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[Wenn du zum Flüchtling wirst (Flucht, Migration, Notizen)... ]

Started by Textaris(txt*bot), June 13, 2006, 10:30:34 AM

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Textaris(txt*bot)

Quote[...] Der für Einwanderung zuständige Minister Giannis Mousalas warnte am Montag, Lesbos sei "einer Explosion nahe". Inzwischen seien mehr als 15.000 Flüchtlinge auf der Insel mit einer Bevölkerung von 85.000 Menschen. Die örtlichen Behörden könnten dies kaum noch bewältigen.

Zur Entlastung der Inselhauptstadt Mytilini sollten die Menschen in Kürze von einem zweiten Hafen im Ort Sigri aus zum griechischen Festland gebracht werden, sagte Mousalas weiter. "Wir hoffen, dass die Einwohner und die Flüchtlinge in den kommenden fünf Tagen Zeichen der Besserung sehen können."

In Griechenland kamen dieses Jahr bereits mehr als 230.000 Flüchtlinge an. Nach Lesbos kommen besonders viele Menschen von der nahen türkischen Küste. Schon in den vergangenen Tagen gab es auf der Agäisinsel gewaltsame Zusammenstöße zwischen der Polizei und Flüchtlingen sowie zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen. Am Sonntag wurden zwei 17-jährige Inselbewohner unter dem Verdacht festgenommen, in einem Park in Mytilini zwei Brandflaschen auf schlafende syrische Familien geworfen zu haben.

Der Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND), die sich bei den bevorstehenden Parlamentswahlen in Griechenland Chancen auf einen Sieg ausrechnen kann, hat sich angesichts der Flüchtlingskrise für striktere Grenzkontrollen ausgesprochen. Maimarakis sprach sich zudem für eine klare Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten aus, die der Armut in ihrer Heimat entgehen wollen. (APA, 8.9.2015)


Aus: "Lesbos: Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und Polizei" (8. September 2015)
Quelle: http://derstandard.at/2000021858732/Ausschreitungen-zwischen-Fluechtlingen-und-Polizei-auf-Lesbos


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Jonas Seufert hat internationale Beziehungen in Dresden und Izmir studiert. Er schreibt vornehmlich zu Fragen der deutschen und europäischen Geflüchtetenpolitik.

Steigende Asylzahlen, überfüllte Notunterkünfte, Hassparolen, Brandanschläge. Was wie eine Zusammenfassung der letzten Monate klingt, beschreibt ebenso die Asyldebatte vor knapp 25 Jahren. 440.000 neue Asylanträge registrierte das BAMF im Jahr 1992, eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr. Die Folge: Rassistische Demonstrationen und Ausschreitungen, deren Gipfel die Attacken von Hoyerswerda (September 1991) und die Brandanschläge von Rostock-Lichtenhagen (August 1992) und Mölln (November 1992) waren.

Die Politik reagierte mit dem so genannten Asylkompromiss. Artikel 16a des Grundgesetzes, der politisch Verfolgten ein umfassendes Asylrecht zusprach, wurde mit allerlei Einschränkungen versehen. Eine Liste sicherer Herkunftsstaaten wurde eingeführt, ebenso das Prinzip der sicheren Drittstaaten, nach der ein Asylsuchender, der zuvor ein anderes EU-Land passiert hat, in Deutschland keinen Anspruch auf Asyl hat. Die Anträge von Asylsuchenden, die per Flugzeug einreisen, können seitdem in einem Schnellverfahren direkt am Flughafen überprüft werden. Zusätzlich sollte die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes Asylsuchenden den Aufenthalt in Deutschland so unangenehm wie möglich machen: Leistungen unterhalb des damaligen Sozialhilfeniveaus, Unterbringung in Sammelunterkünften, Essenspakete. Menschenrechtsorganisationen sprechen seit den Reformen Ende 1993 von der ,,de-facto-Abschaffung des Asylrechts".

Vorausgegangen war den Gesetzesänderungen eine Debatte, die vor allem konservative Parteien nutzten, um ihr rechtes Profil zu schärfen. Dazu zählt die ,,das Boot ist voll" – Rhetorik der CDU genauso wie die Forderung des damaligen Staatssekretärs Erich Riedl (CSU) nach einer ,,asylantenfreien Zone" in München. Das Schlagwort ,,Asylmissbrauch" nahmen alle Parteien in den Mund, die für die Grundgesetzänderung stimmten: Union, FDP und SPD.

Und heute? Die Zahlen steigen wieder, dieses Jahr wohl auf etwa 800.000. Mit der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung, spätestens jedoch mit den rassistischen Ausschreitungen in Heidenau und Freital und den Brandanschlägen auf zukünftige Gemeinschaftsunterkünfte in der ganzen Republik formiert sich ähnlich wie Anfang der 90er ein zunehmend gewaltbereiter rechter Mob. Allein im August gab es fast jeden Tag einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft und eine flüchtlingsfeindliche Demonstration. Ganz zu schweigen von den rassistischen Shitstorms in den sozialen Netzwerken.

ugegeben, die Reaktionen der regierenden Parteien sind diverser als vor knapp 25 Jahren. Trotzdem will die CDU/CSU-Fraktion in ihrem am Mittwoch vorgestellten 12-Punkte-Plan weiterhin ,,Asylmissbrauch bekämpfen,,. Im gestrigen Koalitionsausschuss hat sie sich mit ihrem Forderungen weitestgehend durchsetzen können. Einige Ausschnitte: Ausweitung der ,,sicheren Herkunftsländer" auf den Kosovo, Albanien und Montenegro, Anheben der Residenzpflicht auf sechs Monate, Abwicklung der Verfahren überwiegend in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Versorgung mit Sachleistungen statt Geld in dieser Zeit. Letzteres hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Menschenwürde bereits für grundsätzlich verfassungswidrig erklärt. Eine Verschärfung des Asylrechts also, an dem auch die sechs Milliarden Euro zur Entlastung der Kommunen und dem Ausbau der Erstaufnahmeeinrichtungen nichts ändern.

Und dann ist da noch die Flüchtlingshilfe, zu der sich alle Parteien bekennen. Diese Hilfe ist in der momentanen Situation absolut notwendig und wichtig. Nur ist sie ein Akt der akuten Soforthilfe, das humanitäre Gebot der Stunde und hat nichts mit dem Bekenntnis zur langfristigen Aufnahme von Geflüchteten zu tun. Auf den Punkt bringt das Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) bei ihrem Besuch im neu eröffneten Abschiebezentrum für Balkanflüchtlinge in Ingolstadt: Einen Asylsuchenden fragt sie: ,,Sie sind gut untergebracht?" (= Wir kümmern uns um Ihre humanitäre Notlage). Als sie darauf eine positive Antwort erhält entgegnet sie: ,,Sie wissen aber, dass Sie zurück müssen?" (= das heißt nicht, dass Sie hier bleiben dürfen). Auch die Aufnahme von Tausenden Geflüchteten aus Ungarn ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie ,,soll eine Ausnahme bleiben", sagt die Bundesregierung, war aber aus humanitären Gründen notwendig.

Sicherlich wird die Asyldebatte des Jahres 2015 nicht so unverhohlen rassistisch geführt wie noch Anfang der 90er Jahre. Wesentliche Merkmale bleiben aber erhalten. Das Traurige an der Sache ist die Botschaft an die Rechtpopulisten und gewaltbereiten Rassisten: Auch wenn die politischen Entscheidungsträger ihre Taten offiziell verurteilen, setzen sie ihre Forderungen letztlich gesetzlich um. Die Lehre: Rassistische Gewalt führt am Ende (genauso wie vor 25 Jahren) zum Erfolg. In der vergangenen Nacht haben erneut zwei Flüchtlingsheime gebrannt...


Aus: "Erneut setzt Politik Forderungen von Asylgegnern um" Jonas Seufert (8. September 2015)
Quelle: http://www.migazin.de/2015/09/08/wie-jahren-politik-pack-forderungen/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] In der Flüchtlingskrise hat Europa unter dem Druck seiner Ausländerfeinde und seiner eigenen Selbstzweifel seinen Werten den Rücken gekehrt. Oder hat es diese Werte gar völlig vergessen? Ein kritischer Debattenbeitrag des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy

... Die Einwanderungsdebatte in Europa hat eine verstörende Richtung eingeschlagen. Diese begann mit dem Entstehen der (juristisch monströsen) Allerweltsbegriffe "Migrant" oder "Flüchtling", die den rechtlich zentralen Unterschied zwischen wirtschaftlicher und politischer Einwanderung, zwischen Armutsflüchtlingen und Kriegsflüchtlingen verschleiern. Im Gegensatz zu Wirtschaftsflüchtlingen haben diejenigen, die vor Unterdrückung, Terror und Massakern fliehen, ein unumstößliches Recht auf Asyl, was die internationale Gemeinschaft zwingend verpflichtet, sie aufzunehmen.

Selbst wenn der Unterschied anerkannt wird, geschieht dies oft im Zusammenhang mit einem weiteren Taschenspielertrick: dem Versuch, leichtgläubige Gemüter davon zu überzeugen, die Männer, Frauen und Kinder, die Tausende von Dollar für eine Überfahrt auf einem der klapprigen Boote nach Lampedusa oder Kos bezahlt haben, seien Wirtschaftsflüchtlinge. In Wirklichkeit sind 80 Prozent dieser Menschen auf der Flucht vor Gewaltherrschaft, Terror und religiösem Extremismus in Ländern wie Syrien, Eritrea und Afghanistan. Dies ist der Grund, warum die Asylbewerbungen laut internationalem Recht nicht gruppenweise, sondern individuell geprüft werden müssen.

Und selbst, wenn dies akzeptiert wird, und wenn die schiere Masse der Menschen auf dem Weg zu europäischen Ufern die Leugnung der barbarischen Zustände, vor denen sie fliehen, unmöglich macht, wird ein dritter Nebelschleier geworfen. Einige, wie der russische Außenminister Sergei Lawrow, behaupten, diese Konflikte, denen die Menschen entkommen wollen, gebe es nur in arabischen Ländern, die vom Westen bombardiert werden.

Aber auch hier lügen die Zahlen nicht. Die Hauptquelle der Auswanderung ist Syrien, wo die internationale Gemeinschaft sich geweigert hat, die durch die "Schutzverantwortung" vorgeschriebenen Militäroperationen durchzuführen – obwohl Interventionen gegen einen verrückten Despoten, der mit dem Mord an 240.000 seiner Leute versucht, sein Land zu entvölkern, durch internationales Recht vorgeschrieben sind. Auch Eritrea, eine weitere Hauptflüchtlingsquelle, wird nicht vom Westen bombardiert.

... die "Festung Europa" werde durch Horden von Barbaren angegriffen. Dies scheint durch schockierende Bilder von Flüchtlingen belegt zu werden, die durch Grenzzäune brechen oder in Calais auf Züge aufspringen. Aber dieser Mythos ist gleich auf zweierlei Weise falsch.

Erstens ist Europa weit entfernt davon, das Hauptziel der Migranten zu sein. Fast zwei Millionen der syrischen Auswanderer sind in die Türkei gegangen. Eine Million flohen gar in den Libanon, wo nur 3,5 Millionen Menschen leben. Jordanien mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern hat fast 700.000 Flüchtlinge aufgenommen. Und die Staaten Europas haben in der Zwischenzeit ihren gemeinsamen Egoismus dadurch zur Schau gestellt, dass sie einen Plan zur Umsiedlung von nur 40.000 Asylbewerbern aus ihren Zielstädten in Italien und Griechenland abgelehnt haben.

Zweitens sind die Minderheiten, die sich für Deutschland, Frankreich, Skandinavien, Großbritannien oder Ungarn entscheiden, keine Feinde, die uns zerstören oder auch nur die europäischen Steuerzahler aussaugen wollen. Sie sind Bewerber für die Freiheit und lieben unser gelobtes Land, unser Sozialmodell und unsere Werte. Es sind Menschen, die "Europa! Europa!" rufen, ebenso wie die Millionen von Europäern, die vor einem Jahrhundert auf Ellis Island eintrafen, "America the Beautiful" sangen.

Und dann gibt es das hässliche Gerücht, dieser eingebildete Überfall sei durch die Strategen eines "großen Austauschs" in Verborgenen geplant worden. Demzufolge sollen die Europäer durch Ausländer ersetzt werden, oder, schlimmer noch, durch Agenten des internationalen Dschihad, im Rahmen dessen die heutigen Migranten morgen die Hochgeschwindigkeitszüge in die Luft sprengen. Dass dies Unsinn ist, versteht sich hoffentlich von selbst.

Gemeinsam haben diese Verzerrungen und Verblendungen ernste Folgen. Zunächst einmal wurde das Mittelmeer völlig den Menschenschmugglern überlassen. Das Mare Nostrum wird immer mehr zu dem riesigen, wässrigen Massengrab, das einst von einem Dichter beschrieben wurde. Bereits in diesem Jahr sind dort etwa 2.350 Menschen ertrunken.

Aber für die meisten Europäer sind diese Menschen kaum mehr als eine Statistik, ebenso wie die Männer und Frauen, die die Reise überlebt haben, unbestimmt und ununterscheidbar bleiben, eine drohende anonyme Masse. Unsere Aufmerksamkeitsgesellschaft, die normalerweise schnell bei der Hand ist, kurzlebige Prominente als "Gesichter" der Krise des Tages zu produzieren (von der Schweinepest bis hin zum Bahnstreik), hat an keinem einzigen der Migrantenschicksale wirkliches Interesse.

Diese Individuen – deren Reise hin zu unserem Kontinent an diejenige der phönizischen Prinzessin Europa erinnert, die vor vielen Jahrtausenden auf dem Rücken des Zeus von Tyros kam – werden komplett abgelehnt. In der Tat werden sogar Mauern errichtet, um sie draußen zu halten. Das Ergebnis ist eine weitere Gruppe von Menschen, denen grundlegende Rechte vorenthalten werden. Wie Hannah Arendt einst beobachtete, werden solche Menschen den Weg in eine Welt, in der die Menschen Recht und Gerechtigkeit genießen, letztlich nur finden, indem sie ein Verbrechen begehen.

Europa hat unter dem Druck seiner Ausländerfeinde und seiner eigenen Selbstzweifel seinen Werten den Rücken gekehrt. Oder hat es diese Werte gar völlig vergessen? Nicht nur die Flüchtlinge sind in Gefahr, sondern auch ein Europa, dessen humanistisches Erbe vor unseren eigenen Augen zerbröckelt.

Bernard-Henri Lévy


Aus: "Der Preis der europäischen Indifferenz" (07.09.2015)
Quelle: http://de.qantara.de/inhalt/fluechtlingskrise-in-europa-der-preis-der-europaeischen-indifferenz


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die Städte in Nordrhein-Westfalen schlagen Alarm. Sie wissen kaum noch, wie sie zusätzliche Unterkünfte für die Flüchtlinge beschaffen können. "Die Zahlen machen einen ganz schwindelig. Der Punkt ist erreicht, an dem wir sagen müssen: Bald geht es nicht mehr", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds NRW, Bernd-Jürgen Schneider, unserer Redaktion. Entweder die Europäische Union einige sich ganz schnell auf eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge, oder aber es müssten wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. Schneider: "Der unkontrollierte Zustrom von Flüchtlingen kann so nicht weitergehen."

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) will jetzt offenbar an die Kommunen unter 40.000 Einwohner herantreten, Unterkünfte für die Erstaufnahme von Asylbewerbern bereitzustellen. Dies ist nach Ansicht des Städte- und Gemeindebunds aber keine dauerhafte Lösung, sondern schiebe das Problem nur für kurze Zeit hinaus.

Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW bezeichnet die Unterbringungssituation als katastrophal. In der Vergangenheit sei versäumt worden, ausreichend Unterkünfte zu schaffen. Menschen für längere Zeit in Turnhallen einzuquartieren, sei nicht akzeptabel. Deswegen müssten Bund, Länder und Kommunen jetzt noch einmal genau prüfen, ob weitere Gebäude zur Verfügung gestellt werden können. Auch die Kirchen müssten solche Anstrengungen unternehmen. Vor allem wegen des bevorstehenden Winters kämen Zelte nur als allerletztes Mittel infrage.

Etwa 1200 Flüchtlinge vom Westbalkan sollen nach den Vorstellungen der rot-grünen Landesregierung demnächst in einigen wenigen Landeseinrichtungen untergebracht werden. Der Grund: Da die Asylbewerber aus dieser Region (vor allem Albanien, Serbien und Kosovo) so gut wie keine Chance haben, anerkannt zu werden, sollen sie gar nicht erst an die Kommunen weitergeleitet werden, sondern so lange in den Landeseinrichtungen bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden worden ist.

Nach Angaben der Grünen-Politikerin Monika Düker geht es um die vier Standorte Bonn, Borgentreich, Bad Driburg und Neuss. In jeder dieser Einrichtungen, die alle eine Aufnahmekapazität von rund 600 Menschen hätten, sollten jeweils 300 Plätze mit Balkan-Flüchtlingen besetzt werden. Voraussetzung sei allerdings, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in diesen vier Schwerpunkt-Einrichtungen die Anträge der Balkan-Flüchtlinge zügig bearbeite. Vorgesehen sei ein Zeitraum von bis zu drei Monaten.

Bisher werden auch die Menschen vom Balkan während der Dauer des Asylerfahrens auf die Städte verteilt. Die Kinder, die dann schulpflichtig werden, sprechen zumeist kein Wort Deutsch, so dass für sie wie für andere Flüchtlingskinder besondere Klassen gebildet werden müssen. Wenn nach monatelangem Verfahren – wie in über 99 Prozent der Fälle – die Asylanträge der Balkan-Flüchtlinge abgelehnt werden, müssen sie das Land verlassen, auch wenn dies mit menschlichen Härten verbunden ist. Durch die forcierte Bearbeitung ihrer Anträge soll die Aufenthaltsdauer erheblich verkürzt werden.

Dies entspricht auch einer dringenden Forderung der kommunalen Spitzenverbände. Vertreter des Städte- und Gemeindebunds NRW sowie des Städtetags treffen am Freitag mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zusammen, um über die Flüchtlingsproblematik und mögliche weitere Hilfestellungen zu reden. Kraft hat das in Aussicht gestellte Maßnahmenpaket des Bundes (drei Milliarden Euro für Länder und Kommunen) als unzureichend kritisiert und angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen gesagt: "Ich weiß nicht, wie wir das hinkriegen sollen." Innenminister Ralf Jäger will jedoch nicht von einem "Katastrophenfall" reden: "Dass Menschen zu uns kommen, ist keine Katastrophe." Allerdings arbeiteten alle beteiligten Behörden im Krisenmodus. Jäger: "Wir sind eigentlich mit nichts anderem mehr beschäftigt."


Aus: "Flüchtlingsunterbringung in NRW: Städte ächzen: "Bald geht es nicht mehr"" (10. September 2015)
Quelle: http://www.rp-online.de/nrw/panorama/fluechtlinge-in-nrw-staedte-schlagen-wegen-unterbringung-alarm-aid-1.5380968


Textaris(txt*bot)

#179
QuoteDeutschland gebe sich im Moment als "Hippie-Staat, der nur von Gefühlen geleitet wird". Statt nur mit dem Herz, müsse man auch mit dem Hirn handeln, forderte der Politologe - so wie es auch der britische Premierminister David Cameron gefordert hatte.


Aus: "Deutschland und die Flüchtlinge: "Wie ein Hippie-Staat von Gefühlen geleitet""
Anthony Glees im Gespräch mit Tobias Armbrüster (08.09.2015)
Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/deutschland-und-die-fluechtlinge-wie-ein-hippie-staat-von.694.de.html?dram:article_id=330441

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Quote[...] Die großartige Carolin Emcke schreibt in der SZ [http://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-macht-1.2634521#refugeeswelcome], dass die Flüchtlinge den Mut des Aufbruchs mitbringen und den Glauben an ein gerechtes, freies Europa, das selbst erst wieder lernen muss, wie und wer es sein kann. Ich hoffe, dieser Lernprozess wird jetzt in ganz Europa einsetzen und fortschreiten und das Zeitalter eines neuen Aufbruchs einläuten.

QuoteM. Boettcher, 08.09.2015

Diejenigen, die die Flüchtlinge geradezu frenetisch willkommen heissen, sind überwiegend die gleichen, die sich seit Jahren gut fühlen, weil sie sich in den Tafeln engagieren. Jetzt faseln sie mit der gleichen Motivation eben von ,,Willkommenskultur". Das ist Quatsch! So wie die Tafeln die Sozialapolitik nicht zum Besseren ändern, ändert ein von den Medien hochgejazzter Begriff nicht die Mentalität der Deutschen. In meiner Jugend nannte man Ausländer meist ,,Kanaken", ,,Spaghettifresser" und Schlimmeres, wenn man sich ,,gewählter" ausdrücken wollte ,,Fremdarbeiter". Die, die so schon verbal ausgegrenzt und herabgesetzt wurden, waren immerhin Menschen, die wir faktisch gerufen hatten, hierher ins ,,Wirtschaftswunderland". Von den Verhältnissen, unter denen die Gastarbeiter hier teils leben mussten, will ich gar nicht reden. Gäste behandelt man aber m. E. anders. Und das schlechte Gewissen, in irgend einer Weise mit Schuld zu sein am Elend der anderen, will mit der ,,Willkommenskultur" auch nicht wirklich weichen.
Heute kommen Menschen, die vor den Folgen westlicher Politik und den von uns gelieferten Waffen fliehen, bzw. ihr Heimatland verlassen, weil die EU und den andere wirtschaftlich starke Staaten ihre regionale Wirtschaft kaputt gemacht haben und viele Menschen dort daher keine Zukunft für sich und ihre Kinder sehen. Das hat uns trotz aller ,,Willkommenskultur" nicht gestört, wir haben dabei zugesehen, gelegentlich, vor allem um Weihnachten, die Börse gezückt und für die Armen gespendet, die ja glücklicher Weise meist dort blieben. Die letzten Unterkünfte der Flüchtlingen haben übrigens nicht vor 20 Jahren gebrannt, sondern gestern. Wobei die Mordbrenner sich Sympathien bis hinauf in hohe Politikkreise sicher sein können. Man lausche nur einmal den Äußerungen bayrischer Politiker. Willkommen geht irgendwie anders!
Die Wirtschaft, die sich ja nun massiv einbringen will, erkennt nicht nur die angeblich so gut Ausgebildeten unter den Flüchtlingen, die hierher kommen, – woher diese unsinnige und von den Medien hundertfach multiplizierte Überzeugung kommt, bleibt unklar, – sie stellt auch flugs ihre Forderungen. Z. B. keinen Mindestlohn zahlen zu müssen, wenn sie den Ankömmlingen Jobs geben. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Wo ist eigentlich der Einsatz der Wirtschaft, wenn es gilt die Arbeitslosigkeit im Land zu beseitigen? Ach nee, ich vergaß, die taugen ja alles nichts, diese Hartzer. Man will sogar weitgehend auf Deutschkenntnisse verzichten! Bei jedem Jahrgang von Schulabgängern werden seit zig Jahren mangelnde Kenntnisse in Deutsch und Mathematik bemängelt. Jetzt kommt es darauf nicht mehr an?
Die Standards für Wohnhäuser sollen gesenkt werden, weil jetzt ganz schnell Wohnraum benötigt wird. Hier wird es ja immer so kalt. In Hamburg gibt es noch genügend Häuser aus den 1950-1970er Jahren, in denen man die Ergebnisse von Baupfusch und der ,,Stadtplanung" zur Verwüstung ganzer Stadtteile bewundern kann. Der Boden, auf dem das Camp für die Erstaufnahme errichtet werden soll, ist eine ehemalige, nicht sanierte Müllkippe? Egal, um des Profits willen: für die Flüchtlinge wird es sicher reichen. Beim Versuch die Zufahrt zum eigenen Grundstück um 5 cm. zu verbreitern werden dem Bürger deutlich mehr Steine in den Weg gelegt. Und wer eine Wohnung sucht, kann sich Zeit lassen. Es sei denn, er ist bereit horrende Mieten zu zahlen.
Im Libanon, so ist zu lesen, kommen auf 6 Mio. Einwohner 1,5 Mio Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Man stelle sich vor, aus den ca. 1 Mio. Menschen, die dieses Jahr hierher kommen, würden binnen weniger Jahre 20 Mio. Nicht nur, dass die Behörden es nicht packen werden, wir alle werden schon deutlich weniger nicht stemmen können und vermutlich auch nicht wollen. Nächstes Jahr kommen ja vermutlich nicht weniger, übernächstes Jahr auch nicht. Der Druck der Strasse und der hier zu kurz gekommenen wird immer stärker werden und die BLÖD-Zeitung zu alter Form und Hetze zurück finden. Irgendwann werden die Politiker dann wohl jedes Land der Welt als sicher einstufen müssen, auch Syrien, und die Grenzen faktisch dicht machen. Die wollen nämlich wieder gewählt werden, womöglich schon 2017.


QuoteArne Rathjen RA, 08.09.2015

Dunkle Zeiten. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass in den östlichen Bundesländern die Bevölkerung auf 9 Millionen Einwohner bis 2060 zurück geht. Zur Erinnerung: 1990 waren es noch 16,4 Millionen. Wenn jetzt etwa Kriegsflüchtlinge aus Syrien , verfolgt von Giftgas-Assad, Al Kaida und IS, hier ankommen , werden sie von politischer Seite damit begrüßt, dass ihnen die Geldleistungen gestrichen werden. Nicht zu reden von Brüllern, die befürchten, dass ihnen Arbeitsplätze weggenommen werden, die es sowieso nicht gibt.
Immerhin: das Wirtschaftswunder in Griechenland, Spanien und Portugal hat zu einer Einwandererflut geführt, die man jetzt in Form einer schwarzen Null bewundern kann. Denn die Leute zahlen Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Davon werden dann Brüller bezahlt, die ihre Anwesenheit bejammern. In diesen Zeiten des Wirtschaftswunders und der Völkerwanderung wirkt es dann ermutigend, wenn die Ankömmlinge auf dem Münchner Hauptbahnhof zur Begrüßung belegte Brote überreicht bekommen.


QuoteS. Weidenbaum, 08.009.2015

Bisher bin ich Ihre stille Leserin gewesen. Nun veranlasst mich die Willkommenskultur der Deutschen, einen Kommentar zu Ihrem Beitrag zu verfassen.

Ich bin Ausländerin, verheiratet mit einem Deutschen, beherrsche die deutsche Sprache und schulde dem deutschen Staat keinen Cent. Gesetze habe ich auch nicht gebrochen. Also, gehöre ich zu den guten Ausländern. Dennoch habe ich in all den Jahren nie das Gefühl gehabt, dass ich hier willkommen wäre. Eigentlich ist das für mich irrelevant.

Ich ärgere mich in manchen Situationen nur über die Unfreundlichkeit der Deutschen, den Ausländer gegenüber. Zum Beispiel am Telefon. Egal wo ich anrufe ich werde fast jedes Mal ob mäßig, oder extrem unfreundlich behandelt. Auch an Opernhauskassen, also in gut bürgerlichen Milieus. Meinem Akzente geschuldet merkt man mir an, dass ich Ausländerin bin. Neulich war ein Techniker bei meinem Hoster nicht nur unfreundlich, sondern er wollte mir auch keine Hilfestellung geben.

Das ist aber halb so schlimm. Wenn ich höre, was andere ausländische Mitbürger erlebt haben, stehen mir die Haare zu Berge. Eine Bekannte von mir ist hier geboren und als Selbstständige ist sie gesellschaftlich voll integriert. Nicht selten geriet sie bei der Wohnungssuche, nur wegen ihres ausländischen Nachnamens, in Schwierigkeiten. Sie lebt nicht in Sachsen, sondern in einer wohlhabenden Stadt in BW. Manche Vermieter sagten ehrlich, dass sie keine Ausländer als Mieter haben wollen. In der Regel werden dunkelhäutige Ausländer noch schlechtere behandelt als hellhäutige wie ich es bin. Wegen eines defekten Fahrkartenautomaten musste ein dunkelhäutiger, hier geborener junger Mann in meinem Wohnort nun schon zum zweiten Mal Strafgeld zahlen. Keiner wollte ihm glauben, dass der Automat außer Betrieb war. Er scheint, an unfairen Behandlungen gewöhnt zu sein. Es ist traurig und beschämend, dass diese Leute in ihrer eigenen Heimat, als Fremde leben müssen. Eine vollständige Integration kann nur dann erfolgen, wenn sie sich als Deutsche fühlen.

Nun sind die Deutschen mit einem Schlag Ausländerfreundlich geworden? Die Flüchtlinge, die dem Staat enorme Kosten verursachen, bzw. soziale Probleme potenzieren, wurden herzlich empfangen. Man begrüßte sie sogar mit Applaus und werfenden Bonbons. So etwas erlebt man im Schlussapplaus am Theater. Aber nur dann, wenn die Darsteller bestimmte Leistungen erbracht haben. Sollten solche Aktionen dem Zweck dienen, gegen Nazis ein Zeichen zu setzen, dann ist das in meinen Augen ein Flop. Weil es scheinbar maßlos übertrieben ist. Infolgedessen fehlt es an jeglicher Glaubwürdigkeit. Notleidenden zu helfen ohne kuriosen Szenen, bzw. Euphorie wären viel effektiver und plausibler.

Um Missverständnisse zu vermeiden betone ich hiermit, dass ich in keinster Weise die meisten Deutschen als ausländerfeindlich bezeichne, sondern nur, dass die übertriebenen willkommens Gesten gegenüber Flüchtlingen nicht der Realität entsprechen. Was humanitäre Bereitschaft der Deutschen anbelangt, bewundere ich sie. In meiner Heimat herrscht ein striktes Auslandgesetzt. Nur wer eine Arbeitsgenehmigung hat, kann einreisen. Dass mein Land, das zu den hochwickeltesten Industrie Länder zählt, nicht bereit ist, einen Teil der Flüchtlinge auf zu nehmen, ist für mich unverständlich. Ich bin für die Aufnahme von Flüchtlingen, weil ich nicht gut schlafen kann, wenn Notleidende Menschen nicht gerettet werden. Das ist unsere Pflicht als Mensch. Aber bitte nicht Millionen reinlassen. Deutschland allein kann die Welt nicht retten. Darüber hinaus befinden sich hierzulande auch einheimische Notleidende.


QuoteRolfSchaelike, 09.09.2015

@Weidenbaum Ich kann Ihnen nur zustimmen.

Obwohl meine beide Eltern Berliner sind, erlebe ich Ähnliches wie Sie. Das liegt daran, dass ich in Moskau geboren bin, was in meinem Ausweis steht, und auch mit einen gewissen östlichen Akzent spreche.

Bei der Autovermietung Sixt, z.B. wollte der Angestellte erst seinen Chef fragen, ob mir ein Wagen mieten darf. Das geschah, nachdem er im Personalausweis sah, dass ich in Moskau geboren bin. Die Polizei reagiert bei Kontrollen nicht selten ähnlich

Die Rechtsanwälte Dominik Höch und Prof. Dr. Christian Schertz schrieben z.B. in ihren Schriftsätzen, ich solle mich nicht wundern, dass gegen mich entschieden wird, wenn ich mich nicht an die mitteleuropäische Contenance halte. Keiner der Juristen in Robe (Anwälte wie Richter) sah darin eine nationalistische Äußerung. Auch die meisten Leser dieses Blogs werden sicherlich das nicht verstehen.


QuoteArne Rathjen RA, 09.09.2015

Das Risiko, umgebracht oder von der Polizei verprügelt zu werden, ist für Schwarze in den USA wesentlich größer als in Deutschland. Oder das Risiko, wegen einiger Joints lebenslänglich eingesperrt zu werden. Oder das Risiko, vom Ku Klux Klan aufgeknüpft zu werden. In Deutschland hingegen heißen jetzt Negerküsse Super Dickmanns. Da sieht man, wie hervorragend die politische Umerziehung funktioniert hat. Und: mittlerweile soll Deutschland das Land mit der höchsten Quote an Einwanderern sein. Weltweit. Wegen der im 19. Jahrhundert durchgeführten Industrialisierung und der damit verbundenen Einwanderung sind im Übrigen etwa ein Viertel der Deutschen polnischen Ursprungs. Ein Albtraum für die Rassenhygieniker im politischen Establishment.


QuoteBrainBug2, 09.09.2015

@S. Weidenbaum: ,,Aber bitte nicht Millionen reinlassen. Deutschland allein kann die Welt nicht retten. Darüber hinaus befinden sich hierzulande auch einheimische Notleidende."

Hä? Wieso denn nicht? Es ist ohne weiteres mit ca. 800T Flüchtlingen / Jahr zu rechnen, die es an die Grenzen der BRD schaffen werden. Da sich die Flüchtlingsdramen nicht nur auf dieses Jahr beschränken werden, sondern man davon ausgehen muss, dass dies die nächsten 10 Jahre so gehen muss, müssen wir uns eben darauf einstellen, dass wir die nächsten 10 Jahre ca. 8 Millionen Flüchtlinge aufnehmen und irgendwie integrieren müssen. Dies ist halt ein Faktum, das auch Folge der bisherigen Wirtschaftspolitik der westlichen Welt ist. Die Millionen werden einfach kommen, ob man das wünscht oder verflucht. Es bleibt nur sich darauf so gut es geht vorzubereiten, also einen Solidarzuschlag für Asylsuchende einzuführen (Ich schlage 1% des über der Pfändungsfreigrenze liegenden Jahreseinkommen oder noch besser eine Vermögenssteuer hierzu vor) und dieses Geld in die medizinische Versorgung und die Bildung (einschließlich der Vermittlung rechtlicher Grundlagen unserer Gemeinschaft) zu stecken. Die Industrie freut sich jetzt schon auf die vielen billigen Arbeitskräfte und wir könnten mit dem Aufwand Flüchtlingshilfe (d.h. Geld in noch mehr medizinische Versodgungn, noch mehr Infrastruktur, noch mehr soziale Dienstleistungen usw.) investieren, was vielleicht einen neuen Industriezweig gründet und uns wirtschaftlich über Wasser hält.
Rein wirtschaftspolitisch sollte dies sinnvoller sein als die Alternative Grenzen dicht und ein paar Zollsoldaten mehr.

Und mehr als diese beiden Alternativen (1. Reinlassen und integerieren; 2. Grenzen dicht) gibt es nicht. Die Millionen Flüchtlinge werden einfach kommen.


...


Aus: "Kaltland adé?" (06.09.2015)
Quelle: http://www.internet-law.de/2015/09/kaltland-ade.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Die österreichische Bahn hat den Zugverkehr nach Ungarn vorübergehend eingestellt. Auf ihrer Webseite begründeten die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) diese Entscheidung am Donnerstag mit der ,,massiven Überlastung" der aus Ungarn kommenden Züge. Eingestellt wurden den Angaben nach die Railjet/EuroNight- und die Eurocity-Verbindung auf der Strecke Wien-Budapest sowie grenzüberschreitende Regionalzüge. ,,Bis auf weiteres werden keine Tickets für Fahrziele in Ungarn verkauft", erklärten die ÖBB. Für Pendler und Schüler aus dem Grenzgebiet Neusiedl/See und Bruck/Leitha werde ein Schienenersatzverkehr mit Bussen organisiert.

Freiwillige und Busunternehmer sollten keine Flüchtlinge mehr an die Bahnhöfe bringen. ,,Eine geordnete Abwicklung der aktuellen Situation kann sonst nicht mehr gewährleistet werden. Der ohnehin schon starke Zustrom in Kombination mit der großen Zahl der schon jetzt an den Bahnhöfen auf die Weiterfahrt wartenden Menschen übersteigt die vorhandene Zugkapazität bereits seit den Morgenstunden", hieß es.

Ähnlich hatte am Mittwoch Dänemark reagiert: Um Flüchtlinge an der Einreise nach Dänemark und der Weiterreise nach Schweden zu hindern, wurde der Zugverkehr zwischen Deutschland und Dänemark zunächst auf unbestimmte Zeit eingestellt. Seit dem Morgen verkehren die Regionalzüge unter strengen Kontrollen wieder nach Kopenhagen; die Fernverbindung ist aber offenbar noch immer unterbrochen.

Der dänische Regierungschef Lars Løkke Rasmussen äußerte sich überrascht darüber, dass nicht mehr Flüchtlinge in Dänemark bleiben wollen. ,,Ich kann die Menschen nicht dazu zwingen, Asyl in Dänemark zu suchen. Aber man kann vielleicht eine gewisse Verwunderung darüber ausdrücken, dass sie es nicht tun", sagte Løkke Rasmussen am Donnerstag nach einem Krisentreffen mit den anderen Parteivorsitzenden seines Landes. ,,Wenn man vor Krieg und Auseinandersetzung geflohen ist und nach Dänemark kommt, glaubt man doch, dass man hier ein Land findet, das sicher und ein gutes Land zum Leben ist." Von den rund 3200 Personen, die seit Sonntag in Dänemark angekommen seien, hätten nur rund 670 Asyl in Dänemark beantragt, sagte der Ministerpräsident. Die meisten wollten weiter nach Schweden, weil sie dort auf bessere Bedingungen für Asylbewerber hoffen. Weil sie sich in Dänemark nicht registrieren lassen wollten, hatten sich viele tagelang geweigert, aus den Zügen auszusteigen, mit denen sie aus Deutschland gekommen waren. Dänemark versucht mit einer harten Ausländerpolitik, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren.

...


Aus: "Österreich stoppt Zugverkehr nach Ungarn" (10.09.2015)
Aus: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/oesterreich-stoppt-zugverkehr-nach-ungarn-13795033-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2



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Quote[...] Vor 20 Tagen erst ist ein Flüchtlingslager mit Wohncontainern im Athener Vorort Elaionas eingeweiht worden – bereits kurz darauf erwies es sich als ungenügend, vor allem, weil die Kapazität viel zu klein ist. Noch immer kommen jeden Tag im Hafen von Piräus Hunderte von Menschen von den ägäischen Inseln an.

Dort wurde unterdessen das Registrierungsverfahren intensiviert wurde und es werden mehr Fährschiffe eingesetzt. Parallel dazu entwickelt sich in den letzten Tagen in Athen der zentrale Viktoria-Platz zu einem regelrechten Zeltlager. Dort campieren derzeit zwischen 1.000 und 3.000 Flüchtlinge, die meist auf ihre Weiterreise nach Zentraleuropa warten. Es kam zu zahlreichen Beschwerden von Anwohnern. Das griechische Rote Kreuz verteilt Lebensmittel und Wasser. Nach Angaben der lokalen Behörden sollen vor Ort tragische Gesundheitszustände herrschen.
Die unter der bisherigen Regierung für Migrationsfragen zuständige stellvertretende Ministerin Tassia Christodopoulou hat sich in einem Fernsehinterview zur Flüchtlingsfrage geäußert und betont, dass die Grenzen in Europa geöffnet werden müssten. Europa sei schließlich ,,keine Festung". Die griechische Presse zitierte Christodopoulou außerdem mit den Worten, dass die griechischen Inseln durch den Ansturm der Flüchtlinge reicher geworden seien. Vor allem ,,wohlhabende Syrer" würden dort ,,in Hotels wohnen, in den Geschäften einkaufen und Geld ausgeben".

(Griechenland Zeitung / mp)


Aus: "Flüchtlingsproblem verschärft sich in der griechischen Hauptstadt" (Mittwoch, 09 September 2015)
Quelle: https://griechenland.net/nachrichten/chronik/18999-fl%C3%BCchtlingsproblem-versch%C3%A4rft-sich-in-der-griechischen-hauptstadt


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Quote[...] Seit heute gelten die Notgesetze in Ungarn. Der 4 Meter hohe, mit Nato-Draht bestückte Grenzzaun nach Serbien ist geschlossen, um die nächste Ausweichmöglichkeit zu schließen, soll nun auch ein Flüchtlingsabwehrzaun an der rumänischen Grenze errichtet werden. Das Zeitalter der Gated Nations bricht an, die Hersteller von Sicherheitsanlagen haben Konjunktur. Bei dem Gipfel der Innenminister gestern wurden wichtige Entscheidungen vertagt, sicher ist nur, dass die Außengrenzen weiter aufgerüstet werden sollen. Merkel und ihr österreichischer Kollege Faymann rufen nach einem Sondergipfel, während die ersten Konflikte mit Flüchtlingen nun entstehen. Es werden weitere Folgen.

Flüchtlinge an der Grenze zu Ungarn schlagen gegen den Grenzzaun und fordern die Öffnung, berichtet Pester Lloyd, Hunderte sollen in einen Hungerstreik getreten sein, auf serbischer Seite stauen sich die Flüchtlinge an den Grenzübertrittstellen, in der Regel Container im Zaun, Straßenübergänge werden durch Polizeiketten gesichert, in zwei Grenzkomitaten wurde der "Masseneinwanderungsnotstand" ausgerufen. Heute wurden schon 60 Menschen wegen der Beschädigung der Grenzanlagen verhaftet. Es kam an vielen Stellen bereits zu Durchbrüchen des Grenzzauns. Serbische Medien sprechen von Tausenden von Flüchtlingen an der Grenze.

Für die UNHCR wird nun Serbien zum Problemland, wo sich die Flüchtlinge auf der Balkanroute stauen und nach Alternativrouten Ausschau halten werden. Spannungen zwischen Serbien und Ungarn sind zu erwarten. Ungarn will Flüchtlinge wieder nach Serbien abschieben, Serbien ist nicht bereit, aus Ungarn Flüchtlinge aufzunehmen. Regierungschef Ivica Dacic machte klar, dass Serbien aus Ungarn keine Flüchtlinge aufnehmen wird, während weiter Tausende aus Griechenland und Mazedonien ins Land kommen. Serbien sei kein "kollektives Lager, wir wollen Teil der Lösung sein und kein Kollateralschaden", so Dacic. Serbien sieht sich zwischen Teilen der EU festsitzen, "die nicht kooperieren und unterschiedliche Politiken verfolgen". Die Regierung will Militär an die Grenze senden, um die Abschiebung von Flüchtlingen aus Ungarn zu verhindern. Serbien fordert, dass Ungarn die Flüchtlinge zurück nach Griechenland schicken müsse.

Offenbar werden schon neue Routen über Rumänien und Kroatien gesucht. An der Grenze zwischen Kroatien und Ungarn gibt es allerdings noch Tausende von Landminen aus den 1990er Jahren. Es wird vermutlich bald unschöne Bilder vom "wehrhaften" Europa geben, das an den Grenzen gegen Flüchtlinge vorgeht, während gleichzeitig im Syrien und im Irak Krieg geführt wird und die Hilfsorganisationen nicht genug Geld haben, die 12 Millionen Flüchtlinge in Syrien und in den Nachbarländern ausreichend mit Lebensmitteln und Unterkünften zu versorgen.

Vor dem drohenden Winter ist die Lage für die Flüchtlinge, die teils schon seit Jahren ausharren, aussichtslos. Viele leben in Armut, das UN-Welternährungsprogramm (WFP) musste aufgrund fehlender Finanzierung im September 229.000 Flüchtlingen von 520.000 in Jordanien ihre Nahrungsmittelhilfe streichen. Bis zum Ende des Jahres fehlen 46 Millionen US-Dollar. In den irakischen Kurdengebieten mussten die Hilfen auch gekürzt werden. Für syrische Flüchtlinge fehlen alleine für den Oktober noch 163 Millionen US-Dollar. Auch wenn die EU nun schnell die Hilfen für die Nachbarländer Syrien aufstocken sollte, könnte die Finanzierung der Hilfe in anderen Gebieten dafür sinken.

In Ungarn ist seit heute der ungenehmigte Grenzübertritt eine Straftat, die mit bis zu 4 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Auch steht im Prinzip jede Hilfeleistung für nicht ordnungsgemäß registrierte Flüchtlinge unter Strafandrohung. Allerdings ist die Frage, wie die ungarische Regierung diese neuen "Vergehen" bestrafen will, da die Gefängnisse bereits überfüllt sind. Tausende Polizisten und Soldaten sichern die Außengrenze in Europa, auch gepanzerte Fahrzeuge und Maschinengewehre wurden gesichtet. Muss man befürchten, dass es nicht nur zu Gewaltanwendungen und Prügeleien kommt, sondern auch zum Einsatz von Schusswaffen, um die Festung gegen die zu verteidigen, die vor Gewalt geflohen oder mit Gewaltanwendung vertrieben wurden?

Insgeheim werden vor allem die Regierungen in Österreich und Deutschland aufatmen und den neuen Mauerbau begrüßen, weil sie dadurch Entlastung finden. Das ist auch schon eingetreten, es kamen deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland.  ...



Aus: "Notstand nach Schließung der ungarischen Grenze" Florian Rötzer (15.09.2015)
Quelle: http://www.heise.de/tp/artikel/45/45994/1.html


Textaris(txt*bot)

#183
Quote[...] Nach Dänemark und Deutschland hat jetzt auch Österreich vorübergehend Grenzkontrollen eingeführt. Nach Angaben des Innenministeriums wird vorerst nur die Grenze zu Ungarn kontrolliert; bei Bedarf könnten die Kontrollen aber auf die Grenzen zu Italien, Slowenien und die Slowakei ausgedehnt werden. ...


Aus: "Österreich führt Grenzkontrollen ein" (16. September 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-09/oesterreich-startet-grenzkontrollen-fluechtlinge

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Quote[...] Das Bundeskabinett hat die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes gegen Schleuser im Mittelmeer beschlossen. Bis zu 950 Soldaten sollen künftig Schiffe von Schleusern stoppen, beschlagnahmen und auch zerstören dürfen. Das sieht eine entsprechende Vorlage vor, die die Minister billigten. Der Bundestag muss der Beteiligung noch zustimmen.

Mit dem gezielten Einsatz gegen Schlepper geht die EU-Militäroperation Eunavfor in die zweite Phase. Sie richtet sich gegen Schleuser, die Flüchtlinge aus Nordafrika unter oft lebensgefährlichen Umständen auf Booten nach Europa bringen.  

Die Bundeswehr ist im Rahmen des Eunavfor-Einsatzes bereits seit Mai mit zwei Schiffen und rund 300 Soldaten im Seegebiet zwischen Libyen und Italien aktiv. Bislang kümmerten sich die Soldaten allerdings ausschließlich um die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge und das Sammeln von Informationen. Mehr als 7.200 Menschen konnten die Soldaten bisher nach Italien bringen.

Am Montag hatten die EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel den Beginn der zweiten Phase beschlossen. Das Vorgehen gegen die Schleuser und ihre Boote soll Flüchtlinge von der gefährlichen Überfahrt aus Libyen über das Mittelmeer abhalten.

QuoteTourm
#1  —  vor 7 Minuten

Das ist doch politische Idiotie.

Auf der einen Seite wird die "Willkommenskultur" wie ein Gottesdienst am Altar der eigenen Selbstgefälligkeit zelebriert und auf der anderen Seite zerschiesst man den "Flüchtlingen" die Boote.



...


Aus: "Flüchtlinge: Kabinett beschließt bewaffneten Einsatz gegen Schleuser" (16. September 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/2015-09/bundeskabinett-einsatz-bundeswehr-soldaten-bewaffnet


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Quote[...] Die Flüchtlingskrise an der Ägäis nimmt kein Ende. Auf den griechischen Inseln kamen wieder Tausende Menschen an, Hunderte wurden von der Küstenwache aus den Fluten gerettet. Griechenland sichert derweil seine Landesgrenze zur Türkei. ...


Aus: "Griechenland verstärkt Sicherheitsmaßnahmen am Evros" (16.09.2015)
Quelle: http://www.fnp.de/nachrichten/politik/tagesthema/Griechenland-verstaerkt-Sicherheitsmassnahmen-am-Evros;art46567,1592583

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Quote[...] Frankfurt. Fast alle Betten belegt! So könnte man die Situation in den Flüchtlings-Unterkünften in Frankfurt derzeit beschreiben. Die Notquartiere in der Turnhalle der Franz-Böhm-Schule sind mit 125 Menschen voll belegt, die Fabriksporthalle mit 350 Betten, in der Halle der Sport-Universität sind von den 225 Betten nur noch wenige frei, die Sporthalle in Kalbach wird mit 350 Personen belegt. Für die Möblierung der Fabriksporthalle hat der Flughafenbetreiber Fraport mit Betten ausgeholfen, ein benachbarter Lebensmittelgroßhändler öffnete am Sonntag, damit die Flüchtlinge versorgt werden konnten.

Die hilfswillige Bevölkerung wurde gebeten, keine Lebensmittel vorbeizubringen, da diese nicht an die Flüchtlinge verteilt werden könnten. In den nächsten drei Monaten muss die Stadt weitere 2500 Menschen unterbringen, das ist aber eine alte Prognose, die bereits überholt sein dürfte, so dass es deutlich mehr werden dürften. Diese Zahlen und Fakten nannte gestern Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU). ...

Um den plötzlichen Ansturm am Wochenende zu bewältigen, wurde erstmals ,,auf Ressourcen des Katastrophenschutzes zurückgegriffen", wie Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) erklärte. Mit der Aktion hat die Stadt kurzfristig dem Land aus der Patsche geholfen. Denn eigentlich müssten die Flüchtlinge zunächst in eine der hessischen Erstaufnahmestellen, von denen sie dann auf die Kommunen verteilt werden. Die am Wochenende in Frankfurt Aufgenommenen werden in den nächsten Tagen in Erstaufnahmelager, beispielsweise nach Gießen verlegt, sobald dort wieder Kapazitäten frei sind. Im Sozialamt sitzen laut Birkenfeld derzeit 80 bis 100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die gestern angekommen sind. Für diesen Personenkreis ist Frankfurt Erstaufnahmestelle, ehe die Jugendlichen auf hessische Gemeinden verteilt werden.

Insgesamt waren 350 ehrenamtliche Helfer von Arbeiter-Samariter Bund, Johannitern, Maltesern, Rotem Kreuz, und den Freiwilligen Feuerwehren im Einsatz. Diese seien nach drei Tagen Dauereinsatz am Ende ihrer Kräfte, sagte der Ordnungsdezernent. Dank der Maßnahmen der Bundesregierung wie Grenzkontrollen und die Unterbrechung des Zugverkehrs aus Österreich erwartet Frank eine Verschnaufpause, aber: ,,Es warten noch 60 000 Flüchtlinge in Ungarn mit dem Ziel Deutschland."

Besonders schwierig sei am Samstag das unklare Lagebild gewesen. Zwar habe der Krisenstab die Zahl der abreisenden Zugpassagiere erfahren, viele seien aber unterwegs ausgestiegen.

Ziel des Magistrat sei es, die Turnhallen ,,mittelfristig frei zu bekommen", sagte Frank. Auf Zelte zur Unterbringung von Flüchtlingen will Sozialdezernentin Birkenfeld dennoch verzichten. Nach der IAA stünde eine Messehalle zur Verfügung, auch eine Containeranlage sei auf dem Messearel möglich, Container seien bestellt.

Die städtischen Mitarbeiter zur Flüchtlingsbetreuung in den Sporthallen sollen mit einem Rundschreiben auf freiwilliger Basis innerhalb des Dienstbetriebes angeworben werden.

So hat es der gestern eingerichtete Verwaltungsstab mit den Amtsleitern beschlossen. In jeder Sporthalle kommen 20 Bedienstete im Zweischicht-Betrieb zum Einsatz, die Nachtschicht übernehmen private Sicherheitsdienste.


Aus: "Flüchtlings-Unterkünfte in Frankfurt sind voll" THOMAS REMLEIN (15.09.2015)
Quelle: http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Fluechtlings-Unterkuenfte-in-Frankfurt-sind-voll;art675,1589693


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Quote[...] Der Fremde weckt ambivalente Gefühle. Kommt er in freundlicher oder feindlicher Absicht? Ist er ein Dieb, oder bringt er Geschenke? Diese widerstreitenden Reaktionen kann man schon bei Kindern beobachten, wenn ein Unbekannter zur Türe hereinkommt. Vielleicht verstecken sie sich zuerst, aber neugierig sind sie doch. Die Fremden ähneln darin dem anderen Geschlecht, das ebenso fasziniert wie irritiert. Allerdings hält man Ambivalenz schwer aus. Man bevorzugt Eindeutigkeit. Also erklärt man die Unbekannten entweder zu Freunden oder zu Feinden. Am besten sieht man diesen Hang zum Extremen bei den denkbar fremdesten Fremden, die es zudem gar nicht gibt – den Aliens. Fast immer stellt man sich die Ausserirdischen entweder als Zerstörer oder als Heilbringer vor. Auch die Immigranten teilt man gerne in eindeutige Kategorien ein. Man vereinfacht die verwirrenden Begegnungen mit ihnen, indem man manche – zum Beispiel Albaner, Nigerianer, Muslime – zu Bösen ernennt und andere – zum Beispiel Tibeter, Ungarn oder Syrer – zu Guten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass man die Gefühle gewissermassen staffelt. Man schimpft zuerst über eine Gruppe – etwa Italiener, Tamilen, Deutsche –, und einige Jahre später schliesst man sie ins Herz.

Beinahe alle haben eine Meinung zur Migration, und meist eine dezidierte. Es ist schwierig, Polarisierungen zu entgehen. Selten trifft man jemanden, der sagt: «Ich weiss nicht, was ich von den Flüchtlingen halten soll, ich habe noch nie mit einem gesprochen.» Bei der beliebten Frage, ob die Anwesenheit all der Immigranten, Flüchtlinge und Asylsuchenden gut oder schlecht sei, ist es fast unmöglich, jenseits von Schwarz-Weiss etwa zu antworten: «Ich weiss es nicht» oder «Kommt darauf an» oder «Ich brauchte mehr Erfahrungen und Wissen».

In den letzten Wochen konnte man vor allem in Deutschland einen erstaunlichen Stimmungsumschwung beobachten. Während noch vor kurzem die Pegida-Demonstrationen und Brandanschläge auf Asylheime die Schlagzeilen beherrschten, ist auf einmal das Stichwort von der «Willkommenskultur» in aller Munde. Genau besehen handelt es sich allerdings nicht um einen Umschwung. Es ist kaum anzunehmen, dass die Ausländerhasser, die in Heidenau randalierten, nun plötzlich zum Bahnhof geeilt sind, um den Syrien-Flüchtlingen Wasser zu bringen. Vielmehr sind es andere Teile der Bevölkerung, die im Moment den Ton angeben. Weil fremdenfeindliche Menschen das Konforme lieben, bewegen sie sich gerne in einer Masse und beanspruchen für sich, das Volk zu repräsentieren. Es ist auffällig, wie kleinlaut sie plötzlich werden, sobald der Wind in der Politik und den Medien dreht.

Allerdings ist es wahrscheinlich, dass die gegenwärtige Solidaritätswelle nicht allzu lange anhalten wird. Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, die viel durchgemacht haben, sind nicht per se bessere Menschen. Auch unter ihnen gibt es selbstverständlich Kriminelle, Fanatiker oder Faulpelze, wie überall. Vielleicht kippt das Mitleid plötzlich in Ablehnung, wenn sich die Flüchtlinge der ihnen entgegengebrachten Idealisierung nicht würdig erweisen. Rasch könnten sie dann als undankbar gelten. Sowohl die Fremdenangst als auch die überbordende Aufnahmebereitschaft haben ja meist wenig mit den realen Ankommenden zu tun, sondern vor allem mit Vorstellungen und Projektionen. Dafür spricht auch, dass die Ablehnung und die Angst vor «Überfremdung» oft dort am stärksten sind, wo es in Wirklichkeit nur wenige Ausländer gibt.

Möglicherweise kommt es jedoch auch einfach zu einer Gewöhnung. Wer erinnert sich noch daran, wie exotisch die Italiener in den sechziger Jahren wirkten, als sie in die Schweiz kamen? Heute kann man über die damaligen Bedenken nur noch lachen. Dasselbe passierte mit den Tamilen. Als «Heroin-Tamilen in Lederjacken» wurden sie tituliert. Heute gelten sie als arbeitsam und unauffällig. Das allgemeine Bild der «Jugos» durchläuft eine ähnliche Normalisierung. In der jüngsten Vergangenheit nahmen sich die professionellen Schürer der Fremdenangst die Deutschen vor. Daran sieht man auch, wie irrelevant in diesem Zusammenhang die Realität ist. Bei den im Allgemeinen hochqualifizierten Deutschen konnte man weiss Gott nicht von einem fremden Kulturkreis sprechen. Jedes andere Land hätte sich angesichts solcher Ideal-Immigranten die Finger geleckt. Aber wer will, findet immer ein Problem. Auch der Umgang mit Eritreern und Syrern pendelt sich wohl einst in einem nüchternen Graubereich ein, jenseits von Xenophobie und Xenophilie. Die gegenwärtige Immigrationswelle wird nicht zum Untergang des Abendlandes führen. Aber sie ist auch nicht nur eine «kulturelle Bereicherung». Und das Problem der Überalterung lässt sich mit Immigration allein kaum lösen. Ob es in unserer postindustriellen Gesellschaft genug Arbeitsplätze für wenig qualifizierte Einwanderer gibt, ist ebenfalls fraglich.

... Vielleicht lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die psychischen Mechanismen der Fremdenangst zu werfen. Ist Fremdenangst gleichbedeutend mit Rassismus? Nicht unbedingt. Heute hat der Begriff der Kultur denjenigen der Rasse abgelöst. Der «aufgeklärte» Rassist spricht von «anderen Kulturkreisen». Allerdings wird Kultur dann oft als etwas Statisches, Homogenes, quasi Biologisches verstanden, so wie früher die Rasse. Das gilt auch für die eigene Kultur. Das Bild, das Xenophobe von ihrer Heimat haben, ist meist ebenso klischeehaft wie dasjenige, das sie von fremden Ländern zeichnen. Dass Deutschland oder die Schweiz auch ohne Ausländer Gebilde mit einer höchst heterogenen Bevölkerung wären, blenden sie aus.

Was bringt gewisse Leute dazu, auf die Anderen reflexartig mit Aggression zu reagieren, im Extremfall so wie der Mann, der vor einigen Wochen in der Berliner S-Bahn auf ein ausländisches Kind urinierte? Man würde annehmen, dass man angesichts von Flüchtlingselend natürlicherweise Empathie oder Mitleid empfindet. Offenbar erleben jedoch manche stattdessen eine Aufwallung von Verachtung und Hass, und zwar nicht nur angesichts von Immigranten, sondern auch gegenüber Armen, Sozialhilfeempfängern, Bettlern, Drogensüchtigen oder Behinderten. Zugespitzt könnte man sagen: Linksextreme dämonisieren die Macht, Rechtsextreme die Ohnmacht. Ist ihnen die Vorstellung, einmal selbst schwach und hilflos zu sein, so unerträglich, dass sie abgewürgt werden muss?

In die aggressive Ablehnung mischen sich oft Angst und Neid. Ausgerechnet der Ohnmächtige wird insgeheim als übermächtig erlebt. Gerne verdächtigt man gerade finanziell Schwache, Fürsorgeabhängige oder Asylsuchende, auf dem Buckel der Steuerzahler ein Dolce Vita zu führen. Gelegentlich dehnt sich dieser Verdacht so weit aus, dass man dem Zugewanderten ganz generell ein Mehr an Leben, an Intensität, an Genuss unterstellt, das man ihm missgönnt. Auch eine gewisse Sexualisierung der Fremden gehört zum beliebten Projektions-Repertoire. Das ist auch deshalb paradox, weil man sich ja kaum ein langweiligeres, eingeschränkteres Leben als dasjenige in einem Asylheim vorstellen kann. Aber der Fremdenfeind nimmt an, dass es hinter dieser betrügerischen Fassade hoch zu und her geht. Das nährt das Gefühl, er sei ohnehin zu kurz gekommen. Eigentlich hasst er vor allem sich selber und sein Leben, aber durch Ressentiment und zwanghaftes Interesse ist er auf den Ausländer fixiert, dessen Anderssein er überschätzt. Fast wünschte man sich etwas mehr Gleichgültigkeit den Immigranten gegenüber.

Migrationsbewegungen und Kulturkontakte trugen im Laufe der Geschichte zu Fortschritt, Wandel und Handel bei, führten aber auch zu unzähligen Konflikten. Die Berührung mit dem Fremden ist eine ambivalente Angelegenheit. Jenseits von Idealisierung oder Dämonisierung ist dem realen Ausländer mit einer möglichst «normalen» Aufnahme am besten gedient, bei der er weder diskriminiert noch privilegiert und nicht ständig auf sein «Anderssein» behaftet wird. Das ist langweiliger als Willkommens-Umarmungen und Molotowcocktails, nützt aber auf lange Sicht auch dem Inländer.


Aus: "Reaktionen auf die Flüchtlingskrise: Liebe Fremde, böse Fremde" David Signer (17.9.2015)
Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/liebe-fremde-boese-fremde-1.18614447


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Quote[...] Erstattet das Land den Städten wirklich nur 30 Prozent der Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge? Auf diese Frage reagiert NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) unwirsch. Er halte es für "unseriös, mit falschen Zahlen Stimmung zu machen", sagt er. Die Kosten pro Flüchtling im Jahr beliefen sich auf 10.000 bis 12.000 Euro; davon übernehme das Land 7500 Euro. Allerdings werde derzeit mit den kommunalen Spitzenverbänden errechnet, welche Kosten genau entstünden.

Jäger begrüßt, dass sich der Bund nun erstmals auch selbst an der Erstunterbringung beteiligen will, auch wenn es sich dabei nur um 40.000 Menschen handle. Zu möglichen Gebäuden und Standorten will sich Jäger nicht äußern. Dies sei Sache des Bundes, sagt er. Infrage kämen aber auch Kasernen, wenn sie nicht zu lange leergestanden hätten. Andernfalls sei es sehr aufwendig, sie wieder bewohnbar zu machen.

Die Lage sei nach wie vor angespannt; von einer Atempause könne keine Rede sein. Das Wichtigste sei, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit hätten, bekräftigt der Minister, aber fügt auch hinzu: "Es geht nicht mehr lange so weiter in Deutschland und in NRW." Es müsse eine gerechte europaweite Verteilung geben.

Bereits 145.000 Flüchtlinge hat NRW in diesem Jahr untergebracht, darunter Menschen, die nach wenigen Tagen auf andere Bundesländer umverteilt wurden. Derweil wird es in den Kommunen immer schwieriger, Unterkünfte bereitzustellen. In Mönchengladbach und anderen Städten wurden Wohncontainer und Zelte aufgestellt. In zahlreichen Kommunen werden Turnhallen oder öffentliche Gebäude genutzt, wie etwa in Solingen das alte Finanzamt und eine ehemalige Grundschule; in Nettetal ist es eine ehemalige Hauptschule. In Grevenbroich wurden auch leerstehende Privathäuser und in Langenfeld ein Klinikgebäude von Flüchtlingen bezogen. Städte beklagen zunehmend, dass Balkan-Flüchtlinge die Plätze für jene Menschen blockieren, die aus Kriegsgebieten kommen.

Vor allem in Duisburg gibt es immer wieder Auseinandersetzungen mit Roma. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) ist offenbar frustriert. "Ich hätte gern das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte", sagte er bei einer Zusammenkunft mit SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin. Laut "Mitteldeutscher Zeitung" habe Gabriel für einen Augenblick erschrocken geguckt. Links Äußerung, für die er sich gestern Abend entschuldigte, sei "menschenverachtend", sagt die integrationspolitische Sprecherin der CDU, Serap Güler.

Hannelore Kraft müsse sich als SPD-Landesvorsitzende klar distanzieren. "Noch in der letzten Sitzung des Landtages hatte sie gesagt, es gehe nicht, Flüchtlinge in solche erster und zweiter Klasse zu unterteilen. Genau das hat Link getan."


Aus: "Flüchtlinge in NRW - Innenminister Jäger: Es geht nicht mehr lange so weiter" (17. September 2015)
Quelle: http://www.rp-online.de/nrw/panorama/ralf-jaeger-zu-fluechtlingen-es-geht-nicht-mehr-lange-so-weiter-aid-1.5400422


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Quote[...] Warum bist du geflohen, anstatt für dein Land zu kämpfen? Du bist doch nur scharf auf die Sozialhilfe. Ihr seid doch alle kriminell. Fragen und offene Anschuldigungen wie diese liest man sehr häufig unter Facebook-Einträgen, die sich mit Flüchtlingen beschäftigen. Jetzt antwortet ein Flüchtling. Er ist 18 Jahre alt, stammt aus Syrien und lebt seit neun Monaten in Deutschland.

Auf der Plattform Reddit hat er ein AMA (Ask me anything, Frag mich alles) gestartet. Das Interesse ist gigantisch, knapp zehn Millionen Menschen haben das Frage-Antwort-Spiel verfolgt, das es zwischenzeitlich auf die Startseite des Portals geschafft hatte. Wohl vor allem, weil die Antworten des jungen Mannes, der seinen Namen nicht verrät, so nüchtern und entwaffnend sind.

"Bedenke, es ist ein Bürgerkrieg, es ist keine Invasion eines anderen Landes", antwortet er auf die Frage, warum er geflohen sei, statt zu kämpfen. "Gegen wen hätte ich gekämpft? Im Zweifel gegen einen Mann wie mich auf der anderen Seite der Schlacht. Einer von uns hätte den anderen getötet, ohne dass sich etwas geändert hätte und ohne dass das den Krieg beendet hätte." Aber Syrien hätte einen Mann verloren, der viel Besseres für die Zukunft des Landes tun könnte als eine Waffe zu halten. "Am traurigsten macht mich, dass die Menschen, die mich fragen, warum ich nicht gekämpft habe, nichts über die Situation in Syrien wissen und niemals erlebt haben, wie grausam Krieg sein kann."

Und die Sache mit den Kriminellen? "Ja, es kommen sehr viele Menschen, aber wir kommen nicht, um Verbrechen zu begehen", schreibt er. In Syrien seien Regierung und Justiz korrupt, Armut sei weit verbreitet und trotzdem habe sich die Kriminalität in Grenzen gehalten. "Warum sollten die Menschen in einem sicheren Land, das sie willkommen heißt, jetzt kriminell werden?"

Er beantworte all diese Fragen, weil er seinen Lesern helfen wolle, die Situation der Flüchtlinge in Europa aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Dabei räumt er mit Vorurteilen auf, vertuscht aber keine Probleme: Gibt es IS-Terroristen unter den Flüchtlingen? "Ja, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit."

Kritisch beurteilt er, dass viele Flüchtlinge nicht in Ungarn, Griechenland oder Bulgarien bleiben, sondern unbedingt nach Deutschland wollen. Wer Ungarn verlasse, um nach Deutschland zu gehen, beleidige das ungarische Volk. Allerdings fürchte er, dass die ärmeren Länder Europas nicht in der Lage seien, die Flüchtlinge zu versorgen. Deshalb rate er den reichen Ländern, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, um diese Last von den Schultern ihrer Nachbarn zu nehmen.

Ein Fragesteller will wissen, warum einige Flüchtlinge Essen und Wasser, das sie von Helfern bekommen hatten, einfach weggeschmissen hätten. "Weil sie Arschlöcher sind?", antwortet der Syrer schonungslos. Er sei sich allerdings sicher, nur eine kleine Minderheit würde ein solches Verhalten zeigen. Niemand in Syrien habe etwas bekommen, ohne dafür zu arbeiten. "Bitte habt Geduld und schaut euch um, dann werdet ihr sehen, dass die Mehrheit dankbar und nett ist."

Gerrit Dorn

Quote17.09.2015
12:53
Syrischer Flüchtling antwortet besorgten Bürgern bei Reddit
von Paule03 | #4

Herr Dorn, ich frage mich, was Ihr Artikel bezwecken soll?


Quote
17.09.2015
12:28
Es wird nie differenziert
von hanspeters75 | #3

Sehr gute Idee von Ihm. Es wird immer nur über "Flüchtlinge" gesprochen - ob schlecht oder gut.
Es wird nie wirklich differenziert. Selbst die Syrer bestehen aus mindestens 3 religiösen & politischen Parteien und weder Linke noch Rechte sollte nicht alle in einen Topf werfen. ...


...


Aus: "Flüchtlinge: Syrischer Flüchtling antwortet besorgten Bürgern bei Reddit" (15.09.2015)
Quelle: https://www.derwesten.de/thema/fluechtlinge/syrischer-fluechtling-raeumt-bei-reddit-mit-vorurteilen-auf-id11094661.html


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Vor einigen Stunden erst telefonierte ich mit einer Freundin, die gerade an einem super interessanten Artikel schreibt, in dem sie ihre Bedenken zum Retter-Selbstimage Deutschlands äußert.

Seit Wochen kreisen mir diese Gedanken durch den Kopf, doch sobald ich Kritik an diesen Sachen äußerte, wurde mit ,,Zynismus" hier, ,,Deutschenfeindlichkeit" da reagiert. Man zweifelt an sich selbst, fängt an sich zu fragen ,,Bin ich zu einer Person geworden, die keine Hoffnung mehr verspüren kann?".

In diesen Momenten bin ich umso dankbarer, dass ich doch nicht so allein stehe mit diesen Befürchtungen. Was hier ganz klar differenziert werden sollte ist die berechtigte Kritik an der Darstellung der Geflüchteten, als unmündige, hilfsbedürftige ,Opfer' (das passiert leider sehr oft auch unterbewusst), und die häufig bei dieser Kritik unterstellte Ablehnung des humanitären Einsatzes.

Diese Unterstellung pathologisiert jegliche Kritik an den schimmernden Helfer*lein. Niemals würde ich auf die Idee kommen, mich gegen humanitären Einsatz zu positionieren, aber was viele von einem erwarten ist die Ignoranz für strukturelle Probleme oder dem Fehlverhalten gegenüber geflüchteter Menschen.

Der Grund weshalb diese kurzsichtige Perspektive mich und so viele andere Menschen so sehr wurmt ist, dass wir Erfahrungen mit solchen Phänomenen machen mussten. Ohne zu sehr in Details zu gehen kann ich sagen, dass ich bei all den Bildern die sich gerade in Deutschland abspielen auf taufrische Rückblenden von ,kollektivem Zusammenhalt' und der Mobilisierung für eine ,gemeinsame Sache' zurückgreifen kann.

Ich kann gut nachempfinden, wie sich diese kollektive ,Hilfewelle' anfühlt, aber ich kann auch das ziemlich schmerzliche Erwachen danach noch sehr gut bis auf die Knochen spüren. Dann nämlich, wenn es zu heikleren politischen Fragen kommt, dann, wenn sich inmitten des kollektiven Helfens ganz individuelle und widersprüchliche Erwartungen manifestieren. Ein Teil einer so unerwarteten, großen Mobilisierung zu sein, verblendet nicht selten für Probleme. ...

QuoteHerbstlaune says:   
10. September 2015 at 17:53

Vielen vielen Dank für den Artikel! Ich finde mich sehr in deinen Zeilen wieder. Ich kriege von dem Paternalismus der weißen Helfer_innen, die teilweise meine Freund_innen sind, gerade so das Kotzen. Deshalb tut es gut, von dir zu lesen :-)



Aus: ""Es ist immer leichter, die Kritik zu kritisieren." Deutschland und seine ewigen Neuankömmlinge." diasporareflektionen (09.09.2015)
Quelle: https://diasporareflektionen.wordpress.com/2015/09/09/es-ist-immer-leichter-die-kritik-zu-kritisieren-deutschland-und-seine-ewigen-neuankommlinge/


Textaris(txt*bot)

Quote[...] Wöchentlich steigende Flüchtlingszahlen; Notquartiere in Turnhallen, Kasernen, Gemeindehäusern; Brandanschläge auf Übergangsheime; zerstörte Willkommensplakate (,,Offene Grenzen – offene Herzen"); Schlägereien in völlig überfüllten Flüchtlingsunterkünften; genervte Anwohner, überforderte Behörden, die von ,,unglaublicher Naivität" der Neuankömmlinge berichten, die über das Leben im Westen völlig falsch informiert seien. Deutschland im Spätsommer 2015? Nein. So wurde im Januar 1990 über die Lage in Westdeutschland nach dem Fall der Mauer geschrieben.

Ein Vierteljahrhundert später ist ganz Deutschland mit einer ähnlichen Lage konfrontiert, nur dass die Ostdeutschen heute auf der ,,anderen" Seite stehen und mit den Asylbewerbern quasi auf ein Spiegelbild ihrer selbst treffen. Umso unverständlicher sind Bilder wie aus Tröglitz, Freital, Heidenau. Fremdenhass gebe es nicht nur in ihren Ländern, beteuern die Ost-Ministerpräsidenten, doch im ,,Septembermärchen" (Katrin Göring-Eckardt) müssen die Ostdeutschen die Rolle der Bösewichte übernehmen. ,,Wir im Westen", sagte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) diesen Bösewichten, seien schließlich mit Migration groß geworden. ,,Wir" hätten Migranten zumeist als Bereicherung wahrgenommen.

Abgesehen davon, dass die Gastarbeiter recht lange warten mussten, bis sie zu diesem westdeutschen ,,Wir" gehören durften, müssen sich auch die Ostdeutschen durch solche Äußerungen wie Fremde im eigenen Land behandelt fühlen. Ihnen wird eine quasi genetische Anfälligkeit für Rechtsextremismus unterstellt. Die Jahre der DDR, so kann man in westdeutschen Zeitungen noch immer lesen, hätten hässliche Spuren in mancher ,,ostdeutschen DNA" hinterlassen. Die Desoxyribonukleinsäure der Täter, die Anschläge auf Asylbewerber im Westen verüben, scheint dagegen kein deutsches Wässerchen zu trüben.

Für Ministerpräsidenten westdeutscher Länder ist der Hinweis auf die Häufigkeit rechtsextremistischer Gewalt im Osten eine willkommene Ablenkung von eigenen Schwierigkeiten. Über die Brandanschläge in dem Bundesland, in dem Minister Lewentz für Sicherheit sorgen soll, hielten sich die Berichte in Grenzen – schließlich passen sie nicht in die politische Vererbungslehre. Welchen Gendefekt sollten denn auch siebzig Jahre Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft bei Menschen hinterlassen, dass sie dazu animieren könnten, Flüchtlingsunterkünfte anzuzünden?

Zugegeben: Es ist billig, solcherart einander diese Schandtaten vorzurechnen. Hat der Osten ein Problem mit Fremdenhass? Ja, das hat er. Hat der Westen kein Problem damit? Nein, das hat er nicht. Ganz Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Oder stammen Hasskommentare im Internet, auch unter den Texten dieser Zeitung, stammen Beleidigungen und Hetze gegenüber Redakteuren, Moderatoren und Politikern, stammen hasserfüllte E-Mails und Anrufe in der SPD-Zentrale nach Sigmar Gabriels Heidenau-Besuch allesamt oder auch nur überwiegend aus dem Osten?

,,Wir sind ein Land. Wir sind 25 Jahre ein Land", antwortete Angela Merkel, als sie auf das Thema angesprochen wurde. Zweifellos äußert sich der Rechtsextremismus im Osten des Landes sichtbarer und unverhohlener, während im Westen, siehe Hamburg oder Stuttgart, schon mal saubere Rechtsanwälte eingeschaltet werden, um Flüchtlingsheime vor der eigenen Haustür zu verhindern. Warum die einen so, die anderen so sind, lässt sich vielleicht mit der DDR und mit der Bundesrepublik erklären. Es sollte aber nicht dazu dienen, den Westen pauschal zu entlasten und Ostdeutschland so pauschal zu verklagen wie sonst nur die Staaten Osteuropas.

Die Schläger von Heidenau waren zum Großteil junge Männer, die nicht in der DDR, sondern in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Heute sitzen diese Männer vielfach ohne Perspektive in Ost-Kleinstädten oder auf dem Land unter ihresgleichen. Wer gut ausgebildet und mobil ist – und das sind die meisten –, zieht fort oder pendelt; vier Millionen Menschen haben die neuen Länder seit 1990 verlassen.

Zurück bleiben die Alten, die manchmal noch ganz jung sind, aber keine Stelle und keine Lebensperspektive mehr finden, die auch nicht von Kirchen, Vereinen, Parteien, wie man das im Westen gewohnt ist, aufgefangen werden. Asylbewerber sind in dieser Welt die Eindringlinge, denen mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit geschenkt wird als den Ostdeutschen, die Angst vor weiterem Abstieg und Wut auf Politiker wecken. Das greift die NPD gerne auf.

Politik und Behörden schauten zudem speziell in Sachsen der Ausbreitung rechtsextremer Strukturen zu lange zu. Konsequente Strafverfolgung fand nicht statt. Erfolg haben die Rechtsextremen auch, nicht obwohl, sondern gerade weil es im Osten kaum Ausländer gibt. Nur so lassen sich Ängste schüren. In Orten, wo seit einer Weile Asylbewerber wohnen, klappt das Zusammenleben in der Regel gut. Nicht alles aber lässt sich systembedingt oder durch politische Geographie erklären. Charakterschwäche und menschliche Abgründe gibt es überall. Sie zeigt sich nur anders.


Aus: "Rechtsextremismus Wer sind die hässlichen Deutschen?" Stefan Locke, Dresden (17.09.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/rechtsextremismus/kommentar-zu-rechtsextremismus-nicht-nur-im-osten-13807239.html


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Quote[...] Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) plant Leistungskürzungen und strengere Regeln für Asylbewerber. Das geht aus einem Entwurf des Bundesinnenministeriums für ein Artikelgesetz hervor, das durch Änderungen und Einfügungen in mehreren bestehenden Gesetzen die Flüchtlingspolitik in Deutschland neu gestalten soll.

Dem Entwurf zufolge, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, sollen Flüchtlinge, die über andere EU-Staaten eingereist sind und für deren Asylverfahren daher aufgrund der Dublin-Verordnung der EU eigentlich ein anderer Mitgliedsstaat zuständig ist, künftig keine Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr haben. Sie sollen demnach lediglich eine Reisebeihilfe in Form einer Fahrkarte und Reiseproviant erhalten.

Einschneidende Verschärfungen sieht der Gesetzentwurf auch im Aufenthaltsrecht vor. So sollen Flüchtlinge, die aufgrund selbst verursachter Abschiebehindernisse nicht ausgewiesen werden können, die also keine Pässe haben und keine Angaben über ihre Herkunft machen, Arbeitsverbote erhalten und ebenfalls den Anspruch auf Sozialleistungen verlieren. Staatsangehörigen sogenannter sicherer Drittstaaten soll neben der Aufnahme von Arbeit auch die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen verboten werden.

Die Höchstdauer für den Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen soll darüber hinaus von drei auf auf sechs Monate verlängert werden. Auch die Residenzpflicht soll in diesen Fällen auf sechs Monate verdoppelt werden. Dort sollen Asylbewerber statt Bargeld in der Regel nur noch Sachleistungen erhalten. Die Balkan-Staaten Albanien, Kosovo und Montenegro sollen wie angekündigt zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Abgelehnten Asylbewerbern, deren Abschiebung bevorsteht, sollen außerdem die Geldleistungen gekürzt werden.

Nach einem Bericht des ARD-Magazins ,,Monitor" befindet sich der auf vergangenen Montag datierte Gesetzentwurf derzeit in der Ressortabstimmung. ,,Es handelt sich um ein ganzes Paket von Maßnahmen, die insgesamt eine Entlastung bringen könnten", sagte der Vorsitzende der Konferenz der Unions-Fraktionsvorsitzenden in Bund und Ländern und thüringische CDU-Vorsitzende Mike Mohring gegenüber FAZ.NET. In der Sitzung am Montag war außerdem vorgeschlagen worden, keine Asylfolgeanträge mehr zuzulassen. ,,Der Drehtüreffekt würde dadurch vermindert", sagte Mohring. Bisher können ablehnende Bescheide neu verhandelt werden, wenn sich neue Tatsachen oder Beweise für eine Verfolgung im Herkunftsland ergeben. Die Folgeanträge machen rund zehn Prozent der offenen Asylverfahren aus.

,,Das Asylrecht darf nicht zum Abschieberecht werden", forderte dagegen die Innenpolitikerin der Linkspartei Ulla Jelpke in Berlin. Sie warf de Maizière ,,Ausgrenzung statt Integration" vor. Auch die Organisation Pro Asyl forderte Bund und Länder auf, das Vorhaben des Bundesinnenministers zu stoppen. Pro Asyl wirbt für eine pauschale Aufenthaltserlaubnis für alle ,,Altfälle", also die Asylbewerber, die schon länger als ein Jahr auf ihren Bescheid warten, um den Stau unbearbeiteter Anträge abzubauen. Dies hieße jedoch, die Prinzipien des des Asylgesetzes vorübergehend außer Kraft zu setzen. ,,Ich glaube, von der Politik wird gerade jetzt erwartet, diese Regeln einzuhalten", sagte Mohring dazu gegenüber FAZ.NET.


Aus: "Gesetzentwurf: De Maizière will Leistungen für Flüchtlinge stark kürzen" (17.09.2015)
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/gesetzentwurf-de-maiziere-will-leistungen-fuer-fluechtlinge-stark-kuerzen-13808455.html

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Quote[...] Die nach Berlin kommenden Flüchtlinge können kaum noch untergebracht werden, die beteiligten Akteure arbeiten nach wie vor nicht so reibungslos zusammen wie gehofft und die Zahl der zur Verfügung stehenden Mitarbeiter, die dem zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) helfen sollen, reicht bei weiten nicht aus.

An diesem Dienstag soll nun der ehemalige Polizeipräsident Dieter Glietsch aus dem Ruhestand geholt werden, um als neu eingesetzter Staatssekretär im Krisenstab zu Flüchtlingsfragen zu helfen. Dem Vernehmen nach haben sich darauf der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der für die Asylbewerberunterkünfte zuständige Sozialsenator Mario Czaja (CDU) geeinigt. Glietsch, 68 Jahre, war bis 2011 Polizeipräsident und würde den Krisenstab mit Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle (CDU) leiten. Ob das die Lage verbessert?

Allein in der Nacht zu Dienstag sollten 250 neue Flüchtlinge von der sogenannten Balkanroute in Bussen aus Bayern nach Berlin kommen. Inzwischen dürften in diesem Jahr 30.000 Flüchtlinge in Berlin gelandet sein. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil Tausende unregistriert aus Ungarn über Bayern nach Berlin kamen.

Dazu kommen Asylbewerber der vergangenen Jahre, insgesamt könnten folglich mehr als 57.000 Flüchtlinge mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus in der Stadt leben – in Heimen, Zelten, Wohnungen, Hostels, bei Verwandten.

Ebenfalls an diesem Dienstag könnte ein anderer ranghoher Ex-Polizist reaktiviert werden: In der Turnussitzung des Senats wird womöglich auch verbindlich beschlossen, Klaus Keese zum Tempelhof-Beauftragten zu machen. Keese wollte einst Polizeipräsident werden, er kennt sich mit Großlagen aus und war als Leiter der Polizeidirektion 1 für 2000 Beamte und 600 000 Anwohner zuständig.

Im Ex-Flughafen hätten bis zu 1500 Flüchtlinge Platz. Der Senat arbeitet derzeit eine Liste mit 700 möglichen Wohnobjekten durch. Bei vielen Adressen aber müsste umgebaut werden.

Am Montagabend hatten zudem Vertreter des Lageso und des landeseigenen Berliner Immobilienmanagements (BIM) das SEZ an der Landsberger Allee besucht. Im einstigen Sport- und Erholungszentrum sollen ebenfalls Asylbewerber untergebracht werden. Lageso und BIM sprachen am Montagabend mit dem Eigentümer, ein Mietvertrag soll folgen.

Auch Schulsporthallen sind, wie berichtet, zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt worden. In einer Halle in Weißensee und einer in Prenzlauer Berg findet kein Sport mehr statt. Rund 250 Plätze für Flüchtlinge stehen in diesen Hallen zur Verfügung. Bisher hatte der Regierende Bürgermeister Müller erklärt, das Lageso wolle, wenn möglich, auf Schulturnhallen verzichten. Allerdings hatte er hinzugefügt, diese Linie könne sich ändern.

Was passiert nun mit dem Sportunterricht? Gut möglich, dass weitere Hallen beschlagnahmt werden. ,,Die zuständige Schulaufsicht und der Schulträger, der Bezirk also, werden den Schulen, wenn möglich, Ausweichmöglichkeiten anbieten", sagte eine Sprecherin der Bildungssenatorin. ,,Das heißt Verdichtung der Sporthallenkapazitäten, was aber in Anbetracht der humanitären Lage alternativlos ist." Diverse Bezirke reagieren empfindlich. Katrin Schultze-Berndt (CDU) etwa, Schul-Stadträtin von Reinickendorf, erklärt: ,,Wir als Bezirk haben dem Land eine Schulturnhalle als möglichen Standort für Flüchtlinge angegeben, aber zugleich klar mitgeteilt, dass es aus unserer Sicht sehr ungünstig wäre, wenn die Halle nicht mehr zur Verfügung stünde."

Schultze-Berndt hat Sorgen, dass die Stimmung kippen könnte, wenn Unterricht wegen der Flüchtlinge ausfällen müsste. Jutta Kaddatz (CDU), Schul-Stadträtin von Tempelhof-Schöneberg, sagt: ,,Da der Bezirk eine dramatische Unterdeckung von gedeckten Sportflächen aufweist, kann keine Schule und kein Sportverein auf die Hallen verzichten." Zur Verfügung stünden derzeit ohnehin nur zwei Hallen. Und die auch nur, weil dort wegen Bodenschäden kein Sport stattfinden kann. Marzahn-Hellersdorf hat vier Objekte als potenzielle Unterkünfte genannt, allerdings keine Sporthalle. ,,Wir möchten die Unterbringung in Sporthallen möglichst lange vermeiden", sagt Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD).

Als Unterkunft für Flüchtlinge ist zudem noch ,,Riehmers Hofgarten" im Gespräch, ein Kreuzberger Areal mit 20 Wohnhäusern und 200 Wohnungen. Viele stehen seit Jahren leer. Wie viele, konnte Bezirkssprecher Sascha Langenbach nicht sagen. ,,Wir führen da keine Statistik." Die Rede ist von einem Drittel. Auch wer derzeit Eigentümer des Areals sei, konnte Langenbach nicht sagen. Dazu müsse er ins Grundbuch schauen. Dort war im Juli 2013, letzte verlässliche Information, ein Investor aufgeführt. Eigentümer sollen aber laut Langenbach ,,mehrere Investoren" sein.

Die Bezirksverordnetenversammlung in Kreuzberg will am Mittwoch über einen Antrag der Grünen abstimmen. Sie verlangen, dass leere Wohnungen beschlagnahmt werden. Juristische Basis ist das Gesetz zur Abwendung von Gefahren. ,,Erst muss geprüft werden, ob der Bezirk wirklich alles Mögliche getan hat, um bezirkseigene Unterkünfte zur Gefahrenabwehr bereitzustellen", sagt Langenbach. ,,Dazu gehören Büroräume und Turnhallen." Erst dann ,,kann man das scharfe Schwert Beschlagnahme prüfen. Da ist es aber noch nicht angefasst." Und selbst wenn die Wohnungen beschlagnahmt würden, erhielten die Eigentümer eine Entschädigung als Miete.



Aus: "Flüchtlingspolitik: Wie Berlin die Krise in den Griff bekommen will" Frank Bachner und Hannes Heine (22.09.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/fluechtlingspolitik-wie-berlin-die-krise-in-den-griff-bekommen-will/12350458.html


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Quote[...] Die arabische Sicht auf die europäische Flüchtlingskrise: Lächerliches Gezerre

Auf Unverständnis stoßen [ ] Argumente, dass "das europäische Boot voll" sei – tragen doch die Nachbarländer Syriens mit derzeit vier Millionen registrierten Flüchtlinge in dieser Krise eine Bürde, die jenseits der europäischen Vorstellungskraft liegt.

Im kleinen Libanon ist derzeit mindestens jeder vierte Bewohner ein syrischer Flüchtling. Das wären auf Deutschland umgerechnet 20 Millionen, in Österreich zwei Millionen Flüchtlinge. In der Türkei leben zwei Millionen Syrer. Und auch das kleine Jordanien hat rund 630.000 aufgenommen. Vor diesem Hintergrund nimmt sich die europäische Flüchtlingskrise für diese Staaten als Mini-Krise aus. ...

... Von der Region des Nahen Ostens aus betrachtet, ist das europäische Flüchtlingsproblem als relativ zu erachten. Und trotzdem führen die Bilder von der Hilfsbereitschaft in Deutschland und Österreich auch dazu, dass man sich kritisch dem Eigenen zuwendet.

Seit einer Woche kursiert auf arabischen Facebook-Seiten eine Fotomontage: ein an einen Strand geschwemmtes syrisches Flüchtlingskind liegt auf dem Konferenztisch der Arabischen Liga, meist mit dem Kommentar versehen: ,,Und was macht Ihr?!"

Die Hauptkritik richtet sich an die ölreichen Golfstaaten, die das Syrienproblem zwar mitverursacht haben, aber sich aus der Flüchtlingskrise nun fein raushalten und die überforderten Nachbarstaaten Syriens nicht unterstützen. Auch kursiert in den sozialen Medien im arabischen Raum ein angebliches Merkel-Zitat: "Morgen werden wir unseren Kindern erzählen, dass die syrischen Flüchtlinge zu uns gekommen sind – obwohl Mekka, das Herz des Islams, doch viel näher liegt."

Merkel hat das zwar nie gesagt, doch die neuen sozialen Medien reflektieren auch in der arabischen Welt nicht nur die Wirklichkeit, sondern sie schaffen sie auch selbst. So wurde dort jüngst auch eine Diskussion losgetreten worden, warum die Golfstaaten zwar Höhenrekorde beim Bau von glitzernden Wolkenkratzern vollbringen, jedoch nicht dazu in der Lage sind, Lager für Flüchtlinge aufzubauen.

Es bedurfte für die arabische Öffentlichkeit nicht nur der Berichte von Syriens überforderten Nachbarstaaten, sondern der Bilder von vielen helfenden Händen Europas, um die Golfstaaten jetzt mit einer "Schämt-Euch-Kampagne" zu überziehen. Noch nie standen die Golfstaaten dermaßen in der innerarabischen Kritik wie jetzt.

Und das Fazit der Außenansicht auf die europäische Flüchtlingskrise? In der EU muss man sich bewusst sein, dass man dort trotz voller Bahnhöfe und Toter am Rande einer Autobahn nur einen relativ kleinen Teil des Flüchtlingsproblems schultert. Und ja, vor allem die arabischen Golfstaaten, könnten mehr tun, um die Nachbarländer Syriens zu entlasten. Dabei geht es keinesfalls um ein "Entweder Europa oder die Golfstaaten": Diese Flüchtlingskrise ist zu groß, als dass irgendjemand sich herausnehmen könnte, nicht mit anzupacken.

Karim El-Gawhary


Aus: "Die arabische Sicht auf die europäische Flüchtlingskrise: Lächerliches Gezerre" (18.09.2015)
Quelle: https://de.qantara.de/inhalt/die-arabische-sicht-auf-die-europaeische-fluechtlingskrise-laecherliches-gezerre


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Quote[...]  Der hessische Landrat Erich Pipa von der SPD sieht sich wegen seines Engagements für Flüchtlinge Morddrohungen von Rechtsextremisten ausgesetzt. Sie gehen von der «Initiative Heimatschutz Kinzigtal» aus, wie der Verwaltungschef des Main-Kinzig-Kreises bei einer Pressekonferenz sagte, in der er am Freitag in Gelnhausen den Vorgang öffentlich machte.

In einem der Schreiben wird Pipa gedroht, dass ihn jemand aus dem Weg räumen könnte. Darin wird mit diesem Sonntag (13. September) auch gleich ein Tag genannt, an dem die Gelegenheit günstig sei. An dem Tag ist die Teilnahme des Landrates an der Freizeit- und Breitensportveranstaltung «Kinzig total» geplant. Dabei werden alljährlich Straßen für den normalen Verkehr gesperrt und für den Ausflugsverkehr mit dem Fahrrad freigegeben.

Pipa erhielt bislang ein Schreiben im Juli und eins datiert auf den 8. September. Darin wird er als «Kanaken-Landrat» und «stinkende Ratte» beschimpft. Mit einer Tötung drohen die Absender zwar nicht wörtlich. Das Landratsamt wertete die Texte aber als Morddrohung. (dpa/lhe)


Aus: "Todesdrohung gegen Landrat wegen Hilfe für Flüchtlinge" Gelnhausen (11.09.2015)
Quelle: http://www.fr-online.de/rhein-main/todesdrohung-gegen-landrat-wegen-hilfe-fuer-fluechtlinge,1472796,31784752,view,asTicker.html


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Quote[...] An Stränden der griechischen Ferieninsel Kos entdeckte die Küstenwache innerhalb von 48 Stunden die Leichen zweier Kleinkinder sowie einer Frau und eines Mannes - vermutlich alles Flüchtlinge. Zwei von ihnen hätten Schwimmwesten getragen, alle Leichname seien stark verwest, teilte die griechische Küstenwache am Montag mit.

Zuvor waren bereits an der libyschen Küste die Leichen von mindestens 95 Migranten angespült worden. Laut einem Sprecher des libyschen Roten Halbmonds wurden 85 Leichen in der Nähe der libyschen Hauptstadt Tripolis gefunden, weitere zehn in der Nähe von Sabrata. Die Stadt ist einer der Hauptausgangspunkte für Schmugglerboote nach Europa.

Laut der Internationalen Organisation für Migration sind im laufenden Jahr bereits mehr als 2600 Menschen bei der Flucht von Libyen aus über das Mittelmeer ums Leben gekommen.


Aus: "Flüchtlinge: Dutzende Leichen an Mittelmeerstränden angeschwemmt" (05.10.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-dutzende-leichen-an-mittelmeerstraenden-angeschwemmt-a-1056203.html


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Quote[...]  In zwei Flüchtlingsunterkünften ist es zu Massenschlägereien gekommen. In einem Erstaufnahmelager in Hamburg kam es laut Polizei zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Albanern und Afghanen. Etwa 60 Flüchtlinge seien in dem Lager im Stadtteil Wilhelmsburg aufeinander losgegangen. Einige seien mit Eisenstangen bewaffnet gewesen, zudem hätten Zeugen ausgesagt, dass ein Flüchtling auch eine Schusswaffe gehabt habe, sagte ein Polizeisprecher.

In den oft überfüllten Flüchtlingslagern ist es in Deutschland schon wiederholt zu Gewaltausbrüchen gekommen, so im hessischen Calden oder auf dem Leipziger Messegelände.

Fünf Flüchtlinge seien bei der Schlägerei am Dienstagabend verletzt worden, einer habe einen Stich in den Arm bekommen und sei ins Krankenhaus gebracht worden. Ob es sich um einen Messerstich handelte, war zunächst unklar. Die Polizei sei mit einem Großaufgebot vor Ort gewesen, um die streitenden Afghanen und Albaner zu trennen, sagte der Sprecher. Drei Männer wurden in Gewahrsam genommen. Schusswaffen oder Messer seien zunächst nicht gefunden worden.

Nachdem es der Polizei gelungen war, die Schlägerei zu beenden, habe kurz darauf noch ein Zelt gebrannt, sagte der Sprecher. Zwei Personen seien dabei durch Rauch verletzt worden. Ob es einen Zusammenhang mit der Schlägerei zuvor gab, war zunächst unklar. Es habe dort nach Drogen gerochen, sagte der Polizeisprecher. Vorausgegangen war offenbar ein erster Streit am Nachmittag, wie der Polizeisprecher sagte. Die Polizei sei auch da bereits eingeschritten. Am Abend sei der Streit dann wieder aufgeflammt. Worum es genau ging, war laut Polizei zunächst unklar. Am späteren Abend habe sich die Lage dann beruhigt, Polizei sei jedoch weiter vor Ort.

In der Landesaufnahmebehörde des Landes Niedersachsen in Braunschweig ist es ebenfalls zu einer Auseinandersetzung gekommen. Etwa 300 bis 400 Flüchtlinge zweier Nationalitäten waren nach Polizeiangaben beteiligt. Der Streit brach demnach zwischen Algeriern und Syrern wegen gestohlener Gegenstände aus. Verletzte gab es keine. Nach anderthalb Stunden konnte die Polizei mit rund 60 Beamten die Situation beruhigen. Ein Mann wurde festgenommen, der am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt werden soll.



Aus: "Flüchtlinge: Massenschlägereien in Erstaufnahmelager" (6. Oktober 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-10/fluechtlinge-hamburg-massenschlaegerei

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-10/fluechtlinge-hamburg-massenschlaegerei#comments

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Quote[...] Nach Ansicht von Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts, ist die Flüchtlingskrise nur durch radikale Sozialreformen in Deutschland zu bewältigen. "Wir sollten den Flüchtlingsstrom zum Anlass für eine neue Agenda 2010 nehmen", sagte Sinn der ZEIT. Konkret fordert er, den Mindestlohn abzuschaffen, weil nur so genug Jobs für Flüchtlinge entstünden, die zu einem großen Teil nur über eine niedrige Qualifikation verfügten. ...

Quoteältere leseratte
#6  —  vor 5 Minuten 2

Wie wäre es, einmal über ganz anderes nachzudenken?
Über die Begrenzung von 'Höchstlöhnen', vor allem bei vergleichsweise leistungslosem Einkommen? ...


...


Aus: "Flüchtlingskrise: Sinn will Mindestlohn abschaffen" (7. Oktober 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-10/fluechtlingskrise-hans-werner-sinn-mindestlohn-sozialreform

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Quote[...] Am Montag übernahm es CDU-Generalsekretär Peter Tauber, die abwesende Kanzlerin zu verteidigen. ,,Unser Kurs ist klar: Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, EU-Außengrenzen sichern und diejenigen zügig abschieben, die keinen Anspruch auf Asyl haben", sagte Tauber der taz. Das mache die CDU, damit sie denen helfen könne, die wirklich Schutz bräuchten. Er fügte hinzu: ,,Ich bin überzeugt, dass dieser Kurs auch von CSU und SPD mitgetragen wird."

Taubers Satz darf man getrost als Ordnungsruf in Merkels Auftrag interpretieren. Während CSU-Chef Horst Seehofer schon länger fordert, die Zuwanderung hart zu begrenzen, äußerten am Wochenende erstmals führende Sozialdemokraten Zweifel. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, man nähere sich rasant ,,den Grenzen unserer Möglichkeiten", andere Spitzengenossen assistierten. Merkel steht also plötzlich ganz links in der Regierung. Und sie steckt in der Klemme.

Denn die Situation wird sich zuspitzen, davon muss man im Moment ausgehen: Die Zuwandererzahlen werden hoch bleiben, auch wenn die 1,5 Millionen Menschen, die die Bild-Zeitung unter Berufung auf ominöse Geheimakten für das Jahr 2015 vorhersagte, wohl zu hoch gegriffen sind. Die CSU wird ihre Rhetorik radikalisieren, wissend, dass die Skepsis längst auch in Merkels CDU regiert. Und die Sozialdemokraten sind offenbar fest entschlossen, Ängste in der Bevölkerung ebenfalls aufzugreifen.

Allerdings ist Merkel in dieser Gemengelage nicht allein. Hinter ihr stehen zwei wichtige Verbündete, und damit sind nicht Getreue wie Fraktionschef Volker Kauder, Kanzleramtschef Peter Altmaier oder Generalsekretär Tauber gemeint. Nein, der erste Verbündete ist das Grundgesetz. Die Kanzlerin bezieht sich in ihren Interviews auf Artikel 16a der Verfassung, in dem festgeschrieben ist, dass politisch Verfolgte Asyl genießen. Jenes Grundrecht wurde unter Helmut Kohl 1993 eingeschränkt, wer aus einem EU-Land oder einem sicheren Drittstaat einreist, kann sich seitdem nicht mehr darauf berufen. Merkels Union will jetzt gemeinsam mit der SPD und den Grünen das Asylrecht weiter verschärfen.

Merkels Haltung wirkt angesichts des dumpfen CSU-Populismus progressiv, sie ist es aber nicht wirklich. Die Kanzlerin hält nur den Mindeststandard hoch, den der Staat Verfolgten sowieso gewähren muss. Bei Armutsflüchtlingen aus dem Westbalkan oder von anderswoher kennt sie kein Pardon. Bisher hat kein Spitzenpolitiker vorgeschlagen, dieses Grundrecht auf Asyl ernsthaft anzutasten – wenn man vom CSU-Dampfplauderer Markus Söder mal absieht. Denn die rechtlichen und politischen Hürden wären enorm. Spitzenleute von CSU und SPD setzen sich also rhetorisch von Merkel ab, aber der Dissens ist kleiner, als es scheint.

Merkels zweite Verbündete ist sie selbst, oder präziser: ihre Alternativlosigkeit. Viel spricht dafür, dass sie 2017 wieder als CDU-Spitzenkandidatin antreten wird. Ebenso viel spricht dafür, dass sie erneut Kanzlerin wird, zumindest ist kein aussichtsreicher SPD-Gegner in Sicht. Das ist allen in der Union klar, auch dem CSU-Chef. Die Machtlogik aber schlägt in der Union traditionell inhaltliche Bedenken. Merkel ist also durch das Flüchtlingsthema nicht so geschwächt, wie es scheint.


Aus: "Merkels Flüchtlingspolitik: Um die Kanzlerin wird es einsam" Ulrich Schulte (05.10.2015)
Quelle: https://www.taz.de/Merkels-Fluechtlingspolitik/!5237417/

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Quote[...] ,,Würdelos" nennt ein Flüchtling die Stadt, in der er untergekommen ist: Sie sei ein ,,Schauhaus des Easygoing". Und ein anderer schreibt: ,,Wo ich bin, ist Afghanistan. Ich trage meine afghanische Kultur in mir." Man darf sich nichts vormachen: Solche Äußerungen sprechen nicht für den Willen zur Integration, sondern deuten auf künftige Probleme hin, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen einhergehen.

Das erste Zitat stammt übrigens von Bertolt Brecht, dem es in seinem Exil in Hollywood in Kalifornien nicht gefiel, das zweite ist leicht abgewandelt und vom Schriftsteller Thomas Mann. Der hatte seine Heimatliebe selbstverständlich nicht mit einem Bekenntnis zu dem weit entfernten und ihm unbekannten Afghanistan, sondern zu Deutschland ausgedrückt.

Niemand hat daraus seinerzeit den Schluss gezogen, er habe das Recht auf Flucht vor dem nationalsozialistischen Regime verwirkt. Und das, obwohl er sich Taxifahrten leisten konnte und – so weit bekannt – sogar eigenmächtig über seinen Speiseplan entschied. Der konnte sich was rausnehmen! Und es gibt die USA trotzdem immer noch.

Genug des Sarkasmus. Es ist verführerisch, sich über die platten, populistischen Argumente von Unionspolitikern lustig zu machen, mit denen derzeit Stimmung gegen Flüchtlinge – und somit auch gegen die allzu lange unangreifbar scheinende Parteifeindin Angela Merkel – gemacht wird. Verführerisch ja, aber es führt nicht recht weiter.

Denn nichts von alledem, was in diesen Tagen geschieht und was gesagt wird, ist überraschend. Es war abzusehen, dass die Tage der Kuscheltiere zu Ende gehen würden, es war abzusehen, dass es bald die ersten Probleme geben würde. Ist irgend jemand wirklich überrascht, wenn Schlägereien unter frustrierten jungen Männern ausbrechen, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind? Nein, niemand ist davon überrascht. ...

Bei der Flüchtlingsdebatte geht es längst nicht mehr um die Flüchtlinge. Es geht, unter anderem, um Diadochenkämpfe innerhalb der Union: Wer bringt sich für die Nachfolge der Kanzlerin am besten in Stellung? Und es geht um eine verzweifelte SPD, die – wieder einmal – nicht weiß, wie sie ihre politischen Grundsätze möglichst geschmeidig an die jeweilige Stimmung anpassen kann und darf. Und es geht, wie immer, auch um Medien.

Die Medien können dieselbe Geschichte stets nur über einen begrenzt langen Zeitraum hinweg erzählen. Dann muss etwas Neues kommen. Wenn dann lange genug Freude verbreitet wurde, dann muss irgendwann Schrecken verbreitet werden. So ist halt das Geschäft. ...

QuoteVelofisch
Montag, 17:59

Die Flüchtlinge hier werden nicht nur mit dem gerade nötigsten versorgt, quälen sich durch Ämter, die völlig überfordert von der Anzahl der Menschen sind, werden schikaniert durch Maßnahmen, die eingeführt wurden um Flüchtlinge abzuschrecken.
Nein, selbst wenn hier alles optimal ablaufen würde, sind die Flüchtlinge einer anderen Kultur, einer anderen Sprache und einem anderen Klima ausgesetzt. Das sind Menschen, denen meistens "Heimat" und "Familie" mehr bedeutet als den meisten Deutschen und die neben der Traumatisierung durch Krieg und Verfolgung zusätzlich durch das Exil - dem Verlust ihrer Heimat - entwurzelt sind.
Ein Flüchtling, der gerettet wird, ist sicher dankbar. Ein Flüchtling, der jedoch monate- oder gar jahrelang in überfüllten Massenunterkünften leben muss, entwickelt andere Gefühle.


QuoteUrmel
Montag, 10:28

Zum letzten Absatz Ihres Artikels möchte ich jedoch anmerken, dass diese Haltung der Bevölkerung nicht durch eklante Fehler der deutschen Regierung unterminiert werden sollte. Und da hat Frau Merkel vor vier Wochen ein besonders erschreckendes Beispiel abgeliefert:

Unter Mißachtung der derzeit geltenden europäischen und deutschen Rechtslage und zudem offensichtlich ohne jegliche Abstimmung mit den Regierungen der anderen EU-Staaten hat sie bei Flüchtlingen aus aller Welt die Botschaft vermittelt, dass Deutschland eine Aufnahme zahlenmäßig unbegrenzt zusagen könne. Später hat sie diese Aussage zwar minimal revidiert, aber "der Geist war aus der Flasche".

Das besonders Verwerfenswerte an dieser Vorgenhensweise habe ich in den letzten Wochen in mehreren Debatten in Frankreich demonstriert bekommen: Heftig kritisiert wurde dort nicht Merkels Entscheidung an sich, sondern der Fakt, dass sie diese ohne die Konsultation anderer Regierungen getroffen. Angesichts dieser Ausgangslage wurde die nun von der deutschen Regierung von anderen Staaten eingeforderte Solidarität schlichtweg als "Dreisigkeit" tituliert.

So bekam ich zum Beispiel zu hören, dass es im Deutschen ja den schönen Satz gäbe: "Wer bestellt, bezahlt". "Bestellt" hat eindeutig nur Frau Merkel. Falls sie jemals Wert auf die Solidarität aller Europäer Wert gelegt haben sollte: Damit hat sie diesem Unterfangen einen wahren Bärendienst erwiesen.


Quotemecker-rv
Montag, 12:57

Die deutsche Bundesregierung war unsolidarisch, als sie Dublin durchgesetzt hat - um zu verhindern, dass Flüchtlinge über die "Grenzstaaten" am Mittelmeer hinaus gelangen kann. Sinn des Dublin-Abkommens war einzig und allein, Deutschland und einige weitere "EU-Binnenstaaten" davor zu schützen, Solidarität zu üben und die "Frontstaaten" durch Übernahme einiger Flüchtlingskontingente zu entlasten.
Da Dublin aber in erster Linie deutschen Interessen diente, spricht nichts dagegen, wenn Deutschland es auch wieder aufkündigt. Etwas Vorwarnzeit wäre natürlich hübsch gewesen, aber angesichts des Chaos in der deutschen Flüchtlingspolitik zwischen teurer Abschreckung, abgebauten Kapazitäten und hilfsbereiter Bevölkerung kaum realistisch...


...


Aus: "Kommentar Asyldebatte: Flüchtlinge in der Nebenrolle" Bettina Gaus (05.10.2015)
Quelle: https://www.taz.de/Kommentar-Asyldebatte/!5234992/

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#197
Quote[...] Von Flüchtlingsorganisationen wurden die Vereinbarungen zur Verschärfung des Asylrechts, die Bund und Länder in der letzten Woche auf einem gemeinsamen Gipfel beschlossen, scharf kritisiert – dem Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) gehen sie offenbar nicht weit genug: Wie jetzt bekannt wurde, hatte die Justizverwaltung schon im Vorfeld dieses Gipfels einen eigenen, 20-seitigen Maßnahmenkatalog erarbeitet, dessen Vorschläge zum Teil weit über das hinausgehen, was auf dem Gipfel verabredet wurde. Der Katalog, der der taz in Auszügen vorliegt, war Teil einer Stellungnahme, die die Senatskanzlei im Vorfeld der Länderkonferenz von den Verwaltungen eingefordert hatte.

Dieser ,,Maßnahmenkatalog für vereinfachtes Asylverfahrensrecht" soll laut Justizverwaltung ,,praktische Probleme lösen sowie deutlich machen, dass Deutschland bedrohte Flüchtlinge nicht nur aufnimmt, sondern gut behandelt und gleichzeitig Menschen ohne berechtigte Asyl-Gründe schnell, aber fair zurückweist". Vorgeschlagen wird unter anderem, das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten auf alle Abschiebehinderungsgründe auszuweiten, also etwa pauschal festzulegen, ob in einem bestimmten Staat eine ausreichende gesundheitliche Versorgung gewährleistet ist. Einzelfallentscheidungen darüber, ob einem Asylbewerber mit gesundheitlichen Problemen die Abschiebung in sein Heimatland zuzumuten ist, gäbe es dann nicht mehr.

Die Senatsverwaltung schlägt außerdem vor, dass Rechtsstreitigkeiten über Asylfragen von der Abschiebung bis zum Asylbewerberleistungsgesetz künftig immer vor den Verwaltungsgerichten geklärt werden sollen statt wie bisher von verschiedenen Gerichten.

Besonders brisant ist der Vorschlag, dass abgelehnte Asylbewerber, die ,,vollziehbar ausreisepflichtig" sind, keinerlei Leistungen mehr erhalten sollen – der Bund-Länder-Gipfel hatte hier eine Kürzung beschlossen. ,,Vorsichtshalber könnte man das mit einer Grundgesetz-Ergänzung absichern", steht als Vermerk zu diesem Vorschlag in dem Maßnahmenkatalog. Abschließend fordert die Verwaltung die ,,zentrale Unterbringung von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten, am sinnvollsten in großen Bundeswehrstandorten".

Was genau nun nach dem Gipfel mit den Vorschlägen passiert, ist laut Senatssprecherin Daniela Augenstein bisher noch nicht klar. ,,Grundsätzlich geht die Diskussion natürlich auch nach der Ministerpräsidentenkonferenz weiter", sagte sie am Montag. Gleichwohl müssten aber alle Vorschläge mit allen Senatsverwaltungen abgestimmt werden – insbesondere die Einschätzung der für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge zuständige Senatsverwaltung für Soziales sei hier wichtig. Für eine kurzfristige Stellungnahme war diese am Montag jedoch nicht zu erreichen.


Aus: "Flüchtlingspolitik: Heilmann gibt den Harten" Malene Gürgen (28.09.2015)
Quelle: http://www.taz.de/!5233206/

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Quote[...]  Das Gesetzespaket sieht an vielen Stellen eine Verschärfung des Asylrechts vor. Albanien, das Kosovo und Montenegro sollen als weitere "sichere Herkunftsstaaten" eingestuft werden, um Asylbewerber von dort schneller abzuweisen. Für bestimmte Flüchtlingsgruppen sind deutliche Verschärfungen vorgesehen, für andere dagegen bessere Integrationsangebote. Die Kanzlerin betonte, so wichtig die geplanten Änderungen auch seien, zur Lösung der Flüchtlingskrise reichten die Schritte nicht aus. "Dafür braucht es mehr." Weitere Gesetzesänderungen müssten folgen.

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht warf der Bundesregierung "eklatantes Staatsversagen" in der Flüchtlingskrise vor. Nicht erst seit der hohen Zahl von Flüchtlingen fehle es an Wohnraum und an Lehrern in Deutschland, sagte Wagenknecht. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt rief die Union auf, die Flüchtlingskrise beherzter anzugehen. Es wundere sie, dass die Union ausgerechnet jetzt "in eine Identitätskrise gerät". SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann lehnte die von der Union geforderten Transitzonen für Asylbewerber direkt an den Landesgrenzen ab. "Wir wollen auch bessere Kontrollen an der Grenze", sagte Oppermann. "Aber Grenzhaftlager für Tausende von Flüchtlingen, das wird mit uns nicht zu machen sein."

Im bayerischen Landtag hatte CSU-Chef Horst Seehofer zur gleichen Zeit eine Regierungserklärung zum Thema abgegeben. Der bayerische Ministerpräsident mahnte, die derzeitige Krise sei nur mit einer Begrenzung der Zuwanderung zu meistern. "Sonst werden wir hier in Europa grandios scheitern", sagte Seehofer. Wenn die Politik keine Grenze setze, "dann werden uns die Bürger die Grenzen setzen, mit dem Entzug ihres Vertrauens", mahnte Seehofer.

Landräte in Bayern fragten sich, ob es noch Sinn mache, sich in diesem System zu beteiligen, sagte Seehofer. "Sie können sehr genau vorrechnen, wie viele Turnhallen sie noch haben." Die Kapazitäten seien endlich – und bereits im Laufe dieses Jahres erschöpft.

Die Alarmsignale der Kommunalpolitiker müssten in Berlin endlich gehört werden, sagte Seehofer. In der derzeitigen Flüchtlingskrise gelte "kein Vertrag, kein Gesetz". Dennoch: Die Kommunen würden weitermachen, zum Wohle der Menschen und deren Gesundheit.

Von Merkel verlangte er ein klares Stopp-Signal und eine Rückkehr zu den Dublin-Regeln. Flüchtlinge, die aus einem anderen EU-Land einreisen, dürften demnach eigentlich an den Grenzen abgewiesen und wieder dorthin zurückgeschickt werden. Das wird derzeit nicht gemacht. Die Dublin-Regelung sei notwendig und sinnvoll, sagte Seehofer und forderte, zur Ordnung zurückzukehren.


Aus: "Flüchtlinge: Bundestag verschärft Asylrecht" (15. Oktober 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/angela-merkel-fluechtlinge-horst-seehofer-regierungserklaerung

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/angela-merkel-fluechtlinge-horst-seehofer-regierungserklaerung#comments

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Quote[...]  Warum stimmen Grüne den Asylverschärfungen zu? Schleswig-Holsteins Vizeregierungschef spricht über veraltete Parteibeschlüsse und humanen Pragmatismus. Interview: Lisa Caspari

ZEIT ONLINE: Herr Habeck, hat die Flüchtlingskrise die Grünen verändert?

Robert Habeck: Sie hat alle Parteien verändert. Auch uns. Die Realität zwingt alle handelnden Parteien permanent, ihre Beschlüsse zu überprüfen. Ich habe früher oft genug gefordert, keine Flüchtlinge in Zelten unterzubringen. Die schiere Not zwingt uns längst dazu. Wir haben immer gesagt, dass wir Flüchtlinge dezentral unterbringen wollen, nicht in großen Sammelunterkünften. Auch das ist längst von der Wirklichkeit überholt, weil wir in kürzester Zeit Wohnraum für viele Tausend Menschen schaffen müssen. Wir erleben also eine Situation, in der Realität und Grundüberzeugungen mitunter heftig aufeinanderprallen, erst recht, wenn man in Regierungsverantwortung steht und sich nicht rauswinden kann. Im Privaten erlebe ich ebenfalls, wie kulturelle Barrieren auch die eigene Toleranz auf die Probe stellen ...

ZEIT ONLINE: Welche kulturellen Barrieren stellen Sie fest?

Habeck: Ein Beispiel: Ich habe eine syrische Frau kennengelernt, die schwere Schnittverletzungen am Bein hatte, weil sie mit ihrem Baby auf dem Arm in den ungarischen Stacheldrahtzaun gefallen war. Es war Freitagnacht, und ich wollte einen befreundeten Arzt anrufen. Aber sie wollte und durfte sich nicht von einem Mann untersuchen lassen. Ich fand das falsch, ja, ich habe gemerkt, dass ich irgendwie gekränkt war, dass meine Hilfsbereitschaft zurückgewiesen wurde. Solche Barrieren meine ich. Sie macht es so, wie sie es richtig findet, und wir so, wie wir es richtig finden. Und das klappt nicht auf Anhieb. Es gibt einen Freiraum, der nicht von Gesetzen geregelt ist, sondern von Menschen.

ZEIT ONLINE: Bundespräsident Joachim Gauck formuliert es so: "Es soll nun zusammenwachsen, was bisher nicht zusammengehörte." Wer muss denn auf wen zugehen?

Habeck: Weder ist Multi-Kulti eine sich selbst erfüllende Prophezeiung noch ist Deutschland ein idyllischer Ponyhof. Alle, auch die Flüchtlinge, müssen lernen, mit Enttäuschungen klarzukommen. Der Satz des Bundespräsidenten ist irgendwie richtig, sagt aber im Grunde nichts aus. Jeden Tag, jede Stunde geht es um ganz praktische Probleme. Wie schaffen wir Wohnraum? Wer darf Deutschkurse geben? Alle oder nur Fremdsprachenlehrer? Und wenn Sport so gut für die Integration ist, wie kriegen wir die Turnhallen wieder frei? In meinem Heimatort Flensburg, wo jeden Tag 1.000 Flüchtlinge nach Schweden durchreisen, lautet die Frage: Wer macht die Toiletten am Bahnhof sauber?

ZEIT ONLINE:  Und wer macht es?

Habeck: Erst haben es die Freiwilligen gemacht, dann wurde mit der Bahn gesprochen und nach langem Hin und Her hat es die Stadt übernommen. Das ist geradezu paradigmatisch. Nicht nur die Grünen sehen sich in ihren Grundüberzeugungen herausgefordert. Die Polizei, Zugbegleiter, die Helfer des Roten Kreuzes ... Kaum einer macht mehr Dienst nach Vorschrift. Das ist einerseits großartig, andererseits führt es uns alle eben immer wieder ans Limit.

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ejosch
#16  —  vor 3 Stunden
7

Ich hab die Aussage von Frau Roth noch im Ohr: "Nicht alle Flüchtlinge sind verwertbar" und "Wir brauchen die Flüchtlinge, damit wir UNSEREN Lebensstandard halten können."

Wenn ich es mal zynisch formulieren darf:
Früher sind die Sklavenhändler wenigstens noch nach Afrika gefahren und haben die Menschen abgeholt und in die Sklaverei verschleppt. Die Länder blieben heil und die, die nicht gefangen wurden konnten weiter leben.
Heute werden die Länder zuerst bombardiert, alles wird zerstört, Chaos angerichtet. Dann wird den Ländern Hilfe verwehrt, die die Flüchtlinge als erstes Aufnehmen (von Pakistan bis Italien). Die Menschen werden gezwungen weiter zu ziehen, auf Wegen, die oft zur Todesfälle werden.
Und zu guter Letzt müssen sie unsere Probleme lösen und dabei frieren und hungern.

Nach den, von Grünen mit beschlossenen Kriegseinsetzen, sind sie für mich unwählbar geworden und jetzt ekele ich mich vor dieser Partei.


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Srinivasa Aiyangar
#17  —  vor 3 Stunden
9

Zu meiner Zeit nannte man das, was die Grünen gerade erleben, "Die normative Kraft des Faktischen".


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Gucken und Staunen
#29  —  vor 2 Stunden
2

"Die Flüchtlingskrise hat die Grünen verändert"

Nicht erst seit der Flüchtlingskrise ist diese Partei "verändert". Ich bezeichne es eher als verwirrt.
Schon das Kriegsgeflüster in der Ukrainekrise hat mich als ehemaligen Wähler dieser Partei abgeschreckt. Wenn man dann noch schaut, wer von den Damen und Herren in der Atlantikbrücke sitzen, verliert man gänzlich die Lust an "grünen" Ideen. ...


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Coolgarden
#39  —  vor 1 Stunde

Grundrechte, Kriege und jetzt auch Flüchtlinge. Wenn es Ernst wird, ist immer immer Verlass auf die Grüne Prinzipienteue.


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Aus: "Robert Habeck: "Die Flüchtlingskrise hat die Grünen verändert"" (16. Oktober 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/gruene-robert-habeck-fluechtlinge-asylpaket

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Quote[...] Boris Palmer, · 16. Oktober um 07:29 ·
Wir schaffen das nicht - Über eine Million Flüchtlinge in einem Jahr kann man noch reden. Das wirft auch schon nahezu jede Planung um und produziert Notlösungen von Tag zu Tag. Über 10.000 Flüchtlinge pro Tag kann man nicht mehr reden. Wenn das anhielte, kämen in den nächsten zwölf Monaten 3,65 Mio Menschen nach Deutschland. Es tut mir leid das schaffen wir nicht. Die Politik muss handeln, sonst implodiert unser Aufnahmesystem und der soziale Frieden im Land.


'Kein Mensch ist illegal' war lange ein Grünen-Leitspruch, man will sich gegen die Abschottungspolitik stellen und Wärme demonstrieren bei all der kalten Ablehnung. Der Palmer-Post wirkt vor diesem Hintergrund ungefähr so fehl am Platz, als würden die Grünen eine Pflicht auf Genfood-Konsum fordern.

Allerdings ist Palmer, der seit fast neun Jahren die Universitätsstadt in Baden-Württemberg regiert, überzeugt, dass viele grüne Grundüberzeugungen längst von der Realität überholt wurden.

Eine Million Flüchtlinge aufnehmen, sei "extrem ambitioniert", aber machbar, sagt Palmer SPIEGEL ONLINE. "Wenn aber weiterhin jeden Tag 10.000 Flüchtlinge zu uns kommen, reicht das gerade verabschiedete Asylpaket hinten und vorne nicht aus. Dieses Versäumnis wird die Kommunen in zwölf bis 18 Monaten mit voller Wucht treffen."

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Aus: "Flüchtlingspolitik: Grüner Palmer auf Linie - mit der CSU" Annett Meiritz (21.10.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gruene-boris-palmer-will-fluechtlingszahlen-begrenzen-a-1058657.html

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Von: Sven-Christian Kindler MdB
Gesendet: Donnerstag, 15. Oktober 2015 14:39
An: Sven-Christian Kindler MdB
Betreff: Warum wir das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz abgelehnt haben



Im Bundestag habe ich heute, gemeinsam mit Volker Beck, Peter Meiwald, Monika Lazar, Julia Verlinden, Jürgen Trittin, Corinna Rüffer und Stephan Kühn gegen das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz gestimmt (Drucksache 18/6185 - http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/061/1806185.pdf). Wir erklären zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages:

[PDF: http://www.sven-kindler.de/sites/default/files/151015_pe_asylverfahrensbeschleunigungsgesetz_0.pdf ]

Immer mehr Menschen verlassen weltweit aus größter Not ihre Heimat und flüchten. Sie fliehen vor Gewalt, Terror, Krieg und Verfolgung. Den Menschen, die nach Europa und Deutschland fliehen, wollen wir mit offenen Armen begegnen. Sie haben ein Recht auf Schutz und ein menschenwürdiges Leben.

Wir sind einerseits erschüttert über die gewalttätigen Übergriffe auf Geflüchtete in Deutschland. Immer wieder brennen geplante oder bereits bewohnte Flüchtlingsunterkünfte. Bereits jetzt gab es dieses Jahr über 500 Angriffe auf Unterkünfte. Andererseits freuen wir uns über die große Willkommenskultur, die wir auf Bahnhöfen, in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den Städten und Gemeinden erleben. Viele zehntausend Menschen leisten tagtäglich ehrenamtlich unglaublich viel für eine gelebte Willkommenskultur in Deutschland. Sie zeigen immer und immer wieder aufs Neue ihre Solidarität mit den Geflüchteten. Diesen Menschen gilt unser Dank und unsere Anerkennung. Es wäre jetzt Aufgabe der Bundesregierung sich dieser Hilfsbereitschaft mit deutlichen Verbesserungen im Asylrecht anzuschließen.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht verstetigen, und auf andere Bereiche ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten unter engen Voraussetzungen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten können. Dies ist allerdings mit seinen Einschränkungen alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist.

Dem stehen die härtesten Asylrechtsverschärfungen seit 20 Jahren gegenüber. Diese Verschärfungen lehnen wir ab. Wir wollen sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht durch Beschluss dem Bundesrat zur Annahme vorlegen. Wir hatten auf ihren Inhalt im parlamentarischen Verfahren keinerlei Einfluss. Die Verantwortung für diese zum Teil verfassungs- und europarechtswidrigen Verschärfungen des Flüchtlingsrechts trägt allein die Koalitionsmehrheit, die sie zum Preis für die dringend notwendige Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme erklärt hat. Der Gesetzesentwurf geht bei den Verschärfungen sogar über die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz hinaus.

Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist eine Mogelpackung. Es enthält zahlreiche Abschreckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich geweigert, eine Regelung zu pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat die Grüne Forderung nach einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2a AsylVfG zurückgewiesen.

Stattdessen werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI* und Journalist*innen in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen. Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist.

Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts. Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz haben in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung gerügt, dieser missachte insoweit die Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie).

Neben die bisherigen Beschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten mit diesem Gesetzentwurf nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen.

Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu 6 Monaten integrations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus den Erstaufnahmeeinrichtungen verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlinge mit sogenannter "guter Bleibeperspektive".

Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen geht die Residenzpflicht, ein absolutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie z.B. Zigaretten oder Fahrkarten (so dass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet). Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil.

Wir haben uns immer für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes eingesetzt. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket wird das Asylbewerberleistungsgesetz massiv verschärft. Verfassungswidrig ist die Herabsenkung von Leistungen unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums durch die pauschale Leistungsanspruchseinschränkung für bestimmte Gruppen. Das kann mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang gebracht werden. Aus der Menschenwürde folgt nämlich, dass das einheitliche, das physische und soziokulturelle Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit zu gewährleisten ist. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar.

Eine bundesweite Gesundheitskarte wird es durch diesen Gesetzentwurf auch künftig nicht geben. Wie bisher dürfen die Länder sie ausstellen, sie muss aber fortan den Vermerk enthalten, dass sie nur zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz berechtigt. Damit wird das erfolgreiche Modell von Bremen, Hamburg und NRW in Frage gestellt. Geflüchtete bleiben Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben.

Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und dadurch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht verwehrt zu werden.

Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrationskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt.

Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden. Solange die Berufung in Asylsachen so selten zugelassen wird, solange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht herausbilden können.

Selbst wenn die geringen Spielräume, die den Ländern noch bleiben, von Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung genutzt werden: In Ländern wie Bayern und Sachsen wird keine Regelung zu Gunsten der Geflüchteten ausgelegt.

Trotz der lange überfälligen finanziellen Zusagen für Länder und Kommunen können wir in der Summe angesichts dieser massiven Verschlechterungen und Asylrechtseinschränkungen für Geflüchtete nur zu dem Schluss kommen dieses Gesetz abzulehnen.

Berlin, 15.10.15

Volker Beck MdB, Sven-Christian Kindler MdB, Peter Meiwald MdB, Monika Lazar MdB, Julia Verlinden MdB, Jürgen Trittin MdB, Corinna Rüffer MdB & Stephan Kühn MdB.


Quelle: http://www.asyl.org/mailman/listinfo/liste


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Quote16.10.2015 - Anstatt Willkommen für alle Flüchtlinge: Asylbeschleunigung, Abschiebung und selektive Integration

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein ist mit Blick auf das sogenannte Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes sehr besorgt. Wider besseres Wissen hat der Bundesrat am 16.10.2015 das Gesetz abgenickt. Mit seinem Inkrafttreten, geplant am 1.11.2015, gehen eine ganze Reihe von Restriktionen einher, die sowohl verfassungsrechtlich bedenklich sind, als auch die die Ziele des schleswig-holsteinischen Flüchtlingspaktes aus Mai 2015 erheblich desavouieren.

Das von Migrations- und Integrationsexperten, Verbänden, der Wirtschaft sowie MigrantInnen- und Menschenrechtsorganisationen als untauglich abgelehnte Gesetz ist allerdings in großer Bund-Länder-Einigkeit beschlossen worden. Das Opens external link in new windowGesetz setzt auf ein Potpouri aus Asylbeschleunigung, sozialem Aushungern, Abschiebung und selektiver Integration für Wenige.

    So wird die maximale Unterbringungsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen – einhergend mit einem Arbeitsverbot – von drei auf sechs Monate verlängert.
    Flüchtlinge vom Balkan – unter ihnen mehrheitlich von regelmäßiger ordnungsbehördlicher Gewalt und  schwerer Diskriminierung betroffene Angehörige ethnischer Minderheiten – und aus anderen als "sicher" dekretierten Herkunftsländern sollen die Erstaufnahmeeinrichtungen, die ihnen damit zu Ausreisezentren werden, gar nicht mehr verlassen dürfen.
    Abschiebungen sollen zukünftig grundsätzlich für die Betroffenen überraschend vollstreckt werden - Abschiebungstermine sollen den Flüchtlingen nicht mehr mitgeteilt werden.
    Flüchtlinge, die in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften untergebracht sind, können wieder mit Sachleistungen abgespeist werden. Anders als bisher dürfen die Behörden den Asylsuchenden dabei auch jegliches Bargeld (das "Taschengeld") für ihren persönlichen und soziokulturellen Bedarf (Telefon, Fahrgeld, Anwalt usw.) vollständig und dauerhaft entziehen. Verpflichtend ist dies für die Mehrheit der Flüchtlinge mit Duldung, aber auch für solche, die bereits in anderen EU-Staaten anerkannt worden sind. Dieser Eingriff in die Sozialleistungen ist verfassungswidrig: Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 klargestellt, dass das die Menschenwürde unteilbar ist: das soziokulturelle, menschenwürdige Existenzminimum gilt für alle und muss daher bar ausbezahlt werden.
    Zugang zu Sprachkursen und arbeitsmarktlicher Integrationsförderung für alle Flüchtlinge ist nach dem Gesetz ausgeschlossen. Nur eine kleine Auswahl von Asylsuchenden - bis dato werden die Staaten Syrien, Eritrea, Iran und Irak benannt - sollen sprachliche und andere Integrationsförderangebote erhalten, weil ihnen pauschal eine ,,gute Bleibeperspektive" zugeschrieben wird.

Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz trägt nicht zur Lösung der aktuellen Probleme bzgl. Flüchtlingszuwanderung, Aufnahme, Verfahrensablauf oder fehlendem burdon sharing bei. Stattdessen setzt es einseitig auf Abschreckung, betreibt mittelbar die Förderung von Flüchtlingsfeindlichkeit, zielt auf gruppenspezifische Asylverweigerung und verstößt sowohl mit Blick auf das geplante Aushungern der Betroffenen wie auch auf die pauschale herkunftsbezogene Sicherheitsbehauptung gegen das Grundgesetz.

Darüber hinaus konterkariert das Gesetz die seit Jahren bundesweit erfolgreich und auch in Schleswig-Holstein im Zuge heterogener Bleiberechts- und Integrationsnetzwerke etablierte Förderstruktur.

Auch ist zu befürchten, dass den Migrationssozialberatungsstellen hierzulande und anderen Migrationsfachdiensten sowie den Sprachkursträgern im Zuge dieses Gesetzes die Selektion und Abweisung der künftig wohl nicht mehr Förderungswürdigen mit unterstellter ,,schlechter Bleibeperspektive" zugeschoben und anverantwortet wird.

Alles in allem bedeuten bisher bekannt gewordene Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels in Tateinheit mit dem am Freitag im Bundesrat beschlossenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz den flüchtlingspolitischen roll back in überwunden gehoffte Zeiten, in denen sich Flüchtlingspolitik und -verwaltung vor allem in Abschreckung, Ausgrenzung und Abschiebung genügt hat. Neu - doch nicht minder problematisch - ist das Momement selektiver Chancenvergabe auf Grundlage unterstellter "guter Bleibeperspektive" für Wenige.

Mit Besorgnis beobachtet der Flüchtlingsrat darüber hinaus, wie mittels pauschaler Hetze gegen Flüchtlinge – von einigen Bundesministern, Landeschefs, Abgeordneten und Medien schon fast kampagnenhaft und quasi als populistische Begleitmusik zur flüchtlingspolitischen Faktensetzung betrieben – die Verunglimpfung von Motivation und Glaubwürdigkeit der hierzulande Asyl und Schutz suchenden Menschen inszeniert wird. Vor diesem Hintergrund überraschen der jüngste Brandanschlag auf ein für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenes Gebäude in Flensburg und bundesweit seit Jahresbeginn über 500 flüchtlingsfeindliche Gewalttaten kaum.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. ist enttäuscht, dass die Kieler Landesregierung nicht dem guten Beispiel Niedersachsens gefolgt ist, das sich bei der Abstimmung über das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz im Bundesrat enthalten hat.


Aus: "Asylbeschleunigung, Abschiebung und selektive Integration" (16.10.2015)
Quelle: http://www.frsh.de/artikel/asylbeschleunigung-abschiebung-und-selektive-integration/


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Quote[...]  Es ist noch dunkel. In den frühen Morgenstunden des 1. Oktober versammelt sich eine Handvoll Polizisten unter dem Kommando des Kreuzberger Kommissars Ahmet Karakas auf dem Hof der Polizeidirektion V.

Was sie jetzt vorhaben, soll möglichst schnell, leise und korrekt über die Bühne gehen: Die Menschen, die auf Karakas' langer Liste stehen, müssen Deutschland verlassen. Sofort. Sie sind, wie es im sperrigen Deutsch des Asylrechts heißt, "vollziehbar ausreisepflichtig". 162 Männer, Frauen und Kinder sollen bis 11.30 Uhr gefunden, identifiziert, in Mannschaftswagen gebracht und durchsucht werden, um schließlich rechtzeitig am Berliner Flughafen Schönefeld in einer Chartermaschine zu sitzen, die sie nach Belgrad, Prishtinë und Sarajewo bringt.

Karakas trägt verwaschene Jeans, Gel im Haar und ein freundliches Lächeln. Dazu eine schusssichere Weste, Handschellen, Pfefferspray und eine geladene Pistole. "Wir können lieb", sagt er ruhig, "aber wir können auch anders. Für mich ist das Entscheidende, dass meine Kollegen und ich da heil rauskommen aus dem Einsatz."

Wenn er von zurückliegenden Abschiebungen erzählt, erinnert er sich vor allem an die dramatischen Selbstverletzungen der Flüchtlinge. Ein Albaner, den er vor ein paar Monaten aus dem Bett klingelte, griff sich blitzschnell eine Flasche vom Nachttisch, schlug sie an der Wand auf und rammte sie sich in den Hals. Ein anderer Mann, ein junger Pakistaner, wollte sich aus dem Fenster stürzen. Karakas und ein Kollege konnten ihn gerade noch an den Füßen festhalten, und da standen sie dann, minutenlang, bis Hilfe kam. Eine Frau trank Shampoo, als sie zurück in den Senegal sollte.

Einmal erlaubte Karakas einem Serben, sein Handy mit ins Flugzeug zu nehmen. Die Bundespolizei, die ab dem Flughafen die Abschiebung übernimmt, berichtete Karakas später von der Rasierklinge, die der Mann anstelle einer SIM-Karte im Handy versteckt hatte. Kurz vor der Landung nahm er sie aus dem Telefon, um sich die Pulsadern aufzuschneiden. Jetzt, beim ersten Einsatz an diesem Oktobermorgen, befürchtet Karakas nichts dergleichen. Eine bosnische Familie – Vater, Mutter und drei Kinder – soll abgeschoben werden. "In so einer Situation tun sich die Eltern nichts an, schon der Kinder wegen", sagt Karakas. "Für die wollen sie ja stark sein, denen wollen sie ein Halt sein, kein Häufchen Elend. Bei Einzelpersonen muss man vorsichtig sein. Da haben wir immer einen Arzt dabei."

Der Van mit den dunklen Scheiben, in dem der Kommissar und seine Kollegen unterwegs sind, hält vor einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im Süden der Stadt. Weder der Nachtpförtner noch der Betreiber der Einrichtung wussten, dass die Polizei an diesem Morgen kommen würde. Auch die bosnische Familie wusste nur, dass, jedoch nicht, wann man sie abholen würde. Aber die fünf schreien nicht, sie protestieren nicht, sie weinen nicht. Sie sagen gar nichts. Sie sitzen auf gepackten Koffern. Als sie den Satz hören "Wir kommen, um Sie nach Hause zu bringen", werfen sie sich die Anoraks über und folgen den Beamten schweigend in den Mannschaftswagen.

In der Flüchtlingskrise ist Abschiebung zu einem Schlüsselbegriff geworden. So groß ist die Zahl und die Not derer, die vor Bürgerkriegen und Diktaturen nach Deutschland geflohen sind, dass immer weniger Verständnis für jene da ist, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Viele von ihnen stammen aus dem Westbalkan und sind gekommen, weil sie ein besseres Leben suchen. Freiwillig verlassen nicht viele Ausreisepflichtige Deutschland. Und zwangsweise gehen auch nicht viele.

Von 190.000 Ausreisepflichtigen wurden in diesem Jahr bis zum Sommer nur 8.200 abgeschoben – also nicht einmal fünf Prozent. In den meisten Bundesländern ändert sich das jetzt; doch in einigen wie dem rot-rot-grün regierten Thüringen ging die Zahl der Abschiebungen 2015 sogar zurück. Dabei ist für dieses Jahr bundesweit mit etwa 100.000 neuen chancenlosen Anträgen zu rechnen, vor allem aus Osteuropa.

Solange die Zahlen der Asylbewerber niedrig waren, hat diese laxe Praxis niemanden gestört – im Gegenteil. "Wir waren nie Abschiebe-Weltmeister, und das wollen wir auch gar nicht sein", sagt ein Beamter aus einem Bundesland, dessen Abschiebequote notorisch niedrig ist. "Wir wollen menschlich bleiben." Härtefall-Kommissionen, Kirchenasyl, ein Winter-Abschiebestopp wie in Thüringen und Schleswig-Holstein oder ein "Sensibilisierungserlass" wie in Nordrhein-Westfalen, der die Behörden auffordert, Abschiebungen in das Kosovo auf besondere Härten zu überprüfen – all das ist Ausdruck eines höchst ambivalenten Verhältnisses zum Abschiebegesetz. Ein Nein sollte kein Nein sein, höchstens ein "Neinchen". Wie weit dieses zwiespältige Gefühl selbst die Exekutive erfasst, zeigt ein Video der Bundespolizei, das sich an Menschen im Westbalkan richtet, also an jene, deren Chancen auf Asyl gleich null sind. Die Bilder sollen eigentlich abschrecken, sie sollen vor einer Abschiebung warnen. Doch das Video zeigt die Abschiebung am Flughafen so sanft und die Polizeibeamten so hilfreich und mitfühlend, dass der Film eher eine Werbung für die Bundesrepublik ist. Deutschland führe sich wie ein "Hippie-Staat" auf, hatte der britische Politologe Anthony Glees kürzlich in einem anderen Zusammenhang gelästert.

Zwar neigten traditionell eher rot-grün regierte Bundesländer zur Zurückhaltung bei Abschiebungen. Aber auch CDU-Innenminister waren nicht scharf auf die Fotos, auf die schlechte Presse und den öffentlichen Aufschrei, die mit Abschiebungen einhergingen.

An diesem Oktobermorgen zeigt sich, woran Abschiebungen auch sonst noch oft scheitern. Als der Polizeitrupp zur zweiten Adresse auf der Liste fährt und an der Tür klingelt, ist keiner da. Ein Beamter klopft, aber niemand öffnet. Vielleicht ist wirklich keiner im Zimmer, der Heimleiter weiß es nicht und darf es auch nicht überprüfen. Es reicht, einfach nicht aufzumachen. Die Beamten haben kein Recht, die Tür gewaltsam zu öffnen.

Es gibt noch weitere Gründe für die Erfolglosigkeit von Abschiebungen: 73 Prozent der Flüchtlinge geben zum Beispiel an, keine Dokumente zu haben, keinen Pass, keinen Ausweis, keinen Führerschein. Diese Menschen kann man nicht abschieben, weil man nicht weiß, wohin. Etliche haben sich die Fingerkuppen verätzt und können deshalb nicht in der Fingerabdruck-Datei identifiziert werden. Manche machen auch Krankheiten geltend, die eine Abschiebung verhindern. Es ist schwer, nachzuweisen, dass ein Flüchtling nicht unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Und natürlich fehlt es überall an Personal – an Beamten, Polizisten, Ärzten. Einige Bundesländer haben in den vergangenen Jahren sogar Stellen abgebaut.

Ahmet Karakas arbeitet in einer Sondereinheit der Berliner Polizei, die sich mit Integrationsfragen befasst, Kontakte zu Moscheen und Selbsthilfeorganisationen hält. Viele der Beamten haben einen Migrationshintergrund. Die Truppe, die sich AGIM nennt, ist selbst Ausdruck des deutschen Unbehagens über die Härten des Asylrechts. Wenn man schon abschieben muss, so die Überlegung, dann sollten das ruhig Leute mit ausländischen Wurzeln machen. Die hätten vielleicht kein so schlechtes Gewissen.

Und so ist es tatsächlich. "Manche, die abgeschoben werden sollen, fangen an, von Rassismus herumzuschreien, das zieht halt bei mir nicht", sagt Karakas, ein Sohn türkischer Einwanderer. In der AGIM arbeiten auch Beamte mit afghanischen oder arabischen Wurzeln und Stipo Vrdoljak, dessen Eltern Serben sind.

In der kalten Morgensonne macht die Polizeitruppe eine Kaffeepause vor einer Einrichtung für Asylbewerber in Berlin-Steglitz. "Natürlich bin ich nicht stolz drauf, eine Familie aus Bosnien aus dem Bett zu holen und zum Flughafen zu bringen, das sind ja keine Verbrecher", sagt Vrdoljak. "Aber oft sind auch Leute darunter, die hier mehrfach straffällig geworden sind. Da macht es mir dann gar nichts aus."

Karakas wie Vrdoljak wundern sich über Männer, die ihre Familien im Kriegsgebiet zurücklassen und es erst mal allein in Deutschland versuchen. "Das verstehe ich nicht", sagt Karakas. "Ich würde sagen: Entweder wir sterben hier alle zusammen, oder wir fliehen zusammen." Die Männer seien doch nicht tougher, nicht zäher als die Frauen. "Wie oft haben wir die heulend im Polizeiwagen sitzen." Karakas ist überzeugt, der richtige Mann am richtigen Platz im deutschen Rechtssystem zu sein. Aber er sagt auch: "Wenn ich nach Dienstschluss vor die Tür trete, dann bin ich für die Leute einer von den Ausländern." Einer von den Fremden.

Die Bilanz der Abschiebeaktion an diesem 1. Oktober: Von 162 Abzuschiebenden wurden 52 der Bundespolizei am Flughafen Schönefeld übergeben. Der Rest war nicht da. Die Kosten trägt das Land Berlin.


Aus: "Abschiebung: Für alle eine Qual" Mariam Lau (18. Oktober 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/2015/42/abschiebung-fluechtlinge-berlin


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Quote[...] Die ,,Flüchtlingskrise" ist vor allem eine Krise der Worte. Niemand weiß, wie viele Flüchtlinge in diesem Jahr nach Deutschland kommen und wie viele hier bleiben werden. Aber dass Angela Merkel das offen zugibt und mit der Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn ein Zeichen der Großzügigkeit setzte, hat sie für konservative Leitartikler und Feuilletonisten zum Feindbild gemacht.

Sollten Historiker in Zukunft einmal ergründen wollen, wie die Stimmung in Deutschland in der Flüchtlingsfrage so schnell kippen und Merkel so unter Druck geraten konnte, werden sie nicht umhinkommen, sich die Rolle der meinungsbildenden Medien anzuschauen. Und dabei dürften sie zu dem Schluss kommen, dass diese den Stimmungsumschwung kräftig herbeigeschrieben haben.

Noch bevor der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und Teile ihrer eigenen Partei offen Front gegen Merkel machten, setzten die Leitmedien den skeptischen Ton. ,,Weiß sie, was sie tut?", fragte die Zeit und unterstellte ihr damit quasi Unzurechnungsfähigkeit. Und der Spiegel porträtierte sie auf dem Titel als barmherzige Mutter Teresa, raunte von ,,Abenteuer" und warf ihr vor, Europa zu spalten – (wohlgemerkt Merkel und nicht der ungarische Staatschef Victor Orbán, der die Fraktion jener osteuropäischen Länder anführt, die am liebsten überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen möchten).

Ein begriffliches Gegensatzpaar hat sich seitdem in der Flüchtlingsdebatte fest etabliert: ,,Gefühl" gegen ,,Verstand" – ganz so, als ob ausgerechnet Angela Merkel jemals gefühlsgesteuert agierte und ausgerechnet Victor Orbán noch bei Verstand sei.

Man hätte ja auch stolz sein können darauf, dass die Kanzlerin mit ihrer humanitären Geste eine Debatte angestoßen, eine Führungsrolle übernommen und andere Regierungen in Europa unter Druck gesetzt hat, selbst mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Das wäre angesichts der globalen Verantwortung für die Flüchtlinge eigentlich nur konsequent. In Polen oder Großbritannien hat sich seither der Ton der Debatte geändert, linke, liberale und kirchliche Kräfte in diesen Ländern sahen sich durch Merkel ermutigt.

Konservative Kommentatoren und Intellektuelle in Deutschland selbst sehen das aber negativ. Der Historiker Heinrich August Winkler deutete den Kurs der Bundeskanzlerin als Ausdruck einer ,,moralischen Selbstüberhöhung" und meinte, einen ,,fast nationalistischen Pathos" zu erkennen.

Und der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer warnte vor einem ,,deutschen Sonderweg" in der Flüchtlingsfrage und sah ,,Chauvinismus" und einen ,,Imperialismus des Herzens" am Werk. Beide befinden sich damit auf einer Wellenlänge mit Ungarns Staatschef Victor Orbán, der den Deutschen ,,moralischem Imperialismus" vorwarf. So wenig Nationalstolz war unter deutschen Konservativen selten, so viel deutscher Selbsthass noch nie.

Auch die Angstbilder aus den Islamdebatten der letzten Jahre tauchen in der Flüchtlingsdebatte wieder auf. Die Angst vor einer ,,Islamisierung", vor der auch viele Intellektuelle nicht frei sind, paart sich jetzt mit der Furcht vor dem Kontrollverlust. Der Fernsehphilosoph Rüdiger Safranski, 70, wirft der Kanzlerin vor, Deutschland zu ,,fluten", und meint daran erinnern zu müssen, dass die Verfassung über dem Koran stehe.

Auch die Schriftstellerin Monika Maron, 74, sieht ,,vorwiegend junge, muslimische Männer", die ,,unkontrolliert nach Deutschland" strömten, und erschaudert.

Heinz Buschkowsky, 67, fantasiert mittlerweile von zehn Millionen Flüchtlingen, deren ,,muslimische Weltsicht" mit ,,dem demokratisch-westlichen Wertekanon nicht kompatibel" sei. Der Muslimfresser Thilo Sarrazin durfte in der Zeit bereits im Geiste ,,Schiffe versenken" spielen. Und der Dorfdichter Botho Strauss, 70, warnt vor einer ,,Flutung des Landes mit Fremden" und die angeblich drohende ,,Auslöschung" der Deutschen durch Muslime. Andere Stimmen raunen von ,,Völkerwanderung", ,,Bevölkerungsaustausch" oder gar ,,Invasion".

Als Scharfmacher geriert sich auch der Historiker und Osteuropa-Experte Jörg Baberowski, 54. In der Neue Zürcher Zeitung beklagte er, die Kanzlerin breche europäisches Recht, forciere eine ,,unkontrollierte Masseneinwanderung" und führe Deutschland in eine ,,Katastrophe", das Land werde sich ,,bis zur Unkenntlichkeit verändern". Sein Fazit: Merkel müsse zurücktreten.

Das finden auch Roland Tichy, 60, Exchefredakteur der Wirtschaftswoche und häufiger Talkshowgast, sowie der Welt-Kolumnist Henryk Broder, 69, der Merkel jüngst ,,Untreue im Amt" vorwarf, habe sie doch einen Eid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, und nun tue sie das Gegenteil. Von da ist es nicht mehr weit zum Ruf ,,Volksverräterin" und dem Pegida-Galgen für Merkel.

Man könnte das als einen Aufstand gekränkter Bürger abtun, die unter Altersradikalismus leiden, aber die Promipublizisten dienen als Stichwortgeber für rechte bis rechtsextreme Kreise. Manchmal ganz direkt: Baberowski wurde Anfang Oktober zu einem CSU-Kongress in Erding geladen, seine Thesen werden aber auch von der NPD geteilt. Und Thilo Sarrazin trat kürzlich vor der rechtspopulistischen FPÖ auf, wo er sich mit deren Parteichef, dem Exburschenschaftler Heinz-Christian Strache einig war, dass Europa seine Grenzen schließen müsse.

Die Parolen finden aber auch auf der Straße ihren Widerhall. ,,Merkel muss weg", skandierten Tausende AfD-Demonstranten in den vergangenen Wochen in Erfurt und Magdeburg. Und Götz Kubischek, ein Vordenker der neuen Rechten, rief bei Pegida in Dresden die Deutschen zum Widerstand gegen eine angeblich drohende ,,Auflösung unseres Volkes" auf.

Zu viele nehmen das wörtlich. Rund 500 Übergriffe auf Flüchtlingsheime haben die Polizeibehörden allein in diesem Jahr bereits gezählt. Die Messerattacke von Köln fügt sich in diese Logik der Eskalation.

Dass solche Täter glauben können, sie agierten als Vertreter eines heimlichen Volkswillens, liegt auch an der Radikalisierung in manchen Feuilletons.

Quotezwergnase
vor 1 Std, 11 Min

Ich glaube, Herr Bax, Sie machen sich da was vor. Schon vor der zitierten Berichterstattung hatte die Mehrheit der Bürger Zweifel daran, dass Migration nach Deutschland eine weltweite Lösung für Bürgerkriege und ökonomische Krisen sein kann. Irgendwann müssen Medien, die nicht ganz so eine meinungsmäßig einheitliche Leserschaft haben reagieren. Sie sollten sich lieber sachlich dem Diskurs stellen, anstatt diese Kolumnisten nun als geistige Brandstifter zu diffamieren. Das ist billig.


QuoteTheo Schley
vor 1 Std, 32 Min

Danke für diese präzise Presseschau. Gut erkant ...


QuoteUrmel
heute, 14:01

Alles korrekt. Aber nicht alles analysiert, was es den Kritikern Merkels so extrem einfach macht.

Die Bundeskanzlerin hat in den letzten Wochen keineswegs einen klaren Kurs vorgegeben, sondern permanent das Ruder mal in die eine, mal in die andere Richtung bewegt. Angesichts ihrer Verhandlungen mit Erdogan kann man inzwischen nur von einer 180 Grad Kehrtwende reden.

Im Ergebnis werden massenhaft Flüchtlinge in die Türkei zurück geschickt, um dort in Lagern hausen zu dürfen, die bestimmt nicht besser sind als in den hier diskutierten Transitlagern auf deutschem Boden. Diese Aussicht erweckt doch sehr den Eindruck, dass Merkel inzwischen primär nach der Devise "aus den Augen, aus dem Sinn" agiert.

Insofern scheint klar, dass das Herbstmärchen einer ,,für Humanität kämpfenden Kanzlerin" schon wieder Vergangenheit ist. Jetzt haben wir wieder die seit Jahren uns bekannte kalt berechnende Taktikerin, für die auch das Schicksal der Flüchtlinge bestenfalls eine Randerscheinung ist.



Aus: "Flüchtlingskrise im Feuilleton: Im Geiste ,,Schiffe versenken"" Daniel Bax (Gesellschaft, Debatte | 19. 10. 2015)
Quelle: https://www.taz.de/Fluechtlingskrise-im-Feuilleton/!5239531/


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Quote[...] Das Haus im Kölner Stadtteil Nippes ist ein schöner Altbau aus der Gründerzeit. Helle Fassade, Holzfenster, neben der Eingangstür prangt das Landeswappen Nordrhein-Westfalens: Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.

Hier lebte bislang in einer kleinen Wohnung der Mann, der am Samstagmorgen die künftige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit einem Messerstich in den Hals schwer verletzt hat. Frank S. habe aus "fremdenfeindlichen Motiven" gehandelt, sagen Ermittler. Der 44-Jährige habe die Kölner Sozialdezernentin und Lokalpolitikerin für Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik verantwortlich gemacht. "Ich tue es für eure Kinder", soll er den Umstehenden zugerufen haben, als er der wehrlosen Frau sein Buschmesser in den Hals rammte. In einem Bericht der Polizei ist von einem "fanatisierten Einzeltäter" die Rede, der sich selbst radikalisiert habe. ...


Aus: "Mutmaßlicher Attentäter von Köln: Der einsame Hass des Frank S." Jörg Diehl, Köln (21.10.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/henriette-reker-koeln-attentaeter-frank-s-war-vorbestraft-a-1058854.html

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Quote[...] Mit der immer größeren Belastung droht die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen. Und während die Regierung verzweifelt nach Lösungen sucht, steht eine geplante Unterkunft für Asylbewerber nach der nächsten in Flammen. Auch das kennt man aus Deutschland.

...  Einige Städte wie Malmö – Anlaufstelle Nummer eins für Neuankömmlinge in Südschweden – sagen inzwischen nicht mehr, wo sie die Asylbewerber unterbringen wollen. Damit nicht noch mehr geplante Unterkünfte in Flammen aufgehen.


Aus: "Schweden schafft es bald nicht mehr" (22.10.2015)
Quelle: http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article206320675/Schweden-schafft-es-bald-nicht-mehr.html

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Quote[...] Trollhättan (dpa) - Der tödliche Schwertangriff an einer schwedischen Schule war den Ermittlern zufolge ein rassistisches Verbrechen. «Es gibt drei klare Hinweise darauf», sagt ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur.

«Erstens haben wir einige Dinge in der Wohnung des Täters gefunden. Außerdem hat er seine Opfer in der Schule bewusst ausgesucht.»

Bei der Attacke im westschwedischen Trollhättan hatte der 21-Jährige am Donnerstag einen Lehrer und einen Schüler getötet sowie einen weiteren Lehrer und einen Schüler verletzt. Die Polizei hatte ihn anschließend erschossen. ...


Aus: "Schwertangriff in Schweden: Täter tötete aus Fremdenhass" (10/2015)
Quelle: http://www.wz-net.de/wz_21_110985029-1-_Schwertangriff-in-Schweden-Taeter-toetete-aus-Fremdenhass.html

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Quote[...] Wer Hass und Hetze auf Facebook verbreitet, muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Das Amtsgericht Kitzingen hat nun einen 31 Jahre alten Mann zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Von April bis November 2014 habe er auf Facebook Hass-Parolen veröffentlicht und zu Gewalt und Mord aufgerufen, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Würzburg am Donnerstag mit. Unter anderem habe er geschrieben, man solle Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Helfer ,,an die Wand stellen und standrechtlich erschießen wegen Verrat am deutschen Volk". Außerdem habe er in einem Post formuliert, Menschen sollten ,,in Auschwitz in den Ofen". Insgesamt habe er zehn Texten mit volksverhetzendem Inhalt oder Aufrufen zu Straftaten veröffentlicht - und zwar nicht anonym, sondern unter seinem eigenen Namen.

Der 31-Jährige Angeklagte aus Iphofen im Landkreis Würzburg war der Staatsanwaltschaft Würzburg zufolge bereits erheblich vorbestraft. zu den Delikten zählen "Fahren unter Alkoholeinfluss, unerlaubter Waffenbesitz, Sachbeschädigung, das Tragen eines Hakenkreuzringes", berichtete die "Süddeutsche Zeitung". "Außer Vermögensdelikten hat er eigentlich alles gemacht. Das zieht sich wie ein roter Faden durch seine Volljährigkeit", zitierte die Zeitung den Gerichtssprecher.

Auch ein Geständnis konnte den Unterfranken nun nicht vor der Freiheitsstrafe bewahren, die mit zwei Jahren und drei Monaten über der Grenze liegt, bis zu der eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (AZ: 1 Ls 701 Js 20195/14).

...


Aus: "Hass und Hetze im Netz: Facebook-Hetzer muss ins Gefängnis" (21.10.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/medien/hass-und-hetze-im-netz-facebook-hetzer-muss-ins-gefaengnis/12481176.html

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Quote[....] ,,Grüne Kritik an dem Paket sei kaum hörbar gewesen ...", schreibt der Spiegel zu Recht [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gruene-asylpaket-in-bundestag-und-bundesrat-gruene-unentschlossen-a-1057744.html]. Stattdessen habe man ,,grundlegende Positionierungen in der Asylpolitik gegen Bundesmilliarden für die Länder eingetauscht". Bei solchen Ergebnissen sei ,,absolut nicht mehr klar, wofür Grüne überhaupt stehen." ...


Aus: "Zum Unterzeichnen: Nicht in unserem Namen!" (10/2015)
Quelle: http://gruenelisten.de/cms/zum-unterzeichnen-nicht-in-unserem-namen/

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Quote[....] Es geht Schlag auf Schlag. Vergangenes Wochenende sticht ein Flüchtlingsfeind die Kölner CDU-Politikerin Henriette Reker nieder, am Mittwoch nimmt die Polizei in Franken eine Gruppe Rechtsextremisten fest, die mit hochexplosiven Böllern eine Unterkunft für Asylbewerber angreifen wollte. Seit Monaten vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Gebäude brennt, in das Flüchtlinge einziehen sollen oder in dem schon Menschen leben.

Anfang Oktober zündelte ausgerechnet ein Feuerwehrmann im sauerländischen Altena auf dem Dachboden eines Hauses, in dem sieben syrische Flüchtlinge einquartiert waren, darunter eine schwangere Frau. Der Hass auf Asylbewerber oder Migranten insgesamt mündet offenkundig in rechten Terror. In Ost und West, in Dörfern und Städten. Als seien rassistische Anschläge eine Art Volkssport.

Da hilft kein Verdrängen und kein Relativieren: Die Bundesrepublik wird mit ,,homegrown terror" konfrontiert. Der Begriff ist in den Sicherheitsbehörden für militante einheimische Islamisten reserviert, doch diese Exklusivität ist überholt. Wie auch der juristische Terrorbegriff. Das Strafgesetzbuch kennt nur ,,terroristische Vereinigungen", für die es mindestens drei Tatverdächtige braucht. Nach dieser Logik sind der Messerstecher von Köln und der Brandstifter von Altena keine Terroristen. Das wirkt weltfremd.

Die Bundesanwaltschaft konnte den Fall Köln denn auch nur wegen der ,,Schwere der Tat und der mit ihr vom Beschuldigten angestrebten Signalwirkung" übernehmen. Beim geständigen Täter von Altena hingegen sah der Staatsanwalt nicht einmal ein politisches Motiv, sondern nur eine ,,persönliche Überzeugung". Der Brandstifter und sein Komplize kamen frei. Wenigstens wird gegen die bayerischen Neonazis, die lebensgefährliche Böllerbomben auf Flüchtlinge werfen wollten, wegen des Verdachts der Bildung einer ,,kriminellen Vereinigung" ermittelt.

Der Mangel an Klarheit in Wahrnehmung und Sprache von Staat und Politik hat leider Tradition. In den meisten Bundesländern wird die Zahl rechter Morde kleingerechnet. Nur ein Beispiel: Die Polizei in Nordrhein-Westfalen wertet bis heute den Angriff eines Ex-Söldners, der 2003 in Overath einen Anwalt, dessen Frau und die Tochter erschoss, nicht als rechtes Tötungsverbrechen. Obwohl das Landgericht Köln dem Täter eine nationalsozialistische Motivation bescheinigte.

Wie würden das Verbrechen von Overath und jetzt die Messerattacke in Köln sowie die Anschläge auf Flüchtlingsheime genannt, wären Islamisten die Täter? Da gäbe es in Staat und Politik keine Zweifel: Das ist Terror.

Doch bei geplanter, zielgerichtet lebensgefährdender Gewalt von rechts wird oft gedruckst. Obwohl nach dem NSU-Schock, der die Republik vor vier Jahren erschütterte, Staat und Politik deutlich mehr Sensibilität versprachen. Es gab auch Reformen, doch sie reichen offenbar nicht weit genug für die Erkenntnis: Deutschland wird mit einem Rechtsterrorismus neuen Typs konfrontiert. Er ist weniger organisatorisch strukturiert als informell über das Internet und doch brandgefährlich. Sind uns Terroristen mal wieder einen Schritt voraus?


Aus: "Gewalt gegen Flüchtlinge und Politiker: Bei Terror von rechts wird oft gedruckst" Frank Jansen (26.10.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/gewalt-gegen-fluechtlinge-und-politiker-bei-terror-von-rechts-wird-oft-gedruckst/12495436.html

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Quote[...]  Nach dem ersten Begeisterungsschock herrscht eine merkwürdige Angespanntheit in Deutschland. Das hat einen Grund: Die Flüchtlinge sind immer noch da.  ...

Für viele scheint aktuell eine narzisstische Kränkung darin zu liegen, dass die Flüchtlinge nun, nach den ersten großen und glücklichen Aufnahmewellen, immer noch da sind. Als Sehnsuchtsfigur, die gekommen ist, um ein für die Helfenden kathartisches Moment herbeizuführen, dient der Flüchtling auf diese Weise nicht mehr, dazu hätte er nach dem Höhepunkt der Hilfe einfach verschwinden müssen.

Er ist aber immer noch da. Und beginnt, hier zu leben. Von dieser Verwunderung zeugt Innenminister de Maizières harsche Kritik an den Flüchtlingen, die, statt dankbar in ihren Unterkünften auszuharren, anfingen, sich zu prügeln, Essen zu verweigern und in Taxis herumzufahren. Eine schlichte Entrüstung kommt auf, darüber, dass der Flüchtling nun zu einem Akteur wird und Facetten zeigt, die dem hellen Deutschland zu dunkel werden könnten. Darüber, dass Hilfe eben nicht Kontrolle bedeutet und dass es nach dem reinigenden Mitleidsexzess nun doch weitergeht und man einen Alltag finden muss. Einen Alltag, der nicht geprägt ist von Flashmob-artigen Hilfsaktionen, bei denen man nach zwei Stunden Kleidersortieren wieder gemütlich nach Hause gehen kann. Als von der Zivilgesellschaft organisierter Event inmitten einer Ausnahmesituation kann die Hilfsbereitschaft nicht von Dauer sein, jeder, der sich das wünscht, macht es sich zu leicht.

Ob die Stimmung im Land kippt, liegt nicht zuletzt daran, ob die Deutschen irgendwann einmal aufhören können, nur spontan zu helfen, und Institutionen die Arbeit machen lassen. Die Aufgabe der Bevölkerung wäre es dann, sich darauf einzulassen, dass vom diesjährigen Gefühlsausbruch nicht nur ein emotionaler Kater bleibt, sondern Millionen Menschen vor der eigenen Tür.

QuoteBPecuchet, #71  —  vor 1 Stunde

Ich würde mich freuen, wenn die Zeit zukünftig mal wieder mehr über die Realität und weniger über Befindlichkeiten berichten würde.

Ich habe keine Ahnung was der Durchschnittsdeutsche zum Thema Flüchtling denkt, ich vermute, es ist ihm genauso egal, wie vieles andere ihm vorher auch schon und es nachher immer noch sein werden. Es mag auch sein, dass mancher Helfer, der seine Freizeit damit zubringt, Dinge zu tun, die andere Stellen, z.B. Behörden einfach mal nicht tun, jetzt frustriert ist. Und es mag sein, dass es Nazis in Dreden gibt, die erst recht frustriert sind, weil immer noch Flüchtlinge kommen. Und wiederum andere sind frustriert, weil es in der Gegend um Dresden herum so verdammt viele fucking Nazis gibt.

Das alles ist sicher bedenkenswert, sagt aber am Ende nichts aus. Die Zahl derjenigen, die sich z.B. in Syrien oder Afghanistan auf eine lamge Flucht begeben, hängt nicht davon auf, ob wir bereit sind, sie aufzunehmen. Wer Angst um sein Leben hat, der fragt nicht erst lange nach der Erlaubnis, abzuhauen, sondern der tut es einfach. Das Einzige, was wir jetzt tun können, ist pragmatisch zu überlegen, wie wir die Situation meistern können. Ob wir uns dabei gut fühlen, ist erst einmal scheissegal.


QuoteWeimikira
#66  —  vor 6 Stunden 6

Die Ursache dieses neurotischen Verhaltens scheint mir, dass die meisten nicht begreifen, dass das Leben eben KEIN Hollywoodfilm ist mit garantiertem HappyEnd...


...


Aus: "Flüchtlinge: Ich und mein Syrer" Nina Pauer (22. Oktober 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/2015/41/fluechtlinge-hilfe-deutschland-integration


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Quote[...] Wir wurden als Russen beschimpft und bespuckt", erzählt Jurk. ... Jurk kam vor 14 Jahren aus Kasachstan nach Deutschland, als Spätaussiedlerin. Sie kam nach Freital bei Dresden. Heute leitet die Russlanddeutsche dort den Verein ,,Zusammenleben". Er soll Migranten die Integration erleichtern. In jener Stadt, die in diesem Sommer in die Schlagzeilen geriet aufgrund massiver Ausschreitungen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Seither steht Freital für Fremdenfeindlichkeit.

Neu ist diese Haltung hier allerdings nicht, was nun aber nicht heißt, dass in Freital jeder fremdenfeindlich ist. Jurk bleibt, wenn die Politiker wieder weg sind und die Medien auch. Wenn der laute Mob wieder weg ist und der leise noch da. Sie bleibt und arbeitet und hofft darauf, dass der Mob nicht wieder lauter wird oder gewalttätig.

... 1989 lebten rund 60 000 Vietnamesen in der DDR. Sie bildeten die größte Gruppe unter den Ausländern im Arbeiter- und Bauernstaat, die gerade mal ein Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Aber mit den Fremden zusammengelebt haben die Freitaler lange nicht. Nicht nur in der Bundesrepublik hätten völkische Kategorien das staatliche Selbstverständnis geprägt, schreiben die Migrationsexpertinnen Irmhild Schrader und Anna Joskowski in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Integration war nicht die Absicht der DDR-Führung.

,,Die Vietnamesen lebten auf Inseln", sagt Ines Kummer. Die Grünen-Stadträtin arbeitet heute im ,,Willkommensbündnis" dafür, dass Flüchtlinge in Freital zurechtkommen. Sie ging auch schon in den 80er Jahren in das Haus für Vertragsarbeiter. ,,Aber das war von staatlicher Seite überhaupt nicht erwünscht", sagt sie. ,,Es gab sogar Repressalien, man wurde zum Gespräch gebeten." Das zwang die Vertragsarbeiter in die Isolation. Und die Ideologiehoheit der SED, so sagt es Kummer, hielt Rechtsextremismus unter Verschluss.

Viele Vertragsarbeiter mussten das Land später wieder verlassen. Etliche sind nach dem Ende der DDR geblieben. In Freital leben heute noch 80 Vietnamesen. ,,Das sind ganz nette Leute, die haben sich super integriert", heißt es heute in der Stadt. Die Kinder der früheren Vertragsarbeiter sind - das zählt hier als Argument - besonders gut in der Schule.

Von den Vietnamesen selbst ist kaum etwas darüber zu erfahren, wie ihnen die Freitaler heute begegnen. Haben sie Angst nach den Ausschreitungen dieses Jahres? ,,Nein. Warum Angst? Alle sehr nett hier in Freital", sagt etwa eine Frau, die einst als Vertragsarbeiterin kam, zuerst nach Dresden, dann nach Freital. Ihren Namen möchte sie nicht öffentlich genannt sehen.

Im Gespräch blickt sie zu Boden, nur auf den Boden. ,,Bitte nicht", lautet ihre Antwort auf weitere Fragen. ,,Bitte nicht." Eine andere vietnamesische Einwanderin legt auf, als das Telefongespräch auf das Thema Fremdenfeindlichkeit kommt. Die Frauen wollen sich schützen. Jurk sagt, sie selbst oder andere Spätaussiedler erführen heute keine Fremdenfeindlichkeit mehr, Vietnamesen auch nicht. Die Integration der Asylsuchenden von heute wird gelingen, meint sie. ,,Das soll funktionieren, das wird funktionieren, wie mit uns damals."

Früher, so erzählt Jurk, hatten viele Vietnamesen keine Namensschilder an der Türklingel. Sie wollten nicht, dass vietnamesische Mafiosi sie finden - oder deutsche Rechtsextremisten.

Es war im September 1991, ein Jahr vor den Brandanschlägen in Rostock-Lichtenhagen. Etwa 60 Skinheads griffen damals in Freital rund 30 Vietnamesen mit Eisenstangen und Ketten an. Danach wurden bei einer Attacke gegen ein nahes Ausländerwohnheim zwei Menschen verletzt. In der Woche zuvor war eine schwangere Vietnamesin von Rechtsextremisten schwer misshandelt worden.

Im Jahr 2015 ziehen wieder Rechtsextremisten durch die Stadt. ,,Als diese schwarz gekleidete, aggressive Masse durch Freital lief, da habe ich auch Angst gehabt, und nicht bloß ich", sagt Jurk. Es gab mehrere Angriffe auf das Flüchtlingsheim. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) konnte schließlich nicht anders, als sich in Freital zu zeigen, kurz. Spät nannte er Rassismus eine ,,Schande". Zu spät, sagen viele. Im Juli explodierte in Freital das Auto eines Linken-Politikers. Später trafen Böller sein Büro und eine Flüchtlingswohnung. Unterstützer der neu ankommenden Flüchtlinge, Politiker und Freiwillige, berichten, dass sie Drohungen erhalten.

Die Bevölkerung von Freital schrumpft, rund 38 000 Einwohner zählt die Stadt. An einem Samstagvormittag ist kaum jemand unterwegs auf der Dresdner Straße. Viele leere Geschäfte säumen die einzig große Achse der Stadt. Ein paar Rentnerinnen schauen in die Ladenfenster.

Nur noch etwa halb so viele Menschen zwischen 20 und 25 leben hier wie 1990. Die Zahl der 60- bis 65-Jährigen ist hingegen um fast 60 Prozent gestiegen. Der Anteil der ausländischen Bürger aber ist größer geworden in den Jahren nach der Vereinigung von Ost und West. Im Wendejahr waren eineinhalb Prozent der Freitaler Ausländer, im vergangenen Jahr waren es 2,6 Prozent, das waren 982 Menschen. Ohne sie wäre Freital heute leerer als ohnehin schon.

,,Die Leute werden sich langsam daran gewöhnen. An Leute mit anderer Farbe, mit anderen Augen", sagt Tatjana Jurk, die vor 14 Jahren selbst fremd hier war, aber nicht fremd aussah.

Auf der Straße aber sprechen manche Freitaler ganz anders über Fremde. ,,Ich fühle mich beschissen von der Frau Kanzlerin." Laut sagt diesen Satz eine Frau in einem Laden, wenige hundert Meter von Jurks Büro entfernt. ,,Ich habe nichts gegen Ausländer, aber...", sagt sie. Dieser Satz ist eine Formel, häufig benutzt, nicht nur auf den islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Kundgebungen in Dresden.

Die Frau in dem Laden in Freital sagt vieles nach dem ,,Aber". Zum Beispiel dieses: ,,Es wurden schon so viele Kriege geführt auf dieser Welt. Es hat noch nie jemand so ein Drama drum gemacht." Das ist ihr Kommentar zur Fluchtbewegung aus Syrien.

Jurk arbeitet weiter daran, dass Menschen mehr erfahren über andere Kulturen, über Religionen und Migration. Mittlerweile ist sie Chefin des Integrationsnetzwerks Sachsen und Vize des Beirats für Integration und Migration des Sozialministeriums. Sie leistet wie viele Ehrenamtliche ihre Arbeit dort, wo Merkels ,,Wir schaffen das" umgesetzt werden muss. An der Wand in ihrem Büro hängt ein orangefarbenes T-Shirt. Es ist ein Werbe-Shirt vom Bundesfreiwilligendienst. Sie hat es von der Kanzlerin bekommen.


Aus: "Der Rassismus ist nicht neu" Sophie Rohrmeier, dpa (28.10.2015)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/politik/einwanderer-in-freital-der-rassismus-ist-nicht-neu/12507200.html


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Quote[...] Vorletzte Woche bin ich bei den Grünen ausgetreten. Der Auslöser dafür war, dass die Grünen sich im Bundestag mehrheitlich zu den letzten Asylrechtsverschärfungen enthalten und im Bundesrat mehrheitlich zugestimmt haben. Die NGO Pro Asyl hält den Gesetzesentwurf für verfassungswidrig, unter anderem weil er einigen Flüchtlingen das soziokulturelle Existenzminimum vorenthält. Der Generalsekretär der CDU scheint sein Glück, dass die Grünen da mitmachen, nicht so recht fassen zu können. Als sich abzeichnete, dass sie mit dabei sind, sagte Peter Tauber der Saarbrückener Zeitung: ,,Wir haben die größten Verschärfungen im Asylrecht seit 20 Jahren auf den Weg gebracht. Schnellere Abschiebungen, weniger Fehlanreize, mehr sichere Herkunftsländer—es wäre zu Jahresanfang noch undenkbar gewesen, dass SPD und Grüne da mitmachen. Darauf sind wir als CDU stolz." Mittlerweile hat Pro Asyl Angekündigt, Asylbewerber, die gegen diese Asylrechtsverschärfungen klagen wollen, finanziell dabei zu unterstützen. Früher oder später wird das Gesetzespaket vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Bis es soweit ist, bringt es viel Übel mit sich, dass mir jedes Verständnis dafür fehlt, warum die Grünen dem Gesetz im Bundesrat zugestimmt haben. Dies sind die drei massivsten Verschärfungen in dem Gesetzespaket:

Kosovo, Albanien und Montenegro wurden zu sogenannten ,,sicheren Herkunftsstaaten" erklärt. Bei Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten wird ein Asylantrag in aller Regel als ,,offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Das bedeutet in der Praxis: Der Einzelfall wird nicht mehr würdig geprüft—was man bei allgemeinen Menschenrechten erwarten können sollte—, sondern es wird einfach pauschal angenommen, dass es für alle Menschen aus diesen ,,sicheren Herkunftsstaaten" in eben diesen Staaten sicher ist. Das ganze Konzept der ,,sicheren Herkunftsstaaten" ist also schon strukturell menschenrechtsfeindlich. Umso mehr gilt das für die Einstufung von Kosovo, Albanien und Montenegro als ,,sicher". Die Amnesty-International-Länderberichte für Albanien und Montenegro zu lesen, ist gruselig. Gründe zu fliehen, haben etwa unabhängige Journalisten oder Roma. Beim Kosovo besteht international nicht einmal Einigkeit darüber, ob es sich um einen Staat handelt—aber für sicher erklärt wurde der De­Facto-­Staat dennoch. In den Kosovo werden vor allem Roma abgeschoben—wegen des neuen Gesetzes jetzt noch schneller.

Durch das neue Gesetz sollen Asylbewerber nun bis zu sechs (vorher drei) Monate in den zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Arbeit ist für Asylbewerber aber generell verboten, solange man in Erstaufnahmeeinrichtungen lebt. Außerdem finanziert der Bund in Zukunft einen Teil der Kosten dieser Erstaufnahmeeinrichtungen, sodass die Länder einen finanziellen Anreiz haben, Asylbewerber länger dort zu lassen. Asylbewerber aus ,,sicheren Herkunftsstaaten" bleiben mit dem neuen Gesetz auch nach diesen sechs Monaten auf unbestimmte Zeit in den zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen—also auch ohne Arbeit. Wenn man den Artikel 23 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte liest, kriegt man bei derartigen Regelungen chronisches Kopfschütteln.

Flüchtlinge, die abgeschoben werden—zum Beispiel, weil sie aus einem ,,sicheren Herkunftsland" kommen—, sind in Deutschland gezwungen, bei ihrer eigenen Abschiebung mitzuwirken. Das neue Asylrecht kürzt denjenigen Flüchtlingen, die dies nicht machen, die Leistungen auf das ,,physische Existenzminimum". Das sind 219 Euro im Monat. Für diese Kürzung kann es schon reichen, wenn man im Herkunftsstaat keinen Anwalt selbst bezahlen will, der im Herkunftsstaat die Passerteilung erwirkt—denn ohne Pass kann nicht abgeschoben werden. Doch selbst wenn die Leistungen nicht gekürzt werden, haben viele Flüchtlinge nach der Asylrechtsverschärfung weniger in der Tasche: Die Länder dürfen wieder auf das Sachleistungsprinzip setzen—also mit einem hohen Verwaltungsaufwand Dinge einkaufen und diese dann an die Flüchtlinge verteilen. Die Flüchtlinge verfügen so weniger selbst darüber, was sie mit ihrem Existenzminimum machen wollen. In den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen sogar Fahrkarten als Sachleistung erbracht werden.

Aber diese Punkte sind nur die traurigen Höhepunkte des Paketes. Unterm Strich kann man sagen: Flüchtlinge werden schneller und zahlreicher abgeschoben und die, die (noch) dableiben, werden drangsaliert, entrechtet, einer häufig nicht funktionierenden Bürokratie ausgesetzt und ganz bewusst verarmt—oftmals zusammengepfercht auf engstem Raum, in vielen Fällen droht Obdachlosigkeit. Ich wollte nicht Mitglied in einer Partei sein, die das alles mitträgt. Also hab ich die Mails verschickt, die man dann so verschicken muss und eine Erklärung auf meinen Blog gestellt.
http://alexander-nabert.de/2015/mein-austritt-aus-der-partei-buendnis-90die-gruenen/

Heute wurde die Asylrechtsverschärfung im Bundesrat beschlossen. Ich bin bei Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten. — Alexander Nabert (@Nabertronic) 16. Oktober 2015

Wie es für einen öffentlichen Parteiaustritt so üblich ist, gab es diverse Reaktionen. Dabei bilden sich schnell vier Typen heraus, die wohl jeder mehr oder weniger kennt, der einen Parteiaustritt hinter sich hat.

Die ,,Komm in meine Partei!"-­Fraktion

Die mit Abstand schnellste Reaktion kommt von denjenigen, die dich direkt für eine andere Partei werben wollen. Dabei scheint es vollkommen egal zu sein, wie man den Parteiaustritt begründet: Es findet sich immer jemand, der dich werben will. In meinem Fall hat es ganze 10 Minuten gedauert, bis mich jemand für die CDU—also die Partei, die an vorderster Front für die Asylrechtsverschärfung steht — werben wollte. Das war sogar noch schneller als die ersten Anwerbeversuche für die Linkspartei, die kamen nämlich zwei Minuten später. 

... Andere fragten eher scherzhaft, ob ich nicht zu irgendwelchen gescheiterten Parteiprojekten gehen wollte ... Ich wurde andersrum am Abend meines Parteiaustritts aber auch panisch gefragt: ,,Aber du trittst jetzt hoffentlich nicht in meine Partei ein, oder?" Und wieder andere spekulierten gar, ob ich eine Partei gründen würde ... Wenn man aus einer Partei austritt, gibt es viele Leute — und ich schätze, bei den Grünen sind es besonders viele—, die sagen, dass sie es schon immer wussten. Meist begnügt sich das auf ,,Besser spät als nie"-­Kommentare. Andere fragen, warum man denn überhaupt eingetreten ist ... Wieder andere nennen viele Gründe, warum man schon vorher hätte ausgetreten sein müssen — beziehungsweise nie eingetreten ... Die Bertholt-Brecht-Fraktion

Berthold Brecht hat mal gesagt: ,,Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Und genau mit der Argumentation gibt es viele – meistens sind sie Parteimitglieder der Partei, aus der man ausgetreten ist – die sagen, dass ein Parteiaustritt gar nichts ändert und nur der Kampf innerhalb der Partei etwas ändern könne.

Die ,,Ich kann es ja so gut verstehen"-Fraktion

Viele ehemalige Parteifreunde, die die konkrete Entscheidung, weshalb man ausgetreten ist, inhaltlich teilen, schreiben bei einem Parteiaustritt dann, dass sie die Entscheidung gut verstehen können, aber trotzdem (siehe Bertholt-Brecht-Fraktion) noch Mitglied bleiben. Manchmal sagen diese Leute auch, dass ein Austritt ein richtiges Signal (an die eigene Partei) sein kann ...

Der Rest - Die meisten Reaktionen sind jedoch auf der einen Seite schlichte Gratulationen, Glückwünsche und Respekt­-Bekundungen und auf der anderen Seite Bedauern und Verabschiedungen. Selbstverständlich gibt es auch Reaktionen, die sich nicht in eine Kategorie stopfen lassen. Da wäre zum Beispiel mein Vater, der öffentlich kommentiert: ,,Na toll, und mit welchem politisch engagierten Sohn, der sein Leben ganz in den Dienst einer besseren Welt stellt, soll ich gezz angeben? Denkst Du auch nur EINmal an mich? Hm?" Oder auch Tilo Jung, der auf einmal mein Facebook-­Freund sein will—obwohl er mich auf Twitter blockt, weil ich nicht sein allergrößter Fan bin. Es gibt auch vereinzelte Parteimitglieder, die mich fragen, wie so ein Parteiaustritt funktioniert.

Was man jedoch wenig liest — und das ärgert mich wirklich —, sind politische Reaktionen auf meinen Austritt. Also solche, die sich damit auseinandersetzen, warum ich bei den Grünen ausgetreten bin. Ich habe einen politischen Austrittstext geschrieben und darauf hingewiesen, warum ich bei den Grünen ausgetreten bin — gerade jetzt. Ich wollte auf die Asylrechtsverschärfung und das damit verbundene Elend aufmerksam machen. Hunderttausenden Menschen wird es durch die massivste Asylrechtseinschränkung seit 1993 schlechter gehen. Vor so einem Hintergrund ist vollkommen trivial, ob ich jetzt Mitglied in einer, keiner oder fünf Parteien bin. Geflüchtete werden in Deutschland wie Dreck behandelt. Schon vorher war das so. Und es wird schlimmer, weil die Grünen es möglich gemacht haben. Doch bei einem Parteiaustritt wird wenig über das Warum gesprochen. Vergesst mich. Vergesst meinen Parteiaustritt. Und lest stattdessen, was da beschlossen wurde. Und dann überlegt euch, was ihr dagegen tun könnt.

...


Aus: "Was für Reaktionen ich auf meinen Austritt bei den Grünen bekommen habe" Alexander Nabert (Oktober 26, 2015)
Themen: Grüne, Politik, Deutschland, Flüchtlinge, Asylrecht, Views My Own, Alexander Nabert
Quelle: https://www.vice.com/de/read/was-fuer-reaktionen-ich-auf-meinen-austritt-bei-den-grnen-bekommen-habe-und-was-ich-lieber-gelesen-haette-741

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Quote[...] Rettungskräfte haben vor der griechischen Insel Lesbos nach einem erneuten Schiffsunglück inzwischen elf Leichen geborgen. Die Küstenwache geht davon aus, dass die Zahl der Toten noch deutlich steigen wird. Bis zu 40 Flüchtlinge werden vermisst.

Die Küstenwache und Fischer hatten in einer dramatischen Rettungsaktion 242 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Der Einsatz vor Lesbos habe die ganze Nacht angedauert, berichtete das griechische Staatsradio (ERT). Viele der geretteten Kinder und Frauen mussten wegen Unterkühlung in den kleinen Krankenhäusern der Insel behandelt werden. Es gebe unterschiedliche Angaben der Überlebenden über die genaue Zahl der Menschen, die an Bord waren.

Der für die Küstenwache zuständige Minister Theodoros Dritsas zeigte sich nach dem neuen Unglück erschüttert. Die Einsätze der griechischen Hafenpolizei würden leider immer mehr ein "beängstigendes Einsammeln von ertrunkenen Flüchtlingen", sagte der Politiker. Europa müsse diese Menschen aufnehmen und die "nationalen Egoismen" beiseitelassen.

Die Küstenwache teilte am Donnerstag mit, in den vergangenen 24 Stunden seien insgesamt mehr als 900 Menschen aus den Fluten der Ägäis gerettet worden. In Piräus kamen am Morgen an Bord von drei Fähren knapp 5000 Migranten von den Ägäisinseln an. Die meisten wollen nach Westeuropa weiterreisen.

Offiziere der Küstenwache befürchten, dass es in den kommenden Tagen zu weiteren Unglücken kommen könnte. In der Ägäis ist die Wetterlage derzeit sehr gefährlich für kleine Boote. Am Donnerstag tobten vielerorts Winde der Stärke sieben. Seit Jahresanfang sind bislang rund 300.000 Flüchtlinge über das Meer nach Lesbos gelangt.


Aus: "Gekentertes Flüchtlingsboot: Küstenwache fürchtet Dutzende Tote nach Unglück vor Lesbos" (29.10.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/aegaeis-dutzende-tote-nach-unglueck-vor-lesbos-befuerchtet-a-1060143.html


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Quote[...] Alcinda Honwana erklärt, warum die Generation "Waithood" darauf beharrt, dass ihre Probleme durch den Westen mitverursacht sind

STANDARD: Sie nennen die Generation, die jetzt in Afrika aufwächst, "Waithood-Generation": Junge, die mangels Arbeitsmöglichkeiten nicht in das Erwachsenenleben eintreten können. Was genau kennzeichnet diese Generation?

Honwana: Diese Generation lebt in einer Art Zwischenwelt. Sie sind keine Kinder mehr, haben aber nicht die Möglichkeit, in das Erwachsenenleben einzutreten. Sie sind nicht unabhängig, haben keine Jobs, keine eigenen Wohnungen, keine Familien. Sie warten auf all das. In Europa hat die Wirtschaftskrise die Jobmöglichkeiten reduziert, viele Leute mit guter Ausbildung sind arbeitslos oder müssen einer Arbeit nachgehen, für die sie überqualifiziert sind. So leben sie noch bei ihren Eltern im Kinderzimmer und lassen sich von ihnen durchfüttern. Das ist in Afrika schwieriger: Die Mehrheit ist arm und kann sich nicht um die erwachsenen Kinder kümmern. So halten sich die jungen Leute mit kleinen Jobs über Wasser und verdingen sich als Straßenhändler, als Schuhputzer, auch wenn sie gut ausgebildet sind. Und sie kommen unweigerlich auch mit Kriminalität in Kontakt.

STANDARD: Wie unterscheidet sich ihre Situation von der ihrer Eltern?

Honwana: Am Beispiel Mosambik: Ein Großteil der jungen Männer waren frühen Arbeiter in den Goldminen Südafrikas. Ein klassischer Lebenslauf sah so aus: Mit 18 Jahren gingen sie mit einem 18-Monate-Vertrag nach Südafrika und arbeiteten in den Minen. Sie kamen zurück und konnten ein Ehegeld bezahlen, sie heirateten, gingen wieder nach Südafrika mit dem nächsten Vertrag. Nach der neuerlichen Rückkehr wurde ein Haus gebaut, nach der nächsten Rückkehr kamen die Kinder. Man konnte sich an einem System orientieren, das existiert heute nicht mehr.

STANDARD: Aus welchen Gründen?

Honwana: Es ist eine Kombination aus schlechter Regierungsführung, schlechtem Management, sozialen und ethnischen Spannungen und daraus resultierenden Krisen und den globalen Strukturen des Kapitalismus. In Mosambik wurde beispielsweise durch den langen Bürgerkrieg (1977 bis 1992, Anm.) sehr viel soziale Infrastruktur zerstört. In Südafrika gerieten die Minen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die meisten afrikanischen Länder sind abhängig von Hilfe der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, die wiederum strikte Einschränkungen und Regeln haben, die den schwachen Märkten in Afrika aufgezwungen werden.

STANDARD: Jüngst war bei Studentendemos gegen hohe Studiengebühren in Südafrika auf einem Plakat zu lesen: "New democracy, same old shit" und "Sorry for the inconvenience. We're trying to change the world." Die Generationen davor waren politisch, weil sie zum Beispiel gegen den Kolonialismus auftraten. Und die aktuellen?

Honwana: Junge Afrikaner nehmen wahr, dass ihre Probleme nicht rein afrikanische Probleme sind, sondern Probleme eines weltweiten Systems. Natürlich mitverursacht durch schwache Regierungen, die unfähig waren, die Wirtschaft vor multinationaler Ausbeutung zu schützen. Wenn junge Afrikaner jetzt nach Europa auswandern, sagen sie damit auch: "Unser Problem ist auch euer Problem, denn euer System hat das Ganze erst möglich gemacht." Viele multinationale Konzerne aus Europa und den USA, mittlerweile auch aus China, machen gutes Geld in Afrika, das dort niemandem nützt.

STANDARD: Die vergangenen Jahre zeigen einige Beispiele von Protesten – getragen vor allem von der jungen Generation –, die zu Rücktritten von Regierungen geführt haben. Hat sich denn die Situation der Menschen verändert?

Honwana: Die Umstürze im Arabischen Frühling zeigten, dass Proteste Veränderungen bringen können. Ob diese immer gut sind, kann man nicht vorhersehen. Was alle diese Umsturzbewegungen aber gemeinsam haben, ist, dass sich die Menschen hinstellen und sagen: "So geht's nicht mehr." Natürlich haben die Regierungen die Mittel, den Jungen das Aufbegehren abzugewöhnen. Sie schicken Polizei, Tränengas, Militär. Viele Protestbewegungen wurden im Keim erstickt und die Menschen derart eingeschüchtert, dass sie keine Gefahr mehr darstellen. Die Reihe der Proteste ist trotzdem erstaunlich lang, und Jugendproteste sind eine Konstante in Afrika. Aber Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Nehmen wir die Begehrlichkeiten einiger afrikanischer Präsidenten, sich durch Verfassungsänderungen dritte Amtszeiten zu erzwingen. Im Senegal konnte das verhindert werden, ebenso in Burkina Faso. In Burundi, im Kongo ist das leider nicht gelungen, aber die ganze Welt wurde aufmerksam auf die Situation. In Zukunft werden es die Präsidenten nicht mehr so leicht haben.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr für junge Menschen, einer radikalen Gruppe anheimzufallen?

Honwana: Groß. Die radikalen Gruppen haben teilweise leichtes Spiel bei jungen Männern, die keine Perspektive haben und gegen eine kapitalistische Lebenseinstellung Position beziehen wollen. Noch mehr als ideologische Orientierung und Sinnstiftung bieten Gruppen wie Boko Haram, Al-Shabaab, Al-Kaida und die Salafisten aber finanzielle Absicherung für die Jungen und deren Familien.

STANDARD: Wird die junge Generation – auch von den Eliten – instrumentalisiert, was ethnische und religiöse Konflikte betrifft?

Honwana: Teilweise ja. Aber man muss auch sehen, dass diese Generation auf mehr Wissen und Information zurückgreifen kann als je eine Generation davor. Jeder Jugendliche im kleinsten afrikanischen Dorf kann sich darüber informieren, was in der Welt vor sich geht. Die Kehrseite dieser globalen Informationsvernetzung ist natürlich auch, dass man seine eigene Situation in Vergleich setzen kann zu Biografien anderswo. Und man sieht die Ungerechtigkeiten live und kommt darauf: "Wow, das ist eine Welt da draußen, an der ich nie teilhaben werde." Es reicht nicht mehr, eine gute Ausbildung zu haben, um ein gutes Leben zu bekommen. Auch gut Ausgebildete sind von Arbeitslosigkeit bedroht. Die jungen Afrikaner erwarten viel mehr vom Leben als die Generationen davor und bekommen viel weniger.

STANDARD: Immer mehr junge Afrikaner wollen ihr Glück in Europa versuchen und riskieren dabei teilweise ihr Leben. Die Antwort Europas auf die Sehnsüchte der Menschen könnte deutlicher nicht sein.

Honwana: Wenn Europa die verstärkte Migration als Konsequenz seines eigenen Handelns sehen würde, würden die Reaktionen vielleicht anders aussehen. Wie lange will man noch eine Festung sein, wie lange Zäune aufbauen? Wenn wenige viel haben und viele nichts, wie lange kann das gutgehen? Es sollte doch so sein, dass die Menschen woanders hingehen, weil sie die Qualifikationen haben, die dort gerade gebraucht werden. Und zwar ohne Einschränkungen. Derzeit haben wir es aber mit einer massiven und verzweifelten Migration zu tun, die klarmacht, dass insgesamt etwas falsch läuft.

...

QuoteMeine Wortspende vor 15 Stunden


"Junge, die mangels Arbeitsmöglichkeiten nicht in das Erwachsenenleben eintreten können"

Willkommen in Europa.


QuoteHumanitatis vor 13 Stunden


Viele hier meinen, das hohe Bevölkerungswachstum sei der Hauptgrund für die afrikanische Misere. Warum es so hoch ist, fragt sich aber offenbar keiner.


QuoteCewis vor 13 Stunden


Ich würde sagen, dass ist primär eine kulturelle Sache. Bis vor einigen Jahrzehnten war die Kindersterblichkeit extrem hoch, da brauchte es viele Geburten, und es zahlte sich nicht aus, in Kinder zu investieren (Bildung). Mittlerweile hat sich das geändert, aber die Einstellung nicht. Und kaum ein Staat hat was dafür getan, die Kinderzahl zu verringern. Und die Rolle der Religionen ist da auch nicht sehr ruhmreich.


Quote52678 vor 13 Stunden


Wahrscheinlich weil es relativ offensichtlich ist - arme Leute ohne soziale Absicherung wollen im Alter nicht verhungern und hoffen dass sich die vielen Kinder dann um sie kümmern.


Quotegebdensenfdazu vor 14 Stunden

https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84thiopien

Nachdem ein User hier heute was von Äthopien gepostet hat, musste ich mal nachgoogeln, 90 mio EW und 2050 165 mio EW.
Noch in den 60ern gab es noch 37% der ursprünglichen Wäldern, heute sind es nur noch 3%!
Bei 165 mio EW werden die 3% zwangsläufig auch nocht verschwinden, ernähren kann sich die Bevölkerung dieses Landes ohnehin seit den 70ern nicht mehr selbst. Früher gab es Ernteausfälle alle 25-30 Jahre heute alle 5 Jahre, der Boden erodiert wegen dem Waldverlust und es wächst immer weniger Nahrung, aber die Bevölkerungszunahme ist noch immer am "eskalieren".

Was soll das für eine Zukunft werden?


QuoteBodo Steinbrech vor 14 Stunden

Mal zum Nachdenken:
Wennsich die Bevölkerung in Österreich ähnlich entwickelt hätte wie in Afrika, Arabien und Teilen Asiens, dann hätte Österreich heute 80.000.000 Einwohner - bei nur geringfügig höherer Wirtschaftsleistung als jetzt.

Wie würde Österreich unterdiesen Umständen heute aussehen?
Slums, medizinische Versorgung nur für die wenigen Reichen, Sozialleistungen? Was is das?, Massenarbeitslosigkeit, Armut, Hunger, ...


QuoteMagnetische Banane vor 15 Stunden

Es geht nicht um AFRIKA vs. EUROPA

es geht um ARM gegen REICH ... und das weltweit. die Billa-Kassiererin in Ö und der Minen-Arbeiter in Afrika sind Opfer des gleichen Systems. Bist du Teil der 99% oder der 1%? Das ist die einzige Frage um die es geht ....


QuoteMiliTant vor 15 Stunden

Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortun, um Anteil an einer Situation. Und den haben wir hier alle (nicht als einzelpersonen, sondern als teil einer gesellschaft, die auf kosten der anderen (besser) lebt). die verantwortung haben wir unabhängug dessen ob wir groß was tun. Wenn wir in einem wirtschaftssystem leben, das von anderen auf deren kosten profitiert, haben wir als teil dieser auch einen teil der verantwortung, ... ich versuch eine kultur zu leben, die einander unetrstützt.


QuoteXXLtraurig vor 16 Stunden

Stimmt, die Welt hat eine Verantwortung, aber auch die Regierungen Afrikas!

Von einem User wurde an anderer Stelle ein Link eingestellt mit einem Video, dass ich hier zeigen möchte.

Es ist einfach unglaublich, wie Konzerne und Staaten auf Kosten der Menschen viel Geld verdienen:

Nestlé: Eine Plastikflasche reines Leben - Spekulation mit Trinkwasser in Südafrika
Sie leben ganz nah an der Quelle - und sitzen doch auf dem Trockenen: Die Menschen im südafrikanischen Ort Doornkloof. Viele arbeiten in der dortigen Nestlé-Wasserfabrik, in der das kostbare Gut in Flaschen abgefüllt wird. Sie selbst haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.
https://www.youtube.com/watch?v=pvRRXn5CCQI

Nicht immer nur dem Westen die Schuld umhängen, auch die Regierungen in Afrika sind gefordert!


Quoterotes gfries vor 17 Stunden

warum spricht weder frau honwana, aber vor allem auch nicht frau honsig-erlenburg DAS afrikanische hauptproblem an? das hauptproblem, welches den ganzen kontinent in den abgrund treiben wird? welches auf lange sicht auch europa zebrechen lassen wird?

gerade von der "zeitung für leser" könnte man kritisches hinterfragen erwarten. oder?

unter den 10 staaten, die weltweit das höchste bevölkerungswachstum haben liegen 6 in afrika. alleine die bevölkerung nigerias wächst jährlich 5 millionen menschen, die bevölkerung äthiopiens um 2,5 millionen menschen, ägypten um 1,5 millionen.

2050 wird nach einer UNICEF-studie afrika von 2 milliarden menschen bewohnt.


Quoterotes gfries vor 16 Stunden

guter mann - dazu eine kleine geschichte. in meiner studienzeit war ich mit meiner damaligen freundin - hat ernährungswissenschaften studiert - für ein paar wochen bei einem eintwicklungshilfeprojekt in kenia zugegen.

brunnen bohren und installieren. einfachste gerätschaften mitgebracht, damit jeder halbwegs geschickte mechaniker einen defekt selbst reparieren kann. einfache pflege. hie und da pumplager und dichtung kontrollieren. die frauen waren durchwegs - im gegensatz zu vielen männern - äusserst interessiert. nach drei jahren evaluation. pumpe kaputt. wasserleitungen alle weg.

"warumhabt ihr die dichtungen nicht getauscht?"
"war keiner da, der es tauschen konnte!"
"warum habt ihr uns nicht angerufen?"
"hat keiner gesagt, dass wir anrufen sollen!"

das hat mich und noch mehr meine damalige freundin ordentlich auf den boden runter geholt. stimmung a la "ihr habt uns hunderte jahre ausgebeutet, jetzt ist es eure pflicht uns zu versorgen!"


QuoteUn veistu vor 15 Stunden

Genau diese Wurschtigkeit, Verantwortungslosigkeit und mangelnde Initiative habe ich auch erlebt: z.B. ehem. Missionsschule, schön, aber heruntergekommen, nicht gepflegt. Alle Glasfenster kaputt, auch das Glas der KLassentüren: aber das kaputte Glas, die Reste der Scheiben, steckt noch immer im Rahmen! Kinder könnten sich verletzen! Wurscht. Meine Frage: Warum das kaputte Glas nicht entfernt wurde, beantwortete man, es sei kein Geld für neue Scheiben da.
Oder: engl. Kanalsystem, in Sri Lanka funktionierts und wird noch ausgebaut. In Lagos wirds zur Müllentsorgung missbraucht und einfach zugeschüttet, also ruiniert. Oder: Beamte müssen von NGOs bestochen werden, um sinnvolle Maßnahmen zuzulassen!  ...


Quote52678 vor 17 Stunden

Bis zum Jahr 2100 soll allein Nigeria 900 Millionen Einwohner haben (zur Zeit 170 Millionen und vor 50 Jahren 40 Millionen). Welchen Plan hat die nigerianische Regierung in Bezug auf diesen erwarteten Bevölkerungszuwachs? Ich denke keinen - weder einen wirtschaftlichen Plan noch einen Plan dieses Bevölkerungswachstum zu verringern. Wie heisst es so schön: "If you fail to plan, you plan to fail."


QuotePeter78 vor 17 Stunden

Die Verpflichtung die irgendwer glaubt zu haben sind den Flüchtlingen ganz egal. Und natürlich hat die Autorin recht. Wir haben alle dazu beigetragen.
Und es war vorherzusehen, keineswegs überraschend.


Quotebassin vor 18 Stunden

1960 das Jahr der afrikanischen Freiheit. Seit durchschnittlich 55 Jahren ist Afrika entkolonialisiert. Und immer noch soll Europa schuld sein. Bestes Beispiel Angola. Zwar erst seit 1975 frei. Schwimmt in Öl, betreibt einen Flugzeugträger (den sich Spanien nicht mehr leisten konnte). Aber sonst bitterarm.


QuotePhoenix25 vor 18 Stunden

Verstehen Sie mich nicht falsch aber wer hat die französische Revolution ausgelöst? Ein paar amerikanische Tomahawk Marschflugkörper? Große Veränderungen passieren dann, wenn sich das Volk erhebt und gewillt ist das Land zu ändern. Aber heute, so scheint es, ist es einfacher, einfach zu Tausenden loszumarschieren, anstatt sich zu (Tausenden zu) organisieren und etwas im Sinne des Volkes zu ändern.


Quote*Fussballgott vor 19 Stunden

Kronen Zeitung heute - Migration als Waffe
In Libyen erinnerten sich jetzt die Machthaber des Landesteils rund um Tripolis, dass diese Art von Erpressung bereits einmal geklappt hat: Es war der 2011 getötete Langzeit- Diktator Gadafi, der vor zehn Jahren Europa mit "Tausenden Flüchtlingen" gedroht hatte. Seine Worte damals: "I'll turn Europe black" (Ich werde Europa schwarz färben). Gadafi erhielt daraufhin die gewünschten EU- Milliarden aus Brüssel.
Zehn Jahre später spielt der "General National Congress", eine der beiden großen Bürgerkriegsparteien in Libyen, diese Karte wieder aus. So betonte Regierungssprecher Jamal Zubia: "Wir können jederzeit Tausende Flüchtlinge, die jetzt bei uns in Libyen aufgefangen worden sind und versorgt werden, in Boote setzen und nach Europa schicken.


QuoteKarl Amen vor 19 Stunden

ein interview über die ursachen der migration am beispiel afrikas OHNE auch nur in einem nebensatz auf die bevölkerungsexplosion einzugehen ?
wow, das muss man erstmal zusammenbringen. alles in allem aber trotzdem kein uninteresting interview.


Quotegreenling vor 19 Stunden

Wer nicht einmal eingestehen kann, dass Europa/USA und auch die aufsteigenden Ostländer Mitschuld haben, braucht hier gar nicht erst mitreden.
Die eigenen korrupten Eliten loswerden? Das schaffen ja nicht mal wir und bei uns ginge das viel leichter - vermutlich bald auch nicht mehr, aber momentan könnten wir noch sagen: Das System muss sich ändern!
Im Endeffekt sind wir alle gefangen im System des Kapitalismus, das einige wenige reich beschenkt und dessen Großkonzerne die Weltpolitik diktieren.


QuoteBerto Bertini vor 19 Stunden

Sie haben eine interessante Diskussionskultur.
Wer nicht meiner Meinung ist, braucht garnicht mitreden.


QuoteE Sprit vor 18 Stunden

Und sie haben es nicht verstanden und wollen es nicht verstehen. Europa macht nach wie vor prächtige Geschäfte in dem man afrikanische Staaten ausnimmt. Fischereirechte, landwirtschaftliche Produkte, etc. Es gibt Ansätze dies zu verbessern, aber dort wo sich die Europäer zurückziehen fallen die Chinesen und Inder ein. Für die Einwohner verbessert sich absolut nichts. Fahrens mal hin, aber nicht in diese Urlauberghettos ...


QuoteB JK vor 19 Stunden

Erwachsene Kinder - "Das ist in Afrika schwieriger: Die Mehrheit ist arm und kann sich nicht um die erwachsenen Kinder kümmern."

Bei allem gebührenden Respekt, aber das liegt auch daran, dass es viel mehr erwachsene Kinder gibt. Auch hier könnte sich kaum eine Familie leisten, bis zu 10 erwachsene Kinder zu erhalten. Nicht einmal 10 nicht-erwachsene Kinder.

Natürlich trägt auch dafür der Westen eine Mitverantwortung, wenn der Papst herumreist und gegen Verhütung predigt. Aber vor allem liegt es daran, dass der Westen Medizin und Hygiene gebracht hat, was die Kindersterblichkeit senkte. Ich bin aber nicht bereit, dass als irgendeine Art von Schuld zu interpretieren.

Die Geburtenrate muss rasch zurück gehen!


QuotePerry Rhodan #1 vor 18 Stunden

bildung von maedchen loest fast alle probleme - die geburtenrate geht am schnellsten zurueck, wenn maedchen und frauen besseren zugang zu bildung und ausbildung haben. bessere ausbildung fuer maedchen = spaeteres erstes kind = weniger "youth bulge" = stabileres land = weniger fluechtlinge
Wenn also die welt effektive Hilfe leisten will, dann soll MASSIV in die bildung afrikanischer und westasiatischer maedchen investiert warden. zum teil wird das wegen traditioneller strukturen schwierig sein, aber wenn man nicht aufgibt werden letztendlich gerade diese strukturen dadurch aufgebrochen.


Quote§83SPG, vor 19 Stunden

Sie haben hundert Prozent recht, wenn sie das ständige Fehlen der Bevölkerungsexplosion monieren. Es muss irgendeinen ideologischen Grund haben, dass dieses Problem in den Systemmedien und Problemanalysen konsequent weggelassen und negiert wird. Vermutlich weil dann die Menschen auch bei uns drauf kommen würden, dass immer mehr und hauptsache jüngere Menschen auch keine Lösung ist, ja sogar Risiken inkludiert.

Afrika kann seine Probleme nur selbst lösen. Die wollen gar keinen Rat und keine Hilfe von uns, was ich gut verstehen kann. Europa kann da nichts bewegen oder gar "zum Guten" ändern. Alternativen sind eine Festung zu errichten oder Massen von Afrikanern Heimat bieten.


QuotejcMaxwell vor 19 Stunden

... fangen wir mal mit einer fairen bezahlung für rohstoffe aus afrika an!


QuoteBerto Bertini vor 19 Stunden

Wenn wir für nigerianischen Öl gleichviel bezahlen wie für norwegisches Öl, beuten wir Nigeria aus?


Quote-lt- vor 19 Stunden

Schön langsam nutzt sich die afrikanische Wehleidigkeit ein bisschen ab....man zerlegt in jahrzehntelangen Bürgerkriegen die Infrastruktur der Länder (die oft ohnehin oft noch aus der Kolonialzeit stammen), aber der böse Westen mit seinen Konzernen ist schuld und er soll doch bitte nicht auf Festung machen.


Quotemarotoma vor 20 Stunden

"Unser Problem ist auch euer Problem, denn euer System hat das Ganze erst möglich gemacht."

Die Hälfte davon stimmt schon, der Rest ist ein alter Hut sozialromantischer Träumer. Man könnte natürlich jetzt auch über die korrupten Eliten (die häufig im West studiert haben) in vielen afrikanischen Ländern sprechen und wer sie an die Macht gebracht hat. Aber die Schuld für das eigene Chaos bei anderen zu suchen ist schon recht billig. Und die tendenziösen Fragen der Interviewerin machen das Ganze nicht besser.


Quotepodwolf vor 20 Stunden

Es hat zwar eh keinen Sinn wenn ich hier schreibe, aber nach reichlicher Lektüre ( es gibt seit den 80er Jahren viele interessante Bücher zu Thema Kolonialismus und Neokolonialismus, insbesondere zu Thema Afrika, ist für mich klar, dass der schwarze Kontinent systematisch ausgebeutet und die Bevölkerung durch Regierungen von Gnade der Konzerne oft aufs grausamste unterdrückt wurde. Sicher nicht überall gleich, aber im großen und ganzen stimmt schon die Richtung. Eine Jugend die keinerlei Perspektive hat, versucht ihr Glück in Europa, wobei sie vom Regen in die Traufe kommen. Denn in Europa werden diese jungen Menschen nirgends gut gelitten sein ( bis auf seltene Ausnahmen ) da der Rassismus in Europa unüberwindbar ist.


QuoteSchnapphahn vor 20 Stunden

Die wirklichen Probleme, die ich in Afrika sehe:

-Die unkontrollierte Bevölkerungsexplosion, auch mit Hilfe der katholischen Kirche
-Die Umweltverschmutzung durch Konzerne
-Die Korruption der herrschenden Eliten
-Der mangelnde Wille vieler Einheimischer etwas an den Zuständen zu verbessern. Wenn ich darauf warte, dass sich was ändert, dann wird sich nie was ändern. Ganz besonders die Männer fallen da unangenehm auf.
-Die katastrophale Unfähigkeit der Regierungen

Egal was für Hilfsprojekte man in Afrika bisher durchgeführt hat. Ein Jahr nachdem man die Menschen selber machen lässt ist alles wieder beim alten.

Wenn es doch mal jemanden gibt, der sich twas aufbaut, dann kommt gleich die ganze Verwandtschaft und will Geld.
Aber Schuld sind, wie immer die anderen.


QuoteHans Müller1 vor 20 Stunden

Habe mal den Sohn des "Informationsministers" des damaligen Taylor-Regimes kennengelernt, der hat uns allen Ernstes erklärt dass Japan nur deshalb besser dastehe weil es die USA so wollen, und Afrika halt von den USA unterdrückt wird.

Da ist die konstruktive Geisteshaltung mit der man sehr viele Probleme lösen wird!


Quotexavi vor einem Tag

Gutes Interview. Danke. Aber es streift natürlich nur die vielen Probleme dieser Welt. Und Afrikas ....


...


Aus: "Soziologin: "Junge Afrikaner erwarten mehr und bekommen weniger"" Interview Manuela Honsig-Erlenburg (3. November 2015)
Quelle: http://derstandard.at/2000024941463/Junge-Afrikaner-erwarten-mehr-und-bekommen-weniger

Textaris(txt*bot)

#209
Quote[...]  Erstaunlich. Da schlägt ein AfD-Politiker am Wochenende vor, dass man gegen Flüchtlinge an der Grenze Schusswaffen gebrauchen dürfe – und nichts geschieht. Keine Diskussionen, keine Analysen, keine Kommentare in unserer ansonsten so kommentarreichen Zeitungslandschaft. Und weil wahrscheinlich nichts geschah, meldet sich keine 24 Stunden später der nächste AfD-Politiker, dieses Mal Alexander Gauland, und wiederholt die Forderung.

Markus Pretzell, Landesgruppenchef der AfD aus Nordrhein-Westfalen, wird von der Nachrichtenagentur dpa am Wochenende mit den Worten zitiert: Die Verteidigung der deutschen Grenze als Ultima Ratio ist eine Selbstverständlichkeit.

Und weiter: Wenn man den ersten Schuss in die Luft gibt, wird deutlich, dass wir entschlossen sind. So weit werde es aber sicher nicht kommen, ergänzt Pretzell, denn: Die Menschen sind doch vernunftbegabt.

Da die Alternative für Deutschland eine Partei ist, die in fünf Landtagen und im Europaparlament sitzt, ist sie aktiv an deutscher und europäischer Gesetzgebung beteiligt. Allein aus diesem Grund ist es notwendig, dass man sich mit dem Vorschlag ernsthaft beschäftigt.

Am gleichen Tag, als Pretzell Schießbefehle als politisches Mittel an der deutschen Grenze zu legitimieren versuchte, starb Günter Schabowski. Viele kennen den SED-Funktionär als jenen Mann, der aus Versehen die Grenze öffnete. Dadurch wurde er eine Art The Big Schabowski. Schabowski war in der DDR für die Grenzsicherung zuständig und wurde nach der Wende für den Bau der Mauer und die daraus resultierenden Mauertoten für verantwortlich erklärt und zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Über die Mauertoten erklärte er sich bei diesem Prozess mit den Worten:

"Als einstiger Anhänger und Protagonist dieser Weltanschauung empfinde ich Schuld und Schmach bei dem Gedanken an die an der Mauer Getöteten. Ich bitte die Angehörigen der Opfer um Verzeihung."

Hier sprach also einer, der sich mit Grenzen und Mauertoten lange auseinandersetzte, und von der politisch komplizierten Theorie der DDR zu der moralisch sehr simplen Erkenntnis gelang, dass man dereinst Tote an einer Grenze aus Gründen einer "Weltanschauung" in Kauf nahm und sich, ob gewollt oder nicht, mit diesen Worten nicht nur für die Toten entschuldigte, sondern auch die Anschauung dahinter. Sie lautet: "Verteidigung der Grenze mit allen Mitteln".

Hier liegt die Verbindung zwischen Schabowski und Pretzell. Es trennt sie nur 26 Jahre. Eine Generation. Das ist verdammt wenig. Und nun soll die Verteidigung der Außengrenze eines deutschen Staates mit Waffengewalt laut Pretzell erneut eine Selbstverständlichkeit sein? Wenn dem so ist, weshalb sitzt er im Europaparlament, dessen oberstes Ziel die Aufhebung nationaler Grenzen ist?

Dass eine Grenze gesichert und kontrolliert werden muss, wird als Selbstverständlichkeit definiert. De facto haben wir in Deutschland aber seit dem 1995 in Kraft getretenem Schengener Abkommen keine gesicherte Grenze. Also Deutschland zurück zu den Grenzen nach 1989 und vor 1995?

Was genau ist eigentlich eine Ultima Ratio? Die deutsche Übersetzung aus dem Lateinischen heißt "letzte Möglichkeit" oder "letztes Mittel". Pretzell meint also, das letzte Mittel gegen Flüchtlinge sei Schusswaffengebrauch an der Grenze. Ist das tatsächlich so? Darf man sich gegen einen Grenzübertritt eines Flüchtlings mit Waffen wehren? Gibt es einen Notwehrparagrafen gegen Flüchtlinge im Gesetz?

Ist nicht ganz im Gegenteil der Grenzübertritt seitens eines Flüchtlings angesichts der Genfer Flüchtlingskonvention, die Deutschland unterzeichnet hat, und angesichts Artikel 16a des Grundgesetzes, "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", nicht legitim? Ist das, was als illegitimer Grenzübertritt gehandelt wird, nicht vielmehr eine Einreise auf Rechtsgrundlage? Kritiker des "ungeordneten Flüchtlingsstroms", wie Innenminister de Maizière und andere ihn bemängeln, vergessen, dass unsere Gesetzeslage von "politisch Verfolgten" spricht und nicht von "in einem sicheren Drittstaat erstregistrierte politisch Verfolgte".

Bevor der Begriff des Ultima-Ratio-Prinzips im Strafrecht als letztes Mittel zur Sicherstellung des Rechtsfriedens Einzug nahm, ließ im Dreißigjährigen Krieg der Kirchen- und Staatsmann Kardinal Richelieu auf die Kanonen ultima ratio regum prägen.

Das letzte Mittel der Könige stand da also, bevor der letzte Gruß aus der Kanone abgefeuert wurde. Das letzte Mittel gesteht indirekt auch eine Notlage ein. Doch worauf begründet sich eigentlich der Notfall? Worauf begründet sich für die in Deutschland lebenden Bürger eigentlich die Gefahr von ein paar Hunderttausend Flüchtlingen? Worin besteht die Gefahr für Leib und Leben der Deutschen? Wo genau sind wir bedroht? Wohnraum? Gesundheit? Nahrung? Bildung? Man kann es drehen und wenden wie man will. Mangel an Wohnraum, Gesundheit, Nahrung und Bildung erleiden die Flüchtlinge. Nicht wir.

Flüchtling sein beschreibt eine Bewegung. Weg von der Gefahr, hin zur Sicherheit. So betrachtet ist eine Flucht dann zu Ende, wenn der Flüchtling sicheren Boden betritt. Im Europäischen Recht ist der Flüchtling aber auch ein rechtlicher Status. Das heißt, die Fluchtbewegung ist beendet, der Status jedoch bleibt. Oft für viele Jahre. Nehmen wir an, wir würden alle Flüchtlinge, sobald sie sicheren Boden betreten, nicht mehr Flüchtlinge nennen, sondern sie zu freien Menschen erklären, die in europäische Länder ein- und ausreisen dürfen, wie würden wir die Bewegung dieser Menschen dann nennen?

Würden Markus Pretzell und andere, die mit dem Gedanken der Grenzsicherung durch Waffengewalt sympathisieren, immer noch das Gefühl des Notfalls erleiden, wenn man Flüchtlinge zu freien Menschen "umdeklariert"? Würde dann das Gefühl aufhören, dass uns die Flüchtlinge "gehören" und "wir" mit "ihnen" machen dürfen, was wir wollen? Reinlassen, rauslassen, Geld gewähren, Geld kürzen, in Transitzonen stecken, in Hotspots, Registrierungslager, Internierungslager, Auffanglager, irgendwelche anderen Lager oder gleich erschießen und so weiter, weil doch, wie immer behauptet wird, eine Notlage herrsche?

Was wäre, wenn wir aus Flüchtlingen, sobald sie europäischen Boden betreten, "Europäer mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis" machen, die sich dieses Recht durch Heimatverlust erwirkt haben? Sie wären die Ersten der Europäische Union, die probeweise einen europäischen Pass mit Arbeitserlaubnis bekämen. Was wie ein ultrahippiehafter Gedanke klingt, ist eine uralte Idee.

Der Chefintellektuelle und Vorzeigehippie der aufgeklärten deutschen Wertegemeinschaft, Alexander von Humboldt, erreichte im Jahr 1857, dass König Friedrich Wilhelm IV. ein Gesetz unterschrieb, in dem es hieß: "Sklaven werden von dem Augenblicke an, wo sie Preußisches Gebiet betreten, frei." Humboldts einleuchtende Idee bestand darin, dass alle Menschen "gleichmäßig zur Freiheit bestimmt" sind. Hier wurde also keine nationale Grenze gesichert, sondern der rechtliche Status durch eine politische Maßnahme geändert. Eine Ultima Ratio, wenn man so will.

Pretzells weitere Aussage, dass der erste Schuss in die Luft "Entschlossenheit" signalisieren solle, lässt keinen Gedankenspielraum für die Frage, wohin der zweite Schuss zielt. Jede weitere Ergänzung eines solchen Satzes wäre eine Relativierung. Und was im Folgenden wie eine Relativierung klingt, ist in Wirklichkeit eine Steigerung.

Pretzell versucht zu beschwichtigen, indem er anmerkt,  dass es zum weiteren Schuss nicht kommen müsse, denn die Menschen seien schließlich "vernunftbegabt". Damit meint er nicht den deutschen Grenzschützer. Vernunft setzt er bei den Flüchtlingen voraus. Wer vernunftbegabt ist, wird stehen bleiben. Nur Unvernünftige lassen sich erschießen, wäre wohl die Schlussfolgerung.

Menschen, die vor Krieg fliehen, haben oft eine lange Reise hinter sich, in der sie manchmal Dinge tun, die auf den ersten Blick unvernünftig erscheinen. Mitten in der Nacht ein wackeliges und überfülltes Boot ohne Rettungsweste und Trinkwasser auf rauer See besteigen, ist nur ein Beispiel von vielen. Aus einer lebensbedrohlichen Maßnahme wurde im Nachhinein ein lebensrettendes Mittel. Das ist die Ultima Ratio eines Flüchtlings.

In der DDR nannte man die Mauertoten übrigens konsequent "Gesetzesbrecher". Der DDR-Journalist Karl Eduard von Schnitzler legitimierte die Toten einst mit der Feststellung: "Soll man von unserer Staatsgrenze wegbleiben – dann kann man sich Blut, Tränen und Geschrei sparen." Da ist sie ja wieder, die alte neue Strategie, ein Verbrechen als Notwehr umzudeuten, in deren Namen angeblich nicht der Mensch, sondern die Vernunft zum Opfer fiel.

Quoteyurina
#3  —  vor 1 Stunde 54

Danke. Und noch ein Voschlag für Zeit online: Hört auf (und nicht nur Ihr) das ganze Flüchtlingskrise zu nennen. Sie kommen. Und wir helfen, so gut es geht. Und es sind Menschen mit Menschenrechten. Keine Manövriermasse. Schöne Grüsse vom Gutmenschen, da bin ich stolz drauf.


Quote
Lampyridae
#6  —  vor 1 Stunde 22

Natürlich herrscht Krieg. Aus Sicht der besonders "besorgten Bürger" befindet sich D bereits in einem Bürgerkrieg - "Linksgrünversiffte Gutmenschen" in Koaltion mit den "Moslem-Invasoren", gegen das "Volk". Man schaue nur mal in deren politische Heimstätten, wie PI, oder höre sich Reden deren "Intellektueller" wie Pirincci an:Deutschland wird angegriffen. Das deutsche Volk kämpft ums nackte überleben. Die Deutschen, als von einem Genozid(!), bzw. einer Neuauflage der NS-Euthanasie(!) bedrohte Spezies. Kein Wunder, dass dann täglich Flüchtlingsheime angesteckt oder dunkelhäutige Menschen niedergeschlagen werden, man muss sich ja "wehren"...


Quotepentagram
#8  —  vor 1 Stunde 14

Die Forderung der AFD zeigt wessens Geistes Kinder Sie sind. Eine Forderung die in eine Autoritäer Diktatur passen würde. ...


QuoteBluto Blutarski
#18  —  vor 1 Stunde 10

Also ich weiß nicht: Die Idee einer robust gesicherten Grenzbefestigungsanlage rund um die am lautesten schreienden Bundesländer herum ist zwar nicht neu, gewinnt aber in meinen Augen von Tag zu Tag mehr an Attraktivität!

Quote
Runkelstoss
#18.1  —  vor 1 Stunde 6

[Die Idee einer robust gesicherten Grenzbefestigungsanlage rund um die am lautesten schreienden Bundesländer herum ist zwar nicht neu, gewinnt aber in meinen Augen von Tag zu Tag mehr an Attraktivität!]

Aber vorher versuchen wir es noch einmal mit Integrationskursen.



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Aus: "Kiyaks Deutschstunde / Flüchtlingspolitik: Ist Krieg oder was?" Eine Kolumne von Mely Kiyak (4. November 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/2015-11/afd-fluechtlinge-kiyak-deutschstunde