[...] Den Passanten beim Stauffacher bot sich gestern ein Schauspiel seltsamer Art. Vor der Kirche St. Jakob postierten sich zwei Securitas-Männer. Rund 30 Demonstranten sangen und beteten mit gefalteten Broschüren statt Bibeln in den Händen und verkündeten ihre Botschaft: «Wir wollen dem Missbrauch unserer Kirche den Riegel schieben.»
Für Zündstoff sorgte Pier Paolo Pasolinis Skandalfilm «Salò oder die 120 Tage von Sodom», den das Kino Xenix in der Kirche St. Jakob zeigen wollte. Pfarrer Anselm Burr hatte seinen Segen dazu gegeben. Für den SVP-Politiker, Historiker und Buchautor Daniel Regli, der die gestrige Mahnwache organisierte, völlig unverständlich: «Eine Orgie von Sex, Gewalt, Erniedrigung und Kindermord gehört nicht in eine Kirche.» Sollte sich Burr nicht besinnen, empfehle er ihm, den Beruf zu wechseln.
Gezeigt wurde «Salò» gestern nicht, dafür fand um 17.15 Uhr eine Podiumsdiskussion statt. Die Veranstalter hielten sich damit an das erlassene Verbot der Stadtpolizei, die befand, der Film sei zu brutal. «Salò» in der Kirche hat nicht nur Zürcher Christen erzürnt. «Gegen die Verantwortlichen des Xenix ist am Samstag aus dem benachbarten Ausland Strafanzeige eingereicht worden», bestätigte Stapo-Sprecher Marco Cortesi.
Aus: "Pasolini-Film nicht in Kirche gezeigt – dennoch Mahnwache" Von Alexandra Roder (11.02.2007)
Quelle:
http://www.20min.ch/news/zuerich/story/31243338 -.-
[...] In zwei Genfer Kinos wird der Film aus Protest gegen die Zensur der Zürcher Polizei ausgestrahlt.
Gleichzeitig habe die Cineasten zusammen mit anderen Personen aus dem Künstlermillieu ein Komitee gegen die Zensur gegründet, bestätigte die frühere Genfer Grossrätin Salika Wenger einen Bericht der Zeitung «Le Matin Bleu» vom Dienstag.
Zurzeit sammelt das Komitee Unterschriften für eine Petition. Darin fordern sie die Zürcher Behörden auf, die Zensurmassnahme gegen den Film des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini aufzuheben. Die Stadtpolizei Zürich hatte die Filmvorführung letzte Woche verboten.
Noch letzte Woche konnte der umstrittene Film bei einigen DVD-Shops und Videotheken ausgeliehen oder gekauft werden. Nachdem aber die Stadtpolizei Zürich die Vorführung in der Kirche St. Jakob verboten hatte, bekamen viele Verleiher und Verkäufer kalte Füsse.
[...] Der Film «Salò» gilt seit seinem Erscheinen im Jahr 1975 als eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte. Wegen seiner Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord wurde der Film in vielen Ländern verboten.
Aus: "Pasolini-Film: Welsches Komitee gegen Zürcher Intoleranz" (13.02.07)
Quelle:
http://www.20min.ch/news/zuerich/story/23747851-.-
[...] Letzte Woche konnte der umstrittene Pasolini-Film noch bei wenigen DVD-Shops ausgeliehen oder gekauft werden. Nachdem die Stadtpolizei am Samstag die «Salò»-Vorführung in der Kirche St. Jakob de facto verbot, bekommen die Verleiher und Verkäufer jetzt kalte Füsse.
Die Firma Laserzone war die einzige, welche den Skandalfilm von 1975 bisher noch verkaufte. Weil man auf einen teuren Prozess verzichten wolle, nehme man den Titel aus dem Programm, sagt Geschäftsführer Eduardo Bagnoli. Auch beim 1a-DVD-Shop ist der Titel seit gestern nicht mehr im Verleih. Seit Dezember 2004 wurde der Film 17-mal ausgeliehen und bis im Frühjahr 2005 über 100-mal verkauft. Für einen Studiofilm seien dies gute Zahlen, meint Geschäftsführer Fernando Pérez. Weil er Klagen von christlichen Fundamentalisten befürchtete, gab er klein bei. Auch die Videothek Les Videos hat am Wochenende die einzige Mietkopie vorderhand aus dem Regal genommen.
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Christliche Bürgerinitiativen aus Deutschland und Österreich haben am Wochenende Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des Xenix eingereicht. Die Anzeige stützt sich auf den Artikel 197.3 im Strafgesetzbuch: Darin wird schon der Besitz eines Films, in dem menschliche Ausscheidungen und Gewalttätigkeiten zu sehen sind, unter Strafe gestellt. Laut Polizeisprecher Marco Cortesi wird geprüft, ob die Anzeige zulässig ist. Die Polizei werde aber Videotheken auch künftig nicht nach «Salò»-Filmen durchsuchen, sondern nur bei Anzeigen aktiv werden.
Der frühere «Salò»-Importeur Impuls hat im Frühjahr 2005 die Videotheken dazu aufgerufen, die besagten Pasolini-Filme zu retournieren. Seither importierten die Händler diese DVDs aus Deutschland. Anfang Jahr übernahm Rainbow Video das Vertriebsrecht von «Salò» - allerdings auch die Import-Sperre. Doch sobald Zeit dafür ist, will man über die Bücher: «Wir wollen prüfen, ob der Film wieder vertrieben werden kann», sagt Kurt Schenker. Der vorauseilende Gehorsam der Videotheken erstaunt insofern, weil «Salò» sich nicht auf der schwarzen Liste des Videoverbands befindet. Darauf stehen vor allem brutale Horrorfilme, die in Deutschland verboten sind.
Aus: "Videotheken nehmen Pasolini-Film aus dem Regal - Das faktische Vorführverbot von «Salò oder die 120 Tage von Sodom» zeigt Wirkung: Die Videotheken streichen den Titel aus dem Angebot." Von Benno Gasser (Tages-Anzeiger vom 13.02.2007)
Quelle:
http://tages-anzeiger.ch/dyn/news/zuerich/719136.html-.-
[...] Zürich. SDA/baz. Christliche Fundamentalisten haben eine Strafanzeige gegen die Betreiber des Zürcher Kinos Xenix eingereicht. Grund ist der Film «Salò oder Die 120 Tage von Sodom» des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini.
Der Film hätte eine Pasolini-Retrospektive beschliessen sollen, die in der Kirche St. Jakob beim Stauffacher gezeigt wurde. Nach einer Intervention der Polizei entschlossen sich die Veranstalter aber schon am Freitag, auf die Filmvorführung zu verzichten.
Trotzdem ging am Wochenende eine Strafanzeige bei der Zürcher Stadtpolizei ein, wie diese auf Anfrage entsprechende Berichte von «20 Minuten» und «Tages-Anzeiger» vom Montag bestätigte. Anzeige
Auch «die Vorratshaltung» von gewaltverherrlichenden und pornografischen Machwerken sei strafbar, meinen die christlichen Bürgerinitiativen aus Deutschland und Österreich.
Pasolinis letzter Film «Salò» (1975) über den Faschismus gilt als eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte. Wegen seiner Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord wurde der Film in vielen Ländern verboten. «Salò oder Die 120 Tage von Sodom» wurde in Zürich schon mehrmals gezeigt und ist in Videotheken erhältlich.
Aus: "Strafanzeige gegen Kino-Betreiber wegen Pasolini-Film" (baz.ch; 2007)
Quelle:
http://www.baz.ch/news/index.cfm?ObjectID=B55A5CBB-1422-0CEF-703873DCD26158D9-.-
[...] Zürich. SDA/baz. Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Pasolini-Film «Salò oder Die 120 Tage von Sodom» krebst die Zürcher Stadtpolizei zurück: Der zuerst verbotene Film darf nun doch gezeigt werden. Man habe den künstlerischen Wert zu wenig gewürdigt, sagt die Polizei.
Sie komme heute zum Schluss, dass der Film des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini gezeigt werden darf, sofern die gängigen Altersvorschriften betreffend Jugendschutz eingehalten werden. Dies schreibt die Stadtpolizei in einer Mitteilung vom Mittwoch.
Verschiedene Gespräche und Reaktionen, aber auch Gerichtsurteile in den Nachbarländern hätten gezeigt, dass die Polizei den künstlerischen Wert offenbar zuwenig gewürdigt hat, heisst es weiter.
Anzeige
Die Stadtpolizei hatte den Film, der in der St. Jakob-Kirche beim Stauffacher eine Pasolini-Retrospektive hätte beschliessen sollen, verboten. Wegen seiner relevanten Darstellungen von Vergewaltigung, Folter und Szenen mit menschlichen Ausscheidungen stufte sie ihn gemäss Strafgesetzbuch Artikel 197.3 als gewaltverherrlichend und pornografisch ein.
Obwohl die Betreiber auf eine Vorführung am Sonntagabend verzichtet hatten, ging von christlichen Fundamentalisten eine Strafanzeige gegen das Kino Xenix ein. Dieses organisierte die Pasolini-Wochen in der Kirche, weil ihr Stammhaus gerade renoviert wird.
Aus: "Umstrittener Pasolini-Film darf nun doch gezeigt werden" (14.02.07)
Quelle:
http://www.baz.ch/news/index.cfm?keyID=17cd2e0a-df54-4cbb-95ff9e386784539b&startpage=1&ObjectID=C0199188-1422-0CEF-702CC732C51E1D1C-.-
[...] Spaceman Spiff
12.02.2007 11:50
Ist das eine Meldung aus den 70'ern? Unglaublich.
Habe gestern Taxidermia im Votivkino gesehen. Da ist Salo direkt harmlos dagegen.
http://derstandard.at/?url=/?id=2764022
-.-
[...] "Wer das Kino nicht kennt, hat nicht die Distanz, die für seine Erfahrung nötig ist. Und die Gefahr der Manipulation ist somit viel größer. Das ist das Thema" beschreibt Haneke seine Position dem Kino gegenüber. "Nur über den Schock" könne man diese Haltung verändern.
"Filme müssen einen Nerv treffen. Je schmerzhafter die Wunde ist, um so mehr werden sich die Leute auch dafür und dagegen entscheiden. Und das ist es schon, was ich als Filmemacher will, denn das ist auch das, was ich selber will, wenn ich ins Kino gehe. Der Film, der mich in meinem Leben am meisten weiter gebracht hat, war seinerzeit "Saló oder die 120 Tage von Sodom" von Pasolini. Der zeigte Gewalt als das, was sie wirklich ist: Leiden der Opfer. Das fand ich unerträglich.
Das ist bis heute der Film, der mich am meisten aus der Bahn geworfen hat. Damals habe ich mich ununterbrochen gefragt: Halte ich das noch aus? Muss ich jetzt kotzen?
Aber der hat mich wirklich über sehr sehr viel nachdenken lassen. In einer Gesellschaft wie der unserigen kann man Kino oder dramatische Kunst im weitesten Sinn nur so machen. Man kann sie nicht konsensuell machen. Dann ist man dumm. Oder feig, oder zynisch."
Aus: "Kultur der Angst" - Die Rückkehr der Repression, Überwachung und das Wiedereindringen der Gewalt in den Alltag des Westens: Michael Hanekes "Caché" Von Rüdiger Suchsland (30.01.2006)
Quelle:
http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=/tp/r4/artikel/21/21894/1.html-.-
[...] Heute vor 30 Jahren wurde Pier Paolo Pasolini ermordet. Wer dahinter steht, ist immer noch fraglich. Der damals verurteilte Täter hat erst vor wenigen Monaten sein Schuldeingeständnis öffentlich widerrufen, seine Aussagen legen einen politisch motivierten Mord nahe. Tatsächlich stand Italien Anfang der 70er Jahre am Rande eines Staatsstreichs und der Schriftsteller und Filmemacher griff seine mächtigen Gegner unverblümt an. Es war sein Selbstverständnis als Intellektueller, sich "mit dem ganzen Körper, mit allen Sinnen" in den Kampf zu werfen. Von heute aus betrachtet muten diese öffentlichen Interventionen anachronistisch an. Unter deutschen Künstlern und Intellektuellen gilt ja bereits die Unterzeichnung eines Wahlaufrufs als beherzte Tat. Dabei gäbe es genug zu tun.
[...] "Ich gehöre zu einer Generation, die politisch gelähmt ist. Wir sind von den Achtundsechzigern erzogen und mit dem Engagement-Befehl in die Welt geschickt worden: Seid für die Schwachen, für die Opfer, gegen den Faschismus und so weiter. Viele haben da schwere Allergien bekommen: Das war ja eine Hybris des Gutmeinens."
Diese Argumentation wird ja schon seit Jahren erfolgreich eingesetzt, wenn es darum geht, die eigene Passivität zu erklären.
[...] Im Gegensatz zu den heutigen Intellektuellen hatte Pasolini durch seine Herkunft und seine Lebensstationen andere Erfahrungen gemacht. Das brachte ihn in seinen Kunstwerken und seinen öffentlichen Äußerungen zu einer klaren Haltung. Schon früh machte er die schmerzliche Erfahrung, als ausgeschlossener Außenseiter behandelt zu werden und bekennt in einem Interview 1970:
Wenn ich Ihnen sage, dass ich die Empfindung eines verwundeten Tieres habe, das sich hinter der Herde herschleppt, so sage ich die Wahrheit.
Als offen bekennender Homosexueller wurde er bereits als 27-Jähriger in seiner Heimatstadt Casarsa wegen "Unzucht mit Minderjährigen" angeklagt. Die Anzeige war politisch motiviert. Pasolini attackierte damals als junger Parteisekretär der KPI in Casarsa die Kirche und die mächtige Democrazia Christiana mit klugen Wandzeitungen. Er sollte zum Schweigen gebracht werden und dieses eine Mal gelang es seinen Gegnern. Obwohl Pasolini den Prozess in zweiter Instanz gewann und vom Vorwurf freigesprochen wurde, hatte er sein öffentliches Ansehen verloren. Auch seine Anstellung als Lehrer wurde gekündigt und der junge Autor war gezwungen die Stadt zu verlassen.
Pasolini zog im Dezember 1959 nach Rom und lebte mehrere Jahre mit enormen finanziellen Problemen und unter schwierigen Lebensverhältnissen in einem Armenviertel. Dort lernte er das Subproletariat kennen, gewalttätige junge Männer, die von Gelegenheitsjobs und Kriminalität leben. Sie leben in Slums am Rande der Gesellschaft ohne Aussicht auf ein besseres Leben. Ihnen verleiht Pasolini in seinem Roman "Vita violenta" eine literarische Stimme und hofft auf ihre ungebrochene Kraft, sich ihren Teil vom Glück und Wohlstand zu nehmen, wenn nötig mit Gewalt. Die Bilder von den brennenden Pariser Vorstädten ([local] Unruhen in Pariser Trabantenstädten), die gerade durch die Medien gehen, erinnern an dieses Potenzial.
Pasolini war ein leidenschaftlicher und radikaler Kritiker der politischen und sozialen Zustände. Er provozierte, warf sich in die Debatten und griff die Mächtigen in zahllosen Texten und Interviews direkt an. Sein Einfluss war so groß, dass sich selbst Ministerpräsident Andreotti genötigt sah, ihm öffentlich zu antworten.
[...] Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichtsgutachter arbeiteten massiv an Pasolinis Stigmatisierung. Die öffentliche Verleumdung und Demütigung ging auch in den Gerichtssälen weiter. Genüsslich zitierte die Presse damals aus einem psychiatrischen Gutachten: "Pasolini ist ein triebhafter Psychopath, ein sexuell Anormaler, ein Homophiler im absoluten Sinn des Wortes." Der Schriftsteller und Filmemacher hat für sein Engagement einen hohen Preis gezahlt. Maria-Antonetta Macciocchi schrieb kurz nach Pasolinis Tod:
"Pasolini ist von einer Welt ermordet worden, die sich entschieden gegen ihn sträubte, die seine Übertretung sexueller, politischer und künstlerischer Tabus einfach nicht ertrug, diese nahtlose, öffentlich zur Schau getragene Einheit von Engagement und Leben." (Maria-Antonetta Macciocchi: Pasolini: Die Ermordung eines Dissidenten)
[...] Wenige Stunden vor seinem Tod verfasste Pasolini seinen letzten Text, eine Rede, die er am 04.11.1975 vor dem Kongress der Radikalen Partei halten wollte. Mit dieser vielgestaltigen politischen Kraft, die Witz und Phantasie als Werkzeuge nutzte, stand Pasolini schon seit vielen Jahren in Kontakt. Die Radikale Partei hatte damals den autoritären Parteigedanken aufgeweicht und wurde von autonom agierenden Bürgerinitiativen sowie lokalen Gruppen getragen. Er gab ihnen ein Vermächtnis mit auf den Weg, das auch heute Intellektuellen helfen könnte, den Weg aus ihrem Elfenbeinturm zu finden:
"Vergesst unverzüglich die großen Siege und fahrt fort, unerschütterlich, hartnäckig, ewig in Opposition, zu fordern: fahrt fort, euch mit dem Andersartigen zu identifizieren, Skandal zu machen, zu lästern!"
Aus: "Ewig in Opposition" Von Jörn Hagenloch (TP; 02.11.2005)
Quelle:
http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=/tp/r4/artikel/21/21264/1.html-.-
[...] Wenn die Perversionen der Macht einmal die Medien beschäftigen, fällt also der Name Pasolinis. Immerhin. Wirklich Gelegenheit den Film zu sehen, hatten wohl die wenigsten. „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ ist bis heute nur kleinen Zuschauerkreisen zugänglich geblieben. Zuletzt war er 2003 in einigen Programmkinos zu sehen. „Salo ist ein beinahe ungesehener Film; ein Film, der fast nur in Büchern existiert. Und von dort aus in Köpfen geistert, ein unbestatteter Untoter, eine gequälte Seele zwischen den Welten von de Sade und Kurt Cobain; sie treffen sich bei Bill Burroughs und hören Platten von Nirvana, und diskutieren die Menschen und ihr Gewaltproblem“ (Theweleit, S. 151). Theweleit ist es zu danken, dass der verbotene Film überhaupt als ernst zu nehmendes Werk der Faschismusbetrachtung und der Filmkunst ins Gespräch gekommen ist. „Salo“ gilt Theweleit als eines der wenigen Oeuvres der Filmgeschichte, dass eine universelle – politisch ausgedrückt: faschistische Form der Gewaltausübung – reflektiert. „Mir blätterte sich Pasolinis Film jetzt auf wie ein überreiches Theoriekompendium der schrecklichsten Formen von Gewaltausübung durch Herrscherschichten; der Film, der es fertig bringt, dem Lachen des Folterers ins Gesicht zu sehen...“.
Dass er bislang sowenig beachtet wurde, kann als Indiz dafür gelten, dass Pasolini schwer auszuhaltende Einblicke in bestimmte Eingeweide der Macht gelungen sind. Hinzu kommt, dass der Pasolini-Essay in „Deutschlandfilme“ von außergewöhnlicher Aktualität ist, gerade in einem Jahrhundert, wo die Nationalstaaten das Monopol staatlicher Gewalt zunehmend Unternehmern oder aber Warlords überlassen und das Foltergeschäft allem Anschein nach boomt.
[...] Als Homosexueller, Antifaschist und Kommunist ist der 1922 geborene Pasolini ein hohes Wagnis eingegangen, als er 1975 inspiriert von dem Roman des Marquis de Sade ein Tableau des italienischen Faschismus und Neokapitalismus wie des deutschen Faschismus entworfen hat. Theweleit beleuchtet in eindrucksvoller Genauigkeit die biographischen, künstlerischen und politischen Kontexte eines weiteren Künstlerkönigs, dessen letztes Werk wohl auch sein Todesurteil besiegelte, zu groß und mächtig war nun das Heer seiner Feinde geworden. Pasolini schlug beinahe der gleiche Gegenwind um die Ohren, wie dem Marquis de Sade nach der Veröffentlichung seines Romans die „Die 120 Tage von Sodom“. „Ist das nicht Grund genug sich damit zu befassen?“ fragte Maurice Blanchot in Bezug auf de Sade.
Für Theweleit ist es ein Grund Gemeinsamkeiten zwischen de Sade und Pasolini nachzuspüren. Beide sind radikale Herrschaftskritiker. Sie holen die kriminellen Machenschaften, die mörderischen Gelüste und Orgien der Herrschenden ans öffentliche Licht und dekodieren die darunter liegenden Gewaltmuster. Das kann nur funktionieren, indem sich das Kunsthandwerk beim Anblick des lachenden Folterergesichts selber beschmutzt: "Man bekommt keine Beschreibung der faschistischen Gewalt-Systeme hin, ohne sich die Finger mit Details der Substanz zu beschmutzen", schreibt Theweleit.
Aus: "Die Aktualität Pasolinis: Deutschlandfilme unter Theweleit-Lupe Teil 3" Von Peer Zickgraf (12.08.2004Diesen Artikel ausdrucken)
Quelle:
http://www.einseitig.info/html/content.php?txtid=196&print=1-.-
[...] Folter hat diesen Inszenierungscharakter. Pasolini hat diesen Genussanteil, der stets im Wesen der Folter liegt, verdeutlicht, indem er in den „120 Tagen von Sodom“ die Verbindung von Sexualität und Folter zeigt: Dort haben die Folterer immer eine Hand in der Hose. Der Skandal der Wehrmachtsausstellung lag ja gerade darin, dass sie die Freude der deutschen Soldaten an ungeheuerlichen Verbrechen gezeigt hat. Folter braucht Zeugen. Wenn man sie nicht nach außen bringen kann, dann wird sie im Inneren verbreitet.
Natürlich liegt in den Bildern von der Enthauptung Nick Bergs auch ein demonstrativer Moment: Wir zeigen euch, dass wir es genauso gut können, ähnlich wie bei den Fotos der Schleyer-Entführung.
SZ: Alles nicht neu?
Theweleit: Wenn man sich die Linie ansieht, die Pasolini gezogen hat von Sodom über de Sade, den französischen Adel, die Salò und die SS bis zur italienischen Großbourgeoisie, dann liegt darin die Behauptung eines Universalismus der Folter, die schlicht zutrifft. Jede Gesellschaft hat einen bestimmten Prozentsatz von Menschen wie die US-Soldatin Lynndie England, die sich vor gefolterten Irakern ablichten ließ, Menschen, bei denen Sexualität umschlägt in Gewalt, in die Zerstörung des anderen. Unter den Bedingungen des Krieges darf sich diese Neigung endlich Bahn brechen.
SZ: Die Kontinuität der Folter reicht zurück bis in die Antike, wo sie Herrschaft legitimierte. Auf den Basaren in Tschetschenien kursieren grausame Videos. Ist also unser Abscheu vor den Bildern aus dem Irak nur die Reaktion friedensverwöhnter Mitteleuropäer, wie der Soziologe Wolfgang Sofsky sagt?
Theweleit: Es mag hart klingen, aber mich haben diese Bilder nicht besonders entsetzt. Ich habe solche Szenen im Kopf, etwa aus den KZ’s, aus Splatter- und Pornofilmen. Wir können diese Bilder verdrängen, aber dann geben wir uns jener Illusion hin, die die harmlosen Ausgaben der Tagesschau verbreiten: dass wir in einer halbwegs zivilisierten Welt leben. Aber eine Öffentlichkeit, die immer noch so tut, als hätte sie nicht gewusst, welche Verwüstungen der Krieg anrichtet, ist scheinheilig. Neu ist einzig die Zirkulation im Internet, in den elektronischen Medien, in Zeitungen.
SZ: Muss man diese Bilder zeigen?
Theweleit: Ich bin dafür, dass man sie zeigt. Wenn man sie in einem Kontext nach dem Motto „Oh, wie entsetzlich“ sieht, dann bleiben sie belanglos. Wenn man sich aber klarmacht, dass das ein Strang unserer Zivilisation ist, dass unsere Gesellschaft dieses ökonomisch-militärische Gewaltpotenzial hat, dass es global angewandt wird, dann können sie eine politische Diskussion in Gang setzen.
SZ: Ausgerechnet in der Region, wo der erste Golfkrieg klinisch saubere Bilder lieferte, dringt nun der Körper des Soldaten in seiner Sinnlichkeit und Verletzlichkeit über die Bilder seiner Zerstörung wieder ins Bewusstsein.
Theweleit: Für mich hat der Krieg diese Dimension der Sinnlichkeit und der Zerstörung nie verloren. Mit welchem Recht konnten wir sie auch verdrängen?
Aus: "Philosoph Theweleit im Interview: "Wir müssen diese Bilder zeigen"" Interview von Sonja Zekri (SZ vom 13. Mai 2004)
Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/720/31689/