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[Zur Schönheit... (Aesthetik)]

Started by Textaris(txt*bot), November 02, 2006, 01:34:25 PM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Sokrates veranschaulicht seine Deutung des erotischen Begehrens mit einer mythischen Erzählung vom Schicksal der unsterblichen Seele im Jenseits. Dem Mythos zufolge lenkt die geflügelte Seele ihren Seelenwagen durch das Himmelsgewölbe. Den Wagen ziehen zwei ebenfalls geflügelte Pferde, ein gehorsames und ein störrisches, deren sehr unterschiedliche Veranlagung große Schwierigkeiten bereitet. Sofern die Seele nicht abstürzt oder anderweitig scheitert, kann sie einen ,,überhimmlischen Ort" erreichen, wo sie die ,,platonischen Ideen" wahrnimmt, darunter die Idee des Schönen, das heißt das Urbild alles Schönen. Wenn sie später im Verlauf der Seelenwanderung einen menschlichen Körper annimmt, erinnert sie sich beim Anblick schöner Gestalten undeutlich an dieses prägende Erlebnis und wird daher von erotischer Begierde ergriffen. Das eigentliche, unbewusst erstrebte Ziel ihrer Sehnsucht ist aber nicht ein einzelner schöner Körper, sondern die göttliche Schönheit jenseits des Himmels, die das körperliche Auge nicht sieht. ...


Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Phaidros (1. November 2017)

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Quote[...] Schönheit [...] manifestiert sich durch die Dinge. Sie ist gleichsam die unkalkulierbare Summe der Risse und Fugen, die sich durch den Körper ziehen, der nie ganz homogen, nie wirklich 'an sich' ist. Damit ist Schönheit auch ein Reflex jener 'verstreuten Triebe', ein Drang des Subjekts. "Es heißt, die 'Schönheit befinde sich im Auge des Betrachters'." Die Schönheit ist 'natürlich' nur unter der Bedingung, daß Natur als ein Reflex wahrgenommen wird, der den Gegenstand der Reflexion in einen Zusammenhang stellt, der über ihn hinausgeht und Natur die Bezeichnung für diesen Reflex. Schönheit ist keine Erkenntnisfunktion, sondern, wenn man so will, eine Selbsterkenntnisfunktion. So erklärt sich auch die Stellung der Kunstwerke in der Renaissance: "Die neuentdeckte Schönheit antiker Statues hat dabei eine leitende Funktion. Die 'Natur' wird zuerst an ihnen verstanden, das Körpergefühl geschult. Der Weg führt somit über das Bildwerk zur Realität, nicht umgekehrt. Die Wirklichkeit selbst ist immer zu vielfältig, zu verwirrend, im ganzen nicht auffaßbar."


Aus: "Gegenstandslose Ästhetik - Wissen und Erkenntnis im Licht des elektronischen Display" Von Wolfgang Preikschat (2003; pdf; 304 Seiten)
Quelle: http://www.stichting-mai.de/hwg/awp/gae/gegenstandslose_aesthetik_b.pdf


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Seit Jahrhunderten ist die Menschheit auf der Suche nach einer Regellehre, mit deren Hilfe sich "das Schöne" im Sinne des platonischen Dreiklangs vom Wahren, Schönen und Guten erklären, produzieren und rational beurteilen ließe. Das, was ist (also das Wahre), haben Philosophie und Naturwissenschaften so gründlich wie möglich durchleuchtet. Das, was sein soll (also das Gute), umschreiben Ethik und Religion auf nachvollziehbare Weise.

Nur das, was gefällt, was in einem traditionellen Sinn anmutig und harmonisch erscheint, das Schöne, scheint sich fast vollständig dem konsensualen Zugriff zu entziehen: Die Ästhetik als philosophische Teillehre von der Schönheit hat es bis auf den heutigen Tag nicht geschafft, eine überzeitlich gültige und interkulturell praktikable Theorie anzubieten. Die Sternchen oder Daumen, die manche emsige Kultur-Teile in den Zeitungen so plakativ für Filme oder Bücher vergeben, beiseite gelassen.

Auch deshalb las sich die Ankündigung zum 12. Berliner Kolloquium der Gottlieb-Daimler- und Karl-Benz-Stiftung wie eine Sensation. Die Frage "Ist Schönheit messbar?" sollte endlich positiv beantwortet werden.

"Was bislang fehlt", so der Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein, der die Tagung umsichtig verantwortete, "ist eine empirische Untersuchung der ästhetischen Eigenschaften, also die Suche nach Argumenten, die die Ästhetik eines Objekts wissenschaftlich begründen - genauso wie Gesetzmäßigkeiten anderer Gegebenheiten unserer Welt."

Eine vitalisierend fachübergreifend besetzte Expertenrunde - Musik-, Literatur- und Kunsthistoriker, dazu Mathematiker, Psychologen, Neurowissenschaftler, Designer und Juristen - traf sich in diesem Sinn am vergangenen Mittwoch in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung am Berliner Tiergarten, um fassbar zu machen, "warum wir ein Gedicht oder eine Arie, ein Bild oder auch ein Auto als schön empfinden". Welch Vermessenheit im wörtlichen Sinne. Um aber das Schönste an diesem tatsächlich anregenden Kolloquium vorwegzunehmen: Es ist sein bravourös gelingendes Scheitern als Form der Destruktion.

Denn die S-Formel bleibt geheim, nur die Sehnsucht danach lässt sich auf enthüllende Weise beschreiben: Ist uns die Formel für Schönheit womöglich wichtiger als die Schönheit selbst? Zwar wird die Gesetzmäßigkeit der Schönheit schon seit der Antike diskutiert - man denke etwa an die Proportionallehre der Renaissance, an den Goldenen Schnitt und andere mathematische Harmonie-Beschreibungen.

Aber erst jetzt, in der ökonomistisch geprägten Konkurrenz-Ära der Rankings und befeuert von neueren Forschungen in der Neuroästhetik, scheint die Formelsuche wieder zur Gralssuche zu werden. Zum Glück vergebens, denn alles andere führt zum Malen oder Dichten nach Zahlen. Gegen solche Motivik wendet sich Albert Einsteins Satz, wonach nicht alles, was man zählen kann, zähle. "Und nicht alles, was zählt, kann man zählen."

Die Vorstellung, man könne sich einer Skulptur, einem Haus, einer Blume oder einem Gedanken mit einer Art Geigerzähler nähern, oder mit einem pH-Wert-Teststreifen, um den Grad der Schönheit zu erfassen, ist zu teuflisch, um wahr werden zu dürfen. Auch wäre damit noch nichts über das Gelingen oder Scheitern gesagt.

Nichts über das Werk. Und noch weniger etwas über die Kultur. Literatur-, Musik oder Kunst-Kritik ist im Sinn der vergleichenden Auto-Expertise (Preis, Ausstattung, von null auf hundert, Verbrauch...) nicht zu haben.

Doch muss man zugeben: Es besteht ein Bedürfnis nach solcher Rationalität. "De gustibus non est disputandum", über Geschmack lässt sich nicht streiten: Diese Sentenz von einem hoffnungslos irrationalen Kern der Ästhetik, der die Schönheit im Sinne der Kantischen "Urteilskraft" lediglich als subjektive Interpretation, nicht aber als objektive Eigenschaft beschreibt, nervt ja gerade immer dann, wenn man sich mitten im schönsten, weil anregendsten Streit befindet.

Dann nämlich werden Argumente ausgetauscht, Ableitungen hergestellt, Überzeugungen angestrebt - und all das wird banalisiert, indem man das Thema schließlich zur Geschmackssache erklärt und ins je eigene Belieben stellt. Da hätte man dann doch ganz gerne ab und zu eine Gelungenheits-Formel oder einen Schönheits-Geigerzähler zur Hand.

Das ambitionierte Berliner Kolloquium muss dennoch beides schuldig bleiben. Auch wenn Manfred Spitzer für die Gehirnforschung aufzeigen kann, dass das Empfinden von Schönheit als Funktion im Frontalhirn im zeitlichen Zusammenhang mit den ersten von Menschen geschaffenen Kunstwerken steht. "Bei der Betrachtung von Gesichtern und Landschaften scheinen also eher biologisch begründete Mechanismen als kulturell erworbene Ideen im Spiel zu sein."

Genau das wäre die Grundlage für einen universellen Schönheitsbegriff. Aber schon die Rezeption etwa der weiblichen Schönheit gibt zu denken. Von der drastisch bauchigen Venus von Willendorf aus der jüngeren Altsteinzeit über die immer noch anmutig kurvierte Venus von Sandro Botticelli im 15. Jahrhundert ist es nicht nur ein weiter Weg bis zu den magersüchtigen Exemplaren des Heroin-Chic. Man sieht daran auch, dass Zeit und Ort zu den Variablen der Schönheit gehören. Der Bodymass-Index scheidet daher als ästhetische Messgrundlage aus: Die Venus von Willendorf müsste man heute als fetthässlich beschreiben.

Ebenso verhält es sich mit den Proportional-Lehren, die klassischerweise den Begriff des Schönen vom menschlichen Körper als Natur-Ideal ableiten. Holger Höge vom Institut für Psychologie der Universität Oldenburg ging in diesem Zusammenhang auf die berühmte Versuchsanordnung nach Fechner ein, der im 19. Jahrhundert das Schönheitserleben als alltägliches psychologisches Phänomen beschrieben hat, das sich im Experiment nachweisen ließe.

Einigen Versuchspersonen wurden deshalb gleichgroße, aber unterschiedlich proportionierte Tafeln gezeigt. So zielstrebig wie unbewusst einigte sich die Gruppe unter dem Aspekt der Gefälligkeit mehrheitlich auf jene Tafel, die dem Goldenen Schnitt entsprach. Höge stellte dieses Experiment nach: Für die klassische Harmonielehre findet sich immer noch ein klares Votum. Aber auch - und darauf kommt es an: für das Quadrat als neuere formale Ausprägung. Selbst das angeblich natürliche Gefühl für Proportionen, die in der Natur zu finden sind, ist also eines nicht - natürlich.

Noch deutlicher wandte sich Peter Deuflhard vom Berliner Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik in der Beantwortung der Frage "Was ist ein schönes Gesicht?" gegen die Illusion gesetzmäßiger, gar planbarer oder chirurgisch herstellbarer Schönheit - also gegen die boomende "Science of Beauty". Fast genüsslich widerlegte er zwei der gängigen Schönheits-Hypothesen, wonach symmetrische oder eben völlig durchschnittliche Gesichter als "schön" gelten dürfen, indem er die methodischen Schwachstellen der zugrundeliegenden Experimente aufzeigt.

Die rätselhafte Unansehnlichkeit der "digital Beauties" gibt ihm augenscheinlich recht. Zwar lassen sich im Computer nach bestimmten mathematischen Annahmen Schönheiten als Analogien zu einem verabredeten, präzise berechenbaren Schönheitsbegriff virtuell erzeugen: Aber über die Schönheiten, die eigentlich exakt mit dem Konsens "schön" übereinstimmen, ist in der Rezeption dennoch kein Konsens mehr zu bilden. Es ist, als ob den digitalen Beauties etwas Zwingendes fehlt, vielleicht so etwas wie Leben. Es bleibt dabei: Schönheit entsteht nicht im Rechner, sondern vor allem im Auge des individuellen Betrachters und in der Absprache einer kulturellen Gemeinschaft. Gerade deshalb aber lässt sich darüber streiten. Das ist ja das Schöne daran.


Aus: "Ästhetik-Forschung: Das Wahre, Gute - und der geheimnisvolle Rest" Von Gerhard Matzig (SZ vom 10.05.2008)
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/382/173865/6/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ästhetik bedeutet wörtlich: Lehre von der Wahrnehmung bzw. vom sinnlichen Anschauen. Ästhetisch ist demnach alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten: Schönes, Hässliches, Angenehmes und Unangenehmes. Eine Lehre, die sich nur mit schönen Dingen beschäftigt, heißt Kallistik.

... Denis Diderot (1713–84) knüpfte an die englische Aufklärung an, vor allem an Shaftesbury. Der im absolutistischen Bereich und durch den Klassizismus vertretenen Ästhetik stellte er eine materialistische Konzeption entgegen: ,,Die Wahrnehmung von Verhältnissen [sei] die Grundlage des Schönen" und ,,die alltägliche Natur war das erste Modell der Kunst". Dabei begriff Diderot unter ,,Natur" die gesamte Realität, also auch das gesellschaftliche Dasein, und lenkte die Aufmerksamkeit besonders auf das Studium des Menschen mit all seinen sozialen, ethischen usw. Komponenten. Die künstlerische Aneignung war für ihn der wissenschaftlichen verwandt. Für beide sei Wahrheit das Ziel: es werde erreicht durch Übereinstimmung des Urteils bzw. (in der Schönheit) des Bildes mit der Sache. Gemäß dieser Sach-(Gegenstands-)Bezogenheit, die nach dem Illusionismus des Barock und gegenüber der normativen Form-Ästhetik der Klassizisten eine progressive Haltung war, sah Diderot die Linie als die entscheidende ästhetische Formqualität der bildenden Kunst an, blieb also den Klassizisten durchaus verhaftet (aber Antikenstudium allenfalls als Mittel, Natur sehen zu lernen). Die Farbe wurde nicht negiert, doch hatte Diderot zu deren Spezifik und Bedeutung als Sinnenerlebnis keine Beziehung. Darin blieb er, gleich vielen seiner Zeitgenossen, zurück hinter den Errungenschaften z. B. der niederländischen Malerei der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Als Grundlage für seine Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft postuliert Diderot den gerechten Menschen.

... Die Sozialphilosophie konzentrierte sich im 20. Jahrhundert zunehmend auf die gesellschaftliche Funktion der Ästhetik. Hier geht es dann kaum noch um die ursprüngliche Frage nach der Schönheit, sondern eher um die soziale Rolle von Kunst und Stil. Insbesondere die Kritische Theorie befasste sich mit dem revolutionären Potential der Kunst. Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno widmeten dem Thema zentrale Werke, Adornos letztes Buch trägt den Titel Ästhetische Theorie. Im späten 20. Jahrhundert rückten die durch die Postmoderne entstandenen Probleme und Phänomene der Kunst in den Mittelpunkt der ästhetischen Philosophie. Dazu gehören auch die Veränderungen, die mit der Reproduzierbarkeit der Kunstwerke, wie bei Walter Benjamin, dem Verwischen der Grenzen zwischen Populär- und Hochkultur, der Auflösung traditioneller Stil­grenzen, der Medienspezifik sowie der spezifischen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen einhergehen.

... Neurowissenschaftliche Untersuchungen versuchen herauszufinden, was im Gehirn passiert, wenn wir etwas ,,schön" finden. Bisherige Studien weisen deutlich darauf hin, dass es kein isoliertes ,,Schönheitszentrum" im Gehirn gibt, sondern dass verschiedene Hirnareale am Schönheitsempfinden mitwirken. Dazu gehören insbesondere solche Regionen, die zum so genannten ,,Belohnungssystem" gehören, wie der Nucleus accumbens sowie der (entwicklungsgeschichtlich jüngere) orbitofrontale Cortex, der generell bei Entscheidungs- und Urteilsprozessen eine wichtige Rolle spielt. Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen versuchen, solche neurowissenschaftlichen Erkenntnisse mit künstlerischen Erfahrungen zusammenzuführen (Neuroästhetik).


Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84sthetik (5. November 2017)


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wenn wir dagegen Gesichter oder Musik beurteilen und sagen sollen, ob das schön ist oder nicht, ist eine ganz andere Hirnregion aktiv: die in der Großhirnrinde, im orbitofrontalen Cortex. Die Großhirnrinde ist evolutionär jünger. Dieser orbitofrontale Cortex ist bei Prozessen aktiv, in denen wir bewusst etwas entscheiden.
Das zeichnet Schönheitsempfinden aus: Wir lassen etwas auf uns wirken und stellen bewusst fest, ob es uns gefällt oder nicht. Natürlich kann es sein, dass wir uns dabei auch von der Attraktivität leiten lassen. Es kann aber auch sein – um bei dem Beispiel zu bleiben – dass wir ein Gesicht zwar auf den ersten Blick attraktiv, aber trotzdem nicht schön finden, weil es vielleicht zu glatt erscheint, zu uninteressant, zu unnatürlich oder was auch immer.

Dazu gibt es interessante Experimente. Testpersonen – das waren alles heterosexuelle Männer – wurden Bilder von Gesichtern gezeigt. Die Bilder zeigten sowohl Frauen- als auch Männergesichter. Die Männer sollten zum einen beurteilen, wie schön sie die Gesichter finden. Gleichzeitig hat man gemessen, wie lange sie die Bilder jeweils anguckten. Und es wurde die Aktivität im Belohnungssystem beobachtet. Das Ergebnis war interessant: Bei der Frage nach der Schönheit waren die Männer fair. Sie fanden sowohl männliche als auch weibliche Gesichter schön oder nicht schön. Aber nur die weiblichen Gesichter haben sie länger angeschaut und auch nur bei denen war das Belohnungssystem aktiv. Messbar attraktiv waren für die heterosexuellen Männer bei diesem Versuch also nur weibliche Gesichter, schön dagegen konnten Gesichter beider Geschlechter sein.

Attraktivität und Schönheit können also miteinander zusammenhängen. Aber Schönheit im Sinne von ästhetischem Erleben ist etwas grundlegend anderes.

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Aus: "Was ist "schön" im Unterschied zu "attraktiv"?" Gábor Paál (27.4.2021)
Quelle: https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/was-ist-der-unterschied-zwischen-schoenheit-und-attraktivitaet-100.html