[...] Der Begriff Entartete Musik (analog zu Entartete Kunst) bezeichnete während der Zeit des Nationalsozialismus vor allem die musikalische Moderne, die der Ideologie der Nazis widersprach. Der Nationalsozialismus in Deutschland sah sich nicht nur als politische sondern auch als kulturelle Bewegung, die ganz bewusst mit dem kulturellen Pluralismus der Weimarer Republik brach. Komponisten der Moderne wurden als sog. Vertreter der Entarteten Musik politisch verfolgt, darunter „nicht-arische“ Künstler wie Arnold Schönberg, Ernst Krenek, Kurt Weill und Hanns Eisler, aber auch „arische“ Komponisten wie Paul Hindemith und Igor Strawinsky.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Entartete_Musik (07/2006)
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[...] Paul Hindemith hatte sich schon vor Vollendung seines wohl bekanntesten - und international erfolgreichsten - Bühnenwerks „Mathis der Maler“ mit der Idee einer Oper über das Leben und Wirken Johannes Keplers (1571-1630) getragen. In einem um die Zeit der Uraufführung 1957 geführten Rundfunk-Interview erläuterte er seine Intentionen: „Was mich daran reizte, war das große politische Getriebe - es spielt im dreißigjährigen Krieg, die Habsburger Kaiser kommen vor, Wallenstein; Also die große Welt, nicht der kleine regionale Betrieb, der im ‚Mathis’ ist, sondern die ganz große Welt mit der großen Politik Wallensteins und des Kaisers, und diese Gegenströmung, wo ein Mann inmitten hineingestellt wird, der an eine Harmonie der Welt glaubt, aber in seinem eigenen Leben und in diesen Zeitläufen nichts davon findet - im Gegenteil, immer in größere Schwierigkeiten kommt. [...] Es fängt an mit Keplers Privatleben und hört auf im Universum mit Sternen und allem möglichen, also hat es einen ungeheuren Aufschwung von klein zu ganz groß.“
Ursprünglich wollte Hindemith bereits 1940, nach den ersten umjubelten Aufführungen des „Mathis“, mit der Arbeit an der „Harmonie der Welt“ beginnen. Der Kriegsausbruch machte diese Pläne allerdings zunichte. Auch im Schweizer Exil fühlte er sich nicht mehr sicher, und so beschloss er, endgültig in die USA auszuwandern, solange noch die Gelegenheit dazu bestand.
[...] Schon vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten hatte sich der Komponist einen Ruf als kompromissloser Neutöner und avantgardistisches „Enfant terrible“ aufgebaut. Sieht man sich etwa seine musikalisch zwischen Expressionismus und teilweise grotesk aufs Korn genommener Spätromantik stehenden, noch den Geist der Jahrhundertwende atmenden Einakter aus den Jahren 1919-21 an, erscheint das gern zitierte Wort vom „Bürgerschreck“ durchaus angebracht. Es ist nicht verwunderlich, dass die schlüpfrig-derben, meist jenseits des „guten Geschmacks“ angesiedelten Sujets, die gleichwohl in überaus pfiffige, von exzellentem Orchesterhandwerk geprägte Musik gekleidet sind, dem prüden (Spieß-)Bürgertum sauer aufstießen. Bereits wenig später erfolgte die stilistische Wende zur „Neuen Sachlichkeit“. Auch das damit verbundene Konzept einer unindividuellen, schnörkellosen Tonsprache, die aufgrund ihrer "unpersönlichen" Faktur möglichst alle Hörer (über die Grenzen individuellen Geschmacks hinaus) ansprechen sollte, brachte ihm nicht nur Freunde ein.
Er blieb auch jetzt eine umstrittene Figur, deren rebellisches Auftrumpfen in den 20er Jahren vergleichbar viele Gegner wie Anhänger auf den Plan rief. Die NS-Kulturpolitik konnte dementsprechend an eine schon recht breite Basis der Ablehnung gegen den Komponisten anknüpfen. Dass Hindemith aber bereits um 1930 eine weitere stilistische Neuorientierung durchschritten hatte, schien den Verantwortlichen entgangen zu sein. Attribute wie Radikalität und Geräuschemacherei erweisen sich für die Werke jener Zeit kaum als haltbar. Wie konfus die Beurteilung des Komponisten seitens des NS-Regimes ausfiel, zeigt auch die Tatsache, dass 1934 zunächst sogar versucht wurde, ihn (ohne sein Zutun) als den zukunftsweisenden deutschen Tonsetzer schlechthin zu positionieren. Während ihn also ein Flügel als „Kulturbolschewisten“ abstempelte, wählten ihn andere Kräfte zur gleichen Zeit im Februar 1934 in den Führerrat der Reichsmusikkammer. Als nach der vielbeachteten Uraufführung der „Mathis der Maler“-Symphonie im März darauf jedoch eine kontroverse Diskussion ausbrach, wandte sich das Blatt endgültig zu Ungunsten von Hindemith. Mit einem sicher in guter Absicht geschriebenen Zeitungsartikel („Der Fall Hindemith“) wollte der Dirigent der „Mathis“-Symphonie, Wilhelm Furtwängler, Partei für den befreundeten Komponisten ergreifen, doch goss er damit sprichwörtlich Öl ins Feuer. Reichspropagandaminister Goebbels nahm einen Monat später in einer Rede explizit zu diesem „Fall Hindemith“ Stellung und beschimpfte ihn als verachtungswürdigen „atonalen Geräuschemacher“.
[...] Hindemiths musiktheoretisches Hauptwerk trägt im Übrigen den Titel „Unterweisung im Tonsatz“ (und nicht „Lehre vom ...“), was einmal mehr verdeutlicht, wie offenkundig schlampig sich die Urheber solcher Hasspropaganda mit der Materie beschäftigt haben müssen. Von noch abschreckenderen Episoden der Ahnungslosigkeit berichteten einige Studenten des Komponisten, die vergeblich versucht hatten, sich im Propagandaministerium für ihren geschätzten Lehrer einzusetzen. Da hieß es dann, einen Juden könne man doch nicht verteidigen - Hindemith hatte vieles an sich, was den Nazis missfallen mochte, aber Jude war er nicht -, und als dieser Irrglaube aus dem Weg geräumt war, kam schließlich ein geradezu makabres „Argument“: wer wie er die - von Kurt Weill stammende - „Dreigroschenoper“ (!) komponiert hätte, sei auf jeden Fall zu verfolgen. Was kann man darauf noch antworten? Noch, oder vielleicht gerade heute aus der historischen Distanz stimmt es ratlos, mit welcher ungeheuerlichen, geradezu ahnungslosen Willkür damals in das Leben von Menschen und Künstlern eingegriffen wurde. Unwissenheit und Macht: eine fatale Kombination.
Aus: "„Entartete Musik“, Folge 3: Werke von Eisler, Schönberg, Ullmann und Hinedmith" (cinemusic.de; von Marko Ikonic und Michael Boldhaus; 03.10.2003)
Quelle:
http://www.cinemusic.de/rezension.htm?rid=5010