grundrechtseinschränkungen befreit sind – im Frühsommer die Rentner im Außenbereich der Pizzeria Sorrento beim Grappa-Trinken betrachten dürfen.

Was ihre Chancen auf einem Arbeitsmarkt betrifft, der postcoronal von erheblichen Rationalisierungen im Windschatten der Krise gekennzeichnet sein wird, darf man von steigender Jugend- und Sucharbeitslosigkeit ausgehen. Auch was die generationell umgekehrt zu fordernde Solidarität der Älteren mit den Jüngeren in Sachen Klimapolitik angeht, sollte man keine Illusionen hegen – die SUV-Bestellungen und Kreuzfahrtbuchungen werden sicher nicht zurückgehen und die »Man gönnt sich ja sonst nichts«-Mentalität gerade nach überstandener Krise fröhliche Exzesse feiern.

Wenn man dazu noch die Einschätzung von Diana Kinnert nimmt, dass man es bei den Jungen mit einer tendenziell einsamen Generation zu tun hat, die zwar vernetzt, aber nicht verbunden ist, bleibt dann doch die Frage nach der politischen Sprengkraft, mit der man es künftig zu tun bekommen könnte. Zu den vielen Gemeinheiten des Virus zählt ja auch, dass die unglaublich erfolgreiche Jugendbewegung der Fridays for Future im vollen Lauf gestoppt wurde. Soziale Bewegungen brauchen die physische Anwesenheit und gemeinsame Aktion, das lässt sich nicht digital kompensieren, weshalb man gespannt sein muss, ob es den Fridays gelingt, mit Blickrichtung Bundestagswahl in diesem Herbst (falls die Pandemie dann überstanden sein sollte) wieder richtig Kraft zu entwickeln. So scheint mir in der Gesamtschau doch einiges an Generationenungerechtigkeit als Erblast der Krise übrig zu bleiben, und man wird sehen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen das haben wird – von verlorenem Politikvertrauen über empfundene und faktische Benachteiligungen bis hin zu verbreiteten Gefühlen von Verlassenheit.

Norbert Elias hat in seinen 1989 erschienenen Studien über die Deutschen geschrieben, dass die »Verengung und Erweiterung der Lebens- und Sinnchancen im Allgemeinen und der Laufbahnchancen im Besonderen für die jeweils jüngeren Generationen einer Gesellschaft« die Machtbalance zwischen den Generationen unmittelbar beträfe und dass solche »Vorgänge den Kern der gesellschaftlichen Generationenkonflikte bilden«. Generationenkonflikte sind für Elias wiederum die stärksten Treiber sozialer Dynamiken, was man nicht romantisieren sollte: Der Nationalsozialismus war ebenso ein Generationenprojekt wie die russische Revolution oder die arabische Rebellion; Elias machte seine Beobachtungen am Beispiel der RAF. Jedenfalls ist jede Blockierung der Zukunftschancen der nachrückenden Generation zutiefst ungerecht, besonders dann, wenn die Vorgängergeneration zu den größten Profiteuren genau jener Entwicklung zählt, durch die die Zukunft der Nachrückenden eingeschränkt wird. Das ist an der ungeheuren Erhöhung des materiellen Wohlstands durch eine Wachstumswirtschaft, die sich für die ökologischen Folgekosten ihres Erfolgs nicht interessiert, sehr anschaulich zu beschreiben. Hier schwimmt meine, die Boomer-Generation, gleichsam als Fettauge auf einer Suppe, die die Jüngeren auszulöffeln haben.

Daraus kann politisch gar nichts anderes folgen als die Einforderung von intergenerationeller Solidarität: Die Zukunft muss eine offene bleiben, und das geht nur, wenn die Älteren beginnen, sich gegenüber den Jüngeren zu deprivilegieren. Richard David Precht macht dazu den hübschen Vorschlag eines sozialen Pflichtjahres für Rentner, aber weiter gedacht müsste solche Solidarität steuerliche Benachteiligungen umwelt- und klimaschädlichen Verhaltens genauso vorsehen wie rechtliche Rahmensetzungen für nachhaltiges Wirtschaften, und das hinreichend radikal. Auch wenn das viel kostet, kommt man aus Gerechtigkeitsgründen nicht daran vorbei. Vielleicht sehen ja die Grünen jenseits ihrer Stammwählerschaft, die mehrheitlich ihre Zukunft schon hinter sich hat, darin eine Chance, jüngeren Wählerinnen und Wählern und womöglich sogar künftigen Mitgliedern eine politische Perspektive zu geben.


Aus: "Wer wird lost gewesen sein?" HARALD WELZER (taz FUTURZWEI Ausgabe 17, 2021)
Quelle: https://taz.de/Generation-Corona/!5778242/

Textaris(txt*bot)

#17
Quote[...] Der Satiriker Sebastian Hotz, bekannt unter dem Pseudonym El Hotzo, bringt allein schon mit seinen kurzen Tweets viele Menschen zum Lachen. Er zählt insgesamt mehr als zwei Millionen Follower auf Twitter und Instagram. Jetzt hat er seinen Humor in einem Roman zusammengepackt. Mit Satire verpackt er lebensnahe Beobachtungen, die häufig auch die Arbeitswelt und Jobsituationen humorvoll kritisieren sollen [https://www.derstandard.at/story/2000134154631/sebastian-hotz-alias-el-hotzo-mein-humor-ist-ein-millennial].

So auch in seinem neuen Buch "Mindset", welches von jungen Millennials (Menschen, die um die Jahrtausendwende groß geworden sind) handelt, die sich als – relativ durchschnittliche – Protagonisten in der Spirale der Leistungsgesellschaft befinden. Oder besser gesagt: an ihr festhalten.

Wer kennt nicht einen von den unendlich vielen Coaches, Mentoren und Trainern, die in Workshops und Vorträgen zeigen wollen, wie jeder Mensch die Karriereleiter ganz einfach hochklettern kann. Wenn sie sich nur genug anstrengen. Das Wort Mindset hat deshalb in dem Buch eine ganz besondere Stellung. Es bringt die neoliberale Ansicht auf den Punkt, äußere Gegebenheiten hätten keinen Einfluss auf den Karriereweg, jeder könne ein Star werden. Wer dies nicht versucht, sei faul oder nicht willens genug.

Genau das verkörpert auch die Hauptfigur im Roman von El Hotzo: Maximilian Krach ist ein Mittzwanziger-Motivationscoach aus Gütersloh, der in unterschiedlichen deutschen Städten in Nordrhein-Westfalen in Hotelseminarräumen Kurse gibt für Menschen, "die was aus sich machen wollen". Denn Erfolg ist eben kein Glück, ist das Motto von Krach.

Der Protagonist hangelt sich von einer Selbstinszenierung zur nächsten, in Wirklichkeit sucht er als Durchschnittsbürger nur Anerkennung in einer schnelllebigen, kapitalistischen Welt. Er zeigt, was Social Media und die kompetitive Welt mit einem machen können: um jeden Preis erfolgreich, individuell und beneidenswert auszusehen. Betonung auf "auszusehen", denn in Wirklichkeit ist auch Krach, so wie viele in sozialen Medien, ein Hochstapler. Er fakt seine Instagram-Bilder, seine Luxusuhr ist eine Fälschung.

Doch der Roman zeigt auch, wie sehr dieses zwanghafte Streben nach Perfektion anstecken kann. Der zweite Protagonist, Mirko, ein durchschnittlicher IT-Servicemitarbeiter eines mittelständischen Unternehmens, entdeckt eines Tages das Kursprogramm von Maximilian Krach. Und auch in ihm kommt das Bedürfnis auf, aus dem langweiligen Bürotrott, in dem er sich unbeachtet und zu schüchtern vorkommt, auszubrechen.

Leseprobe

    So wie Mirko gerade dasitzt, über das Handy gekrümmt, sein Tagesablauf nur daraus bestehend, seinen Blick von einem Bildschirm zum nächsten zu bewegen, an einen Job gefesselt, der zu gut ist zum Jammern und zu schlecht für alles andere, so ist Mirko wirklich ein Versager. Er wird genauso enden wie Angela, schrullig, ambitionslos, untrennbar mit dem eigenen Zahnrad im Uhrwerk verbunden, sich stetig selbst einredend, dass die eigene Aufgabe wichtig sei, nur um sich eines Tages unausweichlich eingestehen zu müssen, dass die Zeit, die er hatte, an ihn verschwendet worden war. Die unheimliche Wut, die ihm gestern Morgen an der Bushaltestelle in die Glieder gefahren war, steigt wieder hoch, hämmert ihm von innen gegen die Schläfe, versetzt jeden seiner Muskel in Bereitschaft für einen Kampf, der niemals kommen wird.

Dabei versteckt sich auch einiges an Kritik an der heutigen Arbeitswelt in der Geschichte. Mirko, der sich gefangen in einem sich nie verändernden Arbeitsprozess sieht, versucht die Geschäftsführung von neuen Ideen zu überzeugen. Er nimmt all seinen Mut zusammen, doch er bekommt nur uninteressierte Anteilnahme zurück.

Gleichzeitig herrscht aber die gesellschaftliche Ansicht, wer nicht mit Anzug in teuren Autos fahren kann, hat es im Leben zu nichts gebracht. Eine Art Respektlosigkeit von White-Collar-Jobbern gegenüber Arbeiterinnen und Arbeitern. Das lässt Maximilian Krach auch in seinem Workshop spüren. Er stellt einen einfachen Pizzaboten als Versager vor, als jemanden, der es als Schaf noch nicht in den Wolfspelz geschafft hat.

Leseprobe

    [...] Dieser Typ hat keine Ambition, nichts, wofür sich das Altwerden lohnt, noch nicht mal wirklich etwas, wofür es sich morgens lohnt aufzuwachen.« »Dieser Typ«, Maximilian freut sich, diese Geschichte endlich mal wieder jemand Neuem erzählen zu können, endlich wieder jemanden dabeizuhaben, für den die bedeutungsschwangere Stille, die er jetzt Millisekunde für Millisekunde genüsslich auskostet, tatsächlich bedeutungsschwanger ist. Natürlich wirken die üblichen Besucher seiner Seminare immer pflichtbewusst abgeholt von seinem Vortrag, doch so wie ein Film am besten ist, wenn man ihn zum ersten Mal sieht, so sind es auch seine Vorträge. »Dieser Typ war ich.« Wie jedes Mal an dieser Stelle springen die Blicke des Publikums jetzt abwechselnd zwischen seinem Gesicht und dem des Pizzaboten auf dem Foto hin und her. Klar, der Kiefer ist nicht ganz so markant, die Wangenknochen nicht so edel definiert, die Haut von der Kälte des Regens und der Anstrengung des Radfahrens gerötet, doch die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Maximilian, der menschgewordene Erfolg, der Wolf unter den Schafen, war an irgendeinem Punkt das, was er selbst als Versager bezeichnet.


Als Leserin wartet man eigentlich nur auf den Zeitpunkt, an dem Krach entlarvt wird. Auch weil er die Hotelrezeptionistin Yasmin ohne Grund respektlos behandelt – sie ist ja in seinen Augen auch nur eine Person, die es nicht weit geschafft hat.

In dem Roman zeigt Sebastian Hotz den Selbstinszenierungswahn der heutigen Zeit auf, wenn das Selbstbewusstsein sich nicht entwickelt hat und wenn der Alltagstrott zu groß ist. Die vielen ironischen Momente in dem Buch bringen all jene zum Schmunzeln, die sich selbst dabei schon erwischt haben, sich aufgrund anderer "Erfolgsstorys" nicht gut genug zu fühlen. Man liest heraus, dass Hotz lange Erfahrungen mit flotten, kecken Witzen hat – und wohl jetzt das Bedürfnis hatte, seinen Humor in eine richtige Geschichte zu verpacken. (Melanie Raidl, 5.4.2023)


Aus: ""Mindset" - El Hotzos neuer Roman entlarvt die Angst vor Durchschnittlichkeit im Job" Melanie Raidl (5. April 2023)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000145229489/wie-el-hotzos-neuer-roman-die-angst-vor-durchschnittlichkeit-im

Quotetuwaa

El Hotzos Roman bringt das Problem seiner Generation auf den Punk!

Nicht alles im Leben muss Spaß machen oder einen Sinn ergeben. Man mach Dinge, weil sie gemacht werden müssen (Ob Müllmann oder Buchhalter) um dort die Mittel zu erarbeiten mit denen man das tun kann was Sinn und Spaß macht! Und alle was man tut ob gut oder schlecht ergibt einen Sinn!


QuoteEumelinchen

Oh ja, recht hat er! Ich kenne nur wenige Millenials mit einer ausgeprögten eigenen Persönlichkeit. Die meisten sind das Produkt von Helikoptereltern. Sie funktionieren perfekt, aber vor lauter Förderung hatten sie nie Zeit und Gelegenheit, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Eigene Fehler machen, auf die Nase fallen und wieder aufstehen? Ohnein. Selbst Entscheidungen treffen und dazu stehen? Ohje. Notfalls wird Übermuttern schon richten. Da Instagram scheinbar die einzige Inspirationsquelle ist, schauen auch alle irgendwie gleich aus. So kreativ und individuell wie die drauf sind, dürfte es kein Problem sein, die meisten in ein paar Jahren durch eine KI zu ersetzen.


Quoteblitzkneißer1

Könnte man vielleicht etwas liebevoller und lösungsorientierter formulieren. Würde irgendwie mehr zur Diskussion beitragen als Pauschalierungen über eine Generation. Sag ich als alte Frau.... ;)


QuoteEumelinchen

Könnte man *grins*. Ich bin aber kein Millenial und ich bin überzeugt, dass wir als Gesellschaft wieder lernen müssen, offen, direkt und auch mal härter zu diskutieren. Aktuell ist es Trend, sich in gaaaanz rücksichtsvollem Ton Oberflächlichkeiten zu bieten und dann heimlich zu intrigieren und den vermeintlichen Gegner zu übervorteilen. Wer direkt ist, macht sich angreifbar.  ...


Quotezumutbar

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Lösungsansatz verstehe, ich denke nämlich, dass dazu mindestens zwei Parteien gehören. Dass offener, direkter (von mir aus: härter) diskutiert werden sollte, sehe ich ein. Auch den angesprochenen Trend verstehe ich. Nur: Für den können Millenials rein gar nichts. Diese Umgangsformen werden ihnen - gerade im betrieblichen Umfeld - förmlich aufgezwungen. Angreifbarkeit wird von Boomern und Gen.X gnadenlos bestraft; das ist oft kein lehrreiches Sparring, sondern einfach ein Niederstrecken. Günstlinge werden dafür gezogen und gefördert, eigentlich ganz im Stil von Helikopterchefs, um bei der Metapher zu bleiben. Ich schiebe diese Entwicklung der Bequemlichkeit oder Hybris der Altgedienten zu.


Quoteblitzkneißer1

Man könnte aber vielleicht auch einfach Verständnis füreinander zeigen, oder zumindest bereit sein, die Situation anderer zu verstehen. Halte ich für die zielführendere Methode, wenn es um Lösungen für Probleme geht. Harsche Kritik ist zwar durchaus Psychohygiene für einen selbst, bewirkt aber meist Blockade beim Gegenüber.


QuoteGucky01

Sind sie sich, dass sie Millenials meinen und nicht die Zoomers? Bin anfang dreißig und defacto nütz in meinen Freundeskreis fast keiner aktiv Insta, etc. Insta ist eher 20-25 alles darunter ist schon auf tiktok oder Snapchat. Vor allem wie soll ein eigene Persönlichkeit aussehen? Wie bestimmt man ab wann man ein Persönlichkeit hat?


QuoteEumelinchen

Nach der mir bekannten Definition sind die Millenials die vor der Generation Z Geborenen und damit genau diejenigen, die Insta nutzen oder nutzten. Bei den ganz jungen habe ich ein bisschen Hoffnung, dass die zur aktiven Abgrenzung neigen und damit auch wieder ein eigenes Profil auf die Reihe bekommen.

Selbstoptimierung ist das Gegenteil von echter Persönlichkeit und Individualität. Und genau das bräuchten wir in Europa wieder. Junge Leute mit dem Mut auch mal auf die Schnauze zu fliegen, unkonventionell, kreativ und entscheidungsfreudig. Das kommt man eher hin, wenn man den Coach zu Teufel jagt, sich sinnlos besäuft, am nächsten Tag mit dem Rucksack loszieht, sich die Instafrisur gründlich ruiniert und wenn man wieder da ist, ein soziales Jahr im Altersheim macht und sich anschaut, wo es im Leben wirklich hingeht. Und dann anpackt und die bleibende Zeit für wirklich wichtige, echte Menschen im richtigen Leben nutzt.


Quotelaht

Toll, und wie soll man die 700€ Miete fürs WG-Zimmer bezahlen?


QuoteEumelinchen

Die Mieten sind auch deshalb so hoch, weil unreflektiert von den Selbstoptimierern das Wirtschaftswachstum angeheizt wird. Es gibt genug Leute, die diese Mieten zahlen können - vielleicht auch mit Papas Hilfe. Es geht aber auch die Schere immer weiter auf. Wer nicht oder nicht mehr - krank wird man schneller als man denkt- mithalten kann beim Konkurrenzkampf, den fressen die Hunde. Und genau das wird auch noch unterstützt und gefordert. Soziales Gewissen ade, Sozialdarwinismus juhe, sozusagen. Es gab mal Zeiten, da hätte man ein Transparent gemalt und wäre gegen die Mietsteigerungen gemeinsam auf die Straße gegangen. Heute versucht man andere auszubooten und den Preis zu überbieten.


QuoteGiraffentanz

Die sind zwischen Ende 20 und Anfang 40. Da ist auch innerhalb der Gruppe noch ein Unterschied zwischen den "alten" und "jungen" Millennials.


QuoteIn diesem Sinne...

Eine Generation die von ihren Eltern zur Selbstinszenierung und Profilierung benutzt wurde, vielleicht passt auch das Wort "missbraucht" besser. Ich war in den 90ern als Elternteil ein paar Mal bei so Kindergeburtstagen dabei. Erstaunlich was die Mütter da so abgezogen haben. Btw. die Mütter sind dort geblieben. Das war nicht so wie in meiner Kindheit, dass man als Kind hingebracht und wieder abgeholt wurde. Aber ich "musste" ja auch noch selber in die Schule gehen....omg!


QuoteFeuerstelle

Interessant: ich hätte nicht den Eindruck, dass es die Jungen (außerhalb von Insta; also im real-life) so wichtig fänden, ,,im Anzug in teuren Autos zu fahren"...


QuoteGucky01

Kommt darauf an in welchen Kreisen sie verkehren. Sehe das bei meinen Schülern sehr stark. Jene die ins Poly gehen messen dem Auto (Materiellen) noch sehr starken Wert zu. Insbesondere die Marke ist wichtig. Die in der höheren Schule wollen eher "Selbstverwirklichung" (was immer man darunter versteht).


Quotefuero_dandy

Der Neid tropft förmlich aus den Kommentaren


QuoteMaximon

neid auf hotz oder neid auf reiche fiktive leut?


QuoteSelba Gscheit

Ich glaub, ich bin alt. Ich versteh das irgendwie nicht mehr.... und es interessiert mich auch nicht.


QuoteLiterLiter

*OK Boomer!*


QuoteSo kanns nicht weitergehn

Ja blöd. Fast alle Menschen sind durchschnittlich. Höchstens. Aber fast alle kommen (leider, aus Arbeitgebersicht) darüber hinweg, bis dorthin lassen sie sich allerdings (leider, aus Arbeitnehmersicht) trefflich auspressen. Habs auch erst mit 30 geschnallt dass es völlig ok ist Durchschnitt zu sein, macht das Leben viel angenehmer.


Quotekain_

Fortführung der generation praktikum


QuoteAllrounder1992

"Selbstoptimierung in der Karriere"

Es geht ja schon damit los, dass den Menschen eingeredet wird sie würden eine Karriere haben. 99% der Menschen haben keine Karrieren, sondern sie haben Berufe. Nicht selten höre ich den Satz, dass für Partner und Kinder keine Zeit wäre, weil man sich auf die Karriere konzentrieren würde. Ich denke mir dann immer, dass es mir peinlich wäre meinen Bürojob in einem zugegebenermaßen großen Konzern als Karriere zu bezeichnen, aber jeder wie er möchte.


Quoteminna bagage

Ich liebe Hotzo und seine Kurzweisheiten
Guter Mann.


QuoteDr. Steinhauser

Millennials (Menschen, die um die Jahrtausendwende geborgen sind)
Ja, um die Jahrtausendwende war ich auch noch geborgen. Zwanzig Jahre später ist vom Gefühl der Geborgenheit nicht mehr viel übrig.


QuoteJoe Edger

Sind Millennials nicht ab Anfang der 80er Geborene?


QuoteGucky01

1980-1996

Wobei ich das Gefühl habe die Jahreszahlen werden alle paar Jahre neu definiert. :) Dachte immer Millenials sind die um 2000 geborenen.


QuoteBruhhzilla

Wär ich lustiger, würd ich auch mehr Blödsinn posten


QuoteDietmar_Jürgen

El Hotzo lässt sich davon doch auch nicht aufhalten.


..

--

Quote[...]

Anne Feldkamp: Sie twittern über Schüler-VZ, vegane Schnitzel, Selfcare. Verstehen Ihre Eltern, was Sie tun?

Sebastian Hotz: Ich behaupte mal, dass meine Eltern nicht genau wissen, was Twitter ist. Das ist verständlich: Wenn das nicht meine Lebensrealität wäre, würde ich mich auch nicht dafür interessieren. Insgeheim denken meine Eltern wohl: Der soll mal seine rebellischen Teenagersachen machen. Der kommt schon noch raus aus der Phase.

Anne Feldkamp: Mit Instagram geht es ihnen sicher nicht anders ...

Sebastian Hotz: Die Plattform ist meinen Eltern näher. Bilder lassen sich leichter konsumieren als Textschnipsel. Am meisten stört sie wahrscheinlich, dass ich in unvollständigen Sätzen schreibe.

Anne Feldkamp: Und ohne Punkt und Komma!

Sebastian Hotz: Ganz genau – was soll das? Den haben wir doch ins Gymnasium geschickt, warum kann der das nicht?

Anne Feldkamp: Haben Sie ihnen schon Gags erklären müssen?

Sebastian Hotz: Klar, sie verstehen geschätzt sechzig, siebzig Prozent der Posts. Das heißt aber nichts: Es sind auch schon Menschen, die nur 15 Jahre älter sind, mit erhobenen Augenbrauen vor mir gegessen. Das betrifft aber gerade mal einen einstelligen Prozentsatz der Posts.

    Lehramt ist so funny, stell dir vor du studierst 5 Jahre nur um den Rest deines Lebens damit zu verbringen mit ein paar 12jährigen zu diskutieren
    — E L H O T Z O (@elhotzo) March 29, 2022

Anne Feldkamp: Muss man jung sein, um Ihre Schmähs zu verstehen?

Sebastian Hotz: Jung vielleicht, aber gar nicht so jung, wie man denkt. Mir folgen vor allem Leute zwischen 25 und 30. Mein Humor ist also kein Gen-Z-, sondern ein Millennial-Ding. Twitter und Instagram sind schließlich Millennial-Medien. Eigentlich ist das ziemlich peinlich, Millennials sind uncoole Harry-Potter-Fans.

Anne Feldkamp: Warum sind Sie nicht auf Tiktok aktiv?

Sebastian Hotz: afür bin ich nicht schön genug – und ich kann nicht tanzen. Außerdem fehlt mir die Zeit für hochaufwendige Videos. Ich mache meine Inhalte nebenbei, im Supermarkt, beim Sport, bei meiner eigentlichen Arbeit, das ginge bei Tiktoks nicht.

Anne Feldkamp: Ihnen folgen auf Twitter fast 340.000, auf Instagram eine Million Menschen. Was wissen Sie über die?

Sebastian Hotz: Ich kann mir mal auf Instagram die Altersstruktur ansehen (holt das Handy raus): 8,7 Prozent meiner Follower:innen kommen aus Berlin, Wien ist übrigens mit 3,3 Prozent der drittgrößte Standort des Franchise-Unternehmens El Hotzo. Ansonsten folgen mir zu zwei Dritteln Frauen. Die Hälfte meiner Fans sind Menschen zwischen 25 und 34, nur ganz wenige zwischen 13 und 17.

    warum ist 3-5 globale Krisen gleichzeitig zu durchleben kein Vollzeitjob
    — E L H O T Z O (@elhotzo) March 9, 2022

Anne Feldkamp: Interessieren Sie solche Statistiken?

Sebastian Hotz: Vor eineinhalb Jahren war ich beeindruckt von der Explosion meiner Followerzahlen. Mittlerweile stellt sich der Luxus der Größe ein: Who the hell cares? Ehrlicherweise fehlt mir die Vorstellungskraft, wie viele Menschen El Hotzo folgen. Dass das 1,5 Millionen Accounts sind, fühlt sich gruselig an.

Anne Feldkamp: Muss man ein Nachrichtenjunkie sein, um gute Gags zu machen?

Sebastian Hotz: Nicht unbedingt. Ich konsumiere auf Twitter viele Nachrichten passiv. Meine Beiträge lege ich so an, dass möglichst viele sie verstehen. Tendenziell aber habe ich ein informiertes Publikum. Ich befürchte, es ist dasselbe wie das der Heute-Show und des ZDF Magazin Royale.

Anne Feldkamp: Sollen wir Sie jetzt bedauern?

Sebastian Hotz: Eigentlich wäre ich gern nischiger, als ich bin. Auch wenn ich weiß, dass das Ablehnen des Mainstreams, zu dem ich längst gehöre, kindisch ist. Mir ist der klassische Werdegang jeder Band widerfahren: Irgendwie hält man sich für cooler als das Publikum, das man hat. Aber ohne das wäre man nicht da, wo man nun ist. Letztlich bin ich das perfekte Abbild meiner Follower: Irgendein studierter Typ Mitte 20 ohne größere Probleme macht sich über alles lustig.

Anne Feldkamp: Wann ist ein Tweet erfolgreich?

Sebastian Hotz: Das kommt auf die Laune im Internet an. Ab 6000 Likes auf Twitter würde ich sagen: Läuft gut. Auf Instagram passt's bei 100.000 Likes. Aber ich könnte meine Posting-Frequenz viel schlauer angehen. Social-Media-Manager schütteln wahrscheinlich den Kopf über meinen textlastigen Content. Meist haue ich abends um sechs was raus. Ansonsten mache ich mir wenige Gedanken darum. Das ist das letzte Stück Magie, was bleibt.

Anne Feldkamp: Sind Sie süchtig nach Likes?

Sebastian Hotz: Ich bin davon abhängig! Und ich freue mich auf den Tag, an dem das nicht mehr so ist. Mir macht das alles unheimlich viel Spaß. Ich weiß aber, dass die Abhängigkeit von Likes ungesund ist.

Anne Feldkamp: Wird im Internet anders gelacht als auf der Kleinkunstbühne?

Sebastian Hotz: Vor der Kleinkunstbühne versammeln sich Menschen, weil sie lachen wollen. Da braucht es nicht so viel, um das herauszukitzeln. Ich bezweifle, dass jemals über einen Tweet von mir laut gelacht wurde. Dafür ist mein Publikum schnell beim Liken.

Anne Feldkamp: Gibt's einen Unterschied zwischen Applaus und Likes?

Sebastian Hotz: Der Applaus findet in der physischen Welt statt, jemand muss sich Zeit nehmen, zu dir zu kommen. Am Anfang der Corona-Pandemie haben kleinere Kultureinrichtungen Livestreams gemacht und waren fix und fertig, weil 400 Menschen zugeschaut haben. Im echten Leben wäre das schließlich ein doppelt ausverkaufter Saal gewesen. Im Internet sind 400 Leute aber nichts! Es bedeutet wenig, jemandem zu folgen. Ein Like passiert im Vorbeigehen, ein Like ist so wenig wert.

Anne Feldkamp: Das klingt geradezu kulturpessimistisch ...

Sebastian Hotz: Gar nicht. So sehr Instagram und Twitter verteufelt werden, mir haben diese Plattformen viele coole Menschen ins Leben gespült. Jeden Tag entdecke ich etwas Neues, kreativ-bescheuert Wunderbares. Ich glaube bloß, dass wir das Internet richtig einordnen sollten – als wichtige Plattform, die zu relativieren ist. Vor 50 Leuten ein Gedicht vorzutragen verlangt viel mehr ab, als es auf Tiktok zu posten.

Anne Feldkamp: Sie sind 1996 geboren. Mit welcher Satire sind Sie groß geworden?

Sebastian Hotz: Schwierig zu sagen, mit Harald Schmidt jedenfalls nicht. Ich erinnere mich aber noch an die Aufregung meines Vaters, als er eine Late-Night-Show auf dem Videorekorder aufnehmen wollte. Ich habe als Kind eine Comedy-CD dieses seltsamen bayerischen Liedermachers namens Georg Ringsgwandl rauf und runter gehört. Auch gut fand ich die Sendung Metzgerei Boggnsagg auf Antenne Bayern. Meine humoristische Sozialisation fand aber im Internet oder auf illegalen Streamingplattformen statt, wo ich mir alle Folgen von den Simpsons reingezogen habe. Auf Pro Sieben kam die Sendung immer um 18.10 Uhr. Schlechter Zeitpunkt, um 18 Uhr wurde bei uns natürlich zu Abend gegessen.

Anne Feldkamp: Über wen lachen Sie im Internet?

Sebastian Hotz: Über die Godfathers des deutschen Gag-Internets: Creamspeak, Dax Werner, Hermann Dose. Die haben das deutschsprachige Twitter zu dem gemacht, was es heute ist. Das wird leider nicht oft genug gesagt.

Anne Feldkamp: Sie sind im bayerischen Forchheim aufgewachsen, heute leben Sie in Berlin. Wäre die Twitter-Karriere auch in der Kleinstadt möglich gewesen?

Sebastian Hotz: Es ist scheißegal, wo ich wohne. Meine Internetkarriere begann in Erlangen und wurde dann in Bielefeld fortgeführt.

Anne Feldkamp: Aber mit Ihrem Leben haben sich doch Ihre Tweets verändert, oder?

Sebastian Hotz: Natürlich. Ich kann keine geilen Großraumbüro-Gags mehr schreiben, weil ich nicht mehr da arbeite. Stattdessen bin ich heute genau der Berliner Medienmensch, über den ich mich immer lustig mache. Irgendwann würde man mir dieses "Ich bin so ein antriebsloser Loser" nicht mehr abkaufen. Ich mache mich ja auch immer lustig über Autor:innen, die in den letzten Jahren drei Bücher herausgebracht haben, aber über Schreibblockaden klagen.

Anne Feldkamp: Haben Sie Angst davor, dass die junge Generation Sie irgendwann nicht mehr witzig findet? Dass Sie zum Thomas Gottschalk der Nation werden?

Sebastian Hotz: Jede Generation wird von einem Comedian begleitet. In Deutschland ist Jan Böhmermann der Millennial-Comedian. Die Klammer zwischen Millennials und der Generation X nimmt wohl Oliver Welke ein, darüber kommen dann irgendwann die Gottschalks.

Anne Feldkamp: Alles Männer!

Sebastian Hotz: Ja, das bringt mich in eine unkomfortable Situation. Man redet sich ein, dass jeder moderne Mann Feminist ist. Doch die Strukturen, in denen ich Geld verdiene, sind sexistisch. Im Internet macht es unser aller erbarmungsloses Verhalten Frauen schwer, lustig zu sein. Ich kann mich frei von Todes- und Gewaltdrohungen im Internet bewegen. Wenn eine weiblich gelesene Person Gags im Internet veröffentlicht, dann ist der Anteil der menschenverachtenden Nachrichten in kürzester Zeit riesig. Das macht viel kaputt.

Anne Feldkamp: Auf Twitter und Instagram macht man sich über den Boomer-Humor lustig. Was zeichnet den aus?

Sebastian Hotz: Ein klassisches Beispiel für Boomer-Humor: Männer witzeln darüber, wie beschissen die eigene Ehe ist. Mir fallen 30 Stand-up-Comedians ein, die genau das machen – darunter auch einige aus der jungen Generation. Dass die Frau, die man liebt, zu einer Pointe wird, lässt tief blicken. Ob der Millennial-Humor, der sich darüber beschwert, dass das Leben so schwer ist, innovativer ist? Ich weiß es nicht.

Anne Feldkamp: Die Jungen lachen also anders als die Alten?

Sebastian Hotz: Man neigt dazu, Generationen voneinander abgrenzen zu wollen. Ich glaube aber, dass der Boomer-Humor auch in meiner Generation noch weit verbreitet ist. Sonst wären die üblichen Comedians nicht so erfolgreich. Es gibt auch Nachwuchs, der solche Witze auf Tiktok macht.

Anne Feldkamp: Wie sieht es aus mit gut gealterten Comedians?

Sebastian Hotz:  Im letzten Jahr habe ich zum ersten Mal Kein Pardon mit Hape Kerkeling aus dem Jahr 1993 gesehen. Das ist ein gut gealterter, lustiger Film, mit Ausnahme der komischen heterosexuellen Liebesgeschichte vielleicht. Außerdem wusste Hape Kerkeling, ab welchem Zeitpunkt man die Schnauze halten sollte. Das ist eine gute Eigenschaft.

Anne Feldkamp: Eine ältere Generation beklagt, dass über vieles nicht mehr gelacht werden darf. Was sagen Sie dazu?

Sebastian Hotz: Die Cancel-Culture-Diskussion ist müßig, weil niemand gecancelt wird. So beschissen ich rassistische und sexistische Witze finde, niemand wird sie verhindern. Erfolgreich sind sie noch immer. Aber jetzt gibt es eine Gegenrede im Internet. Daran sollte man sich gewöhnen, wenn man solche Jokes machen will.

Anne Feldkamp: Warum twittern Sie nicht auf Englisch?

Sebastian Hotz: Das Angebot an lustigen Menschen im englischsprachigen Raum ist so viel gigantischer, kreativer und avantgardistischer als in Deutschland. Wahrscheinlich wäre ich nicht funny genug. Mein politischer Anspruch lässt sich auch nicht so einfach nach England oder in die USA übertragen.

Anne Feldkamp: Wie deutsch sind Ihre Gags?

Sebastian Hotz: Sie können nichts anderes sein, weil ich sehr, sehr deutsch bin. Über Österreich mache ich gerne weirde "Was ist das für ein Land"-Gags.

Anne Feldkamp: Österreich bietet ordentliche Vorlagen ...

Sebastian Hotz: Absolut. Vieles, was in den letzten Jahren in Österreich passiert ist, ist eine Feedline, zu der man nur noch eine Punchline schreiben muss. Ehrlicherweise aber hinken die Entwicklungen der deutschen Politik der österreichischen nur fünf bis zehn Jahre hinterher.

...

Anne Feldkamp: Ist Ihnen in letzter Zeit das Lachen im Hals stecken geblieben?

Sebastian Hotz: Tausendmal. Natürlich fragt man sich, ob man momentan überhaupt Unterhaltung machen kann. Ich bin für mich wieder mal zu dem Schluss gekommen: Kann man, aber es ist nicht alles eine Pointe.

...



Aus: "Sebastian Hotz alias El Hotzo: "Mein Humor ist ein Millennial-Ding"" Anne Feldkamp (31. März 2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000134154631/sebastian-hotz-alias-el-hotzo-mein-humor-ist-ein-millennial

Quote
deploritarian

boa. Grad sein Werk gelesen.
Hat nicht so lang gedauert.
Mein Urteil über Millenials hat sich geändert.
Wenn das deren Humorbedürfnisse stillt, sind das eh die vollen Asketen.


Quote
R e s t e c p !

1. April 2022, 13:54:05

"Mein Humor ist ein Millennial-Ding"
Ich bin kein Millenial.
Sein Humor ist nicht mein Ding.
Immerhin logisch schlüssig :-)


Quote
Ich bin kein Halunke nicht

1. April 2022, 08:56:32

Zwischen "einen Witz nicht zu verstehen" oder ihn einfach nicht lustig zu finden, besteht halt immer noch ein großer Unterschied.


Quote-

1. April 2022, 09:51:34

stimmt schon. ich denke da gibts dazwischen noch etwas: nämlich "verstehen, aber nicht auf emotionaler ebene" - nämlich dass man den witz nicht lustig findet, weil man nicht im richtigen mindset ist. und das meint er meiner meinung nach.


Quote
ein Prolet erzählt

1. April 2022, 08:27:27

Deutsche Breaking Bad wäre ein 28jähriger Werbeagentur-Mitarbeiter, der Mentholzigaretten schmuggelt, um endlich genug Geld zu verdienen, damit er einen Psychotherapeuten bestechen kann, um in der Warteliste für die Vergabe eines Therapieplatzes nach oben zu rücken

*schnarch*


Quote
Lokales Paar Augen.
1. April 2022, 11:31:06

die kommentare machen mich fertig. ihr müsst nicht alles lustig finden, aber ist es nicht ein bisschen erbärmlich sich auf die schulter zu tätscheln weils nicht euer humor ist?


Quote
aktionsraum eichhörnchen

31. März 2022, 21:50:05

Interessantes, ausführliches, vielfältiges Interview. Allerdings lassen mich die eingebetteten Sprüche eher ratlos zurück, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass es sich dabei um "Humor" handeln könnte. Aber er sagt ja selber, dass niemand darüber lacht, insofern...


Quote
derfrag

1. April 2022, 18:54:02
er macht das internet ertröglich


Quote
Atheist von Gottes Gnaden
1. April 2022, 04:06:18

Er ist oft recht lustig. Es gibt auch weniger stark frequentierte, wie etwa den manchmal brachialen Ayranman. Gebrüder Moped auch immer lustig. Das Institut.


...


Textaris(txt*bot)

Quote[...] [ ...  Mit diesem Text der Schriftstellerin Theresia Enzensberger setzen wir unsere Reihe fort, in der jüngere literarische Stimmen zu Wort kommen. Die Aufgabe ist so anspruchsvoll wie einfach: Wir bitten die Autorinnen und Autoren, über ein Phänomen oder Ereignis zu schreiben, das sie bewegt und geprägt hat oder das sich ihrem Werk auf besondere Weise eingeschrieben hat.Theresia Enzensberger, geboren 1986 in München, studierte Filmwissenschaften am Bard College in New York und lebt heute in Berlin. 2017 erschien ihr Romandebüt «Blaupause» und im vergangenen Jahr der Roman «Auf See», der für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Der Roman ist eine Reflexion über scheiternde utopische Projekte, die sich nur allzu schnell in Albträume verwandeln. ...]

Ob wir nicht zum Flohmarkt gehen wollten, fragte mich A. Ich wollte nicht. Es war der 14. September 2008, und über Brooklyn hatte sich das stählerne Blau eines Spätsommertages ausgebreitet. Ich hatte gerade eine kurzlebige Leidenschaft für analoge Fotografie entdeckt, die mit meinem Filmstudium an einer kleinen Universität nördlich von New York zusammenhing.

An diesem Morgen wollte ich unbedingt nach Manhattan, die Banker, deren Jobs in der Schwebe hingen, beobachten – und fotografieren. Meine Freunde hatten andere Pläne. «I don't really care about politics», sagten sie unbekümmert, als ich versuchte, zwischen verstaubten Lampen und sich auf dem Boden türmenden Klamotten ein Gespräch über den drohenden Kollaps von Lehman Brothers anzufangen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Meine Freundinnen waren zwar privilegiert, aber mit Sicherheit nicht dumm. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber zu dieser Zeit galt Aktivismus als extrem uncool, weite Teile der amerikanischen Linken waren desillusioniert von der letzten Wahl und den erfolglosen Protesten gegen den Irakkrieg. Also machte man es sich in ästhetischer Theorie und poststrukturalistischer Analyse gemütlich.

In den Sommern, die ich in Deutschland verbrachte, fand ich auch nicht mehr Menschen, die meine Interessen teilten. In Berlin hatte sich ein fröhlicher Hedonismus breitgemacht. Ins «Berghain» zu gehen, galt als revolutionärer Akt. Eine etwas ältere Generation (von Douglas Coupland mit dem Buchstaben X versehen) dominierte den Diskurs. Eine Generation, die unbegreiflicherweise beschlossen hatte, an das Ende der Geschichte zu glauben; die den Prenzlauer Berg besetzt hatte und nun behauptete, der Rest der Welt sei ebenso ohne Geschichte und Kontext, wie sie das von ihrem neuen Zuhause glaubte; die Zynismus sexy fand und Ernsthaftigkeit unerträglich; und die Haltung und Habitus nicht mehr unterscheiden konnte.

Als ich nach unserem Sonntagsausflug auf dem Flohmarkt in Brooklyn die Zeitung las, hatte Lehman Brothers Bankrott gemacht. Fotos zeigten traurige Banker, die mit Pappkartons in der Hand aus den Bürotürmen kamen. Der «Guardian» veröffentlichte eine Reihe einfühlsamer Interviews mit den neuerdings Joblosen, als seien sie die Opfer der Krise.

Ich war immer schon ein News-Junkie gewesen, aber in diesen Wochen und Monaten kam etwas Neues dazu: die Wut. Ich las über Subprime-Hypotheken und besicherte Schuldverschreibungen, über Banker, die für ihre Gier belohnt wurden, über Menschen, die ihr Zuhause und ihre Ersparnisse verloren, und über die Pläne für die angeblich unvermeidliche Bankenrettung – und wurde wütend.

Die Wut ist ein essenzieller Teil jeder Politisierung, sie ist einer der Gründe, warum junge Menschen zum Aktivismus neigen. Nur gab es zu der Zeit, wohin ich blickte, kaum Aktivität. Das ist natürlich nicht wahr. Es gab politische Bloggerinnen, es gab Mark Fisher und «n+1», und Frank Schirrmacher fragte sich im Feuilleton, ob die Linke nicht doch recht gehabt hatte. Ein Hauch von Antikapitalismus lag in der Luft.

Aber wer damals von politischem Widerstand sprach, galt als hoffnungslos naiv; junge Menschen, die nicht direkt betroffen waren, gefielen sich in ihrem Desinteresse; und von einer breiten Protestbewegung war (noch) nichts zu spüren. Natürlich gab es in meinem Umfeld Leute, denen es genauso ging wie mir, andere News-Junkies, mit denen ich diskutierte und das Glück teilte, die Berichterstattung nur zu lesen, ohne direkt von ihr betroffen zu sein. Insgesamt aber war man weit entfernt von dem allgemeinen gesellschaftspolitischen Interesse, das einem heute entgegenschlägt.

Seit ein paar Jahren ist Aktivismus wieder cool. Tiktok und Instagram sind voll von Erklärstücken zu politischen Situationen, es wird gespendet, demonstriert, Empörung und Kritik werden geäussert, Petitionen unterschrieben, Initiativen gegründet. Das hat zwar ein paar unangenehme Nebenwirkungen – Werbeagenturen, die uns politisch engagiertes Eis verkaufen wollen, Unterwäschefirmen, die uns mit ein bisschen Diversität über globale Ausbeutungsverhältnisse hinwegtrösten wollen, und ja, zuweilen eine gewisse Verflachung des Diskurses. Aber es zeigt auch erstaunlich viel Wirkung, und es setzt einen Mechanismus in Gang, der selbstverstärkend ist: Um den Affekt (die Wut, die Empörung) in eine politische Handlung überzuführen, braucht es das Gefühl der Selbstwirksamkeit, was wiederum den Affekt verstärkt. Aber warum ist dieses Gefühl heute so viel weiter verbreitet als noch vor zehn Jahren?

Ein Jahr nach dem Kollaps des Bankensystems lebte ich in London und machte schlechte Kunstfilme. Eines meiner «Projekte» bestand darin, mit einer kleinen Handdigitalkamera Bankangestellte zu filmen – aus sicherem Abstand, herangeholt durch möglichst viel Zoom. Stundenlang stand ich vor den entseelten Gebäuden der City und sammelte tonloses Material von Leuten in Anzügen, die rauchend auf und ab gingen, telefonierten oder ein Sandwich assen. Es wurde nie ein Film daraus. Ich glaube, die Aufnahmen waren noch auf der Speicherkarte, als ich meine kleine Digitalkamera irgendwann verkaufte.

Im Nachhinein denke ich, dass mein zielloses Filmen damals ein unbewusster Versuch war, der Finanzkrise etwas zu geben, was sie in der kulturellen Erzählung nicht hatte: Protagonisten. In den Nachrichten sah man vor allem Gebäude, selbst Bildmetaphern für die institutionelle Abstraktion dahinter: Bear Stearns, Merrill Lynch, AIG, die New Yorker Fed. Gegen Abstraktionen zu kämpfen, ist entmutigend.

Eine Geschichte braucht, selbst wenn sie dem Tagesgeschehen entspringt, Identifikationspotenzial, um Interesse zu wecken und es zu halten. Ohne definierte Akteure ist das nicht möglich. Das System taugt nicht zum Täter, den man verantwortlich machen kann, und die Opfer des Kapitalismus wurden auch im Fall der Finanzkrise nicht genauer identifiziert. Ein diffus gezeichneter Haufen, Kleinanleger, Rentnerinnen und Mieter, verlor Ersparnisse, Altersvorsorge und Wohnraum, bekam aber im Gegenzug keine Gesichter.

Das ist im Übrigen nichts Neues, schon Engels schrieb über den sozialen Mord durch materielle Verhältnisse, er sei «ein Mord, gegen den sich niemand wehren kann, der kein Mord zu sein scheint, weil man den Mörder nicht sieht, weil alle und doch wieder niemand dieser Mörder ist, weil der Tod des Schlachtopfers wie ein natürlicher aussieht».

Während man also die Auswüchse des Finanzkapitalismus als eine Art Naturphänomen behandelte, formierte sich spätestens während der Euro-Krise 2010 zaghafter Widerstand, der schliesslich in der Occupy-Bewegung mündete. Aber der politische Kampf war zäh und entmutigend, und die immer noch relativ kleine Protestbewegung wurde bis 2012 erfolgreich weggelächelt.

Im selben Jahr zog ich nach Berlin. Mit der Orientierungslosigkeit einer Mittzwanzigerin machte ich ein paar wacklige Schritte im Journalismus, dachte pausenlos über ein eigenes Magazin nach, verbrachte Nächte mit amerikanischen Kunststudentinnen in der «Times Bar» und Tage im Prinzenbad. Mein Geld verdiente ich mit Synchronübersetzungen, die ich im Akkord produzierte. Ich arbeitete mich an obskurem Quatsch wie objektorientierter Ontologie und Akzelerationismus ab, im Hintergrund rauschte das Tagesgeschehen.

Die Feuilletondiskussionen darüber, ob der Arabische Frühling durch neue (digitale) Formen des Aktivismus befeuert wurde, quittierten ich und meine Altersgenossen mit einem resignierten Lächeln. Spätestens seit den von Wikileaks veröffentlichten E-Mails von Stratfor war die Überwachung wie ein Schatten über den strahlenden Möglichkeiten des digitalen Zeitalters aufgetaucht. Trauen konnte man eigentlich nur den Hackern, fanden wir.

Und dann, irgendwann im frühen Sommer des Jahres 2013, platzte Edward Snowden in das freundlich-nachdenkliche Geplänkel über die Digitalisierung. Diese Geschichte hatte einen Helden, einen äusserst langweiligen Helden zwar, aber doch jemanden, der sich mutig «unseren» Regierungen gestellt und einen Skandal von grösster Tragweite aufgedeckt hatte. Ich war wie elektrisiert. Spätestens jetzt würde sich die allgemeine Lethargie in Aktivität verwandeln, unmöglich würden sich die Bürger der westlichen Demokratien, die sie doch für so überlegen hielten, die Überwachung durch ihre eigenen Regierungen gefallen lassen.

Aber siehe da: Man liess es sich gefallen. Es gab ein paar Leitartikel und eine traurige Delegation deutscher Schriftsteller, die einen offenen Brief zum Kanzleramt brachten, dort aber nicht zum Gespräch empfangen wurden. Juli Zeh hoffte in einem Interview, dass sich hier «die intellektuelle Klasse» repolitisiere und der Funke auf eine «grössere Bevölkerungsgruppe» überspringen möge. Ich weiss noch, wie sehr mich der Anblick des Grüppchens unter den schmalen Betonsäulen des Kanzleramts deprimierte: Wenn dieses zahnlose Gebettel alles war, was an Widerstand aufgebracht werden konnte, wie sollte sich denn dadurch jemand animiert fühlen?

Aber natürlich war Snowden gerade deshalb der ideale Held, weil er der liberalen Mitte gefiel. Seine Langweiligkeit sei wie eine Rüstung, nur ein solcher Saubermann hätte etwas Derartiges überhaupt wagen können, bemerkte meine Freundin E. Sie hat die geheimnisvolle Fähigkeit, ihr Leben an den Quellen der Berichterstattung zu verbringen, und sie war auch damals näher dran als die meisten anderen meiner Freunde: Sie kannte Jacob Appelbaum und Laura Poitras, hatte mit Hackern und Datenjournalistinnen zu tun und erzählte von der nicht unbegründeten Paranoia, die in diesen Kreisen herrschte. Als im «New Yorker» beschrieben wurde, wie Appelbaum darauf bestanden hatte, in der Sauna eines «privaten Klubs» in Berlin interviewt zu werden, musste ich lachen – ein Cyberpunk im «Soho House». Das Weltgeschehen war mir noch nie so nah gerückt.

Ich und die anderen Nerds, die sich nach ein paar Monaten noch mit dem Thema befassten, zogen uns zurück. In Hackerspaces, Programmierkurse und auf die Position, dass gegen die flächendeckende Überwachung nur mit einer radikalen Erweiterung der digitalen Kompetenzen jedes einzelnen Bürgers anzugehen war. Die digitalen Produktionsmittel mussten vergemeinschaftet werden. Das Individuum sollte auch hier zum ermächtigten Protagonisten werden.

Ich lud den Browser Tor herunter und besorgte mir einen P2P-verschlüsselten Messenger. Eine Zeitlang hatte ich sogar ein Jolla, ein finnisches Handy mit einem eigenen offenen Betriebssystem. Das Jolla war launisch, es gab immer dann den Geist auf, wenn ich einen wichtigen Anruf bekam. Nach einem halben Jahr besorgte ich mir ein iPhone.

Meine anderen Bemühungen, «digital bewusst» zu leben, verliefen nicht viel besser: Den Versuch, eine neue Währung namens Bitcoin zu kaufen, gab ich nach zwei Tagen auf. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, glaubte ich doch mit einer mich heute erschütternden Naivität daran, dass ich mit dem Kauf die Umwälzung des globalen Finanzsystems hätte befördern können. Ich bemühte mich redlich, ein paar Programmiersprachen zu lernen, aber die Hackerspaces waren voll mit Mansplainern, die zwar viel redeten, aber nie eine Frage beantworteten.

Der NSA, der CIA, dem Bundesnachrichtendienst, den Regierungen, diesen abstrakten Antagonisten, war es sowieso egal, was wir taten. Das war zumindest das vorherrschende Gefühl. Mit Sicherheit tat ich den Autorinnen vor dem Kanzleramt damals unrecht: Sie trugen das Thema in den Bundestag, sie waren – neben vielen anderen Netzaktivistinnen, die jahrelang kämpften – dafür verantwortlich, dass die Datenschutz-Grundverordnung ins Leben gerufen wurde. Wirksam fühlte sich damals allerdings kaum etwas an. Social Media war in Deutschland nicht besonders weit verbreitet und ausserdem gerade bei diesem Thema eher Teil als Lösung des Problems.

Der Punkt, an dem sich alles änderte, kam vier Jahre später. Bei #MeToo traf zusammen, was für eine nachhaltige und breite Politisierung notwendig ist: ein Identifikationsangebot, Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit. Hier mangelte es nicht an Protagonisten, der politische Akt selbst bestand im Erzählen der eigenen Geschichte. Auch die Täter waren definierbar, konkret, eventuell sogar fassbar. Und gleichzeitig wurde durch das kollektive Erzählen ein System sichtbar gemacht.

#MeToo bewies den politisch Engagierten ihre eigene Wirksamkeit und die Macht von Social Media. Die Bewegung war, wie wir wissen, nur der Anfang einer neuen Ära des Aktivismus, dessen Anziehungskraft sich seitdem massiv ausgebreitet hat. Antirassistische und antifaschistische Kämpfe, die selbstverständlich nicht erst seit 2017 geführt werden – und die durch das Aufflammen der neuen Rechten im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 an Mitstreitern gewonnen hatten –, profitierten von der diskursiven Energie, die sich online ausdehnte.

Es ist eine der grossen Errungenschaften der emanzipativen Bewegungen der letzten Jahre, das Interesse an Politik nicht nur zu wecken, sondern es auch zu halten und in Energie umzuwandeln. Das war lange vor 2017 in antirassistischen und feministischen Kreisen theoretisch vorbereitet. Durch eine Art Revival der «Politik der ersten Person», nach deren Grundsätzen die Feministen der zweiten Welle das Politische im Persönlichen verortet hatten, gab man dem Kampf gegen Rassismus und Patriarchat nicht nur Akteure, die politisch Widerständigen können sogar selbst zu Protagonistinnen werden.

Natürlich geht es auch hier um Systeme, aber die Tatsache, dass die eigene Unterdrückung erzählt wird, dass man Autorin und Protagonist zugleich sein kann, dass man am Geschehen teilhaben oder Heldinnen haben kann, setzt eine Energie der Identifikation frei, die in Autofiktion und Schlüsselromanen nur ihre buchstäblichste Form findet.

Viele der Nerds von früher kommen in dieser neuen Ära anscheinend schlecht zurecht: Glenn Greenwald führt jetzt freundliche Interviews mit Alex Jones, Matt Taibbi geriert sich als Elon Musks rechte Hand, und Edward Snowden erfreut die Cryptobros, indem er die Regulierung von Kryptowährung kritisiert.

Aus der fast trotzigen Grundhaltung dieser Männer, die im Übrigen weit verbreitet ist, spricht auch der gekränkte Narzissmus derjenigen, die nicht mitmachen dürfen. Wer sich nämlich nicht als Protagonist in dieser neuen, politischen Erzählung wiederfindet, muss eine empathische Transferleistung erbringen, um sich nicht als Personifizierung eines oppressiven Systems zu begreifen. Und in einer Welt, in der das kulturelle Kapital gewandert ist, in der jeder Influencer ein feministisches Buch geschrieben haben muss, wollen auch männliche Schriftsteller zur Hauptfigur werden.

Es ist ein ambivalentes Vergnügen, nicht mehr so allein zu sein. Auf der einen Seite bin ich voller Bewunderung für diejenigen, die sich ernsthaft antirassistisch, feministisch und klassenpolitisch engagieren. Auf der anderen Seite wird eine Unterhaltung, bei der ausnahmslos alle mitmischen, auch Werbeagenturen und Fitness-Influencer, bei der sich die Aufmerksamkeit von Empörungsgrad und Lautstärke lenken lässt, nicht unbedingt interessanter. Ein Fortschritt, jedenfalls: Unter jungen Leuten, die sich für intellektuell halten, ist es schon lange nicht mehr salonfähig, zu sagen, man interessiere sich nicht für Politik.

Nun sehen wir uns ja nicht nur mit Dingen konfrontiert, bei denen die Protagonisten so klar zutage treten. Im September jährt sich die Finanzkrise zum fünfzehnten Mal, und die Dodd-Frank Act, die damals zur Regulierung eines entfesselten Finanzsystems beschlossen wurde, ist zu grossen Teilen zurückgenommen worden. Die Krise spielt kaum eine Rolle im kulturellen Gedächtnis, nicht einmal in Erklärungsversuchen über den Aufschwung rechter Verschwörungstheorien oder in Artikeln über den Kollaps der Silicon Valley Bank taucht die Finanzkrise besonders prominent auf.

Währenddessen mangelt es nicht an Finanzskandalen. Cum-Ex, Panama Papers, Wirecard, die Liste der abstrakt klingenden Verbrechen löst bei vielen Leuten immer noch ein Summen im Ohr aus. Es gibt ein gut eingespieltes mediales und politisches Rezeptionsmodell für Skandale dieser Art: Sie werden zu Einzeltaten erklärt, zu individuellen Kriminalfällen, die keinesfalls auf ein systemisches Versagen hindeuten könnten. Das ist die andere Seite der Suche nach einem Protagonisten.

Den jüngeren Umweltbewegungen ist es hoch anzurechnen, dass sie die neoliberale Lüge vom bewussten Konsumenten nicht kaufen. In dieser Fiktion ist jeder Einzelne von uns Protagonist, oder besser, Antagonist, und zwar völlig unterschiedslos: der rechtsextreme Präsident, der die Rodung des Regenwalds befiehlt, ebenso wie der Student, der seine Plastikflasche aus Versehen in den falschen Abfall geworfen hat.

Um nicht in dieser Geschichte zu leben, muss man sich bewusst entscheiden, stattdessen gegen viele abstrakte Gegner anzutreten: grosse Energiekonzerne, Lobbyorganisationen, Politikinteressen. Die Tatsache, dass die Auswirkungen der Umweltkrise sich buchstäblich in Naturkatastrophen niederschlagen, man sich also konzeptionell auch noch gegen das Gefühl der «Natürlichkeit» zur Wehr setzen muss, macht die Sache nicht leichter. Und die Opfer des Klimawandels sind nicht nur durch ihre partielle Zukünftigkeit in unseren Erzählungen schwer greifbar.

Aber vielleicht sind die Erfahrungen der letzten Jahre – die erfolgreiche politische Mobilisierung im Internet, die Einsicht, dass sich Systeme nur gemeinsam bekämpfen lassen – die beste Voraussetzung, um in Anbetracht vieler gesichtsloser Gegner nicht die Energie zu verlieren.

Es ist nicht so, dass mich die Themen, die gegenwärtig diskursiv verhandelt werden, kaltlassen, im Gegenteil. Aber die erste politische Wut ist ein einschneidendes Erlebnis. Ich bin immer wieder überrascht, wie oft sich 2008 und 2013 in meine Arbeit schleichen – als künstliche Inseln und algorithmische Webstühle; als Fragen an Technologie, Ökonomie und Gesellschaftssysteme. Ich versuche wohl immer noch, diesen Geschichten ihre Heldinnen zu geben, ihre Antagonisten zu identifizieren und sie nicht nur analytisch, sondern auch erzählerisch zu begreifen.


Aus: "Meine erste politische Wut war ein einschneidendes Erlebnis. Es prägt bis heute mein Denken" Theresia Enzensberger (28.05.2023)
Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/theresia-enzensberger-meine-erste-politische-wut-war-praegend-ld.1736706

Theresia Enzensberger (* 1986 in München) ist eine deutsche Schriftstellerin und Journalistin.
https://de.wikipedia.org/wiki/Theresia_Enzensberger

Textaris(txt*bot)

Quote[...] [... Wolf protokollierte 43 Jahre lang, von 1960 bis 2000, ihren 27. September, als Dokument ihrer inneren Entwicklung und als Selbstanalyse, zunächst ganz frei von künstlerischen Absichten und publizistischen Projekten. Ein Zeitdokument ...] 1. Oktober 1964: ... Manchmal denke ich, für unsere Generation kommt der Einbruch der Realität fast schon zu spät, jedenfalls im allerletzten Moment und erfordert größte Anstrengung, ihn zu verarbeiten. ...

Aus: "Ein Tag im Jahr" Christa Wolf (1960-2000)
Luchterhand, München, ISBN 3-630-87149-6 (2003)

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Birte-Mueller - Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. ...

Ich weiß wirklich nicht, ob ich mit 50 Jahren schlichtweg zu blöd für das ganze Social-Media-Gedöns bin oder doch umgekehrt. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Bei dem Wort ,,Status" denke ich immer noch an Epilepsie – obwohl mein Kind seit mehr als dreizehn Jahren keinen Anfall mehr hatte – und nicht an die Fotos von den Latte macchiatos anderer Leute auf Whatsapp.

Wenn ich höre, dass soundso viele Tausend oder Millionen Menschen jemandem auf Instagram oder Ex-Twitter ,,folgen", fehlt mir dafür jegliche Anerkennung. Im Gegenteil, ich denke: ,,Führer befiel, wir folgen Dir". Und auf YouTube abonniere ich noch weniger als sonst im Leben.

Besonders schwer fällt es mir, das Phänomen der Influencer nachzuvollziehen. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich an Influenza – also an die Grippe. Ich hab's mal gegoogelt: tatsächlich leiten sich beide Wörter vom lateinischen ,,influentia" ab, was so viel wie ,,Einfluss nehmen" bedeutet. Ich kann es kaum glauben, wie unverhohlen schon mit der Bezeichnung Influencer zugegeben wird, dass es darum geht, zu manipulieren und ganze Menschenscharen strecken begeistert die Daumen hoch.

Wie kann man sich denn mit Ansage beeinflussen lassen und diesen Narzissten freiwillig virtuell hinterherlaufen, ihre Produkte kaufen oder sogar ihre politische Propaganda glauben? Das ist doch noch viel kranker als Grippe!

Von meinen Verlagen und Kolleginnen höre ich seit vielen Jahren, dass es die Verkaufszahlen von Büchern enorm hebt, wenn Autoren auf Social-Media-Plattformen aktiv sind. Manche behaupten sogar, ohne ginge es heute gar nicht mehr. Das stimmt aber wohl genauso wenig wie meine Annahme, dass sich gute Bücher immer durchsetzen, auch ohne Tamtam. Dass Tiktok nun einen relevanten Verkaufsfaktor auf dem Buchmarkt darstellt, frustriert mich – wenigstens solange es dort nicht um meine Bücher geht. Und dass Verlage mittlerweile angesagte Influencer anfragen, ob sie mit ihnen Bücher veröffentlichen wollen, pisst mich regelrecht an.

Aber wahrscheinlich ist das alles gar nichts Neues: Ich war schon immer neidisch, dass jeder noch so blöde Promi jedes noch so blöde Buch machen konnte, worüber dann massenhaft berichtet wurde, sodass es massenhaft gekauft wurde. Die Influencer sind eben die Popstars von heute, die ich genau so wenig kenne oder ernst nehme, wie meine Eltern früher die Gesichter aus meinen Bravo-Heften.

Ich fläze mich gerne mal ein Weilchen zu meiner Tochter und ihrem Tablet aufs Sofa, um zu schauen, was sie so schaut. Zum Glück schaut sie nicht den ganzen Beauty-Schrott. Es bleibt mir trotzdem ein Rätsel, welchen Reiz es hat, anderen Leuten zum Beispiel beim Spielen von ,,Minecraft" zuzuschauen. Menschen beim Werken zu beobachten gefällt mir dagegen – es nervt mich nur total ab, dass in den Videos selbst das komplizierteste Projekt super einfach wirkt – jedenfalls solange man eine Drehbank, einen Winkelschiefer und 100 Liter Epoxidharz zur Hand hat.

In letzter Zeit schaut Olivia Animationen, die aus Daumenkinos entstanden sind. Das sind sehr nette Filme, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum sie nicht lieber selber welche macht – ich meine Daumenkinos, nicht Youtube-Filme. Ich persönlich würde Social-Media-Inhalte wahrscheinlich letztlich noch lieber selber kreieren, als sie zu konsumieren. Wenigstens solange, bis in den Kommentaren gepöbelt wird. Also nicht lange.

Zum Glück bin ich viel zu handyfaul und viel zu blöd, um zu kapieren, wie alles geht. Anders natürlich als die meisten Jugendlichen. Sie antworten auf die Frage nach ihrem Berufswunsch in großer Zahl: ,,Influencer". Das gibt Hoffnung! Wenn bald alle selber den Larry machen, werden nicht mehr genug Follower da sein und der Hype geht endlich vorbei.

Fragt sich nur, wie sie es in den Schulen schaffen, die vielen egozentrischen Selbstdarsteller bis dahin zu ertragen.


Aus: "Social Media aus Sicht einer 50-Jährigen: Influencer und andere Krankheiten" Kolumne von Birte Müller (25.12.2023)
Quelle: https://taz.de/Social-Media-aus-Sicht-einer-50-Jaehrigen/!5977732/

QuoteRamto

Ich bin noch einige Jahre älter, aber mir geht es genauso. Als Kind der 60er und 70er Jahre "folge" ich erstmal niemandem, das müsste schon eine ganz besondere Person sein. Etwas in die Kamera zu halten oder einfach nur nett auszusehen, reicht definitiv nicht. ...


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wann kam eigentlich die Rede von den Boomern auf? Lange tat man sich schwer, für die Generation der zwischen etwa 1955 und 1965 Geborenen überhaupt einen geeigneten Sammelbegriff zu finden. Da sie nach den 68ern kamen, behalf man sich eine Weile mit der Bezeichnung 78er, die vor allem als unpolitisch und irgendwie konturlos galten. Das Wort von den Boomern ist da letztlich auch nicht viel trennschärfer: eben die Kinder des Babybooms. ,,Sie waren einfach immer zu viele", so formuliert es der Soziologe Heinz Bude in einem Essay, mit dem er, nachdem er sich in früheren Büchern schon der Flakhelfer-Generation, den 68ern und der von ihm erfundenen Generation Berlin gewidmet hat, das Generationenquartett vervollständigt.

Es ist ein Blick zurück zum Abschied, da demnächst auch die Jüngsten der Kohorte die sechzig überschritten haben werden und sich nun nach und nach ihre Rentenansprüche ausrechnen lassen. Doch statt dass die mehr oder weniger Alten nun neidvoll auf die Unbeschwertheit der Jugend zurückblicken, beobachtet Bude eine auffallende Veränderung im Verhältnis der Lebensalter zueinander. Bude nennt es eine Inversion des Zukunftsglaubens: Neidisch sind nunmehr die Jungen auf das unbeschwerte Leben, das die Alten früher gelebt haben, und so machen die Jüngeren, denen die Zukunft abhandengekommen ist, den Alten auf offener Bühne den Prozess.

Bude tritt diesem Hang zur Apokalyptik bei den Nachgeborenen mit einer Mischung aus freundlichem Verständnis und betontem Optimismus gegenüber. Die Boomer haben zwar nichts mehr vom zupackenden Wiederaufbau-Elan ihrer Elterngeneration, in dem Bude vor allem den umgewandelten Leistungsfanatismus sieht, der ihnen in den NS-Jugendorganisationen antrainiert worden war. Aber im Gegensatz zu den, wie Bude findet, weltverneinenden Achtundsechzigern hatten die Boomer dann doch allen Anlass, der Welt bejahend gegenüberzutreten. Die ,,letzte Nachkriegsgeneration", wie die Boomer an einer Stelle heißen, startete mit dem Bewusstsein, dass das Schlimmste hinter ihnen lag, und sie profitierte nicht nur vom Wirtschaftswunder, sondern vor allem von der Bildungseuphorie der jungen Bundesrepublik. Keine Generation vor ihnen war so gut ausgebildet, was insbesondere für die Frauen unter ihnen gilt.

In kurzen Kapiteln skizziert Bude den Weg der Kohorte von den Sechzigerjahren bis in die Gegenwart und hinterlegt den Strom der Assoziationen mit soziologischen Befunden oder zeithistorischen Informationen, vor allem aber eigenen Deutungen und Einordnungen. Schritt für Schritt geht es durch die Jahrzehnte, werden die familiären Fernsehabende mit Hans Rosenthal und Hans-Joachim Kulenkampff gegengeschnitten mit dem berühmten ,,Willy-Wahlkampf" und dem Ende der Achtundsechziger-Bewegung im Terror des Deutschen Herbstes. Der Herbst 1977 gilt Bude als Markstein für die Politisierung der Boomer. Als eigentlich formative Phase folgen die Achtzigerjahre, in denen die Mittzwanziger es mit Tschernobyl und Aids zu tun bekamen. Vor allem aber schildert Bude diese Zeit als die einer ,,besonderen Kollektivepisode in Westberlin", der er gemeinsam mit zwei damaligen Mitstreiterinnen schon in dem Roman ,,Aufprall" ein facettenreiches Porträt gewidmet hat.

Bude feiert die Heterogenität, die Skepsis gegen das Ganze und die kreative Schaffung von Freiräumen, sei es in der Initiative der Hausbesetzer, sei es in der vor allem aus Frankreich kommenden Theorie, die den Sound liefert. Doch dehnt er hier den essayistischen Anspruch aufs Exemplarische vielleicht doch ein Stück zu weit. Andere hätten aus den Achtzigerjahren andere Erinnerungen parat. So würden einem neben ,,Brokdorf", wie ein Kapitel überschrieben ist, das die Entstehung der Ökobewegung thematisiert, auch andere Ortsnamen einfallen, Mutlangen etwa oder der Bonner Hofgarten. Aber diese Orte schienen in dem besetzten Haus in der Kreuzberger Straße, die geradewegs auf die Mauer zuführte und in dem eine kleine Besetzergruppe sich ,,einen Ort fürs richtige Leben schaffen" wollte, keinen Widerhall gefunden zu haben. So wenig wie die Wahl Helmut Kohls zum Kanzler und der erstmalige Einzug der Grünen in den Bundestag.

Zu den Besonderheiten von Budes Studie zählt, dass er versucht, die Erfahrungen der Gleichaltrigen in der DDR mitzubedenken, sie zu parallelisieren oder abzugrenzen. ,,Zu einer Generation werden bestimmte Geburtsjahrgänge durch eine geteilte Geschichte", so zitiert er einleitend die Definition von Karl Mannheim und hält fest, dass Boomer Ost und Boomer West zwar keine gemeinsame Geschichte haben, aber trotzdem durch das Kriegsschicksal ihrer Eltern zusammengehalten werden. Wie das tragische Geschichtsbild Ost und das ironische Geschichtsbild West durch die Wiedervereinigung herausgefordert werden, gehört sicher zu den erhellendsten Passagen des Buches, vor allem aufgrund der Volte, dass die Boomer Ost tatsächlich Geschichte gemacht haben: In Budes Deutung waren sie es, die durch ihren Exodus letztlich der DDR den Garaus bereiteten. Aber wenn Bude als Erfahrungshintergrund für Hausbesetzungen im Ostteil Berlins, sozusagen als Parallele zur eigenen Literarisierung der Besetzer-Erfahrung, statt soziologischer Studien Lutz Seilers grandiosen Roman ,,Stern 111" heranzieht, der in der Wendezeit spielt, so ist dies nicht nur anachronistisch, sondern blendet letztlich eine ganze Geschichte der DDR-Jugendproteste aus.

Nicht sehr viele Gemeinsamkeiten dürften auch die Neunzigerjahre den beiden Boomer-Gruppen im Osten und im Westen beschert haben. Die Berufsbiographien West jedenfalls mündeten endlich doch noch in sichere Positionen, wenn auch über lange Umwege angesichts fehlender Lehrstellen, überfüllter Hörsäle oder Wartezeiten im Parkstudium. Wenn es eine Phase gibt, in der sich, wie Bude schreibt, eine Generation ,,von einer geprägten zu einer prägenden Strömung" wandelt, dann müsste sich hier das Profil der Boomer abzeichnen. Tatsächlich sieht Bude in den Geburtsjahrgängen der Gründer von Amazon, Microsoft und Apple die ,,befreiende Unruhe" am Werk, die die kleine wie die große Welt zu verändern begann. In Deutschland kam bald darauf die Boomerin Ost Angela Merkel an die Regierung, gefolgt vom Boomer West Olaf Scholz.

Der Schluss des Buches schwankt zwischen Abschied und Zukunft, zwischen Selbstbefragung und Selbstbehauptung. Noch betrifft der titelgebende ,,Abschied" weniger die Boomer selbst als ihre Eltern. Ihr Altern, ihre Hinfälligkeit und ihr Sterben sind Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter und damit, was es bedeuten könnte, die lebenslang gepflegte Unabhängigkeit irgendwann aufgeben zu müssen. Noch aber ist es nicht so weit. Die Forderung nach tätiger Reue angesichts zu viel geflogener Meilen oder verheizter Liter Erdöl weist Bude erst mal zurück. Anderen ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, lässt er nicht gelten. An sich selbst glauben, lautet seine Devise, und nicht die Hände in den Schoß legen. Die Sorge jedenfalls, dass die Boomer ,,sich mit der Rolle einer folgenlosen Zwischengeneration zufriedengeben" müssten, dürfte so oder so unbegründet sein.

Heinz Bude: ,,Abschied von den Boomern". Hanser Verlag, München 2024. 144 S.


Aus: "Sie dachten, das Schlimmste liege hinter ihnen" Sonja Asal (02.02.2024)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/heinz-budes-abschied-von-den-boomern-19482541.html

Als Babyboomer, Baby-Boomer oder Boomer bezeichnet man sowohl einzelne Menschen als auch die Generation, die zu den Zeiten steigender Geburtenraten (dem ,,Babyboom") nach dem Zweiten Weltkrieg oder anderen Kriegen in den vom Krieg betroffenen Staaten geboren wurden. Zur Verdeutlichung findet sich für die Gesamtheit manchmal auch der Begriff Boomgeneration. ... In Deutschland werden die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen von Statistikern als geburtenstarke Jahrgänge bezeichnet (meist bezogen auf Westdeutschland). ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Baby-Boomer


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nicht nur die Liebesdramen und Freundschaften der Schüler und Schülerinnen der Beverly High beeinflussten uns, auch die Sexualmoral und die Modetrends hinterließen bleibenden Eindruck.

... Für Menschen, die mit Serien wie Sex Education aufwachsen, mag das noch immer verklemmt und sehr antiquiert wirken, aber für ein bosnisches Dorf war das revolutionär. Und für Beverly Hills offenbar auch.

Nicht nur selbstbestimmte Entscheidungen in Sachen Sex, auch jene in Sachen Mode lebten uns die Serienheldinnen vor. Als ich das erste Intro der Serie nach einigen Sekunden anhielt, wurde mir schlagartig klar, wieso mein erster Kauf in der ersten, frisch eröffneten Boutique des Nachbardorfes eine glänzende Leggings in Lila war. Und wieso ich unbedingt Stirnfransen wie Kelly haben wollte.

... Ein Segen war es übrigens, dass die Serie in Jugoslawien bereits 1991 lief und in Österreich wohl etwas später startete. So konnte ich, seit Sommer 1992 in Wien lebend, ältere Folgen nochmal sehen. Diesmal aber auf Deutsch, synchronisiert. Beim Nachschauen der späteren Folgen stelle ich fest, dass ich mich kaum mehr an den Inhalt erinnere, aber umso mehr an die Konflikte, die die Darsteller miteinander und mit der Produktionsfirma hatten. Die Skandale, die dazu führte, dass Brenda (Shannen Doherty) Beverly Hills, 902010 verließ, sind mir eher in Erinnerung geblieben als der Plot der Folgen ab 1994.

... Es ist also eine nette, sentimentale Reise in die eigene Kindheit und Jugend, aber mehr gibt Beverly Hills, 90210 heute nicht her. Für die Gen Z wäre allerdings die Ästhetik der frühen 1990er-Jahre eine nette Inspiration, auf die sich ein neuer Blick lohnt. (Olivera Stajić, 25.2.2024)


Aus: "TV-Serien: Erster Sex und lila Leggings: Wir haben "Beverly Hills, 90210" wiedergesehen" Olivera Stajić (25. Februar 2024)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000208620/erster-sex-und-lila-leggings-wir-haben-beverly-hills-90210-wiedergesehen

QuoteVerbatim

Und ich dachte immer dass der Trend "glänzende Leggings in Lila" aus Jugoslawien kommt... ;-)


Quoterecycle it

Die Klamotten und Frisuren. Was soll ich sagen, alles ausprobiert.


QuoteDer Häuptling

Mir hatten es damals schon die Autos angetan. Alter Mustang, Porsche 356, Corvette, ...


Quotebienesumsi

Da werden Erinnerungen wach: Ich hab fast alle Folgen gesehen - aber die Serie hat, wie so viele, ab Staffel 4 (oder 5?) viel zu viele neue Charaktäre rein- und wieder rausgeschrieben. ...

Die erste Kelly Frisur (mit den langen Haaren und Stirnfransen) hatte ich nicht. Aber eine andere dann.
Und dann bin ich zu Melrose Place gewechselt :)


QuoteHansSolo

1991 ist inzwischen 33 Jahre her, omg, omg, omg...


Quoters212

Offiziell hab ich damals natürlich nur Twin Peaks geschaut, für 902010 war ich ja als gerade nicht mehr Teen schon zu alt (und bin natürlich auf die Andrea gestanden - intellektuelle Girls fand ich immer schon sexy...)


QuoteIchhabdaneide

Diese Serie sagt v.a. viel über die Seher aus die sich das angesehen haben.


QuoteZentralnervöse Berichterstattung

Ja, nämlich dass sie in den späten 70er oder frühen 80er Jahren geboren wurden.


QuoteLydiaB

Was ich mir immer wieder gerne ansehe ist BOSTON LEGAL.

Themen erschreckend topaktuell nach 20 Jahren. Dazu Chauvinismus und Sexismus auf die charmantest mögliche Art und so selbstironisch lustig, dass ich auch als Feministin mehr lachen kann, als bei jedem aktuelleren TvFormat oder bei sonstigen alten Serien, die im Rückblick meist einfach nur trashig u/o aus der Zeit gefallen wirken (Beverly Hills...) Wer schaut mit mir alle Staffeln und wir schreiben dann für den Standard ein Resümee?


Quoterosaantiheld

Ich erinnere mich: meine um zwei Jahre jünger e Cousine hat es geliebt. Ich war einmal zu Gast und sie hat geschaut.
Mich als zehnjährigen Buben hat's gegängstigt: ich bin mir so wertlos vorgekommen und so unzulänglich. Wie sollte ich es jemals schaffen, auch nur ansatzweise so zu werden mit meinen grünen und pinkfarbenen Bubenstrumpfhosen, die meine Oma oder Mama für mich beim Hofer gekauft hatten, mit meiner besten Freundin und ich, die in unserer Heckenhöhle Ronja Räubertochter spielten oder mit meiner Liebe zu "Nils Holgersson" und anderen Zeichentrickserien.
Heute hab ich Mitgefühl mit dem kleinen Buben von damals, der niemanden hatte, der ihm diese Serie und viele andere Dinge einzuordnen geholfen hätte.


QuoteMance Rayder

Ich war damals im Team "Melrose Place".


QuoteAußen schön und innen Community

Danke für die Zeitreise.

Die Stirnfransen wollte ich auch haben. Hab mir dann selbst welche geschnitten. Vergessend, dass ich Naturlocken habe. Im trockenen Zustand (der Haare) lief das Teenager-Ich dann mit 1 cm langen Stirnfransen rum. ;-)


Quoterobert o.

Ist jetzt der letzte Schrei...


QuoteMichelangelo_1971

"Man kann, muss aber nicht...."

... die Abenteuer von Brenda, Kelly, Brendon und Dylan heute noch sehen.
Diese epochale Erkenntnis lässt nun wieder mein Gewissen zur Ruhe kommen und so die Möglichkeit sich bietet, mal wieder ab und zu eine Folge aus dieser Serie mir zu Gemüte führen und in postpubertären Erinnerungen schwelgen.

*seufz*


QuoteA Smart Gold Fish called GriGri

Im Vergleich zu Serien wie 90210 ist Buffy sehr gut gealtert. Ich hab im Vorjahr die Staffeln 4 bis 7 nochmal gebinged und es ist genauso gut wie vor 20 Jahren.


QuoteStephen Morrissey

Die Schreibweise von Brandon Walsh in diesem Artikel wechselt häufiger als die politische Affiliation von Robert Lugar.


Quotehauptsoch

Ich mochte eigentlich keinen der Charaktere wirklich (am ehesten noch Brenda), hab es aber trotzdem gerne geschaut, weils einfach eine andere Welt war. Allerdings hat mich das doch auch Moralisierende genervt, Brandon trinkt ein paar Drinks zu viel, und muss davor bewahrt werden, Alkoholiker zu werden, Donna bleibt Jungfrau ( was bleibt ihr auch anderes übrig mit dem Bübchen als Freund ;-) ), und so weiter. Andrea war mir die Unsympathischte von allen, so anbindernd pseudocool.
Die späteren Folgen nach dem Ausstieg von Shannon Doherty hab ich nur noch zufällig gesehen.
Trotzdem eine nette Erinnerung an eine schöne Zeit.


QuoteDr.Schuh

Wer ältere Schwestern hatte, hatte damals gar keine Wahl. Die haben gezwickt und gebissen um die Fernbedienung zu verteidigen....


QuoteLe Bird

...als Screen-Time noch ein absurdes Konstrukt war...
Ich glaub wir haben damals als Jugendliche
alle ziemlich viel Zeit vor dem Fernseher verbracht. Und keinen hat's interessiert. :-)


QuoteFetterKlovn

Stimmt. Ich habe von 14 bis 17 zu viel ferngesehen und zu viel Computer gespielt. Dann irgendwann den Rappel bekommen und verstanden, dass ich 1. Serien schaue, die von der Dramaturgie auf die Werbepause ausgerichtet sind, 2. keinen Spannungsaufbau in Filmen habe, weil auch Werbepause, ich 3. nichts vollständig sehe, weil ich herumzappe, und 4. weil mir die Sender die Filme bis zur Unkenntlichkeit zusammenschneiden. Lebe seither fernseherlos und besser.

Aber ein Unterschied zu heute ist schon: Fernseher war zu Hause. Handy und Handyzeit ist immer und überall. Alleine die Leerläufe, die wir früher hatten (Warten auf den Bus oder auf Freunde oder so) waren im Endeffekt Gold wert. Haben die heute nicht mehr.


Quoteundefinierbar

Ja, total irre. Nach der Schule den ganzen Tag bis zum Abend. Al Bundy, 2x Simpsons, taff, irgendwelche bullshit Talkshows (Arabella), Galileo, was weiß ich, noch anderer Trash.
Unglaublich was man in der Zeit vernünftigeres hätte machen können;) naja bin heute beruflich erfolgreich und hab Kinder. wird schon gepasst haben ..


QuoteNeoNovalis

Das war fuer mich damals schon trash. Soap fuer teenager... mit Schauspielern um die 30 die College-Studenten spielen.


QuoteHardcastle & McCormick

Hab die Serie erst Ende der 90er gesehen, als sie der ORF zusammen mit den Austria Top 40 MusicVideos (meiner Erinnerung nach einer Art Austria MTV) sendete. Jennie Garth die erste große frühpubertäre Liebe. Der Kleidungsstil von Steve - weite Chinos, Shirt und Hemd drüber - musste natürlich nachgemacht werden und war megacool. Zumindest fühlte ich mich so.


QuoteA. Sethnacht

Bosnia Herzegowina 90210


QuoteOlivera Stajić

hahaha

auch wenn 1991 auf einem anderen kanal gerade der kroatien-krieg ,,übertragen" wurde :(((


Quotebullchopper

Dylans 356er Speedster Porsche war am schärfsten.


QuoteMichael H

Ich würde mir eine solche Rückschau sehr für Wonder Years wünschen, liebe Redaktion! Meiner Meinung die beste TV Serie und praktisch zeitlos, meine Kinder lieben sie ebenfalls.


QuoteHolger am Waldsee

ogottogott. bitte nicht.
bei magnum wär ich dabei.


QuoteHugin01

Meine Güte! Ich erinnere mich noch genau, wie süß ich Dylan fand - lange vor meinem Outing. Und prinzipiell gefiel mir natürlich die ganze Serie. Jede Episode wurde sehnsüchtigst erwartet.
Damals bot mir die Serie immer wieder einen kurzen geistigen Ausstieg aus einer sehr belasteten Familiensituation. Allein dafür bin ich dankbar.


QuoteTom. Luther

Danke fur den Artikel
Ich könnte es nicht besser beschreiben!
Als 1980 geborener war es damals für mich auch Magisch...
...


QuoteCandy Corn

Ich liebe die Serien der 90er.
Vielleicht weil es meine Kind/Jugend war. Aber auch weil damals nur eine Geschichte erzählt wurde (ob man sie mag oder nicht). Heute ist alles verkrampft und eine Wiederholung der Wiederholung. Vielleicht waren es die 90er auch. Aber Es war "meine" Wiederholung.


...