Category: Gedanken.Memo, Realitaets.Tunnel, Wortbrocken.Cafe
Tag: Backpfeifen, Kiel, Liebesspiel, Linie 11, Telefonzustand
Die feixenden Flieger
El Blondo (Bruno) kommt mal wieder aus Spanien und steigt in die Linie 11. Das war wohl eine lange Nacht gestern, diese Augen können nicht lügen. Musiker sind Musiker sind Musiker. Wir fahren über die Gablenzbrücke. Und in Espanol? – El Blondo: “Die Jungs da nimmt keiner mehr erst, die spielen zu viel Bongo und trinken zu viel Rotwein. Oh, hier muss ich schon raus…”
Am Telefon ist J. Aber wo ist jemand genau, wenn er am Telefon ist? Wir sind beide am Telefon. Wir sind in einem Telefonzustand. In einer Zwischenwelt die 2 Räume verbindet. Am Telefon hat J. mich für diesen Augenblick in der Hand. Es könnte irgendwie an ihrer Stimme liegen. Wir befinden uns in einem ersten Moment. Darum müssen wir lachen. Liebesspiel ist Schauspiel ist Liebesspiel ist ernst. Natürlichkeit ist vielleicht selbstvergessenes und unbeobachtetes Schauspiel. Wir sind ganz wild auf die Natürlichkeit. Eine Natürlichkeit, die beim genaueren Hinsehen vielleicht wieder eine verruchte Machtergreifung sein könnte – und gar nicht so zufällig – wie ich eben noch dachte. Du bist wütend auf mich – und das zu recht. Wir lieben an einander das Unbekannte und mögen das Vertraute? – Jetzt bist du nicht mehr wütend? – Ich höre es an deiner Stimme. Ich weiß nicht warum. Ich ergebe mich auch. Natürlichkeit will wie aus Versehen entdeckt werden. Ich dachte an Oliven, am Telefon sagt J.: “Bringst du noch Milch mit?”
Ich sehen ihn manchmal da draußen stehen – ein eigentlich noch junger Typ – beim vorbeifahren in der Linie 11. Er wirkt etwas verwahrlost, steht da am Karlstal mit seinem Hund. Sein Blick verharrt an keinem festen Punkt. Jetzt sitzt er hier im Gelenkbus und zählt sein Restgeld. Deutlich verfettet sind die Haare. Immer wieder zieht er seine Schnotter hoch. Ein Fahrgast mit Hornbrille sieht bereits verächtlichen Blickes auf den Geldzählenden herab. Ich sehe darauf hin mit Falten in der Stirn den mit der Hornbrille an – für eine Sekunde. Ruhelosigkeit durchzieht den Körper, er, der den Schnotter wieder hochzieht, hockt sich hin. Er steht wieder auf, er greift sich in eine Tasche. Er hockt sich wieder hin. Wir fahren in eine Kurve. Er beginnt immer wieder von Neuem alle seine Taschen – auch die des verdreckten Parkers – zu durchwühlen. Die Rechnerei mit den vielen kleinen Geldstücken beginnt immer wieder von Vorn.
Gleich gehe ich die Milch kaufen. Die Luft ist kühl und der Wind fegt durch die Ritzen welche ihm die parkenden Autos bieten. Für kurz schiebt sich mir die gedankliche Gewohnheit ein wenig beiseite. Die feixenden Flieger haben mich entdeckt. Taumelnd beginnt der Flug. Die Häusermauern fluchten. Für kurz werde ich unverhofft zu ihnen hin geschummelt. Für kurz nehmen sie mich auf in ihre Reihen, die spöttelnden himmlischen Heerscharen und treiben Schabernack. Sie lachen mich aus, sie lachen uns alle aus – am meisten die miesgelaunten und die gramvollen Planetenbesetzer. Sie deuten mit fast höhnischen Mündern untereinander an, das sich da wohl jemand verirrt hat. Sie rufen mir zu: “Ja, was kann der Gehweg unter dir, was kann das alte Kiel mit seinen Kopfsteinpflasterstraßen dir schwindenden Menschen schon erzählen?” Köpfe werden geschüttelt vor Lachen. Einer ruft: “Blast kräftig in die Trompeten, schlagt die Seiten der Laute an!” – Es nehmen mich – die in der Luft musizierenden – fest am Kragen, reißen mich um die Kurve im Flug und lachen noch dabei. Ich versuche die Gegend wie aus neu geborenen Augen zu sehen. Ich versteh ihren Humor nicht ganz. Schon setzen sie mich ein Stück weiter wieder auf dem Stadtboden ab. Beim Asmus-Bremer-Platz. Um die Ecke erblicke ich einen hell erleuchteten Raum, zwei Menschen verstecken ihre tänzelnden Augen hinter Flachbildschirmen. Der Gesichtsausdrücke sind in einem freien Fall, es geht dem Computer-Nirgendwo zu. Für 2 Sekunden denke ich, der Anblick wäre komisch, wäre eine Vorstellung, wäre eine Gesichts-Kunst-Performance. Gleich werde ich auf der Rolltreppe fahren und die Milch kaufen. Ein alter Knabe kommt vorbei deutet auf die beiden hinter den Bildschirmen und raunt mir zu: “Aber sie machen nur ihren Job, gehen sie schon weiter, das geht sie gar nichts an, jedem sein Lebensentwurf”. Er geht ein Stück, dreht sich noch ein mal um und sagt laut: “Sehen Sie mich an, das auf-die-Schnauze-fliegen hat mich glücklich gemacht, im Nachhinein natürlich erst. Und mir machen die weißen Haare nichts, sie geben mir sogar etwas zusätzliche Würde, nur der Schweißgeruch wir im Alter etwas strenger – ich war als junger Kerl liederlich, da waren die Faxenmacher in den Wolken nicht weit – aber jetzt wo meine Knochen alt sind, lach ich über Alles und Jeden – da brauch ich die Truppe da oben nicht mehr!”
Die Würstchenbude vor dem alten Rathaus ist hell beleuchtet aber Menschenleer. Doch für W. wird das Leben undurchschaubarer, ich sehe es ihm an. Als hätten ihn 3 Kugeln des Schicksalhaften durchlöchert – für manche Dinge gibt es keine Regelhaftigkeit – und bei seiner Schulter gingen die Kugeln-des-zufälligen durch wie Butter, lautlos. Jetzt kann jeder an der Straße durch seine Schulter gucken, jeder sieht die 3 kleinen Durchschußlöcher in seinem Selbstbild.
Es ist mir verstellt. Ich nehme mich gerade nicht ernst. Doch für T. ist es ernst. Sie schluchzt leise in sich hinein. T. ruft nach zarten, schützenden, liebenden und behutsamen Händen. Sie bekommt jedoch Backpfeifen von unsichtbaren Händen, keine Liebe – aber Backpfeifen, keine liebevollen Umarmungen nur unerwartete Backpfeifen. Da hilft auch die Wut und der wilde Atem nicht. Was soll das?! – Des Nachts ist T. allein. Weit weg von der fliegend lachenden Spöttertruppe, der himmelhochjauzenden Lachbande – sie flogen kurz nur über das alte Backsteinhaus, wo T. zur Miete wohnt. Nun wirbeln sie um das alte ehrwürdigen Opernhaus. Es ist spät Nachts. Flatternd finden sie ein offenes Fenster. Schon sind sie im Flur. Vorsichtig wird die Tür zum Fundus geöffnet – dort treffen sie auf das hektische Liebesspiel von unfreiwillig verkanllten. Leise durchstöbern die lustigen Flieger auf leisen Sohlen den Raum. Dann wirft einer von ihnen mit geöffnetem Mund einen alten Garderobenständer um. Die Liebenden sind für kurz erschrocken, für kurz verwirrt, für kurz verharren sie und halten den Atem an.
Sie sagt: “Was war das?” – Er sagt: “Ich weiß es nicht.”