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[Glück und Narkose (Blödmaschinen)... ]

Started by Textaris(txt*bot), February 04, 2008, 11:48:09 AM

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Textaris(txt*bot)

Die Realität werde unsichtbar hinter einer Scheinwelt aus Werbung, Klischees, Propaganda, die aber wiederum ganz reale Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat. Real Erlebtes oder Ersehntes wird zunehmend durch seine Repräsentation, durch sein Surrogat ersetzt ... Aus: "Die Gesellschaft des Spektakels" (La société du Spectacle,1967), https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Gesellschaft_des_Spektakels

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Quote[...] Es gibt Vorgänge, die kann man zur Kenntnis nehmen oder schlichtweg ignorieren. ,,DSDS"-Gewinner Prince Damien hat die 14. ,,IBES"-Ausgabe gewonnen. Das ist ebenso zur Kenntnis zu nehmen wie die erneut sehr solide Quote der Dschungelshow: Im Schnitt 5,28 Millionen Zuschauer verfolgten die 16 Tage. Damit steht fest, was zu Beginn 2021 im privaten RTL-Programm laufen wird. ,,Ich bin ein Star – Holt mich hier raus", 15. Staffel.

Der anhaltende Erfolg zeigt, was für einen Teil des Publikums Fernsehen ist: Amüsement, Entspannung, Schadenfreude. Es wird akzeptiert, dass sich das kommerzielle TV-System in seinen erfolgreichsten Programmen über die Jahre und Jahrzehnte vom Anspruch eines Vollprogramms verabschiedet hat. Information heißt dann Tratsch und Verbrechen, Skandal und Verbraucherschutz, einzig und allein Marktführer RTL gibt den Nachrichten und Themen des Tages noch den notwendigen Raum und die gebotene Aufmerksamkeit. Unter dem Ansturm der Streaming-Plattformen wird über die Sender hinweg die eingeübte Unterhaltung mehr denn je präferiert, die x-te Staffel ,,DSDS", das ,,Nackt-Experiment", ,,The Masked Singer" belegen den Professionalismus der Sender.

Bedürfnisse werden befriedigt, Eskapismus wird geliefert, Härten im persönlichen Dasein können überbrückt werden. Das private Unterhaltungsfernsehens hat seine Funktion, seinen Erfolg.
Wie merkwürdig aber ist zugleich, dass sich an diesem Fake-Fernsehen kaum Kritik aufbaut, ...


Aus: "Applaus für Eskapismus, Buhrufe für Information" Joachim Huber (26.01.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/ungerechte-fernsehwelt-applaus-fuer-eskapismus-buhrufe-fuer-information/25474376.html

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Quote[...] Es ist der »glücklich zu Ende verblödete Mensch«, der sich bei IKEA sein Leben zusammenkauft; der ohne Heimatfilm, ohne Quelle-Katalog, ohne Bild-Zeitung nicht existieren will ... Metz und Seeßlen setzen dementsprechend auf die Hoffnung, das eigene Leben wieder zurück zu gewinnen, indem wir lernen, die Blödmaschinen zu verstehen und ihnen so die Macht nehmen, uns zu beherrschen. In erster Linie heißt das, uns von unserer eigenen Blödheit zu befreien: Raus aus Narragonien! Wir müssen, so die Autoren, die Welt wieder denkbar und veränderbar machen. ...


Aus: "Herrschaft der Narren" Jürgen Nielsen-Sikora Über die treffende Gegenwartsbeschreibung »Blödmaschinen« von Markus Metz & Georg Seeßlen (Markus Metz, Georg Seeßlen: Blödmaschinen - Die Fabrikation der Stupidität - edition suhrkamp 2609, Broschur 780 Seiten (2011)
ISBN: 978-3-518-12609-7)
Quelle: http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/m/metz_seesslen.htm

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Quote[...] Verblendung ist ein Grundthema der europäischen Geistesgeschichte, von den homerischen Epen über die Theologie bis zur modernen Philosophie. Die Bedeutungsbreite reicht von ,,Verwirrung der Sinne" und ,,Wahnvorstellung" über ,,Blindheit des Geistes" (lateinisch caecitas mentis, caecitas animi oder excaecatio) und ,,Gottlosigkeit" bis hin zur modernen Deutung als ,,Realitätsverweigerung". ...


Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Verblendung_(Geistesgeschichte)

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Quote[...] Die Narkose (altgriechisch νάρκωσις, nárkōsis - heute νάρκωση, nárkosi, ,,In-Schlaf-Versetzen") oder auch Allgemeinanästhesie ist ein medikamentös herbeigeführter, kontrollierter Zustand der Bewusstlosigkeit.

Die Narkose ermöglicht die Durchführung von besonders schmerzhaften oder anderweitig nicht vom Patienten tolerierten Prozeduren in der Human- und Veterinärmedizin.

Eine wissenschaftliche Beschreibung der Narkose lautet ,,pharmakologisch induziertes, reversibles Koma". Die künstlich herbeigeführte Narkose bewirkt somit die zeitweilige, umkehrbare Funktionshemmung des zentralen Nervensystems (ZNS) mit Herbeiführung von Bewusstseinsverlust (Schlaf) und Ausschaltung des Schmerzempfindens (Analgesie). In vielen Fällen ist zusätzlich die schlaffe Lähmung der Willkür-Muskulatur erwünscht. Die Narkose geht mit einer Dämpfung der Reflexe einher.

[...]


Aus: "Narkose" (02/2008)
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narkose

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Quote[Natalia Novoshilova:] [...] Meine Landsleute haben wegen so vieler Geschehnisse das Solidaritätsgefühl verloren. Fast jeden Tag sehen wir im Fernsehen, wie Busse und Züge in die Luft gejagt werden, Flugzeuge ab- und Wohnhäuser einstürzen, Altersheime brennen und viele Menschen sterben. Aber es gibt deswegen keinen Aufstand. Das wird kaum in privaten Gesprächen diskutiert. Die Menschen haben sich in ihren kleinen Muscheln versteckt und wollen nicht gestört werden. Deswegen widersprechen sie den Machthabern nicht, wenn sie von ihnen hören, dass das Land endlich Stabilität erreicht hat.

[...]  Nicht alle meine Artikel werden von meinem Redakteur zum Druck freigegeben. Er will keine Konflikte mit der Macht und mit der Mafia. Und so handeln heute alle Redakteure. Aus diesem Grund haben viele meiner Kollegen diesen Job aufgegeben. Sie arbeiten jetzt ruhig in Pressestellen der Unternehmen sowie in staatlichen und städtischen Einrichtungen. Dort bekommen sie für leichte Arbeit gutes Geld. Diese ehemaligen Journalisten sagen dazu, dass sie es so schaffen, die Zeiten der nicht vorhandenen Freiheit gut zu überstehen, ähnlich wie die Bären die Winterzeit in Höhlen verbringen. Ich glaube dem aber nicht. Geht man einmal den Weg des Konformismus, schafft man es nicht mehr, diesen Weg zu verlassen.

Ich bin gewohnt, zwischen den Zeilen zu schreiben. Aber immer öfter und öfter klappt es nicht. Und es tut mir leid, nicht, dass aus politischen Gründen meine Artikel, in die ich viel Arbeit gesteckt habe, in den Müllkorb landen, sondern, dass Bürger keine objektive Information erhalten. Die Menschen leben seit den letzten acht Jahren in einem Informationsvakuum. Die staatliche Propaganda funktioniert heute wie eine Gehirnwäsche, so wie es in der Sowjetunion üblich war. Jeden Tag redet man immer das gleiche über das Blühen des Landes und dass es nur einem Mensch zu verdanken ist – dem Präsidenten. So glauben viele dieses Märchen, besonders ältere Menschen.

Tag für Tag wird es schwieriger, den Menschen eine andere Meinung als die des Kremls zu vermitteln. Mein Redakteur hat mir untersagt, den Namen von Putin und seine regierende Partei "Einiges Russland" negativ zu erwähnen, sogar darauf hinzudeuten. Bis jetzt darf man den Gouverneur kritisieren, weil der Redakteur mit ihm noch eine offene Rechnung zu begleichen hat. Aber es ist verboten, den Bürgermeister und andere Beamter zu kritisieren.

[...] Gerichte, Polizei, Staatsanwaltschaft – alle sind Diener der Macht.

[...] Das Leben in meinem Land wird mit unglaublicher Geschwindigkeit teurer und teurer, während mein Gehalt schon seit 7 Jahren nicht mehr erhöht wurde und auf dem Niveau von 120-130 Euro bleibt. Ich denke, hätte ich nicht die Auszeichnung "Freie Presse" erhalten, hätte man die Auszeichnung in "Hungrige Presse" umbenennen müssen. Übrigens, unsere Machthaber versichern, dass sich der Lebensstandard in Russland ständig erhöht. In Wirklichkeit geht gesellschaftlich die Schere immer weiter auf, wobei die Armen ärmer und die Reichen reicher werden.

[TP] Wie würden Sie jetzt, in diesem Moment Ihr Leben in Vladimir beschreiben?

Natalia Novoshilova: Ich kann in einem Satz meine heutige Situation so beschreiben: Es ist ein täglicher Kampf ums Überleben. Aber ich fühle mich schon glücklich. Außen – eingeschränkt. Innen – frei. Deswegen lächele ich fast immer.


Aus: "Die Menschen haben sich zurückgezogen" Von Claudia Hangen (TP, 03.02.2008)
Die russische Journalistin und Regimekritikerin Natalia Novoshilova über Ausländerfeindlichkeit und die Lage im Land Putins"
Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27149/1.html


Textaris(txt*bot)

#1
Quote[...] Eberhard Rathgeb beschreibt in der ,,FAZ" Bernard Stieglers Studie ,,Die Logik der Sorge" als Alltagshilfe zum heutigen System. Das ,,Büchlein gegen die Psychomächte" habe es in sich, meint der Rezensent. Der Autor beschreibe diesmal nicht den Arbeiter als tragischen Held der heutigen Gesellschaft, sondern den Konsumenten. Nur ,,aussteigen" aus der Gemeinschaft solle jedoch keiner der Leser. ,,Die Verschwörung der Idioten" produziere auch nur Idioten. Nach Ansicht des Rezensenten soll sich jeder Leser nach der Lektüre eine Frage stellen: ,,Leben nur Idioten systemkonform?"

[...]


Aus: "Presseschau vom 5. Mai 2008: Die Berliner Literaturkritik" (05.05.08)
Quelle: http://www.berlinerliteraturkritik.de/index.cfm?id=17970

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Quote[...] ,,Tina" ist ein Mädchenname, aber auch die Abkürzung von: There is no alternative - es gibt keine Alternative (zum bestehenden System).

[...] Technik und Medien sind in seinen [Bernard Stieglers] Augen ,,Psychomächte", die aus Menschen von klein auf (Fernsehen schon für Babys, Werbung schon für Kinder) blinde Konsumenten machen. Nur eine auch staatlich in Angriff genommene ,,Schlacht der Intelligenz" (eine, wieder in seinen Worten, ,,Industriepolitik des Geistes") könne die Herrschaft der Psychomächte über die infantilisierten und entmündigten Menschen brechen.

Die Psychomächte kanalisieren und vernichten teilweise die Aufmerksamkeitspotentiale der Menschen, die damit letztendlich zu wahrer, der (Selbst-)Aufklärung verpflichteter Bildung nicht mehr fähig sind. Die ,,Verschwörung der Idioten" (Stiegler sagt auch: ,,die Verschwörung der Feigheit und Faulheit") produziert Idioten. Leben nur Idioten im System? Wer noch kein Idiot ist und sich zu wehren vermag, der versucht die Psychomächte zu unterlaufen und zu stürzen. Der Sound des Stiegler-Manifestes, das auch den Klassiker ,,Triebstruktur und Gesellschaft" von Herbert Marcuse wieder zur Geltung bringt, hört sich an wie ein Ritt der Walküren: Einfach nur aussteigen sollte keiner, der es ernst meint.

Der Geist (vor vierzig Jahren hieß das Wesen: der Intellektuelle) sitzt im Sattel (damals war das die Avantgarde), er reitet wieder (im Jargon jener frühen Jahre: Theorie und Praxis verbindend) - nicht direkt in die Fernsehstudios und die Werbeagenturen, um den Stecker rauszuziehen (es heißt nicht: Enteignet Springer & Jacobi!), sondern zum Staat, zum Gesetzgeber, um dort dem aufklärerischen Buchstaben gegenüber dem flimmernden Bild wieder zu seinem Recht zu verhelfen.

Die Logik (der Sorge, und zwar um sich als Bürger, um die Kinder und um die Demokratie) ist ein theoretisch aufwendig instrumentiertes, von dem Freudschen Triebmodell bis zu den Interessen der Konzerne reichendes, in sich geschlossenes, das heißt einen engen Zusammenhang zwischen diesen unterschiedlichen Ebenen herstellendes System, dessen tragischer Held nicht der Arbeiter mit seinem falschen Bewusstsein ist, sondern der Konsument mit seinen falschen Bedürfnissen. Der Konsument weiß nicht, dass er sich mit und in seinen systemkonformen Wünschen verheddert, er kann sich deshalb nicht selbst befreien (bei Adorno organisierte dieses auf Erlösung hin drängende Gefangenenlos der vertrackte Verblendungszusammenhang).

[...] Die gemeine Lebenserfahrung und Lebenspraxis, die wie ,,Tina" dem Anspruch auf das runde Allgemeine misstraut und sich in theorielosen, aber unterhaltsamen Geschichten verzettelt (die endlos sich hinziehenden, das Individuelle nur noch künstlich am Leben erhaltenden Geschichtchen töten den Geist), sieht ganz anders aus: Bierbichler - der Schauspieler Josef Bierbichler hat in dem ihm zum sechzigsten Geburtstag gewidmeten Film von Regina Schilling erzählt, dass er eines Abends in der Gaststube in Ambach am Starnberger See eine Runde mit Leuten vom Fernsehen an einem Tisch beisammen habe sitzen sehen und reden hören, worauf er sofort nur eines still bei sich habe denken können: ,,Barbaren". Das also seien, so Bierbichler ernst in die Kamera hinein, die, die zerstören, was unsere geistige Kultur sei. Doch kam es dann so: Es seien diese Barbaren, wie er schließlich noch in jener mit denen dort gemeinsam verbrachten Nacht habe feststellen können, im Grunde alle irgendwie auch nette Menschen gewesen.


Aus: "Medienkritik: Die Verschwörung der Idioten" Von Eberhard Rathgeb (06. Mai 2008)
Bernard Stiegler: ,,Die Logik der Sorge". Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien. edition unseld im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
Quelle: http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F468/Doc~E9D03B10D717F4180A2B7AF92A69A6410~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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Quote[...]  DIE IDEE ,,NOTWENDIG FALSCHEN BEWUSSTSEINS"

(31) Egal wieviel alle Visionen von ,,Individuum" und Gleichheit reden – im Endeffekt glauben sie alle, dass sie selber näher an ,,der Realität" sind als die systemkonformen Bürger, deren Wahrnehmung von der Welt von der Maschinerie des Kapitals und seiner Medien verblendet wurde. Sie schuften 40 Jahre für ihre Kinder und wälzen sämtliche Verantwortung von sich, da sie sich damit rechtfertigen können, im Kapitalismus nicht anders überleben zu können. Sie haben also ,,notwendig falsches Bewußtsein". Die emanzipatorische Linke dagegen sei näher an ,,der Realität". Wer so denkt, merkt nicht, dass er sich automatisch als Elite betrachtet – wenn ich glaube, ich bin an ,,der einen Realität" näher dran, dann habe ich einen Vorsprung, dann sehe ich mich als besser und als Avantgarde. Ich werte die Menschen in ,,gut" und ,,böse", ihre Wahrnehmung in ,,richtig" oder ,,falsch". Glaube ich aber, dass alle Menschen nur ,,verschiedene" Konstrukte von Realität haben, sind alle wieder auf einer Ebene und ich kann versuchen, die Konstrukte der anderen zu verstehen und so viel besser zu kommunizieren.

[...]


Aus: "Visionen und Utopien - Grundsätze, Ideen, Fragen, Zweifel, lebhafte Debatte"
Maintainer: Annette Schlemm, Version 2, Projekt-Typ: halboffen" (09.02.2001)
Quelle: http://www.opentheory.org/visionen/text.phtml

Quote(31.1.2) Re: 2. DIE IDEE ,,NOTWENDIG FALSCHEN BEWUSSTSEINS", 24.03.2004, 17:41, s w: Die Bewußtseinsindustrie verschleiert nicht nur, sie entlastet auch, hilft, Erkenntnisse über das eigene Leben, über eigene (Mit)Verantwortung,..., zu verdrängen. Wenn man mit den "Arbeitssklaven" ein offenes Gespräch führt, merkt man, dass sie ihre Situation oft besser kennen, als ihnen von außen zugestanden wird. Aber als "Sklaven" haben sie oft wenig Selbstbewußtsein und Hoffnung, etwas an ihrer Situation ändern zu können. Die Bildzeitung liefert einfache Schablonen, in die man sich eindenken / einleben kann, sie macht die Kette erträglich und der Hund genießt die Freiheit, die zwischen ihm und seinem Herren liegt.


[...]

Quote[...] (32.1.1) Re: patriarchale Spaltung dekonstruieren!, 25.05.2001, 20:11, espi twelve: Wichtig finde ich zu zeigen, dass es den Gegensatz bzw. die Trennung von Denken u. Emotionen gar nicht gibt, diese erst produziert wird. Beispiel: Jeder gute Text gegen Herrschaft, gegen Zwänge u. autoritäre Strukturen trägt immer auch Hass, Wut und Leidenschaft in sich und wäre ohne sie undenkbar.


Quote[...] (35) Ich stelle die These auf, dass wir unsere elementaren Annahmen über Welt, Mensch und Gesellschaft überdenken müssen, wenn wir überhaupt noch erfolgreich für unsere Visionen kämpfen wollen. Es kann nicht sein, dass wir immer noch glauben, als heldenhafte Kämpfer für ,,die eine, wahre Realität" anzutreten und alle anderen Menschen nicht als Individuen sehen, deren Wahrheit nun mal anders gebildet wurde als unsere, sondern als Idioten mit ,,falschem Bewußtsein", die wir im Grunde verachten. ...

...

Textaris(txt*bot)

#2
Quote[...] Die entscheidende Frage der letzten Jahre, meint Jacoby, sei weniger, warum die Politiker das Volk belogen hätten, als vielmehr, warum das Volk ihnen diese Lügen so bereitwillig abgenommen habe.


Aus: "Wo sich die Sonne um die Erde dreht: Amerikanische Studien beklagen den Siegeszug von Ignoranz und Infotainment" Von Andrea Köhler (28. Februar 2008, Neue Zürcher Zeitung)
Quelle: http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/wo_sich_die_sonne_um_die_erde_dreht_1.679762.html

Quote[...]  Marc Iseli (28. Februar 2008, 11:04)

Oberflächenästhetik

[...] "Dem selbständigen Schein nachzustreben, erfordert mehr Abstraktionsvermögen, mehr Freiheit des Herzens, mehr Energie des Willens, als der Mensch nötig hat, um sich auf die Realität einzuschränken, und er muß diese schon hinter sich haben, wenn er bei jenem anlangen will. Wie übel würde er sich also raten, wenn er den Weg zum Ideale einschlagen wollte, um sich den Weg zur Wirklichkeit zu ersparen!" Schiller, siebenundzwanzigster Brief, Reflexionen über die ästhetische Erziehung des Menschen


...

Textaris(txt*bot)

#3
Quoteloralitilli, 18. Mai 2008 14:50

Ich habe Angst

[...] Wisst ihr, was das wirklich beschissene daran ist? Das Volk hört
nicht zu. Selbst meine Mutter (die in der DDR aufgewachsen ist)
meint, ich wäre ein paranoider Spinner und das obwohl ich ihr jede
einzelne Meldung, jeden einzelnen Vorschlag des BMIs gezeigt habe.
Ich hab ihr gesagt, was das für uns, das Volk, bedeutet. Die totale
Überwachung. Aber ... paranoider Spinner, ihr wisst schon.

Egal mit welchen aussenstehenden man redet ... "Ist doch garnicht so
schlimm" ... "Ich habe nichts zu verbergen." Selbst ehemaligen
Hackern der 90er geht es am Arsch vorbei? Aber warum? Ganz einfach:
Das deutsche Volk ist feige, faul und dumm. Schaut euch mal die Leute
an! Solange die was zu Fressen haben, gehen die nicht auf die
Strasse.

Schaut mal in die Gethos eurer Stadt. Das einzige, was den Pöpel
interessiert ist Fussball, Big Brother und Co. Aufklärung? Kannste da
nicht machen. "Ey lass misch in Ruhe alda oda isch mach disch pladd."

Was kann man noch tun? Warten und auf die Revolution hoffen? Einen
Bundesweiten Arbeitskreis des freiheitlich demokratischen
Widerstandes gründen? Waffen beschaffen und für die Freiheit kämpfen?
Es wäre dem Volk egal, in den Medien wären wir Terroristen, die die
Demokratie gefährden und promt kommen neue verfassungsfeindliche
Gesetze.

...



Aus einem Kommentar zu: "Bundesabhörzentrale soll US-Geheimdienst NSA nachgebildet werden" (17.05.2008)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/Bundesabhoerzentrale-soll-US-Geheimdienst-NSA-nachgebildet-werden--/meldung/108025

Textaris(txt*bot)

#4
Quote[...] Der Kampf gegen den Terrorismus ist längst zu einem Kampf gegen Bürgerrechte mutiert. Persönlichkeitsrechte werden kurzerhand zur potentiellen Gefahr für die innere Sicherheit erklärt. Der Staat kriegt einen Zweitschlüssel für unsere virtuellen Räume. Die Grenze zwischen privaten und staatlichen Datensammlungen verwischt. ...


Aus: "Zweitschlüssel für den Staat" Katharina Nocun [Politik-Geschäftsführerin der Piratenpartei] (12.06.2013 )
Quelle: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/zweitschluessel-fuer-den-staat

QuoteOLGR 12.06.2013 | 13:49

...  Leider interessiert sich nicht jeder für einen komplexen und abstrakten Angriff auf seine Menschenrechte. Sehr wohl aber für das kommende Fußballspiel und die Frage, welches Outfit bei DSDS am besten gewirkt hat. Die meisten Menschen haben erkannt, dass da etwas fundamental schief läuft, aber wenn sie sich das eingestehen würden, müssten Sie sich selbst gegenüber konsequent bleiben. Das wäre aber mit Arbeit verbunden, mit Engagement und Zeit. Also lieber die Augen schließen und wegschauen. Mir wird ganz anders, wenn ich darüber nachdenke, welche Konsequenzen dieses Verhalten in der Geschichte schon dokumentiert hat.


...

Textaris(txt*bot)

#5
Quote[...] Die Deutschen begegnen den immer neuen Enthüllungen über die weltweiten Spionageaktionen von NSA und europäischen Geheimdiensten mit einer Mischung aus Fatalismus und Gelassenheit. Gut drei Viertel (76 Prozent) der Bundesbürger glauben nicht, dass ihnen durch die NSA persönliche Nachteile entstehen könnten. Das ergab eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Allensbach für die Wirtschaftswoche.

...

Aus: "Deutsche finden NSA-Debatte übertrieben" (2. November 2013)
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-11/nsa-snowden-umfrage-spionageabkommen

Quote
    Veräntergung

Fragen machen die Welt, nicht die Antworten
Ich glaube auch nicht, ", dass mir durch die NSA persönliche Nachteile entstehen könnten."
Natürlich nicht. Wer glaubt das denn?
Die Fragen könnte besser lauten:
"Finden Sie eine Totalüberwachung in Ordnung, ohne dass einen konkreten Anlass oder Verdacht gibt?" ...

Quote
    stabilobox
    vor 38 Minuten

... Abgegriffene persönliche Daten, erstellte Persönlichkeitsprofile, belauschte Kommunikation tut persönlich nicht weh. Leider, muss man sagen. Aber wie wäre es, wenn beim Chatten, beim Mails schreiben, beim Youtube surfen, beim Erledigen von Bankgeschäften ständig jemand hinter einem stünde? Natürlich ein vertrauenswürdiger Beamter! Kein dahergelaufener Straßenräuber. Nein, der Staat stellt jedem Bürger seinen persönlichen Kommunikationsbetreuer zur Seite. Was spricht denn dagegen? Man hat doch schließlich nichts zu verbergen? "Natürlich dürfen Sie Ihre Meinung frei äußern! Ich notier mir nur schnell, was Sie wann wo gesagt haben. Wie wollen schließlich unsere Servicequalität erhöhen!"


Quote
    schna´sel
Für mich ist das so eine Art Stockholm Syndrom. ...


...

Textaris(txt*bot)

#6
Quote[...] In einer kämpferischen Rede hat Sascha Lobo die Netzgemeinde auf der re:publica für ihren Umgang mit dem NSA-Skandal kritisiert. ...



Aus: "NSA-Skandal: Sascha Lobo wirft Netzgemeinde Versagen vor" (07.05.2014)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/NSA-Skandal-Sascha-Lobo-wirft-Netzgemeinde-Versagen-vor-2183959.html

QuoteWolfgang Nohl, 7. Mai 2014 09:19

Die "mündigen" Bürger wollen nur Brot und Spiele
Und das ist schon seit 2.000 Jahren so:

> http://de.wikipedia.org/wiki/Panem_et_circenses

Ein Lebensmittelskandal jagt in Deutschland den nächsten:

> http://www.t-online.de/wirtschaft/jobs/id_69282228/burger-king-feuert-leitung-nach-hygiene-skandal.html

Aber auch das ist den "mündigen" Bürgern völlig egal.
Hauptsache sie bekommen jeden Tag ihren Billigfraß
und sie werden ständig mit Spielen bespaßt:

> http://www.wm2014-infos.de/wm-2014-spielplan/

Die Kritik von Sascha Lobo ist berechtigt.
Die Bürger versagen regelmäßig dabei,
sich für ihre Freiheit einzusetzen.

Auch Berthold Brecht hat dieses Problem erkannt.
In der Dreigroschenoper fasste diese Erkenntnis in den Satz:
"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral."

mfg Wolfgang Nohl


QuoteMarcusson, 7. Mai 2014 11:01
Das Standardproblem des arbeitenden Mannes

Jeden Tag: 1h Anfahrt, 1h Abfahrt, 30-60min Mittagspause, 8h Arbeit
plus Überstunden. Im Schnitt 11-12 Stunden jeden Tag.
Am Wochenende versucht man das kleine bisschen Leben aufzuholen, dass
man noch hat. ... Als arbeitende Menschen haben wir gerade noch genug Zeit für den
ehelichen Beischlaf und das Lesen der Hauptnachrichten. Addiere noch
Kinder dazu und selbst das wird zweifelhaft!
Wenn überhaupt können wir uns ein kleines privates Projekt nebenbei
leisten, dass klein genug ist um es in der Bahn auf dem Weg zur
Arbeit beackern zu können.

... Denken wir mal scharf nach: wollten wir nicht alle eigentlich mal
viel mehr vom Leben als das?
Ist dieses System wirklich ein Zukunftsmodell?
Sollen unsere Kinder sich WIRKLICH auf ewig auf gleiche Art und Weise
gezwungen werden ihr Leben als Humanressourcen abzusitzen?

Ist das wirklich alles alternativlos?


Quotecryptos, 7. Mai 2014 17:43
Es gibt keine Netzgemeinde!

Das Problem bei Lobos These ist, dass es überhaupt keine Netzgemeinde
gibt. Das ist genauso absurd wie es eine Gemeinde der
"Stromverbraucher" und "Esser" wäre. Diese vermeintliche Gruppe hat
kein gemeinsames Identifikationsmerkmal und deshalb auch keine
politische Identität. Die NSA benutzt auch das Internet, das deshalb
als Identitätsstifter ausfällt. Etwas anderes kann bei einer
Netzgemeinde aber kaum Identität stiften, weshalb es keine
Netzgemeinde geben kann.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Ist die Netzutopie gescheitert? Die Großkonzerne im Netz halten fast alle Produktionsmittel des neuen Arbeitsmarkts in den Händen. Es ist Zeit, sich zu wehren.

... Das Internet, die technische Leitutopie unserer Zeit, ist von der Hoffnung zum Problem geworden.  ... Dazu kommt, dass die NSA und ihre zahlreichen Pendants das Netz militarisiert und es damit zu einem System gemacht haben, in dem nur noch mächtige Organisationen bestehen können. Ein Internet ohne Utopie ist aber tot.

... Das Widerstandspotenzial gegen die Oligarchisierung schwindet mit dem Handlungsspielraum der Individuen. Dazu kommt, dass Teile des Staates die Entwicklung durchaus wohlwollend betrachten. Was für das Verhältnis von Google oder Amazon zu ihren Usern und Cloud-Kunden gilt, gilt erst recht für das Verhältnis der NSA zu Amazon und Google, der Übermächtige im Hintergrund wächst automatisch mit. Die Kontrollinteressen von Wirtschaft und Staat sind deckungsgleich. Angesichts dieser Maschinerien verbreiten sich unter den Subjekten  Mutlosigkeit, Resignation und Angst. Die Solidarisierung unter den Akteuren ist schwierig, zu viele und zu hohe manifeste Grenzen zwischen asynchron betroffenen Milieus müssten überwunden werden – das alte Spiel des Teilens und Herrschens.

...


Aus: "Der Aufstieg des Datenproletariats" Günter Hack (10. September 2014)
Quelle: http://www.zeit.de/kultur/2014-09/daten-proletariat-internet


Textaris(txt*bot)

#8
Quote[...] Pötsch, ein hagerer Typ mit rötlichen Haaren, der wie der kleine Bruder von Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer aussieht, will den Leuten nicht nur gefallen und sie zum Tanzen animieren: Er will sie ernsthaft wachrütteln, politisieren, am besten "in Aufruhr" versetzen.

Er und seine Bandkollegen wissen, dass das nicht einfach wird, was auch daran liegt, dass Deutschlands Studenten offenbar immer unpolitischer werden und sich laut einer neuen Studie des Meinungsforschungsinstituts Infratest (SPIEGEL 44/2014) nur noch die Hälfte von ihnen dafür interessiert, was im Bundestag oder anderen Gremien so beschlossen wird. Dafür ist laut der Untersuchung anderes wichtig geworden im Laufe des vergangenen Jahrzehnts, zum Beispiel Karriere machen oder "schöne Dinge besitzen".

... Die Trümmer-Botschaft lautet: "Verkriecht euch nicht, zieht euch nicht zurück, haltet bloß nicht eure Klappe!" Es wäre leichter, einfach gegen das Böse anzusingen. Gegen gierige Banken und Neonazis, verlogene Politiker und Scheinheilige. Doch das wäre erstens langweilig und zweitens ohne große Wirkung. Die Mächtigen ändern sich nicht, nur weil eine junge Band aus Hamburg das so will. "Der effektivste Hebel, über den ich verfüge, ist die Arbeit an mir selbst", sagt Pötsch. Nur wer sich selbst erkennt, erkennt auch die Schwächen des Systems und seine Bruchstellen.

Was ihn so nervt an dieser Gesellschaft, hat Pötsch vor einiger Zeit auch während eines kurzen Gastspiels an der Universität festgestellt. Er hatte sich nach dem Abi für Philosophie eingeschrieben, ein Fach ohne Karriereausrichtung, und so wurde immer wieder die gleiche Frage gestellt: "Was willste denn damit werden?" ...

...  Viele Studenten und Berufsanfänger machten es sich doch am liebsten in den eigenen vier Wänden gemütlich, ausgestattet mit den schönen Dingen, die man sich leisten kann, mit Plasma-TV und Breitband-Internet, Spielekonsolen und Apple-Computer, finanziert von einem Job, den man nicht gern tut, den man aber auch nicht aufgibt, weil er einen absichert, denn: Wer weiß schon, ob man was Besseres bekommt?

"Dieser Rückzug ist erklärbar", sagt Pötsch. "Aber er ist komplett falsch!" Warum eigentlich? Nun muss sich der Sänger, der auch schon Theater gespielt hat, erst einmal sammeln. Eben noch lag er auf der Couch im Backstage-Raum und löffelte dabei eine Tomatensuppe, jetzt brodelt es in ihm. "Das ist so offensichtlich, dass es mir schwerfällt, es zu begründen." Er streicht sich ein paarmal fast wütend durchs Haar, dann legt er los.

"Wir leben doch nicht nur im eigenen Wohnzimmer. Wir leben in einer Gesellschaft. Und Gesellschaft hat etwas mit Anteilnahme zu tun, mit Interesse und mit Teilhabe, die man ausüben kann, um etwas zu verbessern." Es gebe viele Länder auf der Welt, in der die Menschen für diese Teilhabe kämpften. Sie gingen auf die Straße, riskierten ihr Leben. "In Deutschland verzichten immer mehr Menschen freiwillig darauf, Anteil zu nehmen. Gerade auch die jungen Leute - und dabei wissen doch eigentlich alle, dass gesellschaftlich einiges schiefläuft." Es sei doch "verdammt noch mal" allen klar, dass es überall im Lande Armut gebe, dass nicht alle die gleichen Chancen hätten und dass einige Minderheiten noch immer diskriminiert würden. Doch geschehe etwas? Im Song "Papillon" singt Pötsch: "Diese Generation ist wie eine Bombe, die nicht zündet."

... Dass viele junge Menschen lieber ihre Biografien optimieren, als sich mit der Weltverbesserung zu beschäftigen, regt die Musiker von Trümmer auf. Aber sie verstehen schon, warum das so ist: Ihre Generation sei Opfer einer Art Entpolitisierung geworden, die Hochschule würde nur noch zu Strebsamkeit und Karrierebewusstsein erziehen.

"Das humboldtsche Bildungsideal, nach dem die Uni junge Menschen zu autonomen Individuen machen soll, spielt eben keine Rolle mehr", sagt Pötsch. "Heute geht es darum, den Absolventen darauf vorzubereiten, möglichst viel Geld zu verdienen. Und damit er während des Studiums auf keine anderen Gedanken kommt, baut man mittels Prüfungen und Verschulung möglichst viel Druck auf, unter dem er dann leidet."

Für Kasper ist das ein "Leben im Hamsterrad, man trampelt und trampelt und erliegt der Illusion, voranzukommen. Dabei dreht sich in einem minimal kleinen Raum alles nur um einen selbst".

...


Aus: " Jungs-Band Trümmer: Wohin mit dem Hass?" André Boße (01.01.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/musik-die-hamburger-band-truemmer-uebt-den-protest-a-1007928.html

QuoteWerde erstmal erwachsen Junge!
peter_gurt heute, 09:46 Uhr
Mehr ist dazu nicht zu sagen. Heirate, bekomme Kinder und dann reden wir nochmal.


QuoteWir sind der ...
alternativloser_user heute, 16:04 Uhr
... singende tanzende Abschaum dieser Welt. Die jetzige junge Generation ist genau das wovon der schöne Film "Fight Club" handelt. Das gute ist, irgendwann wird diese gemainstreamte, angepasste, unpolitische, im Hamsterrad des Konsums und Karrieremachens gefangene Generation auchmal Kinder haben. Und da Kinder erfahrensgemäß etwas anderes als die Eltern machen (Rebellion gegen die Eltern usw.) wird die nachfolgende Generation es dann hoffentlich richtig knallen lassen.


QuoteTrümmerversteher
Josephk76 heute, 16:57 Uhr
Unpolitisch waren die Studenten schon vor 20 Jahren. Kann sein, dass sich das durch Bologna verschärft hat. Nach Humboldt und seinen Ideen hat damals auch kaum einer gefragt, ich bezweifle, dass das heutigen Studenten noch mehrheitlich etwas sagt. Uni wie viele andere Bereiche als Funktion der Wirtschaft bzw. Rekrutierungsanstalt. Eigentlich genug Grund sich aufzuregen, was die Jungs von trümmer auch tun und deswegen meine Unterstützung hat. Was machen wir? Wir demonstrieren nicht und wenn es eine Demonstration gibt, dann PEGIDA. Mangelnde Bildung führt dann zu einfachen Antworten und noch billigeren Schuldzuweisungen.


...


Textaris(txt*bot)

#9
Quote[...] Stundenlang lag ein Mann regungslos in einem Aufzug der U-Bahn-Station Volkstheater – mitten in der Wiener Innenstadt. Videoaufnahmen zeigen, wie mehrere Fahrgäste den Aufzug nehmen, den Mann dabei aber ignorieren. Keiner betätigt den Notruf, niemand meldet den Vorfall an die Stationsaufsicht oder die Polizei. Auf dem Weg zum Krankenhaus stirbt der Mann.

Der 58-Jährige war nach Angaben der österreichischen Presse in der Nacht auf den 26. Dezember gegen zwei Uhr morgens in den Aufzug gestiegen und dort zusammengebrochen. Vermutlich hatte er einen Herzinfarkt. Gegen sieben Uhr wurde er von einem Reinigungsmitarbeiter entdeckt. Im Krankenwagen starb der Mann, bei dem es sich nach Angaben der Polizei um einen Obdachlosen handelt.

Der Vorfall hatte bereits Konsequenzen für die Mitarbeiter der Wiener Linien. Diese sind dazu angehalten, in der Nacht zwei Kontrollgänge zu machen. Zwei Mitarbeiter, die in der Weihnachtsnacht einen Kontrollgang ausfallen ließen, wurden in der Zwischenzeit entlassen.

Auch für die Fahrgäste, die den Aufzug in der Nacht benutzt haben, könnte der Fall ein Nachspiel haben. Die Polizei prüft, ob Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet wird. Videoaufnahmen der Menschen, die zur fraglichen Zeit im Aufzug waren, würden vorliegen, sagte ein Polizeisprecher der Presse.

...


Aus: "Passanten lassen Sterbenden in Aufzug liegen" (2. Januar 2015)
Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/wien-zivilcourage-unterlassene-hilfeleistung-mann-in-u-bahn-aufzug-gestorben

Quote
    Oakman 17:05 Uhr

Keine einfache Sache.

Ich komme -zumindest im Sommer- morgens auf meinem Weg zur Arbeit durch eine deutsche Großstadt in Bahnhofsnähe regelmäßig an Obdachlosen vorbei, die meistens stark alkoholisiert am Straßenrand liegen.

Ganz ehrlich, was tun? Die Personen sind nicht i. d. R. nicht ansprechbar. Grundsätzlich den Rettungsdienst verständigen? Jeden Morgen 2 - 4 Mal 112 wählen? Ist das praktikabel und zweckdienlich?

Ich habe in mehren Jahren exakt 1 mal angerufen, weil mir die Sache komisch vorkam - ich weiß gar nicht mehr, wieso. Ansonsten bin ich auch weitergegangen.


Quote
    peter123bln 17:06 Uhr

6. hmmm.... auch wenn das zynisch klingt - aber in berlin sehe ich täglich jede menge obdachlose herumliegen. in der u-bahn , auch der parkbank, im voraum zum geldautomaten bein der sparkasse etc. sie pennen dort, schlafen ihren rausch aus etc.

soll man da den puls fühlen oder wie stellen sich das einige hier vor ?

... ich wette, wenn der mann nicht nach penner ausgesehen und gerochen hätte, hätte 90%+x de rleute sofort einen arzt gerufen. aber so nehmen die leute naheliegenderweise an, da pennt halt ein obdachloser.


QuoteSouveräner Staat 17:07 Uhr

8. Schlimm, aber...

ich nehme mal an, dass die Passanten wahrscheinlich gehandelt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass der Mann einen Herzinfarkt hatte. Aber wer kann das schon im Fahrstuhl diagnostizieren? Ich nehme an, es sah wahrscheinlich so aus, als ob er sternhagelvoll von einer Weihnachtsparty zurück kehrt, und dabei seinen Rausch ausschläft.
Obdachlose sind leider in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt. Die meissten, bei denen man ihre Lebensumstände sehen und riechen kann (nicht bei allen ist das so), sind in der Regel für Hilfe nicht zugänglich und oft auch psychatrische Fälle. Wer da den barmherzigen Samariter spielt, wird nicht immer mit Dank belohnt. Im konkreten Fall hätte ich wohl auch nicht den Mut, in der Enge eines Fahrstuhls einen Besoffenen aus dem Tiefschlaf zu wecken.


QuoteHuysmans 17:15 Uhr

11. Das ist schlimm, aber die Notlage nicht einfach erkennbar!

Leider muss man sowohl in Deutschland als auch in Österreich eine deutliche Zunahme von Obdachlosen, vor allem in den Großstädten feststellen. Die Europäische Krankheit der Verarmung und Verwahrlosung ganzer Volksschichten ist erschreckend. Der Abbau früher existierender auffangender Sozialsysteme ist geradezu staatlich geboten durch Austeriät und Geldabflüsse in das Schwarze Loch des Draghonischen Europas. Man wird leider immer öfter Menschen auf Straßen, unter Brücken und in Bahnhöfen umgekommen sehen.

Es ist sehr gut vorstellbar, daß Passanten und Aufzugsbenutzer den Zustand des Mannes in diesem Fall nicht als bedrohlich erkannt haben und ihn schlafend wähnten. Auch mir als Arzt wäre es möglicherweise nicht sofort aufgefallen und hätte innerlich abgewogen, ob ich einen gesunden Schlafenden vor mir habe und ihn besonders am Weihnachtstag nicht besser in Ruhe in dem etwas Schutz bietenden Lift lassen sollte oder ob es sich um einen Sterbenden handelt. Dafür muß man schon etwas genauer hinsehen und das wiederum könnte diesen Menschen belästigt haben!? Da kann man unversehens in ein Dilemma kommen. Eine Alternative wäre gewesen, die Polizei zu rufen, aber das hätte ihm auch geschadet und in seiner Würde verletzt, wenn er gesund gewesen wäre.

Wieviele Menschen haben diffuse Herzbeschwerden und gehen erst Tage später zum Arzt und erst der stellt fest, daß es ein Wunder war, daß der Patient so lange einen schweren Infarkt überlebt hat!


QuoteMonaco Franze, 17:16 Uhr

12. Bei den jetzigen Temperaturen...

Bei den Temperaturen die momentan, auch in Wien, herrschen muss ein am
Boden liegender auch nicht einen Herzinfarkt haben um zu sterben.
Insbesonders wenn die Person alkoholisiert ist kühlt sie noch schneller aus!
Wenn beim Nachbarn mal Musik läuft, da greifen manchen schnell zum
Telefon & rufen die Polizei - bei einem offensichtlich Hilflosen, der eben auf
Hilfe angewiesen ist redet man sich mit billigen Scheinargumenten - sprich
Ausreden & Stereotypen raus. Genau das ist unsere Gesellschaft.
Und die Opfer sind immer irgendwie selber schuld...


Quote
    hafensonne 17:43 Uhr

22. Erschreckend

Ich bin etwas schockiert darüber, wie viele Foristen hier bei ZO es völlig normal finden, bei der Frage nach Hilfestellung danach zu gehen, ob es sich um einen "normalen Menschen" oder "bloß um einen Penner" handelt.

...


QuoteSouveräner Staat 18:02 Uhr

30. Missverständnis

"Einfach stehenbleiben und den Notruf wählen."
Wenn da aber steht, dass alles überwacht wird, kann man annehmen, dass die schon wissen, dass einer seinen Rausch im Fahrstuhl ausschläft. Und das kommt in der U-Bahn regelmässig vor. Vielleicht in 99,999 Prozent der Fälle liegt kein Herzinfarkt vor und es wird allseits toleriert, dass sich jemand ein warmes Plätzchen sucht. Das ist ja auch zuvorkommend.
Zumindest bei den Passanten würde ich deshalb von einem Missverständnis ausgehen.


Quote
    Teilmenge 18:13 Uhr

37. Das traurige ist, dass ich vermutlich genauso reagiert hätte, wie die meisten. Die anonyme (Leistung)Gesellschaft, in der jeder für sich kämpft und sein Umfeld vollständig ausblendet, ist ein wirklich armseliger Haufen - und ich bin leider ein Teil davon.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...]  BND-Affäre: Angela Merkels ehrliche Regierungserklärung (Eine Kolumne von Sascha Lobo)

Es wird in diesen Tagen oft kritisiert, dass Angela Merkel sich lieber nicht persönlich zur BND-Affäre äußert. Unseren Kolumnisten stört das auch, es wundert ihn aber nicht. Deshalb hat er aufgeschrieben, was Merkel eigentlich sagen will.

Liebe Bevölkerung,

es stimmt: Wir alle werden in diesem Moment von den Behörden befreundeter Länder ausgespäht. Die Überwachung geschieht durch einen Geheimdienstverbund namens Five Eyes. Der von mir verantwortlich gesteuerte BND hilft dabei ordentlich mit. Und zwar in dem Wissen, dass auch Wirtschaftsspionage geschieht. In den Gesetzgebungen von USA, Großbritannien und Frankreich ist Wirtschaftsspionage als Aufgabe der Geheimdienste mit eingebaut.

Lassen Sie mich gegen meine Gewohnheit konkret werden: Im Fall von Großbritannien erteilt der Intelligence Act von 1994 dem Geheimdienst GCHQ einen Überwachungsauftrag, ich zitiere: "im Interesse des wirtschaftlichen Wohlergehens des Vereinigten Königreichs". Das ist eindeutig, und das weiß natürlich auch jeder in der Bundesregierung.

Dass der BND trotzdem dabei hilft, das ganze Land samt Wirtschaft auszuspionieren, hat einen simplen Grund: Geheimdienstkooperationen kann man nur All Inclusive buchen. Den Anteil Wirtschaftsspionage im Gesamtpaket haben wir versucht, wegzuignorieren, das hat bisher jede Bundesregierung so gemacht.

Denn ich bin überzeugt, dass wir diese Kooperation brauchen. Ich glaube wie die meisten Politiker von CDU, CSU und SPD, dass Überwachung ein essenzielles Instrument für die politische Steuerung ist. Wir wollen mehr Überwachung, nicht weniger, am liebsten hätten wir ein Sicherheitsgesetz verabschiedet, das dem Staat jedwede Überwachung grundsätzlich erlaubt. So, wie es gerade in Frankreich geschieht. Für den Fall eines Anschlags in Deutschland kündige ich ein solches Spähgesetz hiermit schon einmal an.

Wir sehen in der Überwachung gleichzeitig einen Strohhalm und eine Ausrede. Die zweite Funktion ist klar, niemand will sich nach einem Anschlag vorwerfen lassen, man habe nichts unternommen. Wir ahnen zwar anhand der Faktenlage, dass die Rundum-Überwachung des Landes nicht so viel bringt wie behauptet. Aber absolute Sicherheit gibt es nicht, und irgendwas politisch Vermarktbares müssen wir ja tun. Wir sehen uns nämlich gezwungen, Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, das leider falsche Gefühl zu vermitteln, wir hätten alles irgendwie im Griff. Sie glauben schließlich, das sei unser Job.

Hier kommt die erwähnte Strohhalm-Funktion ins Spiel. Die Forschung kann gut abschätzen, wie Terrorismus entsteht. Armut, fehlende Perspektiven, Minderwertigkeitsgefühle zusammen mit - oft durch unsere eigenen Interessen - destabilisierten Gesellschaften ergeben einen erstklassigen Nährboden für Terrorismus. Der IS ist die Spätfolge der Irak-Invasion, die ich seinerzeit als Oppositionsführerin energisch unterstützen wollte. Ich spreche für die ganze Bundesregierung, wenn ich sage, dass wir den Ursachen des Terrorismus allenfalls kosmetisch begegnen - und viel lieber alle Kraft auf Abschreckung und die Bekämpfung der Symptome konzentrieren möchten. Ungefähr wie beim Flüchtlingsproblem im Mittelmeer.

Das ist der Strohhalm, unsere Hoffnung auf Überwachung als Allheilmittel für politische Probleme. Es mag Sie überraschen, aber dahinter steht eigentlich eine radikale und zugleich naive Technikgläubigkeit. Jede Überwachung findet heute mit algorithmischer Auswertung statt. Alle Ergebnisse, die daraus entstehen, sind nichts als softwaregenerierte Wahrscheinlichkeiten. Die vielen versehentlichen Drohnenopfer, die per Überwachungsalgorithmus ausgewählt wurden, zeugen davon, wie wenig verlässlich diese Wahrscheinlichkeiten sind. Wir möchten sie trotzdem gern für Wahrheiten halten, das Prinzip Strohhalm, ich erwähnte es.

Der gesamten Bundesregierung ist klar, dass Geheimdienste, auch die deutschen, kaum kontrollierbare Apparate sind, die ein besorgniserregendes Eigenleben entwickeln. Denken Sie an das Celler Loch, als der Verfassungsschutz ein Bombenattentat auf ein Gefängnis inszenierte, um es der RAF zuschreiben zu können, oder an das Oktoberfest-Attentat, dessen Hintergründe wir bis heute geheim halten, oder an den NSU.

Jedes Regierungsmitglied weiß, dass Geheimdienste sich kaum um die Verfassung scheren. Aber die Verfassung ist unserer Meinung nach ohnehin mehr als Denkanstoß gemeint, keine politische Leitplanke, sondern eine Straßenmarkierung, über die man halt auch mal drüberfahren kann, solange es die nervigen Richter in Karlsruhe nicht merken. Die meisten Bundesbürger würden einen beliebigen Paragrafen des Grundgesetzes für billigeres Benzin hergeben. Und wir eben auch.

Ein Wort noch zu den Amerikanern. Die US-Regierung hat ihre Dienste ebenso wenig im Griff wie wir unsere. Aber es geht hier um Macht, und Länder spielen ihre Macht fast immer egoistisch aus. Die Vereinigten Staaten treten gegenüber Deutschland kaum anders auf als Deutschland gegenüber Griechenland, mit dem Ziel, zuerst eigene Interessen durchzusetzen. Politische Schäden werden in Kauf genommen, so sind Staaten, bei den USA fällt es wegen der Machtfülle bloß mehr auf. Auch die Bundesregierung nimmt das in Kauf, und letztlich sind Sie alle der Grund dafür.

Denn mein radikaler Pragmatismus ist das, was die Mehrheit von Ihnen schätzt. Eigentlich wollen Sie, die Bevölkerung, nichts mit Politik zu tun haben. Sie möchten eine unpolitische Politik, selbst für meine eigenen Ohren klingt das absurd, aber so ist es. Sie möchten eine Kanzlerin, die das Land zwischen den Weltmeisterschaften vor sich hin verwaltet oder zumindest diesen Eindruck vermittelt. Darin bin ich gut, Sie wählen mich, weil ich geschickt vorgebe, unideologisch zu handeln. Selbst, wenn es um die Idee des Grundgesetzes geht. Mein von Ihnen gewünschtes Erfolgsrezept ist Populismus im trügerischen Gewand der pragmatischen Ideologielosigkeit.

Wenn Sie sich über die Totalüberwachung so heftig aufregen würden wie über einen Bahnstreik, hätten wir längst alle Hebel in Gang gesetzt. Und das sind durchaus große Hebel. Deutschland ist ein mächtiges Land, auch gegenüber den USA. Diese Macht muss man aber auch anwenden wollen, und dafür sehen wir als Bundesregierung schlicht keinen Auftrag. Letztlich handeln wir also zutiefst mehrheitskonform, wenn wir die Aufregung einer Minderheit über die Überwachung wegfächeln und weglächeln.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit, auf dass diese schon bald wieder schwinden möge.


QuoteGroßartig!
Magic Sunray gestern, 16:05 Uhr
Leider vermutlich trotzdem nicht geeignet, dem kollektiven Tiefschlaf erfolgreich entgegenzuwirken.


QuoteErinnert sich noch jemand an Präsident Köhler?
specialsymbol gestern, 16:13 Uhr
Der ging, weil er einmal die Wahrheit sagte.


QuoteGuter Beitrag
fritzyoski gestern, 16:16 Uhr
"Wenn Sie sich über die Totalüberwachung so heftig aufregen würden wie über einen Bahnstreik, hätten wir längst alle Hebel in Gang gesetzt. " (Industrie) Spionage, Totalüberwachung, Kriegstreiberei in Ukraine, Irak, Libyien oder TTIP interssiert nur ein paar spinnerte Foristen, sonst Niemanden. Viel wichtiger ist der Bahnstreik, die Champions League oder ob kaltes Bier im Kuehlschrank ist. Diese Apathie wird den Buergern der westlichen Welt eines Tages teuer zu stehen kommen. ...



Aus: "BND-Affäre: Angela Merkels ehrliche Regierungserklärung" Eine Kolumne von Sascha Lobo (06.05.2015)
Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/merkels-ehrliche-fiktive-regierungserklaerung-zur-ueberwachung-a-1032338.html

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#11
Quote... Das Tischgespräch als Ausdruck einer neuen Form der Wohlstandsverwahrlosung.

... Immer öfter verlasse ich Gesellschaften, Essenseinladungen, Partys oder Treffen mit Bekannten vorzeitig. Es sind Langweile, Überdruss und Traurigkeit, die mich zur Tür hinaustreiben. Mit jedem Buch in der Hand allein auf einer Parkbank wäre ich in interessanterer Gesellschaft, so mein Eindruck.

Dem römischen Satiriker Petronius verdanken wir das «Gastmahl des Trimalchio», die Beschreibung der Party eines freigelassenen Sklaven, der es zu unermesslichem Reichtum gebracht hatte. Es ist die vermutlich eindrücklichste Beschreibung dessen, was Neureiche bis heute tun, wenn sie sich amüsieren: Sie füllen innere Leere durch Exzentrik. Bei Trimalchio wechseln sich exotischste Speisen, wie ein mit Federn als Pegasus verkleideter Hase, teuerste Weine und skurrile komödiantische Einlagen ab. Die Dekadenz kulminiert in der Inszenierung des eigenen Begräbnisses. Trimalchio darf als Erfinder des antiken Jetsets gelten.

Die moderne Tischgesellschaft, selbst unter sogenannten Akademikern oder Bildungsbürgern, ist die demokratisierte Fassung des antiken Gastmahls. Mit weniger Popanz, Inszenierung und Dekadenz zwar, aber ähnlich inhaltsleer und selbstbezüglich. Wir sitzen auf Rattan in überdekorierten Wohnzimmern, streicheln Apple, grillieren auf Weber-Fabrikaten von der Grösse eines Kleinwagens und ergehen uns sonst noch in Selbstbestätigung, gegenseitiger Anerkennung für Einrichtungsgegenstände und leicht dosierten Distinktionsgesten – so viel Bourdieu hat noch jeder internalisiert. Das Gesprächsniveau am Tisch verhält sich dabei oft indirekt proportional zur Höhe des Durchschnittseinkommens. Der klassische Bildungsbürger wird langsam abgelöst durch ein akademisch zertifiziertes, aber intellektuell desinteressiertes Diplom-Proletariat aus Ärzten, Juristen, Lehrern, Bankern und Ingenieuren. Wir haben uns in einen Zustand der Wohlstandsbehinderung hineinpäppeln lassen.

In solchen Runden wird nicht mehr deklamiert, propagiert, agitiert, musiziert, rezitiert und aus zu grossen Flaschen zu schlechter Rotwein getrunken. Die grossen Themen sind ohnehin auserzählt, tot und zu riskant. Man ist schliesslich nicht anwesend, um Irritationen, Widerstände oder Zurückweisung zu erleben, geschweige denn, etwas Neues zu erfahren. Stattdessen ergeht man sich in der Kommentierung der unmittelbaren Gegenwart: grosse Pfeffermühlen, der perfekte Garzeitpunkt des Fleisches, Herkunft und ideale Röstung von Kaffee, der Preis der Weinflasche, die neueste Sorte Himalajasalz. Wer zu diesem Stichpunktekarussell so gar nichts beizusteuern hat, verfügt vielleicht noch über eine exotische Nahrungsmittelunverträglichkeit, um sich interessant zu machen.

Der Esprit von früher ist einer Reaktionskompetenz bei Reizwörtern gewichen. Fällt ein bestimmtes Stichwort, dann erwacht die Sorte Stand-by-Mensch kurz aus seinem Dämmerzustand, um den gegenwärtigen Konsens der Twitter-Timeline abzuspulen. Wir kommunizieren selbst analog bereits in «Hashtags», «Retweets» und «Gefällt-mir's». Bewundert wird, wer up to date ist – ein Zustand, der sich dank Smartphones während eines kurzen Gangs auf die Toilette herstellen lässt, sofern man das mobile Endgerät nicht gleich schon am Tisch benutzt, um es regelmässig zu tätscheln wie der James-Bond-Bösewicht sein weisses Kätzchen.

Im letzten Akt dieses Trauerspiels werden die Fotos des Abends auf Facebook hochgeladen, um den Gepeinigten für die Dokumentation der Leere wie zum Hohn auch noch ein «Gefällt mir» abzuringen. Trimalchios Bestattung 2.0.

... Der Prozess der Wohlstandsverwahrlosung ist in bestimmten gesellschaftlichen Schichten so schleichend wie unausweichlich. Der Gelderwerb, der das Wohlstandsniveau des Mittelstands sichern soll, ist derart zeitintensiv, dass die Beschäftigung mit vordergründig «Nutzlosem» zum Luxus wird. Was bleibt, ist dann auch für die gebildete Schicht das, was Thorstein Veblen in seiner «Theorie der feinen Klassen» den «Geltungskonsum» nannte. Dänische Vintage-Designer-Möbel müssen als dezenter Nachweis für Kultiviertheit genügen. Das eigentliche Opfer dieses Talks aus dem Halbwissensspeicher des Kurzzeitgedächtnisses ist das klassische Gespräch. Das Gastmahl der Geistlosen ist der Leichenschmaus für eine Kulturtechnik: die Fähigkeit, zuzuhören, ausreden zu lassen, Gedanken reflektiert wiederzugeben, sie weiterzuspinnen und damit etwas Drittes zwischen Ich und Du entstehen zu lassen – eben das Gespräch, das den Abend alimentiert und dadurch kurzweilig macht. ...



Aus: "Das Gastmahl der Geistlosen" von Milosz Matuschek (geboren 1980), 9.7.2015
Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/debatte/das-gastmahl-der-geistlosen-1.18576787


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Quote[...] Die Redaktion von Radio P.O.S. bietet ihren Kunden Musik- und Servicethemen, aber auch Nachrichtensendungen, Sport und ganze Morningshows. Die laufen zum Beispiel bei Edeka und haben eine wichtige Funktion, meint Nicolas Plaßmann. " ... wir können unser Instore-Radio nutzen, um vor Öffnungszeit Mitarbeiter zu informieren oder Grüße zu versenden. Hey, Frau Müller ist seit 30 Jahren im Betrieb, herzlichen Glückwunsch. Es wird geschult auf bestimmte neue Verkaufsaktionen. Da kann man tatsächlich die klassischen Medien, wenn ich Radio mal als solches begreife, ganz gut noch nutzen."

... Wobei  das Einkaufsradio natürlich auch für eine andere Sache genutzt wird: Um denjenigen, die gerade einkaufen, ein gutes Gefühl zu geben – das geht zum Beispiel mit Musik, die jeder kennt, und mit Inhalten, die keinem weh tun. Ganz klassisches Radio, meint Redaktionsleiter Torsten Stender. "Es fing an, ihr macht ja nur Ladenfunk, ne? Dieses alte Klischee. Wir kämpfen halt dafür zu sagen: Nein, es ist Instore-Radio. Das ist ganz modernes Radio, was den Hörgewohnheiten entspricht, die der Hörer auch aus dem Autoradio, aus dem terrestrischen Radio kennt." ...

... Auch wenn Radio P.O.S. nach ganz normalem Radio klingen mag: Dahinter steht jemand, der dafür bezahlt – und der dann letztlich auch entscheidet, was bei ihm im Laden läuft. Deswegen kommt es auch schon mal vor, dass die Service-Themen mehr oder weniger offensichtlich zum Einkaufen ermuntern. "Saisonal ist Grillen jetzt ein großes Thema, so wie auch die Spargelzeit. Natürlich sprechen wir dann über Sauce Hollandaise und wie man Spargel am besten zubereitet. Und dass es den dann bei Edeka gibt, ist dann kein Geheimnis mehr."

... Seine Redaktion arbeite trotzdem nach journalistischen Kriterien, meint Torsten Stender – und glaubwürdig sei sie auch. Letzten Endes entscheiden aber wie gesagt die Kunden von Radio P.O.S; die Händler. Und die mischen dann auch bei Fragen mit, die sonst eine Redaktion vollkommen autonom beantworten würde: "Was wollen wir machen? Wollt ihr Griechenland beispielsweise in den Nachrichten haben? Dann haben wir den Effekt, dass man abends in der ARD diesen Wiedererkennungswert hat. Und wir sind glaubwürdig. Oder wollen wir's so machen, dass sich Britney Spears die Haare abgeschnitten hat? Das ist ja auch ein Format. Man kann auch das tun. Allerdings würden wir das eben nicht empfehlen. Und in der Regel ist das dann eben so, oder zu 100 Prozent, dass die Handelspartner sagen: Nee, macht das mal so. Wir wollen auch glaubwürdig sein."

...


Aus: "Supermarkt-Radio: Für ein gutes Gefühl" (05.09.2015)
Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/supermarkt-radio-fuer-ein-gutes-gefuehl.761.de.html?dram:article_id=330274

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Quote[...] Man muss nicht schon wieder Guy Debords "Gesellschaft des Spektakels" (1967) zitieren, um auf ein seltsames gesellschaftliches Phänomen hinzuweisen. Es gibt ein immer Mehr an Büchern, Filmen, Comedians, Talkshows und ein immer Weniger an echter Berührung. Das ist so, als würde man langsam vor dem Tisch verhungern, der sich unter der Fülle an Speisen durchbiegt.

... Hypothese eins: Zeitgenössische Kulturprodukte langweilen, weil es nicht wirklich Neues (Wahrhaftiges) gibt

Das ist natürlich schon starker Tobak, da es angesichts der Vielzahl an Buchneuerscheinungen und produzierten Filmen gar nicht möglich ist, einen Überblick zu behalten, geschweige denn wirklich Kenntnis zu haben. Und hochnäsig gegenüber all den Kreativen, die sich abmühen. Und man ist dann ganz schnell beim Spenglerschen Untergang des Abendlandes.

Der ab 1910 von einem leistungslosen Vermögen (Erbe) lebende Lehrer wähnte sich ja in einer Untergangsphase der Kultur und sah überall nur Niedergang: im Theater, in der Literatur, in der Musik, eben in dem "ganzen Stilplunder des heutigen Kunstgewerbes samt Malerei und Architektur". Wohin Oswald Spengler (1880 - 1936) auch blickte, sah er höchstens Mittelmaß, ergriff ihn Ekel. Die Zivilisation setze "anstelle des Denkertums früher Zeiten die intellektuelle männliche Prostitution in Rede und Schrift", der Mensch der Zivilisation sei "der formlos durch alle Großstädte flutende Pöbel", die "wurzellose städtische Masse", der "moderne Zeitungsleser".

Spengler ist konsequenter Kulturpessimist, es gibt keinen Ausweg, keine Alternative zum Untergang. "Optimismus ist Feigheit", schreibt er in "Der Mensch und die Technik" (1931). Und: "Wir sind in diese Zeit geboren und müssen tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist. Es gibt keinen anderen." Spenglers Biograph Anton Mirko Koktanek weist darauf hin, dass Spenglers verengter Blick alles Neue seiner Zeit strikt ignoriert, von der Literatur (Stefan Zweig) über die Malerei (Kandinsky) bis zur Musik (Schostakowitsch). Koktanek: "In schmerzlichem Narzißmus spiegelt er sich nur in sich selbst, hört nur das Echo aus einer öden Welt."

Das wollen wir natürlich nicht wiederholen und deshalb die zweite These.
These 2: Es gibt zwar Neues, doch dies bleibt im Verborgenen, da es darüber keinen gesellschaftlichen Diskurs gibt

Damit richtet sich der Blick auf die Institutionen dieses Diskurses wie Film-, Literatur- oder Theaterkritiken. Man kann - was noch ausführlicher zu zeigen sein wird - schon vorab sagen, dass sich diese Diskurse ebenso wie ihre Institutionen (die gedruckte Zeitung) in der Krise befinden, allen voran die Filmkritik. Und auch hier wieder das Problem, den Zusammenhang zwischen zwei Variablen zu sehen: Ist die Krise der Kritik schlicht eine Krise des kritisierten Gegenstandes oder einfach selbstgemacht?

Aber stimmt das denn überhaupt mit der Krise? Handelt es sich nicht vielmehr um einen Strukturwandel der Öffentlichkeit, wie Thorsten Jantscheck, Kulturredakteur beim Deutschlandradio, meint: "Literatur wird viel stärker als noch vor 20 Jahren als zeitdiagnostisches Medium gelesen, jenseits überzeitlicher Geltungsansprüche oder emphatischer Wahrheitsbegriffe, die von der Gutenberg- zur Adornogalaxis geführt haben, in welcher einem Celan-Gedicht der Sinnzusammenhang des Großen und Ganzen abzulauschen war. Und in der Schriftsteller in den Medien als großintellektuelle Deutungsinstanzen par excellence auftraten, egal ob es um den Nato-Doppelbeschluss oder um Naturkatastrophen ging."

Zeitdiagnostisches Medium? Es ist schon auch schwierig, nur allein mit den "Feuchtgebieten" (Charlotte Roche) durch das Leben zu kommen. Jantscheck singt hier das altbekannte Lied der Postmoderne, wonach die hergebrachten "Narrative" mit Wahrheitsanspruch sich verflüchtigt hätten, jetzt geht alles und steht alles gleichberechtigt nebeneinander - kosmopolitische taz-Leser nicken hier zustimmen und klappen den Laptop zu, während AfD-Wähler noch ein paar Hass-Postings in die Tasten hämmern.
These 3: Das Neue kommt nicht in Gestalt der Inhalte, sondern in der Form daher

Das ist dann ganz McLuhan: Das Medium ist die Botschaft. Die Kätzchenfotos sind nett wie immer, aber jetzt auch auf Instagram oder was sonst so gerade aus den Tiefen des Internets auftaucht. Das, was wirklich zählt, nämlich die Begegnung mit dem Anderen, dem "Du" von Martin Buber, wird ersetzt und verhüllt durch die Mechanik der Algorithmen.

Es ist ihr Leerlauf, der eine unendliche Zahl an Bildern liefert und damit die tiefe Langeweile erzeugt. Bei dieser These sind wir Mediologen ganz im Sinne Regis Debrays und fragen danach, was die Form für den Inhalt bedeutet.



Aus: "Oswald Spengler und die Feuchtgebiete" Rudolf Stumberger (15. September 2019)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Oswald-Spengler-und-die-Feuchtgebiete-4521148.html

QuoteStorchbraterei Ploing, 15.09.2019 12:32

Werte und Bewertung durch den Kapitalismus monetarisiert

Literatur, Film, Fernsehen, Computerspiele sind in einem mehr und mehr auf Monopole zusteuerndem Kapitalismus natürlich stark auf einen "Massengeschmack" ausgerichtet.
Dabei wird viel Geld in "Formoptimierung" und wenig in Inhalte investiert, denn neue Inhalte/Ideen werden zum finanziellen Risiko.

Bücher etwa bringen den Verlagen nur etwas bei riesigen Auflagezahlen Gewinn ein. Um diese zu erreichen werden auch aufwändige Werbe-Kampagnen für Bücher nur finanziert, wenn das Risiko eines Flops minimal sind - für "Experimente" - also wirklich Neues, bleibt da kein Platz.

Weitaus extremer wird das natürlich bei Class-A Filmen und Computerspielen, wo ein Heer hochbezahlter Spezialisten (Schauspieler, Musiker, CGI-Ersteller, ...) Produktionskosten von über 100 Mio Dollar verursachen, die in einem zeitlich engem Zeitraum auch wieder "eingespielt" sein müssen.

Dass in solch einer Atmosphäre kein Platz für Neuerungen ist, belastet natürlich auch die "Medienindustrie" und versucht (recht begrenzt) per Quersubventionierung neue Genres oder Ideen in Nischenmärkten auszuloten. Erfolge kommen dabei aber natürlich meist überraschend, auch wenn die richtige Zielgruppe mit vermeintlich passenden Inhalten adressiert wird. Das Massenpublikum wird dabei aber allenfalls verzögert darauf reagieren (wenn überhaupt).

Auch Monopolisten wie Amazon, Sony oder Steam versuchen daher ohne eigenes Kostenrisiko "Selbstverlag" von Büchern, Independent-Videos und Indy/Retro- Games zu fördern; auch ist Crowdfunding natürlich eine immer beliebter werdende Form der Finanzierung solcher Projekte, die das Kostenrisiko auf den künftigen Rezipienten abwälzt.

Kulturell hochwertige Inhalte gibt es also durchaus, es dauert aber, bis diese in den Mainstream gelangen, wo dann allerdings wieder die Monetarisierung wieder zur Verflachung durch "Massentauglichkeit".

Ich sollte vielleicht auch noch die populäre Unterhaltungs -Musikszene erwähnen, wo auch stets neue Stilrichtungen und "Blends" entstehen, aber bei Erfolg wieder der Kommerzialisierung zum Opfer fallen und in Modetrends und Klischees erstarren, mit denen dann das große Geld gemacht wird.

Künstlerische Werte wird man selten im aktuellen Mainstream finden, da wird das Meiste durch systemische Zwänge zum Kitsch und gefälliger Massenware.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.09.2019 12:36).


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Quote[...] Neil Postman: ,,Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie", Fischer Taschenbuch Verlag, 206 Seiten

,,Wir amüsieren uns zu Tode" – das Buch amerikanischen Medienwissenschaftlers Neil Postman ist zwar bereits Mitte der 80er-Jahre erschienen, seine Analyse über die Auswirkung des Fernsehens auf die Gesellschaft ist aber auch heute noch lesenswert und durchaus zutreffend.

,,Herzlich willkommen natürlich auch Ihnen zu Hause, willkommen beim Finale von ,,Germanys next Top Model" ..."

Neil Postmans Buch ist keine simple Abrechnung mit dem Fernsehen, und es ist auch nur bedingt eine Warnung vor zu vielen schlechten Unterhaltungsprogrammen. Der 2003 verstorbene Professor für Medienökologie hat nichts weniger verfasst als eine gelehrte Abhandlung darüber, wie Kommunikationstechniken die Gesellschaft verändern – und wie sich unsere Kultur selbst zu zerstören droht. Er tat dies auf einem so hohen gedanklichen wie sprachlichen Niveau, dass sich zeitgenössische Kulturkritiker vom Schlage eines Frank Schirrmacher oder eines Michael Jürgs dagegen oberflächlich und banal ausnehmen.

" ... und heute kommen wir ans Ziel. Heute finden wir Germanys next Top Model ..."

Postmans Kernthese: Es könne nicht ohne Folgen bleiben, wenn sich die Art und Weise ändert, wie sich die Menschen über die Welt informieren, in der sie leben. Eindrücklich beschreibt Postman, wie eine ausgeprägte Buch- und Vortragskultur im Amerika des 19. Jahrhunderts auch einfache Menschen in den Stand versetzte, mit Sachkompetenz Dinge des öffentlichen Lebens zu diskutieren. Das Ergebnis war, so Postman, ein allgemeiner Gedankenaustausch, der die Demokratie in starkem Maße prägte. Doch diese Kultur der ernsthaften Erörterung wurde nach Postmans Ansicht schon mit der Erfindung des Telegraphen beschädigt, einem Medium, das unterschiedslos und schnell Nachrichten aus aller Herren Länder transportieren konnte.

Die Telegraphie verlieh der Idee der kontextlosen Information Legitimität, also der Vorstellung, dass sich der Wert einer Information nicht unbedingt an ihrer etwaigen Funktion für das soziale und politische Entscheiden und Handeln bemisst, sondern einfach daher rühren kann, dass sie neu, interessant und merkwürdig ist. Der Telegraph machte aus der Information eine Ware, ein ,,Ding", das man ohne Rücksicht auf seinen Nutzen oder seine Bedeutung kaufen oder verkaufen konnte.

Der langsame Erwerb und die intensive Verarbeitung von Informationen durch den Einzelnen wurde abgelöst durch eine Nachrichtenflut, bei der nicht mehr zwischen wichtig oder nur interessant unterschieden werden konnte. Im Grunde, so Postman, wurde nun alles zur Unterhaltung: Denn was nutzen selbst ernste Nachrichten, wenn sie den, der sie liest, nicht in die Lage versetzen, zu reagieren? Berichte über ferne Naturkatastrophen und überseeische Kriege würden seitdem in erster Linie zum Zeitvertreib konsumiert. Die Hilflosigkeit gegenüber der Überfülle an Informationen, die nicht unmittelbar mit dem tagtäglichen persönlichen Erleben zu tun haben, wurde, meinte Postman, durch die Einführung des Fernsehens noch verstärkt, denn dort musste nun alles Berichtenswerte erst recht unterhaltsam, also schnell verdaulich sein. Das Medium verlange es so. Das Denken habe in dieser Bilderwelt keinen Platz, denn:

Denken ist keine darstellende Kunst.

Wir haben mehr Informationen denn je, wissen aber nicht, wie wir damit umgehen sollen, fühlen uns handlungsunfähiger als je zuvor. Auch die Politik hat sich den Zwängen zur fernsehgerechten Unterhaltung, zum kurzen Statement unterworfen. Sogar gebildete Menschen messen Politik nicht länger daran, ob sie stringent ist, sondern ob sie glaubwürdig ist. Der Schein bestimmt das Bewusstsein. Unstimmigkeiten, ja sogar Lügen amerikanischer Präsidenten geraten schnell in Vergessenheit, wenn sie denn überhaupt wahrgenommen werden. Dabei sei Unterhaltung an sich ja nichts Verwerfliches, sagt Postman, aber:

Wenn sich ein Volk von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr – das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.

Nicht die Gesellschaft bestimmt, was im Fernsehen läuft, das Fernsehen formt die Gesellschaft – und die merkt es nicht einmal und wehrt sich auch nicht. Diese Diagnose von Neil Postman ist heute noch gültig. Dass, wie der Medienwissenschaftler schrieb, die Pädagogen unserer Zeit nicht die Lehrer, sondern die Fernsehmacher seien, wird jeder bestätigen, der Kinder hat oder kennt. Wer Kinder bilden will, muss das immer gegen das Fernsehen, nicht mit dem Fernsehen tun. Selbst Bildungs- und Informationssendungen, so legte Postman schlüssig dar, bringen keinem Kind das logische Denken bei. Auch der Siegeszug des Internet widerlegt den Medienwissenschaftler nicht. Es mag sein, dass das Internet mehr Menschen denn je zum Schreiben und Lesen gebracht hat, wie Netzenthusiasten meinen. Wer sich unterhalten lassen will, wird dort immer etwas finden. Wer allerdings nach fundiertem und überprüfbarem Wissen sucht, ist auch in unserer digitalisierten Epoche in jeder Bibliothek besser aufgehoben.



Aus: "Informationsflut und der Siegeszug der Unterhaltung" Brigitte Baetz (04.06.2012)
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/informationsflut-und-der-siegeszug-der-unterhaltung.1310.de.html?dram:article_id=207917

http://www.zeitgeistlos.de/buecher/postman_zutode.html

Neil Postman (* 8. März 1931 in New York; † 5. Oktober 2003 ebenda) war ein US-amerikanischer Medienwissenschaftler, insbesondere ein Kritiker des Mediums Fernsehen und in den 1980er-Jahren ein bekannter Sachbuchautor.
https://de.wikipedia.org/wiki/Neil_Postman

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Quote27.09.19 10:05 news aktuell

München (ots) - Die Millionärsfamilie kehrt auf die Bildschirme zurück

- Schwere Turbulenzen in Abu Dhabi sorgen für Aufregung
- Start am Montag, 14. Oktober 2019, um 20:15 Uhr bei RTL II

Pünktlich zum Herbst sind "Die Geissens" zurück bei RTL II: Zum
Auftakt der 18. Staffel macht die Millionärsfamilie die Emirate
unsicher und genießt die warmen Temperaturen in Abu Dhabi. Doch ehe
Carmen, Shania und Davina entspannen können, schlägt ein
Instagram-Post von Robert hohe Wellen und stürzt die Geissens in
schwere Turbulenzen. Los geht's ab 14. Oktober 2019, 20:15 Uhr, bei
RTL II.

Deutschlands schillerndste Millionärsfamilie gewährt ab 14.
Oktober wieder Einblicke in ihr Leben zwischen luxuriösem Alltag und
exklusiven Events. Im Jetset zwischen St. Tropez und Heimatglück
verschlägt es die glamouröse Familie dieses Mal in ihre
Lieblingsmetropole in den Vereinigten Arabischen Emiraten - nach Abu
Dhabi.

Beim Abstecher an den Golf liebäugeln Carmen und Robert mit dem
Kauf einer Immobilie in der Wüstenstadt. Für Shania und Davina kommt
das nicht in Frage - die Töchter meutern vor Ort gegen den Plan der
Eltern. Für umso mehr Zündstoff sorgt eine anschließende Autopanne,
die den Verlust des Heckspoilers nach sich zieht. Inklusive der
großen Frage: War Carmen oder Robert schuld?

Die Wogen sind schnell geglättet, doch dann ziehen dunkle Wolken
über Abu Dhabi auf: Ein Instagram-Post von Robert stellt das
Familienleben auf den Kopf. Die Geissens finden sich in schwersten
Turbulenzen wieder - Ausgang ungewiss.

"Die Geissens - Eine schrecklich glamouröse Familie" wird
produziert von Geiss TV.

"Die Geissens - Eine schrecklich glamouröse Familie!":
Staffelauftakt am Montag, 14. Oktober 2019, um 20:15 Uhr bei RTL II

Die Folgen sind im Anschluss an die Ausstrahlung 30 Tage lang
kostenlos bei www.tvnow.de verfügbar

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Original-Content von: RTL II, übermittelt durch news aktuell


Aus: ""Die Geissens": Staffelauftakt am 14. Oktober bei RTL II"
Quelle: http://www.aktiencheck.de/news/Artikel-Geissens_Staffelauftakt_am_14_Oktober_RTL_II_FOTO-10391929

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Quote[...] Das emanzipatorische Potential der Geissens

,,Ich kann also jeden Tag irgendwo am Ende
auch ein neues Auto kaufen, weil Gott sei
Dank immer wieder neue Autos entwickelt
werden."
Robert Geiss

Einst war der Fernseher das Fenster zur Welt. Heute langweilen einen die Programmchefs zu Tode, das Elend wird zum Alltag, und der Fernseher verkommt zu einem Gerät, dessen Inhalt zu emanzipatorischen Prozessen genau so viel beizutragen hat wie ein Cocktailmixer. Ob nun Günther Jauch oder Galileo, TV Total oder Die strengsten Eltern der Welt, ob dieses oder jenes: Die deutschen Fernsehsender leisten sich eine Schlacht darum zu beweisen, dass es immer noch ein bisschen schlechter, immer noch ein Stückchen gemeiner, und mit immer weniger Inhalt geht.
Seit 2011 jedoch zeigt RTL2, dass es auch anders möglich ist. Mit der liebevoll akribischen Dokusoap über die Millionärsfamilie Geiss bietet der oft zu Unrecht verschriene Sender sowohl Unterhaltung als auch einen Blick auf die Verhältnisse, der in seinem kritischen Gehalt der Lektüre diverser in linken Kreisen hochgehaltenen Werke in nichts nachsteht.
In Die Geissens – Eine schrecklich glamouröse Familie wird schlicht das alles andere als schlichte Leben der Familie Geiss gezeigt. Diese ist dank harter Arbeit – darauf verweist subtil auch der Titel ihrer Biographie ,,Von nix kommt nix (Voll auf Erfolgskurs mit den Geissens)" – reich geworden. Robert Geiss gründete 1986 zusammen mit seinem Bruder den deutschen Ableger des Bekleidungslabels Uncle Sam, 1995 verkaufte er seine Anteile für 140 Millionen.

Heute lebt die aus Köln stammende Familie in Monaco, hat Ferienhäuser in Saint-Tropez und Kitzbühl, neben einem ganzen Fuhrpark an Luxusautos gehört auch eine Luxusyacht zu ihren Habseligkeiten, kurz: Es gibt kaum etwas, das sie sich nicht leisten können.
Die beiden Töchter Davina Shakira (9) und Shania Tyra Maria (8) erhalten die beste Schuldbildung, die aufwendigsten Geburtstagspartys, jede Woche fünf Euro Taschengeld und eine angemessene Erziehung (,,Wer keine Hausaufgaben macht, fährt auch keinen Jetski!").

Selbstverständlich, wie das nun einmal so ist, wenn man sich in der Öffentlichkeit zeigt, hat bald jeder eine Meinung dazu. Für allerlei Menschen, insbesondere für einen Haufen Linker sind die Geissens das ideale Feindbild.
So erfährt man in linken Kreisen zumeist auch nur Misstrauen und Unverständnis, wenn man erwähnt, regelmäßig die Geissens anzusehen. Aber was soll man schon erwarten, von Zusammenhängen, in denen seit über hundert Jahren hauptsächlich das gleiche Buch gelesen wird und die wichtigste Aktivität darin besteht, Sparkassenfilialen zu entglasen. Dabei stellte schon Adorno 1968 in seiner Rede ,,Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft" fest, dass unterdessen die Marktökonomie so durchlöchert ist, ,,daß sie jeglichersolchen Konfrontation spottet. Die Irrationalität der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur verhindert ihre rationale Entfaltung in der Theorie."

Aber solche Hinweise werden allerorten ignoriert. Schon das bloße Erwähnen der Option, die Kritik der politischen Ökonomie einmal anders anzugehen, wird im Keim erstickt. Dabei bieten die Geissens genau jene Perspektive, jenseits von Marxlektüre und Sparkassenfilialen entglasen, die nutzbar zu machen wäre, um zumindest dem deutschsprachigen Publikum endlich einen Begriff von der Irrationalität und Grausamkeit der Verhältnisse zu geben.

Diese führt die Dokusoap mit geschickten Kunstgriffen jedem vor Augen. Das gelingt hauptsächlich deswegen fantastisch, weil sich Carmen und Robert keinen Moment zieren, ihre Rollen immer weiter auszuloten. Carmen, die keine Minute mehr für sich empfinden kann, weil jede Sekunde sich darum dreht, den Vorstellungen nachzueifern, die andere von ihr haben oder haben sollen; und Robert, der nicht mehr arbeitet, aber sich doch ständig genauso im Stress befindet.
Carmen, ehemalige Miss World Fitness, heute dank diverser Silikoneinspritzungen etwas unförmig in Form gehalten, kommt nicht zur Ruhe. Außer beim Friseur, dem sie mindestens jeden zweiten Tag einen Besuch abstattet, oder den sie notfalls auch mit dem Helikopter einfliegen lässt.
Bis zur Endlosigkeit karikiert Carmen ihre Figur der reichen, verwöhnten Frau, die tausend Paar Schuhe besitzen möchte, und sonst nichts anderes tut oder kann. Völlig unbekümmert arbeitet sie an ihrem Image des verwöhnten Dummchens, ob nun in der Küche (,,Ich hab keine Nanny und nichts, wie soll ich denn dann Spiegeleier machen?") oder in Athen vor der Akropolis (,,Wie kann die 2.500 Jahre alt sein? Wir haben 2011!"). Auch ihre recht neue Karriere in der Welt der Popmusik verdankt sie nur ihrer Popularität und dem nötigen Kleingeld, kein Aufheben wird darum gemacht, dass sie nicht einmal sonderlich gut singen kann, niemand findet ernsthaft ihre Musik gut. Wie alles an ihr ist es nur eine Marke, das Erfüllen von Projektionen, gekonnt von ihr auf die Spitze getrieben.

Möchte Robert seine Ruhe haben, braucht er nur zu sagen, er kaufe ihr später Schuhe, wenn sie jetzt dafür die Klappe halte. Und sie tut es. Egal was anliegt, immer schreit sie nach ihrem Mann: ,,Rooooobeeert." Der Ruf ist nicht nur längst eine eigene Marke – überall erkennen sich Fans der Serie daran – sondern auch ein geschickter Kniff, wirft er doch immer wieder ein Licht auf die Beziehung der beiden, und zeigt insbesondere die Beziehung von Carmen zu ihrer Umwelt als eine Schreckensvision: Als wären ihr alle Fähigkeiten verkümmert, und jeder Gedanke, der über oberflächliches Haben und Sein hinausginge, gar nicht mehr denkbar.

Den Gegenpol zu Carmens hysterischer Hektik um nichts spielt Robert. Er spielt die Unaufgeregtheit dessen, der sich alles leisten kann, dessen Leben sich stets darum gedreht hat, diesen Zustand zu erreichen; und der nun damit und mit sich nur nichts mehr anzufangen weiß als stumpfe Beschäftigungspolitik. Ständig mürrisch und gelangweilt, höchstens mal ein bisschen interessiert, wenn er sich eine neue Yacht kauft – so vegetiert er in seinem Luxus dahin. Dieser kommentiert sein Dasein zwar folgendermaßen. ,,Ich leb hier ein geiles Leben, alles andere interessiert misch nischt," – aber niemand, der recht bei Trost ist, nimmt dies dem Robert ab, wie er sich im Fernsehen zeigt.
In der schon zuvor erwähnten Rede, die Adorno als Einleitungsvortrag zum 16. Deutschen Soziologentag hielt, wies er darauf hin, dass sich längst kein Standort außerhalb des Getriebes mehr beziehen lässt ,,von dem aus der Spuk mit Namen zu nennen wäre; nur an seiner Unstimmigkeit ist der Hebel anzusetzen."
Genau dies tut Robert Geiss. Statt ellenlanger Abhandlungen und Analysen, auf die heutzutage niemand mehr Lust und für die sowieso niemand mehr Zeit hat (wie Wolfgang Pohrt einmal meinte: ,,Ich hab das Zeug gelesen, aber wenn die Revolution nur möglich ist, wenn alle so viel Marx lesen wie ich – dann kommt sie ganz bestimmt nicht. Das kann man einfach von keinem Menschen verlangen.") setzt Robert Geiss mit viel Fingerspitzengefühl den Hebel an den Unstimmigkeiten an.
Geschickter als jede Abhandlung über Wert, und jede Rede über gerechte und ungerechte Verteilung führt er jedem mit nur einem Satz vor Augen, wofür Marx ein ganzes Buch schrieb: ,,Ich fahr' easy going zur Bank und hol' mir ein paar bedruckte Scheine ab."
Scharfsinnig und mit dem Gespür für die wirksamste Geste pflügt Robert hier jedem durch den Kopf. Niemand der zu Hause auf der Couch sitzt und ihn diesen Satz sagen hört, wird das einfach so schlucken können. Jede vermeintlich aufrührerische Rede irgendeines Linken-Politikers ist leichter zu ignorieren, jedes noch so dämliche MLPD-Plakat ist einem schneller wieder aus dem Sinn, und keine Ausführung zur ,,eisernen Konsolidierung der kapitalistischen Welt" (Adorno) trifft den Betrachter so scharf und erweckt so viel Bewusstsein über die falsche Einrichtung der Welt, wie dieser Satz.

Für die Geissens könnt' alles so einfach sein. Isses aber nich. Denn statt sich endgültig auf die faule Haut zu legen, haben sich Carmen und Robert Geiss der mühsamen Aufgabe angenommen, der Menschheit das Unheil vorzuführen. Wo sich sonst stumpf und einträchtig der Pöbel vor dem Fernseher traf, um Bestätigung dafür zu finden, einfach so weiterzumachen wie bisher, sieht man heutzutage die Geissens, und die führen einen vor und führen einem vor, dass da mehr sein muss.
Denn wer die Geissens sieht, dem wird vielerlei bewusst: Zum einen, dass der Luxus und die wundervollen Dinge und Möglichkeiten, mit denen die Geissens sich umgeben, durchaus erstrebenswert sind. Wer möchte nicht einmal solche Sätze sagen wie Robert Geiss: ,,Ich könnte sagen, mit harter Arbeit bin ich hierher gekommen. Aber das stimmt nicht. Nein, dieses Mal war es der Heli."
Aber viel wichtiger: Bei jedem Zuschauer keimt das Bewusstsein auf, dass keine Gründe sich finden lassen, warum ihnen dieses materiell gute Leben nicht genauso zustehen sollte. Die Geissens strafen die Legende von den Reichen und Schönen, die so sind, weil sie es verdient haben, Lüge.
So begreift der Zuschauer – der schon längst die Vermutung hegte, dass an der Kapitalverteilung nichts gerecht ist, so wie sie stattfindet – nun, dass sie auch nicht logisch ist, sondern dass lediglich das Beherrschen der Gesetze des Marktes und eine Menge Glück dazugehören, um reich zu werden.
Gleichzeitig aber zeigt sich montagabends auf RTL2 die Schreckensvision eines Lebens, in dem zwischen Yachtausflügen und Shoppingtouren nichts mehr auszumachen ist als das große Nichts.

So führen also die Geissens den Leuten vor, was ihnen auf anderen Wegen gar nicht mehr vermittelbar wäre. Linke, denen ernsthaft daran gelegen ist, emanzipatorische Prozesse voranzubringen und in der breiten Masse ein Bewusstsein über das Kapital und seine Unstimmigkeiten zu prägen, sollten alles tun, die Sendung zu verbreiten. Eine Menschheit, der ihre Vergangenheit, und damit auch ihr Unglück, vollständig zitierbar geworden ist, wird sich vielleicht einmal statt an die Internationale an einen anderen Weckruf erinnern, der mit messianischer Kraft erst in den guten Stuben und hoffentlich bald auch auf den Straßen der Welt ertönen wird: ,,Roooobeeert!"


Aus: "Das emanzipatorische Potential der Geissens" Spätzle (28.09.2013)
Quelle: https://www.conne-island.de/nf/207/3.html

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Quote[...]  ARD und ZDF überlassen es weitgehend der privaten Konkurrenz, die gesellschaftliche Armut darzustellen. RTL 2 hat seine Sozialreportagen zum Markenkern des Senders erkoren. Von der erfolgreichsten Sendung ,,Hartz und herzlich" wurden mittlerweile schon 23 Folgen ausgestrahlt, und RTL hat für ,,Zahltag! Ein Koffer voller Chancen" und ,,Vera Int-Veen – zwischen Mut und Armut" wochenlang den gesamten Dienstagabend freigeräumt. Es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen.

Die produzierende Firma, Ufa Show & Factual dreht für RTL 2 bevorzugt an sozialen Brennpunkten wie der Eisenbahnsiedlung in Duisburg, den Benz-Baracken in Mannheim oder in den Plattenbauten von Bitterfeld-Wolfen. Mit der Kamera blicken wir nach ganz unten, in Abgründe. Gezeigt werden schreckliche Zustände. Die Kamera schweift durch zugemüllte Wohnungen, zeigt Dreck, Schimmel, ja Kot. Ausgiebig werden einzelne Protagonisten begleitet.

Nicht selten sind die Menschen sehr krank. Olaf aus der Duisburger Eisenbahnsiedlung wiegt 204 Kilogramm. Gudrun aus den Benz-Baracken hat einen Fuß amputiert. Elvis, der achtfache Vater aus Mannheim, ist drogensüchtig. Er versucht einen kalten Entzug - und dann sehen wir ihn aus der Wohnung laufen, die Frau ruft ihm hinterher. Jetzt ist er wieder unterwegs zu seinem Dealer, heißt es lapidar. In Mannheim sitzen vier Nachbarinnen zum Plausch zusammen. Sie halten den Gestank ihres ,,Problemnachbarn" Johann nicht mehr aus. Bald schon sprechen sie nur noch darüber, wie lange der Alkoholiker überhaupt noch leben werde. Die Kamera zoomt auf den völlig abgemagerten Mann, der sich kaum noch an seinem Rollator halten kann. Ohne Scham wird draufgehalten. RTL 2 weidet sich an einem Extremismus des Elends.

Ob in Pirmasens, Salzgitter oder Duisburg – immer wieder protestieren hinterher die Bewohner und fühlen sich getäuscht. Gezielt werde nach Menschen am Rande der Gesellschaft gesucht, um Klischees zu bedienen. Was sich ,,Dokumentation" nennt, produziert Ideologie: Armut ist das ganz Andere, der Schrecken, von dem man die Augen kaum abwenden kann, den man aber unbedingt von sich selbst fernhalten möchte. Für den Zuschauer ist es beruhigend, dass es ihm besser geht.

Als ,,Sozialreportage" firmiert die RTL-2-Sendung ,,Armes Deutschland – stempeln oder abrackern?" Wieder werden einzelne Protagonisten ausführlich begleitet. ,,Aaron ist gepflegt und gebildet," belehrt der Kommentar. Ganz anders dagegen die 24-jährige Jacky P. aus Bremerhaven, die sich als besonders cool inszeniert. Ihre zwei kleinen Töchter hat das Jugendamt in Obhut nehmen müssen. Nun verscherbelt sie ungerührt für gerade einmal zehn Euro die Babyklamotten und das Spielzeug, um sich davon Energy-Drinks und Zigaretten zu besorgen. ,,Party und Energy-Drinks statt Fürsorge für die Kinder – armes Deutschland", raunt der Kommentar.

Wir wissen immer viel zu wenig, um zu urteilen. Das erledigt gnadenlos der Kommentar. Das Bild, in das er die Figuren einpasst, ist schwarz-weiß. Der ruchlosen Jacky werden Theo, 59, und Margret, 60, aus Bergheim bei Köln gegenübergestellt. Auch deren kleine Wohnung ist chaotisch, aber beide stehen um Mitternacht auf, um bei Wind und Wetter Zeitungen auszutragen. ,,Sie strampeln sich Nacht für Nacht für ihren Lebensunterhalt ab", heißt es anerkennend.

Der Riss zwischen lobenswert tüchtig und tadelnswert verantwortungslos geht in Köln sogar mitten durch ein Paar. Als Willi wieder einmal arbeitslos geworden ist, macht sich der gelernte Gärtner sofort auf die Suche nach einem neuen Job als Gabelstaplerfahrer, während seine Lebensgefährtin Carola (,,Arbeit ist nicht so meins") wie folgt charakterisiert wird: ,,Carola genießt ihre Freiheit – der Staat zahlt. Ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, kommt für die 34-Jährige offenbar nicht infrage." Später erfahren wir: Carola war auf der Sonderschule, hat keine Ausbildung, hat nie gearbeitet, und ihre sieben Kinder wurden alle vom Jugendamt in Obhut genommen. Man möchte sie davor schützen, im Fernsehen ausgestellt zu werden, aber gerade deshalb geschieht es. Sie dient nur als Material, um zu veranschaulichen: Die einen strampeln sich ab, um gerade so über die Runden zu kommen, die anderen faulenzen und liegen uns allen auf der Tasche.

Nicht auf Spaltung, sondern auf Empathie ist dagegen Vera Int-Veen aus. In den vier Folgen der mittlerweile zweiten Staffel von ,,Vera unterwegs – Zwischen Mut und Armut", einer Produktion von Imago TV für RTL, fährt die Moderatorin quer durch Deutschland und trifft sich mit Menschen, die arm sind. In Delmenhorst hilft sie Roswitha und Andreas, die erhaltene Räumungsklage noch drei Monate aufzuschieben, in Berlin lässt sie sich von Obdachlosen ausführlich zeigen, wie sie die Schlafsäcke zum Nachtlager ausbreiten. Demonstrativ respektvoll geht Vera Int-Veen dabei stets mit den Betroffenen um, fragt artig, ob sie hereinkommen darf und umarmt alle, selbst wenn sie schlecht riechen. Sie ist auch mal streng, wie mit Melanie, die ihrer 15-jährigen Tochter keine Liebe zeigen kann oder sagt zu Andreas, der mehr Jahre im Gefängnis verbracht hat als in Freiheit: ,,Viele Dinge, die du getan hast, finde ich nicht gut, aber ich mag dich als Mensch."

Eigenartig ziellos wirkt dieses Unterwegs-Sein, das nur eine Konstante kennt: Vera Int-Veen und ihre Gefühle – Mitleid, Trauer, Scham und Freude, die sie aufdringlich ausstellt. ,,Helges Geschichte berührt mich", sagt sie dann in die Kamera. Uwe, der obdachlos war, lebt nun mit Kerstin zusammen, die Obdachlose betreut hat. ,,Oh, ist das schön!", jauchzt Vera. RTL 2 macht Armut reißerisch zur Sensation und stigmatisiert die Verlierer wegen ihres mangelnden Einsatzes, bei Vera Int-Veen dagegen regiert Sentimentalität.

Unter den zahlreichen Sendungen zur Armut ragt ,,Zahltag! Ein Koffer voller Chancen" (RTL) nach Aufwand und Setting heraus. Sie nennt sich selbst ein ,,Sozial-Experiment" und kombiniert Elemente von Reportage und ,,Help"-Formaten. Die in der Regel seit Jahren auf Hartz IV angewiesenen Protagonisten – in der gerade vergangenen Staffel waren es fünf Familien – bekommen als ,,Überraschung" einen Koffer voller Geld vor die Tür gestellt. Natürlich ist das Filmteam, das die stets tränenreich überwältigte Familie beim Öffnen des Koffers zeigt, aber schon vorher in der Wohnung. Im Koffer ist als Geschenk der Hartz-IV-Betrag für ein Jahr. Für Familie Röder aus Selb sind das immerhin fast 30 000 Euro, während die alleinerziehende Mona Assenmacher aus der Eifel 15 500 Euro vorfindet. Davon sollen sich die Auserwählten ein neues Leben aufbauen, möglichst ein Gewerbe gründen und so das Hartz-IV-Leben hinter sich lassen.

RTL und damit den Zuschauern gewähren sie dafür einen tiefen Einblick in ihr Leben und begleitet werden sie dabei von drei ,,Experten", vor denen sie am Ende zur ,,Abschluss-Bilanz" antreten müssen. Dieses Team besteht aus Heinz Buschkowsky, dem ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeister; dem ,,Gründerberater" Felix Thönnessen, der blaue Augen hat, verwuschelte Haare und Start-up- Sprech beherrscht sowie Ilka Bessin, die einst selbst von Hartz IV lebte, sich als Comedy-Figur ,,Cindy aus Marzahn" aber erfolgreich aus der Abhängigkeit von Transferleistungen herausgearbeitet hat. Diese Drei sitzen an einem Tisch und kommentieren, was die Protagonisten so treiben und besuchen diese auch mal.

Der 28-jährige Michael Traut aus Siegen lebt mit seiner gleichaltrigen Lebensgefährtin Melanie Schmidt und drei Kindern im Chaos. Für zehntausend Euro schafft er ein Auto an, weitere zweitausend Euro gehen für ein Logo, Flyer, Visitenkarten, Homepage und bedruckte Arbeitskleidung drauf. Ein Lieferservice soll entstehen. Kunden gibt es keine. ,,Beide haben keine Ausbildung, keinen Job und noch nie gearbeitet", weiß der Gründungsfachmann. Ilka Bessin besucht die beiden. ,,Melanie ist in so einer Situation," sagt sie, ,,die weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. Ich würde mir wünschen für Melanie, dass hier jemand herkommt, der sie unterstützt bei der Planung." Und? Hilft jemand? Großherzig macht der flotte Gründerfachmann ein Geschenk: kostenlos darf Michael an einem seiner hippen Start-up-Seminare teilnehmen. Naturgemäß fühlt der sich da unwohl und haut bald ab. Heftig echauffiert sich da Ilka Bessin und findet das unglaublich ,,respektlos".

Unter dem Vorwand, ihnen eine Riesenchance zu bieten, werden hier arme Menschen, die dabei dankbar mitspielen, auf eine absurde Irrfahrt geschickt. Wobei die ,,Experten" sich stets besorgt zeigen (Ilka Bessin) oder bissige Kommentare (Heinz Buschkowsky) zum Besten geben. ,,Wir können die Menschen nicht davon abhalten, Blödsinn zu machen. Sie sind selbstständig. Sie können mit dem Geld machen, was sie wollen," erklärt Heinz Buschkowsky in einem von RTL veröffentlichten Interview zur Sendung. Wirklich nicht? Aber dabei zusehen, wie diese Menschen weder in der Lage sind, rational mit Geld umzugehen, geschweige denn strukturiert zu arbeiten oder gar ein Gewerbe aufzubauen – das macht das Fernsehen möglich.

Manuela Röder ist achtfache Mutter und hat einen kränkelnden Ehemann. Sie ist eine tatkräftige Frau – allerdings ohne jede Erfahrung. Sie will eine Suppenküche aufmachen, mietet einen Laden, kauft teure Wärmetheken. Einkauf, Schnipseln, Kochen, Service, Buchführung – all' das hat sie noch nie gemacht und soll es nun alleine stemmen. Niemand schreitet ein. Buschkowsky kommentiert lakonisch, dass Kochen ja wohl was anderes sei als Dosen warmmachen. Wir können zusehen, wie sie scheitert. Mit vielen Tränen. Am Ende sind 30 000 Euro verballert worden, und die Familie lebt wieder von Hartz IV. Das gebe ihr doch mehr Sicherheit, gibt Manuela zu.

Geschafft haben es die patente Mona Assenmacher, die in einer Drückerkolonne arbeitet und putzen geht, und René und Ines Schröder mit Dienstleistungen für Haus und Garten. Ebenfalls nicht mehr von Hartz IV leben Maik und Sarina Schubardt aus Eisleben. Ihr Traum war es, einen Imbisswagen zu betreiben. Für siebentausend Euro haben sie einen gekauft, umständlich renoviert und dann später notgedrungen für die Hälfte wieder verkauft. Betrieben haben sie ihn nie. Einmal kam Ilka Bessin zu Besuch und wollte eine Currywurst mit Pommes. Es dauerte 45 Minuten, bis die Wurst fertig war. Von den 24 000 Euro für die Schubardts war am Ende kein Cent mehr übrig. Zwischendurch haben sie einmal eine Bewerbung geschrieben – genüsslich zeigte die Kamera: ,,Sehr geärte" stand in der Anrede.

Nun arbeiten sie für zehn Euro Stundenlohn am Band in der Fleischverarbeitung. Als ,,größtes Abenteuer ihres Lebens" nennt der Kommentar die Teilnahme am ,,TV-Experiment", als wäre es nicht sinnvoller gewesen, den beiden sofort den Job am Band zu vermitteln und das kuriose Theater um ein eigenes Geschäft abzublasen. Aber dann hätte sich das Publikum ja nicht an einem zynischen ,,TV-Experiment" vergnügen können. Dass RTL-Bossen so etwas einfällt – geschenkt. Dass aber Heinz Buschkowsky und Ilka Bessin dabei mitmachen, ist skrupellos.




Aus: "Ideologie statt Dokumentation Armut im Fernsehen oder armes Fernsehen?" Bernd Gäbler (26.10.2019)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/ideologie-statt-dokumentation-armut-im-fernsehen-oder-armes-fernsehen/25158294.html

QuoteDenkerin 08:39 Uhr
Was erwartet man denn anderes vom Privatfernsehen? Wer das anschaut ist selber schuld. Wer da mitmacht, auch.


Quote2010ff 26.10.2019, 18:35 Uhr
Was würden Sie nur machen ohne all diejenigen, die sie ausstellen? ...


...

Textaris(txt*bot)

#15
Quote[...] Nach seinem überraschend schnellen Auszug aus dem RTL-Dschungelcamp hat der frühere Bundesverkehrsminister Günther Krause aus dem Krankenhaus Grüße an die Bundeskanzlerin geschickt. "Liebe Angela, liebe Angie, falls du zusiehst, ich werde wieder richtig gesund", sagte er in der zweiten Folge von "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!", die am Samstagabend ausgestrahlt wurde.

"Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", fügte der einstige "Super-Minister" hinzu. "Du wirst mich nicht los!", sagte er an die Adresse von Merkel, die er vor dem Start der Show als gute Bekannte bezeichnet hatte.

Krause, der einst den deutsch-deutschen Einigungsvertrag mit ausgehandelt hatte, musste wegen eines Schwächeanfalls aussteigen. Es sei ein "Crash" gewesen, "an den ich mich gar nicht mehr erinnern kann", sagte er danach im Krankenhaus. "Wenn der Körper Nein sagt, muss der Geist hören."

... Zwölf Kandidaten treten ab 10. Januar 2020 zur 14. Staffel der RTL-Erfolgsshow "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" im Dschungel Australiens gegeneinander an.

        Anastasiya Avilova   31   hat 2018 bei "Temptation Island – Versuchung im Paradies" die Köpfe der Männer verdreht.
   Claudia Norberg           49   ist bisher als "die Ex vom Wendler" bekannt. Das soll sich im Dschungelcamp ändern.
   Danni Büchner           41   wurde durch "Goodbye Deutschland!" bekannt und ist die Frau von Kult-Auswanderer Jens Büchner.
   Elena Miras                   27   ist der Reality-Star mit großer Klappe. Sie gewann 2019 "Das Sommerhaus der Stars – Kampf der Promipaare".
   Günther Krause           66   ist der erste Politiker im Dschungelcamp. Er war von 1991 bis 1993 Bundesminister für Verkehr.
   Marco Cerullo           31   ist der Rosenkavalier im Camp. Bei "Bachelor in Paradise" fand er seine große Liebe.
   Markus Reinecke   50   Der Antiquitätenhändler macht bei "Die Superhändler – 4 Räume, 1 Deal" die besten Deals.
   Prince Damien           29   gewann 2016 die 13. Staffel von DSDS. Trotz seines Sieges arbeitet er weiter in einer Tanzschule.
   Raul Richter                   32   spielte von 2007 bis 2014 bei GZSZ die Rolle von Dominik Gundlach.
   Sonja Kirchberger   55   Ihre Hauptrolle in dem Erotikfilm "Die Venusfalle" von 1988 machte die Schauspielerin berühmt.
   Sven Ottke                   52   der Sportler im Camp. Er war von 1997 bis 2004 Profiboxer und Weltmeister im Supermittelgewicht.
   Toni Trips                   22   ist bekannt durch "Deutschland sucht den Superstar" 2019. Wiedererkennungswert: ihre Tattoos im Gesicht.


Aus: "Unterhaltung: Dschungelcamp grüßt Kanzlerin Günther Krause wendet sich an Merkel" (Sonntag, 12. Januar 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/leute/Guenther-Krause-wendet-sich-an-Merkel-article21503542.html

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Mangelndes Zuschauerinteresse musste RTL zum Start der 14. Staffel von "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus" (Ibes) nicht befürchten. Nachdem das RTL-Dschungelcamp in den Vorjahren zum genauso selbstverständlichen wie inzwischen etwas abgenutzten Eintrag im Terminkalender geworden war, konnten sich Gegner und Verteidiger des TV-Formats nun wieder öffentlich mit Kritik oder Verständnis überbieten. Entsprechend hoch war das Interesse: 6,01 Millionen Zuschauer schalteten nach 21 Uhr 15 RTL im Durchschnitt ein. In der Spitze verfolgten sogar 7,31 Millionen den Einzug der Kandidaten ins Camp. Im Vorjahr war die Durchschnittsquote der Startfolge auf 5,95 Millionen gesunken.

Ist es moralisch vertretbar, wenn die Teilnehmer des Dschungelcamps in Insekten baden, wenn auf dem gleichen Kontinent Milliarden Tiere im Feuer qualvoll verenden? Diese Frage bewegt die Fernseh-Nation und macht das Dschungelcamp zu einem Top-Gesprächsthema.

Frage Nummer eins lautete entsprechend: Wie geht RTL damit um? Die Antwort: kurz und bündig. In Australien laufe derzeit ebenfalls eine einheimische Version des Dschungelcamps, wie Moderatorin Sonja Zietlow nüchtern feststellte. Dieser Hinweis hat nur einen Haken, er ist fehlerhaft: ,,I'm A Celebrity ... Get Me Out Of Here!", also das australische Ibes, wird nicht in Australien, sondern in Südafrika produziert.

Die australische Botschafterin in Berlin bemerkte indes: In Australien ist jede Hilfe zum Wiederaufbau willkommen. RTL, seit Jahren in Australien zu Gast, nennt die Spende von 100.000 Euro zum Start der Show entsprechend eine Hilfe aus Überzeugung und fordert die Zuschauer auf, ebenfalls mit Spenden zu helfen.

In die Tom-Buhrow-WDR-Entschuldigungsfalle tappt hier also niemand, dafür gibt es genügend andere Fallen, wobei Ibes gleich bei Frage Nummer zwei ist: Wie führt sich Ex-Minister Günther Krause ins Camp ein? RTL ist extrem stolz darauf, erstmals einen Politiker in der Show zu haben, zudem noch einen Professor Doktor wie mehrfach betont wird.

Darum wird er statt im Hubschrauber mit Edelkarosse und Motorradstaffel ins Camp geleitet und muss zudem keine Dschungelprüfung absolvieren.

Das Konzept geht auf: Günther Krause bekommt Oberwasser. Seine ministeriellen Fehltritte erklärt er bereitwillig als Fake News und von den Medien inszenierte Fettnäpfchen, eine mediale Hetzjagd eben.

Seine Mission im Camp: Die Menschheit davon überzeugen, dass man die kosmische Strahlung für die Erzeugung von Energie nutzen kann. Der Günther macht den Horst, Sven Ottke zeigt Teamleader-Qualitäten, Sonja Kirchberger lässt sich nicht hetzen und Sternchen Anastasiya Avilova kommt zwischen dem Planeten Merkur und ihrem Ex-Lover, das Model Marcus Schenkenberg, durcheinander.

Noch in der Nacht wird allerdings bekannt, dass Krause aus gesundheitlichen Gründen das Camp nach der ersten Folge verlässt.

Dass sich in Australien die Situation der Brände wieder verschärft hat, weil zwei Feuer zu einem Großbrand verschmolzen sind und den Südosten des Kontinents bedrohen, wird erst nach der Sendung im "RTL-Nachtjournal" thematisiert. Im Camp gibt es kein Feuer, nirgends.

Wenn hier etwas nicht ganz durchsichtig ist, dann der Frühnebel, aber sicher kein Rauch. Das normale Leben muss hier draußen bleiben, das erfahren die Teilnehmer gleich zu Beginn auf die harte Tour.

Auch vergeht den Zuschauern beim Fernsehbesuch des Dschungelcamps ganz offensichtlich nicht der Appetit. Der Lebensmittelfabrikant Gutfried bewirbt Fleischwurst und Salami in Scheiben, Hosta weckt Lust auf Schoko-Puffreis und Ovomaltine will Crunchy Cream ohne Palmöl an den Verbraucher bringen. Autohersteller Opel wirft im Intro zur Sendung den neuen Corsa-e im Dschungel ab. Wenn schon zurück zur Natur, dann bitte im Viertürer auf schwarzen Alufelgen und elektrisch angetrieben.

Das australische Blätterdach leuchtet auch im Jahr 2020 so grün wie eh und je. Es gibt Extrem-Prüfungen wie den Gang über eine wacklige Hängebrücke ohne Halteleinen und auf dem Speiseplan stehen weiterhin Tiervaginas und -hoden sowie Kakerlaken und Grillen.

Same procedure as every year, wie es beim RTL-Dinner for Twelve heißt. Und auch die Werbepreise bleiben hoch. Der klassische Einspieler mit 30 Sekunden kostet mindestens 47.250 Euro, die teuersten Platzierungen liegen sogar bei über 100.000 Euro, wie die Experten von ,,Horizont" ermittelten. Eine besondere Sonderwerbeform von McDonald's wird es erst später geben: Wer aus dem Camp rausgewählt wird, wird auf dem Weg ins Hotel mit einem Zwischenstopp beim Burgerbrater getröstet.

Den Buschbränden in Australien kann man sich medial freilich auch anders nähern. Der Sender Dmax hat mit ,,Outback Inferno" die Arbeit der Feuerwehrleute in einer TV-Serie begleitet, sie wird nun anlässlich der neuen Notsituation von Dienstag an wiederholt. Immerhin in einem lässt sich RTL nicht lumpen. Ebenso wie bei Dmax gibt es die Spendenaufrufe.


Aus: "Top-Quote nach Kritik-Welle" Kurt Sagatz (11.01.2020)
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/start-des-rtl-dschungelcamp-top-quote-nach-kritik-welle/25421694.html

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QuoteHBausOS #99

,,500000 Menschen protestieren in Washington gegen die Politik von Präsident Trump"

Warum eigentlich habe ich nie diese Schlagzeile gelesen? Ein Volk von 330 Millionen sediert?


Zu: "Wir leben in einem gescheiterten Staat" Aus einem Essay von George Packer (5. Mai 2020)
Quelle: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/corona-krise-usa-donald-trump-pandemie-ungleichheit/komplettansicht


...

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Quote[...] Es ist Dienstag, 23 Uhr. Ich weiß, dass Dienstag ist, weil ich bis 23 Uhr dachte, es sei Donnerstag.

Ich weiß nicht, wie lange es dauert, einen Pfannkuchen zu backen, oder wie lange ich dafür in der Küche stehe. Ich weiß auch nicht, wie viele Stunden lang ich Pflanzen umgetopft habe. Aber eine Folge Love is blind auf Netflix dauert 50 Minuten – außer die Hochzeits-Episode. Oh Giannina. Es tut mir so leid.

Ich bin mit RTL2 und VOX aufgewachsen. Ich kann mich noch an die erste Staffel Big Brother in Deutschland erinnern. 2000 war das, "Du bist mein großer Bruder, du bist immer da". Als Kind dachte ich: Zlatko, so könnte auch ein Cousin von mir heißen. Das gefiel mir. Mit dem konnte ich mich identifizieren. Frauentausch, Auf und davon, Dschungelcamp, Teenager werden Mütter – viele Jahre später verschwindet Trash-TV mit dem Fernseher, auf den ich in meiner neuen Wohnung verzichte, aus meinem Leben. Manchmal braucht es eine Pandemie, um verflossene Lieben wieder aufleben zu lassen. Manche rufen ihren Ex an. Ich netflixe.

"Barnett ist der Prototyp eines Mannes, den ich nie daten würde", schreibe ich einer Freundin, die gerade mit Love is blind angefangen hat.

"Ich glaube, Lauren und Cameron bleiben zusammen", einer anderen, die schon fertig ist.

"Damian sieht aus wie der kleine Bruder von Michael Fleischhacker", einer befreundeten Aktivistin, mit der ich mich sonst über Sexismus und Rassismus unterhalte.

Love is blind war der erste Strohhalm in dem Trash-TV-Cocktail, den mir Netflix serviert hat und nach dem ich verzweifelt gegriffen habe. Die Selbstisolation ist hart. Ich will nicht grübeln, aber das Alleinsein drängt mich dazu. Und dann frage ich mich: Soll ich die neueste Staffel Ozark schauen oder doch lieber Love is blind? Düster und komplex ist das Leben sowieso, jetzt gerade besonders. Die Entscheidung ist also eine leichte, es wird die Schnulze. Und schon geht es mir besser.

Ja, auch Banana Pancakes zu backen, lenkt ab. Aber eine Folge Love is blind lenkt länger ab. Ich könnte auch meine Wohnung renovieren, aber das ist mir zu anstrengend.

Am Anfang waren da die Nachrichten, die ich gefressen habe. Als die Isolation losging, war ich immer up to date. Ich wusste, was in China und in Italien passiert. Ich kannte die Zahl der Todesfälle in Wien. Ich wusste, was die Ausgangsbeschränkungen mir erlaubten und was nicht. Wenn man die Krise versteht, dann wird sie weniger schlimm, weniger angsteinflößend, dachte ich. Mittlerweile kann ich keine Corona-News mehr sehen. Die Nachrichten hören einfach nicht auf. Und sie treiben die Sorgen an.

Also grüble ich. Mir geht es gut. Aber ich mache mir Gedanken um Freundinnen und Verwandte. Viele können sich nicht aussuchen, ob sie sich mit ihren Problemen beschäftigen oder nicht, weil es darum geht, die Miete zu zahlen, dem gewalttätigen Ehemann auszuweichen, die Kinder zu unterhalten.

Love is blind ist meine Alternative zu den täglichen Nachrichten geworden. Es informiert mich nicht, es hilft mir zu vergessen.

Dass Reality-TV nichts weiter als Entertainment ist, heißt nicht, dass ich dieses Medium belächle. Medien können auch nur eine Funktion haben: Unterhaltung. Gerade während eines Lockdowns will ich lachen, staunen, den Kopf schütteln, meinen Alltag vergessen. Ich kann Reality-TV kritisch gegenüberstehen, mich gegen den dort gezeigten Sexismus, die klassischen Rollenbilder aussprechen und im gleichen Atemzug mit einer Freundin darüber diskutieren, wieso ich Ambers Wut auf Jessica nachvollziehen kann. Das mache ich ganz ironiefrei. Weniger Nachrichten, mehr Trash, damit bin ich nicht allein, meine Freundinnen sprechen ja auch über nichts anderes mehr. Reality-TV, Instagram-Filter wie "Guess the gibberish" oder "Welches Brot bist du?" – ich sitze im virtuellen Glashaus.

Weil ich direkt nach Love is blind mit Too hot to handle anfange, verwechsle ich die Charaktere der beiden Shows manchmal – und das, obwohl ich sie eigentlich beim Namen kenne. Ich bin beim Reality-TV-Gucken so durcheinander wie in der analogen Welt. Der Unterschied ist nur: Das macht nichts. Es hat bei Too hot to handle keine Konsequenzen, wenn ich meinen Kopf auf Flugmodus schalte. Das Konzept ist denkbar einfach: Ein Haufen extrem gut aussehender und horny Menschen darf sich weder küssen noch in irgendeiner Form Sex haben. Zu gewinnen gibt es insgesamt 100.000 Euro.

Too hot to handle ist wie eine Massage mit sexy riechendem Duftöl für mein Hirn. Jedes Mal, wenn es um Francesca geht, denke ich daran, dass ein Mann bei einem Italien-Urlaub einmal meinte, ich sollte [ihm] nach Francesca heißen. Ich lache laut und herzlich über mich selbst, als ich einer Freundin auf WhatsApp schreibe: "Mit zwei Personen würde ich schlafen." Viel zu lachen gibt es derzeit ja sonst nicht.

Die letzte Folge von Too hot to handle schmerzt wie der Liebeskummer, den man nach einer sehr leidenschaftlichen, aber sehr oberflächlichen Beziehung hat. "Liebe Realität: Schön, dass du weg warst, und schade, dass du wieder da bist", denke ich nach meiner Ladung Reality-TV, die ich mir gegönnt habe.


Aus: "Trash-TV ist während des Lockdowns wichtiger denn je" Alexandra Stanic (06 Mai 2020)
Quelle: https://www.vice.com/de/article/xg8qd7/love-is-blind-too-hot-to-handle-trash-tv-ist-wahrend-eines-lockdowns-wichtiger-denn-je

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Quote[...] Ich bin neulich fast gegen die Glaswand eines Bushäuschens geradelt, weil dort ein Plakat hing - tatsächlich noch immer hängt - mit dem auf eine TV-Sendung hingewiesen wird, die sich mit der Liebe in jedem, also auch im höheren Alter beschäftigt. Schöne Sache grundsätzlich, und das allein hätte mir natürlich nicht fast die Glassplitter ins Gesicht gejagt, sondern eher die Formulierungen "MILF" und "MISSY". Alter Scheiß, denken Sie jetzt, husch in die Urne, Milf, du bist ja noch nicht mal eine "Mother I'd like to Fuck*, du hast den Schuss schon wieder nicht gehört" - is' mir aber ega-ha-hal, denn es regt mich auf. Falsch, es verletzt mich. Ich rege mich über so einen Neandertaler-Flachwichser-Mist echt nicht mehr auf, das macht ja Falten, und ich will jetzt auch gar nicht mehr als nötig auf diese unterirdische Sendung eingehen. Denn let's face it: Joyn macht da nur, was andere Privatsender seit Jahren machen mit ihren Fleischbeschau-Formaten "Germany's Next Top Model", "Bachelor(ette)" oder "Nackte Pussys und Pimmel im Paradies", um nur einige zu nennen. Alles nur Jobbeschaffungsmaßnahmen und Karrierebooster, is' klar.

Bei der neuen Sendung "MOM - Milf oder Missy" ist es insofern noch schlimmer, als dass da nicht nur die übliche Warenbegutachtung stattfindet, nein, hier werden auch noch alte gegen junge Frauen aufgehetzt. Gemeinsam ist ihnen immerhin, dass sie den Partner noch lieber nehmen, wenn er ein bisschen was auf der hohen Kante hat (eine "Milf sagt: "So stelle ich mir das Leben vor, das ich führen sollte"), auch wenn die Frauen alle "top ausgebildet" sind und auf "Ich brauche keinen Mann" machen. Warum sind sie dann in der Show? Um sich gegenseitig früher oder später an den Extensions zu ziehen, im Schlamm zu catchen? Brot und Spiele, ... .

Normalerweise geht das im Fernsehen so: Ein Mann sucht unter vielen Frauen eine Lady zur weiteren Lebensgestaltung (manchmal auch umgekehrt) aus, und sei die folgende, gemeinsame Lebensgestaltungsphase dann auch noch so kurz; oder eine Modelmama sucht Model-"Meedchen", die man dann für Rasierer über die Klinge springen lässt oder in Joghurtwerbung vermanscht. Wie solch menschenverachtende Formate Frauen jemals nach vorne bringen sollen, wie Frauen so jemals sinnvolle Netzwerke, Respekt und eine Gleichheit in der Arbeitswelt erreichen wollen, bleibt schleierhaft. Wie rückständig man doch sein kann - als Sender und als Protagonist(in). Und wie schlecht soll ein Vorbild für jüngere Generationen denn bitte noch sein? Alles nur Spaß? Das ist kein Spaß, das ist scheinheiliger Dreck.

... Solange Frauen auf Bildschirmen sich hauptsächlich aber dadurch hervortun, dass sie kokett ihre Haare schmeißen, auf den Lippen rumbeißen oder den Lady-Di-Blick (unterwürfig von unten nach oben blicken, scheu) perfektionieren und Männer weiterhin die Welt erklären dürfen, und sei es auch nur anhand von Rotwein ("Die Flasche kostet 1500 Euro", gönnerhaftes Lächeln, Frau kreischt) sind wir noch weiter hinter dem Mond als in den Fünfzigerjahren. So lange Frauen meinen, dass sie "alt gegen jung" kämpfen müssen, so lange dürfen Männer Frauen tatsächlich weiterhin auf ihre Fuckability abchecken. ...


Aus: "One Woman Show Milf - Kompliment oder Frechheit?" Aus einer Kolumne von Sabine Oelmann (Mittwoch, 27. Mai 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/leben/Milf-Kompliment-oder-Frechheit-article21808108.html


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Quote[...] Bei "Love Island" hat es mit der großen Liebe nicht geklappt. Und auch ein Techtelmechtel mit Pietro Lombardi verlief im Sande. Deshalb geht Melissa Damilia jetzt als "Bachelorette" auf die Suche nach ihrem Traumboy. Ab Oktober wird sie ihre Rosen verteilen.

Pietro Lombardi hat gut lachen. Schließlich hat er soeben erst verraten, dass er nach seiner Ehe mit Sarah, mehreren langen Jahren als Single und einem gescheiterten Annäherungsversuch mit Melissa Damilia jetzt wieder verliebt auf Wolke sieben schwebt.

Die gute Melissa indes hatte in jüngster Vergangenheit offenbar weniger Glück. Jedenfalls hat bis dato kein Jüngling das Herz der 24-Jährigen erobert, die 2019 am RTLzwei-Format "Love Island" teilnahm und dort auch Pietro Lombardi aufgefallen war.

Aber Melissa Damilia hat das Single-Dasein satt. Deshalb nimmt sie die Suche nach dem Traummann nun abermals in Angriff - in der Rolle der "Bachelorette". Wie RTL bekannt gab, flimmert die diesjährige Staffel ab 14. Oktober um 20.15 Uhr im Free TV über die Bildschirme. Zudem ist die Sendung auch beim Streamingportal TVNOW abrufbar.

Wer sich unter der griechischen Sonne Kretas wohl als Mr. Right herauskristallisieren wird? "Die Bachelorette - Das große Finale" wird es am 2. Dezember zeigen. Dann übergibt Damilia ihre letzte Rose, ehe Moderatorin Frauke Ludowig im Anschluss noch einmal die Highlights der siebten Staffel Revue passieren lässt.

Was ein Mann mitbringen muss, um bei ihr landen zu können, hat die gelernte Drogistin und Haar- und Make-up-Stylistin aus Stuttgart übrigens schon verraten. Er müsse auf jeden Fall "aufmerksam sein, ehrlich sein und Humor haben". Von den 20 Anwärtern bei "Die Bachelorette" erwartet sie zudem, dass sie "Kampfgeist beweisen und sich natürlich von ihrer besten Seite zeigen". In diesem Sinne: Lasset die Liebesspiele beginnen.

Quelle: ntv.de, vpr/spot


Aus: "Pietro Lombardis Ex-Schwarm ist bereit" (Donnerstag, 17. September 2020)
Quelle: https://www.n-tv.de/leute/Pietro-Lombardis-Ex-Schwarm-ist-bereit-article22042657.html

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Quote[...]

Markus Metz / Georg Seeßlen: Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
782 Seiten
ISBN-13: 9783518126097


Anmerkungen zum Band ,,Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität" von Markus Metz und Georg Seeßlen

Als ,,Blödmaschinen", so erklären uns die Autoren, hat man das Bindeglied zwischen Mensch und Welt zu verstehen. Und dieses Bindeglied, eine Art Human Interface, kann, muss aber keine Blödmaschine sein. Vielleicht ist es noch besser zu verstehen, wenn man die ,,Blödmaschine" als eine Art Interpretationsmaschine versteht, die sich zwischen Mensch und Umwelt schaltet, diese Welt ,,interpretiert" und die Ergebnisse oder ,,Erkenntnisse" an den Menschen weitergibt. Die ,,Blödmaschine" kommt dabei der ,,natürlichen" Neigung des Menschen nach Bequemlichkeit und Faulheit – von den Autoren mit dem Begriff ,,Benommenheit" zusammengefasst – entgegen: Sie übernimmt das Denken und sagt dem Individuum, was es zu denken, und vor allem zu kaufen hat, um glücklich und zufrieden zu sein.

Das Autorenduo macht verschiedene Formen der ,,Blödmaschinen" aus und analysiert sie mehr oder weniger brillant. Dabei ist die Beschreibung der BILD-Zeitung als ,,Mutter aller Blödmaschinen" ein echtes Highlight des Buches. Man knüpft damit an die Anfänge der Medienanalyse und kritischen Medienbetrachtung in den 1970er-Jahren an – man denke nur an Heinrich Bölls Roman ,,Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1974), eine literarische Aufarbeitung der journalistischen Strategien der BILD-Zeitung im Kontext der Diskussionen über den Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Problematisch wird es in der Monografie nur, wenn die brillante Analyse in undifferenziertes Geschwätz übergeht, wenn gezielte Polemik ihr Ziel aus den Augen verliert und undifferenziert über alles hinwegwischt.

Trotzdem gelingen immer wieder treffende Miniaturen, etwa bei der Analyse der sogenannten ,,Postpersönlichkeit", die als Folge von erfolgreich arbeitenden ,,Blödmaschinen" durch wenig differenzierten Medienkonsum mit dem Verlust innerer Grenzen und Leitlinien klar kommen muss, so dass es für ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr reicht. Kritisch anzumerken ist, dass die Autoren mit dem etwas veralteten Schichtmodell an ihrer Gesellschaftsanalyse arbeiten. Die These ist: erfolgreiche Blödmaschinen erzeugen in letzter Konsequenz eine bildungsferne, verblödete Unterschicht, die den Werbungs- und Marketingsstrategien der Industrie ebenso ausgeliefert ist, wie denen der Politik. Axiom ist: Es gibt keinen Weg, wie sich die ,,Unterschicht" aus dem Kreislauf befreien könnte, kann sich doch die ,,Unterschicht" – so postulieren die Autoren – selbst nicht als befreit denken und somit kein Bewusstsein für ihre ,,falsche" Position entwickeln.

Irgendwie erinnert das nach fast 800 Seiten an den ,,allumfassenden Verblendungszusammenhang" bei Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und den Philosophen der Kritischen Theorie. Dabei ist gerade von Adorno nur ein einziger Titel im Literaturverzeichnis zu finden. Aber am seltsamsten ist das deprimierende Menschenbild, mit dem die Autoren arbeiten. Ist es doch ein höchst problematischer Ansatz, die ,,Doofen" in einer ,,Unterschicht" zusammenzufassen. Erfahrungsgemäß sind diese auch in den Reihen von Politik und Industrie anzutreffen, auf allen Schulstufen und in fast allen Ausbildungsbereichen bis hin zur Universität. Aber diese Feststellung würde einer einfachen Schlussfolgerung im Wege stehen und vielleicht wieder auf den Anfang der Untersuchung zurückweisen. Und natürlich gibt es auch einen Grund, warum diese Feststellung keinerlei Auswirkung auf die Untersuchungsergebnisse hat: Plötzlich verhält es sich mit den ,,Blödmaschinen" ebenso wie mit deren Analyse.

Natürlich ist es einfach und manchmal sehr amüsant, sich über DSDS, die Supernanny, den Schuldenjäger und eine mediengerechte Katastrophenberichtserstattung und deren unreflektierte Konsumenten lustig zu machen. Aber ist der medienkritische Standpunkt nicht vielleicht ein wenig arrogant, denn er vernachlässigt, wie angenehm es manchmal ist, sich durch Nonsense – denn nichts anderes ist diese Form von Unterhaltung und ,,Infotainment" – zerstreuen zu lassen? Sollten wir nicht eher fragen, welche Bedürfnisse diese Form der Unterhaltung erfüllt? Und ob der so paralysierte Konsument, der denn doch so blöd ist, nicht vielleicht einfach nur nach einem spannenden, intelligenten und unterhaltsamen Lebenssinn sucht, diesen aber nirgends findet?

So kann die Analyse der ,,Verblödungsursachen" oft das Gegenteil bewirken und diese nicht nur nicht auflösen, sondern ihre Wirkung auf die Analyse ausdehnen. Aber dies finden wir ja in ähnlicher Form auch schon in der ,,Dialektik der Aufklärung" formuliert. Womit wir wieder bei Adorno und Horkheimer wären: Vielleicht sollt man einfach einmal wieder einen Blick in dieses schon etwas ältere Werk werfen.


Aus: "Wie man blöd wird" Thomas Neumann (Nr. 9, September 2011, Kultur- und Medienwissenschaft)
Quelle: https://literaturkritik.de/id/15861

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QuoteDon't Look Up ist eine US-amerikanische schwarze Komödie von Regisseur Adam McKay. Der Film lief am 9. und 10. Dezember 2021 in vereinzelten Kinos verschiedener Länder an. Weltweit veröffentlicht wurde der Film auf Netflix am 24. Dezember 2021. ... Das Redaktionsnetzwerk Deutschland schrieb, es habe selten ,,[e]ine prächtigere Odyssee durch die wilde See der menschlichen Dummheit und Ignoranz" zu sehen gegeben ... Auch Der Standard lobte, nur selten habe ein Film ,,den desolaten Zustand der Menschheit so treffsicher beschrieben wie "Don't Look Up"". Während das eigentliche Ziel gewesen sei, hinsichtlich der Klimakatastrophe aufzurütteln, passe die im Film gezeigte Zustandsbeschreibung aber genauso gut zur COVID-19-Pandemie. ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Don%E2%80%99t_Look_Up

Quote[...] Die Welt, das wissen die meisten Kinogänger, ist am schönsten und am schrecklichsten in den Momenten, da sie untergeht: wenn kilometerhohe Wellen die Türme der Insel Manhattan knicken; wenn sich die Erde auftut und Los Angeles versinkt; wenn Meteore das Meer teilen oder glühende Metalle aus dem Erdkern nach oben schießen. Man kann sich kaum wehren gegen den Schrecken. Und spürt doch, wenn der Film zu Ende geht, eine gute Laune, die schon davon kommt, dass da draußen, in der Wirklichkeit, wundersamerweise alles unbeschädigt ist.

Ein halbwegs glaubwürdiger Weltuntergang wird von den Filmstudios in diesen Tagen mit mindestens 200 Millionen Dollar budgetiert – und Adam McKays Weltuntergangsfilm ,,Don't Look Up" weicht nicht nur wegen seiner vergleichsweise geringen Kosten von der Norm des Genres ab: Weniger als hundert Millionen soll er gekostet haben, was kaum ein Zuschauer als Mangel empfinden wird. Denn seinen Mehrwert, das suggerieren alle Absichtserklärungen des Regisseurs und die meisten Posts der Zuschauer in den gängigen Netzwerken, verdankt der Film der allgemein als richtig und verbindlich angenommenen Interpretation, wonach, wenn der Abspann gelaufen ist, da draußen nichts mehr beim Alten ist: Der Weltuntergang wird kommen, aus Gründen, die der Film beschrieben hat. Nur dass es etwas länger dauern wird als die 138 Minuten von ,,Don't Look Up".

Eine Doktorandin der Astronomie (Jennifer Lawrence) entdeckt einen Kometen, ihr Professor (Leonardo DiCaprio) berechnet die Flugbahn und die Größe: Der Brocken ist zehn Kilometer dick und wird in einem halben Jahr mit der Erde zusammenstoßen, was, wenn kein Wunder geschieht, das Ende der menschlichen Zivilisation, womöglich sogar allen Lebens auf dem Planeten zur Folge hätte. Und dann versuchen die Studentin und der Professor, das Volk zu warnen, die Medien zu alarmieren und die Präsidentin (Meryl Streep) dazu zu drängen, den Kometen mit allen verfügbaren Atombomben zu beschießen, damit das Riesending aus der Flugbahn geworfen werde. Was leider misslingt, weil die Leute einfach andere Sorgen haben. Sie finden den Professor sexy, aber die Studentin hysterisch. Die Medien machen Quote mit einem Sexskandal der Präsidentin. Die Politik will keine Panik schüren. Und in den sozialen Netzwerken sind alle viel zu gerührt von der Liebesgeschichte einer Popsängerin (Ariana Grande), als dass sie noch Aufmerksamkeit übrig hätten für den Untergang der Welt.

Der Komet, so muss man das wohl sehen, ist eine Metapher, so groß wie der Mount Everest – und wenn Adam McKay über seinen Film und dessen Botschaft spricht, vergrößert und vergröbert er diese Lesart nur noch: Die Politik sei völlig verrottet, die Medien seien amoralisch und zynisch und das Volk, das sich in den Twitter- oder Instagram-Blasen seine Meinung bildet, auf dem Weg in die Verblödung. Und genau so wird der Film in diesen Netzwerken auch wahrgenommen: als Satire über Verhältnisse, die ihrerseits schon satirisch wären, wenn sie nicht auf die ökologische Katastrophe hinausliefen. Als nur leicht übertriebenes Reenactment von Gesamtzusammenhängen, in denen Donald Trump tatsächlich Präsident wurde und die Leute andere Prioritäten haben als die Rettung der Welt. Als Zeitrafferversion der Katastrophe, die uns droht. Nur dass man das nach eineinhalb Stunden verstanden hat, der Film dann aber noch eine Dreiviertelstunde weitergeht.

Wenn die Werke aber sprechen, soll man nicht mehr auf deren Schöpfer hören – und wenn die ganze Inszenierung nur darauf hinausliefe, dass diesen Menschen in ihrer Oberflächlichkeit, ihrer Unaufmerksamkeit, ihrer Unterhaltungssucht und ihrer schwächlichen Moral der Untergang nur recht geschähe: Dann müsste man ,,Don't Look Up" jener purgatorisch-puritanischen Science-Fiction zurechnen, die unter allen Subgenres das unsympathischste, reaktionärste und erkenntnisfeindlichste ist. Erschwerend käme hinzu, dass, so herum betrachtet, der Film vor allem eine Warnung vor sich selber wäre.

Es hilft aber, wenn man sich an McKays vorletzten Film erinnert, an ,,The Big Short", der, nach Michael Lewis' gleichnamigem Buch, die Geschichte der Finanzkrise und derer, die sie kommen sahen, erzählte. Da sah man zum Beispiel eine große Neubausiedlung, alle Häuser leer, keines verkauft – was eigentlich als Beweis dafür, dass die Immobilienblase platzen würde, gereicht hätte. Es ist aber, auch das konnte man da sehen, nicht selbstverständlich, dem Augenschein zu trauen in einer Welt, in der erst die medialen Echos und Spiegelungen den Wirklichkeitsstatus einer Sache bestätigen. Und man sah, dass all jene, die den Crash kommen sahen, deshalb gegen die Immobilienpapiere wetteten und damit unfassbar reich wurden – dass die alle ziemlich weit von dem abwichen, was die Gesellschaft als seelisch gesund und normal definiert. Gesunde Menschen glauben, was alle anderen auch glauben, konnte man da lernen; und dass man ihnen das nicht vorwerfen sollte.

Auch ,,Don't Look Up" ist ein Film übers Wahrnehmen und falsch Deuten, nur dass er dabei härter und zugleich lustiger ist. Wenn der Professor, im Fern­sehen, am Rand des Sonnensystems mit seinen Erklärungen anfängt, muss er sich nicht wundern, dass die Leute sich ­langweilen. Wenn er schreit, wütet, die Präsidentin als verdammte Lügnerin beschimpft, wird er für einen Spinner gehalten und hat es nicht anders verdient. Es ist nicht so leicht, vom Weltuntergang einigermaßen vernünftig zu sprechen, zumal die Adressaten ja die ganzen Weltuntergangsfilme auch längst gesehen haben und solche Nachrichten intuitiv bei den Fiktionen einsortieren.

So ist Verständigung leider nicht möglich – es sind aber die Missverständnisse, die diesen Film so vergnüglich machen. Und am besten missversteht man ihn so, dass er feiert, was er angeblich kritisieren will: dieses bunte, laute, profund oberflächliche, hyperaktive und aufmerksamkeitsdefizitäre Gewirr aus Politik, Pop und Internetkommunikation. Meryl Streep als Präsidentin, die sich ohne Verklemmtheit zu ihrer Gier nach Sex und Macht bekennt; eine Fernsehmorgenshow, in der jedem Langweiler das Wort abgeschnitten wird; ein Tech-Milliardär, der von all den Daten, die er besitzt, komplett verrückt geworden ist. Man hofft natürlich, dass die Dreharbeiten wenig CO2 verbraucht haben. Man hofft aber vor allem, dass, wenn unser aller CO2-Ausstoß vernünftigerweise radikal reduziert wird, der Ausstoß an absolut unvernünftigen Pointen weiterhin hoch bleiben kann.


Aus: ",,Don't Look Up" bei Netflix : Eine Metapher, so groß wie der Mount Everest" Claudius Seidl (30.12.2021)
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/don-t-look-up-bei-netflix-der-weltuntergang-wird-kommen-17707064.html

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"Warum Romy Schneider keine Kaiserin der Herzen ist"
Vom frühen Ruhm, einer fremdbestimmten Jugend, einer männerdominierten Branche und einer Vereinnahmung, die der Schauspielerin nicht gerecht wird
Analyse - Magdalena Waldl (31. Dezember 2021)
https://www.derstandard.at/story/2000132186801/warum-romy-schneider-keine-kaiserin-der-herzen-ist

QuoteVergebenerCommunityName, 31. Dezember 2021, 09:10:32

Also für mich ist Romy Schneider eine Kaiserin der Herzen. Zumindest solange der Film dauert. Da kann der Standard schreiben was er will.
Andere brauchen Rauschgift und Alkohol, um sich die Welt schöner zu machen und gute Laute zu bekommen.
Bei mir genügt ein 90-minütiger Sisi-Film.
Und NEIN, ich schäme mich ÜBERHAUPT NICHT dafür.
Und JA, ich weiß nach 90 Minuten, dass das nicht die Realität war.


Quote
Shackditey Kalimar

Wenn ich mir Filme ansehe dann möchte ich dem Alltag entfliehen. Ob und welches Frauenbild dargestellt wird ist mir wirklich egal.
In den Sissi-Filmen überzeugte eine 16jährige Schauspielerin mit unverbrauchter Jugend, Charme, Offenherzigkeit. Ein Strahlen in den Augen und eine Aura an welche die Darstellerin der neuesten Sissi ORF Produktion nicht auch nur ansatzweise herankommt.
Heute glaubt jeder das Nacktheit und Sex Teil jedes Filmes sein muss. Daran erkennt man auch das sich der Mensch dem Abgrund nähert.


Quote
Stone17, 31. Dezember 2021, 09:06:11

Ich hab mir gestern seit meiner Kindheit erstmals wieder einen der Sissi-Filme angesehen. Viel heile Welt hab ich da aber nicht gesehen um ehrlich zu sein.


Quote
Polly Esther, 31. Dezember 2021, 07:31:06

Einer Welt, in der Frauen bestenfalls zu gefügigen, sich aufopfernden, dem Kaiserreich dienenden, unmündigen Personen deklariert wurden, deren Freiheiten und Lebensentscheidungen immer von Männern abhängig und somit eingeschränkt waren. Leider wahr. Und deshalb um so erstaunlicher dass bei den Sisi-Filmen wohl deutlich mehr weibliches als männliches Publikum vor den TV-Geräten einfindet. Weshalb das so ist, das wäre mal eine Analyse wert...
...


Quote
Morainn

... Sie war eine Projektionsfläche einer Sehnsucht nach einer heilen Welt der 50-60er. Ist heute leichter erkennbar als damals.


...

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Zu Kluges Begriff der Öffentlichkeit gehört, dass ihre Teilnehmer und Nutzer erwachsene Menschen sind, nicht Reiz-Reflex-Kunden einer Bewusstseinsindustrie, deren Daseinszweck die Monetarisierung von Aufmerksamkeit ist, etwa als Einfallstor für Werbung. Dass Kluge in der Frühzeit des Privatfernsehens dieses Geschäftsmodell eine ,,subtile Form des Menschenhandels" genannt hat, trifft erst recht für die heutige Aufmerksamkeits-Verwertungs-Industrie der Internetkonzerne zu, neben deren Raffinesse das Trash-Fernsehen der Privatsender rührend altmodisch wirkt.

Eines der erstaunlichen subversiven Manöver Kluges bestand darin, die Sender des Privatfernsehens mit juristisch-politischer Geschicklichkeit zu zwingen, ihm als unabhängigen Produzenten über viele Jahre Programmfenster zu seiner freien Verfügung einzuräumen. Dort konnten die RTL-Zuschauer dann zur späten Stunde Heiner Müller beim Schweigen zusehen, Kluges Freund Helge Schneider als U-Boot-Kommandant in Fantasieuniformen begegnen oder sich von Dirk Baecker erklären lassen, was postheroisches Management ist.

Kluges Fernsehen sei ,,Zirkus mit 12-Ton-Musik" stöhnte der damalige RTL-Chef Thoma seinerzeit.

...


Aus: "Alexander Kluge wird 90: Der Landvermesser" Peter Laudenbach (14. 2. 2022)
Quelle: https://taz.de/Alexander-Kluge-wird-90/!5831147/

Textaris(txt*bot)

Quote[...] Mit vermeintlich helfenden Formaten versuchen private TV-Sender seit Jahren, menschliches Elend gewinnbringend zu verkaufen.  ... "Affektfernsehen" wird in der Medienpsychologie der zunehmende Drang genannt, Formate auf Einzelschicksale, emotionale Befindlichkeiten und die Überschreitung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit zu fokussieren.


Aus: "TV-Kritik "Die große Welt der kleinen Menschen":Guck mal, wie süß" (7. September 2012)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/medien/tv-kritik-die-grosse-welt-der-kleinen-menschen-guck-mal-wie-suess-1.1458442-0

Textaris(txt*bot)

#26
Quote[...] Abseits von Politik und Wirtschaft interessiert sich der Multimillionär Luxon für Wasserski, er hört gern Country-Musik und outete sich als "Swiftie", also als Fan von US-Sängerin Taylor Swift.  ... Und er ist ein bekennender "Do-it-yourself-Guy", also jemand, der Handwerkliches gern selbst erledigt. Dafür bieten seine sieben Häuser in Neuseeland sicher genug Gelegenheit. (Kim Son Hoang, 27.11.2023)


Aus: "Christopher Luxon: Millionär, Swiftie und nun Neuseelands neuer Premier" (27. November 2023)
Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000197133/christopher-luxon-millionaer-swiftie-und-nun-neuseelands-neuer-premier

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Quote[...] Es graut mir schon jetzt vor dem Tag, an dem die Insta-Stories der Welt wieder mit den bunten Kacheln des Spotify-Jahresrückblicks zugepflastert sein werden. Dann teilen meine Freund:innen stolz, wie sie unbekannte Bands und vielfältige Genres gehört haben, während ich mich für meinen Musikgeschmack einfach nur schäme.

2023, das weiß ich schon jetzt, wird meine Nummer 1 der Song "Blank Space" von Taylor Swift sein. Das ist mir so unangenehm, dass ich einfach gar nichts teilen werde. Aber warum eigentlich? Warum ist mir ausgerechnet ein Song peinlich, den wahrscheinlich täglich Millionen Menschen hören?

Liegt es daran, dass der Song schon neun Jahre alt ist? Oder daran, dass Taylor Swift eine Multimillionärin ist, die ich durch meine Streams unfreiwillig noch ein bisschen reicher mache? Oder ist es eine tief in mir sitzende Misogynie, sodass ich Musik von Frauen automatisch schlechter finde als die eines jaulenden Mannes mit Gitarre?

Wahrscheinlich von allem ein bisschen.

Vor allem aber ist es eine einfache Gleichung, die mir früh ins Gehirn gepflanzt wurde: Popmusik = peinlich.

Die Herabwürdigung jeder kommerziell erfolgreichen Musik ist zu einem Automatismus geworden, der sich von kritischen Feuilletonist:innen auf alle übertragen hat, die sich irgendwie überhaupt für Musik interessieren. Sie sind der Überzeugung, Popmusik sei ein Massenprodukt, seelenlos produziert von der bösen Musikindustrie, um superviel Geld zu verdienen. Diese Hits seien also gar keine richtige Musik.

Dabei findet man diese "richtige Musik", die so "deep" ist, am Ende auch nur durch stundenlanges Suchen in irgendwelchen Datenbanken. So kann man dann verächtlich auf diejenigen herabschauen, die sich ihren Geschmack von den Radios und Global-Hit-Playlists dieser Welt vorgeben lassen. Das klingt extrem anstrengend und freudlos, und ich kann versprechen: Das ist es auch.

Denn wer darauf besteht, dass der Lieblingssong etwas extrem Individuelles zu sein hat, ein Song, der nur einem selbst und sonst niemandem gehört, der verkennt die große Magie von Musik als Massenphänomen.

Es schmälert mein Erlebnis nicht, wenn ich nur einer von vielen bin, die Gefühle zu einem Taylor-Swift-Song haben.

"Blank Space"
https://youtu.be/e-ORhEE9VVg


"Blank Space" ist der perfekte Song zum Autofahren, im besten Sinne radiooptimiert und hat einen Refrain ("So it's gonna be forever / Or it's gonna go down in flames"), der mich mit einer riesigen Wärme füllt. Dass es anderen offenbar genauso geht, macht den Song nur noch schöner.

Eigentlich könnte ich mich also sogar darin bestärkt fühlen, dass ich mit meinen Emotionen und der Projektion meines Lebens auf irgendeinen Popstar nicht allein bin. Dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit, das kann kein DIY-Album mit 70 Hörer:innen auf SoundCloud in diesem Maße erzeugen.

Trotzdem werde ich die Scham für meinen Musikgeschmack auch in dieser Spotify-Jahresrückblicks-Saison nicht vollständig ablegen können. Mein innerer zynischer Tocotronic hörender Teenager in Röhrenjeans und mit tief ins Gesicht gekämmtem Pony ist noch zu stark, um völlig cringebefreit zu meiner großen Zuneigung für klischeehafte Chartmusik zu stehen.

Doch eines Tages, da bin ich mir sicher, wird mir der Sieg im Kampf gegen die Scham gelingen. Das hier ist ein Anfang. Aus dem "guilty pleasure" wird dann nur noch "pleasure" werden. Und ich werde endlich die Person sein können, die ich schon immer war.


Aus: "I ❤️ Taylor" Sebastian Hotz (27. November 2023)
Quelle: https://www.zeit.de/campus/2024/01/taylor-swift-spotify-jahresrueckblick-musik-el-hotzo

QuoteAltervorSchönheit

Ich kann mit Taylor Swift nichts anfangen und schäme mich nicht dafür.


QuotePhanta

In der gleichen Phase, lieber Verfasser, war ich vor ein paar Jahren auch. Nur, dass es bei mir nicht um Taylor Swift ging (und Misogynie keine Rolle spielte, aus verschiedenen Gründen). Zu merken, dass man nur irgendwelche angelernten Mainstream-Verabscheuungsmuster fühlt, die es gar nicht braucht, war sehr befreiend. Ich teile meinen Spotify-Rückblick zwar auch nicht, aber nicht aus Scham, sondern weil ich in sozialen Medien nicht poste und bis vor wenigen Wochen auch Spotify nicht genutzt habe ;)


Quoteeat_the_rich

Das ist/war nicht nur beim Mainstream so. In meiner Jugend in den 90ern gab es zuerst auch ganz klare Trennlinien, was man gehört hat und was nicht: Hip-Hop hören kein Metal, wer Metal hört nix Elektronisches etc usw Und Pop ging schon mal gar nicht.

Wenn man irgendwann merkt, dass die Grenze, die man ziehen sollte, nicht zwischen den Genres liegt sondern zwischen gut gemacht und Schund oder meinetwegen wirkt/wirkt nicht, dann ist das in der Tat sehr befreiend.


QuoteJochenB

Taylor Swift ist anders als die anderen. Sie ist nahbar, plaudert mit allen und bleibt trotz ihrer Bekanntheit irgendwie auf dem Teppich. Das zieht einen in den Bann. Genau damit macht die einen unglaublichen Batzen Geld. Anders gesagt - die hat es faustdick hinter den Ohren.


Quote
Vorki

Sorry, aber der Artikel ist mir persönlich zu oberflächlich. ...


QuoteMadro

Wer wisen will wer die heutige Pop-Musik schreibt sollte diesen Artikel lesen. Nichts von den schwülstigen Sätzen wie "ich schrieb den Song als ich in XY Stimmung war". Die meisten Songs von Tayler Swift und Co. werden von 2 Männer geschrieben.

"Every song you love was written by the same two guys"
By Social Links for Larry Getlen, Published Oct. 4, 2015
Songwriting today is not the romantic notion of one kid with a guitar. As John Seabrook writes in his new book "The Song Machine," it's an impersonal, assembly-line-driven process that would make Henry Ford proud.
https://nypost.com/2015/10/04/your-favorite-song-on-the-radio-was-probably-written-by-these-two/


QuotePhanta

Na und? Diese Frage nach Authentizität gehört doch auch nur zu dem Potpourri der Gründe für Popmusik-Scham, wie sie im Artikel beschrieben wird. Und ist Unsinn. Ein Song wird nicht besser, nur weil die Person, die ihn performt, ihn auch geschrieben hat. Diese Nachwehen des romantischen Geniekultes sind inzwischen nur noch ermüdend.


Quoteeat_the_rich

Skandal im Theater-Betrieb: Lars Eidinger hat nicht Hamlet selber geschrieben.


Quote
volumen

... Ich kenne elaborierte Intellektuelle, die auf Musikantenstadl stehen. Ich kenne knallharte Wissenschaftler, die nur bei Helene Fischer weich werden.
Man muss sich nicht kratzen, wenn es andere Leute juckt.


QuoteDie Antwort ist_42

Taylor Swift... langweilige Fahrstuhlmusik für gelangweilte Großstädter. Da fehlt bei mir alles, was in mir Emotionen auslöst.  ...


QuoteBIRP

Ach komm, Popmusik ist genau genommen doch peinlich. Da nutzt das ganze Hin- und Her-Gehotze auch nix.


QuoteMampf.Mampf

Ich finde, dass Taylor Swift wirklich tolle Beine hat!
Die Musik von ihr vergesse ich immer direkt.


QuoteStephan

Es ist mir ein absolutes Rätsel, was an Taylor Swift irgendwie toll sein soll. Flache Songs, leere Texte, dünne Stimme, künstliche Musik-Arrangements...
Kein Erkennungsmerkmal - außer, dass es halt keines gibt, was ja auch schon wieder ne Kunst ist. ...


QuoteBeckmonk

Es ist gut, dass Menschen, die gerne Schlager- und Popmusik -kurzum Mainstream- hören, dies ungehemmt, immer und stets machen können.  ...


Quoteberberisse

Lektüretipp: Über Pop-Musik von Diedrich Diederichsen - Vielleicht wird es besser mit ein bisschen Hintergrundwissen?
Ganze Generationskohorten von Pop-Fans hat er angeregt und aufgestört: Diedrich Diederichsen. Nun erscheint mit Über Pop-Musik das Ergebnis seines lebenslangen Nachdenkens über Pop.Über Pop-Musik ist ein kluges, ein kontroverses Buch, dessen Thesen ganze Gebäude eilig zusammengezimmerter Übereinkünfte zum Einsturz bringen werden. Pop-Musik, sagt Diederichsen, ist gar keine Musik. Musik ist bloß der Hintergrund für die viel tiefer liegenden, viel weiter ausstrahlenden Signale des Pop. Pop ist ein Hybrid aus Vorstellungen, Wünschen, Versprechungen. Er ist ein Feld für Posen und Pakte, für Totems und Tabubrüche. Der Autor bezieht seine Argumente aus Semiotik und Soziologie ebenso wie aus der Geschichte und Gegenwart der Pop-Kultur und aus den angrenzenden Gebieten Jazz, Kino, Oper. Es dürfte das erste Buch sein, das der ganzen Vielgestaltigkeit des Phänomens Rechnung trägt, und das einzige, in dem gleichzeitig Theodor W. Adorno und Congo Ashanti Roy auftreten. Und es ist ein sehr persönliches Buch. Diederichsen greift immer wieder auf die eigenen Erfahrungen zurück, sein Initiationserlebnis war ausgerechnet ein Konzert des bleichen Bluesrockers Johnny Winter. Was er über dessen Auftritt schreibt, gilt für viele, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind: Pop hat »eingelöst, was wir alle immer schon geahnt hatten, aber als Kinder nie ganz genau wussten: dass es etwas gibt. Nicht, wovon Winter heulte, war wichtig, sondern dass in komischen Geräuschen ein Weg zur Welt war.«
https://www.kiwi-verlag.de/buch/diedrich-diederichsen-ueber-pop-musik-9783462045321


Quotemartinhf

"Pop-Musik, sagt Diederichsen, ist gar keine Musik. Musik ist bloß der Hintergrund für die viel tiefer liegenden, viel weiter ausstrahlenden Signale des Pop."
Dann wäre es richtig zu sagen: "Pop ist mehr als Musik."

Ich glaube, diese "Mehr" ist das, womit diese Leute ein Problem haben.


QuoteWissenIstMacht888

"Liegt es daran, dass der Song schon neun Jahre alt ist?"

Nein.

"Oder daran, dass Taylor Swift eine Multimillionärin ist, die ich durch meine Streams unfreiwillig noch ein bisschen reicher mache?"

Zwingt dich irgendwer? Und ja, wenn die Musik austauschbar ist, wie die von Swift definitiv ist, würde ich überlegen all das streaming geld lieber jemand anderem hinterher zu werfen.

"Oder ist es eine tief in mir sitzende Misogynie, sodass ich Musik von Frauen automatisch schlechter finde als die eines jaulenden Mannes mit Gitarre?"

Wer nicht zwischen absolut ätzenden Kommerzpop und echter Kunst unterscheiden kann, stellt sich wohl solche geschlechtsfokussierten Fragen. Niemand hat ein Problem mit echter Frauenpower. Ich könnte wahrscheinlich die längste Liste ever schreiben, wenn es um coole Musikerinnen geht. Aber vor allem Musikliebhaber wie ich haben ein Problem damit wenn einzelne Künstler auf dreisteste Art und Weise alles Andere verdrängen, indem sie schamlos overfeatured werden. Indem wahrscheinlich sogar die Musikindustrie kleine Tageszeitungsredakteure anschreibt um die Werbetrommel noch ein wenig mehr zu rühren. Es. Ist. Widerlich.


Quoteclehmann

     Musikliebhaber wie ich...

Selbstverliebtes Geblubber. Wären Sie ein "Musikliebhaber", wie Sie behaupten, dann wüssten Sie, dass auch "Kommerzpop" echte Kunst sein kann. Und Sie würden Musik nicht ausschließlich nach der Akzeptanz in Ihrer "Musikliebhaber"-Bubble beurteilen.

Das Gegreine über den Kommerz in der Musikindustrie ist auch so alt wie der Wald. Ist aber auch ein Distinktionsmerkmal der "Musikliebhaber". Ich habe noch keinen Shampooliebhaber jammern gehört, sein Lieblingsshampoo habe keine Chance, weil Schauma seine Marktmacht so schamlos ausnutzt...;)


QuoteWissenIstMacht888
Antwort auf @clehmann

Entfernt. Bitte verzichten Sie auf überzogene Polemik. Danke, die Redaktion/LW


Quote
votecriders
Antwort auf @clehmann

"Ich habe noch keinen Shampooliebhaber jammern gehört, sein Lieblingsshampoo habe keine Chance, weil Schauma seine Marktmacht so schamlos ausnutzt...;)"

...aber gibt es denn überhaupt ein Shampoo jenseits von Schauma??


Quotevolumen

Auf schamloseste Weise overfeatured ? Kann Swift nix für, Sie werfen der Industrie vor, dass sie ein gut laufendes Produkt kapitalistisch vermarktet. Kommerzpop ist ja immerhin ok für Sie, solange es kein ätzender Kommerzpop ist. Sie sollten Sich mal selber reden hören.

Ich finde es prinzipiell gut, dass Sie Sich für "echte Kunst" stark machen, aber es klingt sehr nach Rufen im Walde. Ich wüsste nicht, für was der Kolumnist sich rechtzufertigen hätte und selbstverständlich ist die geäußerte Beschwerde überflüssig.


QuoteWissenIstMacht888
Antwort auf @volumen

"Kommerzpop ist ja immerhin ok für Sie, solange es kein ätzender Kommerzpop ist. Sie sollten Sich mal selber reden hören."

Vielen Dank, dass im Gegensatz zu diesem anderen Kommentator verstanden haben, dass es mir nicht um das Kommerzielle an sich geht. Mir geht es darum, wie grauenhaft schlecht und vor allem langweilig Popmusik sein darf, wenn sie nur richtig vermarktet wird.


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