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[Das Böse (Notizen) ... ]

Started by Textaris(txt*bot), September 05, 2006, 11:24:07 AM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Zeiten der alten Teufel, der bösen Geister und Dämonen scheinen gezählt. Sie jagen keine Angst mehr ein und erregen bestenfalls in Horrorfilmen oder als Kunstwerke Aufmerksamkeit.

[...] Moderne Dämonen jagen uns heute und scheinen den alten Platz wieder eingenommen zu haben: in neuen Masken, modernen Symbolen und allgegenwärtigen Gestalten. Wir finden sie in Politik, Wissenschaft, Gesellschaft oder Philosophie. Das Böse kommt nur in der Dualität vor - es ist ein relativer und ein relationaler Begriff. Doch was sind die Strukturen des Bösen von heute? Worin liegt die Faszination - der Sex-Appeal - des Bösen? Wo ist ist sein Ursprung? Wenn es das Böse heute noch gibt - was genau ist es?


Aus: "Das Böse" (Oktober 2005)
Quelle: http://www.3sat.de/delta/82314/index.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Stephan Harbort: "Das wesentliche Merkmal eines Serienmörders ist die fehlende Empathie. D.h., dass er in der Lage ist, die Schmerzen und all das, was dem Opfer widerfährt, eben nicht als negativ belastendes Gefühl zu empfinden, sondern dass es ihm sogar Spaß macht, dem Opfer Schmerzen und Leiden zuzufügen."

Tausende Seiten Gerichtsakten hat Stephan Harbort gelesen, Vernehmungsprotokolle studiert und psychiatrischen Gutachten gelesen. Immer wieder entdeckte er Gemeinsamkeiten: "Nicht wenige Täter begehen ihre Taten nach einem vorgefassten Script, d.h. sie verwirklichen bestimmte Gewaltfantasien, und man muss es sich so vorstellen, dass diese Täter dann eine Art emotionalen Rausch erleben, und auf diese Art und Weise gelingt es den Tätern, eben Gefühle für das Opfer an sich auszuschalten."

[...] Stephan Harbort ging in seiner Recherchearbeit noch weiter. Er hat mit den Serienmördern Kontakt aufgenommen. Zunächst schriftlich. Dann traf er sie persönlich. Mehr als 50. Eine große emotionale Belastung für den Kriminalbeamten. Er musste Unvorstellbares, Grauenhaftes hören. Besonders schockierend deswegen, weil die Serienmörder ihre Taten so gefühllos darstellen. Die Morde beschreiben sie technisch. In ihren Opfer sehen sie nicht Menschen, sondern nur Objekte.

[...] Woher kommt dieser unwiderstehliche Drang zu töten - Serienmörder lassen sich nicht kategorisieren. Und doch entdeckt Stephan Harbort immer wieder Gemeinsamkeiten. Die meisten Serienmörder erleben sich demnach als unentschlossen, als Menschen ohne eigene Positionen, die nichts auf die Reihe kriegen. Sie flüchten sich in Fantasien, in Gewaltfantasien flüchten und irgendwann explodieren sie.

Stephan Harbort: "Der Versager ist tot, es lebe der Mörder. Zum anderen erleben diese Täter eine enorme Machtposition und das passt sehr schön zu ihrem Persönlichkeitsprofil, weil sie durch die Tat selber endlich so eine Postion ausfüllen dürfen, die sie aus ihrem realen Leben her gar nicht kennen."

Was zwingt Menschen zum Bösen, fragt Stephan Harbort. DIE Antwort gibt es nicht. Aber er gibt uns tiefe Einblicke in abnorme menschliche Seelen. Die rücken uns sehr nahe.

-.-

Der Autor:
Der Kriminologe Stephan Harbort von der Kripo Düsseldorf untersuchte in mehrjähriger Arbeit sämtliche bekannte Mordserien in Deutschland seit 1945. Darauf aufbauend entwickelte er das theoretische Modell des sogenannten "Ideal-Mörders", mit dem sich der Kreis potentieller Verdächtiger eingrenzen lässt. Mit einer Erfolgsquote von 81,8 Prozent sorgt das Modell europaweit für Aufsehen.


Aus: "Stephan Harbort: "Das Serienmörder-Prinzip"" (05.09.2006)
Quelle: http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=8910&key=standard_document_25661004&tl=rs


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Gut und böse - zwei problematische Kategorien:

Aufgeworfene Fragen und Thesen:

• Was macht sie zu problematischen Kategorien? Sie sind für sich nicht einsichtig, sondern bedürfen eines Bezugspunktes. Damit hängt ihr Geltungsanspruch von der Richtigkeit der Prämisse(n) ab. Werden sie dagegen als prärational betrachtet, führt das auch nicht zu einer Verständigung über sie.

• Warum sind sie gerade heute schwierig zu handhaben? Da heute allgemein eine relativistische Denkweise vorherrscht, können alle Bezugspunkte gegeneinander ausgespielt und diese Begriffe aufgelöst werden. Dazu kommt die Vergleichsmöglichkeit über Zeitstrecken: Was heute böse ist, kann morgen gute Folgen zeitigen. - Gegen diese Tendenz werden universale Normen oder ethische a priori ins Feld geführt, die dann notwendigerweise unkonkret sind, Beispiel Menschenwürde.

• Wie lassen sich gut und böse erkennen? Eine rationale Entscheidungslehre, die mit moralisch neutralen Informationen umgeht, muss ein moralisch neutrales Ergebnis haben. Aber lässt sich so die Frage nach gut und böse überwinden? - Möglicherweise gibt es eine Asymmetrie zwischen gut und böse dergestalt, dass es, um das Böse zu erkennen, nicht vieler Informationen bedarf. - Das Destruktive als Kennzeichen des Bösen. - Hindernis, bei sich selbst das Böse zu erkennen: Die Neigung, Vorlieben quasi-rational zu begründen.

• Die Gesellschaft als wichtigster Bezugspunkt und Quelle der Normierung. Kinder lernen mit der Muttermilch, was gut und böse ist (frühkindliche Sozialisation). Neben den Konventionen (historische Kompromisse) sind aktuelle Konflikte über Verständigungsprozesse Quelle von Normierung. Folgt daraus aber wirklich, dass die Normen des Systems gegenüber den Normen der Individuen immer optimal sind? Kann die Kompromiss- oder Herrschaftsnorm nicht weniger gut sein als eine Teilnorm? Harmonisiert das Systemdenken den Konflikt der unterschiedlichen Bezüge künstlich?

• Ist das polare Denken in gut und böse unvermeidbar? Vielleicht kann der Mensch nur dualistisch denken und braucht die Erfindung/Setzung eines Gegenpols, um Erkenntnis zu gewinnen. Der Übergang von der Natur zur Kultur wäre eine solche Abspaltung.



Aus: "Gut und böse - zwei problematische Kategorien" (Café philosophique; 18. Mai 2003)
Quelle: http://www.vhs-essen.de/pdf/cafephilo2003-05-18.pdf

Textaris(txt*bot)

Quote[...] 100 kleine blaue Wichte leben glücklich und zufrieden, im Einklang mit sich und der Natur in kleinen, aus Pilzen gebauten Häuschen, wohlbehütet von ihrem weisen Papa Schlumpf, der sie "meine kleinen Schlümpfe" nennt. Ihr einziger Feind ist der böse Zauberer Gargamel, der aus den Schlümpfen Gold machen will. So weit, so gut, als Kind nimmt man das eben so hin; aber als nun doch etwas älterer Mensch begann ich, die Schlümpfe kritisch zu betrachten: Wie kommt es, daß Papa Schlumpf als einziger einen Bart und rote Kleidung trägt? Warum gehorchen ihm alle anderen Schlümpfe aufs Wort? Welche Rolle spielt Schlumpfine?


Aus: "Papa Schlumpf ist böse!" (moviebazaar.de; Datum:?; Autor:?)
Quelle: http://www.moviebazaar.de/extra2.htm


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Nordkorea, Irak und der Iran bilden gemäss Bush eine ,,Achse des Bösen". Tony Blair findet das auch. Ronald Reagan nannte früher die Sowjetunion ein ,,Imperium des Bösen". Bush und Reagan haben sich öffentlich zum Christentum bekannt, und beide folgten einer bestimmten Interpretation der christlichen Sündenlehre. Sie legt ihnen einen unerbittlichen, ja gnadenlosen Kampf zwischen Gut und Böse nahe. Der amerikanische Film (von dem her Reagan kam), vom klassischen Western bis zum ,,Krieg der Sterne", baut auf diesem Gegensatz von Gut und Böse auf und gipfelt regelmässig in der unausweichlichen Konfrontation zwischen dem guten Helden und den Mächten der Finsternis. Diese Ideologie verfolgt den Anspruch, das Gute habe zu siegen. Sie bestärkt die Krieger mental, möglichst bedingungslos an das Gute zu glauben.

Sie gibt die reine Lehre vor, die Reinheit des Guten, das wir anstreben sollen. Wer vom Bösen befallen ist, muss von einem Exorzisten behandelt werden, auch er eine beliebte Filmfigur in Hollywood.

Im Zusammenhang mit der Achse des Bösen ist von neuen Kreuzzügen gesprochen worden, ausgerechnet von einem Europäer, von Berlusconi. Wieder wollen Ritter ohne Furcht und Tadel die Welt erlösen von allem Bösen.

Einmal abgesehen davon, dass diese Kreuzzüge schon einmal verloren wurden: Lehren uns die Erfahrungen mit den Religionskriegen nicht, dass Kreuzzüge grundsätzlich verwerflich sind? All die Religionskriege brachten und bringen bis heute unendlich viel Leid und konnten kaum je von innen heraus, von religiösen Führern, überwunden werden. Meist haben erst politische Herrscher sie beendet, Politiker, die Toleranz aushandelten oder verordneten, etwa 1598 im Edikt von Nantes nach dem Hugenottenkrieg, oder 1648 im Westfälischen Frieden nach 30-jährigem Krieg.

Der bedingungslose Glaube an das Gute und der Anspruch, auf der guten Seite zu sein, führen entweder zu einer Mauer zwischen Gut und Böse - oder zum Krieg.

Der Gute und der Böse spielen nicht miteinander Schach und anerkennen keine Spielregeln. Sie tauschen auch nicht die tieferen Gründe miteinander aus, warum sie je auf der einen oder anderen Seite, genauer, warum sie beide auf der guten Seite zu sein glauben. Jeder ist auf der guten Seite. Jeder ortet das Böse auf der anderen Seite, den Alkohol und die sexuelle Freizügigkeit, die andere Gesellschaftsordnung, den anderen Glauben. Jeder glaubt an das Gute.

Mit dem Glauben hat denn auch der Unterschied zwischen Gut und Böse sehr viel zu tun.

Es war das bedingungslose ,,Entweder – Oder" zwischen Sozialismus und Kapitalismus, welches zum eisernen Vorhang und zur Berliner Mauer führte. Ein Zaun wird derzeit im Nahen Osten errichtet.

Es war die Glaubensfrage zwischen Christen und Moslems, und innerhalb der Christen zwischen orthodoxen Serben und katholischen Kroaten, die zum Krieg auf dem Balkan führte. Es ist dieser heilige Glaube, welcher stets zu ausweglosen Feindschaften, zum Krieg und Gewalt führt, der Glaube, jemand, eine Religion, eine Weltanschauung, eine Politik sei ausschliesslich böse und die andere sei ausschliesslich gut. Es gibt Leute, in deren Köpfe brennt ein heiliger Scheiterhaufen, der ständig auf Opfer wartet. Sie wollen kein Gespräch, sondern nur deklarieren. Wenn der Gesprächspartner ihnen nicht beipflichtet oder ihrem Glauben nicht beitritt, ist er böse, unwert. Solch fromm-verblendeter Fanatismus betrachtet Menschen als Werkzeuge, als Instrumente, als Transportmittel für Selbstmordanschläge. Dort, wo der Mensch als Mittel zum Zweck eingesetzt wird, haben alle Totalitarismen ihre Wurzeln, und zwar in allen Kulturen. Das ist der gemeinsame Nenner von Fundamentalismus, Rassismus und Nationalismus.

Wenn es heute schon beinah antiamerikanisch, also böse ist, Kyoto zu erwähnen, oder wenn es als verdächtig gilt, historische Zusammenhänge aufzuzeigen oder auf die Verteilung des Reichtums in der Welt hinzuweisen, wenn als pazifistisch abqualifiziert wird, wer statt von einem gerechten Krieg gegen den Irak lieber von einem gerechten Frieden im nahen Osten spricht, so nähern wir uns wieder jenem bedingungslosen Entweder - Oder.

[...] Die angemasste Erkenntnis von Gut und Böse verführt dazu, sich als Herren über Gut und Böse zu fühlen, Götter zu spielen.

Der Kampf gegen das Böse ist die gefährliche Verführung gut gemeinter Politik. Der verheerendste Glaube ist, es sei gut, das Böse ausrotten zu wollen. Das Böse ausrotten wollen, heisst in letzter Konsequenz, die Freiheit auszurotten.

Diese Erkenntnis, die Warnung davor, Richter über Böse und Gut zu spielen, ist nicht gleich zu setzen mit einem pazifistischen Appell gegen Terrorismusbekämpfung. So wie die damalige NATO-Intervention im Balkan sehr wohl moralisch zu legitimieren war, ist der Kampf gegen Terror auch eine Notwendigkeit für Menschlichkeit in allen Kulturen und Religionen. Ein ,,Kampf gegen das Böse" mit seiner absoluten moralischen Motivation und Ueberheblichkeit ist jedoch etwas anderes und hat auch andere Konsequenzen.

Nicht die reine Güte wollen wir anstreben, weil wir es nicht können, sondern zu unserer Unvollkommenheit stehen, müssen wir. Wir sind unserem Wesen nach fehlerhaft und müssen daher fehlerfreundlich sein. Wir können das Gute nicht erreichen; wir müssen uns mit dem Besseren begnügen. Diese Erkenntnis könnte zumindest eine Voraussetzung für Frieden sein.

In das Paradies gelangen wir nicht mehr. Der Apfel ist gepflückt. Aber wenn wir uns dem paradiesischen Frieden wenigstens nähern wollen, sollten wir den Apfel vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen wieder zurück in die Tiefkühltruhe legen.

Es bleibt uns die Gewissheit, dass er von dort ja doch wieder herausgeholt wird. Denn ewig bleibt die Verführung.


Aus: "Das Böse, das Gute, die Politik" - Rede am Symposium des Lucerne Festival zum Thema «Verführung»
- Die Verführung als Thema einer Rede liess mich spontan an Willhelm Reich denken, an Elias Canetti, ,,Masse und Macht", an....
Von Moritz Leuenberger (06.09.2002)
Quelle: http://www.uvek.admin.ch/dokumentation/reden/chef/20020906/01151/index.html?lang=de


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Vor 110 Jahren erschien Bram Strokers "Dracula" und brannte sich wie kaum ein zweites Buch in das kollektive Bewusstsein ein. Die Spielarten der Dracula-Geschichte kennt jeder, nicht zuletzt dank der 22 Verfilmungen des Stoffes. Im Jubiläumsjahr meldet sich der ungarische Schriftsteller Andras Cserna Szabo mit einer provokanten These zu Wort: Seine Beliebtheit verdanke das "verstaubte Vampirethos", so Szabo, dem Umstand, dass es den Mythos des archetypisch Bösen aus dem Osten bediene. Schon früh war "der Osten" Europas mehr als bloße Himmelsrichtung: Er erwuchs zur Metapher für den Ort der heidnischen Herausforderung, für das Bedrohliche, das die Ordnung der Zivilisation gefährdet. Völkerwanderung, Hunnensturm und Türkenkriege prägten unseren ängstlichen Blick auf Karpatendörfer, Balkanschluchten und die Landschaften der Skipetaren als Orte des Bösen. Auch im 20. Jahrhundert sorgten die Balkankriege, die Morde von Sarajewo und der Jugoslawien-Konflikt für das Weiterleben ebenjener Wahrnehmungsstereotypen, die noch heute weiter wirken - bis tief hinein in die Felsenschluchten von Bora Bora.


Aus: "Dracula und das Böse aus dem Osten" (Juni 2007 / Kulturzeit)
Quelle: http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/110065/index.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Port-au-Prince –  Bei einer angeblichen Teufelsaustreibung hat ein Voodoo-Zauberer in Haiti nach Behördenangaben vier kleine Kinder getötet. Die drei Schwestern und ein Bruder waren zwischen 15 Monate und sieben Jahre alt, wie ein Vertreter der Ortschaft Marbial im Süden der Insel der Nachrichtenagentur AFP am Freitag sagte. Demnach sollte der Mann die Geschwister von einer mysteriösen Krankheit heilen - laut den Nachbarn sagte der angebliche Hexer der Mutter der Kinder, diese seien vom Teufel besessen.

Um die Kinder zu heilen, hätten der Hexer und sein Bruder die Kinder mehrfach geschlagen, sagte der Behördenvertreter weiter. Offensichtlich seien die Kinder durch die Gewalt der Schläge gestorben. Die mutmaßlichen Mörder seien in die Hauptstadt Port-au-Prince geflohen. Die Behörden leiteten Ermittlungen ein und nahmen die Mutter der Kinder fest. (afp)


Aus: "Voodoo-Zauberer tötet vier Kinder" (03. August 2012)
Quelle: http://www.fr-online.de/panorama/teufelsaustreibung-voodoo-zauberer-toetet-vier-kinder,1472782,16795842.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] [Helena Neumann am 7. Mai 2014 in Berlin]: Sie beschäftigen sich mit Ethik. Für Paul Ricoeur ist das Böse die Herausforderung für die Philosophie des 20. Jahrhunderts. Das Böse ist für Ricoeur der Krieg.

[Die ungarische Philosophin Ágnes Heller]: Insofern hat sich das Böse nicht erledigt.

Im 20. Jahrhundert hat das Böse radikal neue Erscheinungsformen angenommen. Seine Abstraktion im Unvorstellbaren – der Holocaust: Mit >>die Fabrikation<< des Tötens könne es keine Versöhnung mehr geben. Arendt zieht daraus die Schlussfolgerung, ,,keine Philosophie" mehr zu betreiben, sondern >Politische Wissenschaft<. Als Reflexions- und Publikationsform wählt sie konsequenterweise den Essay.

Ihre Essays sind von einer großen Eleganz, ob in den Vorlesungen, wissenschaftliche Abhandlung oder als Zeitungsartikel. Da orientiert sie sich ganz an Diderot. Im Essay geht es nicht mehr um die Wahrheit, sondern um das ,,Für wahr halten" im Sinne Kants.

An die Stelle einer höheren Macht tritt die subjektive Idee. Öffentlichkeit, die Popularisierung von philosophischen Themen in Zeitungen und Zeitschriften, das ist die mediale, die politische Seite des Essays.

Das funktioniert aber nicht in Bezug auf Eichmann. Da erhebe ich massive Einwände. Die Veröffentlichung eines Essays nach dem anderen im New Yorker ist dem Verbrechen nicht angemessen. Hätte Arendt die argentinischen Interviews von Eichmann gekannt, sie hätte Eichmann nicht mehr ironisieren können. Eichmann war nicht der banale Schreibtischtäter, als der er sich im Prozess gerierte. Und was er jemals bereute hat: nicht alle Juden ausgerottet zu haben.

...


Aus: "Ágnes Heller: ,,Ich will nicht beschützt werden"" Helena Neumann (05.06.2014)
Quelle: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ich-will-nicht-beschuetzt-werden-1


Textaris(txt*bot)

Quote[...]  Eine Arte-Dokumentation analysiert ,,Die Biografie des Bösen". ... An einem heißen Sommertag im Juli 2011 begibt er sich in die Innenstadt von Oslo, wo er mit den aus Tonnen an Düngemitteln zusammensetzenden Bomben den ersten Anschlag verübt. Alle Aufmerksamkeit, die der Medien und die der Polizei, ruht auf diesem ersten Anschlag im Regierungsviertel. Dann begibt er sich aus Oslos Innenstadt hinaus auf einen der Binnenseen mit den vorgelagerten Inseln, Ziel ist die Insel Utøya. Dort streicht er durch ein ein Jugendcamp umgebenden Wald und schießt auf junge Menschen. Einen nach dem anderen bringt er um, verfolgt sie durch das Camp, jagt durch die Wälder. Es dauert keine anderthalb Stunden. Am Ende werden 77 Menschen ihr Leben lassen. Der Täter, der 1979 in Oslo geborene Anders Behring Breivik, sitzt nach einer Gerichtsverhandlung heute in Haft, er ist zu 21 Jahren und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Eine lebenslange Freiheitsstrafe kennt Norwegen nicht – auch nicht für einen Massenmörder.

Warum ist ein Mensch böse? Woher kommt dieses Element des Bösen, das einen Menschen, etwa einen Massenmörder wie Breivik, zu einer solchen Tat antreibt? Ist ein solcher Mensch von Geburt an per se durch seine Gene böse, ist es ihm anerzogen worden, hat es ihm das soziale Umfeld implementiert oder ist es eine rein individuelle Entwicklung, die hin zum Bösen führt? Fragestellungen, die die Dokumentation ,,Die Biografie des Bösen" von Gerrit Jöns-Anders und Amrei Topçu aufgreift und ihnen in geboten nüchterner Sachlichkeit nachgeht.

Da ist zunächst der Norweger Breivik, dessen Kindheit näher beleuchtet und hinterfragt wird. Forensikerinnen, Psychologen, Wissenschaftlerinnen kommen zu Wort, unter anderem wird das sogenannte ,,epigenetische Gedächtnis" thematisiert und die Frage gestellt, ob ein solches mittels therapeutischer Maßnahmen verändert werden kann. Von der überforderten Mutter, die am Borderline-Syndrom leidet, ungewollt und ungeliebt, begleitet Breivik das Motiv der Ablehnung von Kindesbeinen an.

,,Eine sozial unerwünschte Geburt" wird das von einer forensischen Psychiaterin genannt. Früh schon wird Breivik, dessen Eltern sich bald trennen, als Kind als verhaltensauffällig beschrieben, als jemand, der keinen Zugang zu Emotionen habe. Seine Entwicklung zum Außenseiter scheint programmiert. Den Massenmord, den der damals 32-Jährige im Juli 2011 begeht, bereitet er lange vor, niemand stört ihn dabei, niemand fragt nach. Eine ganze Zeit lang lebt der junge Mann in einem Zimmer in der Wohnung seiner Mutter, zu der er nach einem schon früh gescheiterten Leben zurückkehrt. Zu der Mutter, die ihn nie wollte. Dort, hinter verschlossener Tür, verbringt er Tage und Nächte im Internet. Dann schlägt er zu.

Andere Fälle sind der Pole Leszek Pekalski oder der aus Kärnten stammende Jack Unterweger. Der eine – auch ,,die Bestie von Osieki" genannt – hat in den 1980er Jahren 80 Menschen umgebracht und Polen in Angst und Schrecken versetzt, der andere ist ein Frauenserienkiller. Pekalski kommt nach einer Vergewaltigung seiner Mutter in der nordpolnischen Provinz zur Welt, wird früh von der Mutter weggegeben, landet im Heim, wird überall nur ,,der Bastard" gerufen, gelangt nach vier Jahren im Heim zur rigiden Großmutter, die ihn quält, die Hände des Jungen bei kleinsten Vergehen auf die kochend heiße Herdplatte presst. Es ist nicht zuletzt auch die frühe Ausgrenzung, der frühe Missbrauch, die destruktive Entwicklung, die aus diesen Menschen später einmal Täter macht, sie böse werden lässt.

Derzeit nennt die Forschung letztlich drei entscheidende Gründe, die das menschliche Verhalten maßgeblich prägen: die Gene, die Sozialisation und schließlich die individuelle akute Lebenssituation.

Klar wird nach den Ausführungen und Fallbeispielen also, dass es meist nie nur ein einzelner Grund ist, der einen Menschen böse werden lässt. ,,Das Böse ist unsichtbar und hat viele Gesichter", heißt es im Off-Kommentar am Schluss. Klar aber ist auch, dass die Taten mithin aus den komplexen Biografien der Täter heraus zu rekonstruieren sind: So entsteht am Ende die Biografie des Bösen.


Aus: "Arte-Doku über das Böse: Woher der Hass kommt" Thilo Wydra (25.09.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/arte-doku-ueber-das-boese-woher-der-hass-kommt/26220190.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wenn wir Täter*innen des radikal Bösen als ,,Teufel" bezeichnen, so hilft uns das, mit dem Schrecken umzugehen.[6] Indem wir diabolisieren, geben wir dem Schrecken einen Namen. Wir unterstellen damit zudem, dass hier eine Grenze überschritten wurde, und dass alle anderen Menschen das auch so sehen. In diesem Sinne können wir sagen, dass Diabolisierung verbindet. Sie vermag der kollektiven moralischen Selbstvergewisserung zu dienen. Und sie besitzt das Potenzial, in uns Verantwortung für die Opfer zu wecken und uns zum Handeln zu bewegen. Aber sie erklärt häufig nichts. Wenn wir diabolisieren, schließen wir von den Taten des radikal Bösen auf die Bosheit der Täter*innen. Wir unterstellen, dass die Täter*innen das Böse um des Bösen willen tun. Es gibt in der Tat solche Täter*innen, die den Tod der anderen zum höchsten Lebenszweck erheben. Aus der Geschichte der Genozide wissen wir aber auch, dass viele Täter*innen keine Monster, keine Teufel, keine Sadist*innen waren, sondern gewöhnliche Menschen, Nachbar*innen, die die Verwundbarkeit der Anderen bis zur Fassungslosigkeit gesteigert haben.[7] Warum viele gewöhnliche Menschen am radikal Bösen mitwirken, lässt sich durch Diabolisierung nicht erklären. Wenn wir diabolisieren, dann sollten wir ebenso wenig übersehen, dass wer diabolisiert, sich distanziert und exkulpiert. Durch die Diabolisierung wird zwischen mir und den Bösen eine Demarkationslinie eingezogen: Die Bösen, das sind nämlich immer die anderen. Diabolisierungen verhindern Selbstkritik.

Deshalb dürfen wir uns nicht, wenn wir vom Bösen sprechen, mit der Diabolisierung begnügen. Ansonsten verkennen wir, dass das Dämonische häufig darin besteht, dass die Täter*innen gewöhnliche Menschen waren. Hannah Arendt hat deshalb bekanntlich von der ,,Banalität des Bösen"[8] gesprochen. Damit hat sie nicht gesagt, das Böse sei banal, sie sprach schließlich von der ,,furchtbaren Banalität des Bösen"[9]. Ihr ging es darum, zu zeigen, dass Täter*innen häufig banal, das heißt: gewöhnlich, waren.[10]

Gewöhnliche Menschen haben am Bösen mitgewirkt, an dem, was ,,nie hätte geschehen dürfen"[11]. Auch diese Rede vom Bösen kennt das Entsetzen über das Böse, das sprachlos macht, das wir weder bestrafen noch vergeben können.[12] Fassungslos macht uns, dass viele Täter*innen nicht aus Überzeugung handelten, sondern einfach mitmachten[13]: ,,Diese Leute waren keine gewöhnlichen Verbrecher, sondern ganz normale Zeit­genossen, die mit mehr oder weniger Enthusiasmus Verbre­chen begangen hatten, einfach weil sie das taten, was man von ihnen verlangt hatte."[14] Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der sich Menschen um einen herum anständig, wertebewusst, pflichtbewusst verhalten und gleichzeitig Monströses vollbringen. Wie war das möglich? Für Arendt lag die Ursache in der Gedankenlosigkeit. Gedankenlosigkeit verleitete Menschen dazu, am Bösen mitzuwirken.

Dieser fürchterlichen Gedankenlosigkeit setzt Arendt die Kraft des Nichtkönnens entgegen. In Zeiten, in denen die Mitwelt sich auf geradezu perverse Art und Weise als anständig geriert, sind ,,die einzigen zuverlässigen Menschen jene, die sagen ,Ich kann nicht'."[15] Dieses Vermögen zum Nichtkönnen gründet nicht in Konventionen, sondern im Denken. Und mit diesem Denken ist jede Person ausgestattet, unabhängig vom Bildungsstand. Denken ist das Vermögen, mit sich ein Selbstgespräch führen zu können. Im Denken machen wir also die Erfahrung, dass ich (s)elbst wenn ich Einer bin, (...) ich nicht schlicht Einer"[16] bin: ,,(...) vielmehr habe ich ein Selbst und stehe zu diesem Selbst als meinem eigenen Selbst in Beziehung. Dieses Selbst ist keinesfalls eine Illusion; in­dem es mit mir spricht, macht es sich hörbar (ich rede mit mir selbst, ich bin mir nicht nur meiner selbst bewußt), und in diesem Sinne bin ich, als Einer, Zwei-in-Einem, und es kann Harmonie oder Disharmonie mit dem Selbst geben." Dieses Gespräch unterscheidet sich jedoch von anderen Gesprächen: ,,Wenn ich mit anderen Menschen nicht übereinstimme, kann ich Weggehen; aber von mir selbst kann ich nicht Weggehen, und deshalb empfiehlt es sich für mich, (...) mit mir selbst in Übereinstimmung zu kommen zu suchen (...)."[17]

Vor diesem Hintergrund wird auch der Ausspruch des Sokrates verständlich, auf den sich Arendt immer wieder bezieht, dass es besser sei, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun, denn: ,,Wenn ich Unrecht tue, bin ich dazu verdammt, in unerträglicher In­timität mit einem Unrechttuenden zusammenzuleben; ich kann ihn nie loswerden."[18] Arendt bringt es auf den Punkt: ,,Wenn Sie Übles tun, leben Sie mit einem Übeltäter zusammen, und wenn auch Viele es vorziehen, zu ihrem eigenen Vorteil eher Schlechtes zu tun, als Schlechtes zu erleiden, wird niemand gerne mit einem Dieb oder einem Mörder oder einem Lügner zusammenleben wollen."[19]

Für Arendt zeigt sich die Tätigkeit des Denkens etwa dort, wo ,,ich einen Vorfall auf der Straße beob­achtet habe oder in ein Geschehen hineingezogen wurde und danach beginne, das, was geschah, zu betrachten, es mir selbst als eine Art Geschichte erzähle, es auf diese Weise für die anschließende Kommunikation mit Anderen aufbereite usw."[20]. Wer Böses tut, beeinträchtigt genau diese Fähigkeit: ,,(...) der sicherste Weg für den Verbrecher, nie­mals entdeckt zu werden und der Strafe zu entkommen, ist, das, was er tat, zu vergessen und nicht weiter darüber nach­zudenken. Gleichermaßen können wir sagen, daß Reue zuerst darin besteht, nicht zu vergessen, was man getan hat, indem man dahin ,zurückkehrt' (...). Diese Verbindung von Denken und Erinnern ist (...) besonders bedeutsam."[21] Die Weigerung, sich zu erinnern, ist die Bereitschaft, alles zu tun[22]: ,,Die größten Übel­täter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben, und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten. Das Denken an vergangene Angelegenheiten bedeutet für menschliche We­sen, sich in die Dimension der Tiefe zu begeben, Wurzeln zu schlagen und so sich selbst zu stabilisieren, so daß man nicht bei allem Möglichen – dem Zeitgeist, der Geschichte oder einfach der Versuchung – hinweggeschwemmt wird."[23]

Das Denken gibt deshalb Halt in haltloser Zeit.

... Alles Böse beginnt mit tödlicher Abgeschlossenheit.

...


Aus: "InDepth – shortread: Das Böse – und die Polizei - Kritische Anfragen aus philosophischer Perspektive" (Veröffentlicht am 11. März 2022 von Anne Specht)
Quelle: https://philosophie-indebate.de/4096/indepth-shortread-das-boese-und-die-polizei/

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Sonne, azurblauer Himmel und Zikadenzirpen. Plötzlich beängstigende Stille. Wachteln schrecken auf, es knallt mehrere Male – und eine Familie fällt tödlich getroffen zu Boden. Aus dem Gestrüpp treten finstere Gestalten, der Anführer, ein klassischer Schurke, lässt den Blick teilnahmslos über die Toten schweifen. Ein Soziopath wie aus dem Lehrbuch? Ja und nein, denn dieses Bild aus Hollywood, hier eine Szene aus Once Upon a Time in the West, verstellt die Sicht auf das gewöhnliche Böse – jenes Verhalten von Menschen, das uns den Alltag zuweilen zur Hölle macht.

Diese Meinung vertritt die US-amerikanische Psychologin und Bestsellerautorin Martha Stout in ihrem neuen Buch Der Soziopath von nebenan: So überlisten Sie ihn (Springer-Verlag). Es ist nicht das erste Mal, dass Stout mahnt: Sozio- oder Psychopathen – sie verwendet den Begriff synonym, nicht immer zur Freude der Psychiaterinnen und Psychologen – treiben nicht nur in den Kinos ihr Unwesen. Vielmehr mache uns das Medium blind für das alltägliche Böse. Die Botschaft, dass der nächste Mensch, der uns das Leben schwer machen könnte, direkt vor der Haustür lauert, ist nicht von der Hand zu weisen. Etwa jeder hundertste Mensch, der uns begegnet, ist frei von Gewissen.

Gefühlskalt, aggressiv, manipulierend, verantwortungslos, egozentrisch, impulsiv, chronisch unehrlich und einiges mehr, gepaart mit einem kuriosen, oberflächlichen Charme, steht auf der charakterlichen Visitenkarte des Durchschnittspsychopathen. Dabei schreckt er nicht vor schlimmsten amoralischen Taten zurück, wenn sie seinem Vorteil dienen. Nur eines will er nicht: unnötig auffallen.

Der Löwenanteil der Psychopathen bleibt unter dem breiten Wahrnehmungsradar und treibt seine Machenschaften bevorzugt im privaten Umfeld. Der Bösewicht aus den James-Bond-Filmen, der die Weltherrschaft an sich reißen will, ist eine Fiktion, die uns für die Soziopathen direkt vor der Nase blind macht. Dabei sind genau die es, die uns gezielt verängstigen, wütend machen und, weil sie selbst in der Gemütswüste leben, jegliche Emotionen absaugen. Zudem sind diese Gefühlsvampire paktunfähig und agieren außerhalb gesunder zwischenmenschlicher Vereinbarungen.

Soziopathen sind prinzipiell Teil der Gesellschaft, sie sind nicht notgedrungen kriminell und müssen nicht wie die cineastischen Superschurken hochintelligent sein. Simpel formuliert: Nicht alle Kriminellen sind Psychopathen, und nicht alle Psychopathen sind kriminell. Vielmehr ist es so, und jetzt werden viele wissend nicken, dass Psychopathen in einigen achtbaren Berufen durchaus erfolgreich sind, in Chefetagen fallweise überproportional vertreten. Mitunter liegt die Quelle des Erfolgs darin, verstaubte Regeln über Bord zu werfen – im Brechen von Konventionen sind Psychopathen Weltklasse.

Es ist daher bemerkenswert, wenn Stout in ihrem Buch umschwenkt und schreibt: Das Böse an sich existiert eigentlich nicht. Es sei vielmehr da, weil etwas fehlt, es wuchert aus einem emotionalen Loch, das dort klafft, wo für gewöhnlich Gewissen, Empathie und Moral beheimatet sind. Was das genau ist, ob es sich um ein anerzogenes oder ein (Hirn-)strukturelles Defizit handelt, dem kommen Neurologinnen, Psychiater und Psychologinnen langsam auf die Spur: So konnten mithilfe bildgebender Verfahren wie der Magnetresonanztomografie Verschaltungen bei Hirnstrukturen identifiziert werden, die bei Psychopathen still bleiben, während sie bei Normaldenkenden losfeuern, sobald sie Leid beobachten oder Mitgefühl spüren.

Der forensische Experte Thomas Stompe, Oberarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Med-Uni Wien und in der Justizanstalt Göllersdorf, will aber nicht allein strukturelle Defizite als Ursache einer dissozialen beziehungsweise antisozialen Persönlichkeitsstörung, wie es fachlich heißt, sehen, sondern auch Umwelteinflüsse. Er bevorzugt den Begriff des moralischen Selbst, das aus kognitiven und emotionalen Anteilen, also bewussten und unbewussten Facetten, besteht: "Im gefühlsdominierten, überwiegend angeborenen Teil finden wir Schuld, Scham, moralischen Ekel und Empathiefähigkeit. Der kognitive Beitrag, der stärker von Umwelt und Familie geprägt wird, ist über die Lebenszeit hinweg in einem Schwankungsbereich wandelbar. Im Alter verliert der dissoziale Anteil an Einfluss, während der gefühlsbetonte Bereich sein Gewicht behält."

Weitere Auffälligkeiten gibt es bei unbewusst ablaufenden, vegetativen Prozessen. So bleiben viele Psychopathen in gefährlichen Situationen gefühlskalt, was ihnen hilft, ihre Ängste zu kontrollieren. Das, gepaart mir Empathielosigkeit, macht sie zu mustergültigen Söldnern. "Das könnte die Frage beantworten, weshalb es aus evolutionärer Sicht diese Persönlichkeitsstruktur überhaupt gibt, die ja für eine Gesellschaft viele Risiken birgt", sagt Stompe.

Aber warum gehen diesen Emotionsfressern so viele auf den Leim, egal ob sie als Heiratsschwindler, Trick- oder Anlagebetrüger auftreten? Das Geheimnis dahinter nennt sich Isopraxismus beziehungsweise reflexhaftes Spiegeln. Hierbei wird das Verhalten des Gegenübers unwillkürlich nachgeahmt: Mimik, Gestik, Körpersprache, Sprachmelodie, Wortwahl und selbst die Atemfrequenz – ein Mysterium, das normalerweise bei Frischverliebten auftritt. Das Opfer merkt gar nicht, dass auf diese Weise ein Feuer tiefen Vertrauens entfacht wird, eines, das zum Brand werden kann, denn Psychopathen lieben nicht, dennoch können sie gefährlich eifersüchtig sein, da sie die Partner als Besitz betrachten.

Werden die moralisch Verrückten durchschaut, spielt sich laut Stout ein typisches Repertoire ab: Unschuldsbeteuerungen ("Warum sollte ich so agieren?"), gefolgt vom Mitleidsspiel ("Ich habe ständig Suizidgedanken, und deine Vorwürfe machen alles nur schlimmer!") und schließlich, falls man sich weiterhin wehrt, verfällt der Psychopath in übersteigert-groteske Wutanfälle und droht mit Gewalt. Der Kampf mit ihnen ist erbarmungslos, dabei ziehen sie ihre Konkurrenten auf ihre Schlammebene und schlagen sie dort mit der Erfahrung von Skrupellosen.

Stout nennt in ihrem Buch daher zehn Grundregeln, von denen Dr. Stompe die sechste speziell gefällt: Gewinnen Sie die Unterstützung anderer! Das funktioniert vor allem mithilfe einer Dokumentation, die möglichst lückenlos die Machenschaften des Psychopathen erfasst. "Was immer Personen mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung anstellen, es sollte publik gemacht werden, egal ob innerhalb der Familie, Firma oder sonstiger Öffentlichkeit. Eine wichtige Botschaft möchte ich noch allen Menschen mitgeben: Verabschieden Sie sich von dem Gedanken, man könne Psychopathen ändern. Liebe, Verständnis und Geduld werden niemanden mit dieser Persönlichkeitsstörung umformen. Jeder Versuch ist zum Scheitern verurteilt!"


Aus: "Psychopathen: Das Böse ist ein Loch in der Psyche" Raoul Mazhar (7.8.2022)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000138073338/psychopathen-das-boese-ist-ein-loch-in-der-psyche

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Tagsüber Zirkus, abends Theater

Leider haben viele Psychopath:innen ein Umfeld, das sie stützt, sowohl in Betrieben als auch Familien.


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quisquam

Vieles davon mag ja zutreffen, Ich glaube aber nicht an die generelle Unveränderbarkeit bestimmter "Menschentypen". Eine solche Annahme stellt meines Erachtens eine der möglichen Vorstufen zum Faschismus dar. Wenn diese Leute so schlecht, so böse sind und durch nichts gebessert werden können, was soll mit ihnen geschehen? ...


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NiceJob

Die Ursache, warum gerade solche Leute unverhältnismäßig stark in Spitzenämtern repräsentiert sind, hätte man noch etwas stärker herausarbeiten können.


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E.D.Ote

Es ist beeindruckend wie beliebt diese Menschen oft sind und wie sie bewundert werden. Dennoch herrscht im Umfeld sowas wie ein Klima der Angst, weil man ahnt welcher Terror losgeht, sobald man in Ungnade fällt.
Solche Menschen kann man letztendlich nur aus dem eigenen Leben streichen.


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A girl has no name

Schlimm, wenn so jemand vorgesetzter ist.


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Offener Brief

"Gühlskalt, aggressiv, manipulierend, verantwortungslos, egozentrisch, impulsiv, chronisch unehrlich und einiges mehr..."
Jeder 100ste? Ich sag mal, dass gefühlt ca. 30% der Leute so drauf sind. Wäre dann halt jeder Dritte.


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